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Ein Cottage zum Verlieben!
Eve hat schon immer auf Ennisfarne gelebt, einer idyllischen Insel direkt vor der Küste von Northumberland, die nur bei Ebbe zugänglich ist. Dort betreibt sie eine Bar mit Blick auf Darling Cove, einen himmlischen hufeisenförmigen Strand, der nach ihren seefahrenden Vorfahren benannt ist. Als plötzlich der gutaussehende Logan auf der Insel ankommt und eines ihrer Cottages mietet, ist Eve zunächst skeptisch. Denn die beiden haben nicht den besten Start und streiten sich wegen Eves stürmischem Labrador. Doch je mehr Zeit vergeht, desto näher kommt sie ihrem mysteriösen Untermieter. Trotzdem scheint Logan immer ein Geheimnis zu umgeben …
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Seitenzahl: 500
Veröffentlichungsjahr: 2024
HOLLY HEPBURN liebt es, Menschen zum Lächeln zu bringen – und sie liebt ihre Katze Portia. Sie hat in der Marktforschung und als Model gearbeitet, ihr großer Traum war aber schon immer das Schreiben. Nach Große Liebe im kleinen Trödelladen ist dies ihr neuer Roman in deutscher Sprache. Holly lebt in der Nähe von London.
Holly Hepburn in der Presse:
»Macht so richtig gute Laune!« Bella
»Herzerwärmend!« Freizeit Illustrierte
»Lesestoff mit viel Liebe.« Berner Zeitung
Außerdem von Holly Hepburn lieferbar:
Um fünf unter den Sternen. Roman
Herzklopfen in der kleinen Keksbäckerei. Roman
Heute Abend in der Eisdiele am Meer. Roman
Süße Träume im Cottage am Strand. Roman
Große Liebe im kleinen Trödelladen. Roman
www.penguin-verlag.de
Holly Hepburn
Bei Sonnenaufgang in Darling Cove
Roman
Aus dem Englischen von Melike Karamustafa
Die Originalausgabe erschien 2023
unter dem Titel Escape to Darling Cove
bei Simon and Schuster, London.
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Copyright © 2023 der Originalausgabe by Holly Hepburn
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Carolin Müller
Umschlaggestaltung: bürosüd
Covermotiv: www.buerosued.de
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-31994-6V001
www.penguin-verlag.de
Für alle, deren Hund sich schon mal in etwas Ekligem gewälzt hat
Teil eins
Neue Horizonte
Kapitel eins
Logan
Die Straße sah aus, als würde sie ans Ende der Welt führen.
Logan Silk lehnte sich gegen die Motorhaube des gebrauchten Toyota Hilux, den er eigens für diese Reise gekauft hatte, und betrachtete die Aussicht, die sich ihm bot. Gezeitengekräuselter Sand erstreckte sich bis zum stahlgrauen Horizont, geteilt durch den schmalen Fahrdamm – ein schwarzes Asphaltband, übersät mit grünem Seetang und der ein oder anderen Pfütze silbrigen Meerwassers, die die Flut zurückgelassen hatte. Zu beiden Seiten befanden sich algenbewachsene Felsen und Geröll, die entweder achtlos von der Nordsee zurückgelassen oder von den Ingenieuren, die die Straße vor Jahrzehnten gebaut hatten, mit größerer Präzision platziert worden waren. Der Damm wand sich von der Stelle, an der Logan stand, in einer Kurve über die weite, öde Fläche aus braunem Sand bis zu den fernen, verwaschenen Umrissen von Ennisfarne, anderthalb Meilen von der Küste Northumberlands entfernt. Salzhaltige Windböen peitschten Logan dunkle Haarsträhnen ins Gesicht, während sein Atem in der eisigen Februarluft kleine Wölkchen vor seinem Mund bildete. Kein Auto kam ihm entgegen, und hinter ihm war ebenfalls keines in Sicht. Abgesehen von den Vögeln, die über ihm kreisten, war er allein.
Das Licht war trotz des winterlichen Himmels nicht schlecht, stellte Logan mit professioneller Abgeklärtheit fest. Ein paar entschlossene Sonnenstrahlen waren durchgebrochen, tauchten die Wolken in Gold und beleuchteten ein Stück weit entferntes Meer, sodass Logan kurz versucht war, eine seiner Kameras auszupacken. Es war das Versprechen dieses außergewöhnlichen Lichts in Northumberland gewesen, das schon den Künstler Turner Jahrhunderte zuvor auf die Nachbarinsel Lindisfarne gelockt hatte und das Logan jetzt nach Ennisfarne führte. Das und die Einsamkeit. Die Aussicht darauf, einen Großteil der Zeit vom Festland abgeschnitten zu sein, zumindest was die Straße anging, war verlockend. Und da auf der Insel gerade einmal zweihundertfünfzig Menschen lebten, hoffte er sehr, in den kommenden Monaten für sich bleiben zu können.
Aber für den Moment würden seine Kameras im Auto bleiben. Stattdessen zog er seine Handschuhe aus und hielt die Szene mit seinem Handy fest, um anschließend einen kritischen Blick auf die Bilder zu werfen. Das Licht war besser, als er erwartet hatte – wie immer hatte die Kamera mehr eingefangen, als das Auge sehen konnte, und die Wolken auf dem Bildschirm hatten eine majestätische, fast ätherische Qualität, als ob sich der Himmel in all seiner Pracht aufgetan hätte.
Logan blickte wieder auf die Straße und hatte plötzlich das irrationale Gefühl, dass ihm eine Art Prüfung bevorstand; dass er beim Überqueren gemustert und aus irgendeinem Grund für unzulänglich befunden würde. Wellen würden von beiden Seiten heranrollen, über ihm zusammenschlagen und ihn und sein robustes Auto wegspülen.
Logan musste unwillkürlich grinsen. Er war sich ziemlich sicher, dass er die Szene aus irgendeinem Film geklaut hatte. Abgesehen davon war es tatsächlich gar nicht so unwahrscheinlich, hier vom Meer weggespült zu werden – viele Besucher von Ennisfarne und Lindisfarne hatten geglaubt, sie könnten der auflaufenden Flut zuvorkommen, und waren eines Besseren belehrt worden. Es gab sogar eine hölzerne Schutzhütte auf halber Strecke jeder Dammstraße, die hoch über dem Meeresspiegel thronte, sodass gestrandete Autofahrer ihre Fahrzeuge verlassen und außerhalb der Reichweite des erbarmungslosen Ozeans auf Rettung warten konnten.
Der Gedanke brachte Leben in Logan. Er stieß sich von der Motorhaube des Hilux ab, kletterte zurück auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. Das Zeitfenster für eine sichere Überfahrt wurde mit jeder Minute, die er damit verbrachte, in den Himmel zu starren, kleiner, und er wollte nicht riskieren, zum Gespött der Seahouses-Rettungsmannschaft zu werden, schon gar nicht, wenn die Möglichkeit bestand, dass er erkannt werden würde. Er konnte sich schon jetzt die Schlagzeilen der Boulevardpresse vorstellen:
Gestrandet! Starfotograf Logan Silk nach Trennung aus der Nordsee gefischt
Es würde keine Rolle spielen, dass seine Entscheidung, auf die Farne-Inseln zu kommen, nichts mit der Trennung von Suki zu tun hatte. Diese lag inzwischen einen Monat zurück und war nach Promi-Maßstäben im Großen und Ganzen einvernehmlich verlaufen. Aber die Boulevardjournalisten interessierten sich nicht für die Tatsachen – undramatische Trennungen brachten keine Schlagzeilen –, und Logans sorgfältig ausgearbeitete Pläne, auf Ennisfarne unter dem Radar zu bleiben, wären dahin. Außerdem war der Hilux vollgepackt mit einer ganzen Reihe seiner Lieblingskameras – alte Freunde, die ihn schon fast seine gesamte Karriere begleiteten. Die würde er auf keinen Fall dem Meer überlassen.
Logan gab Gas und fuhr den Damm entlang. Als er sich der Insel näherte, bot sich ihm ein großartiger Panoramablick darauf. Die nördlichste Spitze ragte hoch über dem Meeresspiegel auf, furchterregende Klippen und Felsen, die eine unglaublich vielfältige Vogelwelt beherbergten. Außerdem befand sich hier eine der meistfotografierten Ruinen Englands – die dramatischen Überreste der Ennisfarne Nunnery, eines Nonnenklosters, Schwester des ebenfalls entweihten Klosters auf Lindisfarne und Schauplatz von mehr Gothic-Horrorfilmen und Musikvideos aus den Achtzigern, als Logan hätte aufzählen können. Er hatte dort einmal ein Shooting für Vogue gemacht, und die erhabene Schönheit der Ruinen hatte die Models fast in den Schatten gestellt. Doch in diesem Moment war es das andere Ende der Insel, das seinen Blick auf sich zog. Dort, an der südlichen Spitze, erhob sich in der Entfernung ein Kalksteinbogen, der ein Tor zum dahinter liegenden Meer bildete. Das würde auf absehbare Zeit jeden Morgen seine Aussicht sein, wenn auch aus viel geringerer Distanz, und er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich jemals daran sattsehen würde.
Der Damm beschrieb eine Linkskurve und führte Logan vom flachen Watt auf festes Land, obwohl er wusste, dass auch dieser Teil der Straße bald von der Flut bedeckt sein würde. Als er in den Rückspiegel schaute, war er nicht überrascht, hinter sich bereits das Licht des Heckscheinwerfers auf dem Wasser schimmern zu sehen. Nun gab es kein Zurück mehr. Zumindest für die nächsten sieben oder acht Stunden.
Er warf einen Blick auf das Navi, das ihm verriet, dass er sein Ziel Darling Cove in siebzehn Minuten erreichen würde. Auf dem Weg dorthin würde er die kleine Ortschaft Ennisfarne mit ihrem winzigen Hafen und den engen Gassen durchqueren, wo man sich wie in eine andere Zeit zurückversetzt fühlte. Im Dorfladen konnte er sich mit dem Nötigsten versorgen, bevor er zu seinem Cottage weiterfuhr, das er bis zum Sommer sein Zuhause nennen durfte.
The Nook, der winzige Dorfladen, lag zwischen dem Fisherman’s Arms Pub und einem hübschen Café in der Long Street, mit Blick auf den kleinen Hafen mit seinen schwankenden Fischerbooten und wahllos aufgehäuften Hummerreusen. Logan parkte auf einem der Parkplätze vor dem Laden und setzte sich eine Baseballkappe auf, bevor er ihn betrat. Die Besitzerin des Ferienhauses hatte ihm in einer ihrer E-Mails erklärt, dass mehrere Supermärkte vom Festland aus nach Ennisfarne lieferten, sodass er auch online einkaufen konnte, aber die Bestellungen mussten zeitlich genau abgestimmt werden, damit die Fahrer ausreichend Zeit hatten, die Insel zu erreichen und sie rechtzeitig wieder zu verlassen. Außerdem wollte er erst einmal richtig ankommen, bevor er über solche praktischen Dinge nachdachte, vor allem, da The Nook sicher seinen unmittelbaren Bedarf decken würde.
Logans Erwartungen waren nicht hoch, als er den Laden betrat. Sein Beruf hatte ihn in der Vergangenheit schon an einige sehr abgelegene Orte geführt, wo das nächste Geschäft häufig aus einem hüttenartigen Holzcontainer ohne Personal bestanden hatte, zu dem man mit einer App Zugang erhielt, oder einer abgelegenen Raststätte irgendwo im Niemandsland. Ihm war also durchaus bewusst, was für eine wichtige Rolle kleine lokale Geschäfte in ihren Gemeinden einnahmen. Dennoch war er von der Vielfalt der Waren in den Regalen des Nook überrascht; es war nicht gerade der Borough Market in London, aber das Sortiment ging weit über die üblichen Grundnahrungsmittel hinaus. Neben dem Instantkaffee fand er gemahlene Bohnen von Taylor’s of Harrogate, eine Auswahl an hochwertigen Früchtetees und Kakao von Green and Black’s. Zwischen den Gläsern mit eingelegten Zwiebeln und Gewürzgurken entdeckte er eingemachte Zitronen und mit Piment gefüllte Oliven. Und am Ende des Ganges angekommen, sah er sich einer völlig unerwarteten Feinkosttheke gegenüber, die angefangen bei spanischer Salami bis hin zu sonnengetrockneten Tomaten keine Wünsche offenließ.
Seine Überraschung musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn die stämmige Frau mittleren Alters hinter dem Tresen musterte ihn amüsiert, bevor sie sagte: »Willkommen im Nook. Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
Ihre Worte waren vom selben Northumberland-Akzent geprägt, den er bei seinem letzten Besuch auf Ennisfarne kennengelernt hatte. Immerhin konnte er sie verstehen; beim letzten Mal hatte er mit der Mundart einiger Inselbewohner so seine Schwierigkeiten gehabt, obwohl er vermutete, dass sie ihn und den Rest des Shootingteams zu ihrer eigenen Unterhaltung auf den Arm genommen hatten.
»Nicht wirklich«, antwortete er. »Tee, Kaffee, Brot und Milch, solche Dinge.«
Als ihr klar wurde, dass er mehr als nur ein Tagesausflügler war, wurde ihre Miene neugierig. »Sie werden hier auf jeden Fall alles finden, was Sie brauchen. Wie lange bleiben Sie?«
Es war eine durchaus berechtigte Frage, trotzdem musste Logan dem Drang widerstehen zu erwidern, dass es sie nichts anging. »Das steht noch nicht fest«, sagte er stattdessen so neutral wie möglich. Und fügte dann, weil es unvermeidlich war, dass er in den kommenden Monaten hier einkaufen würde, mit einem etwas wärmeren Lächeln hinzu: »Aber ich denke, eine ganze Weile.«
Sie nickte. »Dann sollte ich mich besser vorstellen. Ich bin Freda, die Besitzerin des Nook. Wenn Sie in den Regalen nicht finden, was Sie brauchen, sprechen Sie uns an – wir sind jederzeit gerne behilflich.«
»Danke, das ist gut zu wissen«, sagte er und studierte das Angebot an leckeren Häppchen hinter der Glastheke. »Aber wie es aussieht, haben Sie ja so gut wie alles da.«
Freda hob die Augenbrauen. »Sie würden sich wundern, was die Leute erwarten, was wir alles auf Lager haben.« Sie musterte ihn mit einem offenen, abschätzenden Blick. »Vielleicht aber auch nicht. Sie sind aus London, oder?«
Auch an dieser Stelle wäre es sinnfrei zu widersprechen, das war ihm nur allzu bewusst, obwohl er sich nicht ganz sicher war, was genau ihn verraten hatte; sein Akzent war nicht typisch für London, eher ein Mischmasch aus all den Orten, an denen er im Laufe der Jahre gelebt hatte, aber er nahm an, dass er überwiegend südenglisch geprägt war. Und sie hatte in jedem Fall ins Schwarze getroffen – er besaß eine Wohnung in Pimlico, die er als sein Zuhause betrachtete, auch wenn er dort selten mehr als ein paar Tage am Stück verbrachte. »Ja«, antwortete er also schlicht.
»Sie werden ziemlich schnell feststellen, dass die Uhren hier ein wenig langsamer gehen«, bemerkte sie. »Ihnen vielleicht sogar ein bisschen zu langsam, zumindest, bis Sie sich daran gewöhnt haben. Aber jeder kümmert sich um den anderen, und in der Kneipe nebenan findet man meist ein freundliches Gesicht, wenn man etwas Gesellschaft braucht.«
Gesellschaft war das Letzte, was Logan wollte – er war nicht nach Ennisfarne gekommen, um Freunde zu finden –, aber es erschien ihm unfreundlich, das so deutlich zu sagen. Also bemühte er sich erneut um eine höflich-unverbindliche Antwort. »Großartig.« Dann deutete er auf die Auslage. »Ich nehme etwas von Ihrem geräucherten Schinken.«
Freda zog sich Einmalhandschuhe an und griff nach einem Tranchiermesser. »Dazu passt gut dieser Doddington-Käse vom Festland«, sagte sie, während sie begann, dünne Scheiben vom Schinken zu schneiden. »Genau das Richtige für Ihren ersten Abend auf der Insel.«
Er musterte den glatten gelben Käse in seiner tiefroten Rinde. Er sah köstlich aus. »Dann nehme ich davon auch ein Stück. Danke.«
Freda nickte zufrieden, als hätte er einen kleinen Test bestanden. »Am Ende des Ganges finden Sie frische Sauerteigbrote. Bauernbrot ist auch noch da, falls Sie das lieber mögen. Und wir haben einen sehr schönen Rioja, der ganz wunderbar dazu passt.«
Obwohl er wusste, dass er all ihren Empfehlungen folgen würde, konnte sich Logan angesichts ihrer Verkaufsstrategie ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Das Cottage, das er gebucht hatte, verfügte unter anderem über einen Holzofen, und er sah sich schon im Schein des Feuers essen, während er dem Rauschen des Meeres lauschte, das ans Ufer krachte. Allein bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen. »Gekauft.«
Anschließend durchstöberte er die Regale und kaufte noch ein paar Dinge für den nächsten Tag ein. Als die Glocke über der Ladentür bimmelte, blickte Logan automatisch auf. Das Erste, was er sah, war ein Schopf wirrer grauer Haare und ein beeindruckender Bart, gerötete Wangen und eine abgewetzte gelbe Regenjacke. Doch seine Nase reagierte am schnellsten – der Fischgeruch war so überwältigend, dass er sich unwillkürlich eine Hand vors Gesicht hielt, bevor er sich daran hindern konnte. Hätte das Aussehen des Mannes es nicht bereits vermuten lassen, wäre spätestens der Gestank ein eindeutiger Hinweis gewesen – bei dem Mann musste es sich um einen der Fischer der Insel handeln.
Logan blieb in der Nähe der Feinkosttheke und wartete, bis der andere Kunde seinen Einkauf beendet und den Laden wieder verlassen hatte, bevor er sich selbst zur Kasse am Eingang begab. Doch der fischige Geruch, gepaart mit dem nach Schweiß, hing nach wie vor in der Luft, und seine Abscheu musste sich in seinem Gesicht widerspiegeln, denn Freda warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.
»Das war George. Der Mief ist anfangs ein bisschen penetrant, aber man gewöhnt sich daran. Sehen Sie einfach zu, dass Sie im Pub den nötigen Abstand zu ihm halten.«
Logan blinzelte. »Er riecht auch so, wenn er nicht gerade von der Arbeit kommt?«
»Er riecht immer so.« Freda schürzte die Lippen, während sie Logans Einkäufe in eine stabile braune Papiertüte packte. »Aber er hat keine Ahnung. Er hat vor ein paar Jahren bei einem Unfall seinen Geruchssinn verloren. Ist vom Boot gefallen und hat einen Schlag auf den Kopf davongetragen. Schmecken kann er auch nicht mehr viel, aber das ist für seine Mitmenschen das geringere Problem.«
Das ergab Sinn, dachte Logan in dem angestrengten Versuch, nicht schon wieder die Nase zu rümpfen, niemand würde freiwillig so schlecht riechen. »Hat ihn denn nie jemand darauf aufmerksam gemacht?«
Als er diesmal Fredas Blick begegnete, lag ein Anflug von Kälte darin, der vorher noch nicht da gewesen war. »Doch, natürlich. Aber er vergisst es immer wieder. Was verständlich ist – niemand denkt an die Dinge, die er nicht riechen kann.«
Was ebenfalls Sinn ergab; für die meisten Menschen war das Leben schon voll genug von Sinneseindrücken, ohne dass man auch noch Gerüche in Betracht ziehen musste, derer man sich gar nicht bewusst war. »Damit haben Sie wohl recht«, räumte er ein. »Das muss ziemlich schwer für ihn sein.«
Die Ladenbesitzerin zuckte mit den Schultern. »Schon. Andererseits würde es ihm sicher nicht schaden, öfter mal zu duschen.« Sie legte den eingepackten Schinken ganz oben in die Tüte und nickte. »Das macht dann dreiunddreißig Pfund und achtundneunzig Pence, bitte.«
Logan hielt seine Karte an das Lesegerät und nahm anschließend die Tüte entgegen. »Vielen Dank.«
»Gerne«, antwortete Freda. »Wir sehen uns sicher bald wieder, nachdem Sie sich eingerichtet haben und alles.«
Logans Gedanken schweiften zurück zu der gut gefüllten Feinkosttheke; anscheinend war Ennisfarne doch nicht das Ende der Welt. »Auf jeden Fall. Nochmals danke.«
Am Rande des Ortes kam Logan an einer Reihe großer Boote vorbei, die mit dem Kiel nach oben gedreht lagen und deren Bug in Richtung Brandung ragte, und ihm fiel wieder ein, dass sie nach ihrem ersten Leben auf See in ihrem zweiten als Lagerschuppen dienten. Sie erinnerten ihn an riesige Drachen, die ihren Hort bewachten, jederzeit bereit, sich in die Lüfte zu schwingen. Er sah sie vor sich, wie sie mit ausgebreiteten Flügeln vor dem düsteren, bleiernen Himmel über der Landzunge schwebten, auf der die Ruine des Nonnenklosters stand, während sie ihren Schlafplatz umkreisten. Der Gedanke entlockte ihm ein Lächeln; Ennisfarne war berühmt für seine Vogel- und Robbenkolonien, aber Drachen hatte bisher noch niemand gesichtet.
Die Straße gabelte sich, und Logan nahm sich einen Moment Zeit, um das Schild zu studieren. Die linke Abzweigung würde ihn zum östlichen Rand der Insel führen, zu dem Signalturm, der dort bereits seit Menschengedenken stand und ursprünglich vor Eindringlingen vom Meer her gewarnt hatte. Die rechte Abzweigung führte nach Südwesten, zu dem Cottage in den Dünen, das den Horseshoe Beach überblickte, den er vom Damm aus gesehen hatte, und Darling Cove.
Erst in diesem Moment spürte er, wie müde er war. Es war ein langer Tag gewesen, und er freute sich, endlich anzukommen. Er bog rechts ab und steuerte auf die Bucht zu. Sobald er den höchsten Punkt der Straße erreicht hatte, kam der wunderschöne Kalksteinbogen in Sicht, und er drosselte das Tempo, um das spektakuläre Naturgebilde und den hellen breiten Sandstreifen zu bewundern, der sich von dort aus halbmondförmig in die Landschaft schmiegte. Seine Hände zuckten am Lenkrad, als sich sein Fotografeninstinkt meldete, aber es würde noch genug Zeit sein, um Fotos von der Bucht zu machen.
Ein Stück weiter wies ein Schild den Weg zum Cottage. Als er einen Blick nach rechts warf, konnte er ein graues Schieferdach über der einspurigen Straße aufragen sehen, hinter dem das Meer glitzerte. Es waren keine anderen Häuser in Sicht, was mit ein Grund dafür war, dass er sich ausgerechnet dieses Ferienhaus ausgesucht hatte, aber er wusste, dass sich am Ende der Straße eine Art Café-Bar befand. Was ihn nicht weiter störte, er bezweifelte, dass dort um diese Jahreszeit viel los sein würde.
Logan lenkte den Hilux auf einen geräumigen, mit Kies bestreuten Parkplatz und betrachtete das weiß getünchte Häuschen. Unter den Fenstern wuchsen Schneeglöckchen und lilafarbene Krokusse, die daran erinnerten, dass trotz des düsteren Himmels der Frühling im Anmarsch war. Die Tür hatte einen kornblumenblauen Anstrich, der frisch aussah; an der Außenwand daneben war ein Schlüsselkasten mit Schloss befestigt. Logan tippte den Code ein, holte den Schlüssel heraus und betrat das Haus.
Die Einrichtung war so angenehm minimalistisch, wie es die Bilder auf der Website versprochen hatten – weiße Steinwände, helle Holzböden und weit und breit kein Seefahrer-Nippes in Sicht, der nach Ansicht mancher Vermieter das Ambiente ihrer Häuser aufwertete. Aber es war die Aussicht, die Logan am besten gefiel. Die großen Fenster rahmten wellenförmig angeordnete Dünen aus butterweichem Sand, auf denen sich saftig grüner Strandhafer im Wind wiegte. Dahinter, zur Linken, wölbte sich der Kalksteinbogen in den Himmel.
Logan stand einen Moment lang einfach nur da, um die Szenerie in sich aufzunehmen, und spürte, wie ein Teil der Müdigkeit von ihm abfiel. An diesen Anblick konnte er sich gewöhnen. Schließlich riss er den Blick von der Landschaft los und nahm den Rest des Cottages in Augenschein. Die Küche war klein, aber mit dem Nötigsten ausgestattet – seine Gastgeberin hatte ein Willkommenspaket neben dem Wasserkocher hinterlassen, das einige der Dinge enthielt, die er selbst bereits im Nook gekauft hatte –, und das Schlafzimmer wirkte mit einer Reihe kuscheliger Decken und Kissen in Blau- und Grautönen, die auf dem makellos weißen Bettüberwurf drapiert waren, sehr gemütlich. Doch vor allem das Wohnzimmer tat es ihm an; er konnte sich schon jetzt vorstellen, wie er auf dem plüschigen Zweisitzer-Sofa, das mit weiteren Kissen und Decken bestückt war, vor dem Holzofen saß, vollends damit zufrieden, den Flammen dabei zuzusehen, wie sie an dem rußigen Glas leckten. Und von dem Sessel am Fenster bot sich ein verlockender Ausblick auf die Dünen. Alles in allem, entschied er, gab es schlimmere Orte zum Wohnen. Und mit etwas Glück würde der stetige Rhythmus der Wellen etwas von der Rastlosigkeit besänftigen, die ihn seit seinem letzten Shooting auf der New York Fashion Week nicht mehr loszulassen schien.
Es dauerte nicht lange, bis er alles aus dem Hilux geladen hatte. Logan war es gewohnt, mit leichtem Gepäck zu reisen, und die größten Gegenstände, die er mitgebracht hatte, betrafen alle seine Arbeit – Kunststoffboxen für seine Kameras und Beleuchtungsmaterial, obwohl er nicht vorhatte, Fotos zu machen, für die er etwas anderes als natürliches Licht brauchte. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, stets auf alles vorbereitet zu sein, also verstaute er so viel von seiner Ausrüstung wie möglich unter dem Bett und stapelte den Rest in einer Ecke des Schlafzimmers.
Als er sich mit einer Tasse schwarzen Kaffees in der Hand im Sessel am Fenster niederließ, versank die Sonne bereits am Horizont. Die düsteren Wolken von vorhin hatten sich aufgelöst und gaben den Blick auf einen blassblauen Himmel frei, der von zarten zitronengelben Streifen durchzogen war. Mit leicht zusammengekniffenen Augen blinzelte er ins Licht des späten Nachmittags; selbst im Winter brachte die Stunde vor der Dämmerung oft den außergewöhnlichsten goldenen Glanz hervor. Und wenn ihn nicht alles täuschte, dann würde die Sonne zu einem gewissen Punkt von dem Kalksteinbogen eingerahmt, bevor sie endgültig hinter dem fernen Festland unterging. Mit ein bisschen Glück würde es ein anständiger Sonnenuntergang werden. Einer, der ein oder zwei Bilder wert war.
Nachdem er den Kaffee in zwei Schlucken ausgetrunken hatte, stemmte sich Logan aus dem Sessel und bahnte sich keine fünf Minuten später mit seiner bewährten Nikon um den Hals einen Weg zwischen den Dünen durch die Lücken im stacheligen Strandhafer. Immer wieder glitt der feine Sand unter seinen Wanderschuhen weg und zwang ihn, sich darauf zu konzentrieren, das Gleichgewicht zu halten, anstatt auf die Aussicht, die vor ihm lag, und so blickte er auf seine Füße hinunter, als er endlich das Dünenlabyrinth hinter sich gelassen hatte. Ein salziger Luftzug und das plötzlich viel lautere Dröhnen der Brandung ließen ihn aufblicken und Darling Cove zum ersten Mal in ihrer ganzen Schönheit wahrnehmen.
Er hatte den Strand für sich allein. Zu seiner Rechten wölbte sich der Sand und lief am Fuße der Landzunge aus, die ein Ende des Hufeisens bildete. Ein Wirrwarr aus zerklüfteten Felsen ragte über die auflaufende Flut hinaus, sodass mit jeder ankommenden Welle eine Gischtfontäne in die Luft stob.
Logan konnte mehrere dunkle Vertiefungen in den Klippen ausmachen und vermutete, dass es sich um Höhlen handelte, obwohl es unmöglich festzustellen war, wie tief sie in den Fels hineinreichten. Er drehte sich nach links und blickte über die weite gelbe Fläche, die sich in einem tiefen Bogen zum anderen Ende des Hufeisens zog. Die Klippen auf dieser Seite erstreckten sich ebenfalls ins Meer, endeten aber in dem spektakulären Bogen, hinter dem sich der Himmel in zartem Bernstein, Blau und Rosa präsentierte. Am Fuße der Klippen, in sicherer Entfernung von der Stelle, an der die Brandung auf den Sand lief, entdeckte er ein großes Gebäude, von dem er annahm, dass es sich dabei um das Darling’s, die Bar seiner Vermieterin, handelte.
Logan war sich bewusst, wie schnell sich die Szenerie verändern würde, und machte sich auf den Weg zum westlichen Ende der Bucht. Hier war es wesentlich leichter, auf dem Sand zu laufen; er war zwar genauso fein, aber feuchter, sodass seine Schuhe nicht so tief einsanken, und mit vom Wasser rund geschliffenen Kieselsteinen und Muscheln übersät, dazwischen regenbogenfarbene Sprenkel milchigen Seeglases, das die letzten Sonnenstrahlen reflektierte. Die Luft war frisch und sauber, salzhaltig und aufgrund der hereinbrechenden Dunkelheit deutlich abgekühlt. Logan schlug den Kragen seines Mantels hoch und wünschte sich, er hätte den schmalen schwarzen Kaschmirüberwurf mitgenommen, der über dem Bett in der Hütte drapiert lag. Er hätte wissen müssen, dass der Wind am Strand kalt sein würde, aber nun blieb ihm keine Zeit mehr, noch einmal zurückzugehen. Stattdessen beschleunigte er seine Schritte und versuchte, sich auf diese Weise warm zu halten.
Er erreichte das andere Ende des Strandes und warf einen kurzen Blick auf die Bar. Es handelte sich um ein zweistöckiges Gebäude mit hellblauem und gelbem Anstrich und einer großen Terrasse im ersten Stock, von der aus man eine beneidenswerte Aussicht haben musste. Er konnte sich gut vorstellen, dass die Plätze in den wärmeren Monaten sehr beliebt waren. Im Erdgeschoss führten scheinbar raumhohe Glastüren auf eine niedrige Holzplattform, die über den Sand hinausragte. An den Seiten verlief eine Reihe flacher Stufen zum Strand hinunter. Auch hier würden im Sommer mit Sicherheit viele Gäste sitzen. Doch schon bald wanderte Logans Aufmerksamkeit zurück zu dem beeindruckenden Himmel, der sich in den Fenstern spiegelte. Also drehte er sich um, nahm seine Kamera ab und ging zielstrebig auf das Ufer zu.
Die Sonne schien wild entschlossen, ihn zu beeindrucken, als sie sich dem Horizont näherte. Die Farben, die noch vor wenigen Augenblicken zart gewesen waren, hatten sich vertieft. Rosarot erblühte zu Karminrot, der Bernstein-Ton war von safran- und orangefarbenen Schlieren durchzogen, und das blasse Blau hatte sich in einen Lavendelfarbton verwandelt, der sich hier und da mit Indigo vermischte. Das Herz des Kalksteinbogens bildete ein leuchtender Goldton.
Logan nahm den Objektivdeckel ab, beschirmte seine Augen mit einer Hand und machte einige Probeaufnahmen. Stirnrunzelnd starrte er auf das kleine Display, trat dann ein paar Schritte nach links und knipste eine Reihe weiterer Bilder. Als er mit dem Winkel zufrieden war, begann er zu fotografieren und war bald ganz in seine Aufgabe vertieft. Die Farben veränderten sich bereits wieder, und die Sonne ging schnell unter, ihm blieben nur noch wenige Minuten, um die Szene einzufangen.
Ein entferntes Rufen durchbrach für eine Sekunde seine Konzentration, doch Logan ignorierte die Ablenkung und fokussierte sich wieder auf den Blick durch das Kameraobjektiv. Ein Teil seines Gehirns registrierte die auflaufende Flut, als die nächste Welle gefährlich nahe an seine Schuhe heranschwappte; ohne die Kamera zu senken, bewegte er sich langsam rückwärts.
Ein weiterer Ruf ertönte. Logan konnte die Worte nicht ausmachen, aber es klang nach einem Namen. Jemand, der entnervt nach seinem Kind rief, mutmaßte er vage, ohne sich umzusehen. Das ging ihn nichts an.
Doch dann wurde er auf etwas anderes aufmerksam, eine schwache, aber rhythmische Vibration, die durch den Sand übertragen wurde. Ein dritter Schrei hallte über den Strand, jetzt näher, sodass er die Worte verstehen konnte.
»Huxley! Huxley, nein!«
Mit einem leisen Fluch auf den Lippen, weil seine Konzentration nun endgültig dahin war, drehte sich Logan um – als im selben Moment etwas Kleines, Schnelles mit der Rückseite seiner Beine kollidierte. Die Kamera flog ihm aus den Händen, und das Nächste, was Logan wahrnahm, war, dass er und seine Nikon auf den nassen Sand zustürzten.
Kapitel zwei
Eve
Eve Darling sah entsetzt zu, wie der Mann mit einem schmatzenden Aufprall, von dem sie sicher war, dass sie ihn durch die Sohlen ihrer Gummistiefel widerhallen spürte, auf den Strand schlug.
»Verdammter Mist!«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Huxley, komm sofort her!«
Der schokoladenfarbene Labrador ignorierte sie in seiner typischen überschwänglichen Art. Stattdessen rannte er im Kreis und trabte dann zu dem Mann zurück, der mittlerweile aufgestanden war und nach etwas zu suchen schien.
Eve setzte sich im Laufschritt in Bewegung. Als sie den Mann erreichte, hüpfte Huxley bereits ungestüm um ihn herum, sein Maul zu einem freundlichen Hecheln verzogen.
»Es tut mir so leid«, rief sie und verlangsamte ihren Schritt, während ihre Wangen vor Verlegenheit glühten. »Alles okay?«
Der Mann blickte nicht auf. Seine Aufmerksamkeit war auf etwas in seinen Händen gerichtet, das sie erst jetzt als Kamera identifizierte. Eine teuer aussehende Kamera mit einem großen Objektiv, das nicht weniger wertvoll wirkte. Eve spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte, als ihr klar wurde, dass er sie fallen gelassen haben musste, als ihr Hund ihn umgerannt hatte.
»Ist sie kaputt?«
Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Die Linse ist gesprungen. Den Rest kann ich noch nicht beurteilen«, sagte er knapp. »Sie sollten das Tier an die Leine nehmen.«
Er klang wütend, und Eve konnte es ihm kaum verdenken. Seine Jeans war durchnässt und seine Wachsjacke tropfte, es war ihr furchtbar unangenehm.
»Normalerweise benimmt er sich besser«, murmelte sie entschuldigend und biss sich auf die Lippe. »Also ein bisschen besser zumindest. Sind Sie verletzt? Das war ein ganz schöner Sturz, den Sie da hingelegt haben.«
»Mir geht’s gut«, schnauzte er, bevor er wieder seine Kamera untersuchte. »Auf jeden Fall sehr viel besser als meiner Nikon.«
In diesem Augenblick wünschte sich Eve nichts sehnlicher, als dass sich der Sand unter ihren Füßen auftat.
»Tut mir wirklich leid«, sagte sie erneut. »Ich komme natürlich für den Schaden auf.«
Der Mann schnaubte missbilligend und wandte sich Huxley zu, der fröhlich an einem Büschel schimmernden Blasentangs schnupperte. »Sind Hunde am Strand überhaupt erlaubt?«
Eve betrachtete ihn einen Moment lang, das dunkle Haar, das ihm ins Gesicht wehte, die fast schwarzen, von langen Wimpern gerahmten Augen und den untypisch gebräunten Teint. Er würde ganz gut aussehen, wenn er sich nicht so anstellen würde, dachte sie und fragte sich, wer er wohl war. Wahrscheinlich ein Tagesausflügler vom Festland, der sich für David Bailey hielt.
Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und schnippte dann mit den Fingern nach Huxley. »Hierher, mein Junge«, befahl sie streng. Nach ein paar weiteren begeisterten Schnüffeleien gehorchte der Hund, und Eve atmete erleichtert aus. »Die Regeln variieren je nach Jahreszeit und Strand«, erklärte sie dem Mann. »Aber an diesem hier sind Hunde immer willkommen.«
Er musterte sie finster. »Dann sollte man sie besser unter Kontrolle haben.«
Langsam ging ihr die Geduld aus. Natürlich hatte der Mann allen Grund, wütend zu sein, Huxley hatte ihn umgerannt und seine Kamera beschädigt. Aber es war ein Unfall gewesen, sie hatte sich entschuldigt und angeboten, für den Schaden aufzukommen. Ein wenig Nachsicht von seiner Seite konnte da sicher nicht schaden.
»Ist angekommen«, erwiderte sie kühl und richtete sich auf, um seinem Blick zu begegnen. »Aber da Sie hier offensichtlich nur zu Besuch sind, wissen Sie vielleicht nicht, dass Darling Cove eigentlich ein Privatstrand ist. Genau genommen, begehen Sie gerade Hausfriedensbruch.«
Der Mann blinzelte. »Hausfriedensbruch?«, wiederholte er langsam und hob eine schwarze Augenbraue. »Verstehe. Das hat mir bei der Buchung niemand gesagt.«
Jetzt war Eve mit irritiertem Blinzeln an der Reihe. Buchung? Was meinte er damit? Es sei denn …
Die Erkenntnis traf sie mit der gleichen Wucht, mit der die Wellen an die nahen Felsen schlugen. Er war kein Tagesgast. Es musste sich um den neuen Mieter von Dune Cottage handeln, den Mann, mit dem sie ein Dutzend oder mehr E-Mails ausgetauscht hatte, um die Bedingungen für seinen Aufenthalt zu klären, und der drei Monatsmieten im Voraus gezahlt hatte, um sich das Cottage bis in die Sommermonate hinein zu sichern. Die unerwarteten Einnahmen in der Nebensaison hatten es ihr ermöglicht, Petr aus dem Dorf damit zu beauftragen, das undichte Dach der Bar zu reparieren. Sonst hätte sie damit warten müssen, bis das Geld aus der Hauptsaison zu fließen begann.
Eine weitere heiße Welle der Verlegenheit ließ Eve erschaudern, als sie noch einmal im Kopf durchspielte, was sie zu ihm gesagt hatte. Hatte sie ihren neuen Mieter gerade wirklich des Hausfriedensbruchs beschuldigt?
Sie holte tief Luft. »Sie sind Mr. Cotton.«
Erkenntnis huschte über sein Gesicht, aber sein Ton wurde nicht wärmer, während er sie anteilslos musterte und dann kurz nickte. »Und Sie sind Mrs. Darling. Begrüßen Sie alle Ihre Gäste auf diese Weise? Indem Sie sie beschuldigen, sich unbefugt irgendwo herumzutreiben?«
Eve spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. »Natürlich nicht«, sagte sie steif. »Ich wusste nicht, wer Sie sind. Ist … Ist mit dem Haus alles in Ordnung?«
»Ja, mit dem Haus schon«, erwiderte er und wedelte gereizt mit seiner Kamera. »Was man von der hier leider nicht behaupten kann.«
Der Idiot hielt sich anscheinend tatsächlich für David Bailey.
»Ich habe mich entschuldigt und angeboten, die Reparatur zu bezahlen«, sagte sie so neutral wie möglich. »Ich weiß nicht, was Sie noch von mir erwarten.«
»Für den Anfang könnten Sie Ihren Hund von mir fernhalten«, entgegnete er. »Die Rechnung für das Ersatzobjektiv schicke ich Ihnen.«
Mit einem letzten vernichtenden Blick, der sowohl Eve als auch Huxley einschloss, machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte über den Sand in Richtung der entfernten Dünen davon.
Eve sah ihm nach und stieß einen schweren Seufzer aus. Nach dem heutigen Tag zu urteilen, würden das drei sehr lange Monate werden.
»Schönen Spaziergang gehabt?«
Aiden lehnte mit dem Rücken an der Arbeitsfläche in der Küche, als Eve mit Huxley an ihrer Seite hereinkam.
Während sie ihren Mantel abstreifte, zog sie eine Grimasse. »Nicht wirklich. Ich habe unseren neuen Mieter getroffen, und sagen wir es so: Huxley und ich haben nicht gerade den besten Eindruck bei ihm hinterlassen.«
Ihr Bruder nahm eine Tasse von der Arbeitsfläche und reichte sie ihr. »Klingt, als ob du den gebrauchen könntest. Was ist passiert?«
Eve nahm dankbar den Tee entgegen und warf einen reumütigen Blick auf ihren Hund, der begeistert aus seinem Wassernapf schlürfte. »Huxley ist passiert.«
Dann berichtete sie von ihrer Begegnung am Strand und spürte einen weiteren Anflug von Verlegenheit, als sie den Moment schilderte, in dem James Cotton auf dem Sand aufgeschlagen war, und wie sie alles noch viel schlimmer gemacht hatte, indem sie ihm erklärte, er wäre gar nicht befugt, sich am Strand aufzuhalten.
Aiden schlug sich hastig eine Hand vor den Mund, aber die Lachfalten um seine blauen Augen verrieten ihn. »Ich sollte nicht lachen.«
»Stimmt, solltest du nicht«, sagte Eve missbilligend. »Was, wenn ihm was passiert wäre?«
Aiden gab sich Mühe, seine Belustigung zu unterdrücken. »Hat er sich denn verletzt?«
»Ich glaube, der hat sich nur den Stolz angeknackst«, räumte Eve ein, bevor ihr etwas anderes einfiel. »Aber er war wirklich sauer und hat damit auch nicht hinterm Berg gehalten. Was, wenn er beschließt, deswegen früher abzureisen?«
Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. »Er hat im Voraus bezahlt. Außerdem wird er sicher schon bald darüber lachen können.«
Eve rief sich James Cottons wütende Miene in Erinnerung und schüttelte düster den Kopf. »Der hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, als würde er überhaupt irgendetwas lustig finden.«
»Dann kannst du sowieso nichts machen. Egal, was du sagst oder tust, es wird nicht helfen«, fasste Aiden nüchtern zusammen. »Am besten lässt du ihn in Ruhe, damit er darüber hinwegkommt.«
Er hatte recht, das wusste Eve, aber das änderte nichts daran, dass sie sich Sorgen machte. Sie trank einen großen Schluck Tee und tat ihr Bestes, um das anhaltende Gefühl von Demütigung und ihr Unbehagen abzuschütteln.
»Okay«, sagte sie schließlich und schaute sich zur Ablenkung um. Ihr Blick blieb am Kalender hängen, der an einer Wand hing. »Hast du es geschafft, die Band für nächste Woche zu erreichen? Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass wir ein Publikum haben, aber kein Unterhaltungsprogramm, und George dann wieder seinen Dudelsack rausholt.«
Bei der fraglichen Band handelte es sich um The Wreckers, eine beliebte Gruppe aus Cornwall, die Seemannslieder spielte und die sozialen Medien im Sturm erobert hatte. Eve hatte sie für die monatliche Musiknacht in der Bar gebucht, die sorgfältig auf die sicheren Überfahrtszeiten für den Damm abgestimmt war, aber die Band hatte sich in den letzten Tagen als schwer erreichbar erwiesen und Eve die Befürchtung, dass sie das Geld für die etwa einhundertfünfzig verkauften Karten zurückerstatten mussten. Oder, schlimmer noch, dass George darauf bestehen würde einzuspringen. Eve hatte nichts gegen Dudelsäcke in den Händen eines talentierten Musikers einzuwenden, aber der Fischer verfügte über mehr Enthusiasmus als Talent, und sie war noch immer nicht über seine letzte Einlage hinweg. Hamish, der Wirt des Fisherman’s Arms, hatte ihr zugeraunt, dass er es noch nie erlebt habe, dass sich der Pub dermaßen schnell leerte.
Aiden schüttelte den Kopf. »Bisher nicht, aber ich hab noch eine Nachricht hinterlassen. Ich bin mir sicher, dass es keinen Grund zur Sorge gibt. Die sind wahrscheinlich nur auf Tour.«
Und das war der größte Unterschied zwischen ihr und ihrem jüngeren Bruder, dachte Eve, während sie den gelassenen Gesichtsausdruck unter seinem gewellten blonden Haar bewunderte, er machte sich um nichts Sorgen. Mit neunundzwanzig Jahren war Aiden vier Jahre jünger als sie, aber es war nicht der Altersunterschied, der sie so unterschiedlich machte, sondern ihre Einstellung. Eve war eine Planerin, eine engagierte Listenschreiberin, die gerne alles im Griff hatte. Neben dem Café- und Barbetrieb vermieteten sie die Räumlichkeiten außerdem für eine Reihe regelmäßiger Veranstaltungen wie Yogakurse und Tanzveranstaltungen und an einen lokalen Kunstverein. Darüber hinaus wurden sie häufig als Location für Strandhochzeiten angefragt. Das war auch einer der Gründe, aus denen Eve Buchungen für das Dune Cottage in den Wintermonaten in der Regel ablehnte; der Betrieb von Darling Cove fühlte sich die meiste Zeit an, als würde man versuchen, zu viele Bälle gleichzeitig zu jonglieren. Wenn sie sich ablenken ließ, stürzte zwangsläufig irgendwo anders etwas in sich zusammen, und sie brauchte die Nebensaison, um ihre eigenen Batterien wieder aufzuladen. Aiden hingegen belastete sich weder mit Kleinigkeiten noch mit To-do-Listen oder damit, zu überprüfen, ob alles unter Kontrolle war. Er war ein unverbesserlicher Optimist, der stets davon ausging, dass die Dinge gut laufen würden, und nahm nur selten zur Kenntnis, dass der Grund dafür, dass es lief, in der Regel Eves Liebe zum Detail hinter den Kulissen zu verdanken war.
»Trotzdem würde ich das gerne klären«, sagte Eve mit einem Stirnrunzeln. »Außerdem müssen sie die genauen Überfahrtszeiten kennen, sonst schaffen sie es so oder so nicht her.«
»Entspann dich, Eve«, beruhigte Aiden sie. »Du hast sie über den Damm informiert, als du die Buchung vorgenommen hast. Das sind Profis, die werden schon auftauchen.«
Eve nickte widerstrebend und machte sich eine Notiz, um herauszufinden, ob die Wreckers einen Manager hatten, den sie kontaktieren konnte.
»Hast du die Tische in der Bar weggeräumt? Morgen früh ist Sunrise Yoga. Du weißt ja, dass Gemma den Platz braucht.«
»Alles erledigt«, versicherte er ihr. Dann deutet er auf Eves Handy, das sie auf der Arbeitsplatte liegen gelassen hatte, als sie zu ihrem Spaziergang mit Huxley aufgebrochen war. »Ich glaube, du hast einen Anruf von Selina verpasst.«
Selina Heron war Eves älteste Freundin. Seit ihrem ersten Tag im Kindergarten waren sie unzertrennlich und hatten alles geteilt, was zum Aufwachsen auf Ennisfarne gehörte, einschließlich des Internatsaufenthalts unter der Woche, um die weiterführende Schule zu besuchen. Als Selina die Insel verlassen hatte, um in Newcastle zur Uni zu gehen, war das furchtbar gewesen, aber jetzt war sie zurück und führte die Salzgewinnungsanlage ihrer Familie auf einer kleinen unbewohnten Insel vor der Südostspitze von Ennisfarne. Sie stand Eve näher als eine Schwester, und es verging kein Tag, an dem sie nicht telefonierten oder sich trafen.
»Ich brauche deine praktischen Fähigkeiten«, sagte Selina ohne lange Vorrede, als Eve sie ein paar Minuten später anrief. »Eines der Rohre im Gradierwerk ist undicht. Kannst du morgen eine Stunde erübrigen, um dir das mal anzusehen?«
Das Gradierwerk war eine hohe und schmale Konstruktion aus Holz und Schwarzdorn, durch die das Meerwasser gefiltert und reduziert wurde, um das feine Heron’s Salt zu gewinnen, das bei prominenten und Hobbyköchen im ganzen Land Kultstatus erlangt hatte. Ein undichtes Rohr konnte sowohl die Effizienz der Produktion als auch die Qualität des Salzes erheblich beeinträchtigen.
»Klar«, sagte Eve und warf einen Blick auf die Gezeitentabelle, die an der Tür eines Küchenschranks hing. »Treffen wir uns um halb drei am Hafen?«
»Du bist meine Rettung«, sagte Selina dankbar. »Danach lade ich dich auf Kaffee und Kuchen im Sea Shell ein.«
»Abgemacht«, erwiderte Eve, deren Laune sich bei dem Gedanken an die köstlichen Leckereien, die in dem gemütlichen Café im Dorf angeboten wurden, merklich hob. »Bis morgen.«
Aiden bedachte sie mit einem wissenden Blick, nachdem sie aufgelegt hatte. »Sag nichts – sie braucht eine Klempnerin.«
Eve lachte. »Wie kommst du darauf?«
Ihr Bruder legte den Kopf schief. »Du solltest dir einen Nebenerwerb zulegen. Darlings Klempner-Service – uns ist kein Job zu klein.«
»Nur weil ich mit einem Schraubenschlüssel umgehen kann, bin ich noch lange keine Klempnerin«, wandte Eve ein. »Außerdem wäre das ein Business, bei dem man es möglicherweise mit verstopften Toiletten zu tun bekommt, ohne dass man das an jemand anderen delegieren kann. Ich glaube, ich bleibe beim Gastgewerbe, vielen Dank auch.«
»War nur ein Vorschlag.« Aiden hob verteidigend die Hände. »Dann würdest du wenigstens bezahlt.«
Eve dachte an die Inselgemeinschaft, die oft eher auf gegenseitigen Gefälligkeiten als auf finanziellem Ausgleich beruhte. »Selina ist meine beste Freundin, ich werde ihr garantiert keine Rechnung schicken. Außerdem bezahlt sie mich doch.«
»Kuchen zählt nicht«, antwortete Aiden ironisch. »Nicht mal eine dreischichtige Schokoladentorte.«
»Dann willst du also nicht, dass ich dir ein Stück aus dem Café mitbringe?«, erkundigte sich Eve mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Das habe ich nicht gesagt. Von Selina mal abgesehen, will ich einfach nicht, dass man deine Gutmütigkeit ausnutzt. Du arbeitest zu hart, Eve, und es würde dir nicht schaden, ab und zu auch mal Nein zu sagen.«
Es lag ihr auf der Zunge, ihn darauf hinzuweisen, dass sie unter anderem deshalb so hart arbeitete, weil er ihr den Großteil der Verwaltungsaufgaben überließ, aber sie wusste aus Erfahrung, dass das keinen Sinn hatte. Aiden war Aiden, und wenn Eve ehrlich war, war es ihr ohnehin lieber, selbst alles unter Kontrolle zu haben.
»Ich werd’s im Hinterkopf behalten«, erwiderte sie deswegen diplomatisch.
Aiden zwinkerte ihr zu. »Ich werde morgen auf jeden Fall auf dein Angebot mit dem Kuchen zurückkommen. Danke, Schwesterherz.«
Eve lächelte. Offensichtlich war ihr Bruder der Ansicht, dass sich das Nein-Sagen nicht auf ihn beziehen sollte.
»Und?«, rief Selina, nachdem Eve auf der Leiter sicheren Stand hatte, um die hölzernen Verteilerhähne ganz oben auf dem Gradierwerk unter die Lupe zu nehmen. »Hast du schon was gefunden?«
Etwa zwanzig Meter über dem Boden, am höchsten Punkt des gigantischen, länglichen Bauwerks, balancierte Eve gegen einen kalten, winterlichen Windstoß an und fuhr mit der Hand an der Basis des nächstgelegenen Hahns entlang. Aus dem Loch sollte stetig eine gewisse Menge Meerwasser tröpfeln, die Selina jeden Tag von Hand an die Wetterbedingungen anpasste und die von dort in die darunter liegenden dicken Schichten aus Zweigen und Dornen sickerte. Aber der Hahn war trocken, genau wie seine nächsten Nachbarn. Sie schob ihre Finger unter das Holz, um das Rohr darunter zu ertasten. Ebenfalls trocken.
»Das Leck ist definitiv nicht hier oben«, antwortete sie. »Es muss in den unteren Rohren sein. Ich komme runter und sehe es mir an.«
Sobald sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, machte sie sich daran, alle Rohre zu überprüfen, die das Salzwasser hinauf zur Spitze des Turms leiteten. Dort fand sie dann auch das Problem. Das Verbindungsstück am betroffenen Rohr hatte sich gelockert, sodass Wasser heraussprudelte, anstatt dass es nach oben geleitet wurde.
Eve nahm einen Schraubenschlüssel aus ihrer Werkzeugtasche und zog das Verbindungsstück vorsichtig an, bis kein Wasser mehr austrat.
Dann schielte sie die Leiter hinauf, wo Selina die Verteilerhähne im Auge behielt. »Besser?«
»Du bist toll«, rief ihre beste Freundin zufrieden. »Hier oben läuft wieder alles.« Sie verbrachte noch einige Augenblicke damit, die Hähne sorgfältig zu regulieren, und kletterte dann zu Eve hinunter. »Danke. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen.«
Eve tat ihren Dank mit einem Schulterzucken ab. »Überhaupt kein Problem, wirklich. Wenn du willst, kann ich dir zeigen, was ich gemacht habe, damit du es beim nächsten Mal weißt.«
Selina schüttelte energisch den Kopf, sodass der rote Bommel an ihrer Wollmütze wackelte. »Ooooh nein! Ich habe schon einmal an den Rohren herumgebastelt und dabei etwas so fest angezogen, dass der Anschluss beschädigt wurde und ersetzt werden musste. So etwas überlasse ich lieber den Expertinnen.«
Eve steckte den Schraubenschlüssel in ihre Werkzeugtasche zurück und lächelte. »Als Expertin würde ich mich jetzt nicht gerade bezeichnen. Alle Fähigkeiten, die ich habe, sind eher aus der Not geboren, schließlich habe ich keine Ausbildung oder so.«
»Hör auf, dein Licht dermaßen unter den Scheffel zu stellen«, sagte Selina mit gerunzelter Stirn. »Ich wette, praktische Erfahrung ist mindestens genauso wertvoll wie eine offizielle Qualifikation. Und du bist außerdem nicht nur brillant, sondern gehörst zu meinen Lieblingsmenschen. Einen der Klempner vom Festland würde ich bestimmt nicht zum Kuchenessen ins Sea Shell einladen.«
Eve erinnerte sich an das letzte Mal, als sie einen Fachmann hatte kommen lassen, um ein geplatztes Rohr in der Damentoilette des Darling’s zu ersetzen. Sie hatte warten müssen, bis die Flut eine Überfahrt nach Ennisfarne erlaubte, und als er schließlich aufgetaucht war, hatte er während der Reparatur einige ausgesprochen unangenehme Ansichten geäußert. Eve hatte seinen Namen auf die Liste der Handwerker gesetzt, die sie nicht mehr anrufen würde.
»Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte«, sagte sie zu Selina. »Der Kuchen ist lediglich die Kirsche auf der Torte.«
»Auf jeden Fall«, stimmte ihre Freundin zu. »Gib mir nur eine Minute, um noch ein paar Dinge im Turm zu überprüfen, dann können wir los.«
Zehn Minuten später befanden sie sich wieder an Bord von Selinas Boot auf dem Weg zurück in den Hafen. Während der Fahrt erzählte Eve, was sie am Vortag mit James Cotton erlebt hatte. Eine Nacht Schlaf hatte ihre Verlegenheit darüber kein bisschen schrumpfen lassen.
»Ich bin sicher, dass er darüber hinwegkommt«, schloss sich Selina Aidens Meinung an. »Aber genug davon. Erzähl mir lieber, wie er aussieht. Ich habe von Freda gehört, dass er seeehr nett anzusehen ist …«
Eve dachte an die gereizte, beinahe überhebliche Art, auf die ihr Mieter mit ihr gesprochen hatte. Wäre sie nicht so sehr darauf bedacht gewesen, Huxleys Verhalten wiedergutzumachen, hätte der Mann sie wahrscheinlich genauso verärgert wie sie offensichtlich ihn verärgert hatte. Dennoch konnte sie verstehen, warum er Eindruck bei Freda hinterlassen hatte; James Cotton war groß, dunkelhaarig und wahrscheinlich sogar attraktiv, wenn er nicht gerade dermaßen übellaunig dreinschaute.
»Mir war die ganze Situation viel zu peinlich, um darauf zu achten«, sagte sie zu Selina. »Aber ich hatte den Eindruck, er ist der Typ Mann, der es gewohnt ist, dass andere Leute auf seinen Befehl hin springen.«
»Geschäftsmann?«
»Vielleicht«, antwortete Eve skeptisch, als sie sich daran erinnerte, wie ihm das etwas zu lange schwarze Haar ins Gesicht geweht war. »Es war nur so ein Gefühl. Wir haben uns wirklich nicht besonders lange unterhalten.«
»Ich frage mich, was er auf Ennisfarne macht«, sagte Selina, während sie das Boot über die Wellen lenkte.
Eve beschäftigte der gleiche Gedanke. Drei Monate waren eine seltsame Zeitspanne, zu lang für einen Urlaub, nicht lang genug für einen Neuanfang.
»Ich bin sicher, wir werden es bald herausfinden«, bemerkte sie. »Freda hat ja anscheinend bereits seine Fährte aufgenommen, und du weißt, wie sie ist.«
Die Besitzerin des Nook war für ihre neugierige Art berüchtigt; sie wusste über alles, was auf der Insel geschah, bestens Bescheid.
»Auch wieder wahr.« Selina grinste. »Der geheimnisvolle Mr. Cotton wird seine Geheimnisse nicht lange für sich behalten können.«
»Warum auch immer er hergekommen ist, ich werde jedenfalls versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen«, antwortete Eve mit einem leichten Schaudern. »Und Huxley auch.«
Obwohl das leichter gesagt als getan sein könnte, dachte sie, da er nun mal in ihrem Cottage wohnte. Aber sie hatte das Gefühl, dass ihr Mieter nicht unbedingt auf der Suche nach Gesellschaft war, und das passte ihr gut in den Kram. Mit etwas Glück würden sich ihre Wege nicht öfter kreuzen als unbedingt nötig.
Kapitel drei
Logan
Logan brauchte länger als gedacht, um sich an die Stille zu gewöhnen. Zunächst konnte er den Grund für sein Unbehagen nicht genau benennen. Er war schon an viel abgelegeneren Orten gewesen – einmal hatte er sogar in einem Zelt geschlafen, das an einem steilen Berghang hing, um den Sonnenaufgang über den benachbarten Gipfeln zu fotografieren –, aber die Stille auf Ennisfarne schien eine besondere Qualität zu haben. Sie wirkte irgendwie nachdenklich und aufmerksam, als würde die Insel selbst zuhören, und Logan musste an seine leicht überspannten Vorstellungen denken, als er am Freitag am anderen Ende des Straßendamms gestanden hatte. Dort hatte er die gleiche Wachsamkeit empfunden, obwohl sich die Einbildung, gemustert und beurteilt zu werden, verflüchtigt hatte. Er wusste, dass zumindest ein Teil davon durch den Stillstand verursacht wurde, nachdem er so lange ständig in Bewegung gewesen war, aber Logan hoffte, dass das Gefühl der Rastlosigkeit mit der Zeit verfliegen würde. Vielleicht würde die Ruhe hier seine gereizten Nerven entspannen.
Die unerfreuliche Begegnung mit Eve Darling war ebenfalls alles andere als hilfreich gewesen. Nachdem er wieder ein wenig runtergekommen war, hatte er zwar eingesehen, dass es nicht allein ihre Schuld gewesen war, aber das zerbrochene Objektiv machte es ihm noch schwerer, den Vorfall einfach zu vergessen.
Am Samstag fuhr er zu einem Kameraspezialisten in Gosforth, am Rande von Newcastle, um zu sehen, ob eine Reparatur möglich war, aber schon bevor der Ladenbesitzer durch die Zähne pfiff, war ihm klar, dass es sich um einen aussichtslosen Fall handelte.
»Ich habe eine gebrauchte Nikon auf Lager, die Ihnen gefallen könnte«, bot Mr. Robertson an. »Äußerlich ist sie ein bisschen ramponiert, aber ansonsten in tadellosem Zustand.«
Logan lehnte mit einem höflichen »Wahrscheinlich ist es sowieso an der Zeit aufzurüsten« ab und tippte ein wenig wehmütig die kaputte Linse an. »Aber die hier ist mir über die Jahre ein guter Freund gewesen.«
Mr. Robertson nickte verständnisvoll. »Ich weiß, was Sie meinen. Man braucht Zeit, um sich an eine neue Ausrüstung zu gewöhnen, nicht wahr? Das müssen selbst die Profis feststellen.«
»Da bin ich mir sicher«, stimmte Logan ernst zu.
»Ich kann Ihnen einen Ersatz bestellen, wenn Sie möchten«, fuhr der Ladenbesitzer fort. »Die sollte bis Mittwoch hier sein.«
Logan nahm das Angebot an, obwohl er dafür noch einmal nach Gosforth kommen musste. Er hätte das Objektiv natürlich auch im Internet bestellen können, aber es fühlte sich richtig an, dem Fotogeschäft sein Vertrauen zu schenken. Er hörte sich Mr. Robertsons gut gemeinten Rat an, welches Objektiv am besten geeignet sei, reichte ihm seine Kreditkarte zur Bezahlung und nannte ihm seine E-Mail-Adresse, damit er benachrichtigt werden konnte, sobald die neue Linse eintreffen würde.
Und dann fuhr er zurück nach Ennisfarne, wo die Stille nach dem geschäftigen Treiben der Stadt umso deutlicher zu spüren war.
Auf dem Rückweg schweiften seine Gedanken erneut zu Eve ab. Er hatte sie seit jener ersten explosiven Begegnung nicht mehr gesehen und kaum noch ein Bild von ihr vor Augen. Sie war viel kleiner als er, fast zierlich, und er meinte sich zu entsinnen, unter ihrer dicken Pudelmütze blonde Haare hervorlugen gesehen zu haben. Sie hatte eine Wachsjacke getragen, und ihre Gummistiefel hatten eindeutig schon bessere Tage gesehen. Darüber hinaus hatte er keine Ahnung, wie sie aussah. Ihr Hund hingegen hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, insbesondere der Ausdruck fröhlicher Unverfrorenheit, mit der er über den Sand gesprungen war, nachdem er Logan die Beine unter dem Körper weggezogen hatte. Nachdem sein Ärger größtenteils verflogen war, hatte er jedoch beschlossen, seiner Vermieterin die kaputte Linse dennoch nicht in Rechnung zu stellen. Irgendwie erschien es ihm nicht fair, und es würde sicherlich nicht dazu beitragen, ein professionelles, freundschaftliches Verhältnis für die Dauer seines Aufenthalts zu pflegen. Es war viel besser, die Kosten selbst zu tragen; immerhin ein Grund weniger für weitere Interaktion mit ihr.
Im Cottage stellte Logan fest, dass er einen Anruf seiner Agentin verpasst hatte. Auf ihre typisch effiziente Weise hatte Phoebe ihm daraufhin gleich eine E-Mail geschickt.
Ich weiß, dass du gerade eine Pause einlegst, aber GQ möchte dich unbedingt für ein Nick-Borrowdale-Shooting in Monaco Anfang März. Würde dich das reizen oder soll ich ihnen absagen?
Es reizt mich nicht mal im Entferntesten, dachte Logan. Noch vor wenigen Wochen hätte er für die Chance auf einen All-inclusive-Trip nach Monte Carlo alles stehen und liegen gelassen, vor allem für ein Shooting mit einem seiner engsten Freunde. Abgesehen von allem anderen wäre es ein einfacher Job gewesen. Nick war absoluter Profi, und die Kamera liebte ihn. Aber die Vorstellung, in eine berühmt-berüchtigte Partystadt zu fliegen, ließ Logan kalt. Und auch für den Auftrag selbst konnte er wenig Begeisterung aufbringen. GQ würde ihm mit Sicherheit die kreative Leitung des Shoots übertragen, aber er hatte nicht viel anzubieten, seitdem ihm seine übliche Inspiration fehlte. In dem Fall würde nicht einmal mehr Nicks magic touch helfen. Was auch immer die Ursache für das seltsame Unbehagen war, das in Logans Arbeit und sein Herz gesickert war, er würde es nicht durch einen weiteren Job an Bord einer Luxusyacht loswerden.
Er tippte eine kurze Antwort an Phoebe und begann dann, die Vorräte auszupacken, die er in einem Supermarkt auf dem Festland gekauft hatte. Das Nook bot eigentlich alles, was er brauchte, aber er hatte in Ruhe shoppen wollen, ohne ständig Fredas neugierigen Blick im Rücken zu spüren, welche Artikel wohl in seinem Einkaufswagen landeten. Außerdem hätte sie garantiert versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, und daran war er nicht interessiert. Unterhaltungen bargen grundsätzlich die Gefahr, dass jemand herausfand, wer er war, und er wollte seine Identität lieber geheim halten. Das bedeutete, dass er sich von den Bewohnern Ennisfarnes so weit wie möglich fernhalten musste.
Was jedoch nicht hieß, dass er sich die ganze Zeit in seinem Cottage verstecken musste.
Die Flut war hereingebrochen, und der Sirenengesang der Wellen drang in Logans Unterbewusstsein. Nachdem er die Einkäufe weggeräumt hatte, gab er dem Ruf nach und machte sich erneut auf den Weg, um das Nachmittagslicht zu nutzen.
Es war ein stürmischer Tag. Die Wellen waren silbergekrönte Ungeheuer, die sich gegen das Land warfen, und der Nordwind peitschte gegen die Frontscheibe des Hilux, als Logan zum höchsten Punkt der Insel hinauffuhr – die Landzunge am östlichen Rand, die ins Meer hinausragte. Dort befand sich ein weißer Signalturm aus Granit, den er vor dem Hintergrund der aufziehenden Wolken fotografieren wollte – in dem Bewusstsein, dass sein Gedankenkarussell zum Stillstand kommen würde, wenn er sich damit beschäftigte, die beste Aufnahme zu komponieren und den Winkel zu finden, der das Bild zu etwas Außergewöhnlichem machte. Abgesehen davon wollte er einfach nur auf der Landzunge stehen und Richtung Horizont blicken, während der Wind die Unruhe aus seiner Seele spülte.
Auf der schmalen Straße zur Landzunge fiel Logan ein längliches schwarzes Bauwerk in einiger Entfernung vom Ufer auf. Er fuhr langsamer, um es sich genauer anzusehen. Es stand auf einer kleinen Insel, mit einer Ansammlung niedrigerer Gebäude zu einer Seite. Das Bauwerk war zu weit entfernt, als dass er Einzelheiten hätte erkennen können, und er überlegte, worum es sich wohl handelte. Eine Art Unterschlupf vielleicht, um die Vögel und Meerestiere rund um die Insel zu beobachten? Allerdings wusste er, dass vor allem die Nordspitze von Ennisfarne für die Beobachtung von Tieren bekannt war; es gab dort ein Naturschutzgebiet und mehrere Felseninseln, auf denen die florierende Robbenpopulation der Insel zu Hause war. Er starrte noch ein paar Sekunden lang mit nachdenklich gerunzelter Stirn auf die seltsame Ansammlung von Gebäuden und setzte dann seinen Weg fort. Wenn er zurück im Cottage war, würde er recherchieren.
Der Signalturm war ein perfekter vierkantiger Obelisk, der sich weiß vor dem düsteren Himmel abhob. Logans Berufsinstinkt war bereits geweckt, als er parkte und nach seiner Kameratasche griff. Er verbrachte ein paar Minuten damit, die Szenerie von allen Seiten in Augenschein zu nehmen, indem er den hohen Stein einige Male umrundete, um letztendlich zu entscheiden, was genau er einfangen wollte. Der Wind erschwerte seine Arbeit. Er peitschte ihm ins Gesicht, zerrte an seinen Händen und zwang ihn, sich besonders zu konzentrieren und möglichst schnell zu arbeiten. Hoch über ihm zogen Möwen ihre Kreise. Logan veränderte seine Position erneut, um sie mit ins Bild zu nehmen. Irgendwann begann es zu regnen. Ein leichter Schauer, der stärker wurde, je länger er arbeitete. Aber erst als er überzeugt war, das Wesen des einsamen Obelisken, der sich groß und unnachgiebig gegen die grimmigen Elemente stemmte, zumindest ansatzweise eingefangen zu haben, verstaute er die Kamera wieder in ihrer Tasche und erlaubte seiner Konzentration nachzulassen.
Dann stellte er sich so nahe an den Rand der Landzunge, wie er es für sicher hielt, hob sein Gesicht in den Wind und blickte auf die endlose Oberfläche des Meeres, das sich bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckte. Seine Wangen brannten im eisigen Regen, der auf seine Haut einprasselte, und ein- oder zweimal traf ihn eine so heftige Windböe von vorne, dass er einen Schritt zurückstolperte. Wasserrinnsale rannen aus seinen Haaren den Nacken hinunter und ließen ihn frösteln. Aber die raue Witterung weckte in ihm nicht den Wunsch, sich in sein schützendes Auto zu flüchten. Stattdessen trug die Erfahrung eine Rohheit in sich, ein Gefühl der Reinheit, das tief in seine Haut und Lungen eindrang. In diesem Moment verspürte er keine Lethargie. Er fühlte sich gereinigt und erneuert und zu allem fähig. Natürlich würde dieses Gefühl nicht von Dauer sein, aber er wusste, dass er zum Teil deswegen nach Ennisfarne gekommen war – um sich daran zu erinnern, dass es möglich war, sich so zu fühlen, gestärkt und lebendig.
Logan blieb so lange auf dem Felsen stehen, dass sein Zittern immer stärker wurde. Als er sich schließlich auf den Weg zurück zu seinem Wagen machte, hielt er noch einmal an dem Obelisken inne und legte eine Hand auf den glatten, nassen Granit, um seine Stärke und Einsamkeit zu bestaunen und seine Geschichte in sich aufzusaugen. Er überdauerte bereits mehr als zweihundert Jahre und hatte Schiffe vor den umliegenden Felsen gewarnt. Und noch früher hatte er einem anderen Zweck gedient: Er war Teil einer Kette von Signalbauwerken gewesen, die errichtet worden waren, um vor drohenden Angriffen durch Feinde von jenseits des Meeres zu warnen. Es hatte viele solcher Invasionen gegeben, sowohl auf Ennisfarne als auch auf Lindisfarne, aber trotz allen Blutvergießens hatten es die Inseln irgendwie geschafft, die Plünderer zu integrieren und letztendlich ein friedliches Zusammenleben möglich zu machen. Mit der Zeit hatten auch die Eindringlinge die Inseln zu lieben gelernt und waren Teil ihrer Geschichte geworden. Logan sah sich um, betrachtete die üppig grüne Landzunge, die im Regen glitzerte. Sein Blick schweifte über die vom Wind aufgewirbelten Stahlwolle-Wolken, die sich über ihm zusammenzogen, er hörte den leisen Schrei der Möwen über dem donnernden Rauschen der Wellen, und er glaubte zu verstehen, warum. Ennisfarne schien ein Ort zu sein, in den man sich leicht verlieben konnte. Vielleicht war er selbst schon auf dem besten Weg dorthin.
Kapitel vier
Eve
Als Eve am Donnerstagmorgen die E-Mail von James Cotton in ihrem Posteingang entdeckte, sank ihre Laune sofort in den Keller. Sie saß mit ihrem Laptop an einem der Tische in der Bar, den Blick auf den sonnenbeschienenen Sand gerichtet, und arbeitete einen Berg von Verwaltungsaufgaben ab. Es war weniger der Gedanke an die Rechnung, die er zweifellos beigefügt haben würde, der sie aufstöhnen ließ – sie hatte akzeptiert, dass sie ihm das Geld zurückzahlen musste –, sondern die Erinnerung an seine unwirsche Art bei ihrem ersten Treffen, die ihr Kopfschmerzen bereitete, als sie sich nun erneut mit ihm auseinandersetzen musste. Fast war sie versucht, das Lesen der Mail bis zum Nachmittag oder sogar bis zum nächsten Tag aufzuschieben, aber sie wusste, dass sie damit nur ihre Nerven strapazieren würde. Also beschloss sie, wie immer vorzugehen und die unangenehmen Aufgaben zuerst zu erledigen. Sie warf einen nachdenklichen Blick auf die glänzende Kaffeemaschine hinter der Theke. Nach einem Kaffee fiel einem alles leichter. Die fünf Minuten, die es dauern würde, einen Latte macchiato zuzubereiten, zählten definitiv nicht als Aufschiebetaktik …
Mit einem Becher Kaffee, getoppt von einem Berg köstlich duftendem Milchschaum, und mehreren Schokoladenkeksen bewaffnet, nahm Eve wieder am Tisch Platz und zog entschlossen ihren Laptop zu sich heran.