12,99 €
Ein Leben gegen die Ungerechtigkeit - Bolivianisches Tagebuch. Mit einer kleinen Truppe von Kämpfer*innen unternimmt Che Guevara im November 1966 den Versuch, die Revolution nach Bolivien zu tragen. Ein knappes Jahr später wird er von Soldaten gefangen genommen und erschossen. Das letzte seiner legendären Tagebücher.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 390
Veröffentlichungsjahr: 2021
Ernesto Che Guevara
Buch lesen
Titelseite
Über Ernesto Che Guevara
Über dieses Buch
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
zur Kurzübersicht
Ernesto »Che« Guevara wurde 1928 im argentinischen Rosario geboren. Nach seinem Studium und ausgedehnten Reisen durch Lateinamerika schließt er sich 1956 einer Gruppe Exilkubaner um Fidel Castro an und wird zu einem der wichtigsten Akteure der Revolution auf Kuba. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung engagierte er sich an der Seite sozialistischer Rebellen im Kongo und in Bolivien, wo er 1967 erschossen wird. Er gilt auf Kuba bis heute als Volksheld und weltweit als eine der großen Ikonen der antiimperialistischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts.
Horst-Eckart Gross, Autor und Übersetzer, übertrug zahlreiche Bücher ins Deutsche, darunter mehrere Werke Che Guevaras.
zur Kurzübersicht
Im November 1966 begann Che Guevara sein Bolivianisches Tagebuch, das das knappe letzte Jahr seines Lebens beschreibt. Zusammen mit einer kleinen Truppe von Mitkämpfer*innen, unter ihnen die aus der DDR stammende Tamara Bunke, unternahm er den tragisch scheiternden Versuch, die Revolution nach Bolivien zu tragen. Am 9. Oktober 1967 wurde er von einem Offizier der bolivianischen Armee erschossen. Das letzte seiner legendären Tagebücher fand man nach seinem Tod. Es wurde ein Weltbestseller.
»Es war eine Angewohnheit Ches während seines Lebens als Guerillero, seine Beobachtungen an jedem Tag sorgfältig in einem persönlichen Tagebuch aufzuzeichnen. Auf den langen Märschen durch zerfurchtes und schwieriges Gelände, inmitten der feuchten Wälder, wenn die Reihen der dauernd vom Gewicht des Rucksacks, der Munition und Waffen gekrümmten Männer sich in einem Augenblick der Ruhe entspannten oder wenn die Kolonne am Ende eines ermüdenden Tages den Befehl zum Lagern bekam, sah man Che ein kleines Büchlein hervorholen und mit seiner winzigen, kaum leserlichen Arzthandschrift seine Beobachtungen festhalten. Heute verfügen wir dank jener beharrlichen Gewohnheit über detaillierte, sehr präzise und unschätzbare Informationen über jene heroischen letzten Monaten seines Lebens in Bolivien.« Fidel Castro
Motto
Editorische Notiz
Karten
Camilo Guevara – Vorwort
Fidel Castro – Eine notwendige Einführung
Das Bolivianische Tagebuch des Che Guevara
November 1966
Dezember 1966
Januar 1967
Februar 1967
März 1967
April 1967
Mai 1967
Juni 1967
Juli 1967
August 1967
September 1967
Oktober 1967
Militärische Texte
Instruktionen für die Kader des Kampfes in den Städten
Kommuniqué Nr. 1 an das bolivianische Volk
Kommuniqué Nr. 2 an das bolivianische Volk
Kommuniqué Nr. 3 an das bolivianische Volk
Kommuniqué Nr. 4 an das bolivianische Volk
An die Bergarbeiter Boliviens Kommuniqué Nr. 5
Personenverzeichnis
Bildteil
Dieses Werk enthält Abbildungen in einem Bildteil.
~ zum Bildteil ~
»Es war eine Angewohnheit Ches während seines Lebens als Guerillero, seine Beobachtungen an jedem Tag sorgfältig in einem persönlichen Tagebuch aufzuzeichnen. Auf den langen Märschen durch zerfurchtes und schwieriges Gelände, inmitten der feuchten Wälder, wenn die Reihen der dauernd vom Gewicht des Rucksacks, der Munition und Waffen gekrümmten Männer sich in einem Augenblick der Ruhe entspannten oder wenn die Kolonne am Ende eines ermüdenden Tages den Befehl zum Lagern bekam, sah man Che ein kleines Büchlein hervorholen und mit seiner winzigen, kaum leserlichen Arzthandschrift seine Beobachtungen festhalten … Dieses Mal können wir – dank jener beharrlichen Gewohnheit, jeden Tag die wesentlichen Ereignisse aufzuzeichnen – über eine detaillierte, peinlich genaue und unschätzbare Information von jenen letzten heroischen Monaten seines Lebens in Bolivien verfügen.«
Fidel Castro
Die vorliegende Ausgabe des Bolivianischen Tagebuchs von Ernesto Che Guevara stimmt mit der Ausgabe überein, die zum ersten Mal 1968 vom Instituto del Libro de Cuba veröffentlicht wurde.
Wegen ihrer historischen Bedeutung wurden einige Tagebucheintragungen hinzugefügt, die in der ersten Ausgabe nicht enthalten sind. Diese Seiten waren von den Geheimdiensten der bolivianischen Regierung aus Sicherheitsgründen entfernt worden. Neu aufgenommen wurden die Aufzeichnungen vom 4., 5., 8. und 9. Januar, vom 8. und 9. Februar, vom 14. März, vom 4. und 5. April, vom 9. und 10. Juni und vom 4. und 5. Juli.
Darüber hinaus wurde der Text überarbeitet auf der Grundlage des Vergleichs mit den Kopien des handschriftlichen Textes. Dabei konnten einige Begriffe und Worte bestimmt werden, die vorher als unleserlich galten.
Centro de Estudios Che Guevara
Ocean Press
Ausschnitt: Das Operationsgebiet der Guerilla
Camilo Guevara
Santa Cruz, Bolivien, 1967. Fast ein Jahr intensiven Kampfes ist vergangen. Kürzlich ist die Gruppe von Joaquín durch Verrat in einen Hinterhalt geraten. Immer enger wird Ches Truppe umzingelt, und so entscheiden sie sich, das Gelände zu verlassen und ein besser geeignetes Gebiet zu suchen, von dem aus sie ihre Aktivitäten effektiver durchführen können, um so den Guerillakampf zu konsolidieren. Bald wird es dämmern, die Soldaten marschieren weiter, der Kampf steht unmittelbar bevor.
Auf der letzten Seite des vom bolivianischen Militär beschlagnahmten grünen Kalenders, wegen der schwer lesbaren Schrift des Autors kaum entzifferbar, beginnt Che seinen Eintrag vom 7. Oktober 1967: »Ohne Komplikationen und idyllisch verging der Tag, an dem wir vor elf Monaten unsere Guerillaaktivitäten begannen …« Diese Worte scheinen in keiner Weise der Epilog eines heroischen Kampfes zu sein, der in diesem Tagebuch beschrieben wird. Sie lassen keine Andeutung von Verzagtheit, Pessimismus oder die Ahnung einer Niederlage erkennen, im Gegenteil, sie wirken wie ein Aufbruch, wie ein Vorwort.
8. Oktober: Ein verwundeter Gefangener wird in die ärmliche Dorfschule von La Higuera überstellt. Gedankenverloren und schwer atmend schreitet er voran und scheint eine gewaltige Last zu tragen, sodass er kaum aufrecht gehen kann. Diese Last ist die Bürde der vergangenen Monate, die ganze Summe der Leiden und Mühen: Katastrophen, Krankheiten, der Tod von Freunden und Compañeros, die übergroße Verantwortung für das Leben von Fremden und Vertrauten – und die Sehnsucht nach den ihm nahestehenden Menschen. Doch trotz dieser übermenschlichen Last, die auf ihm ruht, ist seine Haltung aufrecht; abgekämpft, staubig und mit struppigem Haar steht er da, in seinen Überzeugungen unerschüttert und bereit für seinen nächsten Kampf.
Etwas später, gefesselt und an die Lehmwand gelehnt, erwartet er das Urteil, das er von vornherein kennt. Still beobachtet er die ihn bewachenden Schergen. Einige sind überheblicher als andere, und wie alle Meuchelmörder rühmen sie sich frühzeitig ihres Sieges. Ab und zu versuchen sie, ihr Opfer zu demütigen, aber er strahlt eine tiefe Ruhe aus, die Respekt erheischt. Sein steinerner Blick, der andere Menschen zum Schweigen bringt, lässt auch hier all diese Feiglinge innehalten und irritiert sie.
Sie stehen vor einer sehr schwierigen Entscheidung. Einerseits befindet sich in ihren Händen einer der prominentesten Revolutionäre, von dem sie je gehört haben, ein Virtuose mit überzeugenden Argumenten: der lebendige Beweis für eine angebliche Aggression aus dem Ausland oder für die absurden Pläne einer kommunistischen Weltverschwörung.
Andererseits wäre er aber auch ein hartnäckiger und zäher Ankläger, der jedes Tribunal zu seiner Bühne machen könnte, vollkommen unabhängig von dem Ergebnis eines angeblich gerechten Gerichtsverfahrens. So könnte er die Verhandlung in einen gefährlichen politischen Prozess verwandeln – mit Folgen, die nicht abzusehen sind.
Das ELN von Bolivien war offen auf den Plan getreten und hatte zahlreiche, fast immer erfolgreiche Aktionen auf bolivianischem Territorium durchgeführt, ohne dass dies jemand hatte verhindern können. Bolivien und die ganze Welt hatten davon Kenntnis genommen, keiner konnte die Aktivität der Guerilla verschweigen. Und überall war die Sympathie zu spüren, obwohl sicherlich nicht die erhoffte massive Unterstützung zu verzeichnen war.
Die Ereignisse jener Tage hatten, zufällig oder auch nicht, der Guerilla eine enorme Publizität verschafft. Die kleine Gruppe war zu einer großen Gefahr für das bestehende Regime geworden. Die Verantwortlichen in der bolivianischen Regierung hatten es gespürt und geahnt, und dann wurde es immer mehr zur Gewissheit. Sie verlangten daher ein rasches Ende.
Es ist schon paradox, aus einer Schule ein Gefängnis zu machen. Aber ebenso kriminell wie vollkommen erfolglos und höchst unklug ist der Versuch, Ideen durch Schüsse dort auslöschen zu wollen, wo sie fruchtbaren Boden finden können. Das ist nur die typische Handlungsweise rachsüchtiger und zutiefst verachtenswerter Machtmenschen, die ihre »Sache« stets mit wenig subtilen Methoden durchsetzen wollen.
In den wenigen ruhigen Momenten versucht er seine Fesseln ein wenig zu lockern, um seine Glieder zu bewegen. Er erinnert sich an den Abschied von seiner Frau, umringt von seinen Kindern, Angehörigen und den engsten Freunden. Er denkt an sein Argentinien, an sein Kuba, an die Welt und an Fidel. Und er sorgt sich um jene, die lebend aus dem Gefecht entkommen konnten, und er erinnert sich und denkt zurück …
Es kann als sicher gelten, dass es Personen gab, die sich beglückwünschten oder beglückwünscht wurden angesichts dieser »glorreichen« Tat der bolivianischen Armee. Die Festnahme des Comandante Guevara muss wie eine Sauerstoffgabe auf das abgezehrte und abgewirtschaftete Regime wirken, so hofften diese Leute zumindest. Aber wie kann der Geist der Zukunft in die Vergangenheit verbannt werden, wie kann ein Beispiel verdeckt werden? Sein Bein war verwundet, sein Gewehr funktionsuntüchtig, seine Munition aufgebraucht – so haben sie ihn an jenem Tag gefangen nehmen können, aber nur weil er wirklich ein Mann, wirklich ein Bruder und wirklich bis in das Mark ein Revolutionär war; einer von den Menschen, die allein von den Gefühlen der Liebe geleitet werden.
Er hätte die feindliche Umzingelung durchbrechen können – wer will an seinen taktischen Fähigkeiten zweifeln? –, aber er zog es vor, bei jenen zu bleiben, die sich nicht mehr selbst helfen konnten, bei den Kranken und den Verwundeten. Er hätte schon vor längerer Zeit Santa Cruz verlassen können, aber er zog es vor, zu bleiben und die Suche nach Joaquíns Truppe nicht aufzugeben. Wertvolle Tage sind so verronnen, aber er hat sie nie als vergebliche Tage angesehen. Der Pelao und der Franzose, der ihn später diffamieren sollte, hatten bestimmte Aufgaben übernommen. Er hätte beide ihrem Schicksal überlassen können, aber er zog es vor, sie an einen Ort zu bringen, den er als sicher betrachtete.
Er ist ein so intensiver und vollständiger Mensch, dass er von kleinmütigen Menschen nicht verstanden wird. Ja, warum es leugnen? Es gibt Menschen, die ihn fürchten und die ihn kritisieren. Es sind die unbeugsamen Nachtischrevolutionäre, die Bürokraten, verständlicherweise die Feiglinge, die Unehrlichen, die Opportunisten, die Tyrannen der Oligarchien und die Oligarchen der Demokratie. Aus verschiedenen Gründen verstecken sie sich vor ihm oder versuchen sich zu verstecken – in der Illusion ihrer Kleingläubigkeit verhaftet, dass Utopien nicht realisierbar sind. Aber die Mehrheit der Menschen, die Ches Vision teilweise oder vollständig teilen, schätzen ihn über alles.
Seine wahre Größe wurde in diesen Augenblicken unmittelbar spürbar und in die Geschichte aufgenommen. Diejenigen, die ihn gefangen nahmen, sind bei bester Gesundheit und wollen sich nun dafür rächen, dass er es mit lediglich 50 bewaffneten Männern gewagt hatte, ein ganzes Heer herauszufordern, das vom US-Imperium ausgebildet und finanziert wurde.
Nicht weit entfernt sammelt sich in derselben Nacht eine kleine Gruppe in einem zerklüfteten Gebiet. Einige sind verwundet, alle sind unbeschreiblich hungrig, durstig und erschöpft. Mithilfe eines tragbaren Radios versuchen sie verzweifelt, etwas über ihre Compañeros und ihren verehrten Anführer zu erfahren. Sie wissen nichts über sie, ahnen jedoch das Desaster und suchen nervös jene Sender, die sie als die vertrauenswürdigsten kennen. Aus Büchern und aus eigener Erfahrung wissen sie genau, dass man bei der ständigen Suche nach Informationen auf der Hut sein muss, weil Informationen subtil manipuliert werden und so zur tödlichen Falle werden können – wenn sie dadurch etwa in eine falsche Richtung gelockt werden. Jetzt aber wären sie mit dem geringsten Hinweis zufrieden, der ihnen irgendeine Entscheidung und ein Handeln ermöglichen würde.
Ein Handeln im Sinne der Solidarität mit ihren Brüdern der Waffen und der Ideen: Unerschütterlich stark war ihr Wille und die Bereitschaft, ihnen zu helfen und die Bewegung zu retten, viel stärker als das verständliche Zögern angesichts der Ungewissheit des Ausgangs einer höchst gefährlichen Rettungsaktion. Ungebrochen ihr Wille und ihre Bereitschaft, trotz der Abwesenheit Ches und der anderen Compañeros. Denn die Bewegung des ELN in dieser ersten Etappe der Konsolidierung war sehr gefährdet, diese Bewegung, für die sie so oft das Leben riskiert hatten – und daher waren sie uneingeschränkt bereit zu handeln.
Sie hatten sich in allen Punkten so verhalten, wie es die vorab getroffenen Vereinbarungen vorsahen. Wenn nicht hier, dann dort – und wenn nicht dort, dann woanders. So war ein eventueller Rückzug der Kräfte geplant, und so war auch festgelegt worden, wo sie sich im Falle von Verlusten oder eines planmäßigen Rückzugs treffen würden. Daher bestand absolut kein Grund, sich zu schämen. Für einige waren Monate des Kampfes in Bolivien vergangen, für andere ein ganzes Leben mit harten Schicksalsschlägen, unglaublichen Entbehrungen und mit zahlreichen Träumen und Hoffnungen, eine Zeit, in der jeder jedem half, eine Zeit, in der jeder Freunde und Angehörige verloren hatte. All dies beugt sie in dem Gefühl eines ungerechten und gleichzeitig logischen Schuldempfindens: das Schuldgefühl der Überlebenden; und die latente Ahnung oder Gewissheit einer für immer verloren gegangenen Hoffnung mischt sich in diese Beklemmung und Schwere ihrer Gedanken. Still und insgeheim bitten die Männer, das Schicksal der anderen Gefährten teilen zu können, welches dies auch immer sei. Auch wenn sie sich in Gedanken zum Optimismus zwingen, so schlägt das Herz doch jetzt in ungewohnter Form, und die Bedrückung nimmt ihnen die Luft zum Atmen – auf diese Weise kündigt sich das von ihnen für unmöglich Erachtete an.
So erreicht sie die Nachricht, dass Che im Kampf gefallen sei. Die gleichen Quellen beschreiben in allen Details seine persönlichen Sachen und andere Details, die nur Eingeweihte kennen können. Da verstehen sie, dass es zweifelsfrei feststeht, dass das, was sie vielleicht als entfernte Möglichkeit betrachtet haben, jetzt harte und kalte Realität ist, die alle Gedanken und Muskeln bestimmen muss. Was ist zu tun? Was muss getan werden, warum sind wir hier, was ist unsere Pflicht? Die Antwort muss auf die Ereignisse reagieren – die Emotionen bedrängen sie, aber auch die Zeit bedrängt sie, denn die Armee hat die Suche noch nicht aufgegeben, und in wenigen Minuten oder Sekunden können sie über sie herfallen. Daher müssen sie schnell handeln. Wie viele Erinnerungen kommen nun hoch, wie viele Stimmen und Worte sind noch frisch in ihrem Gedächtnis, wie viele Gemeinsamkeiten werden ihnen bewusst! Ein Satz, ein Zitat könnte gefallen sein wie jener Satz, der große Wahrheiten in wenigen Worten zusammenfasst: »In einer Revolution siegt man oder stirbt man, wenn es denn eine wahre Revolution ist.« Vielleicht war es auch ein anderer Satz, hin- und hergerissen zwischen ungewisser Verabschiedung und dem unbeirrbaren Glauben an das Ziel – ein Satz, den wir so oft gehört haben: »Immer vorwärts bis zum Sieg.« Verluste, seien sie noch so groß wie dieser, zählen nicht, es zählt nur, dass der Kampf weitergeht.
Sie werden eine Entscheidung treffen, die den weiteren Verlauf der Geschichte bestimmen wird. Wir wissen, dass das letzte Wort die Völker haben werden. Aber es ist ein günstiges und eindeutiges Zeichen, wenn die revolutionären Kräfte die Gedanken und die Aktionen ihrer Anführer weiterführen. Dies verewigt die Anstrengungen. Die Gefallenen und die Zurückbleibenden werden ersetzt, notwendige Energien für den Sieg werden freigesetzt. So kommt es zu dem berühmten Pakt der dezimierten Nationalen Befreiungsarmee Boliviens zur Fortsetzung des Kampfes bis zur letzten Konsequenz – zum Entschluss, den Kampf fortzuführen, bis die grundlegenden Ziele der Guerilla erreicht sind, verwurzelt in dem historischen Gedankengut Lateinamerikas und des Guevarismus, um so ein neues Heldenepos in den Kämpfen der Völker für ihre Befreiung einzuleiten.
9. Oktober: In jener kleinen Schule in La Higuera befindet sich in einem kleinen Raum einer der konsequentesten Menschen, die wir bisher jemals kennengelernt haben. Er wartet geduldig auf den Tod, den seine Henker wünschen, und auf die Unsterblichkeit, Ergebnis aus der Empathie seiner reinsten Ideen und seiner altruistischen Handlungen. Der Befehl, er sei zu ermorden, kommt aus Washington. Die Untergebenen gehorchen, und mit einem Schuss nach dem anderen entreißen sie dem athletischen Körper die Kraft. Ein schreckliches und trauriges Verbrechen. Er verwandelt sich – und nicht, weil sie es wollen – in ein kriegerisches Symbol des Widerstandes, des Kampfes für die Gerechtigkeit, des notwendigen Mannes, unendlich multipliziert in den Idealen und den Händen der Kämpfenden, und genau das fürchten in letzter Instanz die Strohmänner und ihr allmächtiger Herr am meisten.
Niemals haben sie verstanden, dass es absurd ist, die paradigmatische Substanz eines verwegenen Schöpfers, eines unermüdlichen Arbeiters und Forschers wie Che ermorden zu wollen. Che, der großartige Condotiero, der weiterhin schwere Hiebe gegen die Bürokratie und gegen die Aristokratie austeilt, obwohl er nicht mehr lebt. Ebenso wenig begreifen sie, dass es auch nicht ansatzweise gelingen wird, die in seinem Beispiel verwurzelte Gewissheit zu erschüttern, dass der Mensch sich erheben und sich zum Besseren wandeln kann, um damit die Gesellschaft zu erhöhen und zu veredeln, in der er lebt.
Aus seinen Überzeugungen ist ableitbar, dass er nie aufgehört hat, daran zu glauben, dass Revolutionäre nur dann Gewalt anwenden, falls dies absolut notwendig ist. Daran dürfte er selbst dann nicht gezweifelt haben, als er sadistisch massakriert wurde. Auch wenn die Gewalt einem ursprünglichen Impuls entspringt, darf sie nie mit Grausamkeit verbunden werden, denn dies widerspricht hundertprozentig allen Eigenschaften, allem Denken des Revolutionärs. So können wir festhalten, dass keiner Ches Lebenswillen auslöschen konnte, der dann am intensivsten gefühlt wird, wenn man die Fesseln aller Umstände gelöst hat und ungezügelt seinem Lebenswillen seinen Lauf lässt, und der sich steigert, wie wenn der Wille gegen müde Lungen für das freie Atmen kämpft.
Er wurde hingerichtet ohne Gerichtsverfahren. Die Sehnsucht nach dem von ihm verkörperten neuen Menschen bleibt. Es bleibt die Überzeugung, dass der neue Mensch keine Illusion und kein Hirngespinst ist, sondern ständige Erneuerung, Aufopferung für die anderen und für sich selber, um über sich hinauszuwachsen, die Mittelmäßigkeit hinter sich zu lassen und um wenigstens einmal besser zu sein. Ein Traum nimmt Gestalt an, der viele Jahrhunderte geträumt wurde, und das Neue sind die Ethik und die Virtuosität, ohne Erwartung einer Belohnung, des Mystischen entledigt, und dieses Mal muss und wird es fundamental menschlich sein.
Camilo Guevara March
Centro de Estudios Che Guevara
Juli 2005
Fidel Castro
(Vorwort zur Erstausgabe 1968)
Es war eine Angewohnheit Ches während seines Lebens als Guerillero, seine Beobachtungen an jedem Tag sorgfältig in einem persönlichen Tagebuch aufzuzeichnen. Auf den langen Märschen durch zerfurchtes und schwieriges Gelände, inmitten der feuchten Wälder, wenn die Reihen der dauernd vom Gewicht des Rucksacks, der Munition und Waffen gekrümmten Männer sich in einem Augenblick der Ruhe entspannten oder wenn die Kolonne am Ende eines ermüdenden Tages den Befehl zum Lagern bekam, sah man Che – so hatten die Kubaner ihn zärtlich von Anfang an genannt – und mit seiner winzigen, kaum leserlichen Arzthandschrift seine Beobachtungen festhalten.
Die von ihm aufbewahrten Aufzeichnungen dienten ihm später, seine hervorragenden historischen Schriften über den revolutionären Krieg in Kuba zu verfassen, die revolutionär, pädagogisch und menschlich von großer Bedeutung sind.
Heute verfügen wir dank jener beharrlichen Gewohnheit über detaillierte, sehr präzise und unschätzbare Informationen über jene heroischen letzten Monaten seines Lebens in Bolivien.
Diese Notizen, die nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, dienten ihm als Hilfsmittel bei der ständigen Einschätzung von Ereignissen, von Situationen und von Menschen, und sie sind ein Ausdruck seines scharf beobachtenden und analytischen Verstandes, angereichert durch einen feinsinnigen Humor. Die Notizen sind in nüchterner Sprache verfasst und weisen von Anfang bis Ende einen ununterbrochenen Zusammenhang auf.
Es sollte berücksichtigt werden, dass sie in den äußerst seltenen Augenblicken der Ruhe geschrieben wurden und inmitten von epischen und übermenschlichen Anstrengungen. Hinzu kamen seine aufreibenden Pflichten als Anführer einer Guerillagruppe in der schwierigen Zeit des Anfangs eines solchen Kampfes, der noch dazu unter materiell äußerst schwierigen Bedingungen geführt wurde. Dies ist erneut ein Beleg für seinen Arbeitsstil und seinen eisernen Willen.
In diesem Tagebuch können bei der detaillierten Analyse der Ereignisse jedes Tages Fehler, Kritik und Vorwürfe festgestellt werden, die unvermeidbare Eigenheiten bei der Entwicklung einer Guerilla sind.
Innerhalb der Guerillagruppe muss diese Kritik ständig formuliert werden, insbesondere wenn sie nur aus einer kleinen Gruppe besteht, die sich extrem schwierigen materiellen Bedingungen ebenso stellen muss wie einem zahlenmäßig unendlich überlegenen Feind; wo die kleinste Unachtsamkeit und der geringste Fehler verhängnisvoll sein können und wo der Anführer erschöpfend anspruchsvoll sein muss sowie gleichzeitig jedes noch so unbedeutende Ereignis oder jede Episode nutzen muss, um die Kämpfer und zukünftigen Anführer neuer Guerillagruppen weiterzubilden.
Der Prozess der Herausbildung einer Guerilla ist eine ständige Aufforderung an das Gewissen und die Ehre eines jeden Mannes. Che wusste die sensibelsten Bereiche und Gefühle der Revolutionäre anzusprechen. Als Marcos nach mehrfachen Ermahnungen durch Che angedroht wurde, unehrenhaft aus der Guerilla ausgestoßen zu werden, da antwortete er: »Dann schon lieber erschossen!« Später gab er heldenhaft sein Leben. Ähnlich war das Verhalten aller Männer, denen er vertraute und bei denen er sich aus unterschiedlichen Gründen während des Kampfes gezwungen sah, sie zu verwarnen. Als brüderlicher und humaner Anführer konnte er jedoch auch anspruchsvoll und manchmal sogar hart sein, aber dies galt zuerst und besonders gegenüber sich selbst. Die Grundlage der Disziplin sah Che im moralischen Bewusstsein des Guerillero und in der riesigen Kraft des eigenen Beispiels.
Das Tagebuch enthält auch zahlreiche Hinweise auf Régis Debray[1]. Sie bezeugen die enorme Besorgnis Ches, die bedingt war durch die Festnahme und Einkerkerung des revolutionären Schriftstellers, dem er eine Aufgabe in Europa übertragen hatte, auch wenn er es eigentlich lieber gesehen hätte, wenn er bei der Guerilla geblieben wäre. Deshalb äußert Che ein gewisses Unbehagen, manchmal sogar Zweifel an seinem Verhalten.
Che hatte keine Möglichkeit, die von Debray erlebte Odyssee in den Fängen der Repressionsorgane sowie seine feste und mutige Haltung vor seinen Häschern und Folterern kennenzulernen.
Dennoch unterstrich er die enorme politische Bedeutung des Prozesses. Am 3. Oktober, sechs Tage vor seinem Tod und inmitten von bitteren und spannungsgeladenen Ereignissen, schrieb er: »Ein sehr mutiges Interview von Debray mit einem studentischen Provokateur war zu hören.« Dies war sein letzter Hinweis auf den Schriftsteller.
Da mehrfach in diesem Tagebuch die kubanische Revolution und ihre Beziehungen zur Guerillabewegung erwähnt werden, könnten einige die Veröffentlichung durch uns auffassen als eine Provokation, die den Feinden der Revolution, dem Yankee-Imperialismus und seinen Verbündeten, den Oligarchien Lateinamerikas, Argumente liefert, um ihre Politik der Blockade, der Isolierung und Aggression gegen Kuba zu verstärken.
Jene, die derart die Tatsachen beurteilen, seien daran erinnert, dass es dem Yankee-Imperialismus niemals an Vorwänden mangelte, um seine Schandtaten an irgendeiner Stelle der Welt durchzuführen, und dass seine Anstrengungen zur Vernichtung der kubanischen Revolution begannen, als das erste revolutionäre Gesetz in unserem Land verkündet war, und zwar aus dem offensichtlichen und bekannten Grund, dass dieser Imperialismus Gendarm der weltweiten Reaktion ist, systematischer Förderer der Konterrevolution und Verteidiger der reaktionärsten und inhumansten Gesellschaftsstrukturen, die es auf der Welt gibt.
Die Solidarität mit der revolutionären Bewegung kann als Vorwand dienen, wird jedoch nie Ursache der Yankee-Aggressionen sein. Es ist eine lächerliche Vogel-Strauß-Politik, die Solidarität zu verweigern, um keinen Vorwand zu liefern, und hat nichts zu tun mit dem internationalistischen Charakter der heutigen sozialen Revolutionen.
Den revolutionären Bewegungen die Solidarität zu verweigern, bedeutet nicht, keinen Vorwand zu liefern, sondern sich tatsächlich zu solidarisieren mit dem Yankee-Imperialismus und seiner Politik, die Welt zu beherrschen und zu versklaven.
Kuba ist ein kleines Land mit einer unterentwickelten Wirtschaft, so wie es allen Ländern ging, die über Jahrhunderte durch den Kolonialismus beherrscht und ausgebeutet wurden. Kuba befindet sich 90 Meilen von den Küsten der Vereinigten Staaten, hat auf seinem eigenen Territorium einen Marinestützpunkt der Yankees und steht vor zahlreichen Hindernissen bei seiner wirtschaftlich-gesellschaftlichen Entwicklung. Große Gefahren lasten auf unserer Heimat seit dem Sieg der Revolution, aber deshalb wird es dem Imperialismus nicht gelingen, uns zu beugen, da wir uns nicht darum kümmern, welche Schwierigkeiten eine konsequente revolutionäre Haltung verursacht.
Vom revolutionären Standpunkt aus gibt es keine Alternative zur Veröffentlichung von Ches bolivianischem Tagebuch. Sein Tagebuch fiel in die Hände von Barrientos, der sofort Kopien der CIA, dem Pentagon und der Regierung der USA aushändigte. Der CIA nahestehende Journalisten in Bolivien hatten dort Zugang zu dem Dokument und fertigten sofort Fotokopien, wenn auch mit der Auflage, sie wenigstens zum damaligen Zeitpunkt nicht zu veröffentlichen.
Die Regierung Barrientos und die höchsten militärischen Spitzen haben genügend Gründe, das Tagebuch nicht zu veröffentlichen, da dort die immense Unfähigkeit ihrer Armee ebenso festgestellt werden kann wie die unzähligen Niederlagen, die ihnen von einer Handvoll entschlossener Guerilleros bereitet wurden, die ihnen innerhalb weniger Wochen in Gefechten rund 200 Waffen abgenommen haben.
Darüber hinaus beschreibt Che Barrientos und sein Regime mit den Worten, die sie verdient haben und die nicht aus der Geschichte gelöscht werden können.
Andererseits hat der Imperialismus auch seine Gründe: Che und sein außergewöhnliches Beispiel haben weltweit einen immer größeren Einfluss. Seine Gedanken, sein Bild, sein Name sind für die Unterdrückten und Ausgebeuteten Kampfesfahnen gegen Ungerechtigkeit und finden unter den Studenten und Intellektuellen in aller Welt leidenschaftliches Interesse.
Selbst in den Vereinigten Staaten hat die Bewegung der Schwarzen und der fortschrittlichen Studenten die Figur Ches zu ihrer eigenen gemacht. In den kämpferischen Demonstrationen für Bürgerrechte und gegen die Aggression in Vietnam sind Bilder von ihm Symbole des Kampfes. Selten, vielleicht niemals zuvor ist in der Geschichte eine Persönlichkeit, ein Name, ein Beispiel so schnell und so eindrucksvoll weltweit bekannt geworden. Das liegt daran, dass Che den Internationalismus in seiner reinsten und uneigennützigsten Weise verkörpert, der für die heutige Welt charakteristisch ist und der für die zukünftige Welt immer stärker gelten wird.
Aus einem in der Vergangenheit durch die kolonialen Mächte unterdrückten Kontinent, der in der Gegenwart durch den Yankee-Imperialismus ausgebeutet sowie in der ungerechtesten Rückständigkeit und Unterentwicklung gehalten wird, steigt diese einzigartige Persönlichkeit hervor, die sich zum universellen Ansporn des revolutionären Kampfes selbst in den imperialistischen und kolonialistischen Metropolen entwickelt.
Die Yankee-Imperialisten fürchten die Macht dieses Beispiels und alles, was zu seiner Verbreitung führt. Der im Tagebuch selbst enthaltene Wert; der lebendige Ausdruck einer außergewöhnlichen Persönlichkeit; die in der Hitze und Spannung geschriebene Guerillalektion; das entzündbare Pulver; der reale Beweis, dass der lateinamerikanische Mensch nicht ohnmächtig ist angesichts der Versklaver der Völker und ihrer Söldnerheere; das ist der Grund, weshalb es bis heute nicht veröffentlicht wurde.
Dass dieses Tagebuch nicht bekannt wird, daran könnten auch die Pseudorevolutionäre interessiert sein, die Opportunisten und Scharlatane aller Schattierungen, die sich selbst ausgeben als Marxisten, Kommunisten und Ähnliches und die sich nicht scheuten, Che als Verwirrten und Abenteurer zu bezeichnen, oder gnädigerweise als Idealisten, dessen Tod der Schwanengesang des revolutionären bewaffneten Kampfes in Lateinamerika ist. »Wenn Che«, so rufen sie, »als höchster Exponent dieser Ideen und erfahrener Guerillero den Tod fand im Guerillakampf und seine Bewegung Bolivien nicht befreite, dann zeigt dies, wie sehr er sich irrte!« Wie viele dieser Elenden werden sich über Ches Tod gefreut haben, ohne sich auch nur dafür zu schämen, dass ihre Positionen und ihre Überlegungen vollständig übereinstimmen mit denen der reaktionärsten Oligarchien und des Imperialismus!
Auf diese Art und Weise rechtfertigen sie sich oder rechtfertigen verräterische Führer, die in gewissen Zeiten ohne Zögern auf den bewaffneten Kampf setzten mit der tatsächlichen Zielsetzung – wie sich schnell zeigte –, die militärischen Einheiten zu vernichten und ihren schamlosen und lächerlichen politischen Kompromisskurs durchzusetzen, weil sie absolut unfähig zu einer anderen Haltung sind; oder sie rechtfertigen jene, die für das Volk und seine Befreiung nicht kämpfen wollen und niemals kämpfen werden und die revolutionären Konzepte karikierten und aus ihnen dogmatisches Opium gemacht haben, inhaltsleer und ohne Botschaft an die Massen, und die die Kampforganisationen des Volkes zu Instrumenten der Versöhnung mit den in- und ausländischen Ausbeutern gemacht haben und die eine Politik vertraten, die nichts mit den tatsächlichen Bedürfnissen der ausgebeuteten Völker dieses Kontinents zu tun hat.
Che sah seinen Tod in diesem Prozess als etwas sehr Natürliches und Wahrscheinliches an und bemühte sich, besonders in seinen letzten Dokumenten, hervorzuheben, dass diese Möglichkeit nicht den unvermeidlichen Gang der Revolution in Lateinamerika aufhalten würde. In seiner Botschaft an die Tricontinental[2] bekräftigte er diese Überlegung:
»Jede unserer Taten ist ein Kriegsruf gegen den Imperialismus … Wo immer uns der Tod antrifft, er sei willkommen, wenn nur unser Kriegsruf ein aufnahmebereites Ohr erreicht und eine andere Hand sich ausstreckt, um unsere Waffen zu ergreifen.«
Er betrachtete sich selbst als Soldaten dieser Revolution, ohne sich im Geringsten darum Gedanken zu machen, sie zu überleben. Diejenigen, die den Ausgang seines Kampfes in Bolivien als Scheitern seiner Konzeptionen ansehen, könnten mit der gleichen Einfalt die Gültigkeit der Konzeptionen und des Kampfes aller seiner großen Vorgänger und revolutionären Denker verneinen, die Begründer des Marxismus eingeschlossen, die ihr Werk nicht vollenden und während ihres Lebens die Früchte ihrer edlen Bestrebungen nicht betrachten konnten.
Weder Martís und Maceos Tod im Gefecht sowie die darauffolgende Yankee-Intervention gegen Ende des Befreiungskrieges, wodurch unmittelbar ihre Bestrebungen fehlgeschlagen waren, noch der Tod so herausragender Kämpfer für die sozialistische Revolution wie Julio Antonio Mella, ermordet von Agenten im Dienst des Imperialismus, konnte in Kuba langfristig den Sieg eines Prozesses verhindern, der vor hundert Jahren begann. Keiner, aber auch keiner kann die grundlegende Berechtigung dieser Sache und die Form des Kampfes jener Vorgänger anzweifeln, und auch nicht, dass ihre grundlegenden Konzeptionen, die immer die kubanischen Revolutionäre beeinflussten, ihre Gültigkeit behalten haben.
In Ches Tagebuch kann festgestellt werden, wie real seine Möglichkeiten für einen Erfolg waren und wie außergewöhnlich die katalysierende Wirkung der Guerilla war, wie er in seinen Aufzeichnungen festhält. Bei einer bestimmten Gelegenheit schrieb er angesichts der deutlichen Anzeichen von Schwäche und des raschen Verfalls des bolivianischen Regimes: »Die Regierung bricht schnell auseinander; schade, jetzt nicht hundert Mann mehr zu haben.«
Che wusste aus eigener Erfahrung in Kuba, wie oft unsere kleine Guerillagruppe kurz vor der Vernichtung stand. Das hätte eintreten können in fast absoluter Abhängigkeit von den Zufällen und Unwägbarkeiten des Krieges, aber hätte ein solches Ereignis jemandem das Recht gegeben, unsere Linie als falsch einzuschätzen und sie darüber hinaus als Negativbeispiel zu nutzen, um die Revolution zu entmutigen und unter den Völkern Gefühle der Ohnmacht zu verbreiten? Sehr oft in der Geschichte gingen den revolutionären Prozessen widrige Episoden voraus. Hatten wir in Kuba nicht lediglich sechs Jahre vor dem definitiven Sieg des bewaffneten Volkskampfes die Erfahrung mit dem Sturm auf die Moncada-Kaserne?
Viele sahen zwischen dem 26. Juli 1953, als die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba angegriffen wurde, und dem 2. Dezember 1956, als die Granma landete, den bewaffneten Kampf gegen eine moderne und gut bewaffnete Armee als aussichtslos und die Aktion einer Handvoll Kämpfer als Hirngespinst von Idealisten und Träumern an, »die sich gründlich täuschen«. Die vernichtende Niederlage und vollständige Zerstreuung der unerfahrenen Guerillagruppe am 5. Dezember 1956 schien den Niederlagen voraussehenden Pessimisten endgültig recht zu geben … Aber nur 25 Monate danach hatte die Guerilla die notwendige Kraft und Erfahrung gesammelt, um jene Armee zu vernichten.
Zu allen Zeiten und unter jeglichen Umständen wird es immer genügend Vorwände geben, warum man nicht kämpft, und das ist der einzig sichere Weg, niemals die Freiheit zu erreichen. Che hat seine Konzeptionen nicht überlebt, aber er hat sie mit seinem Blut befruchtet. Ganz gewiss werden seine pseudorevolutionären Kritiker mit ihrer politischen Feigheit und ewiger Unfähigkeit zur Aktion die Offenkundigkeit ihrer eigenen Schwachsinnigkeit überleben. Es ist beachtlich, wie im Tagebuch zu lesen ist, dass einer dieser revolutionären Typen, die in Lateinamerika langsam häufig anzutreffen sind, nämlich Mario Monje, mit dem Titel Sekretär der Kommunistischen Partei Boliviens herumfuchtelnd, versucht hat, Che die militärische und politische Führung der Bewegung streitig zu machen. Er behauptete sogar, dafür auf sein Parteiamt zu verzichten, aber offensichtlich genügte ihm, diesen Titel besessen zu haben, um solche Vorrechte zu beanspruchen.
Mario Monje hatte natürlich keine Guerillaerfahrung, noch hatte er je ein Gefecht geführt, und nicht einmal sein Selbstverständnis als Kommunist führte ihn dazu, den anmaßenden und eitlen Chauvinismus abzulegen, den bereits die großen Kämpfer für die erste Unabhängigkeit überwunden hatten.
Mit derartigen Konzeptionen über den antiimperialistischen Kampf auf diesem Kontinent haben derartige »kommunistische Führer« nicht einmal das internationalistische Niveau der Eingeborenenstämme erreicht, die während der Conquista von den europäischen Kolonisatoren unterjocht wurden.
So hatte der Führer einer kommunistischen Partei eines Landes, das sich Bolivien nennt und dessen historische Hauptstadt Sucre heißt zu Ehren der beiden ersten Befreier, die beide Venezolaner waren, die Möglichkeit, für die endgültige Befreiung seines Volkes auf die Beteiligung des politischen, militärischen und organisatorischen Talents eines wahren revolutionären Titanen zählen zu können, dessen Ziel nicht durch die engen, künstlichen und darüber hinaus ungerechten Grenzen dieses Landes beschränkt war; dieser Führer einer kommunistischen Partei hatte nichts Besseres zu tun, als seinen beschämenden, lächerlichen und unverdienten Anspruch auf den Oberbefehl anzumelden.
Bolivien ohne Zugang zum Meer benötigt wie kein anderes Land, wenn es nicht einer furchtbaren Blockade ausgesetzt sein will, für seine Befreiung den revolutionären Sieg seiner Nachbarn. Che war darüber hinaus mit seinem enormen Ansehen, seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung der Mensch, der diesen Prozess hätte beschleunigen können.
Bereits vor der Spaltung der bolivianischen Kommunistischen Partei hatte Che Beziehungen aufgebaut zu Funktionären und Mitgliedern dieser Partei und bei ihnen um Unterstützung für die revolutionäre Bewegung in Südamerika nachgesucht. Einige Mitglieder, von der Partei autorisiert, arbeiteten mit ihm jahrelang an verschiedenen Aufgaben. Als es zur Spaltung in dieser Partei kam, entstand eine besondere Lage, da mehrere Mitglieder, die mit ihm zusammengearbeitet hatten, nun in der einen oder anderen Gruppe waren. Che aber sah den Kampf in Bolivien nicht als einen isolierten Vorgang an, sondern als Bestandteil einer revolutionären Befreiungsbewegung, die sich rasch auf andere Länder Südamerikas ausdehnen würde. Sein Ziel war es, eine nichtsektiererische Bewegung aufzubauen, in der sich alle organisieren könnten, die für die Befreiung Boliviens und aller anderen in Lateinamerika vom Imperialismus unterdrückten Völker kämpfen wollten. In der anfänglichen Phase des Aufbaus der Guerilla war er jedoch angewiesen auf die Hilfe einer Gruppe von wertvollen und verschwiegenen Mitarbeitern, die nach der Spaltung in der Partei Monjes verblieben waren.
Ihretwegen lud Che zuerst Monje ein, das Guerillalager zu besuchen, obwohl dieser ihm gewiss nicht sympathisch war. Danach lud er Moisés Guevara[3] ein, Bergarbeiterführer und Politiker, der sich von jener Partei getrennt hatte, um am Aufbau einer anderen Organisation mitzuwirken, die er kurze Zeit später ebenfalls verließ, weil er nicht einverstanden war mit Oscar Zamora, einem anderen Monje, der vor geraumer Zeit mit Che den Aufbau einer Organisation für den bewaffneten Kampf in Bolivien vereinbart hatte, später aber vor seinen Pflichten flüchtete und in der Stunde der Aktion feige untätig war, und sich nach Ches Tod im Namen des »Marxismus-Leninismus« zu einem seiner bösartigsten Kritiker entwickelte. Moisés Guevara schloss sich Che ohne Zögern an, so wie er es ihm lange vor seiner Ankunft in Bolivien angeboten hatte, unterstützte ihn und gab heldenhaft sein Leben der revolutionären Sache.
So handelte auch eine Gruppe von Guerilleros, die bis dahin in der Partei Monjes geblieben waren. Geleitet von Inti und Coco Peredo, die sich später als wertvolle und herausragende Kämpfer bewiesen, trennten sie sich von Monje und unterstützten entschlossen Che. Aber Monje, nicht zufrieden mit dem Ergebnis, sabotierte die Bewegung, indem er in La Paz gut ausgebildete kommunistische Kämpfer abfing, die sich der Guerilla anschließen wollten. Diese Tatsachen beweisen, dass es in den Reihen der Revolutionäre Menschen gibt, die alle Voraussetzungen für den Kampf gut erfüllen, deren Entwicklung jedoch in krimineller Weise von unfähigen Funktionären, die Scharlatane und Taktiker sind, unterbunden wird.
Che war ein Mensch, der an Ämtern, Befehlsgewalt und Ehren niemals interessiert war, der aber fest davon überzeugt war, dass im revolutionären Guerillakampf – grundlegende Aktionsform zur Befreiung der Völker Lateinamerikas, wenn von der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation fast aller lateinamerikanischer Länder ausgegangen wird – die militärische und politische Leitung der Guerilla in einer Hand vereint sein muss und dass der Kampf nur von der Guerilla heraus und nicht bürokratisch von bequemen städtischen Büros geleitet werden kann. In diesem Punkt war er weder zu Konzessionen bereit noch dazu, die Befehlsgewalt über einen Guerillakern, der nach den Planungen in der Zukunft einen groß angelegten Kampf in ganz Südamerika führen sollte, einem unerfahrenen und engstirnigen chauvinistischen Hohlkopf zu übergeben. Che war der Meinung, dass dieser Chauvinismus, der oft selbst bei den Revolutionären der verschiedenen lateinamerikanischen Länder anzutreffen ist, als lächerliche und sterile reaktionäre Haltung bekämpft werden müsse. »Und es muss sich ein wahrhafter proletarischer Internationalismus entwickeln«, schrieb er in seiner Botschaft an die Tricontinental, »… wobei das Banner, unter dem gekämpft wird, die geheiligte Sache der Erlösung der Menschheit ist, derart, dass zu fallen unter den Fahnen Vietnams, Venezuelas, Guatemalas, Laos’, Guineas, Kolumbiens, Boliviens – um nur die derzeitigen Schauplätze des bewaffneten Kampfes zu nennen – gleich ehrenvoll und erstrebenswert sein wird für einen Amerikaner, einen Asiaten, einen Afrikaner und sogar für einen Europäer. Jeder Blutstropfen, der in einem Land vergossen wird, unter dessen Fahne man nicht geboren wurde, ist eine Erfahrung, die jeder Überlebende mitnimmt, um sie später im Kampf für die Befreiung des eigenen Volkes, die man sich so verdient, anzuwenden. Und jedes Volk, das sich befreit, ist eine siegreiche Phase in der Befreiungsschlacht des eigenen Volkes.«
Che dachte im gleichen Sinne, dass in der Guerilla Kämpfer aus unterschiedlichen Ländern Lateinamerikas teilnehmen sollten und dass die Guerilla in Bolivien eine Schule werden sollte, in der in den Gefechten gelernt wird. Um ihn bei dieser Aufgabe zu unterstützen, wollte Che neben den Bolivianern sich auf eine kleine Gruppe von Guerilleros mit Erfahrung stützen, die er fast alle aus den Zeiten des revolutionären Kampfes in der Sierra Maestra kannte und von deren Fähigkeiten, Mut und Opferbereitschaft er persönlich überzeugt war. Von diesen Männern zögerte keiner, seiner Bitte zu folgen, keiner ließ ihn im Stich und keiner ergab sich.
Che handelte bei seinem Feldzug in Bolivien mit dem Durchsetzungswillen, der Meisterhaftigkeit, der Gelassenheit und der vorbildlichen Haltung, die bei ihm bereits sprichwörtlich waren. Es kann festgestellt werden, dass er im Bewusstsein der Bedeutung der Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, sich in jedem Augenblick verantwortungsbewusst verhielt. In den Fällen der Unachtsamkeit der Guerilla beeilte er sich, darauf hinzuweisen und zu ermahnen; im Tagebuch hielt er dies fest.
Widrige Faktoren trafen in unglaublicher Weise zu seinen Ungunsten zusammen. Die für wenige Tage vorgesehene Trennung von einem Teil der Guerilla, bei dem es sich um eine wertvolle Gruppe von Menschen handelte, einige davon krank oder genesend, dauerte mehrere schier endlos erscheinende Monate durch den Verlust der Verbindungen in dem äußerst zerklüfteten Gebiet. Deshalb widmete Che in dieser Zeit seine ganze Kraft der Suche nach dieser Gruppe. In dieser Zeit hatte er schwere Asthma-Anfälle. Diese Krankheit beherrschte er sonst mit einfachen Medikamenten, aber wenn sie ihm fehlten, war sie für ihn ein entsetzlicher Feind. Deshalb war es ein ernstes Problem, als die vorsorglich für die Guerilla eingelagerten Medikamente vom Feind entdeckt und in Besitz genommen wurden. Zusammen mit der Ende August erfolgten Vernichtung der Guerillagruppe, zu der die Verbindung abgerissen war, war dies einer der Faktoren, die sich besonders negativ auf die weitere Entwicklung der Ereignisse auswirkten. Aber Che überwand mit seinem eisernen Willen sein körperliches Leiden, und so war zu keinem Zeitpunkt seine Aktionsfähigkeit beeinträchtigt noch sein Gemütszustand deprimiert.
Er hatte zahlreiche Kontakte zu den bolivianischen Bauern geknüpft. Ihr äußerst misstrauischer und zurückhaltender Charakter war für Che nicht überraschend, weil er angesichts früherer Kontakte ihre Mentalität sehr genau kannte: Er wusste, dass er sie für seine Sache nur durch eine lang anhaltende, schwierige und geduldige Arbeit gewinnen könnte, er zweifelte jedoch nicht daran, dass ihm dies langfristig gelingen würde.
Wer den Gang der Ereignisse sorgfältig verfolgt, kann feststellen, dass, wenn er auch im September, also wenige Wochen vor seinem Tod, nur über eine geringe Anzahl von Männern verfügte, die Guerilla doch entwicklungsfähig war und einige bolivianische Kader wie die Brüder Inti und Coco Peredo bereits mit hervorragenden Führungseigenschaften hervorgetreten waren. Eine unerträgliche Lage war lediglich entstanden durch den Hinterhalt in La Higuera, einzige erfolgreiche Aktion der Armee gegen die von Che angeführte Abteilung der Guerilla, bei der am helllichten Tag die Männer der Vorhut getötet sowie einige weitere Männer verwundet wurden, als sie in ein ländliches Gebiet zogen, wo die Bevölkerung ein höheres politisches Bewusstsein entwickelt hatte. Diese Absicht ist nicht im Tagebuch festgehalten, ist aber durch Überlebende bekannt und war der Grund für die ausweglose Lage. Dieser Marsch, durchgeführt während des Tages, auf einer Route, die mehrere Tage erforderte, mit den zwangsläufigen, ausgiebigen Kontakten mit den Einwohnern jener Region, durch die sie zum ersten Mal zogen, und der Gewissheit, dass die Armee sie an irgendeinem Punkt abfangen werde, war zweifellos gefährlich. Che war sich dessen bewusst und ging das Risiko ein, um Médico zu helfen, der sich gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand befand.
Am Tag vor dem Hinterhalt schreibt er: »Sehr früh erreichten wir Pujio. Aber dort leben Leute, die uns am Vortag weiter abwärts gesehen hatten, es kann also gesagt werden, dass wir von Radio Bemba [kubanischer Ausdruck für Gerüchteküche] bereits angekündigt wurden. … Der Marsch mit dem Maultier wird gefährlich, aber ich bemühe mich darum, dass Médico es so gut wie möglich hat, denn er ist sehr schwach.«
Am nächsten Tag schrieb er: »Gegen 13.00 Uhr marschierte die Vorhut ab, um so schnell wie möglich Jagüey zu erreichen und dort eine Entscheidung zu treffen über die Maultiere und Médico.« Das heißt, er suchte eine Lösung für den Verwundeten, um diese Route zu verlassen und die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Aber an jenem Nachmittag, bevor noch die Vorhut Jagüey erreichte, fand der fatale Hinterhalt statt, der die Abteilung in eine ausweglose Lage brachte.
Tage später führte er, eingeschlossen in der Yuro-Schlucht, sein letztes Gefecht.
Die von dieser Handvoll Revolutionäre vollbrachte Tat beeindruckt zutiefst. Allein der Kampf gegen eine feindliche Umwelt, in der sich die Aktionen abspielten, ist eine unübertreffbare Heldentat. Niemals zuvor in der Geschichte hat sich eine so kleine Anzahl von Männern einer derart gigantischen Aufgabe gestellt. Der Glaube und die tiefe Überzeugung, dass die riesige revolutionäre Fähigkeit der Völker Lateinamerikas entfesselt werden könne, das Selbstvertrauen und die Entschlossenheit, mit der sie sich dieser Aufgabe stellten, zeigt uns die wahre Dimension dieser Männer.
Che sagte eines Tages in Bolivien zu den Guerilleros: »Diese Art des Kampfes gibt uns die Gelegenheit, uns in Revolutionäre zu verwandeln, die höchste Stufe der menschlichen Gattung, aber es gestattet uns auch, uns als Menschen zu bewähren. Jene, die keine dieser beiden Entwicklungsstufen erreichen können, müssen dies sagen und dem Kampf entsagen.«
Diejenigen, die mit ihm gemeinsam bis zum Ende gekämpft haben, verdienen diese ehrenvollen Bezeichnungen. Sie symbolisieren diese Art Revolutionäre und Menschen, denen von der Geschichte in dieser Zeit eine wahrhaft harte und schwierige Aufgabe gestellt wird: die revolutionäre Umgestaltung Lateinamerikas.
Der Feind, den die Vorläufer in dem ersten Kampf für die Unabhängigkeit bekämpften, war die dekadente Kolonialmacht. Die heutigen Revolutionäre haben zum Feind das mächtigste Bollwerk des imperialistischen Lagers, ausgestattet mit modernster Technologie und Industrie. Dieser Feind organisierte und rüstete nicht nur eine neue Armee in Bolivien aus, wo das Volk die vorherige repressive Militärmacht zerstört hatte, sondern stellte ihr auch sofort seine Waffen und militärischen Berater im Kampf gegen die Guerilla zur Verfügung. Darüber hinaus stellt dieser Feind in gleichem Maße seine militärische und technische Hilfe allen repressiven Kräften des Kontinents zur Verfügung. Und wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, greift er unmittelbar mit seinen Truppen ein wie in Santo Domingo.
Um gegen diesen Feind zu kämpfen, bedarf es solcher Revolutionäre und Menschen, von denen Che sprach. Ohne diese Revolutionäre und Menschen, die zu dem entschlossen sind, was jene taten; ohne die Entschlossenheit, den riesigen Hindernissen zu begegnen, die jene hatten; ohne die feste Überzeugung von der Gerechtigkeit ihrer Sache und ohne den unerschütterlichen Glauben an die unbesiegbaren Kräfte des Volkes, über die jene verfügten angesichts einer Macht wie der des Yankee-Imperialismus, dessen militärische, technische und wirtschaftliche Möglichkeiten in der ganzen Welt spürbar sind; ohne dies alles kann die Befreiung der Völker dieses Kontinents nicht erreicht werden.
Das nordamerikanische Volk beginnt sich bewusst zu werden, dass der das Leben prägende monströse politische Überbau schon lange keine idyllische bürgerliche Republik mehr ist, die ihre Gründer vor fast zweihundert Jahren aufbauten. Es leidet in einem immer stärkeren Maße unter der barbarischen Moral eines irrationalen, entfremdenden, unmenschlichen und brutalen Systems, das vom nordamerikanischen Volk immer mehr Opfer fordert durch seine aggressiven Kriege, seine politischen Verbrechen, seine Rassendiskriminierung, seine kleinliche Hierarchisierung des menschlichen Wesens und durch die abstoßende Verschleuderung von wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und menschlichen Ressourcen durch sein aufgeblähtes, reaktionäres und repressives militärisches System inmitten einer Welt, die zu drei Viertel unterentwickelt und hungrig ist.
Aber nur die revolutionäre Umgestaltung Lateinamerikas wird es dem Volk der Vereinigten Staaten gestatten, seine eigene Rechnung mit diesem Imperialismus zu begleichen. Gleichzeitig könnte der anwachsende Kampf des nordamerikanischen Volkes gegen die imperialistische Politik es zum entscheidenden Bündnispartner der revolutionären Bewegung in Lateinamerika werden lassen.
Wenn dieser Teil der Hemisphäre keine tief greifende revolutionäre Umgestaltung durchführt, dann wird er angesichts des enormen Unterschiedes und Ungleichgewichtes, die sich zu Beginn des Jahrhunderts herausgebildet hatten einerseits zwischen der sich rasch industrialisierenden Nation, die gleichzeitig durch ihre soziale und wirtschaftliche Dynamik zu imperialen Höhen emporstieg, und andererseits der Vielzahl der schwachen und stagnierenden Länder im balkanisierten Teil des amerikanischen Kontinents, die dem Joch feudaler Oligarchien und ihrer reaktionären Heere ausgesetzt sind – dann wird dieser Unterschied nur ein schwacher Reflex sein des heute existierenden Unterschiedes im Entwicklungsstand von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, denn dann wird es ein ungeheures Ungleichgewicht geben, das sich immer schneller ausprägen wird und das in zwanzig Jahren den Völkern Lateinamerikas von dem imperialistischen Überbau aufgezwungen werden wird.
Auf diesem Weg sind wir aufgerufen, immer ärmer und immer schwächer sowie von diesem Imperialismus immer abhängiger und immer versklavter zu werden. Diese düstere Zukunft droht im gleichen Maße auch den unterentwickelten Völkern Afrikas und Asiens.
Wenn die industrialisierten und gebildeten europäischen Nationen mit ihrem gemeinsamen Markt, ihren supranationalen wissenschaftlichen Institutionen beunruhigt sind angesichts der Möglichkeit eines Zurückbleibens und die Möglichkeit befürchten, wirtschaftliche Kolonien des Yankee-Imperialismus zu werden, was erwartet dann in Zukunft die Völker Lateinamerikas?
Wenn vor diesem realen und unbestreitbaren Bild, das entscheidend die Zukunft unserer Völker bestimmt, irgendein Liberaler oder bürgerlicher Reformist oder ein zur Aktion unfähiger pseudorevolutionärer Scharlatan eine Antwort findet, die keine tief greifende und baldige revolutionäre Umgestaltung, die alle moralischen, materiellen und menschlichen Kräfte bündeln und sie vorwärtsgerichtet einsetzen kann, um eine jahrhundertelange und immer größer werdende wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Rückständigkeit gegenüber den industrialisierten Ländern und besonders den Vereinigten Staaten aufzuholen, denen wir tributpflichtig sind und es in einem immer stärkeren Maße sein werden – und wenn zusätzlich zu dieser Formel und des magischen, anders als im Konzept Ches vorgesehenen Weges seiner Umsetzung es auch gelingt, Oligarchien, Despoten und Politikaster, sprich Diener, und Yankee-Monopole, sprich Herren, zu vertreiben – dann soll er sich melden und gegen Che antreten.
Weil nun tatsächlich keiner eine ehrenvolle Antwort geben noch eine konsequente Haltung aufweisen kann, die der zumeist in tiefer Armut lebenden, 300 Millionen Menschen umfassenden Bevölkerung Lateinamerikas – die in 25 Jahren 600 Millionen umfassen wird und einen Anspruch auf materielle Versorgung, auf Kultur und auf Zivilisation hat – eine reale Hoffnung geben kann, wäre die anständigste Haltung das Schweigen angesichts der Geste Ches und derer, die mit ihm gefallen sind in mutiger Verteidigung ihrer Konzeptionen, denn die Taten dieser Handvoll Männer, geleitet von der edlen Absicht, einen Kontinent zu erlösen, werden als höchster Beweis bestehen bleiben für das, was der menschliche Wille, Heroismus und Größe vollbringen kann. Dieses Beispiel wird das Gewissen erleuchten und den Kämpfen der lateinamerikanischen Völker vorangehen, denn der heldenhafte Ruf Ches wird das Ohr der Armen und Ausgebeuteten, für die er sein Leben gab, erreichen, und viele Arme werden sich ausstrecken, um die Waffen zu ergreifen und die endgültige Befreiung zu erringen.