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In vielen Geschichten, in Betrachtung und Anekdote, Sentenz und Polemik schildert Luise Rinser Natur und Menschen, Wirklichkeit und Traum, Erlebtes und Gelesenes. Und hinter all den kleinen Beobachtungen und Ereignissen stellt sie immer wieder die Frage nach den Elementen des Daseins, nach Gott und der Welt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 568
Veröffentlichungsjahr: 2016
Luise Rinser
Eine Art Tagebuch 1967–1970
In vielen Geschichten, in Betrachtung und Anekdote, Sentenz und Polemik schildert Luise Rinser Natur und Menschen, Wirklichkeit und Traum, Erlebtes und Gelesenes. Und hinter all den kleinen Beobachtungen und Ereignissen stellt sie immer wieder die Frage nach den Elementen des Daseins, nach Gott und der Welt.
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Luise Rinser, 1911 in Pitzling in Oberbayern geboren, war eine der meistgelesenen und bedeutendsten deutschen Autorinnen nicht nur der Nachkriegszeit. Ihr erstes Buch, ›Die gläsernen Ringe‹, erschien 1941 bei S. Fischer. 1946 folgte ›Gefängnistagebuch‹, 1948 die Erzählung ›Jan Lobel aus Warschau‹. Danach die beiden Nina-Romane ›Mitte des Lebens‹ und ›Abenteuer der Tugend‹. Waches und aktives Interesse an menschlichen Schicksalen wie an politischen Ereignissen prägen vor allem ihre Tagebuchaufzeichnungen. 1981 erschien der erste Band der Autobiographie, ›Den Wolf umarmen‹. Spätere Romane: ›Der schwarze Esel‹ (1974), ›Mirjam‹ (1983), ›Silberschuld‹ (1987) und ›Abaelards Liebe‹ (1991). Der zweite Band der Autobiographie, ›Saturn auf der Sonne‹, erschien 1994. Luise Rinser erhielt zahlreiche Preise. Sie ist 2002 in München gestorben.
Für L.D.
In meiner Jugend habe [...]
Gespräch mit einem Kind [...]
Heimfahrt von Teraccina auf [...]
Von Zeit zu Zeit [...]
August 67: Die Traurigkeit [...]
Ich bin ärgerlich. Diese [...]
1967: Beiratssitzung von »Eltern« [...]
Unmöglich schließlich, die zehnmalige [...]
New York, November 67. [...]
Heute nacht wachte ich [...]
Ich habe im vergangenen [...]
München. Mein täglicher Winter-Hunde-Weg [...]
F. hat mich heute [...]
Ein Nachmittag wie der [...]
Ich fahre nach Genzano. [...]
Karfreitag in der Abtei [...]
Ich gehe so den [...]
Ein Schüler fragt mich, [...]
Anpöbelung Kardinal Döpfners durch [...]
Einige Briefe zu meinem [...]
(5. Juni 1968) In der [...]
A rose is a [...]
Bob Kennedy schwer verwundet. [...]
Mitten im Juni ein [...]
Als ich neulich G., [...]
Manchmal bin ich so [...]
Ich habe geträumt: mein [...]
Nach einem Gespräch mit [...]
Im Gespräch mit N., [...]
Immer wieder einmal lese [...]
Abendlicher Stoßverkehr an der [...]
Herr V. berichtet mir von [...]
Ich brachte Bekannte zur [...]
10. 8. – Katastrophenstimmung: seit [...]
Heute, Samstag, 18. 8., [...]
Das also war es: [...]
23. 9. 68: Einladung [...]
Brief eines Klerikers, der, [...]
Berlin. Ein Nachmittag. Ich [...]
München, in der Straßenbahn. [...]
Ein bukolisches Bild: die [...]
René meint, ich müsse [...]
Frau L. schreibt mir [...]
Bei René: wir schrecken [...]
Ich bringe den sechs [...]
Ein reicher Fabrikbesitzer in [...]
So also geht das [...]
Jetzt vergleiche ich das, [...]
Direkte Erfahrung mit »Bonn«. [...]
Es ist heute abend [...]
Gestern habe ich in [...]
Beim Friseur in Rom. [...]
Zum Thema Unsicherheit gegenüber [...]
Nach Blochs Vortrag: Ich [...]
Beim Durchblättern von Berdjajews [...]
Nächtliche Heimfahrt auf der [...]
Eröffnung der Buchausstellung des [...]
Nach der Lektüre eines [...]
Dieser Signor Valerio ist [...]
Gestern abend, als ich [...]
Ernst Bloch: »Es gibt [...]
Im Autobus 95 mir gegenüber [...]
Besuch bei meiner vierundachtzigjährigen [...]
Blochs Zwei-Bibeln-Theorie läßt mir [...]
Seltsame, wenn auch nicht [...]
Jemand erzählt mir: In [...]
Was man so nebenbei [...]
Besuch bei den V.s die [...]
Beim Aufräumen fand ich [...]
Beobachtung: Kinder von heute [...]
Die Legende von der [...]
Mit O.K. in einem [...]
Da habe ich’s nun: [...]
Gestern waren die A. [...]
Bei Guardini fand ich [...]
Im Fernsehen (RAI) »Maria [...]
München. Marionettentheater. Ein Stück [...]
In einem Zeitungsartikel lese [...]
Zwei Käfer aus dem [...]
Heute, beim Anschauen eines [...]
Obgleich er Theologe ist [...]
Beim Friseur in G. Ich [...]
In B. Brechts ›Geschichten des [...]
Im TV eine Reportage [...]
Gestern, nach drei Jahren [...]
Den ganzen Morgen im [...]
Unter meinen Notizen finde [...]
Vertreterbesuch (oder: Der Hase [...]
Zum wievielten Mal Camus’ [...]
1968: Aus dem Raritätenkabinett: [...]
Aus einer RAI-TV-Sendung Szenen [...]
Ich beobachte: aus einer [...]
Ein ganz leichter Mittagswind. [...]
Sonderbare Augenblicke, in denen [...]
In den »Erinnerungen« von C.G. Jung [...]
Der alte versoffene Bettler [...]
Ich habe mich schon [...]
Aus einem Bericht über [...]
Ich erbat mir in [...]
Heute hatte ich ein [...]
Das gibt es also [...]
Täglich Briefe von Katholiken, [...]
O.K. ließt Albees ›Wer [...]
Als sei die Zeit [...]
In einem Büchlein, 1839 [...]
Versuchung beim Älterwerden: daß [...]
Ich lasse mein Auto [...]
Im Programmheft zu Goethes [...]
Ich habe geträumt: ich [...]
Zwei Beobachtungen am Wasser: [...]
Aus dem (gedruckten) Vortrag [...]
Gespräch mit einem steinreichen [...]
Schier verzweifelt inmitten von [...]
Eine Leserin schickt mir [...]
Ich schaue unseren Garten [...]
Seit einiger Zeit sind [...]
A. berichtet an Hand [...]
Die Fürstin N. will [...]
Immer, wenn mir selber [...]
Wie ist doch jeder [...]
Zum Kapitel der Versäumnisse: [...]
Schiller (Vorrede zu Pitavals [...]
Gelesen »Die Aula« von [...]
Frau C. schreibt mir: Als [...]
Wort und Bild »Wind« [...]
Einfache Beobachtung: ich fahre [...]
Im Fernsehen ein höchst [...]
Bei der Arbeit an [...]
Ein Brief von Shimaya. [...]
Gespräch mit zwei Oberschülern, [...]
In einer Erzählung von [...]
Im Fernsehen der Film [...]
Ich habe mir am [...]
In André Gides Tagebuch [...]
Als ich, 15 Jahre alt, [...]
Bei Teilhard finde ich [...]
In einer Kirchenzeitung zum [...]
Noch kleiner geworden als [...]
Sonderbares Land, dieses Deutschland: [...]
Ich stelle mir vor: [...]
Simon Wiesenthals Brief mit [...]
Ich traue meinen Augen [...]
Der Papst ist wieder [...]
Von Ho Tschi Minh [...]
Ingeborg, wie viele Schauspieler [...]
Gespräch mit St. Ich wage [...]
Nach dem Gottesdienst für [...]
Es lohnt sich, mit [...]
Beim Friseur gehörte Geschichte, [...]
Mit P.G. so lange [...]
Weihnacht 68. Kein Heiligabend mehr [...]
TEE Karlsruhe–Köln (7. 1. [...]
O.K., immer mit der [...]
Happening im Münchner Hauptbahnhof, [...]
Dringliche Frage: hatte die [...]
Lesung und Diskussion in [...]
In »Publik« schreibt der [...]
In einem Aufsatz über [...]
Nachdenken über »Kirche im [...]
Dr. S., Psychiater, erzählte mir, [...]
Besuch eines jungen Germanistik-Studenten. [...]
Palmsonntag nachmittag. Ich laufe [...]
4. April 69. Wieder eine [...]
Ostern 1969. In der Münchner [...]
Beim gestrigen Gespräch mit [...]
Dr. S. war da. Er [...]
Eine wirksame Methode, Kritik [...]
Noordwijkerhout. Ich bin zur [...]
Eindhoven. P. Piet v.D. zeigt [...]
Im Zug von Amsterdam [...]
Wenn jemand viele Monate [...]
Als ich F. von [...]
Mit O.K. in Bomarzo. [...]
Ich habe heute, in [...]
Ich werde vom Veranstalter [...]
Akademietagung in Berlin. In [...]
Berlin. Mir tut vom [...]
Es gibt einen klerikalen [...]
In der »Mao-Bibel« gelesen: [...]
Wie mag das wohl [...]
Bei Norbert Wiener (Begründer [...]
B.Z. berichtet von einer [...]
Was für eine unruhige [...]
Diese B., 18 Jahre alt, [...]
Warum zum Teufel veröffentlicht [...]
Ich beobachte: Da ich [...]
Brief-Entwurf, einem heutigen Traditionalisten [...]
O.K. will durchaus in [...]
Es mehren sich die [...]
Juli 1969. Ich bemühe [...]
Brief einer 22jährigen aus [...]
Gestern tat ich, was [...]
Ich habe Zahnweh. Ich [...]
Vortrag von Gollwitzer im [...]
Mit O.K. nach Rom [...]
P. einiges vorgelesen aus [...]
Aus einem langen und [...]
Nach vielem, nach jahrelangem [...]
Eine Arbeiterin aus der [...]
Frau W. ist seit [...]
Ich habe meine Glosse [...]
Meine Italiener … An der [...]
Etwas ist mir abhanden [...]
In den letzten Wochen [...]
September 69. In diesen [...]
Ein sehr schöner Septemberabend: [...]
29. September 69. Das Wahlergebnis. [...]
Mit O.K. auf dem [...]
In der Frühzeit der [...]
1968. Als ich mit [...]
1969. Zum ersten und [...]
Oktober 69. Mit Zbigniew [...]
Oktober 69, Rom, Bischofs-Synode. [...]
Man hat mich gebeten, [...]
Nürnberg, Oktober 69, Kongreß [...]
Paris und Frankfurt, November [...]
Paris, Allerheiligen. Mit George [...]
Januar 1970. Nach einer [...]
Aus einem Brief von [...]
Für L.D.
In meiner Jugend habe ich Tagebuch geführt, dann (abgesehen von meinen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis 1944) nicht mehr. Nach dem Kriege habe ich wieder damit begonnen. Meine Tagebücher sind Kalenderchen. Ein Blatt sieht beispielsweise so aus:
Daneben gibt es eine Menge loser Blätter und Blättchen mit Einfällen, Beobachtungen, Porträts von Menschen und Landschaften, erlebten und gehörten Geschichten, alles in Stichworten und meist in Stenogramm.
Von Zeit zu Zeit räume ich unter meinen Papieren auf und werfe vieles weg, denn es hat seinen Dienst getan: indem ich aufschrieb, was mich bewegte, erzürnte, leiden machte, zum Widerspruch trieb, habe ich es durchdacht und in meine Welt eingefügt.
Als ich, 1968, wieder dabei war, Geschriebenes zu verbrennen, kam mir der Gedanke, es sei besser, meine Aufzeichnungen zu veröffentlichen, nicht weil ich ihnen einen literarischen Wert zuspräche, auch nicht, weil (was ich allerdings jetzt denke) es für spätere Generationen von einigem Interesse sein könnte zu erfahren, wie ein Mensch des 20. Jahrhunderts sich verhielt angesichts und inmitten der durchgängigen Revolution, die ein neues Zeitalter einleitet. Ich dachte an etwas Näherliegendes, nämlich: vielleicht kann es einigen Zeitgenossen nützlich sein zu sehen, wie sich jemand herumschlägt mit den politischen, gesellschaftskritischen, theologischen, religiösen und menschlichen Fragen, die uns alle bedrängen. Dabei, so will mir scheinen, könnte es interessieren, daß diese »Notizen zur Zeit« von einem Menschen stammen, der weder alt und abgeklärt genug ist, um nur kühl registrierender Beobachter zu sein, noch aber auch so jung und naiv, daß er sich mit allem Neuen identifizierte, nur weil es neu ist, der aber dennoch grundsätzlich, bewußt, entschieden sich auf die Seite jener schlägt, die man »Rebellen« nennt, weil er fest daran glaubt, daß Gott ein Gott der Lebendigen ist und immer dort zu finden, wo Gefahr ist und Neues entstehen will.
Um meine stichwortartigen Notizen veröffentlichen zu können, mußte ich sie ausarbeiten. Dadurch verloren sie an Ursprünglichkeit, Härte, Leidenschaft. Ich las kürzlich wieder das Tagebuch der brasilianischen Negerin Carolina und dachte dabei, daß das bloße Notieren von Fakten heute die richtige Art von Tagebuchschreiben sei. Aber das hat seine Schwierigkeit. Hätte ich zwischen 1942 und 1944 ein Tagebuch geführt, so gliche es in der Form und auch im Inhalt dem der Negerfrau Carolina. Es hätte so ausgesehen:
8. Juli 43. Um fünf Uhr aufgestanden, im Garten gearbeitet, dann Kinder gewaschen, Frühstück gemacht, kein Zucker, keine Butter, nur etwas Marmelade. Nachmittag hamstern, weitabgelegene Höfe, heimgebracht nach vier Stunden: ein Pfund Roggenmehl, zwei Eier, ein großes Stück Brot, einen halben Liter Magermilch.
5. März 44. Um 6 Uhr aufgestanden, mit Rad ins Dorf gefahren, Kinder auf dem Leiterwägelchen, ans Rad gebunden, mitgenommen, im Dorf um Fisch angestanden. Da ich beinahe an der Reihe bin, gibt es keinen mehr. Dafür von Tante Marie ein halbes Pfund Butter bekommen. Große Freude.
3. Mai 44. Tiefflieger schießt auf die Wiese, auf der die Kinder spielen. Niemand getroffen. Amerikaner. Scham und Wut.
Heute haben wir andere Nöte, solche, die nicht mit so wenigen, so eindeutigen Worten darzustellen sind. Es ist leicht zu sagen: »Ich habe Hunger, ich habe kein Brot.« Aber um auszudrücken, daß man zwar selber Brot habe, um den eigenen Hunger und den seiner Kinder zu stillen, daß aber dieses Brot im Magen drückt, weil man mit jedem Bissen Brot den Tod eines verhungerten Kindes irgendwo in der Welt mitißt, dazu bedarf es vieler Worte und einer sprachlichen Anstrengung, die schon eine literarische ist, und die gerade in einem solchen Falle unangemessen erscheint. Nun: das ist eben wie es ist, es soll hingenommen und nicht für wichtig gehalten werden, weder dort, wo etwas literarisch gelungen ist noch dort, wo es nicht gelungen ist.
Was mich hinsichtlich der Veröffentlichung mehr stört, sind Überlegungen wie diese: daß manches, vor zwei, drei Jahren aktuell, heute von anderen Problemen überholt ist; daß ich selbst inzwischen viel Neues gelernt, viele Barrikaden übersprungen, viel radikalere Meinungen gewonnen habe; daß vieles, was mein eigener Einfall war, inzwischen von anderen besser gesagt wurde; daß ich gewisse Vorfälle, die sachliche, allgemeinere Wichtigkeit hatten und haben, nicht mehr anrühren will, weil sie mir schon genug Ärger eingebracht haben (meine öffentlichen Proteste gegen politische und kirchliche Mißstände); daß ich von wichtigen Personen nicht reden kann aus Gründen der Diskretion, und daß ich, wo ich es doch tat, dadurch, daß ich ihre Namen fälschte und Details veränderte, jenen Personen nicht gerecht wurde. Vor allem stört mich der Gedanke, man könne glauben, es gehe mir um eine Darstellung meiner Person.
Aber auch mit dieser Möglichkeit habe ich mich im vorhinein schließlich abgefunden. So bin ich also jetzt, vor der Veröffentlichung meiner Tagebuchblätter, im Stande einer relativen, einer »zweiten« Unbefangenheit, die es mir erlaubt, sogar einige jener Blätter wieder einzufügen, die ich schon ausgeschieden hatte, weil sie mir zu privat erschienen.
Der Titel »Baustelle« ist ein Bekenntnis oder auch ein Programm. Auf einer Baustelle liegt Material herum. Um daraus ein Haus zu bauen, bedarf es eines Planes. Aber eben einen Plan habe ich nicht.
Ich brauche keinen, denn ich will gar kein Haus bauen. Ich habe zu viele Erdbeben miterlebt, um weiterhin Sicherheit in einem festen Haus zu suchen. Ich schlafe unter freiem Himmel besser. Da ich aber nicht immer mutig bin, baue ich mir bisweilen einen provisorischen Unterschlupf. Es stört mich nicht allzu sehr, daß er nicht ewigkeitsfest ist, aber ich verlasse ihn jeweils ungern, denn es ist unbequem, Nomade zu sein. Es ist beschwerlich, von Widerspruch zu Widerspruch gejagt zu werden und keine der alten, der »absoluten« Ordnungen wiederzufinden. Aber ich möchte dennoch weiter auf den Baustellen wohnen.
Gespräch mit einem Kind (München). Ich habe nachts lang gearbeitet, am Morgen wieder, ich lege mich mittags hin, bin eben eingeschlafen, da klingelt es unten an der Haustüre. Ich fahre hoch, drücke den elektrischen Öffner. Wer kommt, ist ein Kind, ein Mädchen, etwa fünfjährig.
Was willst du denn?
Dich besuchen.
Kennst du mich denn?
Nein.
Wie kannst du mich dann besuchen wollen? (Zu schwere Frage.)
Ich will dich eben besuchen.
Na schön. Komm rein. Setz dich hin.
Ist das dein Büro?
So was Ähnliches, ja.
(Sie steht auf, geht herum, faßt alles an.) Schön ist es bei dir. Da ziehen wir ein.
Wer?
Die Mutti und ich.
Aber da wohne doch ich. Da kannst du nicht einziehen.
Wenn du mal ausziehst, ziehen wir ein.
Sag mal: warum hast du gerade bei mir geläutet und nicht anderswo?
Weil ich zu dir will.
Ja hast du denn gewußt, wo ich wohne?
Ja.
Hast du mich schon mal gesehen?
(Keine Antwort.)
Hat dich wer zu mir geschickt?
Nein.
Gehst du einfach so allein spazieren?
Immer.
Und deine Mutti?
Die schickt mich fort.
Warum?
Weiß nicht.
Hast du die Mutti lieb?
Ja.
Und die Mutti, hat dich die lieb?
(Keine Antwort. Ich stelle die Frage noch zweimal. Keine Antwort. Keine Reaktion. Die Frage wird nicht gehört.)
Hast du Geschwister?
Nein.
Einen Vati?
Zwei Vatis.
Einen Vati und einen Großvati?
Nein: zwei Vatis.
Einer ist der richtige Vati, wie?
Nein, alle zwei sind die richtigen Vatis.
Und sie sind immer bei der Mutti?
Nein. Einmal der, einmal der andere.
Hast du bloß zwei Vatis?
Richtige bloß zwei. Die anderen sind keine Vatis.
Und wenn ein Vati kommt, schickt dich die Mutti fort?
(Nicken.)
Und da gehst du dann spazieren. Und wenn es dich nicht mehr freut, gehst du dann heim?
Ich muß warten, bis die Mutti aufmacht.
Und wenn es kalt ist?
Mich friert nicht. Ich hab warme Schuh und warme Kleider (trotzig): ich bin gern draußen.
Jetzt muß ich wieder arbeiten. Gehst du wieder?
Ja.
(Sie stopft alle Pralinen, die ich ihr gebe, hintereinander, oder besser: fast gleichzeitig, in den Mund, gierig, als hätte sie Angst, daß jemand sie ihr wegnähme.)
Heimfahrt von Teraccina auf der Appia Nuova. Es regnet. Auf der Höhe von Latina am Straßenrand, halb im Graben, ein Fiat 500, daneben im nassen Gras sitzend ein Mann. Er preßt ein Tuch auf die Stirn. Ich vermute einen Unfall, halte und frage. Kein Unfall, nur: der uralte Fiat kann nicht mehr; der Mann, bei dem Versuch, ihn zu reparieren, hat sich am rostigen Blech der Kühlerhaube die Stirn geritzt. Das Tuch auf der Wunde ist ein schmutziges Taschentuch. Ich gebe ihm ein sauberes, er nimmt es ohne Umstände. Was jetzt tun mit Mann und Fiat? Ich schleppe den Fiat ab nach Latina zu einer Werkstatt. Der Wagen wird untersucht. Bedauerndes Achselzucken. »Schrott.« Ein kurzer Handel. Man drückt dem Mann ein paar Geldscheine in die Hand, er steckt sie in die Hosentasche. Was nun? Er will nach Rom. Ich nehme ihn mit. Ich habe ihn mir schon vorher angesehen. Er ist groß, mager, schlecht rasiert, abgerissen, arm; seine Hände, mit denen er einen unordentlich verschnürten Karton auf den Knien hält, sind schmutzig, haben abgebrochene Nägel, sind aber lang und wohlgeformt. Er spricht nicht Dialekt, sondern reines Italienisch. Arbeiter ist der nicht, Bauer auch nicht, kleiner Geschäftsmann ausgeschlossen, Beamter nein, aber was dann. Ein verarmter Aristokrat, heruntergekommen, aber seiner Nobilität nicht verlustig – das ist die Formel, die noch am ehesten auf ihn paßt.
Wir schweigen. Ich fahre. Es regnet. Später frage ich ihn, wohin in Rom er wolle. Er sagt: Zum Vatikan. Ich will wissen, wo im Vatikanbereich ich ihn absetzen soll. Irgendwo, antwortet er. Ich sage: Wenn ich weiß, zu wem Sie wollen, kann ich Sie möglichst nahe hinbringen. Er sagt: Zum Papst. Ich lache ein wenig. Er hat gescherzt. Ich sage: Sie sind beim Papst erwartet? Da er nicht antwortet, wende ich mich ihm zu. Er schaut starr geradeaus und schweigt. So sieht man nicht aus, wenn man scherzt. Aber als puren Ernst kann ich seine Antwort doch auch nicht nehmen. Ich suche eine Spur. Ich frage: Woher kommen Sie? Er löst eine Hand von dem Karton und deutet mit ihr über seine Schulter zurück. Ich versuche es mit einer anderen Frage: Sie wollen wahrscheinlich zu einer Papst-Audienz?
Seine Antwort: eine Handbewegung, so eine, mit der man etwas der Lächerlichkeit preisgibt.
Eine dritte Frage, zögernd gestellt: Sie wollen mit dem Papst sprechen?
Die Antwort kommt sofort und mit Schärfe: Das will ich.
Jetzt meine ich, die Spur zu haben: Sie kommen aus Calabrien? Aus einem der armen Orte dort?
Daß er nicht antwortet, nehme ich als Ja. Aber, sage ich, da müssen Sie nicht zum Papst gehen, sondern zur Caritas. Wissen Sie, wo die ist? In der Nähe von San Paolo fuori le mura. Gehen Sie zu Monsignore Carlo Bayer, sagen Sie ihm …
Er unterbricht mich mit seiner leisen Stimme, die ich nur deshalb verstehen kann bei dem Motorgeräusch, weil sie eine gewisse Schärfe hat: Almosen? Nein. Man hat uns von dort schon einmal Kleiderpakete geschickt. Meine Armen haben sie verbrannt.
»Meine Armen«? Wer sind Sie?
Ein Mann von dort.
Und was, bitte, erwarten Sie vom Vatikan, wenn keine »Almosen«, wie Sie es nennen?
Verständnis.
Verständnis wofür?
Er antwortet längere Zeit nicht. Ich fahre. Plötzlich sagt er: Du sollst nicht stehlen. Vorige Woche haben wir eine Straßenbarriere gebaut. Immer freitags kommt ein Lastauto mit Lebensmitteln bei uns durch. Es kommt nicht zu uns, es fährt durch nach Santo Stefano zum Kloster der Franziskaner. Wir haben dem Fahrer, als er die Barriere abbaute, Pfeffer in die Augen gestreut und das Lastauto ausgeräumt. Dann haben wir ihn mit dem leeren Wagen zurückgefahren und ihn irgendwo stehenlassen. Er wird sich hüten, zu sagen, in welchem Dorf ihm das passiert ist.
Warum? frage ich. Ist es wegen der Mafia?
Er antwortet nicht. Er fährt fort: Du sollst Vater und Mutter ehren. Wir können es nicht erwarten, bis so ein Alter stirbt. Je früher einer stirbt und je mehr sterben, desto mehr Brot bleibt für die anderen. Du sollst nicht huren und ehebrechen. Sie haben kein anderes Vergnügen. Die Kinder sterben früh und leicht. Die Madonna versteht und verzeiht alles. Die Madonna tröstet. Die Taufe ist ein Fest, die Erstkommunion, die Hochzeit, die Beerdigung. Das ist ihre Religion. (Jetzt sagt er »sie« und nicht mehr »wir«.)
Und das, frage ich, wollen Sie dem Papst erzählen?
Ja. Das. Und anderes.
Zum Beispiel, was noch?
Auch bei uns unten weiß man, daß die Kirche reich ist. Daß die Hälfte der Aktien des Banco di Roma dem Vatikan gehört. Daß der Vatikan Groß-Spekulationen macht. Daß der Vatikan niemals jemandem Rechenschaft ablegt über das, was er mit dem Geld tut. Beispielsweise das. Daß die Kirche korrupt ist wie der Staat.
Nein, sage ich leise.
Er redet weiter: Was hat das Konzil gekostet?
Ich weiß es nicht.
Für das Geld hätte man in Calabrien eine Industrie aufbauen können, die uns gerettet hätte. Das Konzil, das rettet uns nicht.
Jetzt sage ich erbittert: Sie machen es sich einfach. Als ob die Kirche zuständig wäre für Realpolitik.
Nein? fragt er, nein? Wofür denn? Für das ewige Heil der Seelen? Das Heil der Seelen hängt am Brot.
Das ist nicht wahr, rufe ich. So wie Sie es sagen, ist es einfach nicht wahr. Haben Sie je erlebt, daß Menschen besser werden, wenn sie satt sind und ein Bankkonto haben? Na also. Wenn die Armen stehlen und huren, tun sie’s aus Notwehr. Wenn’s die Wohlhabenden tun, tun sie es aus Schlechtigkeit.
Jetzt wird er zornig. Das ist Demagogie, schreit er.
Ich sage ebenfalls zornig: Das ist nichts als Erfahrung. Und Sie wissen das so gut wie ich.
Jetzt schweigt er. Ich weiß, was er denkt. Darum sage ich: Natürlich meine ich nicht, die Armen sollten arm bleiben. Zum Teufel: nein. Ich meine nur, daß Sie nicht den Papst und die Kirche verantwortlich machen können für die Armut der Welt. Warum gehen Sie nicht zu Ihrer Regierung? Wofür gibt es denn die Organisationen für die Förderung der unterentwickelten Länder?
Er schneidet mir das Wort ab: Sie sind Deutsche, ich habe Ihr Nummernschild gesehen. Ihre Regierung hat dem Schah von Persien Geld gegeben für sein armes Land. Der Schah hat in Frankreich eine gläserne Badewanne gekauft, juwelenbesetzt. In Afrika verhungern die Kinder in Massen, und die Politiker fahren riesige Autos, gekauft vom Geld, das Europa den armen Völkern schickt. Und die reichen Völker werden dadurch noch reicher, weil sie nur die Lebensmittel abschieben, die ihr Preisniveau senken würden. Und die braven Leute in aller Welt spenden Geld, und das Geld kommt nie zu den Armen in den armen Ländern, sondern wird unterwegs vom Verwaltungsapparat aufgebraucht.
Plötzlich lacht er laut und scharf. Ist das nicht komisch? ruft er dazwischen. Ist das nicht zum Schreien komisch?
Jetzt sehe ich, daß ihm Tränen über das Gesicht rinnen. Er lacht nicht mehr. Ich sage nichts. Ich fahre und fahre. Kurz vor Rom bittet er mich, zu halten und zu warten. Er schnürt seinen Pappkarton auf und zieht etwas Schwarzes heraus. Eine Soutane, schäbig, geflickt. Hinter einem Gebüsch zieht er sich um. Jetzt sieht man erst, wie mager er ist. Er verstaut seine Ziviljacke im Karton, schnürt ihn zu mit seinen langen Fingern, hält ihn wieder auf den Knien. Am Ende der Via Conciliazione will er aussteigen. Dann geht er über den riesigen Platz geradewegs auf die Bronzepforte zu. Ich fahre ihm langsam nach. Ich sehe ihn lange vor den beiden uniformierten Schweizern stehen. Sie versperren ihm mit ihren gekreuzten mittelalterlichen Hellebarden den Weg. Aber schließlich treten sie zur Seite. Ich warte lange. Wenn sie ihn einfach vor die Tür setzen, nehme ich ihn mit mir und zu Carlo Bayer. Aber er kommt nicht zurück. Vielleicht hat man sich seiner erbarmt. Zumindest, so hoffe ich, hat man ihn zum Essen eingeladen. Den Papst, den hat er nicht gesehen, nicht gesprochen. Armer Priester. Armer Papst.
1970: Heute sehe ich den Zusammenhang zwischen Kirche und Kapital realistischer, zuungunsten der Kirche.
Von Zeit zu Zeit fällt an windstillen Sommer-Spätnachmittagen eine Horde Schwalben (eigentlich Mauersegler) in meinen Garten ein. Ich weiß schon, daß man bei Vögeln nicht von Horden redet, sondern von Scharen oder Zügen oder Schwärmen, aber das hier sind Horden, und zwar Horden von tollgewordenen Schwalben. Ihre Tollheit liegt nicht nur darin, daß sie, obgleich der Garten groß genug ist, ausgerechnet vor meinem Schreibtischfenster ihre irren Sturz- und Gleitflüge und ihre aberwitzigen Polonäsen vornehmen. Ich sehe nicht ein, wieso und warum, denn die Insekten, die sie suchen (es ist Jungvogel-Fütterzeit) sind gerade hier am rarsten, warum gehen sie nicht ans Wasserbecken, dort sind die kleinen Mücken, nach denen sollen sie jagen, dort und nicht hier. Aber nein: sie haben es auf mein Haus abgesehen. Hin und her, her und hin, in scharfen Stößen aufeinander zu, einander ums Haar aufspießend oder seitlich sich beinahe rammend, und dann doch lautlos aneinander vorbeigleitend, streng voneinander weg, um augenblicks auf die je nächste loszustoßen, und wieder die knapp unfallfreie stumme Begegnung, und dann ein scharfes Herumwerfen in die andere Richtung, das gleiche Manöver, und dies von vierzig, fünfzig Schwalben ausgeführt, miteinander, gegeneinander, unermüdlich, zwei Stunden lang und länger, die einen hin und die andern her, das hat etwas Manisches, das ist Besessenheit.
Aber das eigentlich Tolle ereignet sich, wenn ich aus dem Haus trete und sie mich bemerken: da wechseln sie augenblicks das Revier und wählen mich, ich weiß nicht als was, vielleicht als Jagdrivalen oder als Raubzug-Störer oder als mutmaßlichen Beute-Träger, wer weiß. Bleibe ich stehen, so führen sie ihre besessenen Tanzbegegnungen in etwa einem Meter Entfernung von mir auf. Mache ich einen Schritt vorwärts, so fliegen sie mir dicht am Gesicht vorbei, manchmal bleibt eine sogar flügelschwirrend (was gar nicht Schwalbenart ist) stehen, ehe sie wegstößt, und dieses Her und Hin so dicht vor den Augen blendet wie grelle Blitze. Einmal streifte eine mit der Spitze ihres gebogenen Flügels mein Ohr; es fühlte sich gar nicht vogelleicht zärtlich an, es erinnerte mich an den unerwarteten Schmerz, als mir eine an sich dünne und weiche, aber rasch rotierende Pappscheibe eine Schnittwunde am Finger beibrachte. Dieses pfeilschnelle stumme besessen-geschäftige Geflitze mir so dicht vor den Augen, und diese nicht zu verscheuchenden kompakten Schatten – darin liegt etwas Absichtliches, Absichtlich-Verwirrendes, Angreiferisches, Magisch-Feindseliges. Dreihundert (oder weniger) solcher zu Harpyien gewordenen Schwalben, sie könnten einen in den Wahnsinn treiben. Tod durch Schwalben – auch eine Todesart. Surrealistisches Bild: ein Mensch, nicht zur Salzsäule geworden, sondern von Schwalben über und über bedeckt wie von klebenden Schuppen, Schwalben eingekrallt in Arme und Beine, Brust und Rücken, Schwalben nistend im Haar und in den Achselhöhlen und Kniekehlen, auf jedem Zeh eine Schwalbe festgehakt, zwischen den Fingern Schwalben eingezwängt, Augen, Nase, Mund bedeckt von Schwalbenflügeln, der Erdboden so zugedeckt von hockenden Schwalben, daß man darin waten müßte, und die Luft schwarz vom Schwalbengetümmel, und darin langsam ersticken …
August 67: Die Traurigkeit hält an. Es ist jetzt wirklich schwer zu leben. Es ist so heiß. Seit sechs Wochen Hitze, Sonne, kein Regen. Am Morgen bisweilen Gewölk, aber: »Wie Morgengewölke ist deine Treue, Israel«… die Wolken lösen sich auf. »Il sole leone« triumphiert mit der strahlenden Brutalität eines glatzköpfigen römischen Feldherrn. Hinter ihm schleppt sich das Fußvolk im Staub voran. Der Staub, überall ist er, auf den Tischen, den Büchern, dem Gras, den Blättern. In meinem Arbeitszimmer lasse ich Tag und Nacht das große Schiebefenster offen, schließe nachts nur das Gitter davor. Da weht nun ungehindert herein, was will: dürres Laub, kleine tote Schmetterlinge, Rosenblätter, und Staub, Staub. Ich bilde mir schon ein, Staub zu essen. Und die Waldbrände. Neulich brannte es bei René H. drüben, es brannte bis an sein Haus, er hat selber dort gelöscht, bis die Feuerwehr kam. Gestern der Brand hinter dem Monte Cavo. Nachts zwei Uhr das Tuten der Feuerwehrautos. Wieder irgendwo ein Waldbrand. Man sagt, es seien gelegte Brände. Junge Leute täten es aus Zerstörungswut. Oder die Kommunisten. Das sind Phantasien. Eine weggeworfene Zigarette genügt. Die Luft heute morgen roch nach verbrannten Piniennadeln. Wunderbar stark roch es. Auf dem Wasser des Schwimmbeckens eine hauchdünne Schicht silbriger Asche. Ich kann diese brutale Sonne, die »Löwensonne«, nicht mehr sehen. Ich möchte fort, fliehen.
Ich bin ärgerlich. Diese Frau S., sie gehört, scheint’s, zu den unvermeidlichen kleinen lästigen Schicksals-Tücken in meinem Leben. Immer begegnet sie mir, wenn ich es eilig habe oder nicht friedlich gesinnt bin. Das wiederum ist Frau S.s Schicksal: sie kennt mich nur in unfriedlichem Zustand. Schlechte Mars-Konstellation.
Frau S. läuft mir mitten im abendlichen Stoßverkehr in den Weg, in die Arme. Sie hat eine Art über mich zu verfügen, die mich ärgert. Dieses Mal schleppt sie mich kurzerhand zu Leuten, die ich nicht kenne. »Die P.s verehren Sie so, machen Sie ihnen die Freude, kommen Sie.«
Ich habe immer Angst vor Frau S. Immer hat sie religiöse Skandalgeschichten auf Lager. Ich habe sie im Verdacht, ein Archiv mit Zeitungsausschnitten solcher Art zu haben, eigens für mich angelegt.
Die P.s sind nette ältere Leute. Er ist Zahnarzt, sie Hausfrau, Nichts-als-Hausfrau; umfangreich, hünenhaft, unangefochten von Zweifeln an ihrer Identität, am Sinn des Lebens und an den Dogmen der Kirche. Eine Bronzestatue auf einem Holzfloß, das von unten benagt wird; die Biber sind am Werk, sie weiß es nicht.
Herr P. nennt seine Frau Gretel und spricht von ihr als »meiner Gattin«; Frau P. nennt ihn nur »Pápa«.
Die Wohnung: schwarze Eichenmöbel, Erbstücke; weinrote Tapete, Familienporträts, tiefe weiche Plüschsessel, weiche unechte Perserteppiche, und eine Zimmertanne, das Symbol. Es wird Kaffee gekocht. Dazu gibt es Kuchen die Fülle. Selbstgemachten. Man behandelt mich mit jener Verehrung, die mich stets dazu herausfordert, ungezogen zu sein trotz meiner höheren Jahre. Frau S. sorgt dafür, daß mein Schicksal mit ihr sich erfülle: nach längerem Kramen in ihrer tiefen Einkaufstasche hat sie’s gefunden, das Zeitungsblatt, das sie mit Schwung vor mich hinlegt. Mit langem Finger deutet sie auf die Überschrift: »Der Hund im Tabernakel«. Darunter ein Bild: ein ziemlich großes achteckiges Holzhäuschen, aus dessen Öffnung ein Kettenhund schaut. Der Text: »Wir veröffentlichen hier das schauderhafte Bild eines Tabernakels aus dem 17. Jahrhundert, der dreihundert Jahre lang durch die wirkliche Gegenwart Jesu Christi geheiligt wurde. Dreihundert Jahre haben Priester ihre Gläubigen dazu angehalten, das Allerheiligste zu besuchen, dem es Obdach gewährt … weinend ihre Blicke auf den Tabernakel gerichtet … überzeugt, daß nach der Lehre der Kirche hinter diesen vergoldeten Wänden derjenige auf sie wartet … Es war kein Kommunist, der Gott aus seiner Wohnung vertrieben hat. Es war ein moderner Priester … Sakrileg in Frankreich … Schlimmer als Kirchenverfolgung … der religiöse Selbstmord des Gottesvolkes … Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte … Meisterstück des Teufels …«
Ich schaue, was für ein Blättchen das ist: »Ostpriesterhilfe«, Juli/August 67. Wie: das Blatt des »Speckpaters«, des großartigen Helfers? Und er selbst ist der Verfassers dieses Pamphlets.
Nun? fragt Frau S. mit funkelnden Augen. Ich zucke die Achsel. Ich habe mir vorgenommen, mich nicht provozieren zu lassen. Frau S. nimmt mir das Blatt weg und reicht es den P.s. Diese lesen es gemeinsam. Sie machen tz – tz – tz. Mittlerweile kommt der älteste Sohn (Toni, studiert Zahnmedizin) und die Zweitälteste (Gretel II, studiert Germanistik). Nette junge Leute, gescheit und frisch. Die Eltern haben die Lektüre beendet, sie reichen das Blatt an die Kinder weiter. Herr P. sagt: »Eine Gotteslästerung ist das.« Frau P. sagt: »So was zieht die Strafe Gottes auf uns alle herab.« Frau S. sagt: »Und möglich ist es nur, weil man im Konzil den Leuten, Priestern wie Laien, zuviel Freiheit gab. Diese moderne Theologie! Da hat der Professor Lauth und die Una Voce schon recht: das ist alles der Antichrist.« Herr P. sagt: »Dekadenz überall. Auch im Klerus. Am grünen Holz.«
Toni und Gretel II haben fertig gelesen. Toni legt das Blättchen auf den Tisch in einer Weise, die eher ein Wegwerfen ist.
Frau S. fragt: »Was sagt ihr dazu?« Toni sagt nichts, und Gretel II sagt todernst: »Also, das versteh ich nicht. Da steht: wir veröffentlichen das schauderhafte Bild eines Tabernakels. Wieso ist das Bild schauderhaft?«
»Aber Gretel«, ruft Herr P., »wie kannst du fragen.«
»Bitte«, sagt Gretel, »da steht: das schauderhafte Bild.«
»Wenn das nicht schauderhaft ist«, sagt Frau P., »ein Hund im Tabernakel.«
»Aber Mama, hier steht: das schauderhafte Bild. Es ist gar kein schlechtes Bild. Vielleicht meinten die: das Bild eines schauderhaften Tabernakels. Aber so häßlich ist der Tabernakel auch nicht.« Toni grinst. Gretel II bleibt ernst. Frau S. ist entsetzt: »Also, ihr versteht nicht …«
»Doch«, sagt Toni, »ich verstehe: Gott wurde aus seiner Wohnung vertrieben. Klingt gar nicht schlecht. Klingt direkt nach Sozialkritik. Aber wohnt Gott eigentlich in so einem Häuschen? Wohnt er überhaupt? Und vertreiben von irgendwo kann man ihn wohl auch nicht. Aber ich versteh nix von Theologie. Was sagst du, Gretel?«
»Ich? Ich sag, daß jener zweifellos moderne Priester eines Tages den oder das Tabernakel scheußlich fand, oder er hat den Sinn der Eucharistie neu begriffen und wollte seine Gläubigen augenfällig darüber belehren, kurzum: er nahm, in aller Ehrfurcht, denke ich, den Kelch mit den Hostien vom Altar und brachte ihn anderswo unter, in einer Mauernische etwa, und der oder das Tabernakel war überflüssig, der Mesner hats irgendwo abgestellt, und irgendwer hats gefunden und hat seinen Hund drin untergebracht.«
Frau S. und die P.s haben ihr mit weit offenem Mund zugehört. Jetzt rufen sie alle zugleich: »Das ist es ja: der Hund!« »Ha«, sagt Toni, »der Hund, der Hund, jetzt stellt euch mal vor, Jesus käme vorbei und sähe, daß ein Hund in seinem abgelegten Tabernakel wohnt. Was, denkt ihr, geschähe? Prügelt er den Hund heraus, oder prügelt er den Herrn des Hundes, oder den Priester? Fühlt er sich beleidigt und heimatlos? Ich wette, er geht zu dem Kettenhund und sagt: So so, du wohnst jetzt da, hast endlich ein Dach überm Kopf wenns regnet und schneit, armes Geschöpf meines Vaters. Und hiermit, liebe andächtige Zuhörer, beendige ich meine Predigt. Ich muß in die Uni, wir haben ein Sit-in, Gretel, komm!«
Draußen sind sie. Stille. Betretenheit. Frau S. rettet die Situation wie immer auf ihre Weise: »Tja, diese Jugend mit ihren modernen Ansichten.« Jetzt wendet sie sich mir zu. »Was sagen Sie zu der Geschichte?« Also, da sind wir angelangt bei der gut vorbereiteten Provokation.
»Ich? Ach, wissen Sie, ich meine, Sie sollten zu diesem Priester fahren und ihn fragen, warum er das getan hat; Sie müssen herausbekommen, wie er im großen und ganzen denkt, und dann können Sie diese Tabernakelgeschichte richtig einordnen. Ich glaube nicht an ein Sakrileg.«
»Na schön«, sagt Frau S., »mag sein, daß in diesem besonderen Fall … Aber typisch ists, sehr typisch.«
»So?« frage ich, »typisch? Wird heutzutage oft ein Tabernakel umfunktioniert zu einem Hundestall?«
Frau S. schaut mich schief an. »Bildlich, figürlich, symbolisch ja.«
Herr P. sagt: »Entweihung überall.« Frau P. sagt: »Jawohl. Auch im Sexuellen. Auch da ist aus dem Tabernakel der Hundestall gemacht.«
Ich murmle kauend: »Wirklich ganz neu, daß auf diesem Feld gesündigt wird.«
Frau S.: »Aber nicht so, nicht so schamlos.«
Ich versuche darüber nachzudenken, ob es tatsächlich ungehörig ist, einen Hund in einem ausgedienten Tabernakel unterzubringen, aber Frau S. läßt mir keine Ruhe; sie will das ihr zustehende Stück meiner still gespeicherten Aggression haben.
»Frau R., Frau R., ich habe Sie im Verdacht, Sie halten es mit den modernen Theologen und mit der Jugend.«
»Mit der Jugend, Frau S.? Meinen Sie Toni und Gretel? Die finde ich ganz prächtig.«
Die P.s lächeln geschmeichelt, aber sie wissen nicht, wie sie dieses Gefühl in Übereinstimmung bringen können mit der Ablehnung der so schrecklich modernen Ansichten ihrer Kinder. Frau S. geht jetzt zum Direktangriff über. Sanft fragt sie: »Frau R., Sie verstehen doch ziemlich viel von Theologie. Bitte: wohnt Gott im Tabernakel oder nicht?«
»Gute liebe Frau S.: wenn Sie eine rechtgläubige theologische Antwort auf Ihre Frage nach der Realpräsenz Jesu haben wollen, dann müssen Sie einen Dogmatiker fragen. Nicht mich. Aber ist Ihnen wirklich um eine Antwort zu tun? Glauben Sie daran oder glauben Sie nicht daran?«
»Ich? Natürlich.«
»Also, was fragen Sie dann? Sie wollen doch nur mich in Rechtgläubigkeit prüfen.«
»Im Ernst, Frau R., mich interessiert die Frage. Man denkt doch heutzutage über vieles nach, was man früher einfach so …«
Sie verstummt unter dem Blick Herrn P.s. Um die Sache hinter mich zu bringen, sage ich: »Frau S.: im Tabernakel ist Brot. Das Brot ist konsekriert. Was das genau ist, weiß ich nicht. Und ich möchte den Dogmatiker von heute kennen, der behaupten kann, er wisse es genau.«
»Tz – tz – tz«, macht Herr P., und Frau P. sagt: »Das, nein, das nehme ich Ihnen nicht ab. Die müssen es doch wissen, sonst könnten sie doch gar nicht mehr vor dem Tabernakel beten.«
Das ist nicht logisch, aber ich verstehe, doch schweige ich.
Frau S. ruft jetzt: »Aber die beten ja gar nicht mehr davor, das ist es ja.« Jetzt muß ich doch etwas sagen: »Hat Jesus beim letzten Abendmahl gesagt: Kniet nieder und betet das Brot an, das ich bin, oder hat er gesagt: Eßt das Brot, eßt es in Gemeinschaft, und das bin ich?«
»Na, ich weiß nicht«, sagt Frau S., »ob das so ganz …«
Endlich darf ich aufbrechen. Die P.s die werden mich jetzt nicht mehr verehren.
1967: Beiratssitzung von »Eltern« im Springer-Hochhaus, Berlin, das provozierend dicht an »der Mauer« steht. In einem der obersten Stockwerke die Bibliothek: die geschnitzten Schränke (herrliches altes, wenn ich mich recht erinnere, naturfarbenes Holz). Springer hat sie aus einem englischen Schloß oder Kloster Stück um Stück mit dem Flugzeug hierher befördern lassen … Springer macht die Honneurs. Auch ich werde von ihm angesprochen, sehr scharmant. Er sagt, er schätze mich hoch, denn ich gehörte zu den ganz wenigen Autoren heute, die noch »Werte hochhielten«, (ich schlucke) und ich solle mich um Gotteswillen nicht anstecken lassen von der sogenannten Moderne; Leute wie ich seien für die Zukunft wichtig. Leute wie Grass verschwänden von der Bildfläche. (Ich lasse ihn reden.) Dann erzählt er von seinem Söhnchen aus zweiter Ehe. Es nenne ihn »Herrn Vater«, niemand habe ihm das beigebracht. Und der Kleine sei merkwürdig fromm. Er, der Vater, habe (»unter anderem«, sagt er beiläufig) einen Cranach hängen, das Bild des leidenden Christus. Davor stehe der Kleine oft und sei untröstlich. »Herr Vater, ich will nicht, daß der Mann da so leiden muß.« (Ich zeige mich, erwartungsgemäß, entzückt und leicht gerührt.)
Hernach erzählt mir C., den ich nach fast zwei Jahrzehnten wiedersehe, daß Springer wohl wirklich religiös sei; er ziehe sich öfters für einige Tage in sein Landhaus am Meer zurück um zu meditieren. Wer kennt sich aus im Menschen. Wer kennt sich aus in diesem Menschen. Was für eine raffinierte Mischung aus Snobismus, Bildung, Machtgier, lässiger Kraft – und also auch Religiosität.
Es gibt Leute, die benutzen auch Religion (sei sie christlich oder buddhistisch) zur Konzentration ihrer Fähigkeiten, will sagen: zur Erhöhung ihrer Macht.
Unmöglich schließlich, die zehnmalige Einladung zum zehnten Mal abzulehnen. Lauter Frauen, alle zwischen Fünfzig und Sechzig; später noch, hereingeschneit, P.A., neunzehnjährig. Zunächst also neun Frauen. Ich merke bald, daß das kein Kaffeekränzchen sein soll, sondern ein – ja, was denn? Ein Symposion über theologische Fragen, sozusagen. Allüberall redet jedermann jetzt über derlei. Wie weit ist es Mode, wie weit echtes Bedürfnis? Ich kam zu spät, bin in das begonnene Gespräch hineingeplatzt, genieße meine geistige Abwesenheit; nirgendwo kann ich so gut allein und still sein wie inmitten pseudo-intellektuellen Geredes. Aber man läßt mich nicht schlafen. Man spricht mich an, fordert eine Antwort heraus. Worum ging es? Ich hatte es nicht gehört, gebe vor, so ad hoc nichts darüber (worüber?) sagen zu können. Aber von da ab muß ich wohl bei der Sache sein. »Also«, sagt Frau A., die Gastgeberin (P. ist noch nicht auf der Szene), »meine Sympathien haben sie verwirkt.« Wer denn? Es stellt sich heraus: die Studenten, die Rebellen, die Randalierer. (Der Verlust von Frau A.s Sympathie wird sie schwer treffen.) Man ist allgemein einig mit ihr, aber man ist auch einig mit Frau B., die sagt: »Das sind nur Randerscheinungen. Das Gros der Jugend ist anders.« Ja? Wie denn? Nun eben: nicht aufsässig, oder besser: schon wieder nicht mehr aufsässig, schon wieder beruhigt und guten Willens sich einzufügen. Worin einzufügen, Frau B., so frage ich. Nun: in die Gesellschaftsordnung.
Haben wir denn eine, Frau B., eine Ordnung, meine ich?
Natürlich, es ist immer noch eine christlich bestimmte, jedenfalls in den meisten europäischen Ländern.
Ja? Wirklich?
(Ein strenger Blick gegen mich. Ich halte ihn aus, erwidere): Also, Sie, Frau B., finden, daß es gut ist, wenn die Jugend sich alsbald in unsere Gesellschaftsordnung einfügt?
Natürlich. Wir können doch nicht in einem Chaos leben.
Liebe Frau B., mir ist, als lebten wir seit Schöpfungsbeginn in einem permanenten Chaos, und das eben ist: Leben. (Sie ignoriert das.)
Haben Sie (fragt sie reihum blickend) nicht gelesen, was in den Zeitungen stand: daß die meisten Studenten, die aufsässigen Studenten, einfach (»einfach«!) psychisch gestört sind und in psychotherapeutische Behandlung gehören, und daß ihre Aufsässigkeit gar nicht objektiv auf konkrete Änderung der Gesellschaft zielt, sondern nichts ist als Ventil für den Aggressions-Stau des einzelnen? Eine Gruppe von Psychopathen also hält die übrigen, die Normalen, vom Studium ab.
Frau C. (sehr gepflegt) fällt ein: Gott, bin ich froh, daß meine Kinder normal sind. Wir haben gar keine Probleme. Es hat doch etwas für sich, wenn Kinder christlich erzogen werden.
Frau B., die keine Kinder hat, ignoriert diese Bemerkung, fährt fort: Stellen Sie sich vor, in den Vereinigten Staaten hat jede Universität ihren eigenen Psychiater.
Ja, murmle ich, von der Universität angestellt, von ihr bezahlt dafür, daß sie für reibungslose Anpassung der Studenten an die gute alte Institution sorgen. Die sanften Beschwichtiger, die Edel-Ordnung-Menschen. Frau D. sagt: Aber Frau R., Sie stehen ja auf Seite der Rebellen! Wie paßt das zu Ihrer sonstigen christlichen Einstellung?
Ich habe keine »sonstige« christliche Einstellung, ich habe nur eine, und zu ihr gehört es, von persönlichen Vorlieben und Vorurteilen abzusehen und an die Zukunft, das heißt, die Zukünftigen zu denken.
Frau D.: Aber die jungen Rebellen sind nach fünf Jahren ja keine mehr, sondern mitarbeitende, vernünftige Menschen.
Ja, gutbürgerlich angepaßt an den alten Schlendrian. Wie wunderbar. Nein, Frau D., so ist es nicht, oder vielmehr: so darf es nicht mehr sein. Natürlich bleiben die jetzt Zwanzigjährigen nicht zwanzigjährig, und also nicht heftig und aufsässig. Aber es kommen immer wieder Zwanzigjährige, und jeder Schub stößt die Entwicklung nach vorne und sei es nur für einen Millimeter. Wehe, wenn eine Generation konfliktlos sich anpaßte.
Frau B., jetzt mit erhobenem Zeigefinger: In Holland, die jungen Theologen, die werden schon sehen, welche Resultate ihr Aufstand erzielt; das ist Abfall vom Glauben, getarnt durch wissenschaftliche Theologie.
Ja? sage ich, ist es so? Vielleicht ist es ein Abfall von einem falschverstandenen, falschgelebten Glauben und ein Einfall des Heiligen Geistes und ein Fall von Bekehrung zur Liebe.
Ach was: Liebe! ruft Frau B., dieses Wort von der horizontalen Liebe –
(ich lache los, sie versteht nicht warum, niemand scheint es zu verstehen)
Frau B. fährt irritiert fort: Also, daß man, wenn man die Menschen liebe, dem Gebot der Liebe vollauf genug tue, das ist Häresie. Im Bruder Gottes Geschöpf sehen, nun schön, das wissen wir; aber den Bruder als Gottes-Ersatz betrachten, das ist falsch, das ist kommunistisch.
Ich: Ubi caritas ibi Deus est.
Frau M., verschüchtert: Der Heiland hat gesagt, daß wir Ihm tun, was wir dem Bruder tun.
Frau B., ungeduldig: Das heißt doch nicht, daß der Bruder Gott ist, sondern daß Gott das, was wir einem Menschen tun, als eine Huldigung an Ihn selbst betrachtet.
(Wie die weiß, was Gott wie betrachtet.) In der Annahme, daß die lieben Damen das Wort Realpräsenz nicht kennen, murmele ich: Die Realpräsenz Gottes im Menschen.
Frau B. stutzt, blickt mich streng an, wittert bei mir immer eine Häresie, findet aber keine passende Entgegnung, läßt den Satz auf sich beruhen.
Frau A. sagt: Diese Theorie, daß Gott nur durch den Nächsten zu uns spreche …
Frau B. (hoch erhobener Zeigefinger, nämlich zum Himmel deutend): Nein, nein, Gott spricht auch direkt zum Menschen. Frau A. (mit Augenaufschlag): So ist es.
Ich: Nun gut, lassen wir das. Über mystische Erfahrungen läßt sich nicht sprechen und schon gar nicht streiten.
Frau B.: Das ist keine Mystik, das ist eine allgemeine Wahrheit. Gott spricht zu jedem Menschen. Man muß nur Ohren haben dafür. Ich: Eben! Man muß Ohren und Augen haben für die Not des Mitmenschen.
Frau B. (mich aufspießend mit dem langen Finger): Wer nicht zuvor Gott hört, hört auch den Nächsten nicht.
Ich: Und die nächstenliebenden Atheisten?
Frau B.: Die wissen nicht die Wahrheit, darum können sie auch andere nicht wirklich lieben und ihnen nicht helfen zu ihrem Heil.
Frau A.: Stellen Sie sich vor, die holländischen Priester weigern sich, täglich Messe zu lesen, das Brevier zu beten. Sie wollen sogar keine Meßgewänder mehr. In Zivil, im Straßenanzug wollen sie … Und in irgendeinem x-beliebigen Zimmer! (Allgemeines Entsetzen: Oh! Nein, so was! Schrecklich!)
Frau B.: Aber das sind nur Randerscheinungen. Pubertätserscheinungen einiger Gruppen. Weiter nichts. Das läuft sich tot. Das in zweitausend Jahren bewährte Alte bleibt.
Frau N., die bis dahin geschwiegen hat: Das ganze Unheil kommt daher, daß die Jugend Gott nicht mehr liebt.
(Allgemeiner Beifall.)
Ich: Wie geht das denn, »Gott lieben«?
Frau N.: Das ist eben Fromm-Sein.
Ich: Wie bringt man es der Jugend bei, Gott zu lieben?
Frau B.: Die Jugend muß beten, damit sie die Gnade der Liebe zu Gott bekommt.
Ich: Und wenn sie nicht beten kann?
Frau A.: Dann muß sie es wieder lernen.
Ich: Und wie geht das?
Frau B.: Sie muß es üben, auch wenn es zunächst schwerfällt.
P. ist leise eingetreten, unbemerkt; ich sehe ihn stehen. Er hat die letzten Sätze gehört. Er grinst. Jetzt bemerken ihn auch die übrigen. Die Damen verstummen. P. geht zu seiner Mutter, Frau A., er fragt sie etwas, sie antwortet flüsternd, er zuckt die Achseln, läßt sich auf einem Sessel nieder, angelt sich einen Teller mit Torte, ißt mit Behagen, mit halbgeschlossenen Augen. Nicht wahr, P., du sagst doch auch, daß die Randalierer und Revoluzzer unter euch nur Randerscheinungen sind? fragt Frau A.
M, sagt P. bloß, den Mund voll Torte und höchst gelangweilt.
Sehen Sie, ruft Frau A. triumphierend.
Hierauf wendet sich das Gespräch dem großartigen karitativen Wirken der Kirche zu. Sicherer Boden. Plötzlich sagt P. laut und deutlich: Mir haben meine Eltern verboten, in eines der unterentwickelten Länder zu gehen nach dem Abitur, um dort zu arbeiten.
Frau A. wird rot: Ja, aber nur, weil du nicht gesund genug bist.
Für den Wehrdienst bin ich aber gesund genug. P. beißt wieder in sein Tortenstück, benutzt keinen Löffel und kein Gäbelchen. Mit vollem und tortenbeschmiertem Mund sagt er: Ja, das sind so die seltsamen Widersprüche unserer Eltern, Lehrer, Undsoweiter-Herren. Aber du sollst Vater und Mutter gehorchen, nämlich auf daß es dir wohlergehe auf Erden. Mögen in Indien Kinder verhungern. Gehorsam muß sein. Dann gehts dir gut.
Aber P., ruft Frau A., jetzt ists genug. Bist du hereingekommen, um zu stänkern?
P. steht gelassen auf, nimmt im Vorbeigehen ein zweites Stück Torte, beißt hinein, schlendert hinaus. Betretenes Schweigen. Ich benutze es, um zu sagen, daß ich gehen müsse.
Danke, Frau A., für den reizenden Nachmittag.
Bin sicher: die lädt mich nie nie mehr ein.
Mit Staunen merke ich, daß ich unter Gleichaltrigen fremd bin. Sonderbar. Ich bin doch auch fromm. Meine ich. Aber Häretiker sind häretisch in aller Unschuld.
New York, November 67. Weder F.B. noch ich kennen die Leute, die uns zum Abendessen eingeladen haben. Auch wissen wir nicht, warum sie uns einluden. F.B. weiß nur, daß sie etwas, irgend etwas mit der »Artist School« zu tun haben. F.B. und ich kennen uns auch kaum. Das kann ein Abend werden!
Die Gegend, in der die Leute wohnen, ist hochherrschaftlich, auch das apartment house, auch der Livrierte unten in der Halle, auch der lautlose Lift, der uns in den (nur) 6. Stock bringt. Die Wohnungstür wird geöffnet von einer stattlichen schwarzgekleideten älteren Frau, die ich beinahe für die Hausfrau halte, bis sie uns die Mäntel abnimmt und in der Art, wie sie es tut, beiläufig aber nicht ganz eindeutig ihre Stellung im Hause verrät. Ihr Englisch hat österreich-tschechische Färbung. Schon eilt, mit wehendem Grauhaar, ein älterer Herr auf uns zu und begrüßt uns mit Selbstverständlichkeit, weder zu herzlich noch zu kühl, gerade in der Mitte, wohltemperiert. Er scheint nicht für einen Abend mit Gästen gekleidet: eine nicht allzugut gebügelte graue Hose, eine grau und braun karierte lose Jacke, die ich eher als Hausjacke bezeichnen würde. Er führt uns ohne Umschweife in den Salon, der so unscheinbar ist, daß die Ruhe, die in ihm herrscht, obgleich nur sechs Stockwerke tiefer eine der verkehrsreichsten lautesten Straßen New Yorks fließt, das einzig Bemerkenswerte ist. Auch die Frau, die nun hereinkommt, auf eine beiläufige Art, ist unscheinbar. Ihr Kleid hat eine Farbe, die keine ist sozusagen, am ehesten kann ich sie sandfarben nennen, wenn ich an normalen trockenen Sand vom römischen Badestrand denke. Auch ihre Haare haben diese farblose Farbe. Auch ihr Gesicht. Ihr Alter ist unbestimmbar, aber nicht wichtig. Sie ist intelligent und sympathisch, legt aber keinen Wert darauf, es zu zeigen. Sie ist einfach da und macht davon kein Aufhebens. Sie macht auch von uns keines, betrachtet und behandelt uns aber mit Freundlichkeit.
Gleich nach uns kommt ein Paar, das sich später als Ehepaar erweist, was mir den ganzen Abend hindurch unglaubhaft bleibt. Er groß, mager, mit betonten Backenknochen unter einer gespannten Haut, sieht aus wie ein Wiener Aristokrat mit jüdischer Mutter; sie dagegen könnte Französin sein, soeben aus Paris angekommen, ist aber Stockamerikanerin. Er ist tatsächlich Wiener. Er trägt einen Straßenanzug. Sie, etwa in meinem Alter, dagegen etwas festliches Schwarzes mit einem Minirock und einem überaus tiefen spitzen Halsausschnitt, der von einer überaus großen Achatbrosche noch weiter nach unten gezogen wird. Sie hat schöne Beine in schwarzen Dior-Netzstrümpfen. Die ganze Person ist extravagant, aber mit Maß und Geist. Da alles zusammenpaßt, nämlich zu ihr, und da sie gescheit, liebenswürdig, klar, heiter, überlegen ist, stellt sie einen uneingeschränkt erfreulichen Anblick dar. Ihr Mann gibt sich mit müder Eleganz, aber ich merke bald, daß das die Tarnung ist für einen kräftig zupackenden Business-man. Was die Leute von Beruf sind, wird mir nicht klar, den ganzen Abend nicht.
Die schwarzgekleidete Dienerin bringt ganz kleine Tischchen und schiebt neben jeden Sessel eines. Dann serviert sie Getränke. Es wird vielerlei angeboten, so vielerlei, daß ich gerne irgend etwas verlangt hätte, was es nur in meiner Phantasie gibt, etwa Neufundländer Zibebenwein. Aber vielleicht hätte es das in diesem Haushalt wirklich gegeben, und ich hätte es trinken müssen. Dann bringt die Dienerin eine Platte mit allerlei Rohkost: weißem Stangensellerie, schwarzen Oliven, Karottenstäbchen, Radieschen, Nüssen und derlei. Schon denke ich, die Leute seien Vegetarier aus Prinzip und sparsam, auch aus Prinzip, da kommt eine weitere Platte mit einem beträchtlichen Hügel von Hummersalat und anderen Salaten ringsherum. Nichts Ungewöhnliches, aber das Gewöhnliche von erlesener Qualität, die sogar mir, die sich nichts aus Essen macht, auffällt. Ich denke, dies sei zwar kein richtiges Abendessen für eine Einladung, bin aber sehr zufrieden, nichts weiter essen zu müssen. Aber da begibt man sich in ein anderes Zimmer. Es erweist sich als Eßzimmer. Chippendale. Der Tisch, ein beträchtliches Oval, schön gedeckt. Auf dunkelroten Deckchen englisches Geschirr mit dunkelroten Vögeln. Wenig Silber, ein paar Kerzen, ein paar Rosen. Alles so, als sei das alltäglich. Vielleicht ist es täglich so. Es hat etwas so Selbstverständliches, so Unangestrengtes, Unabsichtliches, etwas, nun eben: so Beiläufiges. Immer wieder drängt sich mir dieses Wort auf. Es trifft ins Schwarze. Auch das Essen ist selbstverständlich und beiläufig. Was es da gibt, kann es überall geben: eine Fleischbrühe, dann Roastbeef mit ganz normalen Gemüsen. Ich habe längst keinen Hunger mehr, aber jetzt habe ich Appetit. Ich esse jetzt aus purem Vergnügen am Perfekten. Die Sachen, die es da gibt, sind so sehr höchste Qualität, daß sie es nicht nötig haben, irgend etwas aus sich zu machen. Nur das Dessert erlaubt sich, Festcharakter zu zeigen, so wie die Schwarzgekleidete erst jetzt sich erlaubt, etwas von der glücklichen Anstrengung der Zubereitung zu verraten. Sie erweist und bekennt sich als die zumindest für den Nachtisch Verantwortliche; es sind noch zwei nur flüchtig in Erscheinung tretende weitere Personen nebenan in der Küche beschäftigt. Als ich nur einen Löffel voll von dem Auflauf nehme, flüstert sie mir eindringlich, fast flehend, in Deutsch zu: »Bitte, nehmen Sie mehr, es ist sehr gut, wir haben es selbst gemacht. Wir machen alles selbst.« (»Wir«, sagt sie, ihr alleiniges Verdienst schmälernd, wie ich hernach höre.) Es ist in der Tat sehr gut: ein gebackener warmer Baiser-Auflauf, gefüllt mit Vanille-Eis und Schlagsahne über frischen Erdbeeren, und dazu eine heiße Sauce aus zerdrückten frischen Erd- und Himbeeren. Ich nehme nicht nur einen zweiten Löffel voll, sondern, nachher, eine zweite Portion, und das glückliche leise Lachen der Schwarzgekleideten belohnt mich dafür.
Daß die Frau, höchst wohlerzogen, servierend ungeniert mit mir spricht, paßt zum Ganzen: hier ist alles perfekt und leger zugleich; die Perfektion besteht in eben dieser Lässigkeit, die nichts mehr verrät von Anstrengung. Das ist ganz einfach Kunst.
Die Tisch-Unterhaltung: nichts Hochintellektuelles, aber auch kein Geschwätz; heiter ohne die obligaten Witze; sachlich, ohne sich auf Politik und Geschäft einzulassen, aber auch ohne es geflissentlich zu vermeiden. Jedermann sagt klar seine Meinung zu einem aufgeworfenen Thema, aber keiner versteift sich auf diese seine Meinung und aufs Thema. Jedermann hört aufmerksam zu, ohne die zur Behaglichkeit des Essens nötige Lässigkeit aufzugeben. Ein Ballspiel, bei dem es nur darum geht, sich den Ball genau, doch leicht zuzuspielen, aber ihn nicht in den Korb zu werfen. Es gibt keine Sieger und keine Verlierer. Nur der Wiener wird bisweilen eine Spur schärfer, aber das setzt nur angenehm leicht aufregende Akzente, und er nimmt sich sogleich wieder zurück. Und doch ist so im Laufe des Abends von vielem Bedeutenden auf gar nicht unbedeutende Weise die Rede: von der Picasso-Skulpturen-Ausstellung, von der jungen amerikanischen Literatur, von der Möglichkeit dichten zu lernen, von der elektronischen Musik. Immer wird nur Handfestes gesagt, das auf gründliche Kenntnis deutet. Man ist entschieden gebildet, aber man ists auf beiläufige Weise, so, wie man auf beiläufige Weise reich ist. Daß mans in diesem Hause ist, merke ich nach und nach, aber da ichs merke, ist es auch schon wieder nicht bemerkenswert. Wir kehren in den Salon zurück. Jetzt sehe ich ihn; ich möchte fast sagen: jetzt beliebt es ihm, ein wenig gesprächiger zu werden. Die paar Möbel, die da stehen, sind altenglisch, ich weiß nicht, wie der Stil heißt. Über dem Kamin ein Braque, wenn ich nicht irre. Alle Farben und Gegenstände sind genau aufeinander gestimmt, aber das Ganze macht glauben, als seien Erbstücke zufällig so zusammengekommen. Man hat die Sachen eben, was ist da dabei. Kostbar? Wichtiger ist, daß sie bequem sind. Ein Understatement, das schon wieder keines ist, weil man gar nicht die Absicht hat, eines zu machen. »Naturreiche« nenne ich diese Leute.
Jetzt erst sehe ich, daß die Hausfrau älter ist als ich vorher dachte, und daß sie die Spuren langer überstandener oder gewohnter Leiden unvertuscht im Gesicht trägt. Die liebevolle Rücksicht, mit der sie ihren Mann behandelt, ist eher geduldige Nachsicht, ihre noble Lässigkeit eher schwermütige Resignation, ihre Herzlichkeit vollkommene Erziehung. Was ich vorher nicht sah, sehe ich jetzt: über all der perfekten Harmonie hängt ein ganz ganz feiner Schleier von uraltem Staub.
F.B. und ich finden uns auf dem Heimweg zum Hotel in heiterster Stimmung. Was für ein zauberhafter Abend.
In meiner Handtasche habe ich die Visitenkarten der beiden Paare. »Wenn sie wieder nach New York kommen …«
Jetzt weiß ichs: das sind Leute, die alle Hände an allen Hebeln der amerikanischen Radio Corporation und der Schallplatten-Industrie haben.
Heute nacht wachte ich plötzlich auf und dachte: Teilhard sagt, was den Menschen zum Menschen mache und ihn von allen übrigen Geschöpfen unterscheide, sei: der Mensch weiß, daß er weiß. Ich sage aber, daß es etwas anderes gibt, was noch viel eigentümlicher ist und noch viel deutlicher für die ungeheuerliche Sonderstellung des Menschen in der gesamten Schöpfung spricht: der Mensch weiß, daß er beinahe nichts weiß. Das heißt nämlich, daß er weiß: es gibt ein Universum an »Wissen«, das ihm nicht (noch nicht) zugänglich ist. Dieses Wissen vom Nicht-Wissen oder Noch-nicht-Wissen ist das umfassendste Wissen, das es gibt.
Ich habe im vergangenen Jahr etwas gelernt (zu lernen begonnen), ich habe es aus der Bibel gelernt, aus dem Buch Kohelet; das (relative) Glück des Augenblicks erkennen. Das habe ich nie gekonnt. Immer war ich die Durchreisende, die nie irgendwo ankam. Schon als Kind. Höchste Freude: Zugfahren, zur schwäbischen Großmutter fahren. Kaum saß ich zehn Minuten im Zug, überfiel mich Traurigkeit: die Fahrt dauerte ja nicht ewig; sie war schon von Anfang an dabei, zu Ende zu gehen; und aus lauter Trauer darüber half ich mit, daß die Fahrt noch schneller zu Ende ging: ich stellte mir vor, sie sei schon vorüber und ich sei auf der Rückfahrt. Es gelang mir einfach nicht, die Stunde des Fahrens zu genießen, ich war der Reise samt Rückkehr längst voraus. Und das Seltsame: dieses Nicht-im-Augenblick-Sein befriedigte mich in aufregender Weise. So war es auch später: ich war endlich irgendwo, wo zu sein ich mir lang gewünscht hatte, etwa zum erstenmal in Paris oder Athen oder New York; da saß ich nun, und war doch nicht da, war schon wieder fort. Das Gegenwärtige galt nie. Wurzeln fassen, wenn auch nur für eine Weile, das gelang mir nicht. Immer war ich schon weiter, immer war alles überholt. Manchmal dachte ich vor einer Reise oder einem ersehnten Besuch: wozu das wirklich tun; es ist ja doch schon vorüber. Manchmal denke ich erstaunt, auch mein Leben sei schon gelebt.
Damals, als ich L.D. zum erstenmal begegnete, noch nicht ahnend, was für eine Art von Liebe das sei, schrieb ich (und zwar gleich nach jener Stunde) in mein Tagebuch: »Mir ist, als hätte ich bisher nicht gelebt, aber auch, als hätte ich jetzt mein Leben bereits zu Ende gelebt und als könne nichts mehr kommen als das, was ist.« Ich glaube, die Erfahrung der Uneigentlichkeit der Zeit gehört zu meinen Grund-Erfahrungen.
Einmal, als L.D. bei mir war, fing ich an zu weinen, mitten in dieser Stunde, denn sie war für mich schon vorüber. L.D. sagte sanft: »Aber nimm doch diese Stunde jetzt; sie ist da, wir haben sie; wenn du an Abschied denkst, hast du auch diese Stunde nicht.« Aber ich konnte nicht anders, ich mußte sie schneller überholen als sie dauern wollte.
Für mich hat alles, aber auch alles, den Charakter des Vorläufigen. Es lohnt nicht, sich darin einzurichten.
Einmal sah ich ein Kind, das hatte eine jener russischen Puppen geschenkt bekommen, in denen eine kleinere steckt, in dieser wieder eine, und so fort. Das Kind schaute die einzelnen Puppen nicht an, es hatte nichts anderes im Sinn, als Puppe um Puppe zu entfernen. Schließlich war es bei der letzten angekommen, die war nicht mehr zu öffnen, enthielt nichts mehr. Das Kind wollte es nicht glauben. Schließlich nahm es einen Stein und versuchte die Puppe zu zerschlagen. Da lagen die vielen hübschen Puppen herum, mit denen es so schön hätte spielen können; aber sie galten nichts; was galt, das war nur das Tun, das Suchen nach der nächstinneren Puppe.
Von Kohelet lerne ich jetzt, jede Puppe für sich zu sehen und zu lieben. Ich zwinge mich, »hierundjetzt« zu leben. Dies ist die Stunde, dies