Große Liebe im kleinen Trödelladen - Holly Hepburn - E-Book

Große Liebe im kleinen Trödelladen E-Book

Holly Hepburn

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Beschreibung

Ein kleiner Trödelladen voller kunterbunter Schätze, ein lang gehegter Traum und ein Städtchen zum Verlieben ...

Nach einem Schicksalsschlag zieht es Hope zurück in ihr Heimatstädtchen, ins verträumte York mit seinen hübschen kleinen Gassen und den windschiefen Fachwerkhäusern. Am Schaufenster des kleinen Trödelladens hat sie sich schon als Kind die Nase platt gedrückt, um das kunterbunte Sammelsurium an Kostbarkeiten zu bestaunen. Dass sie ausgerechnet dort einen Job ergattert, scheint wie ein Wink des Schicksals. Doch Hopes liebenswerte, aber auch ein bisschen schrullige Familie hat ihre ganz eigenen Vorstellungen davon, was das Beste für sie ist. Vor allem, als Hope zwei ganz unterschiedliche Männer kennen lernt: Den sanftmütigen Will, der sich liebevoll um seine verwaiste kleine Nichte kümmert. Und den gut aussehenden Archäologieprofessor Ciaran, der gemeinsam mit Hope das Geheimnis um ein rätselhaftes Schmuckstück lösen will …

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Seitenzahl: 541

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HOLLY HEPBURN liebt es, Menschen zum Lächeln zu bringen – und sie liebt ihre Katze Portia. Sie hat in der Marktforschung und als Model gearbeitet, ihr großer Traum war aber schon immer das Schreiben. Nach Süße Träume im Cottage am Strand ist dies ihr neuer Roman in deutscher Sprache. Holly lebt in der Nähe von London.

Holly Hepburn in der Presse:

»Macht so richtig gute Laune!« Bella

»Herzerwärmend!« Freizeit Illustrierte

»Lesestoff mit viel Liebe.« Berner Zeitung

Außerdem von Holly Hepburn lieferbar:

Um fünf unter den Sternen. Roman

Herzklopfen in der kleinen Keksbäckerei. Roman

Heute Abend in der Eisdiele am Meer. Roman

Süße Träume im Cottage am Strand. Roman

Holly Hepburn

Große Liebe im kleinen Trödelladen

Roman

Aus dem Englischen von Melike Karamustafa

Die Originalausgabe erschien 2022

unter dem Titel The Little Shop of Hidden Treasures

bei Simon and Schuster, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2022 der Originalausgabe by Tamsyn Murray

Published by arrangement with Simon & Schuster UK Ltd., London, England

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Carolin Müller

Umschlaggestaltung und Umschlagmotiv: bürosüd nach einem Entwurf von Pip Watkins/S&S Art Dept.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-30058-6V001

www.penguin-verlag.de

Für Meena Kumari, deren Güte, Großzügigkeit und Brillanz legendär sind.

Teil Eins

Neuanfang

Kapitel Eins

Es war der Flamingo, der Hope Hendersons Blick auf sich zog. Groß und stolz und in leuchtendem Pink stand er in der Mitte des Schaufensters und fesselte ihre Aufmerksamkeit. Und er war nicht allein, wie ihr auffiel, als sie genauer hinschaute, sondern umringt von diversen gefiederten Geschwistern in unterschiedlichen Größen und variierenden Rosatönen und einem grau-schwarzen Reiher aus gebogenem Draht. Darüber ein Schild: Finde den Fehler? Ein weiteres Schild mit einem Pfeil deutete schräg auf einen geblümten Nachttopf. Über dem gesamten Ensemble hing ein gerahmtes Vintage-Poster, das Werbung für ein Heißluftballon-Rennen nach Paris machte.

Fasziniert von dem bunten Angebot und dem gleichzeitig eklatanten Mangel jeglichen Designkonzepts blieb Hope stehen. Der Laden war im Erdgeschoss eines Eckgebäudes untergebracht mit zwei breiten Bogenfenstern zu jeder Seite der leuchtend gelb lackierten Winkeltür. Ein wunderschönes graues Schaukelpferd, dessen schwarze Mähne in der spätmorgendlichen Sonne glänzte, war neben den Flamingos das Prunkstück des Schaufensters. Es schien sie mit einem Auge anzusehen, und Hope meinte beinahe, ein leises Wiehern zu hören.

Schon als Kind hatte sie sich von diesem Laden angezogen gefühlt; jedes Mal, wenn sie mit ihrer Familie in der Innenstadt von York gewesen war, hatte sie gebettelt, vorbeischauen zu dürfen, um einen Blick in die Schaufenster zu werfen. Und als Studentin in London hatte sie viel zu viele Sonntagnachmittage damit verbracht, über den Portobello Road Market zu schlendern und sich vorzustellen, was sie sich dort kaufen würde, wenn sie es sich leisten könnte. Das hier war allerdings nicht die Portobello Road, London war weit weg – nicht zuletzt die gotischen Turmspitzen des York Minster, die sie über den Dächern in einer Seitengasse aufragen sah, erinnerten sie daran. Sie war zu Hause – nach mehr als zehn Jahren.

Der Name des Ladens, der in Kirschrot hervorgehoben und mit Blattgold verziert über der gelben Holztür prangte, beflügelte auch heute noch Hopes Fantasie, so wie er es schon immer getan hatte: Ever After Emporium. Unwillkürlich fragte sie sich, wie man sich von einem solchen Namen nicht verzaubern lassen konnte. Darunter stand in kleinerer Schrift: Händler für große und kleine Schätze. Und darunter: Gegr. 1902. Inhaber: James T. Young Esq.

Einige Minuten lang bewunderte Hope fasziniert die verrückte Mischung an Gegenständen in den Schaufenstern, ohne den Scharen von Touristen, die sich jetzt, im Spätfrühling, auf dem Gehweg hinter ihr drängten, auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Erst das Läuten der Glocken des Münsters um Viertel vor zwölf riss sie aus ihrer Träumerei und erinnerte sie daran, dass sie gleich mit ihrer Schwester zum Mittagessen verabredet war. Mit einem letzten wehmütigen Blick in den Laden trat sie einen Schritt zurück, schob die Tasche auf ihrer Schulter höher und wandte sich zum Weitergehen.

Und dann sah sie die Anzeige.

Teilzeitkraft gesucht.

Keine Berufserfahrung erforderlich.

Bei Interesse bitte im Laden melden.

Der Text war handgeschrieben, in leuchtend türkisfarbener Tinte, und die ausschweifenden Bögen der fließenden Schrift ließen erahnen, dass der Verfasser die Art von Person war, die selbst die praktischsten Dinge mit einem untrüglichen Sinn für Stil anging. Einen Moment lang war sie versucht, die Tür aufzustoßen und hineinzugehen. Als Kind hatte sie den Laden nicht betreten dürfen, aber jetzt hielt sie nichts mehr davon ab. Drängte ihre Familie sie nicht schon seit Längerem dazu, sich einen neuen Job zu suchen? Ihre Entlassung lag inzwischen einige Monate zurück, aber sie war zu beschäftigt mit dem Verkauf ihrer Wohnung in London und dem Umzug in den Norden gewesen, um darüber nachzudenken, was als Nächstes kommen könnte. Allerdings meinten sie einen richtigen Job – in einem Büro, mit Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie sich über das letzte Wochenende und die neuesten Kinofilme unterhalten konnte. Keine Teilzeitstelle in einem Trödelladen, egal wie sehr sie diesen als Kind geliebt hatte.

Widerstrebend wandte sich Hope ab und bog in die kühl-schattige Minster Gates in Richtung Kathedrale ab, wo sie mit Charlotte verabredet war. Vielleicht würde sie nach dem Mittagessen noch einmal zurückkommen; im Ever After Emporium gab es mit Sicherheit etwas zu kaufen, mit dem sie ihr neues Apartment verschönern konnte. Und vielleicht würde sie sich dann auch nach dem Job erkundigen.

»Wie geht es dir?«

Für jeden unbeteiligten Beobachter schien Charlottes Aufmerksamkeit darauf gerichtet zu sein, das Apfelmus schneller in den Mund ihrer Tochter zu löffeln, als das Kleinkind es wieder ausspucken konnte, aber Hope ließ sich von ihrer Schwester nicht täuschen. Ihr war nicht entgangen, wie aufmerksam Charlotte sie bei ihrer Begrüßung vor dem Münster gemustert hatte; und diese Wachsamkeit in ihrem Blick war auch nicht verschwunden, nachdem sie zu Lucia in Swinegate Court geschlendert waren und sich an einem Tisch im sonnengesprenkelten Hof niedergelassen hatten. Nicht einmal der hübsche Kellner oder das Gewusel der anderen Gäste um sie herum konnte sie ablenken. Sogar ihre Bestellung hatte sie aufgegeben, ohne Hope dabei aus den Augen zu lassen. Es war dieser spezielle abschätzende Blick, den Hopes gesamte Familie allein für sie reserviert zu haben schien. Und ihr war bewusst, dass jedes Detail darüber, wie sie heute aussah, was sie sagte und wie sie sich gab, später mit allen anderen Familienmitgliedern geteilt werden würde. Nicht auf eine geschwätzige oder unfreundliche Weise, sondern mit Liebe und Anteilnahme und aus dem Wunsch heraus zu helfen. Und Hope liebte sie dafür noch mehr als sowieso schon, auch wenn sie sich wünschte, sie würden ihr stattdessen einfach glauben, wenn sie versicherte, dass bei ihr alles okay sei.

»Mir geht’s gut«, antwortete sie und schob sich eine Gabel Schellfisch alla puttanesca in den Mund. »Langsam habe ich das Gefühl anzukommen. Zumindest sind inzwischen die meisten Kisten ausgepackt.«

Charlotte warf ihr über den Tisch hinweg einen weiteren aufmerksamen Blick zu, bevor sie sich wieder ihrer Tochter Amber zuwandte. »Du bist immer noch viel zu dünn. Isst du gescheit?«

Noch so eine Fragekarte, die im Spiel »Geht es Hope gut?« regelmäßig gezogen wurde.

Hope nahm eine weitere Gabel Schellfisch und kaute. »Ja, ich esse gescheit«, sagte sie, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte. »Jeden Tag fünf Sorten Obst und Gemüse. Viel Sport. Kein Alkohol, keine Drogen.«

»Freut mich zu hören«, erwiderte Charlotte, runzelte dabei jedoch unübersehbar die Stirn. »Trotzdem, Antidepressiva zu nehmen, wenn man sie braucht, ist keine Schande.«

Auf Charlotte war wie immer Verlass, wenn es darum ging, aus einer flapsigen Bemerkung eine Anspielung auf ihre geistige Gesundheit zu machen, stellte Hope resigniert fest. Allerdings überraschte es sie nicht; ihr war klar gewesen, welche Folgen es hätte, wenn sie nach York zurückzog, und Feingefühl war nie eine von Charlottes Stärken gewesen.

»Ich weiß«, sagte Hope sanft und versuchte, dabei den Blick ihrer Schwester einzufangen. »Es geht mir gut, Charlotte. Wirklich, du musst dir keine Sorgen machen.«

Was auch immer Charlotte darauf erwidern wollte, ging unter, als Amber die Lippen spitzte und eine volle Ladung Apfelpüree quer über den Holztisch prustete. Für einen Moment schienen die Gespräch um sie herum zu verstummen, bis Amber in begeistertes Kichern ausbrach, das Charlotte mit einem Seufzen quittierte.

»Gut, dass ich den Schweinebauch genommen habe«, sagte sie mit einem Blick auf ihren Teller. »Wenigstens passt Apfel dazu.« Sie nahm ihre Serviette und begann die Apfelmusspritzer von Ambers Gesicht und dem kupferfarbenen Flaum zu wischen, der ihren Kopf bedeckte.

Hope nutzte die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln. »Ich kann nicht fassen, wie groß sie geworden ist. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, ist sie kaum gekrabbelt.«

»Ich weiß«, erwiderte Charlotte trocken. »Ich wünschte, jemand würde Kleidung erfinden, die mitwächst.«

Hope verzog mitfühlend das Gesicht. Charlotte beschwerte sich oft darüber, dass ihr älterer Bruder Harry und seine Frau so rücksichtslos gewesen waren, zwei Söhne zu bekommen – ein dritter war auf dem Weg –, was bedeutete, dass sie kaum Kleidung an Amber weitergeben konnten.

»Ich bin mir sicher, dass Mum gerne aushilft. Du weißt, wie sehr sie es liebt, für die Kinder einzukaufen.«

»Ja, schon. Und ich bin auch total dankbar dafür. Aber Amber scheint wirklich über Nacht zu wachsen – was ihr an einem Tag passt, ist ihr am nächsten zu klein. Es gibt wahnsinnig viele Sachen, die sie höchstens einmal getragen hat. Ich bewahre sie alle auf, falls …« Sie hielt inne und wischte ihrer Tochter noch einmal übers Gesicht, um Hope nicht ansehen zu müssen. »Für das nächste Baby. Wer auch immer es bekommt.«

Die unausgesprochenen Worte hingen schwer zwischen ihnen in der Luft. Harry und seine Frau hatten bereits verkündet, dass drei Jungs mehr als genug für alle Eltern seien, die halbwegs bei Verstand waren, und dass sie demnach nicht vorhätten, weitere Kinder in die Welt zu setzen. Charlotte hatte mit Amber eine schwierige Schwangerschaft hinter sich, die schließlich in einem Notkaiserschnitt geendet hatte, und seitdem mehrfach betont, dass sie nicht vorhabe, etwas Ähnliches noch einmal durchzumachen. Was wiederum nur eine logische Schlussfolgerung zuließ, nämlich dass der Staffelstab für das nächste Enkelkind an Hope übergegangen war. Auch sie selbst war davon ausgegangen, als sie vor fünf Jahren Rob geheiratet hatte. Doch dann hatte sie die Diagnose ereilt, und alles war zusammengebrochen. Und jetzt war sie sich nicht mal mehr sicher, ob sie jemals wieder einen Mann küssen, geschweige denn mit ihm tun würde, was nötig war, um ein Baby zu bekommen.

»Solange es nicht Joe ist«, bemerkte Hope betont fröhlich.

Joe war ihr neunzehnjähriger Bruder – der Überraschungs-Nachzügler –, der gerade im ersten Jahr an der Uni in Edinburgh studierte und der weithin nicht gerade für sein Verantwortungsbewusstsein bekannt war.

Charlotte schauderte. »Stell dir das mal vor. Er ist ja selbst noch ein Baby.«

Hope nahm an, dass Joe das Los der meisten Nachzügler-Kinder teilen und immer das Baby bleiben würde, selbst wenn er irgendwann eigene Kinder hätte. Unvermittelt tauchte das Bild von ihrem Bruder vor ihrem inneren Auge auf, seine rotbraunen Locken, die den ihren so ähnlich waren, wenn auch deutlich kürzer. »Joe ist ein guter Typ. Er würde zurechtkommen.«

»Und uns alle als Helfer einspannen.«

Aber die Hilfe würde mit einer ordentlichen Portion Einmischung daherkommen, dachte Hope und verkniff sich ein Grinsen. Nicht nur, aber ganz besonders in den letzten Jahren war sie unendlich dankbar für ihre Familie gewesen, allerdings konnte einen ihre gut gemeinte liebevolle Fürsorge zweifellos auch ein wenig erdrücken.

»Zum Glück ist Joe nicht auf den Kopf gefallen, und über die Blümchen und die Bienchen weiß er auch Bescheid«, sagte Hope sanft. »Ich glaube nicht, dass du Ambers Babysachen in absehbarer Zeit vererben wirst, außer es gibt jemanden im Dorf, der sie gebrauchen kann.«

Charlotte schwieg einen Moment, während sie den Rest des Fruchtpürees aus dem Gläschen kratzte. »Apropos Dorf … Letzte Woche bin ich zufällig Simon Wells in die Arme gelaufen. Er hat nach dir gefragt.«

Eine scheinbare harmlose Bemerkung, die Charlotte mit der nötigen Beiläufigkeit im Tonfall garnierte, aber Hope kannte auch dieses Spielchen. Simon Wells war ein alter Schulfreund, der in Upper Poppleton aufgewachsen war, genau wie sie selbst. In demselben kleinen Ort, in dem ihre Eltern und Charlotte noch immer lebten und wo jeder stets einen freundlichen Blick auf seine Nachbarn hatte und sich nach Familienmitgliedern erkundigte, die in der Zwischenzeit weggezogen waren. Es war also nicht ausgeschlossen, dass Simon sich tatsächlich nach Hope erkundigt hatte, vor allem da sie davon ausging, dass der gesamte Ort bestens über ihren Umzug nach York informiert war. Aber darum ging es ihrer Schwester nicht.

»Charlotte …«

»Ich mein’ ja nur«, fiel sie ihr mit unschuldig aufgerissenen Augen ins Wort. »Er ist ein netter Typ, Single und sieht nicht übel aus. Du könntest dich mit ihm auf einen Drink treffen. Über alte Zeiten quatschen.«

»Ich hab kein Interesse an einer Verabredung.«

»Okay.« Charlotte schien von Hopes kategorischem Nein nicht sonderlich beeindruckt. »Das verstehe ich. Wie wäre es stattdessen mit Online-Dating? Hattest du dir nicht die Bumble-App runtergeladen?«

Hope verkniff sich ein Seufzen. Hatte sie, und jedes Mal, wenn sie ihr Display entsperrte, hatte sie das ungeöffnete Icon vorwurfsvoll angestarrt, bis Hope die App schließlich wieder gelöscht hatte.

»Ich bin noch nicht so weit.«

Charlotte schob sich einen Bissen weiße Bohnen in den Mund und kaute nachdenklich, wobei sie Hope keine Sekunde aus den Augen ließ. »In London warst du aber auf ein paar Dates, oder?«, bemerkte sie, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte. »Schon klar, dass diese Apps keine Erfolgsgarantie sind, man muss natürlich ein bisschen rumprobieren. Aber war es wirklich so schrecklich, dass du dich endgültig von dem Gedanken verabschiedet hast, jemals wieder jemanden kennenzulernen?«

Hope kämpfte gegen den Drang an, den Kopf zu schütteln, und beobachtete stattdessen, wie die Spätfrühlingssonne auf den bernsteinfarbenen Sandsteinwänden des Innenhofs tanzte. Anfangs war sie für Verabredungen mit Männern offen gewesen – nicht gerade mit besonders viel Enthusiasmus, aber bereit zu akzeptieren, dass es nach achtzehn Monaten vielleicht an der Zeit sein könnte, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Und in dem Wissen, dass sie irgendwo damit anfangen musste. Ein oder zwei Treffen waren gut gelaufen, was zu einem zweiten und dritten Date geführt hatte. Von einem der beiden hatte sie sich sogar küssen lassen, ein Typ namens Matt, und es hatte sich nicht mal schrecklich angefühlt. Nur seltsam, als würde es jemand anderem passieren. Doch als sie bei ihrem nächsten Treffen offen über ihre Beziehungsgeschichte gesprochen hatte, schien sich plötzlich etwas zu verändern. Er hatte mit entsetzter Anteilnahme zugehört, sich für den Rest des Abends zusammengerissen und anschließend keine einzige Nachricht mehr beantwortet. Dann war Adam gekommen, der bei ihrer zweiten Verabredung nach einem tiefen Atemzug verkündet hatte, sich nicht sicher zu sein, ob er bereit war, derjenige zu sein, der auf Rob folgte. Daraufhin hatte sie das Thema bei Dates so weit es ging unter den Tisch fallen lassen, vage Antworten gegeben, die auf eine gescheiterte Ehe hindeuteten, und zu Hause in ihr Kissen geweint, weil es sich falsch anfühlte, so zu tun als ob. Und schließlich hatte sie entschieden, dass ihrem Herz genug wehgetan worden war. Seitdem hatte sie sich mit keinem Mann mehr getroffen.

»Ich bin einfach noch nicht so weit«, wiederholte sie, und um ihre Worte ein wenig abzumildern, fügte sie hinzu: »Ich will zuerst richtig ankommen und die Stadt wiederentdecken. Mich vielleicht nach einem Job umsehen.«

Charlottes Miene hellte sich auf. »Das ist eine tolle Idee. Ich hab Letztens was gesehen, das perfekt für dich wäre – gut bezahlt, ein solides Unternehmen«, begann sie lebhaft, bis sie Hopes Gesichtsausdruck registrierte. »Aber ich bin mir sicher, dass du selbst am besten weißt, wonach du suchst.«

Was genau das Problem war, dachte Hope. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie eigentlich suchte. Abgesehen von dem unausgesprochenen Bedürfnis, hinter sich zu lassen, wer auch immer sie vorher gewesen war, und etwas Neues auszuprobieren. Sie musste wieder an die geschwungenen Zeilen in türkiser Schrift im Schaufenster des After Ever Emporium denken, und auf einmal war da dieses Gefühl, ganz tief in ihrer Magengrube, ein kaum merkliches Flattern.

Sie schenkte Charlotte ein Lächeln. »Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung«, sagte sie, als sie spürte, wie sie von einer warmen Welle des Optimismus’ ergriffen wurde. »Aber ich hoffe, dass ich es erkenne, wenn ich darauf stoße.«

Als Hope die Tür des Trödelladens öffnete, war das Läuten einer Glocke zu hören. Sie klimperte nicht, wie es Türglocken normalerweise tun; der Ton war tiefer, beinahe zu laut, und als das Geräusch verklang, fragte sich Hope, ob sie sich das leichte Vibrieren, das es begleitet zu haben schien, nur eingebildet hatte. Unwillkürlich ließ sie den Blick nach oben wandern, wo sie eine große, auf Hochglanz polierte Messingglocke entdeckte, die in einem kunstvoll geschnitzten Rahmen über der Tür hing.

»Bitte entschuldigen Sie«, wurde sie von einem ebenso tiefen wie breiten Yorkshire-Dialekt empfangen, der durch die aufgewirbelten Staubkörnchen in der Luft zu ihr drang. Hope sah sich auf der Suche nach dem Ursprung der Stimme um. »Unsere Türglocke hing früher über dem Eingang von Figgis and Blacks in Mayfair. Ich fürchte, sie leidet unter Größenwahn.«

Ein Mann erhob sich mit einer Pappschachtel in der Hand hinter einem altmodischen Tresen aus dunkler Eiche. Seine dichten weißen Haare waren ordentlich frisiert, auf seiner Nase saß eine Brille mit einem goldenen Drahtgestell, und er trug ein Tweedjackett, das in jedem Fall als altmodisch, wenn nicht sogar als Antiquität zu bezeichnen war. Sein Aussehen erschien ihr gleichzeitig vertraut und bemerkenswert, und eine Sekunde später wurde Hope auch klar, warum. Wäre sie gebeten worden, sich den Besitzer eines Trödelladens vorzustellen, hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit exakt den Mann vor sich gesehen, der sie mit fragendem Gesichtsausdruck anschaute.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, erkundigte er sich und stellte die Schachtel auf dem Tresen ab. »Suchen Sie nach etwas Bestimmtem? Oder möchten Sie sich einfach nur umsehen?«

Hope spürte, wie ihr Selbstbewusstsein zu bröckeln begann, jetzt da sie konkret mit der Sprache herausrücken musste. War die Vorstellung, tatsächlich hier zu arbeiten, nicht vollkommen verrückt?

»Ich denke, ich bin auf der Suche nach Mr. Young«, sagte sie langsam, während sie gegen den Drang ankämpfte, seine Vorlage zu nutzen und die nächsten zwanzig Minuten einfach ein wenig herumzustöbern.

»Da haben Sie Glück.« Mit einem Lächeln hielt er ihr die Hand hin. »Ich bin James Young, Eigentümer des Ever After Emporium. Herzlich willkommen!«

Zu spät, um einen Rückzieher zu machen, dachte Hope, als sie einen Schritt nach vorn trat, um seine ausgestreckte Hand zu ergreifen. »Hope Henderson. Es geht um die Anzeige im Schaufenster. Für die Teilzeitstelle.«

Falls er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Ja, natürlich. Möchten Sie mehr über die Stelle wissen?«

Sie nickte und spürte, wie ihre Unsicherheit langsam wich. Immerhin hatte er nicht laut angefangen zu lachen, das war ein Anfang. Allerdings standen die Chancen gut, dass er das nachholen würde, sobald sie ihm ihre nicht vorhandene Erfahrung im Handel mit Antiquitäten offenbarte.

»Ja, gerne.«

»Wie wäre es, wenn wir mit einem kleinen Rundgang anfangen? Dabei erzähle ich Ihnen alles, was Sie über den Job wissen müssen.« Er hob eine solide gearbeitete Klappe an, die in die Theke eingelassen war, und zog die darunter liegende geschnitzte kleine Holztür auf, um neben Hope zu treten.

Erst jetzt fiel Hope die dezente waldgrüne Weste auf, die er unter dem Tweedjackett trug, und der goldene Schimmer auf Hüfthöhe. Natürlich, dachte sie, natürlich hat er eine Taschenuhr, was auch sonst?

»Ein Rundgang klingt vielleicht ein wenig übertrieben, aber tatsächlich ist das Emporium größer, als es von außen wirkt«, fuhr Mr. Young fort und machte eine raumgreifende Geste, die vermutlich den gesamten Laden einschließen sollte. »Hinten gibt es einen weiteren Raum, in dem die Bücher stehen, eine kleine Küche und oben mehrere Lagerräume. Ich habe im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder versucht, die Stücke nach Epochen zu sortieren, aber unsere Kunden scheinen den Kraut-und-Rüben-Ansatz zu bevorzugen.«

Was die herrlich unpassende Zusammenstellung in den Schaufenstern erklärt, dachte Hope.

»Ich nehme an, dass die Leute nicht immer wissen, wonach genau sie eigentlich suchen – das Stöbern und Entdecken ist schließlich schon der halbe Spaß.«

Mr. Youngs Augen leuchteten auf. »Genauso ist es. Und abgesehen davon, hege ich manchmal die Vermutung, dass sich der Laden nachts zusätzlich selbst umräumt. Zumindest würde das das ein oder andere Mysterium erklären.« Er klang so sachlich, dass Hope nicht hätte sagen können, ob er einen Scherz gemacht hatte. Aber er ging nicht näher darauf ein. Stattdessen deutete er auf einen schmalen Gang, der parallel zu dem Schaufenster mit den Flamingos verlief. »Wir fangen hier an.«

Hope folgte ihm. Es fiel ihr immer noch schwer zu glauben, dass sie sich tatsächlich im Ever After Emporium befand. Im Laden war es angenehm kühl, eine willkommene Erleichterung an diesem warmen Aprilnachmittag, und erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie sich das Geschäft düster vorgestellt hatte, wie etwas aus einem Dickens-Roman. Dabei war genau das Gegenteil der Fall; durch die Schaufenster fiel natürliches Licht, das durch diskret in die Decke eingelassene Leuchten verstärkt wurde, wodurch der gesamte Laden in klares silbernes Licht getaucht war.

Ein exquisites Teeservice aus Knochenporzellan auf einem Beistelltisch zu ihrer Rechten erregte Hopes Aufmerksamkeit. Zarte gelbe und rosafarbene Rosen wanden sich an der Teekanne und den Tassen, verteilten sich über die Untertassen und Teller und rankten sich am Milchkännchen und der Zuckerdose. Sie stieß einen gleichzeitig bewundernden und entzückten Laut aus, als sie stehen blieb, um das Service genauer zu betrachten.

Mr. Young spähte ihr über die Schulter. »Wunderschön, nicht wahr? Es ist von Wedgwood. Das erkennt man an der Qualität – und, um jeden Zweifel auszuräumen, an der dreistelligen Zahl auf jedem Einzelstück. Dieses Service stammt aus dem Jahr 1934.«

Hope hatte gerade die Hand ausstrecken wollen, um eine der Teetassen anzuheben, und zog sie nun schnell zurück. Wenn sie etwas fallen ließ, wäre das Bewerbungsgespräch vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte, und sie müsste das gesamte Service kaufen – inklusive zerbrochener Tasse. Vermutlich war das auch der Grund dafür, dass sie den Laden als Kind nicht hatte betreten dürfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Erwachsene etwas kaputt machte, mochte geringer sein, aber sie entschied, dass es besser war, es nicht darauf ankommen zu lassen, und vergrub vorsorglich beide Hände in den Hosentaschen.

»Die beiden Stühle hier drüben sind von Charles Rennie Mackintosh«, fuhr Mr. Young fort. »Das Grammofon daneben funktioniert noch, aber es steht nicht zum Verkauf. Es gibt einige solcher Stücke hier, die nur zu Ausstellungszwecken gezeigt werden. Sie haben einen roten Punkt. Es kommen immer mal wieder Produktionsfirmen auf mich zu, die sich bestimmte Stücke ausleihen möchten, und das Grammofon ist besonders beliebt.«

Hope vergewisserte sich, dass sie sich in der Mitte des Ganges hielt, als sie ihm weiter durch den Laden folgte, aber ihr Blick huschte dabei nach links und rechts. Auf der einen Seite tickte eine glänzende Standuhr, deren Walnussgehäuse so glänzend poliert war, dass man sich darin spiegelte; für einen Moment war sie versucht, stehen zu bleiben und das sonnenbeschienene Schiff zu betrachten, das gemächlich über das elfenbeinfarbene Ziffernblatt segelte. Die Uhr erinnerte Hope an die von Robs Großmutter; sie hatte immer darauf bestanden, dass er sie erben sollte, wenn sie starb – ohne sich jemals vorstellen zu können, dass sie ihren Enkel überleben würde.

Hope schob die Erinnerung beiseite und zwang sich, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Der Laden war alles, was sie sich vorgestellt hatte, eine Fundgrube an Schätzen, und sie sehnte sich danach, die Gegenstände, an denen Mr. Young sie vorbeiführte, aus der Nähe zu bewundern. Sollte sie den Job nicht bekommen, würde sie mit Sicherheit wiederkommen, um zu stöbern. Möglicherweise täglich.

»Ich bräuchte jemanden für zwanzig Stunden die Woche, montags bis freitags und ab und zu am Wochenende, wenn jemand anderes ausfällt«, erläuterte Mr. Young. »Ich bin recht flexibel und nehme gerne Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen, sollten Sie welche haben.«

Er hielt inne, und Hope dachte an ihr viel zu ruhiges Apartment. »Keine Verpflichtungen«, erwiderte sie mit einem – wie sie hoffte – fröhlichen Lächeln.

»Der Job besteht in erster Linie aus Kundenberatung und Verkauf; dazu kommen Bestandsprüfung und Buchhaltung, wenn wenig los ist. Wir bieten einen großzügigen Jahresurlaub an, Ausbildung am Arbeitsplatz und ein konkurrenzfähiges Gehalt, außerdem gibt es Mitarbeiterrabatte.« Er ging ihr voraus durch eine schiefe Tür, hinter der ein quadratischer Raum lag, der in sanftes Licht getaucht war. »Hier bewahren wir die Bücher auf.«

Hope stockte der Atem. Es war die Art Raum, von der jeder Bücherliebhaber träumte. Regale mit Buchrücken in allen Farben und Größen erstreckten sich an den Wänden vom Boden bis zur Decke. Die Regale zu ihrer Linken waren in der oberen Hälfte verglast und einige Bücher dahinter in durchsichtige Einbände geschlagen. Hope vermutete, dass es sich dabei in erster Linie um wertvolle Erstausgaben handelte. Rechts fiel ihr Blick auf eine Leiter aus Mahagoniholz, die sich auf Rollen vor dem Regal hin- und herschieben ließ, um auch die obersten Regalböden erreichen zu können. Die Luft war schwer und still und gefüllt mit dem unverwechselbaren Geruch nach altem Papier, alter Tinte, alten Worten.

Hope atmete tief ein, sog den Duft in ihre Lungen und erlaubte sich ein zufriedenes Seufzen. Das Emporium hatte mehr Schätze zu bieten, als sie es sich jemals hätte träumen lassen.

»Lesen Sie?«, fragte Mr. Young, und Hope realisierte, dass ihm ihre Reaktion beim Betreten des Raumes vermutlich nicht entgangen war.

»Ja, sehr gerne und viel«, antwortete sie und ließ den Blick ein weiteres Mal über die Buchrücken wandern. »Alles.«

Er nickte. »Wir haben eine ganze Reihe Erstausgaben in ausgezeichnetem Zustand hier stehen, unter anderem ein wunderschönes Exemplar von Stolz und Vorurteil und eine praktisch unberührte Ausgabe von Bram Stokers Dracula.« Seine Augen blitzten vergnügt. »Außerdem ein paar weniger bekannte Klassiker. Sind Sie mit Die Geschichte des Teppichs in Großbritannien von C. E. C. Tattersall vertraut?«

Hope zögerte, abermals unsicher, ob er einen Scherz machte oder es ernst meinte. »Ähm … nicht wirklich.«

Mr. Young lachte. »Seien Sie froh. Aber man kann nie wissen, eines Tages kommt vielleicht ein Enthusiast für historische Teppiche hereinspaziert, und wir haben genau das, wonach er sucht.«

Hope trat einen Schritt näher an das nächste Regal heran und stellte sich vor, wie sie einen der abgewetzten Ledereinbände aufschlug, die vergilbten Seiten umblätterte und ihren charakteristischen Duft einatmete. Wäre sie dem Ever After Emporium nicht bereits verfallen gewesen, dann wäre es spätestens jetzt um sie geschehen. Auch wenn sie den leisen Verdacht hegte, dass am Ende des Monats kaum was von ihrem Gehalt übrig bleiben würde – Mitarbeiterrabatt hin oder her.

»Im ersten Stock befinden sich mehrere Lagerräume und das Büro, im zweiten wohne ich«, sagte Mr. Young, als sie den Raum mit den Büchern wieder verließen und in den hintersten Winkel des Ladens gingen, wo er neben einer geschnitzten Treppe aus dunklem Holz stehen blieb, die mit einem Schild versehen war, auf dem Zutritt nur für Mitarbeiter stand. »Aber Sie haben sicherlich auch noch Fragen. Was möchten Sie wissen?«

Hope dachte an ihre letzte Bewerbung, die inzwischen mindestens sieben Jahre zurücklag. Es hatte sich um eine gut bezahlte Position mit viel Verantwortung gehandelt, und der Bewerbungsprozess war dementsprechend langwierig und stressig gewesen. Sie war sich relativ sicher, dass für die Stelle im Emporium keine psychometrischen Tests durchgeführt werden würden, aber es wäre sicherlich hilfreich zu wissen, was genau sie erwartete.

»Wissen Sie schon, wann die Bewerbungsgespräche stattfinden?«

Mr. Young schüttelte den Kopf, was Hope automatisch darauf schließen ließ, dass er nicht mal in Erwägung zog, sie zu einem offiziellen Job-Interview einzuladen. Aber er überraschte sie. »Wir haben es hier nicht so mit den Formalitäten. Ich finde, dass es häufig viel aufschlussreicher ist, sich eine Weile nett zu unterhalten. So wie wir gerade.«

»Oh«, stieß Hope aus. »Tut mir leid, das war mir nicht klar.«

Mr. Young hob in einer entschuldigenden Geste die Hand. »Mein Fehler, das hätte ich von Anfang an besser kommunizieren müssen. Aber nachdem Sie sich nun umgesehen und eine ungefähre Vorstellung von der Stelle bekommen haben – sind Sie noch an dem Job interessiert?«

Wenn Hope an das filigrane Teeservice, die geschwungenen Stühle und nicht zuletzt an den Raum voller Bücher dachte, erfüllte das Emporium nicht nur all ihre Erwartungen, sondern übertraf sie sogar. Gleichzeitig war ihr bewusst, wie wenig sie über all diese Dinge wusste.

»Ja, allerdings …« Sie führte den Satz jedoch nicht weiter, überzeugt, dass sie damit nur ihrer beider Zeit vergeudete. »Hören Sie, ich möchte ganz ehrlich sein – als Kind bin ich Hunderte Male an Ihrem Laden vorbeigegangen. Ich habe es geliebt, in die Schaufenster zu schauen. Und als ich heute zufällig Ihre Stellenanzeige gesehen habe, hat mich das wieder daran erinnert. Aber ich muss zugeben, dass ich nichts über Antiquitäten weiß.«

Mr. Young musterte sie einen Augenblick. »Ich bin nicht zwingend auf der Suche nach jemandem, der sich mit dem Geschäft an sich auskennt. Ich wage einmal zu behaupten, dass ich auf dem Gebiet selbst einigermaßen versiert bin.«

Hope ließ hörbar den angehaltenen Atem entweichen. »Und Verkaufserfahrung habe ich auch keine.« Sie verzog unsicher das Gesicht. »Es tut mir leid, ich hätte nicht Ihre Zeit verschwenden dürfen.«

»Das haben Sie nicht«, erwiderte Mr. Young leichthin. »Ehrlich gesagt war ich nie jemand, der Menschen allein nach ihrem Lebenslauf und ihren Qualifikationen beurteilt hat, und es klingt ganz so, als hätte der Laden lange genug nach Ihnen gerufen. Sie waren sich dessen nur nie bewusst. Wie wäre es, wenn wir die Sache ein wenig anders angehen? Sie suchen sich ein Stück aus – welches immer Ihnen gefällt –, und dann erzählen Sie mir etwas darüber.«

Hope war irritiert. Hatte sie ihm nicht gerade gesagt, dass sie keine Ahnung von Antiquitäten hatte?

»Aber …«

Er schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. »Ich meine nicht den Hersteller oder die Herkunft oder so etwas. Schauen Sie sich einfach nach etwas um, das Sie anspricht, und erzählen Sie mir seine Geschichte. Die Geschichte, die Sie darin sehen.«

Sofort musste Hope an den Raum mit den Büchern denken, in dem Tausende Geschichten geduldig darauf warteten, erzählt zu werden. Aber ihr war klar, dass es geschummelt wäre, eines der Bücher auszusuchen; Mr. Young wünschte sich etwas, das von ihr kam, ein Produkt ihrer eigenen Fantasie. Das Problem war nur, dass ihr Gehirn von einem Moment auf den anderen vollkommen leer gefegt war.

Mr. Young wartete – Hope hatte das Gefühl, der ganze Laden wartete –, und das beständige Tick-Tack der Standuhr tönte unfassbar laut in der Stille, auch wenn ihr klopfendes Herz dem Geräusch eindeutig Konkurrenz zu machen versuchte.

Hope holte tief Luft und versuchte sich die Gegenstände in Erinnerung zu rufen, die ihr besonders aufgefallen waren. Das Wedgwood-Teeservice. Sie konnte sich vorstellen, dass es für den Nachmittagstee im Salon einer wohlhabenden Familie in den 1930er-Jahren … Hope runzelte die Stirn. Nein, keine wohlhabende Familie. Vielleicht eine, die über kein großes Vermögen verfügte, sondern sich das Teeservice vom Mund abgespart hatte und es nur zu ganz besonderen Gelegenheiten benutzte. Und dann war da das Grammofon. Sie meinte beinahe zu hören, wie es leise Musik bei einer Tanzveranstaltung in Kriegszeiten spielt, begleitet vom charakteristischen Kratzen und Knacken, mit dem die Nadel die Rille wechselt. Doch auch wenn sie sich genau vorstellen konnte, wie beide Gegenstände damals in Gebrauch waren, verriet ihr keines der Stücke mehr über sich – gar eine Geschichte, die sie erzählen konnte.

Hope spürte bereits, wie ihre Wangen vor Verlegenheit warm wurden, und wollte gerade den Kopf schütteln, als ihr Blick auf die Standuhr fiel. Rob hatte ihr einmal erzählt, dass er als Kind fest davon überzeugt gewesen war, die Uhr seiner Großmutter verfüge über eine geheime Tür, die in eine andere Welt führte.

»Wie der Kleiderschrank, durch den man nach Narnia gelangt«, hatte er mit einem amüsierten Kopfschütteln hinzugefügt. »Wahrscheinlich hatte ich damals gerade die Bücher gelesen.«

»Hast du sie jemals gefunden?«, hatte Hope gefragt und dafür ein Lächeln von ihm geerntet.

»Würdest du mir glauben, wenn ich Ja sage?«

Das war der Moment gewesen, in dem sie gewusst hatte, dass sie ihn liebte. Wirklich liebte. Und seine standhafte Weigerung, mit mehr Details herauszurücken, da er einen Schwur geleistet habe, das Geheimnis niemals preiszugeben, hatte sie nur noch mehr für ihn eingenommen. Als sie jetzt in diesem skurrilen, magischen Laden dem Ticken lauschte, glaubte sie nur zu gern, dass alle alten Standuhren eine Tür zu einer anderen Welt verbargen.

Da war die Geschichte, die sie erzählen konnte, obwohl sie bezweifelte, dass sie ihr gerecht werden würde.

Sie nahm sich einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen und ihrem wild klopfenden Herzschlag eine Möglichkeit zu geben, sich zu beruhigen, bevor sie begann. »Ich möchte Ihnen gerne eine Geschichte über die Standuhr erzählen.« Sie räusperte sich. »Sie wurde vor Jahrhunderten für einen Duke und eine Duchess gefertigt und stand viele Jahre im Flur eines großen Anwesens. Die Besitzer haben nie wirklich Notiz von ihr genommen – bis sie plötzlich verschwunden war. Und selbst dann fiel ihnen nur das Fehlen des Tickens der Uhr auf. Was schade war, denn die Uhr barg ein Geheimnis, das ihr Leben hätte verändern können.« Hope hielt inne und wagte einen Blick auf Mr. Young, der jedoch mit keiner Regung verriet, ob die Geschichte dem entsprach, was er erwartet hatte. Stattdessen senkte er nur das Kinn zu einem leichten Nicken, um ihr zu signalisieren, dass sie fortfahren solle. »Die Uhr ging in den Besitz eines Internats über, wo sie ebenfalls viele Jahre stand und den Schülerinnen und Schülern zusah, die auf dem Weg zu ihren Klassen an ihr vorbeistürmten. Bis zu jenem Tag, an dem ein Kind stehen blieb und die Uhr genauer betrachtete. Am selben Abend um Mitternacht, als alle anderen lange schliefen, schlich der Junge die Treppe hinunter und hob den Haken an der Seite der Tür.« Als Hope dieses Mal zu Mr. Young sah, meinte sie einen Funken Interesse in seiner Miene aufblitzen zu sehen. »Im Inneren der Standuhr fand der Junge eine weitere Tür – eine Tür, die in eine Welt voller Abenteuer und Zauber führte.« Sie zögerte einen Moment und schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »Und als seine Zeit gekommen war, viel früher, als es irgendjemand hätte erwarten können, tat er seinen letzten Atemzug ohne Traurigkeit und Klagen in dem Wissen, dass er tausend Leben auf der ganzen Welt durch jene Uhr gelebt hatte.«

Hopes Worte schienen eine ganze Ewigkeit zwischen ihnen in der Luft zu hängen, während Mr. Young sie aufmerksam ansah.

»Wundervoll«, sagte er schließlich mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen. »Einfach wundervoll. Wann können Sie anfangen?«

Kapitel Zwei

Ein Monat später

Es regnete seit drei Tagen. Hope beobachtete, wie wahre Sturzbäche von der Markise über dem Blumenladen gegenüber dem Ever After Emporium herabstürzten, und seufzte. Der Ouse River war voller als sonst zu dieser Jahreszeit, und der Pegel des Foss schien ebenfalls gestiegen zu sein. Wenn es nicht bald aufhörte zu schütten, würde sie den verblichenen orange-weißen Rettungsring, der gegenüber der Theke an einer ramponierten Schiffskiste lehnte, vielleicht tatsächlich brauchen. Eventuell müssten sie sogar die Arche Noah aus dem Schaufenster holen.

Die High Petergate war ungewöhnlich leer, aber Hope wusste, dass sich die Horden an Mai-Touristen selten lange abschrecken ließen. Gelegentlich spritzte ein Auto durch die Pfützen, und die Fußgänger, die der Sintflut trotzten, eilten mit unter Regenschirmen versteckten oder in Kapuzen gehüllten Köpfen vorbei. Niemand blieb stehen, um einen Blick in die Schaufenster des Trödelladens zu werfen geschweige denn hereinzukommen. Es war der ruhigste Donnerstagvormittag, den Hope erlebte, seit sie vor drei Wochen ihren Job im Emporium angefangen hatte, und langsam fragte sie sich, ob sie bis zum Mittag auch nur einen einzigen Kunden zu Gesicht bekommen würde. Was allerdings wiederum bedeutete, dass sie Gelegenheit haben würde, sich das Buch über Möbel aus Viktorianischer Zeit anzusehen, das ihr Mr. Young gegeben hatte; doch auch wenn sie durchaus gewillt war, mehr über die Stücke zu erfahren, die sie im Laden hatten, war es nicht gerade die fesselndste Lektüre, die sie jemals in der Hand gehalten hatte.

Draußen hörte sie die Glocken des Münsters schlagen, begleitet vom schwachen Ruf der Kuckucksuhr, die weiter hinten im Laden an der Wand hing. Viertel nach elf.

Hope streckte sich und steckte ein Lesezeichen zwischen die Seiten, während sie überlegte, sich einen Tee zu machen. Mr. Young war zusammen mit einem Schreiner aus der Gegend in den Lagerräumen im ersten Stock mit der Restaurierung einiger Möbelstücke beschäftigt, aber sie wollte ihn nicht stören. Bestimmt war es kein Problem, wenn sie den Tresen kurz verließ, um in die winzige Küche zu gehen, die sich unterhalb der geschwungenen Treppe im hinteren Teil des Ladens verbarg.

Kaum dass sie den Wasserkocher angestellt hatte, hörte Hope die Glocke über der Ladentür bimmeln. Mit einem ungläubigen Schnauben ließ sie den Teebeutel, den sie gerade aus der Schachtel genommen hatte, in den Becher fallen und eilte zurück nach vorne.

Ein Mann stand in der Tür. Von seinem Regenschirm tropfte es auf die Fußmatte. Neben ihm ein etwa vier- oder fünfjähriges blondes Mädchen in einem leuchtend gelben Regenmantel und passenden Gummistiefeln.

»Guten Morgen«, begrüßte Hope die beiden mit einem Lächeln. »Da in der Ecke steht ein Schirmständer, falls Sie ihn benutzen möchten.«

Der Mann blickte hoch, als sie auf die beiden zukam, aber das Kind hatte die Augen fest auf seine Füße gerichtet. »Danke«, sagte er. »Auch wenn das bedeutet, dass ich ihn beim Rausgehen auf jeden Fall vergessen werde.«

Hope beobachtete, wie er den zusammengeklappten Schirm in den Ständer schob. »Keine Angst, ich werde Sie dran erinnern. Sind Sie auf der Suche nach etwas Bestimmtem, oder möchten Sie sich einfach ein wenig umsehen?«

Der Blick des Mannes zuckte kurz zu dem kleinen Mädchen, während er seine nassen Hände an der Hose abrieb. »Brodie war ganz fasziniert von dem Schaukelpferd im Schaufenster. Und den Flamingos.«

Hopes Lächeln wurde breiter. »Verstehe, die Flamingos mag ich auch am liebsten«, sagte sie und versuchte, dabei den Blick des Mädchens aufzufangen. »Möchtest du dir die Sachen genauer ansehen?«

Doch Brodie sah weder auf noch antwortete sie. Stattdessen drehte sie einen gelben Gummistiefelfuß nach innen, um damit über den anderen zu reiben.

»Ich glaube, das würde sie sehr gerne«, antwortete der Mann an ihrer Stelle und trat von der Tür weg ein paar Schritte in den Gang, der tiefer in den Laden hineinführte. »Vielen Dank.«

»Ich hoffe, die Flamingos benehmen sich«, sagte Hope ernst. »Als ich sie das letzte Mal jemandem vorgestellt habe, haben sie ein Riesentheater veranstaltet.«

Diesmal bekam sie eine Reaktion – allerdings eine andere, als sie erwartet hatte. Statt zu lachen, vergrub Brodie das Gesicht am Hosenbein ihres Vaters.

Der lächelte Hope entschuldigend an. »Ich fürchte, sie versteht die Dinge oft ein wenig zu wörtlich.« Er ging in die Hocke und wandte sich mit beruhigender Stimme an seine Tochter. »Schon okay, Schatz, die Frau hat nur einen Spaß gemacht. Die Flamingos tun dir nichts.«

Hope schüttelte erschrocken den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Es war ganz dumm von mir, so was zu sagen, bitte entschuldige.«

Das Mädchen reagierte nicht, aber ein verräterisches Zucken ihrer schmalen Schultern verriet Hope, dass sie jede Sekunde in Tränen ausbrechen würde. Augenblicklich spürte Hope, wie sie vor Verlegenheit rot wurde.

»Es tut mir wirklich leid«, begann sie, als der Mann sich aufrichtete und umsah.

Sein Blick blieb an einem schmalen nordafrikanischen Rätselkästchen hängen, das neben der antiken Ladenkasse auf der Verkaufstheke stand. »Schau mal, Brodie, ein Geheimnishüter. Genauso einer, wie Grandma ihn hat.« Er warf Hope einen fragenden Blick zu, als wollte er sich versichern, dass er die kleine Holzkiste in die Hand nehmen dürfe.

Hope zögerte. Die kleine Box aus poliertem Zedernholz war einer der Gegenstände, die nicht zum Verkauf standen – Mr. Young hatte ihr zu Beginn eine Liste gegeben und sie daran erinnert, dass ein roter Punkt »Nicht zu verkaufen« bedeutete. Aber es sprach sicher nichts dagegen, dass Brodie sie sich ansah, oder? Vor allem, da sich die Box nicht öffnen ließ. Kleine Fingerabdrücke ließen sich wegpolieren, und was sollte ansonsten schon groß passieren?

»Na los, schau sie dir an«, sagte Hope an das Mädchen gewandt.

Brodies Miene veränderte sich in dem Moment, in dem ihr Vater ihr das Kästchen hinhielt. Sie ließ sein Bein los, nahm die mit Schnitzereien verzierte Holzkiste in die kleinen Hände und neigte sie hin und her. Ein leises Rasseln im Inneren erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie hob die Schachtel an ihr Ohr und schüttelte sie sanft. Einen Moment später saß sie mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und begann, die geschnitzte Zedernholzoberfläche mit geschickten Fingern zu untersuchen.

Da eine Katastrophe vorerst abgewendet schien, entspannte sich der Mann sichtlich und wandte sich Hope zu, um sie neugierig zu mustern. »Sie sind neu hier, oder?«

Hope nickte. »Ja, ich habe vor ein paar Wochen angefangen. Hören Sie, es tut mir wirklich leid, dass ich Ihrer Tochter Angst gemacht habe. Ich wollte nur nett sein.«

Als ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht huschte, zuckte Hope innerlich zusammen. Hatte sie sich etwa einen weiteren Fauxpas geleistet? Doch dann warf er einen kurze Blick auf das Mädchen hinunter, das konzentriert das Kästchen untersuchte, und schenkte Hope ein schmales Lächeln. »Nichts passiert. Brodie ist … man würde wohl sagen sensibel.« Er hielt ihr die Hand hin. »Ich bin übrigens Will Silverwood. Der Besitzer von Silverwood’s Jewellery drüben in der Shambles.«

Etwas an seinem Tonfall ließ Hope erahnen, dass mehr hinter Brodies Reaktion steckte als bloße Sensibilität, und für eine Sekunde war sie versucht nachzuhaken, aber es ging sie nichts an. Stattdessen nahm sie seine Hand und schüttelte sie. »Hope Henderson. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Seine Finger waren noch immer kalt vom Regen, und seine Haut fühlte sich ganz leicht rau an. Doch es war vor allem sein Lächeln, das sie fesselte – es war so warm, dass es sich so anfühlte, wie wenn man an einem eisigen Tag in ein behaglich geheiztes Haus kam. Es gefiel ihr, wie sich dabei feine Fältchen in seinen Augenwinkeln zeigten, als wäre sie eine alte Freundin, die er nach Jahren wiedersah. Und seine Augen selbst waren ebenfalls sehr hübsch anzusehen, entschied sie, haselnussbraun, umrahmt von dichten Wimpern. Außerdem hatte er tolle Haare, goldbraun und nur ganz leicht gelockt, auch wenn sie ihm beinahe bis auf den Kragen fielen und eindeutig einen Schnitt gebrauchen konnten.

Will räusperte sich, ein sanfter, kaum wahrzunehmender Laut, der Hope in die Realität zurückkatapultierte. Entsetzt wurde ihr klar, dass sie ihn viel zu lange mit vermutlich träumerischem Blick angestarrt hatte. Und noch schlimmer: sie hielt nach wie vor seine Hand fest.

»Entschuldigung«, murmelte sie und ließ sie so schnell los, als hätte sie sich daran verbrannt. »Das war keine Absicht … Ich … Es … tut mir leid.«

»Kein Grund, sich zu entschuldigen«, sagte er, und die Fältchen um seine Augenwinkel vertieften sich. »Man hat mir auch schon oft vorgeworfen, dass ich während Unterhaltungen tagträume. Ich behaupte immer, das sei Ausdruck meines kreativen Geistes.«

Worte, bei denen Hope abermals zusammenzuckte, denn sie hatte keinen Tagträumen nachgehangen, sondern … Ja, was genau hatte sie eigentlich getan? Vielleicht nicht gerade lüstern gestarrt, dachte sie mit einem verlegenen Schaudern, aber definitiv bewundernd. Und das würde sie auf keinen Fall einem Menschen gestehen, der für sie ein Fremder war – und noch dazu ein Kunde.

»Ha, ha«, erwiderte sie lahm. »Das muss ich mir als Argument fürs nächste Mal merken, wenn ich mal wieder … äh … abdrifte.«

»Ist auf jeden Fall eine sehr hilfreiche Erklärung«, stimmte er zu. »Also, wie sind Sie im Emporium gelandet? Arbeiten Sie schon lange mit Antiquitäten?«

In der Hoffnung nach außen weniger aufgeregt zu wirken, als sie sich innerlich fühlte, überlegte Hope, wie sie seine Frage am besten beantworten sollte. Zuzugeben, dass sie sich aus einer spontanen Laune heraus für den Job beworben hatte, würde sie noch zerstreuter dastehen lassen als ohnehin schon, und außerdem wäre es eine ziemlich unprofessionelle Antwort.

»Ich habe mich immer für alte Dinge interessiert«, wählte sie ihre Worte vorsichtig. »Und wer könnte der Versuchung widerstehen, jeden Tag an einem Ort wie diesem hier zu verbringen?«

»Ich nicht. Und Brodie auch nicht.«

Sie sahen beide auf das Mädchen hinunter, das sich nach wie vor vollkommen konzentriert mit der Holzbox beschäftigte.

»Ich fürchte, das Kästchen steht nicht zum Verkauf«, sagte Hope bedauernd. »Es ist ein richtiges Rätsel – bisher hat niemand geschafft herauszufinden, wie man es öffnet.«

Will nickte. »Meine Mutter hat auch so eine. Ich erinnere mich, dass ich Stunden damit verbracht habe rauszufinden, wie man sie öffnet, bis ich irgendwann so weit war, einen Hammer zu benutzen. Aber dann hat mich mein Bruder in das Geheimnis eingeweiht.«

»Und, worin bestand es?«

»Aus einigen wenigen unmöglich zu entdeckenden beweglichen Holzteilen und einem geschickt verborgenen kleinen Innenfach. Aber jedes der Kästchen ist individuell gefertigt und auf unterschiedliche Weise zu öffnen. Immerhin wären es auch ziemlich schlechte Geheimnishüter, wenn sie alle auf die gleiche Art funktionieren würden.«

Hope lächelte und spürte, wie sich ihre Verlegenheit endgültig in Luft auflöste. »Das Exemplar hier scheint es auf jeden Fall darauf anzulegen, sein Geheimnis für alle Ewigkeit zu bewahren. Ich glaube nicht, dass Mr. Young sonderlich begeistert wäre, wenn wir dem Kästchen mit einem Hammer zu Leibe rücken.«

Will lachte, und Hope entschied, dass ihr sein Lachen ebenfalls gefiel.

Einen Moment lang standen sie sich gegenüber und lächelten sich an, bis die Glocke über der Tür erneut erklang und eine große Frau mit Kapuze, die ihr bis über die Augen reichte, hereinkam. »Meine Güte! Hope, hört das jemals wieder auf zu regnen?« Sie blieb stehen, schüttelte die Kapuze vom Kopf, worunter eine Mähne aus dunklem glänzendem Haar zum Vorschein kam, und sah sich um. »Ups, ich habe gar nicht gesehen, dass du einen Kunden hast«, sagte sie, und beinahe gleichzeitig hellte sich ihre Miene auf. »Ach so, du bist es, Will. Dann muss ich mir wegen meiner Manieren doch keine Gedanken machen.«

Hope musste sich ein Grinsen verkneifen; sie hatte Iris an ihrem zweiten Arbeitstag im Ever After Emporium kennengelernt, als die Floristin über die Straße gerannt gekommen war, um sich eine Art-déco-Vase für die Schaufenstergestaltung ihres Blumenladens Blooming Dales auszuleihen. Diese erste stürmische Begegnung hatte bei Hope von Anfang an den Eindruck hinterlassen, dass Iris niemand war, die mit allgemein akzeptierten Umgangsformen sonderlich viel anfangen konnte. Sie war direkt und forsch, trug scharlachroten Lippenstift und einen geschwungenen Eyeliner-Strich, als würde sie jeden Morgen so aufwachen, und sie hatte dieses unzähmbare Lächeln, das jeden Moment in Gelächter umschlagen konnte. Hope hatte sie sofort gemocht; und sie war sich ziemlich sicher, dass sie mit Iris auf dem besten Weg war, ihre erste neue Freundin in York zu finden. Dass die Floristin Will kannte, wunderte Hope nicht wirklich – in den wenigen Wochen, seit sie hier lebte, hatte sie den Eindruck gewonnen, dass innerhalb der alten Mauern, die das Herz der Stadt umgaben, ein echtes Gemeinschaftsgefühl unter den Bewohnern herrschte. Vermutlich gab es eine Art Verband lokaler Geschäftsinhaber, in der die glamouröse Floristin gleichermaßen Aufsehen erregte wie Herzen eroberte.

»Aber ich bin nicht allein«, sagte Will und trat einen Schritt beiseite, sodass Iris seine Tochter sehen konnte, die zu seinen Füßen auf dem Boden saß.

»Oh«, sagte Iris leise und kam ein Stück näher. »Ist das Brodie?«

»Ja«, antwortete er. »Manieren sind also nach wie vor angebracht.«

Nicht dass Brodie den Erwachsenen auch nur das kleinste bisschen Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Sie drückte und zog noch immer an dem Kästchen, drehte es in ihren kleinen Händen hin und her, so konzentriert, dass Hope das Gefühl hatte, den Ehrgeiz des Mädchens, das Rätsel lösen zu wollen, regelrecht spüren zu können. War es möglich, dass ausgerechnet ein Kind dem Geheimnis des Kistchens auf die Spur kommen würde? Hope musste an ihre Neffen und ihre wilde, ausgelassene Art zu spielen denken; sie hätten die Rätselbox vermutlich innerhalb von Sekunden für den nächsten Fußball links liegen lassen. Brodie war ganz anders als sie – ihre gesamte Konzentration war auf diese eine Sache gerichtet, als befände sie sich in ihrer eignen kleinen Welt. Es war erstaunlich.

»Wie kommt sie zurecht?«, erkundigte sich Iris mit leiser Stimme. »Beziehungsweise: Wie kommst du zurecht?«

Will hob die Mundwinkel, doch diesmal erreichte sein Lächeln nicht die Augen. »Na ja, du weißt schon … Wir gehen einen Tag nach dem anderen an.«

Um nicht Gefahr zu laufen, wieder zu starren, ließ Hope den Blick durch den Laden wandern, während sie überlegte, worum es in der Unterhaltung der beiden gehen könnte. In Iris’ Ton lag Mitgefühl, und Will klang traurig. Hope war auch nicht entgangen, wie unbestimmt seine Antwort gewesen war; es erinnerte sie an ihre Versuche, höflich auf gut gemeinte Nachfragen nach Robs Tod zu reagieren. Vielleicht hatte Will eine Scheidung hinter sich. Das würde auf jeden Fall die Art erklären, auf die Iris Will ansah – als ob er jeden Moment zusammenbrechen könnte. Ebenfalls ein Gesichtsausdruck, mit dem Hope nur allzu vertraut war. Gott sei Dank nicht von Iris oder anderen Leuten aus York, einmal abgesehen von ihrer Familie. Sie hatte Iris verraten, dass sie Single war, als diese sich erkundigt hatte, was ihr Partner beruflich mache, und das Gespräch dann schnell auf ein anderes Thema gelenkt. Ein weiterer Bewältigungsmechanismus.

»Wie läuft der Laden?«, erkundigte sich Will und warf einen Blick durch das regennasse Schaufenster zu Blooming Dales hinüber. »Ich nehme mal an, die Blumen haben nichts am Wetter auszusetzen.«

»Die vielleicht nicht, aber ich.« Iris krauste die Nase. »Diese Woche hatten wir kaum Laufkundschaft. Umso besser, dass wir im Moment so viele Aufträge für Hochzeiten haben.«

Will sah wieder auf seine Tochter hinunter. »Deine Schaufenster sehen immer unglaublich toll aus. Vielleicht kommen wir später vorbei und kaufen uns einen Strauß für zu Hause als Erinnerung daran, dass beinahe Sommer ist.«

»Ich könnte euch den Strauß auch liefern, wenn du möchtest, dann musst du ihn nicht durch den Regen tragen. Hast du eine Lieblingsblume, Brodie?«

Die Frage schien die Aufmerksamkeit des kleinen Mädchens zu erregen. Sie hob den blonden Kopf, um Iris einen Moment lang zu mustern, bevor sie zum Fenster rübersah.

Hope glaubte zu verstehen, was ihnen Brodie damit sagen wollte. »Rosafarbene Blumen, wie die Flamingos?«

Brodie nickte zaghaft.

»Flamingopink«, wiederholte Iris. »Sehr schön. Ich glaube, dann nehmen wir Gerbera, Rosen und vielleicht ein paar Inkalilien. Hochgewachsen und elegant, genau wie die Vögel hier.«

Ein hilfloser Ausdruck trat auf Wills Gesicht. »Elegant allerdings nur dann, wenn ich sie nicht selbst arrangieren muss. Lieferst du gebundene Sträuße?«

»Ich kümmere mich um alles«, sagte Iris mit einem verschwörerischen Zwinkern in Brodies Richtung. »Du musst die Blumen nur noch ins Wasser stellen.«

»Das bekomme ich hin«, sagte Will. »Natürlich nur mit Brodies Hilfe.«

»Prima. Was haltet ihr davon, wenn ich die Blumen Samstagmorgen vorbeibringe? Gib mir später einfach kurz deine Adresse durch.«

»Klingt nach einem perfekten Start ins Wochenende«, sagte Will. »Danke, Iris. Das ist sehr nett von dir.«

Iris winkte ab. »Kein Problem. Ich liefere im gesamten Stadtgebiet aus – meinem Fahrrad sei Dank.«

Hope blinzelte überrascht, während sie sich das Ganze vorzustellen versuchte. »Du lieferst mit dem Rad aus? Wie?«

»Klar.« Iris grinste. »Wir sind schließlich sehr umweltbewusst. Ich hab einen ganz leichten Anhänger. Der wird beladen, und dann kann’s auch schon losgehen.«

»Bei jedem Wetter?«, fragte Hope ungläubig und mit einem skeptischen Blick auf die nasse Straße.

»Wir Yorkshire-Frauen sind hart im Nehmen. Und pragmatisch. Ich hab außerdem noch einen schnuckeligen kleinen Transporter, den ich nehme, wenn das Wetter gar nicht mitspielt.«

Hope wollte gerade anmerken, dass sie ebenfalls eine Frau aus Yorkshire war, auch wenn sich ihr Akzent durch die Jahre in London beinahe ganz verloren hatte, doch im selben Moment sprang Brodie plötzlich auf und drückte Will das Rätselkästchen in die Hand.

Will warf einen Blick auf die Uhr. »Du hast recht, wir sollten langsam mal übers Mittagessen nachdenken.« Er gab Hope die Holzbox zurück. »Danke, dass sie damit spielen durfte.«

»Wie schade, dass sie das Rätsel nicht gelöst hat«, sagte Hope. »Mr. Young wäre begeistert gewesen.«

Als Will lächelte, erschienen wieder die feinen Fältchen um seine Augen. »Wir kommen wieder, da bin ich mir sicher.«

»Okay, dann vielleicht beim nächsten Mal. Und mit den Flamingos habe ich bis dahin auch ein ernstes Wörtchen gesprochen.«

Erst nachdem Will und Brodie – inklusive Regenschirm – den Laden verlassen hatten, realisierte Hope, was sie unterbewusst beschäftigt hatte. Das kleine Mädchen hatte die ganze Zeit über keinen einzigen Laut von sich gegeben.

Als sie Iris danach fragte, blähte diese die Wangen und ließ langsam die Luft entweichen. »Sie spricht tatsächlich nicht. Seit dem Unfall nicht mehr.«

Hope spürte eisige Kälte in sich aufsteigen. Vielleicht hatte Will gar keine Scheidung hinter sich. Vielleicht war die Realität noch sehr viel schrecklicher.

»Der Unfall«, wiederholte sie langsam.

»Ein Autounfall. Im Februar, auf der A64. Vielleicht erinnerst du dich; die Straße war beinahe den ganzen Tag lang gesperrt.«

Hope schluckte, auf einmal war ihr Mund ganz trocken. »Da hab ich noch nicht in York gewohnt.«

Die Floristin seufzte. »Es war schrecklich. Einer dieser furchtbaren Unfälle, an denen keiner wirklich die Schuld zu tragen scheint. Ein kurzer Blick auf das Auto hat gereicht, um zu erkennen, dass niemand darin überlebt haben kann.«

Hope schlug eine Hand vor den Mund, als Iris ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte. »Oh nein.«

»Brodie war am Boden zerstört, natürlich war sie das. Will gibt sich die größte Mühe, dennoch braucht es Zeit, nicht wahr? Kinder sind zäh, aber so eine Lücke kann man nicht füllen.«

Vor allem dann nicht, wenn er selbst mit dem Verlust und der Trauer um seine Frau zu kämpfen hatte, dachte Hope mitfühlend. Es war ein Wunder, dass er überhaupt so gut zurechtzukommen schien; nach Robs Tod war sie selbst zu nichts in der Lage gewesen.

»Arme Brodie«, fuhr Iris mit einem traurigen Kopfschütteln fort.

»Und armer Will«, fügte Hope hinzu. »Er trauert schließlich auch selbst.«

Eine schmale Falte erschien auf Iris’ Stirn. »Ja, natürlich. Einen Bruder zu verlieren, ist fruchtbar. Aber Brodie ist jetzt Vollwaise. Es wundert mich ehrlich gesagt nicht, dass sie sich komplett in sich selbst zurückgezogen hat.«

Die Worte schlugen über Hope zusammen wie eine Welle. Hatte Iris gerade gesagt, dass Brodie beide Elternteile verloren hatte?

»Aber ich dachte … Dann ist er gar nicht …«

Iris starrte sie einen Moment lang an, dann schlug sie sich mit einer Hand an die Stirn. »Oh Mann, wie dumm von mir! Du bist natürlich davon ausgegangen, dass Will Brodies Vater ist.«

Verwirrt versuchte Hope, sich einen Reim aus Iris’ Bemerkung zu machen. »Dann ist er also ihr … Onkel?«

»Und damit ihr nächster lebender Verwandter«, bestätigte Iris. »Oder zumindest der einzige Verwandte, der in der Lage ist, sich um eine Vierjährige zu kümmern. Ich glaube, seine Mutter ist an Demenz erkrankt und lebt in einem Pflegeheim. Außerdem ist Will Brodies Pate. Es war von Anfang an klar, dass sie nirgendwo anders leben würde.«

Zum Beispiel in einem Heim, dachte Hope, oder bei Verwandten oder Bekannten, die ihr vollkommen fremd wären.

Sie spürte, wie sie von einer weiteren Welle des Mitleids erfasst wurde. »Das arme Mädchen.«

»Ja. Und für Will ist es natürlich auch nicht leicht. Er hat niemanden, der ihm helfen könnte. Stell dir mal vor: über Nacht vom Junggesellen zum Pflegevater.«

Während man mit seiner eigenen Trauer zu kämpfen hat, fügte Hope in Gedanken hinzu. Obwohl sie sich vorstellen konnte, dass es vielleicht half, wenn es jemanden gab, um den man sich kümmern musste; wie viele Leute hatten ihr vorgeschlagen, sich einen Hund oder eine Katze anzuschaffen, nachdem Rob gestorben war? Aber ihr schlechtes Gewissen gegenüber dem Tier wäre zu groß, wenn sie den ganzen Tag nicht zu Hause war. Und ein Kind war noch mal eine ganz andere Hausnummer. Das Gefühl der Verantwortung musste erdrückend sein.

»Er mag dich, das war ihm anzumerken«, fügte Iris mit einem Grinsen auf den leuchtend roten Lippen hinzu. »Du bist Single, genau wie er, und außerdem neu in der Stadt.«

Auf einmal fühlten sich Hopes Wangen viel zu warm an. »Was? Das stimmt doch gar nicht. Ich meine, ja, ich bin Single und neu hier, aber er hat gar nicht … Er …« Sie brach ab, als sie Iris’ ungläubigen Gesichtsausdruck bemerkte.

»Im Ernst, die Spannung zwischen euch war so eindeutig, dass die Luft geflimmert hat.«

»Aber«, wehrte Hope irritiert ab, während sie sich die Situation in Erinnerung rief, als Iris hereingekommen war, »da war keine Spannung zwischen uns. Wir haben nur über das Holzkästchen gesprochen.«

»Für mich sah das nach mehr aus. Erstens mal habt ihr beide gelächelt.« Iris wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. »Und ich meine, richtig gelächelt. Breit.«

Okay, das konnte sie nicht abstreiten, dachte Hope, während sie dem Bedürfnis widerstand, sich mit einer Hand Luft zuzufächern, um ihre heißen Wangen abzukühlen. »Ja, vielleicht, allerdings auf streng professioneller Ebene. Immerhin ist er ein Kunde.«

Iris nickte. »Ja, klar. Aber eins sage ich dir: Ich erkenne es, wenn zwischen zwei Menschen die Chemie stimmt.« Sie hielt einen Moment inne, um Hope anzugrinsen. »Auf streng erotischer Ebene.«

Vor Verlegenheit wäre Hope am liebsten unter den nächsten Esstischstuhl aus der Edwardianischen Zeit gekrabbelt. Iris war nicht auf den Kopf gefallen, natürlich war ihr nicht entgangen, wie sie Will angesehen hatte. Vermutlich hätte ihr genauso gut ein riesiges Herz-Emoji über dem Kopf schweben können.

»Ich bin mir sicher, dass er im Moment genug andere Dinge zu tun hat«, sagte sie und verfluchte innerlich ihren steifen Ton. »Und ich bin gerade auch nicht auf der Suche nach einer Beziehung.«

Sofort erschien ein zerknirschter Ausdruck auf Iris’ Gesicht. »Tut mir leid, ich hab übertrieben und falsche Schlüsse gezogen. Eine meiner Schwächen, entschuldige.«

Hope holte tief Luft und zwang sich, den Atem langsam entweichen zu lassen, bis sich ihre Wangen nicht mehr ganz so heiß anfühlten. »Kein Problem. Ist ja nichts passiert.«

»Gut.« Iris bedachte Hope mit einem spekulativen Blick. »Du bist vielleicht nicht auf der Suche nach einer Beziehung, aber wärst du grundsätzlich für neue Leute zu haben?«

»Ja«, sagte Hope vorsichtig.

Iris strahlte sie an. »Großartig! Gehst du gerne tanzen?«

Kapitel Drei

Unsicher zupfte Hope an dem geliehenen Stoffgürtel um ihre Taille. Als die flachen Münzen, die daran befestigt waren, klimperten, kam sie sich noch seltsamer vor. Auch wenn das Geräusch im Lachen und den Gesprächen der Tänzerinnen um sie herum beinahe ganz unterging. Als Iris ihr vorgeschlagen hatte, zusammen zum Tanzen zu gehen, hatte sie automatisch angenommen, es würde sich um einen Zumba-Kurs oder etwas Ähnliches handeln. Sie war sich nicht sicher, ob sie so schnell zugestimmt hätte, wenn ihr klar gewesen wäre, dass es sich um eine Bauchtanzgruppe handelte.

»Ich glaube, ich kann das nicht«, raunte sie Iris zu und sah sich nervös unter den anderen Teilnehmerinnen um. »Ich bin nicht besonders … gelenkig.«

Iris schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Das musst du auch nicht sein. Das Schöne am Bauchtanz ist, dass er sanft und progressiv ist. Du kannst dich also ganz einfach von deinem Körper leiten lassen. Und Fleur ist eine tolle Lehrerin. Das wird super.«

Ihre Lehrerin sah definitiv toll aus, dachte Hope mit einem neidischen Blick zur anderen Seite des Tanzstudios. In dem neongelben Yoga-Top und der himmelblauen Leggings war Fleur sozusagen der Inbegriff einer Tänzerin. Das schmale Oberteil offenbarte einen breiten Streifen glatte goldene Haut, und ihre langen dunklen Haare fielen fast bis auf den Saum des bestickten breiten Bandes, das tief auf ihren Hüften saß.

Mit einem Seufzen löste Hope den Knoten ihres eigenen Gürtels und schob ihn ein Stück nach unten, bis er an derselben Stelle saß wie bei Fleur. Beim Anblick der Bauchtanzlehrerin kam Hope unwillkürlich das Wort geschmeidig in den Sinn – und sie war sich ziemlich sicher, dass sie selbst niemand mit diesem Adjektiv in Verbindung bringen würde.