Bianca Extra Band 86 - Allison Leigh - E-Book

Bianca Extra Band 86 E-Book

ALLISON LEIGH

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Beschreibung

IM BRAUTKLEID ZURÜCK ZU DIR … von KATHY DOUGLASS

Rick Tyler wird ihr neuer Nachbar? Charlotte ist entsetzt. Natürlich wird sie den Arzt wie Luft behandeln - schließlich hat er sie einst im Brautkleid stehen lassen! Doch als sein süßer Sohn sie ebenso umschwärmt wie Rick, schmilzt ihre kühle Fassade. Aber kann sie ihm verzeihen?

SCHICKSALSBOTE AUF SÜSSEN PFOTEN von MELISSA SENATE

Als Matt in einem Tierheim zufällig seiner Jugendliebe Claire begegnet, prickelt es zwischen ihnen so heiß wie damals … Schon bald ist er nicht nur in den kleinen Spaniel verliebt, den sie ihm aussucht, sondern auch in Claire - obwohl er eine Frau wie sie gar nicht verdient hat …

EIN KUSS, SO WILD UND FREI von NANCY ROBARDS THOMPSON

Wilde Küsse und Sonnenuntergänge am fernen Horizont. In den Armen von Rancher Ethan vergisst Lady Chelsea den Alptraum, der hinter ihr liegt! Bei ihm fühlt sie sich geborgen und so aufrichtig begehrt wie nie zuvor. Doch wird Ethan sie noch lieben, wenn er ihr Geheimnis kennt?

LIEBESTRÄUME, BABY-PLÄNE von Allison Leigh

Mr. Perfect finden? Daran glaubt Courtney schon lange nicht mehr. Ihr Plan? Ein Baby bekommen, auch ohne Mann! Aber als die Krankenschwester ihren Ex-Lover Mason nach einem Einsatz gesund pflegt, kehren alte Träume zurück - die sie dem Undercover-Agenten natürlich verschweigt …

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Seitenzahl: 703

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Kathy Douglass, Melissa Senate, Nancy Robards Thompson, Allison Leigh

BIANCA EXTRA BAND 86

IMPRESSUM

BIANCA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 86 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2018 by Kathleen Gregory Originaltitel: „Winning Charlotte Back“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Patrick Hansen

© 2018 by Harlequin Books, S. A. Originaltitel: „A New Leash On Love“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Stephanie Thoma-Kellner

© 2016 by Nancy Robards Thompson Originaltitel: „The Cowboy’s Runaway Bride“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Meike Stewen

© 2011 by Allison Lee Johnson Originaltitel: „Courtney’s Baby Plan“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer

Abbildungen: [email protected] / Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733748128

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

KATHY DOUGLASS

Im Brautkleid zurück zu dir …

Um seinem Sohn ein neues Zuhause zu geben, zieht Dr. Rick Tyler zurück nach Sweet Briar – außerdem will der Arzt sich bei seiner Ex-Verlobten entschuldigen! Doch Charlottes Geständnis verändert alles …

MELISSA SENATE

Schicksalsbote auf süßen Pfoten

Für Claire ist Matt immer noch die große Liebe. Dass sie sich wiedersehen, weil er ein Hundebaby sucht? Für Claire ein Wink des Schicksals. Aber wie kann sie Matt von ihren Gefühlen überzeugen?

NANCY ROBARDS THOMPSON

Ein Kuss, so wild und frei

Für Ethan gibt es nur seine Ranch – bis Chelsea in sein Leben platzt. Der sonst so misstrauische Cowboy fühlt: Chelsea ist nicht nur schön, sondern ehrlich. Bedingungslos vertraut er ihr. Ein Fehler?

ALLISON LEIGH

Liebesträume, Baby-Pläne

Agent Mason muss sich nach einem Unfall in die Hände einer Krankenschwester begeben, sonst verliert er seinen Job. Aber muss es Courtney sein? Denn er wäre lieber ihr Lover und nicht ihr Patient …

Im Brautkleid zurück zu dir …

1. KAPITEL

Als Charlotte Shields am Pausenraum der Sekretärinnen vorbeikam, drang ein vielstimmig gesungenes Happy Birthday auf den Flur. Sie blieb stehen.

„Mach mein Geschenk als Erstes auf!“, rief eine Stimme.

„Warte doch noch bis nach dem Kuchen“, sagte jemand, und mehrere Frauen lachten fröhlich.

Charlotte hätte sich gern dazugesellt, aber sie wusste, dass sie nicht willkommen gewesen wäre – nicht mehr. Als sie hier anfing, hatten mehrere Kolleginnen sie eingeladen, mit ihnen auszugehen. Sie hätte zwar gern zugesagt, aber dennoch abgelehnt. Gleich an ihrem ersten Tag hatte ihr Vater sie nämlich in sein Büro bestellt und ihr eine Liste mit extra für sie aufgestellten Regeln überreicht. Ganz oben stand, dass sie keinen privaten Umgang mit den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern pflegen durfte. Seiner Erfahrung nach wäre es nämlich zu kompliziert, einen befreundeten Menschen abzumahnen oder gar zu entlassen. Sie hatte sich anstandslos gefügt.

Nach einer Weile erhielt sie keine Einladungen mehr. Die anderen Frauen empfanden sie als eingebildet und ablehnend, und vom Verhalten her wurde sie ihrem Ruf nur zu gerecht. Inzwischen bereute sie es sehr, damals alles getan zu haben, um ihrem Vater zu gefallen.

Charlotte ging weiter und blieb am Schreibtisch ihrer eigenen Sekretärin stehen. „Hat jemand angerufen, während ich weg war?“

„Ja, Mrs. Shields.“ Anita reichte ihr einen Stapel Zettel. „Ihr Vater hat für heute Nachmittag um drei Uhr eine Besprechung angesetzt.“

„Danke.“

Obwohl Anita mit dreiunddreißig nur ein Jahr jünger als sie war, sprach sie Charlotte nie mit dem Vornamen an. Bisher hatte es Charlotte nie gestört, aber heute schmerzte sie diese distanzierte Haltung.

Sie öffnete den Mund, um Anita nach deren Schwangerschaft zu fragen, fand aber nicht die richtigen Worte.

„Ist noch etwas, Mrs. Shields?“

„Nein.“

Charlotte blätterte die Informationen durch. Nichts Dringendes. Sie dachte an die Besprechung, die ihr Vater für den Nachmittag vereinbart hatte. Dass er so plötzlich eine Konferenz einberief, beunruhigte sie. Aber es wäre sinnlos, ihn nach der Tagesordnung zu fragen, denn er würde sie ihr nicht verraten. Sie war zwar seine Tochter, aber er behandelte sie nicht besser als alle anderen. Im Gegenteil, zu ihr war er strenger.

Trotz ihrer Masterabschlüsse in Betriebswirtschaft und Marketing hatte sie ganz unten anfangen und sich ihre jetzige Position als Leiterin der Marketingabteilung hart erarbeiten müssen.

Pünktlich um fünf Minuten vor drei betrat sie den Konferenzraum. Mehrere Manager unterhielten sich leise. Nervös starrte sie auf die gerahmten Zeitungsartikel an den Wänden, die den Weg von Shields Manufacturing zu einem der führenden Möbelhersteller der Welt nachzeichneten.

Fünf Minuten später kam ihr Vater herein, gefolgt von einem Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte.

„Nehmen Sie Platz“, sagte Charles Shields. Sein Begleiter setzte sich rechts von ihrem Vater – auf ihren Stuhl. Charlotte nahm auf dem Stuhl daneben Platz.

Eine Sekunde lang wirkte ihr Vater nachdenklich, was äußerst ungewöhnlich war.

Ging es ihm nicht gut? Nach dem Tod ihrer Mutter Rachel vor zwei Jahren hatte er Gewicht verloren, aber sie hatte es auf Appetitmangel in der Trauerzeit zurückgeführt. Sie musterte ihn – er sah aus wie immer.

„Bestimmt fragen Sie sich, warum ich diese Sitzung anberaumt habe.“ Charles lächelte, und er lächelte sonst nie. Charlottes Herz schlug schneller.

„Wir haben einen langen Weg hinter uns. Ich möchte sicherstellen, dass wir auch in Zukunft so erfolgreich sind wie bisher. Deshalb lege ich die Leitung des Unternehmens nieder, um Platz für jemand anderen zu machen.“

Alle redeten durcheinander, nur Charlotte nicht. Ihr Herz klopfte heftig. Endlich belohnte ihr Vater sie mit der Position, die sie verdiente – die harte Arbeit, die langen Tage und einsamen Nächte hatten sich ausgezahlt.

Charles räusperte sich, und im Raum wurde es still. „Dies ist Gabriel Jenkins, mein Nachfolger.“

Ihr Vater sprach weiter, aber Charlotte hörte nicht mehr hin. Das konnte er ihr nicht antun. Sie hatte so viel für ihn geopfert, für die Firma. Und er übergab die Leitung einem Fremden!? Jemandem, der keine Träne und keinen Blutstropfen vergossen hatte, um Shields Manufacturing zu dem erfolgreichen Unternehmen zu machen, das es jetzt war. Ihr Vater hatte sie verraten.

Sie wehrte sich gegen das Gefühl der Übelkeit und das schwarze Loch, das sie zu verschlucken drohte. Ihr Vater sah sie nicht einmal an, sondern widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem neuen Chef, der jetzt mit seinem Studium in Harvard prahlte.

Charlotte warf einen Blick in die Runde. Die meisten Spitzenmanager wirkten betroffen oder wenigstens peinlich berührt.

Zornig stand sie auf und schob den Stuhl so heftig zurück, dass er gegen die Wand knallte. Alle starrten sie an, und der neue Firmenchef verstummte. Ihr Vater zog eine Augenbraue hoch. Früher hätte sie den Blick gesenkt und sich wieder hingesetzt, aber nicht heute. Sie hatte ab sofort nichts mehr zu verlieren.

„Charlotte.“ Ihr Vater klang kalt.

„Ich kündige.“ Sie schaute auf ihre Uhr. „Um drei Minuten nach drei und mit sofortiger Wirkung.“

Ihr Vater verzog keine Miene. Sein Nachfolger öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, aber sie drängte sich an ihm vorbei und eilte in ihr Büro. Dort bewahrte sie nur wenige persönliche Dinge auf, nur eine Wolldecke für ihre Füße an kalten Tagen und einen alten Schnappschuss von sich mit ihrer Mutter und den Schwestern Charmaine und Carmen. Sie steckte das Foto in die Handtasche, schnappte sich die Decke und schaltete das Licht aus.

„Mr. Adams von der First Bank of America wartet in Leitung vier“, sagte Anita.

„Der ist nicht mehr mein Problem!“, erwiderte Charlotte und ging an der Frau vorbei, die vielleicht eine echte Freundin geworden wäre, wenn sie nicht jeden Annäherungsversuch abgeblockt hätte – noch ein Fehler, den sie begangen hatte, um ihrem Vater zu gefallen. Sie ging zum Fahrstuhl und drückte ungeduldig auf den Knopf.

Endlich glitt die Tür auf. Blinzelnd wehrte sie sich gegen die Tränen. Sie kniff die Augen zusammen und atmete tief durch.

Sie warf ihre Sachen auf den Beifahrersitz und raste aus der Tiefgarage.

Als sie wenig später auf ihrem Sofa saß, hatte sich ihre Empörung gelegt, und ihr wurde bewusst, was sie gerade getan hatte.

Sie hatte ihren Job hingeschmissen.

Um Geld machte sie sich keine Sorgen. Sie hatte klug investiert und lebte nicht über ihre Verhältnisse, aber sie hatte die Verbindung zu ihrem Vater gekappt und damit zum letzten Familienmitglied, zu dem sie überhaupt noch eine Beziehung gehabt hatte.

Sie wehrte sich gegen die Übelkeit. Sie hatte Schlimmeres überlebt und war dadurch stärker geworden. Sie würde also auch diese Situation meistern.

„Fast da“, sagte Rick Tyler und versuchte, begeistert zu klingen. Er warf seinem zehnjährigen Stiefsohn einen Blick zu und schaute wieder nach vorn, um den Umzugstransporter um eine Kurve zu lenken.

„Hurra.“

Rick unterdrückte ein Seufzen. Zu sagen, dass Bobby sich nicht freute, von Milwaukee wegzuziehen, wäre die Untertreibung des Jahrtausends gewesen. Bobby hatte sich mit Händen und Füßen gegen alles gewehrt, seit seine Mutter sie vor anderthalb Jahren verlassen hatte. Seitdem war Funkstille gewesen, und ihnen war auch nicht klar, wie sie sie kontaktieren konnten.

„Sweet Briar ist ein toller Ort. Ich habe hier viel Zeit verbracht, als ich auf dem College war. Ich habe sogar ein paar Sommer hindurch in einer Möbelfabrik gearbeitet.“

„Du kannst Möbel bauen?!“, fragte Bobby, und in seinen Augen blitzte ein Anflug von Interesse auf.

„Nein. Ich habe im Büro gejobbt.“

Bobbys Blick wurde wieder ausdruckslos. Rick konnte es ihm nicht verdenken. Papiere zu wälzen war nicht halb so aufregend wie mit großen Werkzeugen zu hantieren. Und die Erfahrung hatte ihn erkennen lassen, dass Schreibtischarbeit nichts für ihn war. Er hatte sie gehasst, aber die Zeit mit der Tochter des Chefs hatte ihn dafür entschädigt.

Charlotte war süß und lustig gewesen, wenn auch etwas zu sehr darauf bedacht, ihrem Vater zu gefallen – ein Bedürfnis, das er allerdings nur zu gut aus eigener Erfahrung kannte. Sie beide waren einander sehr nahe gekommen, und ihre Väter hatten von ihnen erwartet, sich zu verloben.

Rick wusste, dass er dem Druck schon viel früher hätte widerstehen müssen, aber irgendwie waren die Dinge zu schnell außer Kontrolle geraten. Je näher die Hochzeit rückte, desto größer waren Ricks Zweifel geworden. Seine Eltern hatten das Sagen – und er war das Gefühl nicht losgeworden, in der Falle zu sitzen.

Sein Vater wollte, dass Rick ins Familienunternehmen seiner Zukünftigen eintrat. Schließlich würde er bestimmt bald selbst eine Familie ernähren müssen. Ricks Traum, Medizin zu studieren, löste sich vor seinen Augen in Luft auf. Er bat Charlotte schließlich, die Hochzeit abzusagen.

Sie weigerte sich. Und letztendlich war er nicht zur kirchlichen Trauung erschienen.

Er hatte es gehasst, seiner Verlobten wehzutun, aber er war absolut verzweifelt gewesen. Sie zu heiraten, wäre ein riesiger Fehler gewesen. Er hätte ihr – bewusst oder unbewusst – die Schuld an seinem gescheiterten Traum gegeben. Auf lange Sicht war es für sie beide das Beste gewesen. Jedenfalls redete er sich das ein, wenn das schlechte Gewissen ihn nachts wieder einmal nicht schlafen ließ.

„Wenn es so toll war, warum bist du nicht in Sweet Briar geblieben?“

„Weil ich an der Universität in Michigan einen Studienplatz in Medizin bekommen habe.“

Rick war überzeugt, dass Bobby sich in Sweet Briar wohlfühlen würde, aber er wusste auch, dass er einiges wiedergutzumachen hatte, angefangen bei Charlotte. Er hatte versucht, sich bei ihr zu entschuldigen, aber erfolglos. Wenn er in ihre Heimatstadt ziehen wollte, würde er sich mit Charlotte aussöhnen müssen. Und er musste den Mitbürgerinnen und Mitbürgern beweisen, dass er es wert war, ihr Arzt zu sein.

Jake Patterson, sein Berater an der Universität, hatte Angehörige in der Gegend. Er war es gewesen, der Rick erzählt hatte, der langjährige Arzt der Stadt sei verstorben, und die Einwohner von Sweet Briar müssten zur Behandlung bis nach Willow Creek fahren. In der Zwischenzeit waren zwei andere Mediziner hergekommen, aber wieder abgezogen. Rick hatte deshalb zusagen müssen, mindestens zwei Jahre in Sweet Briar zu bleiben. Bei der Gelegenheit wollte er sich mit Charlotte aussprechen.

Vor zwölf Jahren war ihm einfach nicht bewusst gewesen, wie sehr er ihr wehtat. Dann hatte ihn vor eineinhalb Jahren seine Ex-Frau verlassen, und ihm war klargeworden, wie schmerzhaft sein Abgang damals für Charlotte gewesen sein musste. Wie erniedrigend. Jetzt wusste Rick, dass er ihr damals das Herz gebrochen haben musste. Sie wiederzusehen, würde also durchaus nicht angenehm sein, aber daran war er selbst schuld. Was er ihr angetan hatte, war abscheulich. Das war ihm jetzt vollkommen klar. Er wünschte nur, er hätte es schon damals begriffen. Er hatte sie am Tag nach der geplatzten Hochzeit angerufen, aber sie hatte sich geweigert, mit ihm zu sprechen. Er hatte ihr zwei Briefe geschrieben, aber beide waren ungeöffnet zurückgekommen. Danach war ihm nie wieder der Sinn danach gestanden, ihr sein Verhalten zu erklären.

Rick und Bobby schwiegen eine ganze Weile. Als der Junge endlich etwas sagte, klang er bedrückt und regelrecht verängstigt. „Mom wird nicht wissen, wie sie mich findet. Sie wird wiederkommen, ich bin mir ganz sicher, aber dann wohnt jemand anderes in unserem Haus!“

Rick bezweifelte, dass sie jemals zurückkehren würde. Sherry war seiner Meinung nach viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Singledasein in vollen Zügen zu genießen – nicht, dass er das jemals seinem Sohn erzählen würde. „Die Browns von nebenan wissen, wo wir sind, und können es ihr ausrichten. Und ich habe noch immer dieselbe Handynummer. Wenn deine Mom uns erreichen will, kann sie es. Okay?“

„Ja, sicher, Rick“, erwiderte Bobby sarkastisch, aber seine Besorgnis war nicht zu überhören.

Rick zählte stumm bis zehn.

„Du hast mich jahrelang Dad genannt. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich jetzt nicht Rick nennen würdest.“

„Sonst noch was?! Willst du mir einen blöden Brief schreiben und dich mitten in der Nacht davonschleichen? So wie Mom?“ Bobbys Stimme zitterte.

Rick legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das wird niemals passieren. Du bist mein Sohn, und ich liebe dich. Wo ich bin, bist du auch. Verstanden?“

Bobby nickte heftig blinzelnd. Einmal mehr verfluchte Rick seine Ex-Frau. Na gut, sie wollte nicht mehr mit ihm verheiratet sein – das leuchtete ihm durchaus ein, aber er konnte einfach nicht glauben, dass sie auch ihren Sohn nicht mehr wollte. Wie sollte er Bobby bloß helfen, mit dieser Situation fertigzuwerden?

Hoffentlich würde Sweet Briar ihm die Antworten liefern, die er suchte. Bobby war zuerst traurig gewesen und hatte nicht umziehen wollen, dann war er zornig geworden. Er hatte Freunde gefunden, die allerdings aus Ricks Sicht nicht gut für den Jungen waren, hatte seine Hausaufgaben nicht mehr gemacht und den Unterricht gestört. Schließlich hatte der Direktor vorgeschlagen, Bobby an einer anderen Schule anzumelden, und Rick hatte begriffen, dass er etwas unternehmen musste.

Er machte sich nichts vor. Bobbys Probleme würden in Sweet Briar nicht wie von Zauberhand verschwinden, aber er würde eine kleine Praxis betreiben und dadurch viel mehr Zeit für seinen Sohn haben als in Milwaukee.

Er fuhr langsamer und hielt nach der Adresse Ausschau, die der Makler ihm gegeben hatte. Er war froh, dass er die Doppelhaushälfte gefunden hatte.

Kurz darauf parkte er den Transporter am Straßenrand. „Wir sind da!“

Bobby sprang hinaus, nahm seinen Basketball vom Rücksitz und dribbelte die Einfahrt entlang.

„Lass uns gleich ausladen. Ich will die Betten aufstellen, danach können wir essen.“

Bobby warf den Ball auf den Rasen und ging im Schneckentempo zur Hecktür.

Rick kuppelte den Mustang ab und stellte ihn neben einer mitternachtsblauen BMW-Limousine ab. Dann schloss er den Transporter auf.

„Unser Nachbar scheint zu Hause zu sein“, sagte Rick und suchte auf der Ladefläche nach einem Karton, der nicht zu schwer für Bobby war. Der Junge nahm ihn entgegen, drückte ihn an die Brust und runzelte die Stirn. „Ach, das ist doch so ein Alte-Leute-Auto. Wahrscheinlich ein missmutiger Opa, der mich anschreit, wenn ich seinen Rasen betrete.“

„Vielleicht ist es eine nette alte Lady, die liebend gern Kekse backt.“

„Und Angst um ihre Blumen hat, wenn ich Basketball spiele.“

Rick kam nicht dazu zu antworten, denn die Haustür öffnete sich, und eine Frau trat ins Freie. Sie kehrte ihm sofort den Rücken zu, aber er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass es sich keineswegs um eine alte Lady handelte, sondern dass die Nachbarin etwa dreißig und durchaus attraktiv war. Zweifellos war sie verheiratet oder in einer festen Beziehung – und wenn schon. Er hatte die Verantwortung für Bobby, und in seinem Leben war sowieso kein Raum für eine Frau. Da sie aber sozusagen unter einem Dach leben würden, konnte es nicht schaden, freundlich zu sein.

„Komm schon, Bobby. Stellen wir uns vor.“

Bobby verdrehte die Augen, aber er folgte Rick durch den Vorgarten. Als sie näher kamen, drehte die Frau sich um. Rick blieb fast das Herz stehen.

Charlotte.

Das konnte nicht wahr sein.

Charlotte Shields starrte den Mann an, auf den sie vor zwölf Jahren im schönsten Brautkleid in der knallvollen Kirche vergeblich gewartet hatte. Spielte die Fantasie ihr einen bösen Streich? Sie blinzelte, als könnte sie ihn dadurch verschwinden lassen, doch es half nichts. Rick Tyler stand noch immer vor ihr, mit ungläubigem Gesicht. Ihre Knie wurden weich, bis sie fast nachgaben. Nur mit Mühe straffte sie die Schultern und hob das Kinn. Sie hatte damals nicht die Fassung verloren und würde dies jetzt auch nicht tun.

„Rick.“ Sie legte alles, was sie an Abneigung fühlte, in das einzelne Wort.

Er lächelte vorsichtig. „Charlotte.“

Sie funkelte ihn an und hoffte, dass er die Botschaft verstehen und verschwinden würde.

„Wow. Du siehst großartig aus.“ Er stellte einen Fuß auf die unterste Treppenstufe. Sie wich zurück, bis sie gegen ihre eigene Haustür stieß. War das sein Ernst? Sie waren keine alten Freunde, die einander umarmten und Erinnerungen austauschten. War ihm nicht klar, dass sein schäbiges Verhalten sie beide zu Feinden fürs Leben gemacht hatte?

„Dad. Ich dachte, wir packen aus und essen was. Ich hab tierisch Hunger.“

Sie sah auf den Jungen, der sie mit gerunzelter Stirn anstarrte. Zehn oder elf, überschlug sie und spürte einen Stich in der Brust. Rick hatte anscheinend nicht sehr lange damit gewartet, sich eine andere Frau zu suchen. Offenbar hatte er nur sie nicht heiraten wollen.

„Bobby, sag Hallo.“

Der Junge murmelte die unfreundlichste Begrüßung, die sie seit Jahren gehört hatte. Angesichts ihrer allgemeinen Unbeliebtheit hieß das schon etwas.

„Hi.“ Sie klang nicht freundlicher, und die Augen des Jungen wurden groß. Dann marschierte er über ihren Rasen und zertrampelte dabei einige ihrer Blumen. Sie verzog keine Miene. Ihr war selbst danach, ein paar niederzuwalzen.

„Wir ziehen nebenan ein“, sagte Rick überflüssigerweise.

„Warum?“

„Ein Neuanfang.“

„Ausgerechnet in meiner Stadt?“

„Hier hat es mir immer gefallen. Die Menschen sind warmherzig und offen. Genau das braucht Bobby jetzt.“

„Das gilt auch für viele Kleinstädte im ganzen Land.“

„Kann sein, aber dort wären wir Fremde. Hier habe ich Freunde.“

„Ich hoffe, du zählst mich nicht dazu.“

Wenigstens wirkte er verlegen. „Ich möchte mich noch einmal in aller Aufrichtigkeit entschuldigen …“

„Noch einmal“, wiederholte sie lauter, als ihr lieb war. „Ich muss das erste Mal irgendwie verpasst haben. Du hast mir über deinen Trauzeugen eine Nachricht geschickt: Charlotte, es tut mir leid, dass du nicht auch der Ansicht bist, wir sollten nicht heiraten. Hältst du das wirklich für eine Entschuldigung?!“

Er ließ kurz den Kopf hängen, bevor er ihr in die Augen schaute. Immerhin. Er schämte sich. Gut. Dazu hatte er allen Grund. „Du hast recht“, sagte er. „Es war keine. Es tut mir leid, Charlotte, aber ich bin in Panik geraten. Das lässt mich nicht gerade gut aussehen, aber es ist die Wahrheit. Ich weiß, dass ich dich verletzt und blamiert habe. Das hattest du in keinster Weise verdient. Bitte verzeih mir.“

„Oh nein, nicht in diesem Leben.“

„Charlotte“, begann er, aber sie schnitt ihm das Wort ab.

„Keine Sorge, Rick, ich erzähle deiner Frau nicht, was für ein Idiot du bist.“

„Ich bin geschieden.“

„Offenbar ist sie schlauer als ich damals.“

Er drehte sich um und folgte seinem Sohn über den Rasen und ins Haus.

Charlotte schaute ihm nach und sagte sich, dass ihr Herz nur vor Schock so heftig klopfte – und nicht etwa, weil sie noch etwas für ihm empfand. Langsam ging sie ins Haus und an den Kleiderschrank in ihrem dritten und meistens ungenutzten Schlafzimmer. Sie öffnete ihn und starrte auf ihr Brautkleid. Es war das schönste im ganzen Geschäft gewesen, und sie hatte sofort gewusst, dass sie sich darin wie eine Prinzessin fühlen würde. Und so war sie sich auch vorgekommen – bis zu dem Moment, in dem sie hatte einsehen müssen, dass ihr Bräutigam sie am Traualtar versetzt hatte.

Seit Tagen war er damit angekommen, die Hochzeit absagen zu wollen, aber sie hatte geglaubt, dass es nur am Lampenfieber lag. Er wollte, dass sie ihn zu seinen Eltern begleitete, um ihnen zu erklären, dass sie beide nun doch nicht heiraten wollten. Sie hatte sich geweigert. Sicher, ihre Väter hatten das Ganze arrangiert, aber das störte sie nicht. Sie hatte sich in Rick verliebt, und er schien gern mit ihr zusammen zu sein. Sie war überzeugt, dass Rick einsehen würde, wie glücklich sie ihn machen würde.

Sie hatte sich gehörig getäuscht.

Jetzt strich sie mit beiden Händen über die durchsichtige Hülle, die ihr Brautkleid vor Schmutz und Staub schützte, und schloss die Schranktür wieder. Sie war damals ihrem Herzen gefolgt und nicht ihrem Verstand. Das würde ihr kein zweites Mal passieren.

Rick läutete an Charlottes Tür. Er wusste, dass sie zu Hause war, denn ihr Wagen stand in der Einfahrt, und durch das offene Wohnzimmerfenster drang Motown-Musik. Er konnte noch immer nicht fassen, dass ausgerechnet sie Nachbarn waren. Vorhin hatte er den Schmerz in ihren Augen gesehen. Seine Anwesenheit tat ihr weh, und das wollte er nicht. Selbst wenn er es schaffen sollte, aus dem Mietvertrag auszusteigen, würde er Bobby schon wieder einen Umzug zumuten müssen. Irgendwie musste es ihm gelingen, mit Charlotte Frieden zu schließen.

Als damals seine zwei Briefe an sie ungeöffnet zurückgekommen waren, hätte er nicht aufgeben dürfen. Er hatte sich aber eingeredet, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte und er ihren Wunsch respektieren musste. Insgeheim war er froh darüber gewesen, denn es hatte ihm den einfachsten Weg aus einer schwierigen Situation geboten. Jetzt, zwölf Jahre später, war er älter und hoffentlich klüger.

Ihre Tür ging auf. „Was willst du?“

„Können wir reden?“

„Ich hatte gehofft, dich nie wiederzusehen.“

„Charlotte, ich weiß, dass ich unsere Freundschaft zerstört habe und du mir nichts schuldest. Können wir trotzdem ein paar Minuten reden? Bitte.“

Sie schwieg so lange, dass er schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete. „Fünf Minuten“, sagte sie schließlich, „aber danach lässt du mich in Ruhe. Ist das klar?“

Obwohl auf ihrer Veranda zwei Stühle standen, lehnte sie sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich hätte dich nicht in der Kirche allein lassen dürfen, Charlotte. Ich hätte bei dir sein sollen.“

„Warum hast du es dann getan?“, fragte sie leise.

„Ich habe begriffen, dass es ein zu hoher Preis gewesen wäre, zu heiraten und unsere eigenen Träume den Plänen unserer Väter zu opfern. Ich konnte dich nicht dazu bringen, zu mir zu halten.“

„Soll das heißen, es war meine Schuld, dass du nicht in die Kirche gekommen bist?“

„Nein. Es war allein meine Schuld. Ich war feige.“

Charlotte seufzte. „Mein Vater hat mir vorgeworfen, dich vertrieben zu haben!“

„Das ist doch verrückt. Du hast nichts falsch gemacht. Sie hätten uns nicht zwingen dürfen, zu heiraten. Sie brauchten unsere Heirat nicht, um ihre Firmen zu fusionieren.“

„Trotzdem ist es nicht zur Fusion gekommen.“

„Das war nicht unsere Schuld.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Sind wir fertig?“

„Nimmst du meine Entschuldigung an?“

„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“

Er schaute in ihre wunderschönen Augen und hoffte, darin irgendein Gefühl zu entdecken. Er sah keins. Wenn sie etwas fühlte, so verbarg sie es vor ihm. „Hast du denn nie etwas getan, das du bereust? Jemandem wehgetan, der dir etwas bedeutete? Würdest du nicht wollen, dass er oder sie dir verzeiht – egal, wie spät die Entschuldigung kommt?“

Sie schloss die Augen. „Na gut. Ich verzeihe dir. Wenn es sonst nichts mehr gibt …“

Er wünschte, er könnte ihr glauben, aber er wusste, dass sie ihn nur loswerden wollte. Er würde mehr Zeit brauchen.

„Ich habe meinen Makler angerufen und versucht, aus dem Mietvertrag auszusteigen. Es geht nicht. Ich tue es dir nur ungern an, aber wir bleiben Nachbarn.“

„War’s das? Oder hast du noch eine schlechte Nachricht für mich?“

„Nein. Gute Nacht.“

Sie antwortete nicht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Es war ein Anfang. Vorläufig würde er sich damit begnügen.

„Wie lange wird das dauern?“, fragte Bobby, als Rick am nächsten Morgen vor der Praxis parkte. Bobby murrte, seit Rick ihm erklärt hatte, dass er nicht allein zu Hause bleiben durfte. Sobald sie beide sich eingerichtet hatten, würde er jemanden suchen, der auf den Jungen aufpasste, bis die Schule begann.

„Ich will mich nur kurz umsehen.“ Sich hier als Arzt niederzulassen, ohne die Praxisräume zu kennen, war riskant gewesen, aber Rick sah es als berufliche und private Chance an. Er hatte sich auf die Auskünfte des Bürgermeisters Alexander Devlin III. und die Fotos des Maklers verlassen.

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Du hättest ein Buch mitnehmen können. Wenn du dich nicht …“

„Ja, ich weiß, dann gerate ich auf die schiefe Bahn und lande dort, wo ich nicht sein will – hier zum Beispiel.“

„Bobby.“

„Schon gut. Ich stelle das Autoradio an.“

„Auf keinen Fall.“ Rick zog den Zündschlüssel ab und stieg aus. Bobby seufzte dramatisch, folgte ihm und knallte die Wagentür zu.

Ein Mann kam lächelnd auf sie zu. „Sind Sie Dr. Tyler?“

„Ja.“

Der Mann gab ihm die Hand. „Ich bin Alexander Devlin.“

Rick schüttelte sie. Dass der Bürgermeister persönlich erschienen war, gefiel ihm außerordentlich. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

„Nennen Sie mich Lex.“ Er sah Bobby an. „Hi. Du musst Bobby sein.“

„Ja. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Sir“, antwortete der Junge höflich.

Lex nickte. „Ich bin gekommen, um alle Ihre Fragen zu beantworten.“

„Danke. Wir wollten uns gerade umsehen. Sie können uns gern begleiten.“

Das Haus sah innen so gut aus wie von außen. Obwohl es lange leer gestanden hatte, war alles sauber. Rick strich mit einen Finger über den Tresen, der den Wartebereich von den Behandlungsräumen trennte – kein einziges Staubkorn.

„Sweet Briar ist ein großartiger Ort zum Leben, aber in letzter Zeit hatten wir Mühe, einen Arzt zu halten. Ihr Vorgänger hat geheiratet und ist sechs Monate später nach Boston gezogen. Die Ärztin vor ihm hat nur drei Monate durchgehalten. Sweet Briar war ihr dann eben doch zu klein. Wir alle sind froh, dass Sie sich für zwei Jahre verpflichtet haben. Einige Leute haben sich zusammengetan und hier gründlich sauber gemacht.“

„Wow. Danke.“

„Ich gebe es gern weiter.“

Hinter dem Tresen gab es genug Platz für zwei Mitarbeiterinnen und ausreichend Aktenschränke. Rick öffnete die erste der sechs Türen, die vom Flur abgingen. Der Raum war groß, und der Sonnenschein strömte durch das große Fenster. Rick konnte sich gut zwei Untersuchungsliegen sowie einen Schreibtisch, eine Körperwaage, einen Stuhl und andere Dinge darin vorstellen. Drei andere Räume waren ebenso groß, und zwei kleinere konnten als Büros eingerichtet werden.

Obwohl die Wände einen frischen Anstrich gebrauchen konnten, gefiel ihm jetzt schon, was er sah.

„Was glauben Sie, wann Sie die ersten Patienten empfangen können?“

„Innerhalb der nächsten drei Wochen, hoffe ich. Ich muss eine Krankenschwester und jemanden für die Anmeldung einstellen, aber notfalls komme ich erst mal auch ohne Personal zurecht. Der Transporter mit meinen Büromöbeln müsste in ein paar Tagen eintreffen.“

„Ich höre mich mal um.“

„Danke. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.“

Rick brachte den Bürgermeister zum Ausgang und schaute sich noch einmal in seiner zukünftigen Praxis um. Er freute sich auf die Arbeit und hätte seine Begeisterung gern mit jemandem geteilt.

„Können wir jetzt gehen?“, fragte Bobby.

Rick legte einen Arm um seinen Sohn. „Ja.“ Er schloss die Tür ab und freute sich darüber, dass Bobby seinen Arm nicht abgeschüttelt hatte. Auch das war ein Anfang.

2. KAPITEL

Charlottes Magen knurrte, als sie einen letzten Blick auf ihr neu einsortiertes Geschirr warf und die Schranktür schloss. Sie hatte aufgeräumt und gründlich sauber gemacht. Vielleicht würde sie auch noch ein paar Wände streichen. Und wenn sie schon mal dabei war, ihr Haus zu renovieren, konnte sie vielleicht auch ihr Leben ändern.

Sie beschloss, etwas zu essen. Seit ein paar Tagen nahm ihr Appetit ab, und sie wusste, woran das lag. Ihr Leben lang hatte sie gehofft, irgendwann den Chefsessel bei Shields Manufacturing zu übernehmen. Die Beförderung wäre der Beweis gewesen, dass ihr Vater sie wirklich liebte und sie nicht umsonst so viel für den Job geopfert hatte. Aber der Traum war ausgeträumt.

Er hatte sie nicht einmal angerufen, um ihr seine Entscheidung zu erklären. Es war, als würde sie für ihn nicht mehr existieren. Von ihrer Schwester Carmen hatte er sich ebenso gnadenlos abgewandt. Mit achtzehn war sie in einen tödlichen Autounfall verwickelt gewesen. Sie hatte zwar nicht am Steuer gesessen und nichts getrunken, ihr Vater hatte sie dennoch aus dem Haus geworfen und jeden Kontakt zu ihr abgebrochen. Charlotte hatte sich auf die Seite ihres Vaters geschlagen, um sich seine Anerkennung zu verdienen. Dafür schämte sie sich noch heute. Als Carmen vor ein paar Jahren nach Sweet Briar zurückgekehrt war, hatte sie versucht, mit Charlotte darüber zu reden. Charlotte hatte sie abgewimmelt. Wie dumm sie gewesen war.

Aber sie wusste, dass ihr Appetitmangel und die Schlafprobleme in erster Linie mit ihrem neuen Nachbarn zu tun hatten. Seit drei Tagen ging sie Rick aus dem Weg. Sie sah ihn kommen und gehen, aber er läutete nicht bei ihr. Und das war ihr nur recht. Um nicht länger an Rick Tyler zu denken, ging sie an den Kühlschrank. Nichts darin reizte sie. Nach dem, was sie in den letzten Tagen durchgemacht hatte, brauchte sie jetzt etwas Kalorienreiches und Fettiges.

Sie machte sich frisch, zog eine lavendelfarbene Bluse und eine knöchellange dunkelrote Hose an und legte Lippenstift auf. Die Fahrt zu Marbel’s Diner war kurz, und sie fand auf Anhieb einen Parkplatz. Charlotte nahm ihr Buch vom Beifahrersitz und stieg aus. Sie lächelte mehreren Leuten zu, aber keiner lächelte zurück. Das war kein Wunder, denn sie hatte die Bürger von Sweet Briar – von denen etliche bei Shields Manufacturing arbeiteten – wie den letzten Dreck behandelt. Sie hatte es verdient, dass man ihr die kalte Schulter zeigte.

In Sweet Briar verbreiteten sich Neuigkeiten mit Lichtgeschwindigkeit. Inzwischen hatte sich möglicherweise herumgesprochen, dass ihr Vater ihren Traumjob einem Fremden gegeben hatte und der Mann, der sie am Traualtar versetzt hatte, wieder in der Stadt weilte. Sie überlegte, ob sie besser nicht in aller Öffentlichkeit essen gehen sollte. Nein. Sie würde sich nicht verstecken.

Sie betrat den Diner.

Und sah sich Rick Tyler und dessen Sohn gegenüber.

Toll.

„Hi, Charlotte“, sagte Rick.

„Hi.“ Sie erwiderte sein Lächeln nicht. Wenn sie nichts tat, um ihn zu einem Gespräch zu ermutigen, würde er den Wink vielleicht verstehen und sie in Ruhe lassen.

„Bobby, sag Hallo.“

„Hi“, sagte der Junge gehorsam. Die Traurigkeit in seinen Augen kam ihr bekannt vor. Sie sah sie jeden Morgen im Spiegel.

Sie schaute sich nach einem freien Tisch um. Eine Vierergruppe ging gerade. Eine Kellnerin kam auf Rick zu. „Ihr Tisch ist fertig.“

Rick sah Charlotte an. „Bist du verabredet oder möchtest du dich zu uns setzen?“

Er lächelte wieder. Obwohl er der letzte Mensch war, mit dem sie Zeit verbringen wollte, schlug ihr Herz schneller. Daran zu denken, wie sehr er sie verletzt und gedemütigt hatte, half nicht. Sie fand Rick noch immer attraktiv. Verdammt.

„Ich würde lieber allein essen.“

Rick wandte sich wieder der Kellnerin zu. „Wie lange ist die Wartezeit?“

„Fünfundzwanzig Minuten. Sie haben Glück, dass der Tisch schon frei ist.“

„Es macht mir nichts aus zu warten“, sagte Charlotte. „So hungrig bin ich nicht.“ Natürlich musste ihr Magen in diesem Moment knurren.

Ricks Lächeln verblasste. „Ich weiß, ich habe mich unmöglich benommen und dir sehr wehgetan, Charlotte. Und ich weiß auch, dass meine Entschuldigung deinen Schmerz nicht lindert, mich wiederzusehen. Entschuldige, dass ich dich angesprochen habe.“

Er ging davon, aber seine Worte hallten in ihrem Kopf wider. Den Schmerz nicht lindert? Glaubte er, dass sie noch nicht darüber hinweg war? Dass ihr armes kleines Herz noch immer gebrochen war? Dass sie seine Gegenwart nicht ertrug, ohne in Tränen auszubrechen? Für wie schwach hielt er sie?! Sie legte keinen Wert auf sein Mitgefühl. Im Gegenteil, sie würde ihm zeigen, wie stark Charlotte Shields war.

„Wenn ich es mir recht überlege“, begann sie laut genug, um ihn stehen bleiben zu lassen. „Ich bin doch zu hungrig, um zu warten.“

Er drehte sich um und lächelte. „Komm schon.“

Sie folgten der Kellnerin zur freien Nische. Sie legte die Speisekarten auf den Tisch und strahlte sie an. „Ich bin gleich zurück.“

Bobby rutschte auf eine Sitzbank, und Rick wartete darauf, dass Charlotte sich auf die andere Seite setzte. Sie unterdrückte ein Seufzen, als er neben ihr Platz nahm, und rückte so weit wie möglich von ihm. Sie war hier, um etwas zu beweisen, aber musste sie dazu sein Rasierwasser riechen?

Die Kellnerin erschien mit ihrem Block in der Hand.

„Geben Sie uns noch eine Minute?“, bat Rick.

„Kein Problem.“

„Schön, dass wir uns über den Weg laufen“, sagte Rick. „Findest du nicht auch, Bobby?“

„Klar“, antwortete der Junge, das Gesicht hinter der Speisekarte verborgen.

Rick nahm ihm die Karte aus den Händen und legte sie hin. „Bobby, sei nicht so unhöflich.“

Charlotte sah Ricks Sohn an. „Ich habe mir ein Buch mitgebracht, weil ich allein essen wollte. Dein Dad hat darauf bestanden, dass ich mich zu euch setze, nicht andersherum, mein Junge.“

Bobby schien nicht zu wissen, was er von ihr halten sollte. „Mich hat er auch hergeschleift. Ich wollte zu McDonald’s.“

„Keine Chance. Hier gibt es meilenweit keinen McDonald’s. Aber das Essen bei Marbel ist großartig. Ich nehme einen doppelten Burger und eine Megaportion Pommes. Vielleicht auch noch Zwiebelringe. Und bevor du fragst, ich teile nicht, also bestell dir selbst welche.“

Bobbys Augen wurden groß. „Keinen Salat?“

„Oh, ich hasse Gemüse, vor allem Salat. Ich esse Pommes frites immer mit viel Ketchup, dann kann ich mir einbilden, dass ich Tomaten bestellt habe.“

Der Junge sah sie mit so etwas wie Bewunderung an. Hoffentlich ging das vorüber. Sie wollte nicht, dass Bobby auf die Idee kam, sie könnten Freunde werden. „Ich nehme das, was Sie nehmen.“

Sie warf Rick einen Blick zu. Er starrte sie an, als hätte sie zwei Köpfe. Pech für ihn. Wenn er wollte, dass sein Sohn Gemüse aß, würde er selbst dafür sorgen müssen.

„Du machst Scherze, stimmt’s?“, fragte Rick mit Hoffnung in der Stimme. Erwartete er allen Ernstes, dass sie ihm half, seinen Sohn gesund zu ernähren?

„Keineswegs. Das einzige Grüne, das ich esse, ist Pistazieneis. Und das auch nur, wenn Cookies and Cream aus ist.“ Sie sah den Jungen an. „Zwei leckere Sachen auf einmal – Kekse und Eiscreme.“

Bobby nickte, als hätte sie ihm gerade eine bahnbrechende Erkenntnis verraten.

Rick bekam den Mund gar nicht mehr zu, und Charlotte hätte fast laut gelacht. Unglaublich, sie amüsierte sich prächtig. Es hatte etwas Befreiendes, sich keine Gedanken mehr um das Anspruchsdenken ihres Vaters machen zu müssen.

Als die Kellnerin zurückkehrte, gab Charlotte ihre Bestellung auf. Bobby nahm das Gleiche.

„Dreimal, mit zwei Salaten dazu.“ Rick sah den Jungen an.

„Ich hoffe, die sind beide für dich. Ich esse nämlich auch kein Gemüse mehr.“ Bobby warf Charlotte einen verschwörerischen Blick zu. „Wann ist Fastenzeit?“

„Da hast du Pech. Die fängt immer sechs Wochen vor Ostern an. In diesem Jahr hast du sie schon verpasst.“

„Ganz zu schweigen davon, dass wir nicht katholisch sind“, warf Rick ein.

„Ich auch nicht“, sagte Charlotte.

„Nicht sehr hilfreich.“

Sie lächelte nur.

Die Kellnerin servierte das Essen. Schweigend nahmen sie sich Senf und Ketchup. Charlotte biss in ihren Double Burger. Köstlich. Morgen würde sie auf ihrem Fahrrad ein paar Meilen mehr zurücklegen müssen.

„Die Stadt hat sich verändert, seit ich zuletzt hier war“, begann Rick.

„Hast du wirklich gedacht, dass nach zwölf Jahren alles so ist wie früher?!“, entgegnete sie schärfer als beabsichtigt.

„Nein, nein. Ich meine nur, dass sie gewachsen ist. Auf der Fahrt hierher habe ich viele neue Häuser entdeckt. Es müssen mehr als die neunzehnhundert Einwohner sein, die auf dem Schild am Ortseingang stehen.“

Sie zuckte mit den Schultern. Das hatte sie früher nie getan, denn es schickte sich nicht. Sie tauchte ein Kartoffelstäbchen ins Ketchup. „Auf der anderen Seite des Sees gibt es eine neue Siedlung. Ich weiß nicht, ob sie zu Sweet Briar gehört. Und viele Leute in der Stadt sind Touristen.“

„Oh.“

„Was bringt dich her?“

„Ein Job. Ich eröffne eine Arztpraxis.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Du bist Arzt? Ich dachte, du bist nach New Jersey zurückgekehrt, um die Firma deines Vaters zu übernehmen.“

„Das wollte ich nie. Ich wollte immer Arzt werden. Mein Vater hat mir nicht geglaubt, deshalb musste ich es ihm zeigen.“

„Freut mich für dich, dass du es geschafft hast.“

Ihr sarkastischer Unterton entging ihm nicht. „Charlotte, ich weiß, ich habe es schon mehrfach gesagt, aber ich wiederhole es, bis du mir glaubst. Es tut mir leid.“

„Ich glaube dir ja. Du kannst aufhören, dich zu entschuldigen. Es macht nur keinen Unterschied. Wenn du es vor zwölf Jahren getan hättest, ernsthaft und persönlich. Jetzt … ist es mir egal. Okay?“

„Ich bin bereit für den Nachtisch“, verkündete Bobby.

„Iss bitte erst deinen Salat.“

Rick sah Charlotte an, als würde er nach ihrer moralischen Unterstützung suchen. Sie nahm Geld heraus. „Tut mir leid, Junge. Da bist du allein. Ich muss los.“

Rick legte eine Hand auf ihre. „Das Essen geht auf mich.“

„Nicht nötig.“ Sie entzog ihm ihre Hand.

„Wie du richtig festgestellt hast, habe ich dich eingeladen, mit uns zu essen. Und wir haben deine Gesellschaft genossen. Mein Sohn soll lernen, dass man dann auch die Rechnung übernimmt, bitte.“

Sie hatte nicht vor, die gute Erziehung seines Sohns zu gefährden. „Na gut. Danke für die Einladung.“ Sie stand auf, und er erhob sich, um sie vorbeizulassen. „Wir sehen uns, Bobby.“

Der Junge lächelte. „Bis dann, Charlotte.“

Sie verließ den Diner, ohne zurückzuschauen, und fragte sich, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn der Mann am Tisch sie nicht vor dem Altar versetzt hätte und der Junge auch ihr Sohn gewesen wäre. Wäre sie glücklicher, wenn sie die Familie bekommen hätte, die sie sich immer gewünscht hatte?

„Stell erst dein Geschirr in die Spüle“, hielt Rick seinen Sohn auf. Bobby hatte seine Cornflakes heruntergeschlungen, um sofort wieder verschwinden zu können. Rick versuchte, dieses Verhalten nicht persönlich zu nehmen. „Bleib in der Nähe. Wir müssen saubermachen. Die Möbel kommen am Montag.“

Bobby stöhnte auf, deponierte Schüssel und Becher mit lautem Geklapper im Becken, schnappte sich seinen Basketball, ging durchs Haus und ließ ihn bei jedem Schritt auf den Boden prallen. Rick biss die Zähne zusammen. Gestern Abend hatte der Junge nach langer Zeit mal wieder gelächelt und war fast wieder wie früher gewesen. Bobby schien Charlotte zu bewundern, aber zugleich verwirrte sie ihn, was Rick durchaus nachempfinden konnte. Er fragte sich, ob sein Sohn zum ersten Mal sozusagen verliebt war.

Bei jeder anderen Frau hätte Rick es amüsant gefunden, aber nicht bei Charlotte. Auch wenn sie gestern mit ihnen zu Abend gegessen hatte, machte er sich nichts vor, dass sie die Vergangenheit hinter sich gelassen hatten. Außerdem wusste er, dass sie Bobbys Gefühle nicht erwiderte. Der Junge hatte genug Zurückweisung erfahren. Rick wollte nicht, dass Charlotte ihm auch noch wehtat, selbst wenn es nicht absichtlich geschah.

Als er den letzten Schluck Kaffee trank, hörte er erst die Haustür ins Schloss fallen, dann den Basketball auf dem Pflaster der Einfahrt. Er schaute auf die Uhr und konnte sich nicht vorstellen, dass Charlotte sich freuen würde, an einem Samstagmorgen vor sieben Uhr geweckt zu werden. Er ging nach vorn, öffnete die Tür und trat in die warme Luft hinaus. „Hör auf mit dem Ball. Du weckst Charlotte.“

„Tue ich nicht. Sie ist schon wach.“

Rick überquerte den Rasen. Charlotte war in ihrer Garage und prüfte gerade die Luft im Hinterreifen ihres Fahrrads. Sie hob den Kopf, sagte aber nichts.

„Ich hoffe, Bobby hat dich nicht gestört“, sagte Rick. Sie trug pinkfarbene Shorts und ein pink-weiß gestreiftes Shirt. Sein Blick fiel auf ihre langen Beine.

Ihre braunen Augen leuchteten, die honigbraune Haut war makellos. Die hohen Wangenknochen und vollen Lippen waren eine einzige Versuchung.

„Hat er nicht.“ Sie schob das Fahrrad ins Freie.

„Hey, willst du eine Ausfahrt machen? Ich komme mit!“ Bobby ließ seinen Ball mitten in der Einfahrt liegen und rannte zur Garage. „Dad, mach das Tor auf, damit ich mein Rad herausholen kann.“

„Ich habe dir gesagt, dass wir hier zu tun haben.“

„Pah, ich arbeite nur noch. Erst musste ich unser altes Haus ausräumen und sauber machen. Jetzt soll ich dieses Haus sauber machen, damit ich alles wieder einräumen kann. Nie darf ich Spaß haben! Warum haben wir mein Rad mitgenommen, wenn ich nicht damit fahren darf?“

„Charlotte hat dich nicht eingeladen.“

Bobby sah sie hoffnungsvoll an. „Ich darf doch mit, oder?“

Ihre Miene verriet nichts. Sie war nicht mehr das Mädchen, in dessen Gesicht Rick wie in einem offenen Buch hatte lesen können. Aber damals hatte es nur eine Seite gehabt: Sie tat immer, was ihr Vater wollte. Jetzt ließ sie sich nicht mehr anmerken, was sie fühlte. „Ich fahre schnell.“

„Ich auch. Nicht wahr, Dad? Ich kann wahrscheinlich schneller als du fahren.“

„Ich will zum Strand und fahre auf dem Sand. Dazu braucht man kräftige Muskeln.“

Bobby warf sich in die Brust. „Ich bin kräftig. Gestern habe ich die schweren Kartons getragen.“ Er trat von einem Fuß auf den anderen. „Los, Dad, mach unsere Garage auf.“

Charlotte sah Bobby ab. Nach einem Moment nickte sie. „Na gut. Dieses Mal.“

Der Junge strahlte.

„Okay. Bin gleich zurück“, sagte Rick und folgte seinem Sohn.

Er schob das Garagentor hoch. Bobby holte sein Rad heraus, dann schob auch Rick seins ins Freie. Er hatte ihre Fahrräder in letzter Minute verladen, in der Hoffnung, er und Bobby könnten sich wieder annähern, wenn sie zusammen etwas unternahmen. Saubermachen konnten sie auch später.

„Was tust du?“, fragte Charlotte.

„Du hast gesagt, du hast nichts gegen Gesellschaft.“ Unter anderen Umständen hätte er sich nicht aufgedrängt, aber dies war eine Chance, mit seinem Sohn einen Ausflug zu unternehmen. Und vielleicht würde er ihr beweisen können, wie sehr er sich verändert hatte.

Ihre Lippen zuckten, und sie kniff die Augen zusammen – sie sah noch immer unglaublich sexy aus. „Ich habe gesagt, Bobby kann mitkommen.“

„Ja, Dad, das hat sie. Dich wollen wir nicht dabeihaben.“

Rick erstarrte. Er wusste, dass sein Sohn nur den Schmerz kompensierte, aber es traf ihn trotzdem. In Charlottes Blick lag etwas, das er nicht deuten konnte, aber dann blinzelte sie, und es war fort.

„Du meine Güte“, sagte sie, „fahren wir einfach.“ Sie trat in die Pedalen und schoss die Einfahrt entlang, dicht gefolgt von Bobby.

Sie fuhr tatsächlich schnell. Gut, dass er in Form war. Trotzdem holte er sie erst zwei Querstraßen weiter ein. Bei dem Tempo konnten sie sich zwar nicht unterhalten, aber dafür konnte er den Anblick ihres hinreißenden Körpers genießen.

Nach etwa einer Meile fiel Bobby zurück, und Rick fuhr langsamer. Zu seiner Überraschung tat Charlotte es auch, aber nicht so auffällig, dass Bobby sich gekränkt fühlte. Am Strandzugang holten beide sie ein. Sie hielt an. „Du fährst richtig gut, Bobby.“

Sein Sohn strahlte. „Danke. Fahren wir über den Sand? Das habe ich noch nie gemacht.“

„Ja.“

Bobby jubelte. Rick fand es unglaublich, wie mühelos Charlotte seinen Sohn zum Lächeln brachte.

„Aber fahr nicht zu dicht ans Wasser. Feuchter Sand ist die Hölle.“ Damit fuhr sie weiter, aber nicht schnell genug, um Bobby abzuhängen. Rick war ihr dankbar. Sie war so ganz anders als Bobbys Mutter, die verschwunden war, ohne nur einen Gedanken an ihr Kind zu verschwenden.

Nach etwa zwanzig Minuten wendete Charlotte, und sie kehrten zum Strandübergang zurück. Dort hielt sie nicht an, sondern raste auf die Straße. Auf dem Asphalt ließ sie sich Zeit, und sie und Bobby radelten nebeneinander. Der Wind trug ihre Stimmen mit sich, aber Rick konnte trotzdem nicht verstehen, worüber sie sich unterhielten. Einmal lachten sie, und er wurde ein bisschen neidisch. Sofort schämte er sich dafür, dass er eifersüchtig war, weil Charlotte sich mit seinem Sohn besser verstand als er. Heute hatte Bobby häufiger gelächelt als in den letzten Monaten. Noch schlimmer war allerdings, dass er seinen Sohn darum beneidete, Charlotte zum Lächeln zu bringen. Das war ihm selbst noch nicht gelungen.

Zu Hause angekommen, hielten sie in Charlottes Einfahrt und stiegen ab. Sie schloss ihre Garage auf.

„Das hat Spaß gemacht!“, rief Bobby und rannte zu ihr, um ihr zu helfen. „Danke, dass du mich mitgenommen hast.“

Sie lächelte. „Ich nehme an, jetzt musst du erst mal deinem Dad beim Saubermachen helfen, bevor die Möbel eintreffen. Wir sehen uns später.“

Bobby seufzte, und Rick wartete auf die Explosion, aber die kam nicht. Bobby nickte nur. Und lächelte. „Ja. Wir sehen uns später.“

Er warf Bobby die Schlüssel zu. „Bring dein Rad hinein. Ich bin gleich da. Ich muss kurz mit Charlotte reden.“

Sie wartete, bis der Junge außer Hörweite war. „Wir haben nichts zu bereden.“

„Ich wollte dir nur danken. Ich weiß, du wärst lieber allein gefahren.“

„Ich hatte nichts gegen Bobbys Gesellschaft.“

Er unterdrückte ein Seufzen. „Verstanden. Trotzdem danke. Du hast Bobby eine große Freude gemacht.“

Sie drehte sich um und verschwand in ihrer Garage. Er setzte bewusst ein Lächeln auf, bevor er zu seinem Sohn ging.

Charlotte saß auf ihrer Terrasse, starrte in ihren Kaffee und wehrte sich gegen das schlechte Gewissen. Aber egal, wie sehr sie es zu unterdrücken versuchte, immer wieder sah sie Ricks Gesicht vor sich. Dass sie ihn bei ihrem Fahrradausflug an den Strand nicht mitnehmen wollte, hatte ihn getroffen. Dass sie ihm dann doch erlaubt hatte, mitzuradeln, tröstete sie nicht. Sie war zu dem unfreundlichen Menschen geworden, der sie nicht mehr sein wollte.

Jetzt lag es an ihr, sich bei ihm zu entschuldigen. Anders als er würde sie nicht zwölf Jahre damit warten.

Das Motorengeräusch eines Lastwagens holte sie aus ihren Gedanken. Druckluftbremsen zischten, gefolgt vom Knallen von Wagentüren. Ricks Möbel waren da. Sie ging zur Haustür und sah, wie Rick kurz mit den Männern des Umzugsunternehmens sprach. Wenig später herrschte Chaos. Organisiertes Chaos.

Bobby bemerkte sie und kam angerannt. Offenbar waren sie jetzt beste Kumpel. Davon hatte sie nicht viele. Nein, der Junge war tatsächlich der einzige, den sie besaß.

„Kann ich bei dir bleiben?“

„Willst du den Männern denn nicht zeigen, wo was hin soll?“

„Dad hat gesagt, ich darf bestimmen, wo ich mein Bett haben will, aber dann meinte er, ich kann es nicht in die Mitte des Zimmers stellen. Ich muss es an die Wand stellen.“ Seine Augen blitzten empört.

„Wolltest du es wirklich mitten ins Zimmer stellen?“

„Ja. Du nicht?“

„Nein. Wenn es an der Wand steht, kann man viel einfacher Sachen darunter verstauen, wenn man sein Zimmer aufräumen muss.“

Er lächelte. „Ach so, daran habe ich nicht gedacht. Wo würdest du die Kommode aufstellen?“

„Das weiß ich nicht. Hängt vom Zimmer ab – wo die Tür ist und die Fenster und der Schrank.“

Er rieb sich die Nase. „Also gibt es immer einen Ort, wo etwas hingehört?“

„Nein, nicht unbedingt. Du kannst deine Möbel so aufstellen, wie es dir gefällt. Aber du solltest es dir schon möglichst bequem machen.“

„Meine Mom hat so etwas immer für mich gemacht.“

„So?“

„Ja, sie mochte das. Sie hat gern Kissen und Lampen und so gekauft. Und Sachen zum Anziehen. Dad hat immer gesagt, sie soll kein Geld für nutzloses Zeug ausgeben, aber sie hat es trotzdem getan und alles versteckt. Und dann hat sie so getan, als hätte sie die Sachen schon lange.“

Das Thema war Charlotte zu brisant. „Okay. Na ja, wenn du das nächste Mal mit ihr sprichst, kannst du sie ja um einen Rat bitten.“

Seine Schulter sanken so tief hinab, dass er aussah, als wollte er sich verkriechen. „Ich weiß nicht, wie ich mir ihr sprechen soll. Sie ist weggegangen und nicht wiedergekommen.“

Oh nein. Das arme Kind. „Wann?“

„Ist lange her.“ Er schniefte. „Sie will nicht mehr meine Mom sein.“

„Das ist dumm von ihr. Du bist ein toller Junge.“

Überrascht sah er sie an, bevor er sich die Augen mit dem Arm abwischte. Sie ahnte die Tränen, sagte aber nichts dazu. Sie selbst weinte nie vor anderen. Für ihre Mitmenschen war sie aus Stein.

„Wieso bist du nicht bei der Arbeit, Charlotte?“

Er war ehrlich gewesen, da sollte sie es auch sein. „Ich habe mal in der Firma meines Vaters gearbeitet und habe alles getan, was er wollte. Nicht nur bei der Arbeit, sondern auch sonst so. Letzte Woche hat er den Job, auf den ich lange und hart hingearbeitet habe, jemand anderem gegeben. Also habe ich hingeschmissen.“

„Wow. Hast du getobt und mit Sachen geworfen?“

Sie lächelte. „Nein. Ich bin einfach aufgestanden und gegangen.“

„Warum hat er dir den Job nicht gegeben? Weil du ein Mädchen bist?“

Gut möglich. „Nein, es ist eher, weil er mich nicht liebt. Nicht wirklich.“

Bobby nahm ihre Hand. „Dann ist er auch dumm.“

Charlotte wurde warm ums Herz. Bobbys Worte halfen ihr, etwas zu begreifen, dass sie bisher kaum hatte glauben können. Das Problem lag nicht bei ihr, denn sie war liebenswert – wenn auch nur für einen zehn Jahre alten kleinen Jungen.

3. KAPITEL

Charlotte lehnte sich im Liegestuhl zurück, schloss die Augen und genoss die abendliche Stille. Sie hatte sich daran gewöhnt, keine Nachbarn zu haben, deshalb war der Trubel für sie etwas Neues gewesen. Die Möbelpacker waren wieder weg und hatten den kleinen Transporter mitgenommen, in dem Rick und Bobby angekommen waren.

Sie konnte noch immer nicht fassen, dass Rick Tyler nicht nur wieder in Sweet Briar lebte, sondern Tür an Tür mit ihr wohnte. Und noch immer versuchte er, sich mit ihr anzufreunden. Warum begriff der Mann nicht, dass es eine Beziehung ein für alle Mal ruinierte, wenn man eine Frau im Brautkleid vor dem Traualtar versetzte? Glaubte er ernsthaft, er könnte sich wieder in ihr Leben schleichen? So blauäugig war sie nicht. Und sie würde ihm auch nicht verzeihen, selbst wenn er sie immer wieder darum bat. Sie konnte nicht vergessen, wie sehr er sie vor den Augen aller Hochzeitsgäste gedemütigt hatte.

Er war attraktiv, aber nicht so attraktiv. Seine Grübchen ließen sie fast die Vergangenheit vergessen, aber doch eben nur fast.

„Ich hatte gehofft, dich hier zu finden.“

Charlotte drehte sich nicht nach Ricks Stimme um, aber sie öffnete die Augen und sah ihn über die Rosen springen, die ihre Grundstücke trennten. Ohne auf eine Einladung zu warten, setzte er sich auf den Liegestuhl neben ihren. Er hatte zwei ungeöffnete Flaschen Mineralwasser dabei und bot ihr eine an. Sie nahm sie, obwohl sie keinen Durst hatte. Er öffnete seine und nahm einen kräftigen Schluck.

„Was willst du?“

„In Sweet Briar oder in deinem Garten?“

„Beides.“

Er streckte die langen Beine aus. „In Sweet Briar bin ich, um eine Arztpraxis zu eröffnen.“

„Warum ausgerechnet in meiner Stadt?“

Er seufzte. „Du bist anders. Die Charlotte, die ich kannte, hätte mich nie so ausgequetscht.“

„Erstaunlich, was aus einem jungen Mädchen wird, das zum Gespött einer ganzen Stadt gemacht wurde, was? Man legt das Bedürfnis ab, jedem zu gefallen.“

„Es tut mir leid …“

Sie schnitt ihm das Wort ab. „Ich möchte nicht mehr darüber sprechen. Es ist vorbei, und ich habe überlebt. Ich will wissen, warum du plötzlich in einer Kleinstadt leben willst. Noch dazu in dieser.“

„Zwei Gründe. Erstens gefällt mit Sweet Briar wirklich. Ich mag es, die Straße entlangzugehen und vertraute Gesichter zu sehen – freundliche Gesichter. Das möchte ich für Bobby. Ich weiß, dass mein Ruf hier nicht der beste ist, aber …“

Sie hob eine Hand. „Zwei Gründe, hast du gesagt. Welches ist der andere?“

„Du.“

„Ich?“ Sie wusste nicht, ob sie seine Erläuterung hören wollte.

„Ich war nicht glücklich darüber, wie wir uns getrennt haben.“

„Also bist du hergezogen, um dafür zu büßen? Du hättest dich per E-Mail entschuldigen können.“

Er verzog das Gesicht. „Ich möchte es wiedergutmachen.“

„Nicht nötig.“

„Ich habe mich verändert.“

„Das brauchst du mir nicht zu beweisen.“

„Vielleicht muss ich es mir selbst beweisen.“

Sie wollte nicht länger über Rick reden, aber plötzlich wollte sie nicht mehr allein sein, denn die meiste Zeit ihres Lebens war sie allein gewesen. Und einsam. Sie suchte nach einem anderen Thema. „Bobby hat mir erzählt, dass er seine Mutter lange nicht mehr gesehen hat.“

Rick beugte sich vor und stützte die Arme auf die Knie. „Es ist anderthalb Jahre her. Unsere Scheidung ist sechs Monate davor rechtskräftig geworden. Ich wollte das gemeinsame Sorgerecht, sie nicht. Sie wollte nichts mehr mit Bobby zu tun haben. Ich habe sie angefleht, ihn zu besuchen, und habe ihr sogar mehr Geld angeboten, als ihr zustand. Sie hat das Geld genommen und ist verschwunden.“

„Ich verstehe nicht, wie eine Mutter so einfach ihr Kind verlassen kann.“ Der Junge tat ihr leid.

„Ich auch nicht. Manchmal frage ich mich, wie lange sie das alles schon geplant hatte. Keine Ahnung, ob sie mich geliebt oder nur ausgenutzt hat.“

„Inwiefern ausgenutzt?“

„Bobby hat es dir nicht erzählt?“

„Nein.“

„Ich bin nicht sein leiblicher Vater. Er war sechs, als ich Sherry kennengelernt habe. Kurz danach haben wir geheiratet. Zweieinhalb Jahre später war sie weg, ohne ihn.“

Obwohl sie sich freute, dass Rick nicht sofort eine andere Frau geheiratet und mit ihr ein Kind bekommen hatte, war sie wütend auf seine Ex. „Ich will nicht so tun, als wüsste ich, was eine perfekte Mutter ist, aber das trifft es ganz sicher nicht.“

„Bobby hat es mir nicht leicht gemacht.“

„Wundert dich das?“

„Nein“, gab er zu, „aber das entschuldigt sein Verhalten trotzdem nicht. Er hat keine Hausaufgaben mehr gemacht und im Unterricht gestört. Dann fing er an, mit den falschen Kindern abzuhängen und hat sich noch mehr Ärger eingehandelt. Ich musste handeln. Ein Umzug quer durchs Land ist vielleicht drastisch, aber ich bin verzweifelt.“

„Und du hältst Sweet Briar für ein Wundermittel? Ich habe eine Neuigkeit für dich: Auch hier gibt es schwierige Kinder.“

„Ich erwarte kein Wunder. Ich habe viel gearbeitet und hatte zu wenig Zeit für ihn. Das wird sich hier ändern. Er liebt Basketball. Vielleicht findet er hier eine Mannschaft. Ich würde das Team sogar coachen.“

„Ja, das könnte helfen. Aber was ist mit seiner Mutter?“

„Was soll mit ihr sein?“

„Was, wenn sie ihn plötzlich wiedersehen will?“

„Will sie nicht.“

„Man weiß nie. Vielleicht hatte sie eine depressive Phase oder war überfordert.“

„Sie war nicht depressiv“, widersprach Rick. „Sie hat jemanden kennengelernt und wollte ein Leben ohne Altlasten – ihr Ausdruck, nicht meiner. Sie hat mir gesagt, sie will Bobby nicht, und wenn ich ihn nicht nehme, gibt sie ihn in eine Pflegefamilie.“

„Autsch.“

„Ja. Auch deshalb mussten wir umziehen. Bobby hat es zwar bestritten, aber insgeheim hat er noch immer gehofft, dass Sherry zurückkommt.“

„Und du?“

„Ich? Absolut nicht. Meine Liebe ist vor langer Zeit erloschen.“

„Okay. Jetzt weiß ich, warum du in Sweet Briar bist. Aber warum bist du in meinem Garten?“

„Weil du dort bist.“

„Jetzt mal im Ernst.“

„Das ist mein Ernst. Ich will mit dir reden.“

Sie drehte sich zu ihm. Leider zog genau in diesem Moment eine Wolke vor die Sonne, und der Schein der Antimückenkerze auf dem Tisch reichte nicht aus, um seinen Gesichtsausdruck zu deuten. „Worüber?“

„Früher haben wir immer miteinander geredet. Du hast mich immer verstanden, ohne dass ich groß ins Detail gehen musste.“

„Ja, früher, als wir Freunde waren. Jedenfalls habe ich das geglaubt. Jetzt sind wir keine mehr.“

Er setzte sich auf. „Was soll das heißen, du hast es geglaubt?“

„Freunde lassen einander nicht im Stich.“ Sie wollte ruhig bleiben, aber es gelang ihr nicht. „Kannst du dir vorstellen, wie es damals für mich war? Wie demütigend es für mich in der Kirche war?“

„Ich wollte dir dieses Gefühl ersparen. Vergiss nicht, ich wollte mir dir zusammen zu unseren Eltern gehen und ihnen sagen, dass wir nicht mehr heiraten wollten. Immer wieder. Du hast dich geweigert. Ich weiß, ich hätte anders mit der Situation umgehen müssen, aber ich wusste nicht wie. Um ehrlich zu sein, ich weiß es noch immer nicht.“

„Du hättest in die Kirche kommen können.“

„Um was zu tun? Hättest du dich ausgerechnet in der Kirche deinem Vater widersetzt, nachdem du vorher nicht dazu bereit gewesen warst?“

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht.“

Rick nahm ihre Hand. „Es tut mir leid, dass ich dich vor aller Augen gekränkt habe, aber die Hochzeit abzusagen, war das Beste. Ich bin kein Fachmann, aber ich weiß, eine Ehe funktioniert nicht, wenn man nicht verliebt ist. Und wir waren es nicht.“

„Du vielleicht nicht, aber ich war in dich verliebt. Deshalb wollte ich die Trauung auch nicht absagen.“

Charlotte war in ihn verliebt gewesen? Wie hatte er das nicht wissen können?

„Gute Nacht.“ Sie stand auf. „Puste die Kerze aus, bevor du gehst.“

Rick sprang auf. „Warte! Du kannst jetzt nicht einfach gehen, nachdem du so eine Bombe hast platzen lassen. Wir müssen darüber sprechen.“

„Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich hab dich geliebt, du mich nicht – ENDE der Geschichte.“ Charlotte ging um ihn herum und rannte ins Haus. Er ließ sich auf den Liegestuhl zurückfallen. Wie hatte er nur so blind sein können?

Rick schloss die Augen und wünschte, er könnte den Schmerz in Charlottes Stimme vergessen. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte ihr immer wieder erklärt, dass sie beide nicht verliebt waren und keineswegs heiraten mussten. Er war jung gewesen. Und sie hatte ihm nie ihre wahren Gefühle offenbart.

Die Vergangenheit ließ sich nicht mehr ändern. Es war sinnlos, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Er musste es in der Gegenwart besser machen.

Charlotte erschien ihm unglaublich isoliert. Wo war der Mann in ihrem Leben? Wenn es einen solchen gab, hätte Rick ihn inzwischen sehen müssen. Und was war mit Freunden? Rick hatte gehört, wie sie Bobby erzählte, ihren Job gekündigt zu haben. Hätten ihre Freunde nicht längst mit Pizza und einem Sixpack auftauchen müssen? Oder mit Schokolade und Wein? Aber niemand war gekommen, um sie zu trösten.

Die Charlotte, an die er sich erinnerte, war süß und lustig gewesen, wenn auch etwas reserviert. Hatte sie sich so sehr verändert? Und wie viel davon war seine Schuld? Egal. Er hatte das Mädchen gemocht, das sie gewesen war, und jetzt mochte er die Frau, zu der sie geworden war. Er musste sie dazu bringen, ihm zu verzeihen.

Er nahm die leeren Wasserflaschen, ging ins Haus und um die Kartons herum. Er musste Ordnung in sein Leben bringen. In mehr als nur einer Hinsicht.

Warum um alles in der Welt hatte sie Rick erzählt, dass sie in ihn verliebt gewesen war? Jahrelang hatte sie ihre wahren Gefühle für sich behalten und alle glauben lassen, dass sie ihn nur aus geschäftlichem Kalkül hatte heiraten wollen. Daher gab sie sich betont kühl und emotionslos, aber das hielt sie immer noch für besser, als zuzugeben, einen Mann zu lieben, der ihre Liebe nicht erwiderte.