Bianca Extra Band 5 - Patricia Thayer - E-Book

Bianca Extra Band 5 E-Book

Patricia Thayer

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Beschreibung

GEHEIME GEFÜHLE FÜR DICH von THAYER, PATRICIA
Lilly will nur eins: Ruhe und Frieden für sich und ihre Kinder. Doch damit ist es schlagartig vorbei, als Noah Cooper in Kerry Springs auftaucht. Gegen ihren Willen fühlt Lilly sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen. Auch wenn sie bald ahnt, dass er etwas vor ihr verbirgt …

UND DIESMAL IST ES FÜR IMMER von THAYER, PATRICIA
Der sexy Rancher Matt Rafferty bringt Alisas Herz ganz schön auf Trab. Aber Vorsicht: Vor drei Jahren hat er sie schon einmal zutiefst verletzt, als er sich nach einer gemeinsamen Nacht einfach aus dem Staub gemacht hat. Und warum sollte das jetzt plötzlich anders sein?

MAN KÜSST SICH IMMER ZWEIMAL von MYERS, HELEN R.
Eve erschauert vor Lust, als Derek sie mit einem verlangenden Kuss überrascht. Doch so heiß es zwischen ihnen knistert, würde sie trotzdem am liebsten davonlaufen. Schließlich erinnert Derek sie an alles, was sie eigentlich vergessen möchte: Ihr Ex ist mit seiner Ex durchgebrannt!

STADT, LAND ... LIEBE? von FLYNN, CHRISTINE
"Bitte, Daddy? Darf Sophie hier bleiben?" Widerstrebend sagt Carter McLeod Ja. Aber nur, weil seine Tochter Hanna dringend ein Kindermädchen braucht. Denn Sophie macht ihn ungewohnt nervös. Was natürlich bloß daran liegt, dass eine Städterin wie sie nicht auf seine Ranch passt …

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Seitenzahl: 688

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Patricia Thayer, Helen R. Myers, Christine Flynn

BIANCA EXTRA BAND 5

IMPRESSUM

BIANCA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 5 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

© 2011 by Patricia Wright Originaltitel: „Tall, Dark, Texas Ranger“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anna-Pia Kerber

© 2012 by Patricia Wright Originaltitel: „Once a Cowboy …“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anna-Pia Kerber

© 2012 by Helen R. Myers Originaltitel: „The Surprise of Her Life“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Meike Stewen

© 2009 by Christine Flynn Originaltitel: „The Rancher & the Reluctant Princess“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Rita Hummel

Abbildungen: Annebaek / iStock. by Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733732240

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

PATRICIA THAYER

Geheime Gefühle für dich

Noah Cooper darf sich auf keinen Fall durch Lillys weibliche Reize von seiner Aufgabe ablenken lassen! Er hat einen Job in Kerry Springs zu erledigen – für Gefühle ist da absolut kein Platz … oder?

PATRICIA THAYER

Und diesmal ist es für immer

Matt Rafferty weiß, dass er mit dem Feuer spielt, wenn er sich noch einmal mit der bezaubernden Alisa trifft: Er kann ihr nicht widerstehen! Doch anders als sie hat er nicht vor sich zu binden …

HELEN R. MYERS

Man küsst sich immer zweimal

Geht Eve ihm etwa aus dem Weg? Seit dieser Party, auf der Derek seine bezaubernde Nachbarin spontan geküsst hat, hofft er vergeblich auf ein Date. Da kommt ihm überraschend das Schicksal zur Hilfe …

CHRISTINE FLYNN

Stadt, Land … Liebe?

Prinzessin Sophie will sich nur vorübergehend auf Carters Ranch vor den Paparazzi verstecken. Doch dann verliebt sie sich in ihn – in diesen raubeinigen Cowboy, der so gar nicht in ihre Welt passt!

Geheime Gefühle für dich

1. KAPITEL

Noah Cooper konnte sein Glück kaum fassen.

Er lenkte den Wagen in die Maple Street und fuhr langsam die Straße hinunter. Schon von Weitem konnte er das „Zu vermieten“-Schild sehen, das im Hof eines großen dreistöckigen Hauses im viktorianischen Stil prangte.

Er parkte am Straßenrand und stieg aus. Aufmerksam betrachtete er die Tafel. Ein Pfeil deutete zum Rasen. „Gepflegtes kleines Ferien­haus. Komplett ausgestattet“, stand in kleineren Buchstaben da­runter. Noah vermutete, dass es sich hinter dem Haupthaus befand.

Er atmete tief durch. Das war die Chance. Sein neuer Job fing schon mal gut an. Jetzt musste er nur noch als Mietinteressent überzeugend wirken.

Die Steinplatten zum Haus waren verwittert und lose. Auch die breite Veranda, die um das ganze Haus herumführte, hatte schon bessere Zeiten gesehen, und die Farbe blätterte von der Fassade.

Trotzdem hatte sich jemand viel Mühe gegeben, dem Haus eine einladende Note zu verleihen. Blumen blühten in großen Töpfen auf der Veranda und im Hof, und der Rasen war gerade erst gemäht worden.

Er betrat die Veranda und drückte auf den Klingelknopf. Nichts regte sich. Er ging um das Haus. Dann sah er das mit Schindeln gedeckte Ferienhaus.

Für seinen Geschmack hatten die Blumenkästen und die kleinen Gardinen eine unverkennbar weibliche Note – doch er hätte keinen idealeren Ort finden können.

Die Tür des Häuschens stand einen Spalt offen. Noah lugte hinein. In diesem Moment hörte er die Musik. Neugierig spähte er durch den Türspalt. Man konnte in das Wohnzimmer sehen, wo es einen kleinen Kamin, zwei Sessel und einen niedrigen Tisch gab. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich mehrere kleine Schränkchen und Vitrinen mit antiquiertem Haushaltsgerät.

Na schön, das Haus war komplett eingerichtet – aber aus welcher Epoche?

Er schob die Tür ein Stück weiter auf. Da entdeckte er die Frau auf dem Fußboden. Auf Händen und Knien schrubbte sie den Boden und wandte ihm den Rücken zu. Ihre Hüften bewegten sich im Rhythmus zu dem Countrysong, der aus einem altmodischen Radio klang.

Sein Blick glitt über ihre Hüften und den runden Po. Sie trug ein schmales Trägerhemd und Shorts, die viel von ihren hübschen Beinen enthüllten. Ihr langes helles Haar war zu einem Knoten gedreht, doch einige Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr auf die Schultern.

Noah spürte, wie sich etwas in ihm regte. In seinem Job kam das nicht oft vor. Ganz gleich, mit welchen Menschen er es zu tun hatte, er ließ sich von nichts und niemandem ablenken. „Entschuldigen Sie, Ma’am!“, rief er über die Musik hinweg.

Lilly wirbelte erschrocken herum. Beim Anblick des Fremden im Türrahmen sprang sie auf und stieß mit dem Kopf schmerzhaft gegen die Lampe.

Der Mann machte besorgt einen Schritt auf sie zu, doch sie hob die Hand und hielt ihn auf Abstand.

„Geht es Ihnen gut?“

Lilly nickte. Sie schaltete das Radio aus und musterte den Eindringling.

Er war ziemlich groß und muskulös. Er hatte dichtes, fast schwarzes Haar und hellbraune Augen. An seiner Kleidung war nichts Auffälliges: Er trug verwaschene, aber saubere Jeans, Stiefel und ein kurzärmeliges Shirt. So lief hier fast jeder herum, doch die vergangenen Jahre hatten Lilly misstrauisch gemacht.

„Wer sind Sie?“, fragte sie barsch.

„Ihr neuer Mieter, hoffe ich.“ Er deutete hinaus. „Ich habe das Schild gesehen. Mein Name ist Noah Cooper.“

„Lilly Perry. Ich bin allerdings nicht die Vermieterin. Das ist meine Mutter, Beth Staley.“ Ihrer Mutter gehörte auch das Haupthaus. Sie hatte beschlossen, das Ferienhaus zu vermieten – doch Lilly rechnete nicht damit, dass sie es einem Fremden überlassen würde.

„Dann werde ich wohl warten müssen, bis Ihre Mutter wieder zu Hause ist.“

„Um ehrlich zu sein, Mr Cooper …“

„Coop“, unterbrach er sie. „Alle nennen mich Coop.“

„Coop“, wiederholte sie zögernd. „Ich fürchte, das Haus ist schon jemand anderem versprochen.“

Er zeigte nach draußen. „Das Schild hängt noch da.“

Erwischt. „Nun ja, es ist noch nicht offiziell. Aber machen Sie sich nicht allzu große Hoffnungen.“

„Es ist wohl besser, wenn ich mit Mrs Staley persönlich spreche. Wann kommt sie zurück?“

„Schwer zu sagen. Sie ist gerade beim Nähen mit ihren Freundinnen. Das kann Stunden dauern.“

Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „In Ordnung. Dann muss ich wohl warten.“ Er drehte sich um.

In diesem Augenblick hörten sie jemanden rufen. „Mom! Wo bist du?“

„Ich bin hier, Robbie.“ Lilly ging zur Tür.

Ein kleiner Junge stürmte herein. „Mom! Colin und Cody wollen schwimmen gehen. Sie haben mich gefragt, ob ich mitkommen will. Darf ich? Bitte.“

„Nun mal langsam.“ Lilly strich ihrem Sohn das blonde Haar aus der Stirn. Mit großen Augen sah er sie an. Sie waren so blau wie die seines Vaters. Des Vaters, der Robbie niemals aufwachsen sehen würde.

Lillys Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

„Aber Codys Mom hat gesagt, dass ich mitkommen darf. Sie hat gesagt, dass ich dir dann nicht bei der Arbeit im Weg bin.“

Lilly verkniff sich ein Lächeln. Als Robbie ein Jahr alt war, hatte er mit dem Sprechen begonnen – und seitdem redete er wie ein Wasserfall.

„Du könntest mir ja auch helfen, anstatt im Weg zu stehen.“

Der kleine Junge kräuselte unwillig die Nase. „Ich bin doch erst sechs. Außerdem sind Sommerferien.“ Dann fiel sein Blick auf Mr Cooper. „Hi. Ich bin Robbie Perry. Und wer bist du?“

„Das ist Mr Cooper.“ Lilly legte ihrem Sohn schützend die Hände auf die Schultern.

„Aber du kannst mich Coop nennen.“ Er zwinkerte dem Kleinen zu.

Robbie sah ihn argwöhnisch an. „Und was machst du hier?“

„Robbie.“ Lillys Ton war schärfer als beabsichtigt.

Coop hob die Hände. „Schon gut. Ich möchte euer Ferienhaus mieten. Aber deine Mom sagt, dass schon jemand anderes daran interessiert ist.“

Der kleine Junge sah seine Mutter fragend an. „Wirklich? Wer denn, Mom?“

Lilly errötete. Wenn sie Robbie nicht zum Schweigen brachte, würde ihre kleine Notlüge noch auffliegen. „Warum holst du nicht deine Schwimmsachen, Robbie?“

Der Junge machte einen kleinen Luftsprung. „Darf ich gehen?“

„Sicher. Aber vergiss dein Handtuch nicht.“

Außer sich vor Freude rannte der Kleine hinaus.

„Ein lebhafter Junge“, bemerkte Coop.

„Oh ja. Ich wünschte, ich hätte seine Energie.“

Eine unangenehme Pause entstand.

Coop räusperte sich. „Nun, ich gehe wohl besser. Vielen Dank, Mrs Perry.“

„Tut mir leid, dass ich nicht mehr für Sie tun kann. Ich hoffe, Sie finden eine Bleibe.“ Lilly zögerte. „Arbeiten Sie hier in der Gegend?“ Warum wollte sie das überhaupt wissen? „Wenn Sie einen Job suchen, können Sie es auf einer Ranch probieren. Ich meine, wenn Sie Erfahrung in so etwas haben.“ Sie biss sich auf die Lippen.

Coop entging nicht Lillys Misstrauen. Aber nach allem, was ihr in den vergangenen Jahren widerfahren war, wunderte es ihn überhaupt nicht, dass sie Fremden gegenüber vorsichtig war. „Ich habe zwar Erfahrung, aber deswegen bin ich nicht hier. Ich helfe beim Bau der neuen Siedlung im Westen der Stadt.“

Das schien sie zu überraschen. „Für AC Construction? Sie arbeiten für Alex Casali?“

„Ja, Ma’am. Ich bin gelernter Zimmermann.“ Das entsprach sogar der Wahrheit. „Dann werde ich mal weitersuchen. Auf Wiedersehen.“

Coop trat hinaus und ging über den Rasen. Die Tür des Haupthauses flog auf, und Robbie sprang mit zwei großen Sätzen die Verandastufen hinunter. Sein Gesicht glühte.

„Hey, Robbie!“, rief Coop. Vielleicht würde der Junge ihm mehr verraten. „Weißt du vielleicht, wo ich deine Großmutter finden kann?“

Der Kleine nickte. „Klar. Sie ist mit ihren Freundinnen im Blind Stitch Quilt Shop.“ Er verdrehte die Augen. „Das ist so langweilig. Sie zerschneiden alte Shirts und nähen daraus Decken. Meine Schwester hat auch damit angefangen.“

Coop lächelte. „Das ist doch gut. Denn dann kannst du in aller Ruhe Dinge tun, die nur Jungs machen.“

Robbie verzog das Gesicht. „Schon, aber ich habe niemanden. Mein Dad ist gestorben.“

„Das tut mir leid.“ Coop wusste nicht, was er sagen sollte. In diesem Moment hielt ein Wagen vor dem Haus und befreite ihn aus seiner misslichen Lage. „Viel Spaß beim Schwimmen.“

Robbie eilte zum Auto und fuhr mit seinen Freunden davon.

Coop sah ihm nach. Im Stillen verfluchte er den Vater des Kindes. Michael Perry hatte alles verspielt. Er hatte das Leben mit seiner hübschen Frau und den Kindern weggeworfen – doch wofür?

Das war Coops Aufgabe. Er musste herausfinden, warum Perry gestorben war. War er der Informant, der in jener folgenschweren Nacht nicht aufgetaucht war?

Coop würde es herausfinden.

Eine halbe Stunde später entdeckte Coop den Blind Stitch Quilt Shop und parkte am Straßenrand. Nicht, dass es schwierig gewesen wäre, den Laden zu finden. Die kleine texanische Stadt Kerry Springs zählte gerade einmal zehntausend Einwohner – doch Coop wusste aus Erfahrung, dass es selbst an einem friedlichen Ort wie diesem nicht nur gute Menschen gab.

Er betrachtete die Auslage des Shops mit den unzähligen leuchtenden Flickendecken. Na schön, das hier war nicht gerade sein Spezialgebiet. In einer düsteren Bar in El Paso hätte er sich wohler­gefühlt als zwischen diesen farbenfrohen handgenähten Quilts. Doch das gehörte nun einmal zu seinem Job.

Er betrat den Laden und sah sich aufmerksam um. In der Mitte stand ein großer Schneidetisch. Einige Frauen drängten sich darum und diskutierten die verschiedenen Stoffmuster. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein breiter Durchgang, durch den man in einen weiteren Raum gelangte.

Coop machte einen Schritt darauf zu, als eine attraktive blonde Frau auf ihn aufmerksam wurde. Sie war hochschwanger. Lächelnd kam sie ihm entgegen. „Hallo, ich bin Jenny Rafferty. Kann ich etwas für Sie tun?“

„Man hat mir gesagt, dass ich hier Beth Staley finden kann.“

Jennys Lächeln wurde eine Spur strahlender. „Das stimmt, Beth ist hier.“ Sie deutete in den Nebenraum. „Sie sitzt drüben am Tisch der Quilter’s Corner. Gehen Sie ruhig rein.“

„Vielen Dank, Ma’am.“

Sechs Frauen verschiedenen Alters saßen um den runden Tisch und waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Coop nahm den Hut ab und trat an den Tisch. „Entschuldigen Sie“, sagte er höflich. „Ich möchte Sie nicht stören, aber ich suche Beth Staley.“

„Das bin ich.“ Eine zierliche Frau Ende fünfzig hob die Hand. „Obwohl ich mir kaum vorstellen kann, warum ein attraktiver junger Mann nach mir suchen sollte.“ Die Frauen lachten.

Coop begann sich zu entspannen. „Ich komme wegen des Hauses, das Sie vermieten. Das Ferienhaus.“

Beth lächelte. Coop erkannte die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter. Beide hatten das gleiche ebenmäßige Gesicht und die leuchtenden grünen Augen. „Ja, das Haus ist zu vermieten.“

„Ich bin sehr interessiert daran, aber ich fürchte, ich bin zu spät.“

Mrs Staley sah ihn verwundert an. „Aber warum denn?“

„Ihre Tochter hat mir erzählt, dass es bereits einen Interessenten gibt.“

Beth stutzte. Sie warf einen raschen Blick zu ihren Freundinnen, dann zurück zu Coop. „Nun, es gab jemanden. Aber das hat sich erledigt. Wissen Sie, junger Mann …“

„Oh, Verzeihung. Mein Name ist Noah Cooper. Aber nennen Sie mich doch bitte Coop.“

„Und ich bin Beth. Das sind meine Freundinnen Liz, Lisa, Millie, Louisa und Caitlin.“

„Ich freue mich sehr, Sie alle kennenzulernen, meine Damen.“

Die Damen betrachteten wohlwollend Coops attraktive Erscheinung.

Beth führte Coop in eine ruhige Ecke. „So, Mr Cooper. Wenn es Ihnen wirklich ernst ist, dann benötige ich noch ein paar Unterlagen. Sie wissen ja, wie das ist. Empfehlungsschreiben, Arbeitszeugnisse. Und ich nehme eine Kaution für das Haus.“

Coop nickte zustimmend. „Kein Problem. Ich habe gerade einen Job bei AC Construction angenommen. Aber ich kann Ihnen Empfehlungsschreiben meiner früheren Arbeitgeber vorlegen.“ Seine Vorgesetzten würden mit Sicherheit keine Schwierigkeiten haben, ihm entsprechende Zeugnisse zu besorgen.

„Sie arbeiten für Alex Casali?“

„Ja, Ma’am. Ich bin gelernter Zimmermann. Und ich möchte die nächsten sechs bis acht Monate möglichst nicht in einem Motel verbringen. Ihr Haus wäre ideal. Ich habe es durch Zufall entdeckt und mich gleich wohlgefühlt.“ Wenn er erfolgreich sein wollte, musste er sich einschmeicheln. „In der Vergangenheit habe ich schon viele Häuser renoviert, und es würde mir nichts ausmachen, an Ihrem schönen Haus ein paar Reparaturen vorzunehmen.“

„Leider wurde es in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Früher hat mein Mann die Reparaturen ausgeführt.“ Sie musterte ihn. „Hätten Sie denn Zeit für so etwas, wenn Sie eigentlich für Alex arbeiten?“

„Nun, mein neuer Job beginnt erst in ein paar Wochen. Aber ich würde gern schon jetzt einziehen – es sei denn, Sie möchten warten, bis meine Arbeitszeugnisse vorliegen.“

„Das wird nicht nötig sein. Wer für Alex Casali arbeitet, hat eine fleckenlose Vergangenheit. Seiner Frau Allison gehört übrigens dieser Laden.“

Dann wandte sie sich an ihre Freundinnen. „Hört mal her! Noah Cooper wird mein neuer Mieter.“

„Mom?“

Alle sahen zur Tür.

Lilly Perry hatte sich frisch gemacht und umgezogen. Sie trug nun kakifarbene Shorts und ein pinkfarbenes T-Shirt, und das lange hellbraune Haar fiel ihr in sanften Wellen über den Rücken. Mit forschen Schritten kam sie herein.

Coop wäre niemals darauf gekommen, dass sie schon Mitte dreißig war – und Mutter von zwei Kindern.

„Mom, was geht hier vor?“

„Gut, dass du da bist, Lilly. Ich würde dich gern Mr Cooper vorstellen.“

„Wir haben uns bereits kennengelernt.“ Lilly sah nicht sonderlich glücklich aus. „Woher wussten Sie, dass Sie meine Mutter hier finden würden?“

„Ihr Sohn hat es mir erzählt. Ich dachte, ich frage gleich nach, ob der andere Mieter noch Interesse hat.“

„Der andere Mieter?“ Beth hob die Braue.

Lilly legte ihr rasch die Hand auf den Arm. „Entschuldigen Sie uns einen Moment, Mr Cooper.“ Sie führte ihre Mutter in den Nebenraum.

„Mom, du kannst diesem Mann doch nicht einfach das Haus geben. Er ist nicht von hier. Du hast ja nicht einmal seine Referenzen überprüft.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und außerdem dachte ich, dass wir an eine Frau vermieten wollen.“

„Das war deine Idee. Ich habe genug Menschenkenntnis, um mich auf meinen Instinkt zu verlassen, und ich sehe keinen Grund, warum wir nicht an Mr Cooper vermieten sollten. Sei nicht so misstrauisch, Lilly. Dein Pech mit Michael darf nicht für den Rest deines Lebens dein Urteilsvermögen trüben.“

„Michael hat mich und die Kinder auf die Straße gesetzt und das ganze Geld genommen“, sagte Lilly gereizt. „Außerdem hat er mich gedemütigt.“

Beths Gesichtsausdruck wurde sanft. „Ich weiß. Aber es wird Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen und ein neues Leben zu beginnen.“

Lilly schwieg. Sie hatte nicht vor, ihre Probleme hier im Laden aufzurollen. Unauffällig spähte sie in Noah Coopers Richtung. Er scherzte mit den Frauen der Quilter’s Corner und machte einen sehr charmanten Eindruck. Genau das war das Problem.

Michael hatte auch sehr charmant sein können, wenn er wollte. Dreizehn Jahre war Lilly mit ihm verheiratet gewesen, und ganz plötzlich hatten sich die Dinge geändert. Praktisch über Nacht war er ein anderer Mensch geworden, und er hatte sie und die Kinder einfach verlassen.

Plötzlich ertönte ein leises Stöhnen. Alle sahen zu Jenny. Sie krümmte sich zusammen und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Erschrocken starrte sie auf den Boden zwischen ihren Füßen, wo sich eine kleine Pfütze gebildet hatte. Sie errötete. „Die Fruchtblase ist geplatzt. Mein Baby kommt!“ Sie rang nach Luft. „Ich muss Evan anrufen.“

„Das mache ich“, bestimmte Liz. „Du setzt dich hin.“

Jenny schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss in Bewegung bleiben. Bitte ruft Jade an und fragt sie, ob sie heute Dienst hat. Ich will, dass sie im Kreißsaal dabei ist.“

Lilly beobachtete die kleine Gruppe. Jenny gab leise Anweisungen, doch ihre Stimme ging in dem allgemeinen Durcheinander einfach unter. Die Frauen redeten aufgeregt durcheinander und benahmen sich wie aufgescheuchte Hühner.

Das reichte.

Lilly stieß einen lauten Pfiff aus. Sofort herrschte Ruhe. „So, jetzt wollen wir die Sache mal vernünftig angehen. Liz, du rufst Evan an und sagst ihm, dass er direkt zum Krankenhaus kommen soll. Millie, du versuchst Jade zu erreichen. Dann nimmst du Jennys Handy und rufst ihren Arzt an. Er soll wissen, dass wir auf dem Weg sind.“

Sie sah sich um. „Wer hat einen Wagen und kann zum Krankenhaus fahren?“

Noah Cooper meldete sich. „Ich bin mit dem Truck hier und kann vier Personen mitnehmen.“

Jenny stöhnte auf und krümmte sich erneut.

„Gut, Mr Cooper.“ Lilly sah ihn an. „Dann sind Sie unser Taxifahrer. Los geht’s.“

Lilly und Liz griffen Jenny unter die Arme und brachten sie hinaus. Beth und Coop folgten ihnen zur Tür. „Meine Tochter ist Schulleiterin“, erklärte Beth. „Sie nimmt die Zügel in die Hand, wenn es darauf ankommt.“

Coop war beeindruckt von ihrer Tatkraft. Er eilte zu seinem Truck und öffnete die Beifahrertür. Bevor Jenny sich setzte, breitete Millie umsichtig ein Handtuch auf dem Sitz aus.

Jenny wollte sich bei Coop entschuldigen, doch er schob ihre Bedenken mit einer lockeren Geste beiseite. „Machen Sie sich keine Gedanken, Ma’am.“

Nachdem er ihr in den Wagen geholfen hatte, sprang er auf den Fahrersitz. Lilly und Beth kletterten auf die Rückbank und wiesen Coop den Weg zum Krankenhaus.

Lilly war froh, dass sie die Verantwortung abgeben konnte, sobald sie dort waren. Und so, wie Mr Cooper den Truck durch die Stadt jagte, würde das schon sehr bald sein. Eines musste man diesem Mann lassen: Er rannte nicht davon, wenn es brenzlig wurde.

Das sprach auf jeden Fall für ihn.

Mehr aber auch nicht.

Zwei Stunden später saß Coop im Aufenthaltsraum und wartete. Er trank schon den zweiten Becher schalen Krankenhauskaffee. Das Baby ließ sich Zeit.

Inzwischen war Jennys Mann Evan angekommen. Coop hätte nun gehen können, aber er war sich nicht sicher, ob die anderen Frauen eine Mitfahrgelegenheit brauchten. Außerdem war das eine gute Gelegenheit, etwas über die Bewohner von Kerry Springs herauszufinden.

Er lehnte sich an die Wand und beobachtete das rege Treiben. Während der vergangenen zwei Stunden waren viele Menschen ein – und ausgegangen, um sich nach Jenny zu erkundigen. Offensichtlich war sie ziemlich beliebt.

Von Beth wusste er, dass Evan eine Ranch gehörte. Außerdem war er der Besitzer eines Weinbergs und hatte gerade eine eigene Weinsorte kreiert. Sein Vater Sean Rafferty war auch ins Krankenhaus gekommen. Er hatte Evans kleine Tochter Gracie mitgebracht und schien mindestens ebenso aufgeregt zu sein wie sie. Beth hatte erzählt, dass Jenny Gracies Stiefmutter war.

Und so, wie sie von Sean Rafferty gesprochen hatte, wurde deutlich, dass der attraktive ältere Gentleman ein Frauenschwarm war. Auch jetzt war er von einigen Frauen umringt.

Coops Aufmerksamkeit richtete sich auf Lilly. Sie war nach draußen gegangen, um ihre Kinder anzurufen.

Sie war eine energische Frau und hatte ihn ziemlich beeindruckt. Ob sie tatsächlich nichts von den Machenschaften gewusst hatte, in die ihr Mann verwickelt worden war? Oder hatte sie es gewusst – und sich deswegen von ihm getrennt?

So oder so: Sie war eine bemerkenswerte Frau. Eine Frau, von der sich kein Mann trennen würde, der noch bei Verstand war.

In diesem Moment betrat ein weiteres Paar den Warteraum. Coop erkannte sofort seinen neuen Arbeitgeber Alex Casali. An seiner Seite war eine schmale, attraktive Frau mit langem mahagonifarbenem Haar. Das musste Allison sein.

Alex entdeckte Coop und entschuldigte sich bei seiner Frau. Er ging auf ihn zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. „Coop, was führt dich denn hierher?“

„Ich war einfach zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich habe die Lady ins Krankenhaus gebracht.“

Casali lächelte. „Willkommen in der Kleinstadt.“

2. KAPITEL

„Es ist ein Junge!“

Lilly sah auf. Evan stand im Türrahmen. Er trug einen Krankenhauskittel und hatte ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Sofort wurde er von der kleinen Gruppe der Wartenden umringt und nahm ihre Glückwünsche entgegen. Sean umarmte seinen Sohn.

„Das ist wunderbar, Evan. Ich freue mich für dich.“ Lilly schüttelte seine Hand.

Der gut aussehende Vater nickte stolz. „Danke, Lilly. Natürlich hätte ich mich auch gefreut, wenn ich noch ein Mädchen bekommen hätte. Aber nun können wir die Familiennamen weitergeben. Er soll Sean Michael heißen.“

„Ist das wahr?“ Der stattliche Mann hatte Tränen der Rührung in den Augen.

Evan nickte. „Jenny möchte das Familienerbe bewahren und an deine irische Herkunft erinnern. Also haben wir Sean Michael nach dir und deinem Vater benannt.“

Lilly kämpfte nun selbst mit den Tränen. Sie erinnerte sich, wie ihre Kinder zur Welt gekommen waren. Es waren die schönste Momente ihres Lebens gewesen. „Wie geht es Jenny?“

„Gut. Jade war die ganze Zeit über bei ihr. Sie hat uns sehr geholfen.“

Jade war eine gute Freundin von ihnen. Vor einiger Zeit war die Krankenschwester nach Kerry Springs gezogen und hatte kürzlich Sloan Merrick geheiratet, den smarten Sohn des ehemaligen Senators Clay Merrick.

„Daddy!“ Die kleine Gracie zupfte an Evans Hand. „Können wir jetzt reingehen? Schließlich ist das mein Bruder!“

Die Gruppe lachte.

Lilly beneidete die kleine Familie. Ihre Kinder mussten ohne Vater aufwachsen. Monatelang hatte sie sich vergeblich den Kopf zerbrochen, was zwischen ihr und Michael schiefgegangen war.

Als sie sich umdrehte, entdeckte sie Noah Cooper. Warum war er noch immer hier?

Er kam auf sie zu.

Sie sah ihn an. Seien Augen faszinierten sie. „Sie hätten nicht bleiben müssen, Mr Cooper“, sagte sie fest.

„Kein Problem. Ich wollte ohnehin noch fragen, wann ich einziehen kann.“

Der Gedanke, dass ein Fremder in dem Häuschen wohnen würde, gefiel ihr nicht. „Da müssen Sie meine Mutter fragen.“

„Das habe ich schon getan. Sie meinte, das hängt davon ab, wann Sie mit der Reinigung fertig sind. Aber das kann ich auch selbst erledigen.“

„Eigentlich wollte ich noch die Teppiche sauber machen. Niemand hat mehr in dem Haus gewohnt, seit mein Onkel vor ein paar Jahren zu Besuch war.“ Coop stand so nah bei ihr, dass sie einen Hauch seines Dufts wahrnahm. Rasch trat sie einen Schritt zurück. „Oh, und es stehen noch ein paar Kartons im Haus, die eigentlich in die Garage gehören. Ich habe das Bett noch nicht gemacht, und es gibt keine Handtücher …“

„Die Kartons überlassen Sie ruhig mir. Ein Bett kann ich auch machen. Außerdem habe ich ein paar Handtücher in meinem Rucksack. Und wenn Sie mir verraten, wo es den nächsten Supermarkt gibt, decke ich mich schon mal mit dem Wichtigsten ein. Also, wann kann ich einziehen?“

Niemals! hätte Lilly am liebsten ausgerufen. Andererseits brauchte sie das Geld. Und nur dank ihrer Mutter hatten sie und die Kinder wenigstens ein Dach über dem Kopf. „Na schön. Von mir aus heute noch.“

Schweigend fuhren Coop und Lilly zurück nach Hause.

Er wollte sie auf keinen Fall bedrängen. Ihr Misstrauen war ihm nicht entgangen, und sie würde ihn sicher beim kleinsten Anlass hinauswerfen.

Doch er musste bleiben. Es war der ideale Ort, um mehr über Delgado in Erfahrung zu bringen.

Lilly wies ihm einen Platz in der Garage zu. Er bedankte sich, nahm die große Reisetasche von der Ladefläche und folgte ihr zum Haus.

Lilly zog einen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche.

„Ich dachte, die Menschen in Kleinstädten schließen niemals die Türen ab.“

Sie zuckte zusammen. „Nun, die Zeiten ändern sich, Mr Cooper.“

Aus dem Bericht über Michael Perry wusste Coop, dass zwei Mal in sein Haus eingebrochen worden war. Kurz darauf hatte Lilly ihr Haus an die Kreditgeber verloren und war mit ihren Kindern zurück zu ihrer Mutter gezogen. Vermutlich war sie hier sicher. Andererseits war Delgado noch immer auf freiem Fuß. Er konnte sich überall aufhalten.

Lilly zeigte ihm sein neues Reich. Das Häuschen war klein, aber sehr wohnlich. Coop legte die Reisetasche auf das Bett und warf einen kurzen Blick ins Badezimmer. „Es ist alles da, was ich brauche.“

„Wir haben auch einen Fernseher, aber wir bekommen nicht alle Sender.“

„Das stört mich überhaupt nicht.“

„Erzählen Sie das mal meinen Kindern. Ihrer Meinung nach sind wir total rückständig.“

Coop sah sie an. „Ich finde, mit Ihnen als Mutter und Beth als Großmutter sollten sie mehr als zufrieden sein. Nicht jeder hat so ein Glück.“

Seine Worte schienen Lilly zu verwirren. „Na ja, wer eine Schulleiterin als Mutter hat, ist nicht gerade beliebt.“

Besser als eine Mutter, die selbst nach zwei gescheiterten Ehen bloß an den nächsten Liebhaber denkt. Cindy Morales hatte ihre beiden Söhne im Stich gelassen. „Sie werden es überleben.“

Lilly musste lachen. „Na schön, dann lasse ich Sie jetzt in Ruhe auspacken. Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie.“

„Warten Sie.“ Er nahm seinen Geldbeutel heraus und zählte fünf Einhundertdollarscheine ab. „Das ist ein Teil der Kaution. Sagen Sie Ihrer Mutter, dass ich ihr morgen den Rest bringe.“

Sie nahm die Scheine und ging zur Tür. Coop wollte, dass sie blieb. Das war gar kein gutes Zeichen. Er hatte hier einen Job zu erledigen – für Gefühle war da kein Platz. „Ich würde gern ein paar Reparaturen an Ihrem Haus vornehmen, wenn ich darf.“

„Das müssen Sie nicht.“

„Ich habe reichlich Zeit, bevor mein neuer Job beginnt. Außerdem sind alte Häuser sozusagen mein Hobby. Ich mag viktorianische Gebäude.“

„Nun, meine Mutter könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen. Seit dem Tod meines Vaters hat sie sich ganz allein um das Haus gekümmert. Eigentlich ist es viel zu groß, aber sie würde niemals wegziehen.“

„Es ist ein fantastisches Haus. Und groß genug für Sie und die Kinder. Ich bin sicher, dass Ihre Mutter Sie gern um sich hat.“

Lilly verzog den Mund. „Sie hatte keine Wahl. Wir konnten nirgendwo anders hin.“ Sie wandte sich ab. „Auf Wiedersehen, Mr … Coop.“

Dieses Mal versuchte er nicht, sie aufzuhalten. Wenn er an Informationen gelangen wollte, durfte er jetzt nichts überstürzen.

Sein Handy klingelte. Es war sein Vorgesetzter.

„Wie läuft es?“, fragte Ben Collier.

„Gut. Gestern habe ich mich bei Casali wegen des Jobs gemeldet. Es gab keine Probleme.“ Natürlich nicht. Kerry Springs’ Sheriff hatte Coop auf Anweisung von oben empfohlen. „Außerdem habe ich eine Unterkunft direkt bei Mrs Staley bekommen.“

„Sehr gut.“ Es entstand eine Pause. „Du weißt, was du zu tun hast. Aber sieh dich vor. Wenn Delgado bemerkt, dass ihm jemand auf die Füße treten will, könnte das gefährlich werden – für alle Beteiligten.“

Coops Sorge galt sofort Lilly und den Kindern. „Hey, ich bin gut in meinem Job.“

„Niemand bezweifelt das, aber dieses Mal bist du persönlich betroffen.“

Coops Brust zog sich schmerzhaft zusammen, als er an seinen Halbbruder Devin Morales dachte. „Wir müssen Delgado aus dem Verkehr ziehen. Und zwar so schnell wie möglich.“

„Das werden wir. Pass auf dich auf, Coop.“

Coop dachte an Raul Delgado. Sie waren ihm schon seit Jahren auf der Spur. Delgado war in Waffenhandel und Drogenschmuggel entlang der mexikanischen Grenze verwickelt, doch noch gab es keine Beweise, dass er etwas mit den Mordfällen zu tun hatte. Nicht einmal die Unmengen von illegalen Drogen, die durch seine Hand in die Staaten kamen, konnte man ihm bisher nachweisen.

Bis zu der Nacht, in der ein Polizist bei dem Versuch, einen Drogendeal auffliegen zu lassen, umkam. Der Mann war Coops jüngerer Bruder Devin gewesen. Sein Leben wurde gewaltsam beendet, bevor es richtig begonnen hatte. Es gab keine Zeugen.

Danach war Delgado von der Bildfläche verschwunden. Angeblich hatte er seine Aktivitäten von El Paso nach Laredo verlegt.

Im vergangenen Jahr hatten sie ihn schließlich in Kerry Springs aufgespürt. Die Bundesbeamten hatten einen anonymen Hinweis bekommen, der sie zu Perry’s Gartenbau geführt hatte.

Daraufhin hatten sie ein Treffen mit dem namenlosen Informanten geplant. Es sollte etwas außerhalb von Kerry Springs stattfinden, doch der Informant war nicht aufgetaucht. Der seltsame Zufall hatte sich einige Tage später ereignet: Mike Perry, Besitzer von Perry’s Gartenbau, nahm sich das Leben und hinterließ Frau und Kinder.

Coop war sich fast sicher, dass jemand nachgeholfen hatte. Doch noch gab es keine Beweise. Es stand nicht einmal fest, dass Perry der besagte Informant war.

Coop dachte an Lilly. Ob sie eine Ahnung hatte, auf was sich ihr Mann eingelassen hatte?

Doch aus ihrer Akte war hervorgegangen, dass sie und Mike zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr geschieden waren. Könnte es sein, dass Delgado ein Grund für die Scheidung war?

Er musste es herausfinden.

Es gab nur zwei Anhaltspunkte. Da war Lillys Schwägerin Stephanie Perry, die mit einem Mann namens Rey Santos liiert war. Dieser Mann war Raul Delgado auffallend ähnlich. Und der geheime Informant hatte bei den Bundesbeamten anklingen lassen, dass er Beweise für Delgados illegale Geschäfte hatte.

Coop wollte das Versprechen halten, dass er am Grab seines Bruders gegeben hatte: Er würde diesen Bastard jagen und stellen. Während seiner Suche musste er lediglich darauf achten, dass seine Identität als verdeckter Ermittler nicht aufflog.

„Mom! Robbie nervt mal wieder!“, beschwerte sich die dreizehnjährige Kasey.

Lilly seufzte. Der Tag war schon anstrengend genug gewesen. Sie hatte nicht einmal Zeit, die Einkaufstüten abzusetzen, bevor sie von ihren Kindern überfallen wurde. „Wascht euch die Hände!“, rief sie nach oben. „Wir wollen essen.“

Oben erhob sich ein wildes Geschrei. Lilly ging in die Küche, um die Einkäufe auszupacken. Am Küchentisch saß ihre Mutter und trank eine Tasse Kaffee.

Die Küche war der Mittelpunkt des Hauses. Hier wurde gekocht, gegessen und gelacht. Heute war Lilly an der Reihe, für die Familie zu kochen.

Allerdings war sie schon viel zu spät dran. „Gib mir noch ein paar Minuten.“

„Nur keine Eile“, beschwichtigte Beth. „Es reicht, wenn du einen Salat machst. Der Rest wird geliefert.“

„Aber Mom.“ Lilly warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Darüber haben wir doch schon gesprochen. Ich dachte, die Mieteinnahmen wären dazu da, die Rechnungen zu bezahlen.“

„Sind sie ja auch. Ich habe keinen Cent für das Abendessen ausgegeben.“ Sie lächelte. „Ich hole Kasey und Robbie.“ Es klopfte an die Hintertür. „Willst du nicht aufmachen?“

Unwillig setzte Lilly die Einkaufstaschen ab und öffnete.

Vor ihr stand ihr neuer Mieter und hielt drei Pizzakartons in den Händen. „Ich dachte, da ich früher einziehen durfte als geplant, revanchiere ich mich mit einem Abendessen. Hoffentlich haben Sie Hunger.“

„Das wäre aber nicht nötig gewesen. Ich wollte gerade anfangen zu kochen.“

Coop stellte die Kartons auf die Anrichte und stemmte die Hände in die Hüften. Das marineblaue Hemd spannte sich über die breite Brust und den flachen Bauch. Lilly fiel auf, dass er frisch rasiert war.

„Ich kann den Salat machen.“ Er trat an die Küchenzeile. „Wo finde ich eine Schüssel?“ Schon hatte er den Salatkopf in der Hand und hielt ihn unter den Wasserhahn.

Fühl dich ganz wie zu Hause, dachte Lilly grimmig.

Wenige Minuten später war der Tisch gedeckt. Coop stellte gerade die Salatschüssel ab, als Kasey und Robbie hereinkamen.

„Hey, ich kenne dich doch“, sagte Robbie. „Warum bist du schon wieder hier?“

„Robbie“, warnte Lilly streng. „Mr Cooper hat uns Abendessen mitgebracht.“

„Wie wäre es mit Peperonipizza?“ Coop zwinkerte dem Jungen zu.

Robbies Augen begannen zu leuchten. „Die mag ich am liebsten!“

„Ich mag keine Peperoni“, erklärte Kasey verächtlich.

Es gibt nichts, was sie in letzter Zeit mag, dachte Lilly. Und mich schon gar nicht.

„Dann ist es ja gut, dass ich auch eine vegetarische Pizza mitgebracht habe.“

„Die mag ich am liebsten“, warf Lilly ein.

Kasey verzog den Mund. „Ich habe keinen Hunger.“

Lilly errötete. „Du wirst dich jetzt benehmen und mit uns essen.“ Sie deutete auf Coop. „Kasey, das ist Mr Cooper, unser neuer Mieter. Coop, das ist meine Tochter Kasey.“

„Schön, dich kennenzulernen, Kasey.“

Das Mädchen nickte langsam, doch ihr Blick war misstrauisch. „Danke für die Pizza.“

Lilly atmete erleichtert auf, als Beth endlich die Küche betrat. Sie fing den entnervten Blick ihrer Tochter ein und legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Keine Sorge. Du wirst es überleben. Immerhin warst du auch mal ein Teenager.“

Sie setzten sich an den Tisch. Lilly war kein bisschen überrascht, dass Kasey ihren Appetit schnell wiederfand.

Nach dem Essen durften Kasey und Robbie oben fernsehen. Am liebsten wäre Lilly ebenfalls gegangen, doch sie wollte nicht so unhöflich wirken wie ihre pubertierende Tochter. Stattdessen bot sie Coop einen Kaffee an.

Als er die Tasse in der Hand hielt, lenkte er das Gespräch wieder auf die Reparatur des Hauses.

„Ich lebe hier schon, seit ich ein kleines Mädchen war“, erzählte Beth. „Nach dem Tod meiner Eltern habe ich es geerbt. Zusammen mit meinem Mann Charles habe ich hier Lilly großgezogen. Und ich möchte, dass es einmal ihr gehört.“ Sie wirkte bedrückt. „Aber mit den vielen Reparaturen werde ich wirklich nicht allein fertig.“

Coop nickte. „Das Haus ist solide gebaut. Man müsste ein paar Bretter in der Veranda auswechseln und die Betonstufen ausbessern. Sie sind ziemlich marode und fangen schon an zu bröckeln.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das leisten kann.“

Coop lächelte breit. „Das ist kein Problem. Wenn Sie das Material besorgen, erledige ich den Rest gratis.“

Beth wollte widersprechen, doch Coop fiel ihr ins Wort. „Es macht mir wirklich nichts aus. Aber ich würde mich freuen, wenn ich dafür hin und wieder mit Ihnen essen dürfte.“

Lilly missfiel der Gedanke. Sie brauchte keinen Mann im Haus, sondern wollte Ruhe und Frieden. „Ich glaube nicht, dass Sie Ihre freien Abende mit zwei zankenden Kindern verbringen möchten.“

„Damit kann ich umgehen“, versicherte er.

Sie betrachtete den attraktiven Mann an ihrem Küchentisch.

Das wurden ganz sicher keine ruhigen Sommerferien.

3. KAPITEL

Lilly versuchte mit aller Macht, ihn zu ignorieren. Aber es war schwer, den halb nackten Mann vor dem Küchenfenster zu übersehen.

Es war gerade einmal acht Uhr morgens, und Noah Cooper stand auf einer Leiter und kratzte mit einem Spachtel die abblätternde Farbe von der Hauswand.

Lilly gab auf. Als Coop sich bückte, bewunderte sie seine breiten Schultern.

Ihr wurde heiß. Was war nur los mit ihr? Sie hatte schließlich Besseres zu tun, als hier zu stehen und einen gut aussehenden Mann in ihrem Garten anzuhimmeln. Noch dazu einen Mann, den sie erst seit zwei Tagen kannte.

Außerdem hatte sie von allen Männern genug. Nach dem Desaster mit Michael war es besser, sich und die Kinder vor weiteren Katastrophen zu bewahren.

Michael – der Mann, den sie vor so vielen Jahren kennen und lieben gelernt hatte – hatte sich über Nacht verändert. Lilly konnte es noch immer kaum glauben. Sie waren zusammen zur Grundschule gegangen. Sie hatten dieselbe Highschool besucht und waren anschließend auf dasselbe College gegangen. Und sie hatten geheiratet, als Lilly zwanzig Jahre alt war. Es hatte nie einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben.

Doch plötzlich hatte er Geheimnisse vor ihr. Er war abwesend und distanziert und kam Lilly vor wie ein Fremder. Dann hatte er sie und die Kinder ohne eine plausible Erklärung verlassen.

Doch was sie am meisten bestürzt hatte, war, wie er nach der Scheidung mit den Kindern umgegangen war. Er hatte Lilly das volle Sorgerecht überlassen und weigerte sich, Kasey und Robbie zu besuchen.

Anfangs zahlte er anstandslos den Unterhalt für die Kinder, aber Lilly hatte bald herausgefunden, dass er eine Hypothek auf ihr gemeinsames Haus aufgenommen hatte – aller Wahrscheinlichkeit nach für die Firma, die offensichtlich nicht so gut lief wie gedacht.

Vor allem Kasey hatte unter der Trennung gelitten. Zwei Jahre lang hatte Lilly vergeblich gewartet, dass Michael sich melden würde. Und dann hatte sie vor ein paar Monaten von seinem Tod erfahren.

Der Sheriff war in Beths Haus gekommen und hatte ihr erzählt, dass es sich um einen Selbstmord handelte.

An diesem Tag war auch etwas in Lilly gestorben. „Was ist damals bloß passiert?“, murmelte Lilly. „Warum hast du aufgehört, uns zu lieben, Michael?“

Sie spähte aus dem Fenster. Coop schien völlig in seiner Arbeit versunken zu sein.

Warum fühlte sie sich zu ihm hingezogen? Lag es nur daran, dass sie sich nach so langer Zeit wieder nach der Aufmerksamkeit eines Mannes sehnte?

Zugegeben, er war ein bemerkenswerter Mann – einer, der anpackte, wenn es darauf ankam.

In diesem Augenblick stieg er von der Leiter und griff nach dem Wasserschlauch.

Lilly hielt den Atem an.

Er drehte den Hahn auf, hielt den Schlauch über seinen Kopf und ließ das Wasser über seinen erhitzten Körper fließen.

„Oh“, entfuhr es Lilly. Sie beobachtete, wie das Wasser über seine breite Brust perlte und auf seine Jeans tropfte. Die Sonne hatte seine Haut gebräunt. Lilly betrachtete das kleine Tattoo auf seiner Schulter.

In diesem Moment ertönte hinter ihr eine Stimme. „Was gibt es denn da draußen so Interessantes?“

Sie zuckte erschrocken zusammen und sah ihre Mutter, die neugierig auf sie zukam.

Beth lachte. „Aha. Das sind ja schöne Aussichten.“ Sie seufzte. „Man müsste noch einmal jung sein.“

Lilly griff kopfschüttelnd nach ihrer Kaffeetasse. „Mom, und das in deinem Alter …“

„In jedem Alter“, erwiderte Beth. „Es ist doch nichts dabei, sich einen attraktiven Mann anzusehen. Du solltest es genießen, Lilly. Du bist eine gesunde, junge Frau.“

„Ja, und obendrein Mutter von zwei Kindern und Leiterin einer Schule. Ich sollte ein Vorbild sein.“

„Eben. Zeig deinen Kindern, dass du noch am Leben bist.“

Doch bevor Lilly etwas erwidern konnte, wurde die Hintertür geöffnet, und Mr Sexy kam herein. Immerhin hatte er sich ein Hemd übergezogen.

Er nickte ihnen zu. „Morgen, Ladies.“

Beth lächelte. „Guten Morgen, Coop. Sie sind ja früh auf den Beinen.“

„Ich wollte anfangen, bevor es zu heiß wird“, erklärte er und goss Kaffee in einen Becher.

„Ja, gegen Mittag ist die Sonne kaum auszuhalten.“ Beth wandte sich an Lilly. „Warum frühstückt ihr nicht gemeinsam? Du könntest Coop ein paar Eier braten. Ich muss leider weg. Ich habe versprochen, für Jenny im Laden einzuspringen.“

Lilly verzog das Gesicht. „Sicher“, sagte sie knapp.

„Ich bin zum Mittagessen zurück. Wenn euch etwas fehlt, könnt ihr mich im Blind Stitch erreichen. Bis später.“

„Bis später.“ Lilly nahm eine Pfanne aus dem Schrank und schaltete den Herd ein. „Wie möchten Sie die Eier?“ Sie sah ihn nicht an.

„Mir ist alles recht.“ Coop beobachtete sie.

Unwillig nahm sie den Schinken aus dem Kühlschrank und gab etwas Fett in die Pfanne.

Coop deckte den Tisch, holte Lebensmittel aus dem Schrank und nahm ihr die Pfanne ab. „Das müssen Sie nicht machen. Schließlich gilt der Deal nur zwischen mir und Ihrer Mutter, und Sie haben Ferien.“

Sie sah ihn herausfordernd an. „Ich habe zwei Kinder, Mr Cooper. Da hat man niemals Ferien.“ Sie wandte sich ab.

Coop betrachtete sie aufmerksam. „Warum wollen Sie mich nicht hier haben?“

Lilly zögerte. „Ich weiß nichts über Sie. Und ich muss meine Familie beschützen.“

„Ich bin nur hier, um einen Job zu machen. Das ist alles. Ich würde euch niemals wehtun.“

Lilly starrte unverwandt auf den Herd. „Die letzten Jahre waren nicht leicht für uns. Ich habe gelernt, vorsichtig zu sein. Die Kinder sind von ihrem Vater verlassen worden. Er hat sich nie mehr gemeldet. Ich will nicht, dass sie sich an jemanden gewöhnen, der uns bald wieder verlässt. Und Robbie ist leicht zu beeinflussen.“

„Das ist verständlich. Aber Sie können Ihren Sohn nicht davon abhalten, sich mit anderen anzufreunden. Das würde ihm genauso schaden.“

Lilly nahm die Pfanne vom Herd, gab Eier und Schinken auf zwei Teller und stellte sie auf den Tisch. Coop reichte ihr die Kaffeetasse und nahm zwei Servietten aus dem Spender. Schweigend setzten sie sich an den Tisch. Lilly wich seinem Blick aus.

„Wäre es Ihnen lieber, wenn ich wieder ausziehe?“

Lilly ließ die Gabel sinken. „Das würden Sie tun?“

„Wenn Sie mir nicht vertrauen können, ja. Ich kann auch in einem Motel unterkommen.“

Coop hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Er hasste den Gedanken, dass Lilly ihn für einen schlechten Menschen halten könnte.

„Das kann ich nicht verlangen. Außerdem wäre es gegen den Wunsch meiner Mutter.“ Lilly legte die Gabel beiseite. „Sie haben recht, Mr Cooper. Sie haben mir keinerlei Anlass gegeben, Sie so unhöflich zu behandeln. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an.“

„Aber nur unter einer Bedingung.“

Lilly hob die Braue.

„Mein Name ist Coop. Wenn das so weitergeht, sage ich nur noch Direktorin Perry.“

Sie konnte ihr Lächeln nicht verbergen. „Einverstanden, Coop. Wo kommst du her?“

„Ich wurde in El Paso geboren, in Texas. Dort bin ich auch aufgewachsen.“

„Lebt deine Familie noch dort?“

Er schüttelte den Kopf. „Mein Vater hat sich kurz nach meiner Geburt davongemacht, und meine Mutter hat uns vor vielen Jahren verlassen. Ich hatte einen Halbbruder, aber er wurde erschossen. Er hatte Frau und Kinder.“ Und diese waren ein Grund, warum er Delgado fassen musste. Koste es, was es wolle. „Zu ihnen habe ich noch Kontakt.“

Lilly sah ihn mitfühlend an. „Das tut mir leid. Wie ist dein Bruder gestorben?“

„Er wurde im Dienst erschossen. Er war Polizist.“ Coop schob den Teller von sich und stand auf. „Ich sollte besser wieder an die Arbeit gehen.“

Lilly streckte die Hand aus und berührte seinen Arm.

Coop hielt inne. Die sanfte Berührung sandte ihm einen Schauer über den Rücken. Sein Mund wurde trocken. Plötzlich war er von heftigem Verlangen erfüllt. Ein Verlangen, das er schon seit langer Zeit nicht mehr gespürt hatte.

„Gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?“

In Sekundenbruchteilen spielten sich ungewollte Szenen vor seinem inneren Auge ab. Bevor er Lilly Perry getroffen hatte, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, dass eine Schulleiterin so attraktiv sein konnte.

„Ich hätte nichts gegen einen schönen kalten Eistee.“

„Ist das alles?“

Oh, das war noch lange nicht alles. Aber wenn sie wüsste, was er am liebsten mit ihr gemacht hätte, würde sie ihn sofort auf die Straße setzen.

Zwei Stunden später verlegte Coop seinen Arbeitsplatz auf die schattige Veranda, um nicht von der Mittagssonne verbrannt zu werden. Allerdings war es hier auch nicht viel kühler.

Eine Kinderstimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Was machst du da?“

Coop sah über seine Schulter. Robbie stand hinter ihm und blickte ihn mit großen, neugierigen Augen an.

„Ich will das Haus streichen.“

„Oh. Das Haus gehört Grandma.“ Robbie deutete auf die Tür. „Hat sie dir das erlaubt?“

Coop unterdrückte ein Lächeln. „Ja. Sie freut sich sogar darüber.“

Der Junge kickte einen Kiesel von der Veranda. „Darf ich helfen?“

Coop stieg von der schmalen Trittleiter. „Das kommt darauf an, wie hart du arbeiten kannst. Ich mag keine Drückeberger.“

„Ich bin kein Drückeberger.“

„Das ist gut, denn ich bezahle gutes Geld, und dafür will ich vollen Einsatz.“

Robbie machte große Augen. „Du würdest mich bezahlen?“

„Sicher.“ Coop sah sich um. „Ich könnte jemanden brauchen, der die Späne zusammenkehrt.“

„Das kann ich“, verkündete der Junge stolz.

„Schön. Hinter dem Haus habe ich einen Besen und einen Eimer abgestellt.“

„Bin schon unterwegs!“ Wie der Blitz fegte Robbie die Stufen hinunter und hinter das Haus.

Coop sah ihm lächelnd nach. Doch gleich darauf verschwand das Lächeln. Coop beobachtete, wie ein Wagen vor dem Haus hielt. Der Transporter wurde von einem breiten Truck gezogen, auf dessen Seitentür das Firmenlogo prangte. Coop straffte sich. Perry’s Gartenbau stand in leuchtenden Lettern auf der Tür.

Sein Herz begann schneller zu schlagen. „Jetzt beginnt der richtige Job“, murmelte er.

Zwei Männer stiegen aus dem Truck. Ihr dunkler Teint verriet ihre lateinamerikanische Herkunft. Sie gingen um den Anhänger herum und hoben einen Rasenmäher von der Ladefläche. Dann wurde die Fahrertür geöffnet.

Der Mann, der nun auf das Haus zukam, war groß und schlank. Er hatte ebenfalls dunkle Haut und dichtes schwarzes Haar. Er wirkte stolz und gepflegt, und obwohl er die gleiche grobe Arbeitskleidung trug wie die beiden anderen Männer, bezweifelte Coop, dass er ein einfacher Hilfsarbeiter war.

Sein Gang und seine Erscheinung kamen Coop sofort bekannt vor. Er hätte Delgados Zwillingsbruder sein können.

Und er kam direkt auf Coop zu. „Hey, Kumpel, willst du das Haus streichen?“

„Sieht so aus.“

Er musterte Coop aufmerksam. „Rey Santos“, stellte er sich vor.

„Noah Cooper.“

„Wo ist dein Team?“

„Du stehst direkt vor ihm.“

Santos runzelte die Stirn. „Brauchst du Helfer? Ich könnte dir Arbeiter besorgen. Zu einem guten Preis.“

„Nein danke. Ich arbeite immer allein.“

Die beiden Männer starrten sich an, als Robbie um die Haus­ecke kam. Er hielt Besen und Eimer in den Händen und sprang fröhlich auf die Veranda. Doch sobald er Santos sah, hielt er inne. Sein Gesicht wurde ernst.

Coop deutete auf den Jungen. „Dieser kleine Kerl hier ist alle Hilfe, die ich brauche.“

Santos sah nicht im Mindesten überzeugt aus. „Ist Mrs Perry da?“

„Nein!“, platzte Robbie heraus. „Sie musste weg.“

Coop entging nicht der ängstliche Ton in Robbies Stimme. Was war geschehen? Hatte Santos die Familie belästigt?

„Dann spreche ich sie später.“

Robbie wartete, bis der Mann die Veranda wieder verlassen hatte und bei seinem Truck war. Dann fragte er Coop: „Was macht der denn hier?“

„Eigentlich dachte ich, er will sich um euren Garten kümmern.“ Coop kniete sich vor den Jungen, um ihm auf Augenhöhe zu begegnen. „Stimmt was nicht, Robbie? Hat dir dieser Mann etwas getan?“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein. Aber er hat mal meine Mom angeschrien. Sie hat ihm gesagt, dass er gehen soll. Und vor langer Zeit hat er mit meinem Dad gearbeitet. Er ist wütend geworden, weil ich einmal dabei war, wie er mit meinem Vater geredet hat.“

Coop horchte den Jungen ungern aus, aber er hatte keine Wahl. „Warum? Hatten sie ein Geheimnis?“

„Ich glaub schon. Ich musste meinem Dad versprechen, dass ich es niemandem sage.“

„Was sagen?“

Der Junge zögerte und machte ein ängstliches Gesicht.

„Ist schon okay, Robbie.“ Coop legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Du wirst jetzt keinen Ärger mehr bekommen.“

Robbie nickte langsam. „Einmal war ich mit Kasey allein zu Hause. Sie wurde wütend auf mich und wollte, dass ich in mein Zimmer gehe. Eigentlich sollten wir zu Hause bleiben. Aber ich habe mich rausgeschlichen. Ich wollte meinen Dad sehen.“

Bingo.

Der Junge sah ihn flehend an. „Sag es nicht meiner Mom. Sie würde nur wieder traurig werden.“

Coop ergriff Robbies Schultern. „Wir wollen sie ganz bestimmt nicht traurig machen. Aber eines ist wichtig, Robbie: Hat Santos dich gesehen, als du bei deinem Dad warst?“

„Nein. Dad wollte, dass ich mich verstecke, als der Mann hereinkam. Sie haben sich angebrüllt. Irgendwann ist der Mann wieder gegangen. Mein Dad hat gesagt, dass es keine gute Idee ist, wenn ich ihn wieder bei der Arbeit besuche.“ Robbie schluckte. „Und dann ist er gestorben.“

Seine Tränen versetzten Coop einen Stich in die Brust. „Ich weiß, wie schlimm es ist, jemanden zu verlieren. Ich habe meinen Bruder verloren.“

Robbies Lippen zitterten. „Hast du geweint?“

„Ja. Ich habe viel geweint. Und weißt du was?“ Coop zeigte auf sein Herz. „Es hilft, wenn du dich an die guten Zeiten erinnerst und sie in deinem Herzen aufbewahrst. Denk an die vielen schönen Momente, die du mit deinem Dad hattest.“

Nachdenklich sah Robbie zu Boden. „Mein Dad mochte Erdnüsse. Er hat sie immer in einem Glas versteckt, weil Mom meinte, dass er nicht zu viele essen soll. Aber mit mir hat er sie geteilt.“

Coops Brust zog sich zusammen. Michael Perry war offensichtlich ein anständiger Mann gewesen. Was war mit ihm passiert? „Ja, das ist eine gute Erinnerung. Und ich erinnere mich daran, wie ich mit meinem Bruder Baseball-Sammelkarten getauscht habe. Ich war wütend auf ihn, weil er meine Karten geknickt und schmutzig gemacht hat. Aber ein paar Jahre später hat mir Devin zum Geburtstag eine Karte von Nolan Ryan geschenkt.“

Der Junge grinste. „Den mochte mein Dad auch.“

„Nun … vielleicht können wir uns irgendwann gemeinsam ein Spiel ansehen“, schlug Coop vor. „Aber jetzt sollten wir uns wieder an die Arbeit machen.“

Lilly hatte die Haustür geschlossen, um den Lärm des Rasenmähers zu dämpfen. Und um Santos fernzuhalten. Doch auf dem Weg durch den Flur hatte sie durch das angelehnte Fenster Coops und Robbies Stimmen gehört.

Sie hatte nicht vorgehabt zu lauschen, doch als Robbie seinen Vater erwähnt hatte, war sie stutzig geworden. Seit Michaels Tod hatten weder Kasey noch ihr Bruder über ihn gesprochen. Es war unglaublich, zu hören, wie ihr Sohn sich nun diesem fremden Mann anvertraute. Und es war ein Schock, zu erfahren, dass Robbie seinen Vater mit Santos gesehen hatte. Doch im Grunde hatte Lilly es schon lange geahnt: Michael hatte sich mit Santos auf irgendein zwielichtiges Geschäft eingelassen.

Sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Michael war tot. Für sie zählte nur, sich und die Kinder über die Runden zu bringen.

Es gefiel ihr, wie behutsam Coop mit ihrem Sohn umging. Mit seiner umsichtigen Art schien er zu Robbie durchzudringen. Und indem er ihm etwas über sein eigenes Leben erzählte, stärkte er das Selbstbewusstsein des Jungen. Er zeigte ihm, dass er ihm vertraute – und der Verlust geliebter Menschen schien sie miteinander zu verbinden.

Plötzlich fiel Lilly das Atmen schwer. Nicht nur sie hatte in den vergangenen Jahren gelitten. Vielleicht hatte sie Noah Cooper unrecht getan. Schließlich konnte sie ihren Ärger und ihre Enttäuschung nicht auf alle anderen Männer übertragen. Wenn die Dinge damals doch anders gelaufen wären. Dank Michael hatte die ganze Stadt von ihrer Scheidung erfahren. Und von dem Selbstmord.

Lilly schüttelte den Kopf. Entschlossen ging sie zur Tür und trat auf die Veranda.

„Mom! Ich arbeite jetzt für Coop. Er will mich sogar bezahlen!“

„Das ist schön. Warum gehst du nicht rein und holst dir und deinem neuen Boss Mineralwasser? Ihr seid bestimmt durstig.“

„Mach ich!“ Robbie ließ den Besen fallen und rannte hinein.

Lilly sah Coop an. „Danke, dass du dich um Robbie kümmerst. Er hat so selten die Gelegenheit, etwas mit einem Mann zu unternehmen.“

„Kein Problem. Er ist ein toller Junge. Ich vermute, er hat nicht viel Zeit mit seinem Vater verbracht.“

Lilly schüttelte schweigend den Kopf. Ihr Blick schweifte in die Ferne.

Coop räusperte sich. „Entschuldigung. Ich wollte nicht neugierig sein.“

„Nein, schon gut. Es stimmt. Robbie und Kasey haben ihren Vater in den letzten Jahren kaum gesehen.“

Eine steile Sorgenfalte zeigte sich auf ihrer hübschen Stirn. „Ich hätte es Michael nach der Scheidung nicht so schwer machen dürfen. Aber ich war so wütend …“ Sie verstummte.

„Wurden ihm denn keine Besuchszeiten eingeräumt?“

„Doch, schon. Aber er hat sie selten genutzt. Eigentlich fast nie.“

Plötzlich bekamen sie Gesellschaft. Rey Santos bog um die Ecke des Hauses. Sein öliges Lächeln sandte Lilly einen unangenehmen Schauer über den Rücken. „Mrs Perry“, begrüßte er sie. „Ich würde gern mit Ihnen reden.“

„Ich habe gerade keine Zeit.“

„Es dauert nur eine Minute. Stephanie würde gern wissen, ob Sie Mikes Sachen schon durchgesehen haben.“

Lilly stieß hörbar den Atem aus. „Sagen Sie meiner Schwägerin, dass ich nichts mitgenommen habe. Mikes Sachen sind noch immer in seinem Haus.“

Santos machte ein säuerliches Gesicht und ging einen Schritt auf sie zu. „Stephanie hat ein Recht auf die Sachen. Vor allem, wenn es um Geschäftspapiere geht.“

Auf einmal wurde Lilly bewusst, dass Coop ihr schützend zur Seite stand. Seine Präsenz war stark und vertrauenerweckend. Ohne ihn hätte sie vor Santos womöglich Angst bekommen. „Am besten redet Stephanie mit dem Sheriff. Er hat fast alles mitgenommen – als Beweismaterial.“ Dieser Teil der Geschichte war erfunden.

„Na schön. Ich werde es ihr sagen.“ Santos sah sie grimmig an.

„Und sagen Sie ihr, dass ich Ihren Gartendienst nicht länger brauche. Ich kann es mir nicht leisten.“

Santos’ Augen funkelten. Es wirkte fast ein bisschen bedrohlich. „Sí, señora, ich werde es ihr ausrichten.“

Er gab seinen Männern ein paar Anweisungen auf Spanisch. Sie packten das Gartengerät ein und fuhren davon.

Lilly atmete auf und lehnte sich für einen Augenblick an Coop.

„Willst du darüber reden?“, fragte er.

Lilly schüttelte den Kopf. Sie durfte ihn nicht in diese Sache hineinziehen.

Und vor allem durfte sie nicht die Gefühle zulassen, die er in ihr weckte. „Alles, was es zu wissen gibt, war monatelang Stadtgespräch. Du kannst jeden in Kerry Springs fragen.“

Seine dunklen Augen hielten ihren Blick fest. „Vielleicht will ich nur deine Version der Geschichte hören.“

„Ich wünschte, das wäre so einfach. Das meiste davon habe ich nämlich bis heute nicht verstanden.“

4. KAPITEL

Am späten Nachmittag wählte Lilly zum wiederholten Mal Kaseys Nummer. Zunächst war sie ärgerlich, dass der Teenager sich nicht meldete, doch langsam begann Lilly sich Sorgen zu machen. „Kasey, wo steckst du bloß?“

Auch Robbie wusste nicht, wo seine Schwester so lange blieb. Allerdings hatte er auch ganz andere Dinge im Kopf. Stolz hatte er seiner Mutter die fünf Dollar gezeigt, die er von Coop für seine Arbeit bekommen hatte.

Ein Lächeln huschte über Lillys Gesicht. Doch auch Robbies Begeisterung konnte ihr die Angst um Kasey nicht lange nehmen.

In diesem Moment wurde die Küchentür geöffnet.

Lilly wirbelte herum, doch auf der Schwelle stand nicht Kasey, sondern Coop. „Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur fragen, ob Robbie morgen wieder beim Putzen helfen darf. Er ist so fleißig und …“ Coop sah Lillys besorgte Miene. „Stimmt etwas nicht?“

„Kasey ist noch nicht nach Hause gekommen. Sie wollte vorhin ihre Freundin Jody besuchen, aber dort geht niemand ans Telefon. Sie müsste längst zurück sein. Und an ihr Handy geht sie auch nicht.“

Coops Gegenwart hatte etwas Beruhigendes, und Lilly fühlte sich getröstet. „Mach dir keine Sorgen, Lilly. Wir werden sie finden.“

Coop nahm Lilly und Robbie in seinem Truck mit.

Eine halbe Stunde lang fuhren sie herum, klapperten die Nachbarschaft ab und klingelten bei Jodys Eltern. Dort war niemand zu Hause.

Schließlich fuhren sie in die Stadt. Der Junge der Eisdiele hatte die beiden Mädchen gesehen, doch das war vor drei Stunden gewesen.

Lilly war kurz davor, in Panik zu geraten. Coop parkte vor dem Blind Stitch Quilt Shop und hielt Lilly und Robbie die Tür auf.

Beth blickte überrascht auf. „Kasey? Sie war hier. Etwa vor einer halben Stunde.“ Sie hob die Hände. „Ich dachte, sie geht direkt nach Hause.“

„Wir suchen weiter“, schaltete sich Coop ein. „Auf der anderen Straßenseite habe ich eine Spielhalle gesehen. Kann es sein, dass Kasey sich dort manchmal mit Freunden trifft?“

Lilly zögerte. „Eigentlich nicht. Sie weiß, dass ich strikt gegen diese furchtbar hektischen Videospiele bin. Außerdem gibt es Gerüchte, dass dort Drogengeschäfte gemacht werden. Die Bürger von Kerry Springs haben versucht, den Laden schließen zu lassen.“ Sie seufzte. „Andererseits tut Kasey zurzeit viele Dinge, die ich nie von ihr erwartet hätte. Und sie spricht ja kaum noch mit mir.“

Coop nickte. Dass das Mädchen seinen eigenen Kopf hatte, war ihm bereits aufgefallen. Aber hatten nicht alle Teenager ihre rebellische Phase? Er nahm Lillys Hand. „Ihr bleibt hier. Ich sehe mich mal in der Spielhalle um.“

Während er die Straße überquerte, dachte er an all die Fälle von vermissten Kindern, die ihm während seiner Dienstzeit untergekommen waren. Manche waren gut ausgegangen – manche nicht. Er betete, dass sich dieser Fall schnell lösen und zum Guten wenden würde.

Das Dark Moon war tatsächlich kein einladender Ort. Im Inneren herrschte eine düstere Atmosphäre. Die Wände waren schwarz gestrichen und schluckten das zuckende Stroboskoplicht. Auch die glitzernde Discokugel an der Decke konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie schmuddelig und schmutzig der Laden war.

Coop sah sich aufmerksam um. Jugendliche und Erwachsene hockten vor den blinkenden, sirrenden Automaten und fütterten die Maschinen mit Dollarscheinen. Viele Spieler hatten einen hungrigen Glanz in den Augen, der Coop nur allzu bekannt war. Sie füllten ihre innere Leere mit den flirrenden Bildschirmen und dem Geklacker der Flipperautomaten.

Doch manchen reichte das nicht aus. Sie brauchten mehr – und Drogen lagen in solchen Fällen sehr nahe.

Coop ging an den langen Reihen der Maschinen entlang. Er wollte die Suche schon aufgeben, als er in einer Ecke des Raumes ein blondes Mädchen entdeckte. Sie trug einen Minirock und ein enges kurzes T-Shirt, das mehr von ihrem jungen Körper preisgab, als gut für sie war. Und sie war nicht allein.

Coop straffte sich. Zwei Jungen standen bei ihr. Sie waren mindestens drei Jahre älter als Kasey und betrachteten das Mädchen mit unverhohlener Neugier. Ein Junge legte den Arm um sie. Das war nicht gut.

„Kasey Perry!“, rief er über den Lärm der Automaten hinweg. „So ein Zufall!“

Kaseys Lächeln erstarb. „Oh, Mr Cooper.“ Sie trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „Was machen Sie hier?“

„Ach, nichts Besonderes. Ich dachte, ich sehe mir mal an, wie man sich in dieser Stadt so die Zeit vertreibt.“

Coop musterte abschätzend die beiden Jungen. Sie waren schlaksig und schmächtig, doch fast so groß gewachsen wie Coop selbst. „Sind das deine Freunde?“, fragte er Kasey.

Die Jungs runzelten skeptisch die Stirn und sahen Kasey fragend an.

„J…ja. Das sind Randy und Jake. Und das ist Mr Cooper. Er wohnt im Haus meiner Großmutter.“

Coop schüttelte ihre Hände. „Schön, euch kennenzulernen. Wollt ihr den ganzen Sommer hier abhängen?“

„Wir warten darauf, dass das Footballcamp beginnt“, erklärte Jake. „Wir spielen in der ersten Schulmannschaft.“

„Hey, das ist spitze.“ Coop verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe früher auch Football gespielt.“ Er warf einen Blick in die Runde. „Wenn es euch hier zu langweilig wird, habe ich einen Tipp für euch. Alex Casali sucht noch Helfer bei dem neuen Hausprojekt. Ihr könnt bestimmt hart anpacken. Wenn ihr euch etwas dazuverdienen wollte, fragt ihn nach einem Job. Sagt ihm einfach, Noah Cooper hat euch geschickt.“

Bei der Aussicht auf einen gut bezahlten Ferienjob leuchteten ihre Augen auf. „Oh, danke. Das werden wir machen.“

Plötzlich hatten sie es sehr eilig, sich zu verabschieden.

Zufrieden wandte sich Coop an das Mädchen. „Du solltest besser deine Mutter anrufen. Sie hat sich große Sorgen gemacht.“

Kasey rührte sich nicht. „Und wenn ich nicht will?“

Coop zuckte die Schultern. „Weißt du, Kasey, ich habe dich für ein kluges Mädchen gehalten. Aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Ich habe schon mitbekommen, dass du wütend auf deine Mutter bist. Aber sich so zu benehmen, macht es auch nicht besser.“

Kaseys Miene veränderte sich. Der trotzige Ausdruck wich einem hilflosen Blick. „Sie ist immer so streng“, brachte sie kläglich hervor. „Ich darf nie irgendwohin gehen.“

„Vertrauen muss man sich verdienen“, erklärte Coop. „Wenn du willst, dass deine Mutter dir mehr vertraut, dann darfst du dich auch nicht so unreif verhalten.“

Kasey sah ihn verächtlich an. „Das geht Sie überhaupt nichts an.“