Bianca Exklusiv Band 334 - Sherryl Woods - E-Book

Bianca Exklusiv Band 334 E-Book

SHERRYL WOODS

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Beschreibung

LIEBE IST MEHR ALS EIN WORT von Sherryl Woods
Unter den Trümmern ihres Hauses begraben, das ein mächtiger Hurrikan zerstört hat, glaubt Allie, verloren zu sein. Da dringt der Katastrophenspezialist Ricky zu ihr vor, und als sie zum ersten Mal in die dunklen Augen ihres Retters blickt, weiß sie: Er ist der Mann, auf den sie nicht nur jetzt, sondern ihr ganzes Leben lang gewartet hat ...

DIE LIEBE WAGT ALLES von LILIAN DARCY
Mit ihrem Job und der Sorge um ihre Geschwister hat Carmen genug Aufregung in ihrem Leben. Da bleibt kein Platz für eine neue Liebe. Auch nicht für einen Traummann wie Jack Davey - denn der ist nicht nur breitschultrig und stark, sondern auch ein echter Draufgänger …

PLAN B WIE BABY von JEN SAFREY
Die kühle Geschäftsfrau Molly ist schwanger. Doch ihr wichtigster Kunde schätzt alleinstehende Mütter gar nicht. Zum Glück ist ihr Jugendfreund Adam zur Stelle, um den liebevollen Ehemann zu spielen. Dass aus der Vernunftehe mehr wird, gehörte allerdings nicht zum Plan!

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Seitenzahl: 604

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Sherryl Woods, Lilian Darcy, Jen Safrey

BIANCA EXKLUSIV BAND 334

IMPRESSUM

BIANCA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Erste Neuauflage in der Reihe BIANCA EXKLUSIVBand 334 - 2021 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2001 by Sherryl Woods Originaltitel: „A Love Beyond Words“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Cecilia Scheller Deutsche Erstausgabe 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BIANCA, Band 1295

© 2008 by Lilian Darcy Originaltitel: „A Mother in the Making“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Maria Poets Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BIANCA, Band 1680

© 2006 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „A Little Change of Plans“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Xinia Picado Maagh-Katzwinkel Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BIANCA, Band 1877

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751501125

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Liebe ist mehr als ein Wort

1. KAPITEL

Hilfe! Helfen Sie mir! Bitte!

Die Worte hallten in Allisons Kopf wider, aber sie wusste nicht, ob sie die Worte wirklich gerufen hatte.

Um sie herum war es unheimlich still. Still war es jedoch ohnehin schon lange in ihr gewesen, bevor Hurrikan Gwen mit seiner 130-Meilen-Orkanstärke gleich nach Mitternacht über Miami losgebrochen war. Genau genommen war die Welt für Allison seit fast fünfzehn Jahren still – eine lange Zeit, wenn man die Stimmen der Eltern nicht hören konnte, wenn man Musik studiert hatte und die lyrischen Texte eines Liebesliedes nicht mitbekam. Und eine noch längere Zeit, um sich an ein Leben der immerwährenden Stille zu gewöhnen.

Bei den Fernsehnachrichten hatte sie von den Lippen des Meteorologen abgelesen, dass ein Orkan direkt auf Miami heranzog, und sie hatte seine Sorge wegen der verheerenden Stärke des Orkans herausgespürt.

Dann war der Strom ausgefallen, und um sie herum war finsterste Nacht gewesen. Allison hatte nicht einmal gewusst, was draußen geschah. Sie hatte sich gesagt, dass sie ohnehin nichts tun machen konnte. Vermutlich wäre es besser gewesen, wenn sie sich ins Bett gelegt und versucht hätte zu schlafen. Aber dann war sie doch aufgeblieben, hatte sich vom Sofa im Wohnzimmer nicht fortgerührt und darauf gewartet, dass es endlich Morgen wurde. Sie hatte alles getan, was zu tun war, falls sich wieder mal einer dieser tropischen Stürme über dem Atlantik zusammenbrauen sollte.

Jeder, der eine längere Zeit in Süd-Florida lebte, wusste, welche Vorsorge er zu treffen hatte während der Hurrikan-Saison, die mit dem Frühling anbrach und im November endete. Sie konnte nur beten, dass sie und ihr Haus auch dieses Mal heil davonkämen.

Zwar war Allison erst vor wenigen Monaten aus dem Mittleren Westen nach Miami gezogen, aber sie war von Natur aus vorsichtig. Gleich zu Beginn der Hurrikan-Saison hatte sie jeden Zeitungsartikel gelesen, der sich mit den Vorbereitungen für die orkanartigen Stürme befasste. Sie war dankbar für die rechtzeitigen Warnungen, die über Radio und Fernsehen sofort verkündet wurden, sobald ein Hurrikan sich an Afrikas Westküste zusammenbraute. Allison nahm das Unheil, das die Stürme anrichten konnten, sehr ernst, nicht wie einige der neu Hinzugezogenen.

Noch ehe sie auch nur einen Cent ausgegeben hatte für die Ausstattung der Wohnräume und – was ihr besonders am Herzen lag – für die Gestaltung des Gartens, hatte sie als Erstes sturmfeste Rollläden vor den Fenstern ihres hübschen kleinen Hauses im spanischen Stil einbauen lassen. In ihrer Garage stapelten sich Flaschen mit Trinkwasser, Dosen mit Essbarem, Batterien für ihre Taschenlampe und Kerzen.

Sie unterdrückte ein hysterisches Lachen, als ihr all der kostbare Proviant in den Sinn kam, der – wie zum Hohn – jetzt mit ihr unter dem Geröll hier begraben war. Vom Haus selbst, auf das sie so stolz gewesen war, schien wenig geblieben zu sein, bis auf den Trümmerhaufen, der sie gefangen hielt. Offensichtlich waren all die Vorkehrungen immer noch nicht genug gewesen.

Es war stockdunkel, ob wegen der Nachtzeit oder weil sie von den Trümmern fest eingeschlossen war, wusste sie nicht. Sie nahm Letzteres an, denn hin und wieder sickerte der Regen durch die Holzbretter der zerbrochenen Möbel, die sie wie umklammert hielten.

Ihr ganzer Körper schmerzte. Sie hatte überall Schnittwunden und Kratzer. Am meisten tat ihr linkes Bein weh, das sie nicht rühren konnte, weil es irgendwie verdreht unter dem Gewicht einer schweren Planke wie festgenagelt war. Allison hatte keine Ahnung, wie lange sie hier besinnungslos gelegen hatte, aber sie nahm an, dass es nur wenige Minuten waren. Sie hatte sich noch immer nicht beruhigt von dem Schock, als die Rollläden losgerissen wurden, die Fenster nach innen brachen und die Wände um sie herum einstürzten. Die teuren Rollläden, die ihre letzten Ersparnisse aufgebraucht hatten, waren überhaupt kein Schutz gegen das Wüten des Sturms gewesen.

Zum Wegrennen war keine Zeit gewesen. Vielleicht hätte sie rechtzeitig entkommen können, wenn sie das Wüten des Windes und den peitschenden Regen gehört hätte. Aber so hatte sie völlig unerwartet das entsetzliche Gefühl gehabt, dass die Wände buchstäblich über sie hereinbrachen, und dann fing alles an um sie herum zu Bruch zu gehen. Ihr Haus schien sich Windstoß für Windstoß aufzulösen.

Sie hatte noch versucht, die Eingangstür zu erreichen, um sich in Sicherheit zu bringen. Noch ehe sie einen weiteren Schritt hatte tun können, wurde mit einem heftigen Luftzug das Dach abgehoben, um im Bruchteil einer Sekunde einzustürzen und zu zerschellen.

Etwas hatte Allison schwer am Hinterkopf getroffen, und die Welt schien wie ausgelöscht zu sein. Für wie lange, das wusste sie nicht. Als sie wieder zur Besinnung kam, hatte es nur den Schmerz gegeben. Sie hatte versucht, sich zu bewegen, aber der Schmerz in ihrem Bein war so stark gewesen, dass sie gleich wieder ohnmächtig wurde.

Das sollte ihr eine Warnung sein. Sie verhielt sich vollkommen ruhig, atmete in tiefen Zügen ein und aus und kämpfte gegen die Panik an, die sie immer wieder zu überwältigen drohte.

Eine so beklemmende Angst hatte sie seit dem Tag nicht wieder gehabt, als sie im Krankenhaus erwachte und feststellen musste, dass alles seltsam still und lautlos um sie herum war. Instinktiv hatte sie gewusst, dass etwas absolut nicht stimmte, und hatte den Fernseher angestellt. Als sie immer noch nichts hörte, hatte sie zuerst die Lautstärke reguliert und sich an den Gedanken geklammert, dass der Fernseher kaputt sei. Erst als sie versehentlich eine Blumenvase umgestoßen hatte und auch dabei kein Geräusch vernommen hatte, war ihr klar geworden, was geschehen war.

In Panik hatte sie nach ihren Eltern geschrien, die sofort an ihr Bett geeilt waren. Die Ärzte, die sie zurate gezogen hatten, hatten eine Menge Tests angeordnet, und es hatte sich herausgestellt, dass durch den besonders schweren Anfall von Mumps, den Allison gehabt hatte, der Hörnerv zerstört worden war.

Eine Zeit lang hatten die Ärzte gegen alle Hoffnung gehofft, dass es eine Wendung zur Besserung geben würde. Aber als sich im Laufe der folgenden Monate nichts änderte, mussten sie eingestehen, dass die Welt für Allison wohl für immer geräuschlos bleiben würde. Es hatte lange gedauert, bis Allison diese unheilvolle Nachricht völlig erfasste. Und es hatte Monate gebraucht, bis sie sich damit abfand und langsam lernte, den Verlust des Gehörs damit auszugleichen, dass sie sich auf ihre anderen Sinne verließ.

Und weil im Moment alles um sie im Dunkeln lag, war ihr, als ob sie jetzt noch einen weiteren ihrer Sinne verloren hätte: das Sehen. Allie würde es nicht ertragen können, sollte die Finsternis, die sie jetzt umschloss, für immer bleiben.

Verzweifelt schrie sie erneut um Hilfe, oder sie glaubte zumindest, dass sie schrie. In dieser totalen Stille, in der sie lebte, hatte sie keine Ahnung, ob jemand sie hörte, der sie aus diesem Gefängnis befreien könnte. Sie wusste ja nicht einmal, ob in dieser Umgebung nach Überlebenden gesucht wurde, ob der schlimmste Sturm vorbei sei oder ob er immer noch tobte.

Ihre Wangen fühlten sich feucht an. Vom Regen? Vom Blut? Oder von den Tränen?

„Beruhige dich“, befahl Allison sich laut. „Hysterie bringt dich nicht weiter.“ Obwohl es ihr sicher eine Erleichterung wäre, sich den Tränen zu überlassen. Doch das war nicht ihr Stil.

Bevor sie das Gehör verloren hatte, hatte sie sich um Begriffe wie innere Stärke überhaupt keine Gedanken gemacht. Mit siebzehn war es ihr vor allem wichtig gewesen, hübsch und beliebt zu sein und Freude am Musikstudium zu haben. Dann, von einem Tag zum anderen, hatte das alles keine Bedeutung mehr für sie gehabt. Schlagartig hatte sie sich mit einem Leben in totaler Stille abfinden müssen. Am größten war die Angst gewesen, dass sie nie wieder ihre Liebe zur Musik mit anderen würde teilen können. Der Gedanke, dass sie nie wieder in den Konzerten des örtlichen Symphonieorchesters spielen dürfte, war ihr unerträglich gewesen. Ihr Violinlehrer hatte ihr ein Probespiel ermöglicht, als sie gerade vierzehn war, und seitdem war sie, wenn auch nicht als ständiges Mitglied des Orchesters, so doch gelegentlich mit ihrer Violine voll dabei gewesen.

Allie hatte sich völlig zurückgezogen. Dabei war sie dem Wesen nach eigentlich lebenslustig und aufgeschlossen. Sie hatte jedoch gemeint, dass es so besser sei. Sie wollte nicht mit Menschen zusammen sein und sich doch völlig abgeschieden von ihnen fühlen. Ihre Eltern waren sehr bedrückt gewesen.

Dann war der Tag gekommen, an dem Allie erkannte, dass sie sich mit diesem Verhalten ihre Zukunft verbaute – und nicht nur das. Im Grunde genommen lebte sie überhaupt nicht. Sie war von klein auf in dem Glauben aufgewachsen, dass sich im Leben niemals eine Tür schloss, ohne dass eine andere geöffnet wurde. Also hatte sie sich auf die Suche nach der anderen Tür gemacht.

Sie hatte nicht nur die Zeichensprache gelernt, sondern das Studium am College mit dem Lehrexamen für Gehörlose abgeschlossen. Heute hatte sie eine erfüllte und eine lohnende Karriere, eine Gelegenheit, anderen den Weg zu ebnen, die das durchlitten, was sie durchlitten hatte. Die gehörgeschädigten Kinder, mit denen sie an einer Spezialklinik arbeitete, gaben ihrem Leben Auftrieb und Freude.

Die innere Stärke, die sie gebraucht hatte, um den Schicksalsschlag als eine Chance anzusehen, würde sie auch durch dieses Unheil bringen. Sie musste nur den Schmerz ignorieren und sich auf das Überleben konzentrieren.

„Denk nach, Allison“, murmelte sie vor sich hin und fühlte sich ruhiger.

Schlimm war nur, dass das Nachdenken ihr nicht half. Also wollte sie etwas tun. Entschlossen machte sie sich daran, sich selbst zu befreien. Sie versuchte, eins der kleineren Bruchstücke, das auf ihr lag, wegzudrücken, musste ihr Vorhaben aber sofort aufgeben, als die Trümmer anfingen sich zu verschieben, was sie in tödliche Gefahr brachte.

Allie brach in Tränen aus, und dieses Mal kämpfte sie nicht dagegen an. Die Schmerzen und die Angst waren zu groß.

„Ich werde hier nicht sterben“, versprach sie sich laut und wiederholte es gleich noch ein zweites Mal. Wahrscheinlich war es nur gut, dass sie das Zittern in ihrer Stimme nicht hören konnte. „Nur Geduld, Allie“, hielt sie sich vor. „Irgendjemand wird schon kommen.“

Nur war Geduld nicht eine ihrer Tugenden. Diese Schwäche kannte sie sehr wohl an sich selbst. Als sie schließlich ihre Gehörlosigkeit akzeptiert hatte, war sie schnell dazu übergegangen, wie eine Besessene die Zeichensprache und das Lippenlesen zu erlernen. Und auch alles andere in ihrem Leben packte sie auf dieselbe Weise an. Es hatte wohl mit ihrer Erfahrung zu tun, dass die Dinge sich im Leben drastisch ändern konnten.

Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie bald gerettet werden würde, und dass der Retter, wer auch immer er sein mochte, sich beeilen würde.

„Na mach schon, Enrique“, spottete Tom Harris. „Lass mal deine Karten sehen. Ich könnte eine Anzahlung für ein neues Auto gebrauchen.“

„Du träumst wohl“, konterte Ricky und breitete sein Full house auf der Bank zwischen ihnen aus.

Eine Gruppe Feuerwehrmänner umstanden die beiden Pokerspieler. Sie beobachteten, wie sie mit hohem Einsatz alles riskierten, nur um dem anderen den Rang streitig zu machen. In ihrer Freizeit waren die beiden ausgesprochene Rivalen, ob es um Frauen ging oder um den Gewinn in einem Pokerspiel. Wenn es aber zu einer Rettungsaktion kam, waren sie pflichtbewusste Kollegen. Ricky grinste schadenfroh, während Tom ein langes Gesicht zog.

„Mach schon, Freundchen. Zeig mir die Karten“, spöttelte Ricky und klopfte auf die Bank. „Leg sie offen, genau hier, damit jeder sie sehen kann.“

Tom breitete drei Asse auf der Bank aus und seufzte schwer. Als Rick das Geld an sich nehmen wollte, schnalzte Tom missbilligend mit der Zunge.

„Halt, nicht so schnell, Kumpel. Dieser kleine Teufel hier muss mir glatt entglitten sein.“ Er warf noch ein As auf die anderen drei, dann griff er stolz nach den Scheinen. „Die sind meine.“

Die Feuerwehrmänner vom Such- und Rettungsdienst johlten über Rickys niedergeschlagene Miene. „Warte nur beim nächsten Mal“, meinte er gespielt ärgerlich.

Und es würde immer ein nächstes Mal bei Tom geben. Es gab nur eins, was Tom lieber hatte als Karten spielen, das war Frauen nachjagen. Er sah sich selbst als ein Experte in beiden Zeitvertreiben, aber sogar er gab widerwillig zu, dass nur Ricky den Dreh heraus hatte, jede Frau im Alter zwischen Acht und Achtzig zu bezaubern.

„Du magst Glück beim Kartenspielen haben, aber ich habe Glück in der Liebe“, prahlte Ricky.

„Liegt nur an den dunkeln Augen und dem heißen Latinoblut“, entgegnete Tom ohne Neid. „Wie kann ich mich an so was messen?“

„Du kannst es nicht, gib’s zu“, antwortete Ricky schlagfertig wie immer. „Du kannst dich auch nicht mit meinen Grübchen messen. Meine Schwestern versichern mir, dass sie unwiderstehlich sind.“

„Deine Schwestern sind nicht gerade unvoreingenommen. Außerdem haben sie ihren kleinen Bruder schamlos verwöhnt“, erwiderte Tom. „Kein Wunder, dass du nicht geheiratet hast. Warum solltest du auch, wenn du vier Frauen in deinem Leben hast, die dich von vorn bis hinten bedienen? Ich wundere mich nur, dass deren Ehemänner das erlauben.“

„Deren Ehemänner sind sich darüber im Klaren, dass es ohne meine Erlaubnis kein Date mit meinen Schwestern gegeben hätte“, plusterte Ricky sich auf. „Und es gibt fünf Frauen in meinem Leben, nicht vier. Du hast meine Mutter vergessen.“

„Wie konnte ich nur! Ja, Mama Wilder, die noch der alten Schule ihrer Heimat Kuba entstammt, wo der Ehemann der König und der Sohn der Prinz ist. Ganz sicher hat sie ihren Teil dazu beigetragen, aus dir einen Gauner zu machen.“

Ricky grinste. „Wehe du sagst er ihr!“

Tom wurde geradezu blass. „Ist nicht drin! Als ich das letzte Mal ihren Liebling beleidigte, hat sie mich mit dem Hackmesser davongejagt.“

„Es war ein Buttermesser“, korrigierte Ricky und schüttelte übertrieben den Kopf. Seine Mutter mochte eine leidenschaftliche Verteidigerin ihrer Sprösslinge sein, aber sie war nicht verrückt. Außerdem sah sie in Tom einen zweiten Sohn, was ihr, wie sie meinte, das Recht gab, an ihm genauso viel herumzunörgeln wie an Ricky und seinen Schwestern. Sie hielt Tom immer noch eine Strafpredigt wegen seiner Scheidung, obwohl die bereits drei Jahre zurücklag. Wenn es nach ihr ginge, dann wäre er schon lange wieder mit seiner Ex-Frau zusammen.

„Hey, Jungs, hört mit den Albernheiten auf“, rief der Vorgesetzte mit düsterer Miene, als er den Hörer wieder auflegte. „Wir müssen los. Da ist eine Meldung von eingestürzten Häusern.“

„Opfer?“, fragte Ricky und stieg in seine Schutzkleidung.

„Wurde nicht gemeldet, aber es ist mitten in der Nacht. Einige mochten sich rechtzeitig in Schutz gebracht haben. Aber außerhalb der Hochwasserzone, die sowieso evakuiert wurde, blieben die meisten im Haus, um ihre Habe vor den Plünderern zu schützen.“

„Mehrere Häuser?“, fragte Ricky. „Ich dachte, dieses Mal wären wir verschont geblieben. Ich dachte, der Wirbel wäre so gut wie abgeflaut. War es ein Hurrikan oder ein Tornado, den der Sturm ausgebrütet hat?“

„Wurde nicht bestätigt. Wie auch immer, es gibt viel für uns zu tun“, antwortete der Vorgesetzte kurz angebunden.

Sekunden später waren die Fahrzeuge auf dem Weg. Für Rickys Geschmack fuhren sie viel zu langsam. In der Hauptstraße vor der Feuerwache stand das Wasser knietief und war voll mit Trümmerteilen. Der Regen prasselte wie eine Wand vom Himmel, und der Sturmwind bog die Palmen fast bis zum Boden. Viele Bäume waren entwurzelt, Äste lagen wie gebrochene Glieder überall herum.

Straßenschilder waren losgerissen, die Orientierungspunkte zerschellt, was den Fahrern das Steuern nur noch mehr erschwerte. Sie brauchten viel Glück oder die Hilfe von oben, um dorthin zu gelangen, wo sie am dringendsten gebraucht wurden.

Ricky hoffte, dass sie das verwüstete Viertel rechtzeitig erreichten, bevor jemand unter dem Schutt starb.

Glücklicherweise ließen der Regen und der Sturmlangsam nach. Innerhalb kurzer Zeit würden die Fluten auf den Straßen zurückgehen, aber für den Augenblick war ihnen das keine Hilfe. Die Fahrzeuge krochen dahin in einem entnervenden Schneckentempo.

Als sie endlich die Wohngegend der guten Mittelschicht von Miami erreicht hatten, glich das Bild, das sich ihnen hier bot, einem Kriegsschauplatz. Die Stromleitungsmaste waren umgestürzt und lagen mit den Hochspannungsseilen auf den Straßen und Wegen. Hier und da stand ein Haus, das wie durch ein Wunder dem Hurrikane entgangen war, aber es waren die Ausnahmen. Die meisten der zweistöckigen Häuser waren durch den schrecklichen Sturm oder dem folgenden Tornado dem Erdboden gleichgemacht worden. Die wenigen Häuser, die nicht vollständig eingestürzt waren, wiesen schwere Schäden auf. Ziegel waren vom Dach geweht, Fenster zersprungen, Türen aus den Angeln gerissen.

Das eingespielte Team der Rettungsmannschaft schätzte die Lage ab, dann teilten die Männer sich in Gruppen ein. Zuerst riefen sie die Elektrizitätswerke an, um eine Crew anzufordern. Als Nächstes wurden Barrikaden aufgestellt, um die Menschen in der Gefahrenzone davor zu bewahren, in die Hochspannungsleitungen zu stolpern.

Nur wenige waren in dieser frühen Morgendämmerung auf der Straße zu sehen. Sie bluteten und merkten in ihrer Verwirrung nicht den sanften Schauer, der dem wüsten Hurrikan Gwen nachfolgte. Einige der Sanitäter bauten eine Erste Hilfe-Station auf und fingen an, die leicht Verletzten zu behandeln, während andere mit ihren Suchhunden begannen, Verschüttete aufzuspüren.

Eine Frau, so um die siebzig, die ihren Morgenmantel krampfhaft vorn geschlossen hielt, humpelte mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck auf Ricky zu. Sie schien sich überhaupt nicht ihrer klaffenden Stirnwunde bewusst zu sein.

„Sie müssen Allie finden!“, rief sie panisch.

„Ihre Tochter, Ma’am?“

„Nein, nein, sie ist meine Nachbarin.“ Sie wies auf ein zusammengestürztes Haus. Während Ricky und Tom darauf zuliefen, hinkte sie hinter ihnen her. „Sie ist eine wunderbare junge Frau, und sie hat schon so viel Schlimmes hinter sich. Dieses Haus war ihr Stolz und ihre Freude. Sie hat es erst vor wenigen Monaten gekauft, und sie hatte jede freie Minute damit zugebracht, es instand zu setzen und überall Blumen zu pflanzen.“

In ihren Augen standen Tränen. „Natürlich hat das nichts zu bedeuten. Häuser können wiederhergestellt und Blumen neu gepflanzt werden.“

„Sagten Sie, ihr Name sei Allie?“, unterbrach Ricky sie.

„Eigentlich Allison. Allison Matthews.“

Während Tom sich aufmachte, um die nötige Ausrüstung zu holen, machte Ricky sich daran, das eingestürzte Gebäude zu überprüfen. Er öffnete den Mund, um laut nach Allie zu rufen, aber die Frau legte ihm schnell die Hand auf den Arm und hielt ihn davon ab.

„Rufen würde nicht helfen“, sagte sie. „Allie kann Sie ohnehin nicht hören. Sie ist taub.“

Als ob die Situation nicht schon kompliziert genug wäre, dachte er. Nun gut, dann würde er diese Allie eben so finden müssen.

Er umkreiste den Trümmerhaufen und schaute nach irgendwelchen Anzeichen oder irgendeinem Hinweis, wo die Räume sich befunden haben könnten und wo genau die Frau verschüttet war. War sie im oberen Stockwerk im Schlafzimmer gewesen oder im unteren?

Shadow, der Suchhund an seiner Seite, bewegte sich behutsam über die Trümmer hinweg und schnüffelte. Rick blieb wartend stehen und überließ Shadow seinen Teil der Rettungsaktion. Das war immer der härteste Teil: sich zurückzuhalten und es dem Schäferhund zu überlassen, mögliche Lebenszeichen aufzuspüren.

Shadow hob seine Schnauze, verhielt sich kurz still, winselte dann und bellte schließlich.

„Du hast sie also gefunden, was, alter Junge? Braver Hund.“

Shadow jaulte aufgeregt, aber er rührte sich nicht von der Stelle, so als ob er wüsste, dass eine winzige Bewegung fatale Folgen haben könnte.

„Dann wollen wir sie hier mal rausholen, alter Junge“, meinte Ricky. Er drehte sich zur Nachbarin der Verschütteten um und lächelte ihr beruhigend zu. „Sieht so aus, als hätten wir ihre Freundin aufgespürt.“

„Oh, da bin ich aber froh“, rief sie erleichtert. „Allie ist ein ganz besonderer Mensch. So jemand wie sie gibt es nicht häufig. Wenn man sie kennt, dann weiß man, was Herzlichkeit wirklich bedeutet. Sie ist ein Engel.“

Ricky kannte nicht viele Frauen, die ein solches Lob verdient hätten. Natürlich spielte es im Augenblick keine Rolle, ob Allie eine Heilige oder eine Sünderin war. Sie brauchte Hilfe, und das allein hatte Bedeutung.

Er umringte noch einmal das eingestürzte Haus, suchte nach dem bestmöglichen Zugang und nahm Shadows wachsame Haltung dabei als einen Wegweiser, wo er Allie ausfindig machen könnte.

„Sollten Sie sich nicht beeilen?“, drängte Allies Nachbarin und rang verzweifelt die Hände.

„Es ist besser, sich ein bisschen Zeit zu nehmen und keine Fehler zu machen, als sich zu beeilen und sie damit in Lebensgefahr zu bringen.“ Die Frau erinnerte ihn irgendwie an seine Großmutter, und er überlegte, wie sie sich unter diesen Umständen fühlen würde. Also umschloss er mit seinen warmen Händen die eiskalten Finger der alten Frau. „Sie werden sehen, es wird alles gut werden.“

Er hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, als er einen schwachen Hilfeschrei tief unter den Trümmern hörte. Es bedrückte Ricky, dass er nicht zurückrufen und dieser Allie versichern konnte, dass sie sehr bald befreit sein würde. Sein Versprechen würde ja auf taube Ohren fallen.

„Sehen Sie?“, beruhigte er stattdessen ihre Freundin. „Sie lebt. Wir haben sie im Nu heraus.“ Er sagte das betont optimistisch. „In der Zwischenzeit sollten Sie rüber zur Ersten Hilfe gehen, damit man die Platzwunde an ihrer Stirn verarztet. Sieht mir auch ganz danach aus, dass sie einen verstauchten Knöchel haben.“

„In meinem Alter ist humpeln normal. Und dass meine Stirn blutet ist nicht der Rede wert“, entgegnete sie dickköpfig. „Ich will hier sein, wenn Sie Allie herausholen. Sie muss schreckliche Angst haben. Es wird ihr guttun, ein bekanntes Gesicht zu sehen.“

Sie war fest entschlossen zu bleiben, und Ricky sah ein, dass es wohl keinen Zweck hatte, noch mehr Einwände zu machen. Halsstarrig wie meine kubanische Großmutter, dachte er.

In diesem Augenblick kam Tom mit den nötigen Rettungsgeräten. „Bereit?“, fragte er seinen Kollegen.

Ricky nickte. „Dann nichts als ran“, forderte er mit einem Eifer, den er selbst als ziemlich unangebracht empfand. Es war jedoch genau diese Erwartungshaltung, die ihn dazu gedrängt hatte, sich für einen so hochgefährlichen Job zu entscheiden. Sicher, zu dieser Arbeit gehörte auch, Leben zu retten. Und es stellte sein Geschick und seine Findigkeit, die tödlichen Naturkräfte zu überlisten, immer wieder von Neuem auf die Probe. Er war dazu geboren, so fand er, Risiken einzugehen.

Oft war er um die halbe Welt herum im Einsatz. Heute war es sozusagen sein eigener Hinterhof. Und irgendwie schien das den Einsatz noch lohnender zu machen.

Ihm fiel ein, was die ältere Frau über Allie gesagt hatte, und er musste grinsen. Es hatte ihn neugierig auf diese Allie gemacht und auch darauf, dass, sobald sie gerettet war, er zum ersten Mal in seinem Leben vor einem Engel stehen würde.

2. KAPITEL

Allie verlor immer wieder das Bewusstsein. Vielleicht hatte sie auch geschlafen. Sie wusste nur, dass, sobald sie wieder zu sich kam, ihre Augenlider sich wie von selbst wieder schlossen und dass dann der schreckliche Schmerz nachließ.

„Hilfe!“, schrie sie. Ganz sicher war ein Rettungsteam in der Nähe. Wenn man sie hören würde, könnte man sie finden. Sie stöhnte, als der Schmerz wieder unerträglich wurde, und nahm sich zusammen, um noch einmal zu schreien.

„Hilfe!“

Ihr Rufen ging in der ihr vertrauten Stille unter, und ihr war, als ob sie in eine riesige Leere hineinrief. Allmählich verlor sie die Hoffnung, und Verzweiflung überkam sie.

Dann, plötzlich, als sie schon aufgeben wollte, bewegte sich etwas weit über ihr. Konnte das möglich sein? Es war stockdunkel um sie herum, aber war da nicht ein schwacher Lichtschein?

„Hier!“, rief sie vorsichtshalber, falls ihr die Fantasie nicht einen grausamen Streich spielte. „Ich bin hier unten.“

Ein großes Bruchstück von dem, was mal das Dach gewesen sein musste – vielleicht aber auch eine Wand – wurde über ihr weggerückt, und Allie erhaschte den ersten Blick auf den Himmel. Es war schon seltsam, dass der Himmel jetzt tiefblau war.

Allie war so froh, nicht erblindet zu sein, dass sie einfach nur hinauf in den Sonnenschein sehen wollte. Sie war jedoch gezwungen, die Augen zu schließen, um sich vor der Helligkeit zu schützen. Sie konnte die Wärme auf ihren Wangen spüren, und sie beschloss, sich nie wieder über Miamis hohe Luftfeuchtigkeit zu beschweren.

Als sie es wagte, die Augen wieder zu öffnen, blickte sie in ein Gesicht über ihr. Es war eindeutig ein männliches Gesicht und ein sehr attraktives dazu.

Trotz seines Helms konnte sie sehen, dass sein für ihren Geschmack etwas zu langes Haar tiefschwarz war. Seinen dunklen Augen und der Gesichtsfarbe nach war er spanisch-amerikanischer Abstammung, und in seine Grübchen konnte eine Frau sich nur verlieben.

Er war zu weit weg von ihr, um von seinen Lippen zu lesen, was er sagte. Aber sie konnte sehen, wie er seinen Mund zu einem beruhigenden, umwerfenden Lächeln verzog. Allie klammerte sich geradezu an dieses Lächeln. Es war ihr eine Mahnung, dass das Leben lebenswert war.

Die Trümmer über ihr wurden Stück für Stück weggeräumt. Außer diesem einen Mann musste es mindestens noch eine zweite Person geben, die ihm half. Deutlich sehen konnte sie nur, wie er sich Zentimeter um Zentimeter sachte zu ihr vorarbeitete.

„Hallo, Allie“, sagte er. Jetzt war er ihr nahe genug, um von seinen Lippen lesen zu können. Er musste wissen, dass sie taub war, weil er ihr das Gesicht voll zugewandt hatte, als er sprach.

„Hi.“ Allie fühlte sich so überwältigend erleichtert, dass ihr die Stimme brach. Sie würde gerettet werden. Solange dieser Mann hier war, würde ihr nichts geschehen.

„Können Sie meine Lippen lesen?“, wollte er jetzt wissen.

Allie nickte.

„Gut.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Können Sie meine Hand nehmen?“

Sie versuchte den Arm zu bewegen, aber ihr war, als ob ihre Arme wie das Bein festgenagelt wären. Vor Schmerz schrie sie auf.

„Ist schon gut“, beruhigte er sie. „Es dauert noch eine kleine Weile. Sie sind unwahrscheinlich tapfer gewesen, und wenn Sie noch ein wenig länger durchhalten, dann erreiche ich Sie ganz und hole Sie hier heraus.“

Allie nickte.

„Tut etwas weh?“

„Alles“, antwortete sie.

Er lächelte breit. „War wohl eine dumme Frage, nicht wahr?“

Er wandte den Kopf und rief etwas nach oben. Allie nahm an, dass er mit jemand sprach, der nicht zu sehen war.

Ein weiteres Trümmerstück wurde weggezogen, und es regnete Mörtel auf sie herab. Allie schrie auf, und er sah sie erschrocken an.

„Alles okay?“, fragte er und schaute besorgt drein.

Sie nickte.

„Gut. Ich sage Ihnen jetzt, was wir vorhaben, Allie. Ich kann mir denken, dass Sie es gern wissen möchten.“

„Ja.“

„Also gut. Ich werde diese Position hier aufgeben. Wir sind nicht zufrieden mit diesem Zugang, wir werden ihn uns also von einer anderen Seite her verschaffen. Es wird ein wenig länger dauern, das Risiko ist aber dann geringer. Werden Sie es durchstehen?“

Allie wollte protestieren. Doch dann blickte sie ihm in die Augen und wusste, dass sie ihm vertrauen konnte. Und obwohl sie nicht wollte, dass er aus ihrer Sicht verschwand, nickte sie tapfer. „Okay.“

Die Tränen kamen, und Allie schloss fest die Augen, um nicht vor ihrem Retter zu weinen … Kurz darauf hatte sie das Gefühl, dass man ihr Puder ins Gesicht streute. Als sie die Augen öffnete sah sie, dass er sie besorgt beobachtete.

„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Ich musste es tun, um Sie auf mich aufmerksam zu machen. Ich verspreche, dass ich ganz schnell wieder bei Ihnen bin. Nie würde ich eine hübsche Frau in der Not im Stich lassen.“

Beinahe hätte Allie gelacht. Kein Mann hatte ihr in den letzten Jahren gesagt, dass sie hübsch sei. Und ausgerechnet jetzt bekam sie es zu hören, wo sie unter Trümmern lag und außer einem verwaschenen Nachthemd nichts trug, wo ihr Haar ein Lockengewirr war dank Miamis hoher Luftfeuchtigkeit.

„Gehen Sie nur“, sagte sie zu ihm. „Ich werde hier sein, wenn sie wiederkommen.“

Er lachte in sich hinein. „Das gefällt mir. Sie haben Humor.“

Und dann war er weg. Allie war wieder allein, wenn auch mit angenehmen Gedanken an einen Mann, der unverschämt gut aussah.

Ricky lachte noch immer in sich hinein, als er sich durch die Trümmer einen Weg nach oben schaffte. Allie Matthew gefiel ihm. Sie war zu Tode erschrocken, aber sie tat ihr Bestes, um es nicht zu zeigen. Er hatte gelegentlich einen flüchtigen Blick von Panik in ihren unglaublich blauen Augen erhascht, aber sie hatte sich kein einziges Mal beklagt. Sie musste Schmerzen haben, doch bis auf dieses eine halb scherzhafte Eingeständnis hatte sie es nicht wieder erwähnt.

„Was findest du denn hierbei so lustig?“, fragte Tom entrüstet und betrachtete ihn neugierig, nachdem Ricky sich zu ihm durchgearbeitet hatte.

„Dir würde es wahrscheinlich auch so gehen, wenn du da unten gewesen wärst“, entgegnete Ricky.

„Wie geht es ihr?“

„Ihr Sinn für Humor ist intakt, aber sie kann sich nicht bewegen. Entweder weil sie festgehalten wird von dem ganzen Mist, oder weil sie verletzt ist, das ist die große Frage. Ich bewundere ihren Mut. Kein bisschen hysterisch, und Augen hat sie, die einen reineweg umhauen: blau wie das Meer und glänzend von all den Tränen, gegen die sie wie verrückt ankämpft.“

Tom schüttelte den Kopf. „Mitten in einer Rettungsaktion von den Augen einer Frau schwärmen, das soll jemand begreifen.“

„Ich war nur darauf aus, dich damit anzuspornen“, behauptete Ricky. Er blickte ratlos auf den Trümmerhaufen. „Hast du eine gute Idee, wie wir zu ihr gelangen, ohne sie unter diesem Mist zu begraben?“

Sie standen eine kurze Weile da und überlegten, wie sie sich am Besten durch dieses hoffnungslose Durcheinander von ineinander verschachtelten Bruchstücken arbeiten sollten. Es war bei Weitem nicht das Schlimmste, das sie jemals gesehen hatten. Sie hatten sich schon nach schweren Erdbebenkatastrophen durch ganze Wohngebäudekomplexe durchackern müssen. Aber Ricky hatte noch nie zuvor diesen starken inneren Antrieb verspürt, und er musste seine Ungeduld zügeln.

Allison hatte ihn auf eine Weise beeindruckt, wie nur wenige Frauen es vor ihr vermocht hatten. Innerhalb nur weniger Minuten hatte er ihren Mut, ihre Tapferkeit, ihre innere Stärke herausgespürt.

Ricky, Tom und die anderen Männer aus ihrem Team machten sich an die Arbeit, und nach weniger als zwei Stunden hatten sie sich durch einen Tunnel so weit vorgearbeitet, dass sie Allie sehen konnten. Ricky war der Erste, der sich ganz langsam auf dem Bauch zu ihr schob, bis er ihre Hand berühren konnte. Und wieder richtete sie den Blick ihrer großen, leuchtend blauen Augen auf ihn und hielt seinen Blick gefangen.

Er reichte ihr eine Plastikflasche mit Wasser, aber Allie schien nicht in der Lage zu sein, sie an ihren Mund zu führen.

„Warten Sie“, beruhigte Ricky sie. „Ich bringe sie Ihnen.“

Er schob sich Zentimeter für Zentimeter weiter auf sie zu, wartete dazwischen kurz, um sicher zu sein, dass der gefährliche Zugang durch die Trümmer hindurch nicht über ihnen beiden einstürzte. Und dann war er ihr endlich so nahe, dass er ihr den Strohhalm an die Lippen führen konnte. Allie trank gierig und wandte dabei den Blick nicht von seinem Gesicht.

„Ist Jane etwas passiert?“, fragte sie, nachdem sie ihren Durst gestillt hatte.

„Jane?“

„Meine Nachbarin, Mrs. Baker.“

Ihm fiel die Frau ein, die ihn und Tom auf Allie aufmerksam gemacht hatte. „Mitte siebzig? Etwa ein Meter sechzig groß? Hartnäckig?“

„Ja, ja, das ist sie. Ist sie okay?“

„Sie hat eine Platzwunde an der Stirn und wahrscheinlich einen verstauchten Knöchel, aber Sie schienen ihre einzige Sorge zu sein“, antwortete Ricky. „Seit wir nach Ihnen gegraben haben, hat sie sich nicht vom Fleck gerührt. Sie hat irgendwo einen Gartenstuhl gefunden und hat sich darin genau vor den Trümmerhaufen gesetzt, damit sie uns überwachen kann.“

Allie lächelte. „Das klingt ganz nach ihr. Und die anderen Nachbarn? Wie geht es ihnen?“

„Unsere Männer kümmern sich um sie“, gab er Auskunft und behielt es lieber für sich, dass es bis jetzt einen Toten gegeben hatte und dass sie mit mehr rechneten. Allie glaubte seiner Antwort offensichtlich, denn sie schien erleichtert zu sein.

„Wie lange bin ich hier unten gewesen?“, wollte sie wissen.

„Nicht allzu lange. Wenige Stunden. Wir haben den Notruf kurz vor sechs Uhr morgens bekommen. Und jetzt ist Mittagszeit“, sagte er ihr. „Für Sie muss es eine Ewigkeit gewesen sein.“

Allie nickte.

„Nun, es ist so gut wie vorbei. Rühren Sie sich nicht von der Stelle“, ermahnte er sie. „Ich hole sie hier sehr bald heraus.“

„Ich könnte mich nicht rühren, selbst wenn ich es wollte“, erwiderte sie, und eine Träne lief ihr über die Wange. „Ich…“ Ihre Stimme brach. „Ich glaube, ich bin gelähmt.“

„Das sind dumme Gedanken. Mir sieht es ganz danach aus, dass sie böse eingeklemmt sind“, versicherte er ihr. „Es gibt keinen Grund zur Panik. Sobald sie hier heraus sind, gehen wir zusammen tanzen.“

Sein Scherz ließ Allie lächeln. „Sie würden es bereuen. Ich habe schon immer zwei linke Füße gehabt. Hinzu kommt noch, dass ich die Musik nicht hören kann.“

„Wir gehen dahin, wo es nur darauf ankommt, dass man sich beim Tanzen gut in den Hüften wiegen kann.“

„Aha, Salsa.“

„Mit ein wenig Tango“, erklärte er. „Sie müssen sich nur an mir festhalten und sich meiner Führung überlassen.“

Sie lachte kurz auf. „Das kann ich.“

„Gut. Dann sind wir verabredet.“

Während Ricky redete und Unsinn daherplapperte, nur damit sie abgelenkt wurde, räumte er um sie herum die Trümmer aus dem Weg. Als er die blutigen Schnittwunden an ihrem Bein sah, bemühte er sich um eine gleichmütige Miene.

Mehr noch, er musste darum kämpfen, sich allein auf das, was er tat, zu konzentrieren, und sich nicht davon ablenken lassen, dass Allie so gut wie nackt war. Das dünne kurze Nachthemd, das sie anhatte, war zerrissen. Wahrscheinlich hatte sie das noch gar nicht bemerkt.

„Sobald wir hier raus sind, brauchen wir als Erstes eine Decke“, rief er mit abgewandtem Gesicht nach oben, damit Allie nicht mitbekam, was er sagte. Sie klopfte ihm leicht auf die Schultern, und er lächelte. „Tut mir leid. Ich habe soeben an meine Kollegen durchgegeben, damit sie sich bereithalten, wenn wir uns aus dieser kleinen gemütlichen Höhle absetzen.“

Es dauerte noch eine weitere Stunde, bis Ricky Allie ganz ausgegraben hatte, da er sehr behutsam vorgehen musste.

„Bereit?“, fragte er sie endlich.

„Oh ja“, flüsterte Allie.

„Ich kann nicht garantieren, dass sie keine Schmerzen haben werden.“

„Und das soll etwas Neues sein?“, entgegnete sie tapfer. „Holen Sie mich hier nur raus.“

Ricky zog sie dicht an sich heran und – so gut es ging – arbeitete er sich mit ihr den tunnelartigen Weg zurück, den er gekommen war. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, und Ricky war sich durchaus bewusst, dass Allie nackt war. Es blieb dummerweise nicht aus, dass er darauf reagierte. Er fühlte sich deshalb doppelt befreit, als er endlich Toms Gesicht am Ende des gefährlichen Durchgangs erblickte.

„Hast du die Decke?“

„Ja.“

Ricky streckte die Hand aus, nahm sie entgegen und wickelte sie um Allie, bevor er mit ihr aus dem Loch kroch.

Allie blinzelte in den grellen Sonnenschein und hielt sich weiter an Ricky fest, als ob er der einzige Schutz gegen die plötzlich so unvertraute Welt wäre.

Und es war für sie eine unvertraute Welt. Nichts war mehr so, wie es vor dem Hurrikan gewesen war. Ricky konnte sich kaum vorstellen, wie man sich fühlen musste, wenn man aus einem dunklen Loch herauskroch und plötzlich nichts mehr von dem vorfand, was einem vertraut war. Er hatte schon zuvor die vor Entsetzen und Bestürzung geschockten Gesichter erlebt, wenn die Opfer von Naturkatastrophen das Ausmaß der Zerstörung und damit auch der Tragödie erkannten.

Und Allies Reaktion, so wie sie sich an ihn klammerte und ihn dabei ansah, war ihm auch nicht neu. Die Beziehung zwischen Opfer und Retter konnte sehr intensiv sein. In den meisten Fällen dauerte es jedoch nicht lange, bis vertraute Gesichter auftauchten und die enge Beziehung abbrach.

Bei Allie war es nur die ältliche Nachbarin, die auf sie zugehumpelt kam und sie in die Arme schloss. Sie ließ Allie erst frei, als die Sanitäter anrückten, um Allie auf eine Trage zu legen und mit ihr zum Unfallwagen zu eilen. Aber auch dann blieb Jane an ihrer Seite und gab den Männern Anweisungen. Ricky grinste bei den verdutzten Gesichtern der Sanitäter, als sie die Anordnungen von der alten Dame im großblumigen Morgenmantel und leuchtend rosa Hausschuhen entgegennahmen.

„Warten Sie!“, rief Allie, als man sie auf der Trage in die Ambulanz bringen wollte. Sie blickte sich suchend um.

Ricky fühlte, wie eine merkwürdige Hitze in ihm hochstieg, als sie ihn entdeckte.

„Danke“, formte sie mit den Lippen, weil er zu weit wegstand, um sie zu hören.

„Gern geschehen“, antwortete er auf die gleiche Weise, dann wandte er sich ab, um nicht länger ihre vor Tränen schimmernden Augen zu sehen. Er machte sich einige Häuser entfernt auf die nächste schwierige Suche nach Opfern, die, wie er hoffte, genauso viel Glück wie Allie haben würden.

„Beim nächsten Mal, wenn es um eine hübsche Frau geht, hol ich sie raus“, sagte Tom an seiner Seite, der natürlich alles mitbekommen hatte. „Nichts geht über eine kleine Dankbarkeit, um gleich von Anfang an eine Beziehung aufzunehmen.“

„Was weißt du schon von Beziehungen, du Casanova?“

„Jedenfalls mehr als du“, antwortete Tom. „Ich war schon mal verheiratet.“

„Etwa fünfzehn Minuten lang.“

„Plus drei Jahre“, fügte Tom gelassen hinzu.

„Und was hast du während dieser drei Jahre und fünfzehn Minuten gelernt?“

„Dass Frauen anfangen verrückt zu spielen, sobald sie den Ring an ihrem Finger haben.“

Ricky lachte. „Du meinst doch nicht etwa, weil Nikki fand, dass du nach der Hochzeit aufhören solltest, dich mit anderen Frauen zu treffen?“

„Sehr komisch. Du weißt, dass ich so was nicht getan habe. Nikki ging mir nur auf die Nerven, weil sie wollte, ich sollte einen Neun-bis-fünf-Uhr-Job annehmen.“ Er schauderte. „Ich, hinter einem Schreibtisch. Kannst du dir das vorstellen?“

Nein, dass konnte Ricky sich tatsächlich nicht vorstellen, weder von Tom noch von sich selbst. „Mama behauptet, dass Nikki dich immer noch liebt.“

„Nicht genug, um diese verrückte Idee aufzugeben“, sagte Tom mit einem Anflug von Bedauern. „Warum heiratest du nicht?“

„Was? Ich soll heiraten, damit ich mich wieder scheiden lassen kann? Kommt nicht infrage. Wenn ich eines Tages den Sprung wage, wird es für immer sein. Mit Mama und dem Priester um mich herum würde mein Leben keine zwei Cent wert sein, wenn ich auch nur das Wort Scheidung flüstern sollte.“

„Deshalb triffst du dich mit einer Frau niemals öfter als zwei Sonnabende hintereinander, stimmt’s?“, folgerte Tom. Seine Miene wurde nachdenklich. „Ich möchte gern wissen, ob Allie Matthews dich darin ändern könnte.“

„Wie kommst du denn auf so was? Ich kenne diese Frau kaum, und du hast keine zwei Worte mit ihr gesprochen.“

„Ich habe sie mir genau angesehen“, antwortete Tom. „Ein Mann vergisst eine Frau nicht so leicht, die so unglaublich toll aussieht, sogar nachdem sie unter einem eingestürzten Haus begraben war. Und hatte ihre Nachbarin nicht gesagt, Allie sei ein Engel? Wenn diese Nachbarin recht hat, dann würde diese Allie sich von all den Frauen ganz schön unterscheiden, mit denen du dich sonst triffst.“

Ricky gefiel es überhaupt nicht, wie Tom sein Liebesleben sah. Er hatte aber den Verdacht, dass Tom so ziemlich den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. „Wir müssen uns hier ranhalten“, meinte er kurz angebunden und marschierte davon.

Toms Worte verfolgten Ricky sogar noch am nächsten Tag. Er hielt sich jedoch immer wieder vor, dass es auf der ganzen Welt keine Frau gäbe, die in ihm den Wunsch erwecken könnte, sein Leben zu ändern. Und damit lehnte er auch alle Gedanken an Allie Matthews ab, die sich nur leider immer wieder hartnäckig bei ihm einschlichen. Natürlich hatte Tom mit seinen idiotischen Bemerkungen daran Schuld. Er würde diese Allie wahrscheinlich nie wieder sehen und niemals sein Versprechen einlösen müssen, mit ihr zum Tanzen zu gehen. Sie würde es bestimmt nicht mal von ihm erwarten.

Dann stellte er sich vor, wie ihm wohl zu Mute wäre, wenn er aus den Trümmern geborgen werden würde und nur eine ältliche Nachbarin da wäre, die ihm zur Seite stünde, statt eine großen Familie um sich versammelt zu haben, wie es bei ihm der Fall sein würde. Nein, so etwas konnte er sich nicht vorstellen. Sein Zimmer im Krankenhaus würde gefüllt sein von Menschen, die sich etwas daraus machten, ob er lebte oder starb, Menschen, die ihm dabei helfen würden, sein Haus und sein Leben wieder neu aufzubauen. Wer würde für Allie da sein?

Er verbrachte eine ganze Weile damit, sich immer wieder zu sagen, dass eine Frau, die als ein Engel beschrieben wurde, ganz sicher mindestens ein Dutzend Freunde um sich versammelt haben müsste. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass das bei Allie nicht der Fall war.

„Verdammt“, murmelte er, knallte die Kaffeetasse auf den Küchentresen und griff nach seinen Autoschlüsseln.

Auf der Fahrt zum Krankenhaus nahm er sich vor, sofort umzukehren und zu verschwinden, wenn Allie die Hilfe hatte, die sie brauchte. Das würde dann das Ende sein – das Ende der Geschichte. Das Ende der Verfolgung durch ihre großen blauen Augen.

Zu seinem tiefen Bedauern sagte ihm etwas in seinem Innern, dass er dennoch nicht umkehren würde.

3. KAPITEL

Allie hasste Krankenhäuser. Dieser ganz eigene Geruch, der einem Krankenhaus anhaftet, genügte, um sie in eine andere Zeit, an einen anderen Ort zu versetzen. Einen Ort, an dem ihr Leben für immer eine Wendung genommen hatte. Nur war sie dieses Mal erwachsen, und ihre Verletzungen waren weder lebensgefährlich noch bleibend. Die Ärzte bestanden jedoch darauf, sie so lange nicht zu entlassen, bis sie beweisen konnte, dass sie beides hatte: eine Unterkunft und jemanden, der für sie sorgte.

Leider hatte sie beides nicht. Sie kannte nur einige wenige Leute aus ihrer Nachbarschaft, und deren Häuser waren genauso verwüstet wie ihr eigenes. Ihre Eltern hatten ihr angeboten, sofort nach Miami zu fliegen und bei ihr zu bleiben. Doch Allie fand, dass es idiotisch sei, wenn man die Kosten für das Hotel und die Mahlzeiten für drei Personen bedachte. Sie hatte ihren Eltern versprochen, dass sie sie sofort benachrichtigen würde, sobald sie sich für eine endgültige Lösung entschieden hatte. Und es musste eine Lösung geben! Sie war nur bis jetzt noch nicht darauf gekommen.

„Wie wär’s, wenn Sie die nette junge Frau, mit der Sie befreundet sind, um Unterschlupf bitten?“, schlug Jane vor, die nach dem Unglück von ihrer Schwester aufgenommen worden war. Und obwohl es eine ganz schön weite Strecke von dort bis zum Krankenhaus war, ließ Jane es sich nicht nehmen, Allie zu besuchen. Sie war bereits gestern Abend hier gewesen und hatte sich heute Morgen gleich wieder auf den Weg gemacht.

„Gina hat gerade ein Baby bekommen“, erwiderte Allie. „Und ihr Apartment ist klein. Ich kann mich unmöglich ihr und ihrem Mann aufdrängen.“ Beide hatten ihr angeboten, vorübergehend bei ihnen zu bleiben.

„Ich würde ja darauf bestehen, dass Sie mit mir zu meiner Schwester Ruth kommen, aber sie ist nicht bei bester Gesundheit. Und um ganz ehrlich zu sein, fällt sie einem ganz schön auf den Wecker.“

Allie verbiss sich ein Lachen. Janes Meinung über ihre Schwester kannte sie bereits in- und auswendig. Die beiden waren so verschieden, wie es nur sein konnte. Jane fand, dass Ruth sich viel zu sehr auf ihre eigenen Probleme konzentrierte, statt sich für die Probleme der anderen zu interessieren.

„Ruth ist schon in jungen Jahren alt gewesen“, hatte Jane oft erklärt. „Sie war mit fünfzig bereits eine verschrobene alte Frau, und sie kleidete sich auch wie eine. Ich versuchte sie zu todschicken roten Schuhen zu überreden. Man hätte meinen können, dass ich sie dazu überreden wollte, ein Kleid mit einem gewagten Schlitz zu tragen.“ Jane seufzte. „Sobald ich den Scheck von der Versicherung bekomme, ziehe ich in ein Apartment, wo ich nicht auf ihr ständiges Klagen hören muss.“

„Sie hat Sie immerhin bei sich aufgenommen, Jane“, erinnerte Allie sie. „Sie ist sofort da gewesen, als sie hörte, was passiert war.“

„Ja, das stimmt“, gab Jane zu. „Natürlich hat sie es aus Pflichtgefühl getan. Sie wäre nicht gekommen, wenn sie sich nicht Sorgen gemacht hätte, was ihr Pastor sonst dazu sagt. Ihre einzige Schwester obdachlos auf der Straße zu lassen, das hätte ihm ganz sicher nicht gefallen.“

Sie wedelte mit der Hand das Thema beiseite. „Genug davon“, sagte sie. „Ich muss jetzt los. Mein Bus geht in zwanzig Minuten. Morgen bin ich wieder da.“ Sie küsste Allie auf die Stirn. „Für mich sind Sie wie die Enkelin, die ich nie gehabt habe. Ich hoffe, dass wir, wo immer wir auch landen werden, in Verbindung bleiben.“

„Auf alle Fälle“, versprach Allie und drückte ihr die Hand.

Gleich nachdem Jane gegangen war, mühte Allie sich auf die Füße, um einen Rundgang im Zimmer zu machen. Sie war entschlossen, ganz schnell wieder zu Kräften zu kommen. Zuerst bewegte sie sich unbeholfen zur Tür und schloss sie, damit die Krankenschwestern nicht aufmerksam wurden, was sie da tat.

Sie humpelte in dem kleinen Einbettzimmer herum, als die Tür einen Spaltbreit geöffnet wurde. Erst waren nur tiefbraune Augen zu sehen. Als der Besucher entdeckte, dass Allie auf war, lächelte er breit.

„Sie sind wach. Man sagte mir vorn, Sie schliefen und ich solle Sie nicht stören.“

„Kommen Sie herein!“ Allie freute sich, ihren Retter wieder zu sehen. „Mir wird erst jetzt klar, dass ich nicht mal weiß, wie Sie heißen.“

„Enrique Wilder“, sprach er seinen Namen deutlich aus, damit sie ihn problemlos von seinen Lippen ablesen könnte. „Ricky würde genügen.“

„Ich habe Ihnen mein Leben zu verdanken, Mr. Wilder.“

Er blickte fast ein wenig verlegen drein bei ihrem Dank. „Das ist mein Job, weiter nichts.“

„Und Ihr Job ist, Menschenleben zu retten?“

„Wenn ich Glück habe.“ Er machte einen Schritt ins Zimmer, blieb aber sofort wieder stehen und blickte überall hin, nur nicht auf Allie. Er schien so befangen zu sein, dass Allie anfing sich zu wundern, warum er sich die Mühe gemacht hatte, sie zu besuchen.

„Warum sind Sie hier?“, fragte sie schließlich, als er weiterhin schwieg.

„Darüber bin ich mir nicht ganz im Klaren“, gestand er ihr.

„Es ist also keine Gewohnheit von Ihnen, all die Opfer aufzusuchen, die sie aus den Trümmern herausgeholt haben“, bemerkte sie neckend.

Allie bemerkte, dass er die Lippen bewegte, aber weil sein Gesicht ihr nicht ganz zugewandt war, wusste sie nicht, was er sagte. Sie legte ihm die Hand mahnend auf den Arm und sah ihn bittend an.

„Oh, tut mir leid“, entschuldigte er sich sogleich. „Das hatte ich ganz vergessen. Ich bin gekommen, weil ich mich überzeugen wollte, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist. Keine bleibenden Schäden?“

„Keine. Sie können mich als eine Ihrer Erfolgsstorys abhaken.“

„Wann entlässt man Sie von hier?“

„Nicht schnell genug, befürchte ich.“

„Dabei glaubte ich, dass man heutzutage die Patienten so schnell wie möglich entlässt – manchmal sogar zu schnell.“

„Im Allgemeinen ist es so üblich, doch bei mir sind es die ungewöhnlichen Umstände, wie man mir erklärte. Ich bin im Augenblick nicht mobil genug, um mich nach einer Unterkunft umzusehen, und die Ärzte bestehen darauf, dass dieses Problem erst gelöst werden müsse, ehe sie mich entlassen.“

„Haben Sie denn keine Freunde, wo sie bleiben können?“

„Doch, ich bin mit einem Ehepaar befreundet. Aber sie sind erst kurz verheiratet, und ich will mich ihnen nicht aufdrängen. Ich bin noch nicht lange genug in Miami, um gute Freunde unter den Nachbarn zu haben.“ Sie zuckte die Schultern. Und beide wussten ja, in welcher Situation ihre Nachbarn steckten.

„Ich weiß. Ihre Nachbarn sind auch schlimm dran. Übrigens, wie geht es Mrs. Baker?“

„Sie lebt bei ihrer Schwester und beschwert sich darüber“, antwortete Allie und lachte. „Jane ist ein sehr eigenständiger Mensch. Und sie findet, dass ihre Schwester ein Muffel ist. Wenn sie eine halbe Stunde früher gekommen wären, dann hätten sie das alles brühwarm zu hören bekommen.“

Ricky lächelte. „Sie ist hier gewesen?“

„Gestern und heute. Sie sagt, dass sie nach mir sehen müsse, aber ich glaube, dass sie nur von ihrer Schwester wegwill.“

„Ich kenne das Gefühl“, seufzte Ricky.

„Sie haben auch eine Schwester?“

„Vier.“

Der Gedanke an eine so große Familie faszinierte Allie. Sie setzte sich auf den Bettrand. „Erzählen Sie mir von ihnen“, bat sie.

Ricky sah sie zweifelnd an. „Sie meinen das nicht im Ernst. Wollen Sie wirklich etwas über meine Schwestern hören?“

„Ja, das möchte ich“, versicherte Allie ihm. „Ich bin Einzelkind. Mich haben große Familien schon immer fasziniert. Erzählen Sie mir auch von Ihren Eltern. Ihre Mutter stammt aus Kuba, nicht wahr?“

„Wie haben Sie das herausgefunden?“

„Irgendwie liegt es nahe. Die vielen Kubaner hier in Florida und dann Ihre Hautfarbe. Ihr Vorname ist spanisch, aber ihr Nachname ist Wilder. Der klingt eher amerikanisch.“

Ricky lachte. „Ah, Sie denken logisch. Es stimmt, meine Mutter stammt aus Kuba. Sie war zwölf, als sie mit ihren Eltern in die Staaten kamen, und sie hat mit meinem Vater dieselbe Schule besucht. Mutter behauptet, dass es bei ihr Liebe auf den ersten Blick gewesen sei.“

„Und was sagt Ihr Vater dazu?“

„Er sagt, dass das nicht stimmen kann. Er habe sein ganzes Erspartes aufgebraucht, um ihr Rosen zu schenken. Erst als sie zwanzig war, hätte sie angefangen, so zu tun, als ob sie ihn mögen würde.“

Allie lachte. „Die Rosen haben es wohl schließlich fertig gebracht.“

„Ja, das wird’s wohl gewesen sein. Aber Mama hat schon immer großen Wert darauf gelegt, dass ein Mann um ein Mädchen lange wirbt. Auch wenn sie verrückt nach meinem Vater war, so wollte sie, dass er seine Liebe für sie bewies, ehe sie ihn heiratete. Eine Ehe kann für sie nur durch den Tod geschieden werden.“

„Und die Rosen haben sie von seiner Liebe überzeugt?“

„Nein, nicht die Rosen. Eher seine Hartnäckigkeit.“

„Und sie hat ihre Weisheit an ihre Kinder weitergegeben, nehme ich an, sodass Sie und Ihre Schwestern nur sichere Beziehungen eingehen.“

„Sagen wir mal so: Jede meiner Schwestern hat ihren zukünftigen Ehemann erst einmal durch die Mangel gedreht hat, bevor sie Ja sagte. Manchmal taten mir die armen Männer richtig leid. Sie hatten ja keine Ahnung, in was sie da hineingerieten. Gelegentlich habe ich versucht, sie zu warnen, wenn sie bei der ersten Verabredung in unserem Haus aufkreuzten, aber da war es schon zu spät. Meine Schwestern sind sehr schön, und die Männer waren ihnen bereits verfallen, noch bevor die Armen sie zum Date abholen kamen.“

„Und wie ist es mit Ihnen? Was hat die Weisheit Ihrer Mutter bei Ihnen bewirkt?“, erkundigte Allie sich.

„Nichts. Ich bin bis jetzt noch keiner Frau begegnet, die ich wirklich beeindrucken wollte.“

„Aber ich bin sicher, dass es Ihnen an Verehrerinnen nicht mangelt.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Werfen Sie nur einen Blick in den Spiegel.“

Ricky grinste. „Wollen Sie mir damit etwa sagen, dass Sie mich attraktiv finden?“

„Eine Tatsache bleibt eine Tatsache.“ Mehr wollte Allie ihm nicht zugestehen. „Zurück zu Ihren Schwestern. Erzählen Sie mir mehr von ihnen.“

Ricky zog sich den einzigen Stuhl im Raum heran und setzte sich. „Lassen Sie mich mal überlegen. Also, fangen wir bei Maria an. Sie ist die Älteste. Sie ist sechsunddreißig und hat vier Kinder, alles Jungs, richtige Plagegeister, wenn Sie mich fragen. Sie sind von Ungeziefer, Schlangen und Chamäleons wie besessen. Zum Schrecken ihrer Eltern bringen sie dieses Gewürm auch ständig ins Haus und lassen es dort sogar frei. Ich habe meiner Schwester gesagt, dass das die Strafe sei für all die Gemeinheiten, die sie mir als Kind angetan hat.“

Allie lachte. „Wie wird sie damit fertig?“

„Sie gesteht ihrem Mann und den Jungs genau fünf Minuten zu, um das Getier zu finden und aus dem Haus zu schaffen.“

„Und wenn es ihnen nicht gelingt?“

„Dann geht sie einkaufen – Parfum, die feinste Unterwäsche und ich weiß nicht was noch. Und das alles in der kürzesten Zeit. Sie behauptet, dass ihr Geschick mit den Kreditkarten ein ausgezeichneter Ansporn für ihren Mann sei.“

„Ich weiß nicht“, zweifelte Allie. „Ganz sicher würde der eine oder andere Ehemann die Aussicht auf verführerische Unterwäsche eher als einen Gewinn ansehen und nicht so sehr als eine Drohung.“

Ricky grinste. „Wie recht Sie haben. Nur hat sie das noch nicht herausgefunden.“ Sein Gesicht wurde nachdenklich. „Aber vielleicht irre ich mich. Maria ist ganz schön schlau.“

„Und die anderen?“

„Elena ist die Zweitälteste. Sie ist fünfunddreißig und mit einem Arzt verheiratet. Bis jetzt haben sie nur ein Kind. Sie wollten erst eine Familie gründen, wenn ihr Mann mit der Ausbildung fertig war und eine Praxis errichtet hat. Meine Mutter hat jeden Tag für sie gebetet. Mutter wird nicht eher glücklich sein, bevor es genug Enkel gibt, um eine eigene Schule einzurichten.“

„Und? Machen die zwei anderen Schwestern da mit?“ Allie wollte noch mehr wissen von dieser lauten, großen Familie.

„Daniela und Margarita sind Zwillinge. Mutter war schon ganz verzweifelt, weil beide sich Zeit ließen mit dem Heiraten. Zuerst wollten sie im Beruf Karriere machen, und sie waren bereits dreißig, als sie schließlich heirateten. Daniela ist Börsenmaklerin, Margarita Lehrerin. Daniela hat zwei Töchter, und mehr Kinder will sie nicht haben. Margarita hat einen Sohn und eine Tochter und ist im Moment gerade wieder schwanger. Der Doktor meint, es seien Zwillinge. Unnötig zu sagen, dass meine Mutter im siebten Himmel ist.“

„Ich glaube, ich könnte Ihre Mutter lieben“, meinte Allie sehnsüchtig. „Und auch Ihre Schwestern. Ich liebe meine Eltern sehr, aber sie haben sich niemals Kinder erhofft. Sie lehren beide am College und fühlen sich wohl in der Welt der Gelehrsamkeit. Ich bin für sie ein totaler Schock gewesen. Nicht dass sie mich nicht über alles lieben und mir als Kind alles gegeben haben, was ich nur brauchte und wollte. Aber ich habe immer gewusst, dass ich eine Art Störenfried in ihrem Leben gewesen bin. Sie wären allerdings entsetzt, wenn sie wüssten, dass ich es so empfunden habe.“

Ricky sah sie groß an. „Wissen Ihre Eltern, dass Sie im Krankenhaus sind?“

„Ja. Und bevor Sie ein Urteil fällen, Mr. Wilder, sollen Sie wissen, dass meine Eltern es mir angeboten haben, zu kommen. Aber die Herbstsemester fangen gerade an.“

„Na und?“

„Ich konnte sie nicht bitten, es zu tun. Es hätte den Lehrplan durcheinandergebracht.“

Ricky starrte sie ungläubig an. „Das meinen Sie doch nicht im Ernst. Deshalb sind die beiden nicht hier?“

„Sie sind nicht hier, weil ich ihnen gesagt habe, dass sie nicht kommen sollen“, wehrte Allie ab. „Wir hätten sowieso in ein Hotel ziehen müssen. Es wäre also recht sinnlos.“

„Sie haben gerade Schweres durchgemacht“, beharrte er entrüstet. „Ihr Haus ist zerstört. Sie liegen im Krankenhaus. Ihre Eltern hätten das nächste Flugzeug nehmen sollen, trotz der Einwendungen, die Sie gemacht haben.“

„Sie haben kein Recht, meine Eltern anzugreifen“, entgegnete Allie steif. Sie wollte auch vor sich selbst nicht zugeben, dass sie gehofft hatte, ihre Eltern würden genau das getan haben. Sie hatten Allie beim Wort genommen, weil es ihnen so besser gepasst hatte. Das bedeutete nicht, dass sie ihre Tochter nicht liebten. Sie waren nur eher praktisch veranlagt, und sie hatten nie besonders groß ihre Gefühle gezeigt bis auf die Zeit, wo Allie ihr Gehör verloren hatte.

Ricky schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber mit betrübtem Gesicht.

Allie wartete, bis er sie wieder ansah.

„Was werden Sie tun?“, fragte er.

„Noch zwei oder drei Tage hierbleiben, nehme ich. Dann wird die Versicherung zweifellos darauf bestehen, dass man mich aus dem Krankenhaus entlässt.“

„Und dann? Eine der Pflegeunterkünfte? In Ihrem Alter?“

„Es gibt im Moment für mich keine große Auswahl an Möglichkeiten“, antwortete Allie. „Außerdem glaube ich nicht, dass es so weit kommen wird. Mit jeder Minute fühle ich mich besser.“

„Ich sah sie vorhin humpeln. Wahrscheinlich dürfen Sie im Grunde noch nicht einmal das Bett verlassen, stimmt’s?“

„Es ist nicht schlimm“, wehrte Allie ab.

Ricky stand auf und ging zum Fenster hinüber. Obwohl er ihr den Rücken zugewandt hatte, war es für sie deutlich, dass er nachdachte. Sie hatte das Gefühl, dass es mit ihr zu tun habe, und ihr war das überhaupt nicht angenehm.

Schließlich drehte er sich zu ihr um. „Ich habe eine Lösung“, erklärte er dann.

„Für was?“

„Für Ihre Situation“, antwortete er mit einem Anflug von Ungeduld.

„Und die wäre?“

„Sie brauchen eine Unterkunft.“

„Das ist nicht Ihr Problem. Ich löse es selbst.“

„Ich bin sicher, dass Sie es tun werden, doch nicht jetzt gleich. Dazu sind sie nicht in der Lage. Sie möchten doch hier heraus, nicht wahr? Und wenn möglich, gleich, stimmt’s?“

„Natürlich.“

„Gut. Dann kommen Sie mit zu mir nach Hause.“

Allie wusste nicht, wer von ihnen beiden bei dieser Einladung mehr überrascht war. Ricky blickte drein, als ob er seine Worte sofort wieder zurückziehen wollte. Nun, sie hatte sich ihren Freunden nicht aufdrängen wollen. Und ganz sicher würde sie sich nicht diesem Mann aufdrängen, dessen Pflicht es gewesen war, sie zu retten und weiter nichts.

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber …“, fing Allie an und wollte ihm versichern, dass es wirklich nicht nötig sei, sich um sie zu kümmern.

„Ich bin nicht allzu oft zu Hause“, unterbrach Ricky sie. „Aber oft genug, um für Sie sorgen zu können, solange Sie es brauchen. Und Sie hätten ein Dach über dem Kopf und könnten sich in Ruhe überlegen, was sie als Nächstes tun wollen.“

Noch bevor Allie das Angebot ablehnen konnte, schien er eine Entscheidung getroffen zu haben, denn er sah sie entschlossen an. „Ich bestehe darauf“, sagte er dann und marschierte zur Tür. „Ich rede mit Ihrem Arzt.“

Allie gelang es irgendwie, sich zwischen ihn und die Tür zu stellen. Ihr Knöchel schmerzte stark von der Anstrengung. „Das werden Sie nicht“, erklärte sie und versuchte, nicht vor Schmerz zu stöhnen. „Ich werde niemandem zur Last fallen und schon gar nicht jemandem, den ich kaum kenne.“

„Ich glaube nicht, dass Sie eine Wahl haben“, entgegnete er sanft und begegnete offen ihrem Blick.

„Natürlich habe ich eine Wahl – und nicht nur eine“, behauptete sie.

„Dann zählen Sie sie mir auf.“

„Ich miete mir ein Zimmer in einem Motel und stelle eine Krankenschwester ein“, antwortete Allie, ohne zu überlegen

„Haben Sie Geld wie Heu?“

„Meine Hausversicherung wird mir das Motel bezahlen und meine Krankenversicherung die Krankenschwester“, trumpfte sie auf und hoffte inständig, dass es wahr wäre.

„Und bis das alles geregelt ist, bleiben Sie noch weitere Tage hier in Ihrem Bett.“

Das war nicht fair von ihm. Denn sie bekam tatsächlich allmählich das Gefühl, die Decke fiele ihr auf den Kopf. Der Gedanke, hier in dem beengten Raum noch länger zu bleiben, bedrückte sie. Aber konnte sie in das Haus eines Mannes einziehen, der ihr praktisch ein Fremder war?

Als Ricky bemerkte, dass sie unschlüssig war, setzte er sein unwiderstehlichstes Lächeln auf. „Ich werde garantiert nicht versuchen, Sie zu verführen, wenn Ihnen das durch den Kopf gehen sollte.“

„Natürlich geht mir das nicht durch den Kopf“, protestierte Allie, ein wenig zu heftig, um glaubhaft zu klingen. „Seien Sie nicht albern.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Kommen Sie, Allie. Nur einige Tage. Und Sie sind von hier erlöst. Das ist es doch, was Sie möchten, oder nicht?“