Kubanisches Tagebuch - Ernesto Che Guevara - E-Book

Kubanisches Tagebuch E-Book

Ernesto Che Guevara

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Beschreibung

Ein Leben gegen die Ungerechtigkeit –Kubanisches Tagebuch. Drei Jahre lang notiert der junge Arzt Che Guevara die Geschichte der kubanischen Revolution. Wir lesen von seiner ersten Begegnung mit Fidel Castro, den entscheidenden Kämpfen in der Sierra Maestra und aus dem Alltag der Befreiungsarmee. Ein Dokument der Zeitgeschichte.

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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ernesto Che Guevara

Kubanisches Tagebuch

Aus dem Spanischen von Horst-Eckart Gross

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Ernesto Che Guevara

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

zur Kurzübersicht

Über Ernesto Che Guevara

Ernesto »Che« Guevara wurde 1928 im argentinischen Rosario geboren. Nach seinem Studium und ausgedehnten Reisen durch Lateinamerika schließt er sich 1956 einer Gruppe Exilkubaner um Fidel Castro an und wird zu einem der wichtigsten Akteure der Revolution auf Kuba. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung engagierte er sich an der Seite sozialistischer Rebellen im Kongo und in Bolivien, wo er 1967 erschossen wird. Er gilt auf Kuba bis heute als Volksheld und weltweit als eine der großen Ikonen der antiimperialistischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts.

Horst-Eckart Gross, Autor und Übersetzer, übertrug zahlreiche Bücher ins Deutsche, darunter mehrere Werke Che Guevaras.

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Über dieses Buch

Am 2. Dezember 1956 landen 83 Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer mit der »Granma« am Strand von Las Coloradas auf Kuba. Gut zwei Jahre später stürzt die inzwischen noch Tausende zählende kubanische Befreiungsarmee, die von der Sierra Maestra aus operiert, die Diktatur Batistas in Havanna.

Einer der Guerilleros, die vom ersten Tag an mit dabei waren, ist der junge argentinische Arzt Che Guevara. Er hat über die drei Jahre des Kampfes, über Siege und Niederlagen Bericht geführt. Sein Kubanisches Tagebuch, das den Verlauf des Befreiungskrieges erzählt, ist nicht nur eine packende Darstellung der militärischen Operationen der Guerilla. Che Guevara beschreibt auch mit viel Humor persönliche Erlebnisse, angefangen bei der ersten Begegnung mit Fidel Castro in Mexiko, seine Mitkämpfer und den Alltag in der Befreiungsarmee.

Inhaltsverzeichnis

Editorische Notiz

Vorwort zur überarbeiteten Neuausgabe

Das Kubanische Tagebuch des Che Guevara – Teil I

Vorwort

Alegría de Pío

Das Gefecht am La Plata

Der Kampf am Arroyo del Infierno

Luftangriff

Der Überfall in Altos de Espinosa

Ende eines Verräters

Bittere Tage

Die Verstärkung

Abhärtung im Kampf

Ein berühmtes Interview

Tage des Marsches

Die Waffen kommen

Das Gefecht von El Uvero

Krankenpflege

Rückkehr

Ein Verrat wird vorbereitet

Der Angriff auf Bueycito

Das Gefecht von El Hombrito

El Patojo

Das Kubanische Tagebuch des Che Guevara – Teil II

Eine Revolution beginnt

Ohne Orientierung

Pino del Agua

Eine unangenehme Episode

Kampf gegen das Banditenunwesen

Das ermordete Hündchen

Das Gefecht von Mar Verde

Altos de Conrado

Ein Jahr bewaffneter Kampf

Zum zweiten Mal Pino del Agua

Kurzes Zwischenspiel

Eine entscheidende Versammlung

Die Schlussoffensive: Die Schlacht von Santa Clara

Anhang

Bericht an Fidel Castro

Eine Sünde der Revolution

Lidia und Clodomira

Personenverzeichnis

Bildteil

Dieses Werk enthält Abbildungen in einem Bildteil.

 

~ zum Bildteil ~

Editorische Notiz

Die vorliegende Ausgabe des Kubanischen Tagebuches, verfasst von Comandante Ernesto Che Guevara, umfasst den Zeitraum von der Landung der Jacht Granma am 2. Dezember 1956 bis zum Sieg der Revolution am 1. Januar 1959. Während dieser Zeit wurde der glorreiche Kampf in der Sierra Maestra geführt.

Die vorliegende Ausgabe besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil enthält die Episoden aus der ursprünglichen Buchveröffentlichung unter dem Titel »Paisajes de la Guerra Revolucionaria« aus dem Jahre 1963 im Verlag Unión. Die Episoden waren vorab einzeln in der Zeitschrift Verde Olivo erschienen und wurden dann, vom Autor durchgesehen und autorisiert, als Buch veröffentlicht. Der zweite Teil besteht aus Beiträgen, die danach als Artikel in der erwähnten Zeitschrift veröffentlicht wurden. Daher folgen die einzelnen Beiträge auch nicht der Chronologie des Geschehens.

Zu einem späteren Zeitpunkt hat Che Guevara ein Exemplar der Ausgabe aus dem Jahr 1963 handschriftlich überarbeitet und ergänzt »für den Fall einer erneuten Veröffentlichung«. Diese Korrekturen wurden in die vorliegende Ausgabe eingearbeitet.

Verehrte Leser: Wir laden Sie ein, einen mitreißenden Bericht zu genießen, verfasst von einem der wichtigsten Protagonisten des revolutionären Kampfes in der Sierra Maestra, der gleichzeitig einer ihrer sensibelsten, objektivsten und wahrheitsgetreuesten Chronisten war.

 

Centro de Estudios Che Guevara

Ocean Press

Aleida Guevara

Vorwort zur überarbeiteten Neuausgabe

Bei der Durchsicht der persönlichen Hinterlassenschaften Ches fand meine Mutter vor einiger Zeit bei der Suche nach einem Dokument zwischen den Papieren meines Vaters eine handschriftliche Notiz: »Das Buch mit den Episoden, überarbeitet und ergänzt für den Fall einer erneuten Veröffentlichung.«

Alles begann am 8. Mai 1963 mit der Auslieferung eines von Che verfassten Buches mit Episoden aus dem revolutionären Krieg. Dieses Buch wurde von ihm annotiert, korrigiert und erweitert für den Fall einer Neuausgabe. Seine Schilderungen beruhen auf seinen Tagebuchaufzeichnungen, ähnlich wie die »Notas de viaje«, sein erstes Buch, diesmal aber mit einem verfeinerten Stil und besser ausgearbeitet, aber ebenso frisch und dynamisch. Sein Buch ist von großer zeithistorischer Bedeutung als Zeugnis eines Beteiligten sowie von unschätzbarem historischem Wert.

Jahre später wurde das Buch erneut aufgelegt und mit anderen Aufsätzen über jene Zeit ergänzt, die Che verfasst und damals in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht hatte. Einige spätere Ausgaben berücksichtigten seine Überarbeitung, ohne jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen, um es damit dem Leser zu ermöglichen, sich ein genaues Bild zu machen.

Das Centro de Estudios Che Guevara hat im Rahmen seiner Aktivitäten zur Pflege des Andenkens an Che Guevara und angesichts der Unzulänglichkeiten früherer Ausgaben sich das Ziel gesteckt, den Text neu herauszugeben, diesmal aber mit allen Veränderungen, um so dem ausdrücklichen Wunsch Ches zu entsprechen.

Die hiermit vorgelegte Ausgabe ist präziser und umfassender als frühere Ausgaben, denn zusätzlich zu den Anmerkungen wurden faksimilierte Seiten mit den handschriftlichen Anmerkungen aufgenommen.

Erneut legt das Centro de Estudios Che Guevara einen Text vor, der als ein Klassiker unter Ches Werken gilt. Dieser Text gestattet einen Einblick in ganz besondere Etappen seines Lebens. Mit seiner klaren und direkten Ausdrucksweise, einer ganz besonderen stilistischen Eigenheit seines Prosawerkes, berichtet er über besondere Momente des Guerillakampfes, der von kubanischen Frauen und Männern durchgeführt wurde im Rahmen des Kampfes für eine bessere Zukunft.

Wenn es Che mithilfe dieser einzigartigen Kriegserzählung gelingen sollte, mit dem Leser einen Dialog zu eröffnen, und insbesondere mit jungen Lesern, die die früheren Ausgaben nicht kennen, dann werden am Ende der Lektüre diese Leser sicherlich mehr über unser Volk wissen. Sie werden dann auch eine der wichtigsten Facetten unseres revolutionären Kampfes verstehen, und insbesondere werden sie mehr wissen über Personen, die gekämpft haben, aber auch über ihre Ängste, ihre Beschränkungen und damit auch über ihre Größe.

Bei der Lektüre jeder Episode können wir das Handeln der Protagonisten nachvollziehen, ihre Sorgen fühlen und uns mit ihnen über die Erfolge freuen. Aus erster Hand werden wir darüber informiert, wie sich der Kampf entwickelte und auf welche Weise erzieherisch vorgegangen wurde, wenn die Notwendigkeit einer kritischen und selbstkritischen Analyse gesehen wurde. Dies ist zweifellos eine Lektion für alle, die den revolutionären Kampf zu ihrer Sache machen und begangene Fehler nicht wiederholen wollen.

Als ich das Buch zum ersten Mal las, blieb mir der Bericht »Das ermordete Hündchen« tief im Bewusstsein verankert. Nie konnte ich ihn vergessen, ich höre das Bellen des Hundes und kann das Schuldgefühl nachvollziehen. Unbestreitbar müssen in einem Gefecht Entscheidungen innerhalb von Sekunden getroffen werden, und oft hängt von der Schnelligkeit der Entscheidungen das Leben von vielen Compañeros ab. Ein Mensch kann noch so überzeugt davon sein, richtig gehandelt zu haben, und dennoch kann der Schmerz über bestimmte Entscheidungen dadurch nicht einfach ignoriert werden. Das alles vollzieht sich in den Menschen, die kämpfen. Ja, denn es sind Menschen wie du und ich, jeder mit einzigartigen Gefühlen und Empfindungen, die uns zu Individuen machen.

Ich hoffe, dass Sie diese Lektüre genießen und viele Lehren daraus ziehen werden. Der Text wurde verfasst von einem Chronisten der letzten Etappe des Befreiungskampfes meines Volkes. Beteiligen Sie sich an Hinterhalten und an Entscheidungsfindungen, kämpfen Sie mit auf der Grundlage der Erinnerungen eines der kampferprobtesten und beliebtesten Anführer des Befreiungskampfes. Aber lassen Sie am Ende der Lektüre nicht die Waffen des Wissens und des Verstehens fallen, die heute nützlicher denn je sind bei dem Kampf für eine viel bessere Welt.

 

¡Hasta la Victoria siempre!

Immer vorwärts bis zum Sieg!

 

Aleida Guevara March

2005

Das Kubanische Tagebuch des Che Guevara – Teil I

Vorwort

Seit langer Zeit wollten wir die Geschichte unserer Revolution schreiben, die alle ihre vielfältigen Erscheinungsformen und Details umfasst. Oftmals haben die Führer der Revolution – privat oder öffentlich – ihren Wunsch geäußert, eine derartige Geschichte niederzuschreiben. Aber es gibt so viel zu tun, die Jahre gehen vorbei, und die Erinnerungen an den Aufstand verlieren sich in der Vergangenheit. Diese Ereignisse sind noch nicht richtig beschrieben worden, Ereignisse, die bereits zur Geschichte Amerikas gehören. Deshalb beginnen wir mit der Veröffentlichung einer Reihe persönlicher Erinnerungen über die Angriffe, Gefechte, Scharmützel und Schlachten, an denen wir teilgenommen haben. Unsere Absicht besteht nicht allein darin, diese fragmentarische Geschichte zu verfassen, die auf der Wiedergabe eigener Erlebnisse und einiger schriftlicher Aufzeichnungen beruht; ganz im Gegenteil möchten wir erreichen, dass dieses Thema von allen, die die Ereignisse miterlebt haben, aufgegriffen wird.

Da wir während der gesamten Kriegshandlungen ausschließlich in einem genau umgrenzten Sektor des kubanischen Territoriums gekämpft haben, war es uns selbst unmöglich, an anderen Orten stattfindende Kämpfe und Aktionen mitzuerleben. Um allen an dem revolutionären Kampf Beteiligten die Aufgabe zu erleichtern, darüber zu berichten, und um diesen Bericht gleichzeitig in eine übersichtliche Form zu bringen, können wir, so meine ich, mit dem ersten Gefecht beginnen, das heißt mit dem einzigen, an dem Fidel teilgenommen hatte und bei dem uns doch das Kriegsglück nicht günstig war: mit dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío.

Es gibt heute noch viele Überlebende dieses Gefechts, und jeder einzelne von ihnen ist aufgerufen, auch seine Erinnerungen niederzuschreiben, damit sie in die Geschichte eingehen und sich so ein besseres und vollständigeres Bild ergibt. Wir bitten einzig darum, dass der Erzähler streng bei der Wahrheit bleibt; dass er niemals irgendetwas Unrichtiges sagt, nur um eine persönliche Stellungnahme zu verdeutlichen oder in ein günstiges Licht zu rücken – oder um den Anschein zu erwecken, er wäre an einem bestimmten Ort dabei gewesen. Wir bitten, dass jeder, nachdem er ein paar Seiten in der ihm angemessenen, seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechenden Form geschrieben hat, sich einer möglichst strengen Selbstkritik unterzieht, um jedes Wort zu streichen, das sich nicht auf eine ganz zuverlässig gesicherte Tatsache bezieht oder dessen Wahrheitsgehalt der Autor nicht voll vertraut. Im Übrigen beginnen auch wir in diesem Sinne mit unseren Erinnerungen.

Alegría de Pío

Alegría de Pío ist ein Ort in der Provinz Oriente, im Gemeindebezirk Niquero, nahe bei Cabo Cruz, wo wir am 5. Dezember 1956 von den Truppen der Diktatur überraschend angegriffen wurden.

Nach einem zwar nicht langen, aber beschwerlichen Fußmarsch hatten uns die Kräfte verlassen. Am 2. Dezember waren wir an der als Strand von Las Coloradas bekannten Stelle an Land gegangen, wir hatten dabei fast unsere ganze Ausrüstung verloren und waren während endloser Stunden in neuen Stiefeln durch Salzwassersümpfe gelaufen – dadurch hatte fast die gesamte Truppe Schwären an den Füßen. Doch das Schuhwerk oder die Pilzkrankheiten waren nicht unser einziger Feind. Wir hatten Kuba nach sieben Tagen Überfahrt durch den Golf von Mexiko und das Karibische Meer erreicht, ohne Nahrung, das Schiff in schlechtem Zustand, aus fehlender Gewöhnung an Seereisen fast alle seekrank, nachdem wir am 25. November, einem Tag mit Nordwind, an dem das Auslaufen von Schiffen verboten war, den Hafen von Tuxpan verlassen hatten. Das alles hatte in dieser Truppe von Neulingen, die niemals im Kampf gewesen waren, seine Spuren hinterlassen.

Von unserer Kriegsausrüstung war nichts mehr geblieben als die Gewehre, die Patronengurte und ein bisschen nasse Munition. Unser Vorrat an Medikamenten war verschwunden, unsere Tornister waren zum großen Teil in den Sümpfen geblieben. Einen Tag zuvor waren wir nachts auf kleinen Pfaden durch die Zuckerrohrfelder der Zuckerfabrik von Niquero marschiert, die damals Julio Lobo gehörte. Infolge unserer Unerfahrenheit stillten wir unseren Hunger und unseren Durst damit, dass wir Zuckerrohr am Wegesrand aßen und die Reste dort liegen ließen; aber abgesehen davon hatten die Soldaten keine indirekten Nachforschungen nötig, denn wie wir Jahre später erfuhren, war unser Wegführer der Hauptschuldige an dem Verrat und hatte sie zu uns gebracht. Den Führer hatten wir in der Nacht zuvor laufen lassen, womit wir einen Fehler begingen, den wir noch einige Male während des Kampfes wiederholen sollten, bis wir gelernt hatten, dass Leute aus der Zivilbevölkerung, deren Vorleben uns unbekannt war, in Gefahrenzonen immer überwacht werden müssen. Niemals hätten wir unserem verräterischen Führer die Möglichkeit geben dürfen, sich zu entfernen.

Im Morgengrauen des 5. waren es nur wenige, die noch einen Schritt weiterkonnten; die erschöpften Männer legten kleine Entfernungen zurück und baten dann um längere Pausen. Deshalb wurde am Rande einer Zuckerrohrpflanzung in einem lichten Wäldchen, ziemlich nahe an einem dichten Hochwald, eine Rast angeordnet. Die meisten von uns schliefen an jenem Morgen.

Mittags wurden erste ungewöhnliche Anzeichen festgestellt: Flugzeuge des Typs »Biber« und andere Arten von Armee-eigenen und privaten Kleinflugzeugen begannen in der Nähe zu kreisen. Während die Flugzeuge vorbeiflogen, schnitten einige aus unserer Gruppe in aller Ruhe Zuckerrohr, ohne daran zu denken, wie gut sie infolge der niedrigen Höhe und der geringen Geschwindigkeit, mit der sich die feindlichen Maschinen bewegten, zu erkennen waren. Meine damalige Aufgabe als Arzt der Truppe war, die Fußverletzungen zu behandeln. Ich glaube, ich erinnere mich an die letzte Behandlung, die ich an jenem Tag vornahm. Der Compañero hieß Humberto Lamotte, und das war sein letzter Tag. In meinem Gedächtnis bleibt sein erschöpftes und verängstigtes Gesicht, in der Hand trug er die Schuhe, die er sich nicht anziehen konnte, während er von der Feldapotheke auf seinen Posten zurückging.

Compañero Montané und ich hatten uns gegen einen Baumstamm gelehnt und sprachen von unseren Kindern; wir aßen die magere Ration – eine halbe Knackwurst und zwei Zwiebäcke –, als ein Schuss ertönte; eine nur sekundenlange Pause, und ein Orkan von Kugeln – oder zumindest schien es unserem verängstigten Geist während dieser Feuertaufe so – schwirrte auf unsere Gruppe von zweiundachtzig Mann nieder. Mein Gewehr gehörte nicht zu den besten; absichtlich hatte ich darum gebeten, denn meine körperliche Verfassung war erbärmlich nach einem langen Asthmaanfall, unter dem ich während der ganzen Überfahrt gelitten hatte, und ich wollte nicht, dass eine gute Waffe in meinen Händen zu nichts nütze sein würde. Ich weiß nicht, in welchem Augenblick und wie die Dinge sich abspielten; die Erinnerungen sind schon verblasst. Ich weiß nur, dass inmitten der Schießerei Almeida – damals Hauptmann – zu mir kam und nach den ausgegebenen Befehlen fragte, aber es war niemand mehr da, welche zu erteilen. Soweit ich später erfuhr, versuchte Fidel vergebens, die Leute im nahen Zuckerrohrfeld zu gruppieren, wohin man gelangen musste, wenn man nur den Fußpfad überquerte. Die Überraschung war zu groß gewesen, der Kugelregen zu dicht. Almeida übernahm wieder seine Gruppe; in diesem Augenblick ließ ein Compañero eine Munitionskiste fast zu meinen Füßen stehen; ich zeigte darauf, und der Mann antwortete mir mit einem Gesichtsausdruck, an den ich mich wegen der Angst, die er widerspiegelte, ganz genau erinnere, irgend so etwas wie »Jetzt ist keine Zeit für Munitionskisten«, und sofort lief er auf dem Weg zur Zuckerrohrpflanzung weiter (dann fiel er, von einem Häscher Batistas ermordet). Vielleicht war dies das erste Mal, dass ich praktisch vor das Dilemma gestellt wurde, mich meinen medizinischen Aufgaben oder meiner Pflicht als Soldat der Revolution zu widmen. Vor mir hatte ich einen Tornister voller Medikamente und eine Kiste Munition, beide zusammen waren zu schwer, um sie gleichzeitig zu tragen; ich nahm die Munitionskiste und ließ den Tornister zurück, um die Lichtung zu überqueren, die mich vom Zuckerrohrfeld trennte. Ich erinnere mich genau an Faustino Pérez, der auf dem Fußpfad kniete und mit seiner Maschinenpistole schoss. Neben mir lief ein Compañero namens Arbentosa zur Zuckerrohrpflanzung. Eine Salve, die sich wie alle anderen anhörte, erreichte uns beide. Ich spürte einen harten Schlag gegen die Brust und eine Wunde am Hals; ich hielt mich selbst für tödlich getroffen. Arbentosa, dem das Blut aus Nase, Mund und einer ungeheuren, von einer fünfundvierziger Kugel geschlagenen Wunde strömte, schrie so etwas wie: »Sie haben mich umgelegt«, und begann wie wahnsinnig zu schießen, wo doch in diesem Augenblick niemand zu sehen war. Ich lag auf der Erde und sagte zu Faustino: »Mich haben sie erwischt« (allerdings gebrauchte ich einen kräftigeren Ausdruck), Faustino warf mir, ohne das Schießen zu unterbrechen, einen Blick zu und sagte, es sei weiter nichts, doch in seinen Augen las ich das Urteil, das meine Verwundung bedeutete.

Ausgestreckt blieb ich liegen; ich gab einen Schuss in Richtung des Waldes ab und folgte damit ebenfalls dem dunklen Impuls, der einen Verwundeten so handeln lässt. Plötzlich dachte ich in dieser Minute, in der alles verloren schien, an die beste Art zu sterben. Ich erinnerte mich an eine alte Erzählung Jack Londons, in der sich der Held, an einen Baumstamm gelehnt, vornimmt, sein Leben mit Würde zu beschließen, da er sich in den Eisgebieten Alaskas zum Tode durch Erfrieren verurteilt sieht. Das ist das einzige Bild, an das ich mich erinnere. Jemand schrie auf den Knien, dass man sich ergeben müsste, und man hörte hinten eine Stimme, von der ich später erfuhr, dass es die von Camilo Cienfuegos war, laut schreien: »Hier ergibt sich niemand …«, und darauf einen heftigen Fluch ausstoßen. Ponce schwankte heran und atmete keuchend, während er auf einen Einschuss zeigte; die Kugel hatte ihm anscheinend die Lunge durchschlagen. Er sagte mir, dass er verwundet sei, und ich erwiderte ihm gänzlich gleichgültig, dass ich es auch sei. Ponce schleppte sich weiter bis zur Zuckerrohrpflanzung, wie auch andere Compañeros, die unverletzt geblieben waren. Für einen Augenblick war ich allein, dort ausgestreckt und auf den Tod wartend. Almeida kam zu mir und ermutigte mich zum Weiterlaufen; trotz der Schmerzen raffte ich mich auf, und wir gelangten ins Zuckerrohr. Dort sah ich den hervorragenden Compañero Raúl Suárez, dessen Daumen eine Kugel zerfetzt hatte, und Faustino Pérez, der ihm an einem Baumstamm den Finger verband; dann kam es zu einem allgemeinen Durcheinander, als uns die tief fliegenden Flugzeuge umkreisten, die ein paar Garben aus Maschinengewehren abgaben und noch schlimmere Verwirrung anrichteten, wobei es zu Szenen kam, die manchmal dantesk und manchmal grotesk wirkten, so etwa das Bemühen eines beleibten Kämpfers, sich hinter einem Zuckerrohrstängel zu verstecken, und das Auftreten eines anderen, der inmitten des fürchterlichen Kugelhagels nach Ruhe verlangte, ohne dass man recht wusste, wozu.

Wir bildeten eine Gruppe, die Almeida führte und zu der außer dem heutigen Comandante Ramiro Valdés, der damals Leutnant war, auch die Compañeros Chao und Benítez gehörten. Mit Almeida an der Spitze überquerten wir den letzten Feldweg im Gebiet der Zuckerrohrpflanzung, um dann den rettenden Wald zu erreichen. In diesem Moment hörte man aus dem Zuckerrohr die ersten Schreie: »Feuer!«, und es erhoben sich Rauch- und Feuersäulen; jedoch kann ich mich für die Richtigkeit dieser Angabe nicht verbürgen, denn ich dachte mehr an die Bitterkeit der Niederlage und an meinen nahen Tod als an die Ereignisse des Kampfes. Wir liefen, bis die Nacht uns daran hinderte, weiter voranzukommen, und wir beschlossen, alle zusammen zu schlafen, auf einem Haufen, von den Moskitos belagert, von Durst und Hunger gepeinigt. Das war unsere Feuertaufe, am 5. Dezember 1956, in der Nähe von Niquero. So begann der Kampf, in dessen weiterem Verlauf die spätere Rebellenarmee geschmiedet werden sollte.

Das Gefecht am La Plata

Der Angriff auf eine kleine Kaserne, die an der Mündung des La-Plata-Flusses in der Sierra Maestra lag, brachte unseren ersten Sieg und fand eine gewisse Resonanz, die über die felszerklüftete Gegend hinausreichte, in der sich jener Kampf abspielte. Es war ein Warnsignal für alle, der Beweis, dass die Rebellenarmee existierte und zu kämpfen bereit war, und für uns bedeutete er die erneute Bestätigung, dass unser Sieg möglich war.

Am 14. Januar 1957, etwas mehr als einen Monat nach dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío, machten wir an dem Fluss Magdalena halt, der vom La Plata durch einen Bergrücken getrennt ist; dieser erstreckt sich von der Sierra Maestra bis zum Meer und trennt die beiden kleinen Flusstäler. Dort führten wir auf Fidels Befehl einige Schießübungen durch, um die Männer etwas zu trainieren; einige schossen zum ersten Mal in ihrem Leben. Dort badeten wir uns auch, nachdem wir viele Tage lang die Hygiene vernachlässigt hatten, und wer konnte, wechselte seine Wäsche. Damals hatten wir dreiundzwanzig einsatzfähige Waffen: neun Gewehre mit Zielfernrohr, fünf halb automatische, vier Hinterlader, zwei Thompson-Maschinengewehre, zwei Maschinenpistolen und ein Gewehr Kaliber 16. Am Nachmittag jenes Tages stiegen wir den letzten Bergkamm hinauf, bevor wir die Umgebung des La Plata erreichten. Wir folgten einem schmalen Waldpfad, der sehr wenig benutzt wurde und den Melquiades Elías, ein Bauer aus dieser Gegend, mit der Machete speziell für uns gekennzeichnet hatte. Seinen Namen erfuhren wir von unserem Führer Eutimio, der in jener Zeit für uns unentbehrlich war und sich als typischer Vertreter der aufständischen Bauern zeigte; wenig später aber wurde er von Casillas gefangen genommen, der ihn nicht tötete, sondern ihn stattdessen mit dem Angebot von zehntausend Pesos und einem Rang in der Armee kaufte, wenn er Fidel umbringen würde. Er war ganz nahe daran, sein Vorhaben zu verwirklichen, doch fehlte ihm der Mut, es auszuführen; trotzdem waren seine Aktionen von großer Bedeutung, weil er unsere Lagerplätze verriet.

In jener Zeit diente Eutimio uns ehrlich; er war einer der vielen Bauern, die für ihr Land gegen die Grundbesitzer des Gebietes kämpften, und wer gegen die Grundbesitzer kämpfte, kämpfte gleichzeitig gegen die Polizei, die im Dienst jener Klasse stand.

An jenem Tag nahmen wir unterwegs zwei Bauern gefangen, die, wie sich herausstellte, Verwandte unseres Führers waren: Einen von ihnen ließen wir frei, doch den anderen hielten wir aus Vorsicht fest. Am nächsten Tag, dem 15. Januar, entdeckten wir in der Ferne die noch im Bau befindliche La-Plata-Kaserne mit ihren Zinkdächern, und wir sahen eine Gruppe halb nackter Männer, an denen man trotzdem die feindliche Uniform erriet. Wir konnten beobachten, wie um sechs Uhr nachmittags, bevor die Sonne unterging, ein Boot mit Soldaten kam, von denen einige ausstiegen und dafür andere zustiegen. Da wir das Manöver nicht recht einschätzen konnten, entschlossen wir uns, den Angriff auf den folgenden Tag zu verschieben.

Vom Morgengrauen des 16. an begannen wir, die Kaserne zu beobachten. Das Küstenwachtschiff hatte sich in der Nacht zurückgezogen; wir begannen mit Erkundungsarbeiten, aber nirgends waren Soldaten zu sehen. Um drei Uhr nachmittags entschlossen wir uns, uns dem Weg zu nähern, der von der Kaserne am Fluss aufsteigt, um zu versuchen, etwas zu beobachten; als es Abend wurde, überquerten wir den La-Plata-Fluss, der ganz flach ist, und wir gingen am Weg in Stellung; nach fünf Minuten nahmen wir zwei Bauern gefangen. Einer der Männer war früher einige Male als Denunziant aufgetreten; als sie erfuhren, wer wir waren, und als wir ihnen klarmachten, dass wir ihnen gegenüber keine guten Absichten hätten, wenn sie nicht offen redeten, gaben sie wertvolle Informationen. In der Kaserne befanden sich einige Soldaten, ungefähr fünfzehn, und außerdem sollte kurz darauf einer der drei berüchtigten Aufseher des Gebietes vorbeikommen: Chicho Osorio. Diese Aufseher gehörten zum Gut der Familie Laviti, die sich einen riesigen Grundbesitz geschaffen hatte und ihn durch Terror mithilfe solcher Individuen wie Chicho Osorio zusammenhielt. Nach kurzer Zeit erschien der genannte Chicho; er war betrunken und saß auf einem Maulesel; hinter sich hatte er rittlings einen kleinen Schwarzen sitzen. Universo Sánchez hielt ihn im Namen der Guardia Rural[1] an, und dieser antwortete rasch: »Moskito« – das war das Losungswort.

Trotz unseres Spitzbubenaussehens, vielleicht dank der hochgradigen Trunkenheit dieses Subjektes, konnten wir Chicho Osorio täuschen. Fidel sagte ihm mit entrüsteter Miene, er wäre ein Oberst der Armee, der gekommen sei, um zu untersuchen, aus welchem Grund man die Aufständischen noch nicht liquidiert hätte, er selbst würde in die Wälder gehen, und deshalb sei er unrasiert, es wäre ein »Mist«, was die Armee gegenwärtig zuwege brächte; schließlich sprach er ziemlich abfällig über die Aktionsfähigkeit der gegnerischen Kräfte. Mit großer Unterwürfigkeit erzählte Chicho Osorio, dass die Posten tatsächlich ihre Zeit in der Kaserne totschlügen, dass sie nur essen und nicht handeln würden, dass sie unwichtige Patrouillen machten. Er verkündete hochtrabend, dass man alle Aufständischen liquidieren müsse. Diskret wurde damit begonnen, eine Bestandsaufnahme der Freunde und Feinde in dieser Gegend vorzunehmen, indem man Chicho Osorio über die Leute ausfragte, und das natürlich mit umgekehrten Vorzeichen: Wenn Chicho sagte, dass jemand schlecht sei, hatten wir schon einen Grund, ihn für gut zu halten. So sammelten wir etwas über zwanzig Namen, und der Denunziant redete weiter; er erzählte uns, wie er zwei Männer an jenem Ort getötet hatte, »aber mein General Batista ließ mich sofort frei«. Er berichtete uns, wie er gerade ein paar Bauern, die sich »ein bisschen ungezogen« aufgeführt hätten, geohrfeigt hatte und dass außerdem, entsprechend seinen eigenen Worten, die Soldaten unfähig wären, so etwas zu tun; sie ließen die Leute reden, ohne sie zu bestrafen. Fidel fragte ihn, was er mit Fidel Castro in dem Fall machen würde, dass er ihn zu fassen bekäme, und darauf antwortete er mit erläuternder Geste, dass man ihm die … zerquetschen müsste … Die gleiche Meinung äußerte er über Crescencio. »Schauen Sie«, sagte er und zeigte auf die Schuhe unserer Truppe, die mexikanisches Fabrikat waren, »von einem dieser Hurensöhne, die wir umgelegt haben.« Da hatte Chicho Osorio, ohne es zu wissen, sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Schließlich zeigte er sich infolge der geschickten Anspielungen Fidels bereit, uns zu führen, um alle Soldaten zu überraschen und ihnen zu beweisen, dass sie sehr schlecht vorbereitet waren und ihre Pflicht nicht erfüllten.

Wir näherten uns der Kaserne und hatten als Führer Chicho Osorio, obwohl ich persönlich nicht sehr sicher war, ob dieser Mann uns nicht schon durchschaut hatte. Trotzdem lief er ganz unbefangen weiter, denn er hatte so viel getrunken, dass er nicht zurechnungsfähig war. Als wir wieder den Fluss überquerten, um an die Kaserne heranzukommen, sagte Fidel ihm, die militärischen Vorschriften verlangten, dass ein Gefangener gefesselt sein müsse. Der Mann leistete keinen Widerstand, er ging als Gefangener weiter, ohne es zu wissen. Er erklärte, dass der einzige existierende Wachposten sich in einem Eingang der im Bau befindlichen Kaserne oder im Haus eines anderen Aufsehers befände, der Honorio heiße, und er führte uns bis an eine der Kaserne nahen Stelle, wo der Weg nach Macío kreuzte. Compañero Luis Crespo, heute Comandante, wurde zur Erkundung ausgeschickt und kehrte mit der Nachricht zurück, dass die Informationen des Aufsehers richtig wären, denn man sähe die beiden Bauten und zwischen ihnen die roten Punkte der Zigaretten der Wachposten.

Als wir uns schon zum Vorrücken bereit gemacht hatten, mussten wir uns verstecken und drei berittene Polizisten vorüberlassen, die einen Gefangenen zu Fuß wie einen Maulesel hinter sich herzogen. Er ging an mir vorbei, und ich erinnere mich der Worte des armen Bauern: »Ich bin wie ihr«, und an die Antwort eines Mannes, den wir später als den Gefreiten Basol identifizierten: »Halt den Mund und geh weiter, bevor ich dich mit Peitschenhieben vorwärtstreibe.« Wir glaubten, dass dieser Bauer außer Gefahr bliebe, wenn er nicht in der Kaserne und unseren Kugeln im Augenblick des Angriffs ausgesetzt wäre; trotzdem wurde er am nächsten Tag, als sie von dem Kampf und seinem Ausgang erfuhren, niederträchtig in Macío ermordet.

Wir hatten den Angriff mit zweiundzwanzig einsatzfähigen Waffen vorbereitet. Es war ein wichtiger Augenblick, denn wir hatten sehr wenig Munition; wir mussten die Kaserne auf jeden Fall einnehmen; sie nicht einzunehmen würde bedeuten, die gesamte Munition zu verbrauchen und praktisch wehrlos zu bleiben. Compañero Leutnant Julito Díaz, der später ruhmreich in El Uvero fiel, sowie Camilo Cienfuegos, Benítez und Calixto Morales sollten mit halb automatischen Gewehren das Palmenhaus an der äußersten Rechten umzingeln. Fidel, Universo Sánchez, Luis Crespo, Calixto García, Fajardo – heute ist er Comandante, er trägt den gleichen Familiennamen wie unser Arzt, Piti Fajardo, der im Escambray-Gebirge fiel – und ich sollten im Zentrum angreifen, Rául mit seiner Gruppe und Almeida mit der seinen von links.

So näherten wir uns den feindlichen Stellungen, bis wir auf ungefähr vierzig Meter herangekommen waren. Der Mond schien hell. Fidel eröffnete das Feuer mit zwei Maschinengewehrsalven, und darauf setzten alle verfügbaren Gewehre ein. Man forderte die Soldaten sofort zur Kapitulation auf, doch das blieb ohne Ergebnis. In dem Augenblick, als die Schießerei begann, wurde der Denunziant und Mörder Chicho Osorio hingerichtet.

Der Angriff hatte um zwei Uhr vierzig morgens begonnen, und die Soldaten leisteten mehr Widerstand, als wir erwartet hatten. Ein Sergeant hatte eine M-1, und er antwortete mit einer Salve, sooft wir ihn zur Kapitulation aufforderten. Es wurde Befehl gegeben, unsere alten Granaten brasilianischen Typs abzufeuern; Luis Crespo verschoss seine, ich die, die ich bei mir hatte. Sie explodierten jedoch nicht. Raúl Castro warf Dynamit ohne Zünder, und das hatte keinerlei Wirkung. Also mussten wir weiter herankommen und die Häuser in Brand stecken, selbst wenn wir dabei unser eigenes Leben aufs Spiel setzten. In jenem Augenblick versuchte es Universo Sánchez als Erster und scheiterte, danach Camilo Cienfuegos, er schaffte es auch nicht, und schließlich näherten Luis Crespo und ich uns einer Hütte, die dieser Compañero anzündete. Im Feuerschein konnten wir erkennen, dass dies nur ein einfacher Aufbewahrungsort für die Früchte der nahe gelegenen Kokospalmenwälder war, aber wir schüchterten die Soldaten so ein, dass sie den Kampf aufgaben. Einer der Fliehenden stieß fast gegen Luis Crespos Gewehr, dieser verwundete ihn an der Brust und nahm ihm seine Waffe ab, und wir beschossen das Haus weiter. Camilo Cienfuegos, der hinter einem Baum in Deckung gegangen war, schoss auf den fliehenden Sergeanten und verbrauchte restlos die wenigen Patronen, die er besaß.

Die Soldaten, die fast ohne Deckung waren, wurden erbarmungslos von unseren Kugeln getroffen. Camilo Cienfuegos stürmte als Erster von unserer Seite in das Haus, aus dem Kapitulationsrufe drangen. Wir machten schnell die Bilanz, was der Kampf an Waffen eingebracht hatte: acht Springfields, ein Thompson-Maschinengewehr und etwa tausend Schuss Munition. Wir hatten ungefähr fünfhundert Schuss verbraucht. Außerdem hatten wir Patronengurte, Treibstoff, Messer, Kleidung und einige Nahrungsmittel erbeutet. Die Verluste: Sie hatten zwei Tote, fünf Verwundete und außerdem drei Gefangene verloren. Ein paar waren gemeinsam mit dem Denunzianten Honorio geflohen. Auf unserer Seite: nicht eine Kratzwunde. Wir steckten die Häuser der Soldaten in Brand und zogen uns zurück, nachdem wir die Verwundeten so gut wie möglich ärztlich versorgt hatten; drei von ihnen waren schwer verletzt und starben später, wie uns nach dem endgültigen Sieg bekannt wurde; wir ließen die Verwundeten in der Obhut der gefangenen Soldaten. Einer dieser Soldaten trat später in die Truppe von Comandante Raúl Castro ein und erlangte den Grad eines Leutnants; er kam bei einem Flugzeugunglück ums Leben, nachdem der Krieg bereits gewonnen war.

Immer stand unser Verhalten zu den Verwundeten im Gegensatz zum Auftreten der Armee, die nicht nur unsere Verwundeten ermordete, sondern sogar die eigenen im Stich ließ. Diese gegensätzliche Haltung tat mit der Zeit ihre Wirkung und bildete einen der Faktoren, die zum Sieg führten. Damals befahl Fidel, dass wir den Gefangenen alle verfügbaren Medikamente für die Pflege der verwundeten Soldaten überlassen sollten, und so geschah es auch, was ich, der ich als Arzt die Notwendigkeit sah, Reserven für unsere Truppe zurückzubehalten, sehr bedauerte. Wir ließen auch die Zivilisten frei, und am 17. morgens um vier Uhr dreißig brachen wir nach Palma Mocha auf, wo wir bei Tagesanbruch ankamen und uns dann rasch ins Innere des Gebirges zurückzogen, auf der Suche nach den steilsten Felsgebieten der Sierra Maestra.

Ein beklagenswertes Schauspiel bot sich unseren Augen: Ein Gefreiter und ein Aufseher hatten am Vorabend allen ortsansässigen Familien mitgeteilt, dass die Luftwaffe alles bombardieren würde, und darauf hatte eine Massenflucht zur Küste begonnen. Da niemand wusste, dass wir uns dort aufhielten, war es offenkundig ein zwischen den Aufsehern und der Guardia Rural abgesprochenes Manöver, um die Bauern ihres Landes und ihres Eigentums zu berauben. Doch die Lüge jener Leute war gleichzeitig mit unserem Angriff erfolgt, und jetzt verwandelte sie sich in Wahrheit, sodass sich in jenem Moment der Schrecken ausbreitete und es unmöglich war, die Massenflucht der Landbewohner aufzuhalten.

Das war der erste siegreiche Kampf des Rebellenheeres; in diesem und dem folgenden Gefecht war es das einzige Mal, solange es unsere Truppe gab, dass wir mehr Waffen als Männer hatten … Die Bauern waren nicht vorbereitet, sich dem Kampf anzuschließen, und eine Verbindung mit den Basisgruppen in der Stadt existierte praktisch nicht.

Der Kampf am Arroyo del Infierno

Der Arroyo del Infierno ist ein schmales Bächlein von geringer Länge, das in den Fluss Palma Mocha mündet. An seinem Ufer entlang kamen wir, wobei wir uns vom Palma Mocha entfernten und an den ihn umgebenden Berghängen emporstiegen, bis zu einer kleinen kreisförmigen Waldlichtung; dort standen zwei kleine Hütten; und in diesem Gelände schlugen wir unser Lager auf, die Häuser der Bauern ließen wir natürlich unbenutzt.

Fidel rechnete damit, dass das Heer uns suchen und unseren Aufenthaltsort mehr oder weniger genau ermitteln würde; er beschloss, in dieser Gegend einen Hinterhalt vorzubereiten, mit dem ein paar feindliche Soldaten gefangen werden sollten. Dementsprechend verteilte er die Männer.

Fidel überwachte ständig die Stellung und unternahm Patrouillengänge, um sich von der Wirksamkeit der Verteidigungsmaßnahmen zu überzeugen. Zum damaligen Zeitpunkt wurden dort Höhenmessungen durchgeführt, diese geben sehr ungenau die Höhenunterschiede im Abstand von jeweils fünf Metern an. Am Morgen des 19. Januar nahmen wir eine Truppeninspektion vor, als sich ein Zwischenfall ereignete, der zu ernsten Folgen hätte führen können. Als Trophäe aus dem Kampf am La Plata hatte ich den Helm eines Gefreiten aus dem Batista-Heer mitgebracht, und ich trug ihn voll Stolz; die Truppeninspektion aber wollten wir im Waldesinneren durchführen, und die Vorhut hörte uns aus der Ferne kommen und sah die Gruppe von einem Mann mit einem Helm angeführt. Glücklicherweise wurden in diesem Moment die Waffen gereinigt, und nur das Gewehr von Camilo Cienfuegos war schussbereit; er feuerte auf uns, obwohl er gleich darauf seinen Irrtum erkannte. Der erste Schuss traf nicht, und das automatische Gewehr bekam Ladehemmung und machte ihm das Weiterschießen unmöglich. Dieses Ereignis zeigt die hochgradige Spannung, in der wir uns alle befanden, denn wie auf eine Befreiung warteten wir auf den Kampf. Das sind jene Augenblicke, da selbst die Nervenstärksten ein leichtes Zittern in den Knien verspüren, und alle sehnen dann entschieden jene Sternstunde des Krieges herbei, die das Gefecht ist. Andererseits wünschten wir den Kampf nicht im Entferntesten, wir stellten uns ihm, weil er notwendig war.

Am Morgen des 22. waren einige vereinzelte Schüsse aus der Gegend des Flusses Palma Mocha zu hören, und das veranlasste uns, unsere Stellung in noch besseren Zustand zu bringen, uns noch vorsichtiger zu verhalten und das nahe bevorstehende Erscheinen der feindlichen Truppe zu erwarten.

Infolge der Vermutung, dass die Soldaten nahe waren, gab es weder Frühstück noch Mittagessen. Mit der Hilfe des Bauern Crespo hatten wir ein Hühnernest entdeckt, und wir rationierten unseren Eierverbrauch, indem wir immer eins im Nest zurückließen, wie es üblich ist, damit das Huhn weiter legte. An jenem Tag entschied Crespo wegen der in der Nacht gehörten Schüsse, dass wir das letzte Ei essen sollten, und so taten wir es. Es war Mittag, als wir eine menschliche Gestalt in einer der Hütten beobachteten. Im ersten Moment dachten wir, dass einer der Compañeros den Befehl, sich den Häusern nicht zu nähern, missachtet hätte. Es war jedoch nicht so; einer der Soldaten der Diktatur untersuchte die Hütte. Dann tauchten sogar sechs Mann auf, und später entfernten sie sich, wobei drei in Sichtweite verblieben. Wir konnten beobachten, wie der wachhabende Soldat, nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen hatte, einige Grasbüschel ausriss, sie sich als Tarnung hinter die Ohren steckte und sich ruhig in den Schatten setzte, ohne Besorgnis in seinem Gesicht, das deutlich im Zielfernrohr zu erkennen war. Fidels Schuss, der das Feuer eröffnete, schmetterte ihn nieder, denn er konnte nur noch einen Schrei ausstoßen, so etwa wie »Ach, Mutter!«, er fiel und stand nicht wieder auf. Die Schießerei wurde allgemein, und die beiden Kameraden des glücklosen Soldaten fielen. Plötzlich entdeckte ich, dass in der Hütte in der Nähe meiner Stellung ein anderer Soldat war, der sich vor unserem Feuer zu verstecken suchte. Man sah nur seine Beine, denn meine höher liegende Position hatte zur Folge, dass das Dach der Hütte ihn verdeckte. Ich schoss zum ersten Mal in diese Richtung und verfehlte das Ziel; der zweite Schuss durchbohrte die Brust des Mannes, der hinstürzte, während sein Gewehr mit dem Bajonett in der Erde stecken blieb. Von dem Bauern Crespo gedeckt, gelangte ich zu dem Haus und konnte den Leichnam untersuchen; ich nahm ihm die Munition, das Gewehr und einige andere persönliche Gegenstände ab. Der Mann hatte die Kugel mitten in die Brust bekommen, sie musste das Herz durchbohrt haben, und sein Tod war augenblicklich eingetreten; er zeigte schon die ersten Anzeichen der Leichenstarre, vielleicht infolge der ermüdenden Strapazen des letzten Kampftages, die er durchlitten hatte.

Der Kampf war von außergewöhnlicher Grausamkeit, und bald zogen wir uns alle fliehend zurück, nachdem wir die von uns selbst gesteckten Ziele erreicht hatten.

Als wir Bilanz zogen, stellten wir fest, dass wir ungefähr neunhundert Schuss Munition verbraucht und aus einem vollen Patronengurt siebzig Schuss wieder erbeutet sowie ein Gewehr dazugewonnen hatten; das war jene Waffe vom Typ »Garand«, die dann Comandante Efigenio Ameijeiras erhielt; dies wurde seine persönliche Waffe für einen großen Teil des Krieges. Wir zählten vier Tote beim Feind, doch Monate später erfuhren wir, als wir einen Spitzel festnahmen, dass es fünf Tote gewesen waren. Es war kein vollständiger Sieg, aber auch kein Pyrrhussieg. Wir hatten unsere Kräfte gegen das Heer in neuartigen Situationen erprobt und die Prüfung bestanden.

Das hob unsere Kampfmoral sehr, und es gab uns die Möglichkeit, während des ganzen Tages weiter zu den unzugänglichsten Bergen emporzuklettern, um dadurch der Verfolgung größerer Gruppen der feindlichen Armee zu entgehen. So gelangten wir schließlich auf die andere Seite des Gebirges und marschierten parallel zur Truppe Batistas, die ebenfalls den Rückzug angetreten und die gleichen Berggipfel überquert hatte, um auf der anderen Seite weiter voranzukommen. Zwei Tage lang marschierten unsere Truppen und die Truppen des Feindes fast nebeneinander, ohne dessen gewahr zu werden. Einmal schliefen wir in zwei Hütten, die nur durch einen kleinen Fluss wie den La Plata und durch ein paar Wegbiegungen voneinander getrennt waren. Der Leutnant, der die Patrouille befehligte, hieß Sánchez Mosquera, und sein Name wurde in der Sierra Maestra durch seine Raubzüge berüchtigt. Man muss erklären, dass die Schüsse, die wir einige Stunden vor der Aktion gehört hatten, abgegeben wurden, um einen »Pichón de Haitiano«[2] zu ermorden, der sich geweigert hatte, die Truppen zu unserem Versteck zu führen. Hätten sie diesen Mord nicht begangen, wären wir, als sie auf uns stießen, nicht so wachsam gewesen.

Wieder war unser Gepäck übermäßig schwer, denn viele von uns trugen zwei Gewehre; unter diesen Umständen war der Weg nicht gerade leicht zu bewältigen, aber offenkundig waren wir von einer anderen Kampfmoral beseelt, die sich von der Stimmung unterschied, von der wir nach der unheilvollen Niederlage in Alegría de Pío beherrscht wurden. Wenige Tage vorher hatten wir eine zahlenmäßig kleinere Gruppe geschlagen, die sich in einer Kaserne verschanzt hatte; jetzt schlugen wir eine Marschkolonne, die zahlenmäßig unseren Kräften überlegen war, und wir konnten die Erfahrung machen, wie wichtig es in dieser Art Krieg ist, die Vorhut zu vernichten, denn ohne Vorhut kann sich eine Armee nicht bewegen.

Luftangriff

Nach dem siegreichen Kampf gegen die Kräfte Sánchez Mosqueras waren wir am Ufer des La-Plata-Flusses entlangmarschiert, dann hatten wir den Magdalena-Fluss überquert und waren in das uns schon bekannte Gebiet von Caracas[3] zurückgekehrt. Aber die Atmosphäre dort war anders als beim ersten Mal, als wir uns auf den gleichen Hügeln versteckt hatten und von der ganzen Einwohnerschaft unterstützt wurden. Jetzt waren hier Casillas’ Truppen durchmarschiert und hatten Schrecken in dieser Gegend verbreitet. Die Bauern waren weggegangen, und zurückgeblieben waren nur ihre leeren Hütten und ein bisschen Vieh, das wir für unsere Mahlzeiten schlachteten. Die Erfahrung hatte uns gelehrt, dass es nicht richtig war, in den Häusern zu bleiben, sodass wir, nachdem wir in einem von ihnen, einem einsam gelegenen, die Nacht verbracht hatten, in die Berge hinaufgingen und unser Lager am Lauf einer Wasserquelle, fast auf dem Gipfel des Caracas, errichteten.

Dort hatte ich eine Aussprache mit Manuel Fajardo; er fragte mich, ob es möglich sei, dass wir den Krieg verlören. Unsere Antwort war unabhängig von der Euphorie irgendeines Sieges immer die gleiche: dass der Krieg unzweifelhaft gewonnen würde. Er erklärte mir, dass er mich das frage, weil der Galicier[4] Morán ihm gesagt habe, es wäre unmöglich, den Krieg zu gewinnen, und wir seien verloren; und er habe ihn aufgefordert, sich aus dem Kampf zurückzuziehen. Ich teilte Fidel diese Aussagen mit, doch ich stellte fest, dass der Galicier Morán vorsichtigerweise Fidel Castro schon informiert hatte, dass er einige Versuche mache, um die Moral der Truppe zu prüfen. Wir waren uns einig, dass das nicht das geeignetste System war, und Fidel hielt eine kleine Ansprache, in der er nachdrücklich größere Disziplin verlangte und die Gefahren verdeutlichte, die sich aus Verstößen gegen sie ergeben könnten. Außerdem kündigte er an, dass drei Vergehen mit dem Tod bestraft würden: Befehlsverweigerung, Desertion und Defätismus.

Die Lage war in diesen Tagen nicht sehr erfreulich; die Kolonne, deren Kampfgeist noch nicht im Gefecht gestählt war und die kein klares ideologisches Bewusstsein besaß, hatte sich bisher nicht endgültig gefestigt. An einem Tag entfernte sich der eine, an einem anderen Tag wieder ein anderer Compañero. Sie baten um Funktionen in der Stadt, die manchmal weitaus größere Gefahren mit sich gebracht hätten, aber die doch immer eine Flucht von den harten Bedingungen auf dem Land bedeuteten. Trotzdem nahm das Leben der kämpfenden Truppe weiter seinen normalen Verlauf; der Galicier Morán zeigte eine unermüdliche Aktivität, um Essen aufzutreiben und Kontakte mit den Bauern benachbarter Ortschaften aufzunehmen.

So war unsere Situation am 30. Januar morgens. Eutimio Guerra, der Verräter, hatte um Erlaubnis gebeten, seine kranke Mutter besuchen zu dürfen, und Fidel hatte es ihm gestattet und ihm darüber hinaus noch etwas Geld für die Reise gegeben. Seiner Ansicht nach würde die Reise einige Wochen dauern. Wir hatten eine Reihe von Tatsachen noch nicht richtig begriffen, die danach durch das spätere Auftreten dieses Subjekts deutlich erklärt wurden. Als er wieder zur Truppe zurückkehrte, sagte Eutimio, er wäre bis in die Nähe des Palma Mocha[5] gekommen, als er bemerkt habe, dass die Regierungstruppen auf unserer Spur seien, und er hätte versucht, uns zu warnen, aber er hätte nur noch einige Soldatenleichen in der Hütte von Delfin gefunden, einem der Bauern, auf deren Feldern sich das Gefecht von Arroyo del Infierno abgespielt hatte. Er habe unsere Spur durch die Sierra verfolgt, bis er uns dort fand. In Wirklichkeit war er gefangen genommen worden und arbeitete nun bereits als Agent des Feindes, denn er hatte eingewilligt, sich für die Ermordung Fidels mit Geld und einem militärischen Dienstgrad bezahlen zu lassen.

Als Teil seines Plans hatte Eutimio am Tage zuvor das Lager verlassen, und am 30. morgens hörten wir, als wir nach einer kalten Nacht gerade beim Aufstehen waren, das Brummen von Flugzeugen, die sich nicht lokalisieren ließen, weil wir am Berg lagerten. Das Feuer unserer Feldküche brannte; sie lag etwa zweihundert Meter weiter unten an einer kleinen Wasserstelle, da, wo sich die Spitze der Vorhut befand. Plötzlich hörte man, wie ein Kampfflugzeug zum Sturzflug ansetzte und einige Maschinengewehre losknatterten, gleich darauf fielen Bomben. Unsere Erfahrung war damals sehr gering, und wir hörten Schüsse aus allen Richtungen. Die Kugeln vom Kaliber 50 explodieren, wenn sie auf der Erde auftreffen. Als sie in unserer Nähe einschlugen, glaubte man, sie kämen aus dem Bergwald; zur gleichen Zeit hörte man auch die Schüsse der Maschinengewehre aus der Luft, als die Kugeln losprasselten. Daher nahmen wir an, wir würden auch von Truppen der Landstreitkräfte angegriffen.

Ich bekam den Auftrag, auf die Spitze der Vorhut zu warten und auch ein paar Gerätschaften einzusammeln, die wir wegen des Luftangriffs liegen gelassen hatten. Unser vereinbarter Treffpunkt war die Cueva del Humo[6]. Mein Begleiter war in jenem Augenblick Chao, ein Veteran aus dem Spanienkrieg. Eine Zeit lang warteten wir auf einige vermisste Compañeros, aber wir fanden niemanden. Wir folgten den Spuren der Kolonne, wobei wir mit einer großen Last auf einer ungenauen Fährte marschierten, bis wir beschlossen, auf einer Waldlichtung Rast zu machen. Etwas später, als wir Geräusche hörten und Bewegungen beobachteten, sahen wir, dass auf den gleichen Spuren auch der heutige Comandante Guillermo García und Sergio Acuña liefen; sie gehörten zur Vorhutabteilung und kamen, um sich mit der Gruppe zu vereinigen. Nach kurzer Beratung gingen Guillermo García und ich erneut ins Lager; wir wollten herausfinden, was eigentlich vor sich ging, da nicht das geringste Geräusch zu hören war; die Flugzeuge waren verschwunden. Uns bot sich eine traurige Szene: Mit einer außergewöhnlichen Zielsicherheit, die sich während des Krieges glücklicherweise nicht wiederholte, war die Feldküche unter Beschuss genommen worden. Den Herd hatte das Maschinengewehrfeuer in Stücke gerissen, und eine Bombe war genau in der Mitte des Lagers unserer Vorhut explodiert; aber natürlich war dort niemand mehr zu finden. Der Galicier Morán und ein weiterer Compañero hatten den Platz zu einer Erkundung verlassen, und Morán kehrte allein zurück; er meldete, dass er die Flugzeuge aus der Ferne gesichtet habe, dass es fünf gewesen seien und dass sich außerdem keine Truppen in der Nähe befänden. Wir fünf Compañeros marschierten mit schwerem Gepäck weiter, an den Häusern unserer früheren Freunde vorbei, die ein trauriges Bild abgaben: Sie waren gänzlich niedergebrannt. Alles, was wir in einem von ihnen vorfanden, waren eine Katze, die kläglich miaute, und ein Schwein, das grunzend herauskam, als es unsere Anwesenheit spürte. Von der Cueva del Humo kannten wir den Namen, aber wir wussten nicht, wo sie sich genau befand. So verbrachten wir die Nacht voller Ungewissheit, in der Hoffnung, unsere Compañeros zu finden, aber auch in der Furcht, auf den Feind zu treffen.

Am 31. bezogen wir Stellung auf einer kleinen Bergspitze, die einige Felder überragte. In der Höhle, die nach unseren Vermutungen die Cueva del Humo sein musste, unternahmen wir mehrere Erkundungen, ohne etwas zu entdecken. Sergio, einer der fünf, glaubte, zwei Personen mit Baseball-Mützen zu sehen, doch er meldete es zu spät, und wir konnten niemand finden. Wir zogen mit Guillermo los, um alles bis in den letzten Winkel des Tales nahe am Ufer des Ají auszukundschaften. Dort gab uns ein Freund Guillermos etwas zu essen, doch waren alle Leute sehr verängstigt. Dieser Freund teilte uns mit, dass die ganzen Ciro Frías gehörenden Waren von den Soldaten beschlagnahmt und verbrannt worden waren; die Maultiere hatte man requiriert und den Maultiertreiber getötet. Den Laden von Ciro Frías hatten die Posten eingeäschert und seine Frau verhaftet. Die Männer, die hier am Morgen vorbeigekommen waren, standen unter dem Befehl des Majors Casillas, der in der Nähe des Hauses übernachtet hatte.

Am 1. Februar blieben wir in unserem kleinen Lager, wo wir praktisch ganz unter freiem Himmel kampierten, um uns von den langen und anstrengenden Märschen des Vortages zu erholen. Gegen elf Uhr vormittags war eine Schießerei auf der anderen Seite des Berges zu hören und danach, uns näher, ein paar klägliche Schreie, als ob jemand um Hilfe riefe. All das führte anscheinend dazu, dass Sergio Acuña die Nerven verlor; schweigend legte er seinen Patronengurt und das Gewehr ab und desertierte von dem ihm übertragenen Posten. In unserem Feldtagebuch vermerkten wir, dass er einen Bauernhut, eine Büchse Kondensmilch und drei Rauchwürste mitgenommen hatte; in jenem Augenblick bedauerten wir dies sehr wegen der Kondensmilch und der Würste. Ein paar Stunden danach hörten wir Lärm, und wir machten uns zur Verteidigung bereit, da wir nicht wussten, ob der Deserteur uns verraten hatte; aber es erschien Crescencio mit einer langen Kolonne, zu der fast alle unsere Männer und neue Leute aus Manzanillo gehörten, die von Roberto Pesant geführt wurden. Von unserer Truppe fehlten der Deserteur Sergio Acuña sowie die Compañeros Calixto Morales, Calixto García und Manuel Acuña; außerdem ein neuer Rekrut, der sich uns erst vor Kurzem angeschlossen hatte und sich während des Schusswechsels an diesem ersten Tag verirrte.

Wir stiegen wieder ins Tal des Ají hinunter, und unterwegs wurden ein paar Sachen verteilt, die die Leute aus Manzanillo mitgebracht hatten; dazu gehörten eine chirurgische Ausrüstung und Kleidung zum Wechseln für alle. Wir waren im tiefsten Herzen gerührt, dass wir damals Kleidung erhielten, die die Mädchen aus Manzanillo mit Initialen bestickt hatten. Am nächsten Tag, dem 2. Februar, als gerade zwei Monate nach der Landung der Granma vergangen waren, war eine homogene Gruppe versammelt. Es hatten sich ihr noch etwa zehn Männer angeschlossen, die aus Manzanillo stammten, und wir fühlten uns stärker und mutiger als jemals zuvor. Wir diskutierten ausgiebig, wie es zu dem überraschenden Angriff der Flugzeuge gekommen war, und alle waren wir uns einig, dass das Kochen am Tage und der Rauch, den das helle Feuer aufsteigen ließ, den Flugzeugen die Richtung dorthin gezeigt hatten. Viele Monate lang und vielleicht während des ganzen Krieges belastete die Erinnerung an diesen Überfall die seelische Verfassung der Truppe, und bis zum Ende des Kampfes zündeten wir tagsüber keine Feuerstelle mehr unter freiem Himmel an, da wir unangenehme Folgen fürchteten.

Es schien uns unmöglich, und ich glaube, es kam niemandem in den Sinn, dass der Mann im Aufklärungsflugzeug derjenige sein könnte, den wir den Spitzel nannten, der Verräter Eutimio Guerra; dass er Casillas den Ort beschrieb, an dem wir uns befanden, aber so ist es gewesen. Die Krankheit seiner Mutter war für ihn ein Vorwand, den er benutzt hatte, um wegzukommen und den Mörder Casillas aufzusuchen.

Noch einige Zeit sollte Eutimio Guerra eine wichtige und negative Rolle bei der Entwicklung unseres Befreiungskrieges spielen.

Der Überfall in Altos de Espinosa

Nach dem oben geschilderten überraschenden Luftangriff verließen wir die Berggegend von Caracas und versuchten, auf dem schon einmal von uns benutzten Weg in bekannte Gebiete zurückzukehren, wo wir direkten Kontakt mit Manzanillo herstellen, mehr Hilfe von außen erhalten und die Lage im Rest des Landes etwas besser verstehen könnten.

Deshalb gingen wir über den Ají zurück, wir marschierten durch Gebiete, die wir bereits alle kannten, bis wir zum Haus des alten Mendoza kamen. Die Pfade mussten wir auf den Bergkämmen mit der Machete freischlagen; sie waren seit Langem von keinem Menschen begangen worden, und wir kamen sehr langsam voran. Die Nacht verbrachten wir auf einem der Gipfel, praktisch ohne zu essen. Ich erinnere mich noch, wie es eines der größten Festessen meines Lebens gegeben hat, als der Bauer Crespo mit einer Büchse herausrückte, die vier Würste enthielt, der Ertrag seiner früheren Sparsamkeit. Er sagte dazu, das sei für die Freunde; der Bauer, Fidel, ich und noch irgendein anderer genossen diese magere Ration wie ein üppiges Bankett. Der Marsch ging weiter, bis wir an das Haus kamen, das rechts von Caracas lag, wo der alte Mendoza uns etwas zu essen vorbereiten sollte. Trotz seiner großen Angst, doch mit bäuerlicher Ehrlichkeit nahm er uns jedes Mal auf, wenn wir dort vorbeikamen, um so den Geboten der Freundschaft zu gehorchen, die ihn mit Crescencio Pérez oder auch einigen anderen ihm nahestehenden Bauern verband, die in der Truppe waren.

Für mich war der Marsch sehr beschwerlich, denn ich hatte einen Malariaanfall. Der Bauer Crespo und der unvergessliche Compañero Julio Zenón Acosta halfen mir, jenen qualvollen Tagesmarsch durchzuhalten. Wenn wir die entsprechende Ortschaft erreicht hatten, schliefen wir niemals in den Häusern; doch veranlassten mein Zustand und der des berüchtigten Galiciers Morán, der immer eine Gelegenheit fand, krank zu werden, dass sie uns beide zum Schlafen in ein festes Haus schickten, während die Truppe in der Nähe wachte und nur zum Essen ins Haus kam.

Es war notwendig, die Truppe zu verringern, denn es gab in ihr Leute mit sehr niedriger Moral, und der eine oder andere hatte ernsthafte Verletzungen; das Letztere war der Fall bei dem heutigen Innenminister Ramiro Valdés und bei Ignacio Pérez, einem Sohn Crescencios, der später, als er den Grad eines Hauptmanns erreicht hatte, einen ruhmvollen Tod fand. Ramiro hatte in der Kniegegend einen schweren Schlag erlitten, wobei sein Knie noch an den Nachwirkungen der ihm beim Sturm auf die Moncada-Kaserne zugefügten Verletzungen krankte, sodass wir ihn zurücklassen mussten. Ein paar andere Jungen gingen weg, deren Ausscheiden eher ein Gewinn für die Truppe war. Ich erinnere mich an einen, der einen Nervenanfall bekam und inmitten der Einsamkeit des Waldes und des Guerillakrieges herauszuschreien begann, dass man ihn in ein Lager mit reichlich vorhandener Nahrung und Luftabwehr geschickt hätte, und stattdessen würde er von den Flugzeugen gehetzt und hätte kein festes Quartier, nichts zu essen, nicht einmal Trinkwasser. Mehr oder weniger war das der Eindruck, den die Kämpfer in den ersten Tagen ihres Lebens im Felde hatten. Danach sollten sich die, die bleiben und den ersten Prüfungen standhalten würden, an den Schmutz, an das Fehlen von Wasser, Essen, Unterkunft und Sicherheit gewöhnen und auch daran, ständig nur auf ihr Gewehr zu vertrauen und im Schutze des Zusammenhalts und der Widerstandskraft der kleinen Guerillatruppe zu leben.