Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein - Ernesto Che Guevara - E-Book

Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein E-Book

Ernesto Che Guevara

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Beschreibung

Ein Leben gegen die Ungerechtigkeit – Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein. 1953 begibt sich Ernesto Guevara auf seine zweite Reise durch Lateinamerika, fest entschlossen, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen. Was er in den folgenden drei Jahren erlebt, wird nicht nur seine politischen Überzeugungen prägen – es wird Geschichte schreiben. Dieses faszinierende Reise-Tagebuch des jungen Ernesto Che Guevara gewährt einen intimen Einblick in die Entwicklung eines der berühmtesten Revolutionäre des 20. Jahrhunderts. Von der Guatemala-Revolution bis zu seinen Begegnungen mit Fidel Castro in Mexiko dokumentiert Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein Guevaras Erlebnisse und Beobachtungen, die ihn schließlich zum legendären Guerilla-Führer werden ließen. Begleiten Sie den charismatischen Ernesto Che Guevara auf seiner Reise durch Bolivien, Peru und andere Länder Lateinamerikas in den turbulenten 1950er-Jahren. Erleben Sie hautnah, wie seine Freundschaften und Abenteuer den Grundstein für seine spätere Rolle als Symbolfigur des revolutionären Kampfes legten.

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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ernesto Che Guevara

Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein

Das Tagebuch der Lateinamerika-Reise 1953-1956

Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Ernesto Che Guevara

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Ernesto Che Guevara

Ernesto »Che« Guevara wurde 1928 im argentinischen Rosario geboren. Nach seinem Studium und ausgedehnten Reisen durch Lateinamerika schließt er sich 1956 einer Gruppe Exilkubaner um Fidel Castro an und wird zu einem der wichtigsten Akteure der Revolution auf Kuba. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung engagierte er sich an der Seite sozialistischer Rebellen im Kongo und in Bolivien, wo er 1967 erschossen wird. Er gilt auf Kuba bis heute als Volksheld und weltweit als eine der großen Ikonen der antiimperialistischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts.

Der Übersetzer

Hans-Joachim Hartstein, geboren 1949, übersetzt französisch- und spanischsprachige Literatur. Er hat u. a. Werke von Georges Simenon, Marina Mayoral und Leonardo Padura ins Deutsche übertragen.

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Über dieses Buch

»Es sind zwei Menschen auf der Suche, die durch Amerika ziehen, ohne genau zu wissen, was sie suchen, noch wohin ihr Weg sie führt.« 1953 begibt sich der Medizinstudent Ernesto Guevara mit seinem Freund Calica auf eine zweite Reise durch Lateinamerika. Er ist entschlossen, sich allen Schwierigkeiten dieses unruhigen Kontinents zu stellen und sich auf ein Abenteuer einzulassen.

Sie weichen von der vorgezeichneten Reiseroute ab, um in Guatemala die Revolution mitzuerleben, und besuchen danach auch Peru, Mexiko und Bolivien. Die Eindrücke, die Che in drei Jahren sammelt und in seinen Notizen festhält, prägen nicht nur seine politischen Überzeugungen. Sie verstärken auch das innere Gefühl der Zugehörigkeit und Zuneigung zu Land und Leuten.

Zwischen den Zeilen wird der Mensch Ernesto Guevara greifbar: der wissbegierige und gebildete revolutionäre Geist ebenso wie der lebenslustige junge Mann. Auf dieser Reise begegnet er zum ersten Mal Fidel Castro – der Beginn einer Freundschaft, die die Welt verändern sollte.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein

Anhang

Briefe

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Das Dilemma in Guatemala

Vorwort

Das Vorwort zu einem Buch zu schreiben, dessen Autor durch sein Leben und Werk zu einem beispielhaften Menschen wurde, ist ein schwieriges Unterfangen. Es besteht die Gefahr, diesen Menschen in einen Mythos zu verwandeln, der nichts mehr mit der Realität zu tun hat, die ihn zeitlebens umgab.

Diese Gefahr ist jedoch umso größer, wenn derjenige, der das Vorwort schreibt, das unerhörte Glück hatte, die Umsetzung der »Träume vom lustvollen Reisen« in die Wirklichkeit selbst mitzuerleben.

Deswegen müssen diejenigen, die seine Freundschaft genossen und seine besonderen moralischen und intellektuellen Eigenschaften kennenlernten, sich stets vor Augen halten, dass dieser großartige Freund nur ein Mensch war und kein mythologisches Wesen.

Vor diesem Hintergrund übernehme ich, sein langjähriger Freund seit jenem weit zurückliegenden Oktober 1942, die Aufgabe, das Tagebuch seiner zweiten Reise durch Lateinamerika mit einer Einleitung zu versehen. Er nannte es damals vorläufig »Otra Vez«, ein weiteres Mal. In diesem lebendigen Bericht lernen wir den wahren Ernesto Che Guevara kennen, einen unerschrockenen 25-Jährigen, der sich, als er die Reise mit seinem Freund Carlos Ferrer (Calica) antritt, in einer Phase der Orientierung befindet. Entschlossen, sich allen Schwierigkeiten zu stellen, schreibt er: »Es sind zwei Willen auf der Suche, die durch Amerika ziehen, ohne genau zu wissen, was sie suchen, noch, wohin ihr Weg sie führt.«

Doch von dem Moment an, da er sich entschließt, von der festgelegten Reisestrecke durch Venezuela abzuweichen, um die Revolution, die sich in Guatemala abspielt, zu erleben und sich an ihr zu beteiligen, ahnt man bereits, wie er sich verändert, und spürt die Gewissheit, dass er seinen Weg gefunden hat.

So wie die erste Reise durch Südamerika seine Überzeugungen hinsichtlich der sozialen Unterschiede festigte und ihm bewusst machte, wie wichtig es war, gegen diese zu kämpfen, vertieft er in »Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein« sein politisches Bewusstsein und verspürt das immer stärker werdende Bedürfnis, sein Wissen zu erweitern, um entschlossener und bedachter festlegen zu können, wie und warum man einen Kampf führt, der eine wirkliche Revolution nach sich zieht.

Ich sehe ihn wieder vor mir, wie er sich von seinen Freunden und Familienangehörigen verabschiedet. Sie verstehen zwar seine Motive nicht, wahren aber dennoch die Formen der Verabschiedung für ein Mitglied ihrer Gruppe oder sozialen Schicht, das zu neuen Ufern aufbricht. Auch wenn derjenige dadurch alle Normen seiner Gruppe verletzt und allen Zukunftsplänen zuwiderhandelt.

Che trägt die »Arbeitsuniform« der argentinischen Armee: enge Hose, einfaches Hemd und Stiefel, wahrscheinlich nicht zugeschnürt, nicht aus Nachlässigkeit, sondern als Ausdruck dafür, dass die Kleidung nicht an erster Stelle steht.

Er lehnt sich aus dem Fenster des Waggons zweiter Klasse, mit seinem breiten Lächeln und dem fast kahl geschorenen Kopf – dem typischen »Guevara-Schnitt« – und lässt so den Bahnhof von Buenos Aires hinter sich, um in die Geschichte einzugehen.

Von jenem Augenblick an schreibt er alles nieder, was ihm bedeutsam erscheint, und auf den Seiten des Tagebuchs entsteht ein faszinierendes Kaleidoskop, in dem der literarische Stilist genauso wie der aufmerksame Beobachter stets präsent sind.

Als er seinen Besuch in der Mine »Balsa Negra« schildert, beschreibt er in lebhaften Farben die Landschaft, von der das Bergwerk umgeben ist, und bemerkt dann: »Doch man spürt den Herzschlag der Mine nicht. Es fehlen die kraftvollen Arme, die der Erde Tag für Tag das Mineral entreißen; sie sind in La Paz und verteidigen die Revolution, denn es ist der 2. August, der ›Tag des Indios und der Landreforrm‹.«

Dieser Absatz fasst zusammen, was für Ernesto bereits einen festen Grundsatz darstellt: die Bedeutung des Menschen in allen Bereichen des Lebens – ausgedrückt mit den Worten eines außergewöhnlichen Literaten.

Gleichzeitig dokumentiert das Tagebuch deutlich seine früh entwickelte Vielseitigkeit, die sich in den zahlreichen und verschiedenartigen Aktivitäten während der kurzen Reise widerspiegelt.

Er übernimmt die unterschiedlichsten Aufgaben, hält zum Beispiel einen Vortrag über den Lehrbetrieb der Universität Buenos Aires oder diskutiert mit dem bedeutenden spanischen Physiologen P. Suñer, der unter Franco verfolgt wurde, über den Stand der Forschung.

Dies ist der Beginn einer Reihe von Begegnungen mit wichtigen Persönlichkeiten, mit denen er sich austauscht und häufig nicht einer Meinung ist.

Jedes dieser Gespräche unterzieht er einer kritischen Analyse, und oft erweisen sich seine Einschätzungen aus der Distanz eines halben Jahrhunderts betrachtet als richtig.

Nach seiner Ankunft in Costa Rica lernt er einige politische Emigranten kennen. Unter ihnen befinden sich zwei, die eine wichtige Rolle im politischen Leben ihres jeweiligen Landes spielen und später Präsidenten sein werden.

Anlässlich der Begegnung mit Juan Bosch aus der Dominikanischen Republik und Rómulo Betancourt aus Venezuela drängt sich die Frage auf, wie es diesem unbekannten, nachlässig gekleideten jungen Mann, diesem scharfsinnigen und kritischen Gesprächspartner, gelungen ist, in den halboffiziellen Kreis um die beiden Männer vorzudringen.

Eine Antwort darauf lässt sich schwerlich finden. Tatsache ist, dass er mit ihnen gesprochen hat, und bei der Schilderung seiner Eindrücke dieser Begegnungen trifft er genau ins Schwarze.

Juan Bosch porträtiert er mit wenigen Worten genau so, wie dieser sich später in seinem Regierungsamt zeigen sollte. Und mit ungeschöntem Realismus sieht er das Verhalten Rómulo Betancourts voraus, sowohl an der Spitze der Wahlkampfmaschinerie der Acción Democrática als auch während seiner Jahre als Präsident von Venezuela, in denen er die großen Reichtümer des Landes den multinationalen Konzernen der Vereinigten Staaten von Amerika auslieferte.

Auch Lebensfreude und Vitalität fehlen im Tagebuch nicht, und neben dem nachdenklichen, gebildeten Mann begegnen wir dem kraftstrotzenden, energiegeladenen Jungen, der für weibliche Reize nicht unempfänglich ist und der der »Negrita Socorro« ein wenig Zärtlichkeit und Trost spendet, ohne sich selbst untreu zu werden oder sein Abenteuer infrage zu stellen.

Von herausragender Bedeutung sind die Aufzeichnungen seines Aufenthaltes in Mexiko, die seine vielfältigen Interessen belegen. Er besucht Museen, bewundert die Wandgemälde von Orozco, Rivera, Tamayo und Siqueiros und steigt auf die faszinierenden Pyramiden der Azteken. Doch nie verliert er seine eigentlichen Ziele aus den Augen. Seiner begeisterten Schilderung der mexikanischen Kultur fügt er bestimmt seinen Entschluss hinzu, »das Leben eines Proletariers« führen zu wollen.

Er erliegt nicht der Versuchung, die Hilfe von den Ulises Petit de Mural, von Hilda, Petrona und seiner Tante Beatriz anzunehmen und den Weg des bürgerlichen Lebens einzuschlagen, sondern behält den proletarischen Status bei, der eine »fortwährende Verkettung von Hoffnungen und Enttäuschungen« im Klassenkampf um die Ergreifung der wahren Macht mit sich bringt.

Diese neue Haltung zu den politischen Problemen in seiner Umgebung wird in einer von ihm wiedergegebenen Diskussion mit einer Gruppe argentinischer Emigranten in Mexiko deutlich. In einem Schreiben wollten sie der neuen argentinischen Regierung, die nach dem Sturz Peróns an die Macht gekommen war, ihre Unterstützung zusichern. In besagter Diskussion fordert Ernesto, dass man mit der Unterstützung der neuen Regierung warten solle, »bis sie konkrete Schritte, zum Beispiel die Schaffung freier Gewerkschaften, einleitet und ihre Haltung in ökonomischen Fragen deutlich wird«.

Zusammen mit dem politischen Bewusstsein entwickelt sich bei ihm, stärker als zuvor, ein ausgeprägter Sinn für Solidarität. Teilte er während der ersten Reise in einer kalten Nacht auf der chilenischen Hochebene seine Decke mit einem Arbeiterpaar, sammelt er jetzt, trotz seiner eigenen Geldknappheit, in Mexiko 150 $ für seinen Freund El Patojo, der sich in einem finanziellen Engpass befindet. Er rät ihm, zu seiner Mutter nach Guatemala zurückzukehren, da sie seine finanzielle und moralische Unterstützung benötigt.

Auf den letzten Seiten treten in aller Deutlichkeit die drei wichtigsten Leitmotive hervor, die sein Leben bis zum fünfundzwanzigsten Jahr bestimmt haben: sein Interesse und sein Talent für die Wissenschaft; sein Umherstreifen als wissensdurstiger Reisender und eifriger Beobachter der Natur und der Kulturen an der Seite seiner Freunde und drittens das Bedürfnis, Teil einer wirklichen Revolution zu sein.

Anschaulich wird diese Lebenseinstellung durch die Bemerkungen anlässlich der Präsentation seiner Arbeit über Allergien in Guanajuato, wobei er die Möglichkeit erwägt, sich der wissenschaftlichen Forschung und der Humanmedizin zu widmen. Als er sich zur gleichen Zeit wieder einmal Gedanken über seine Zukunft macht, berichtet er von einer geplanten Zusammenkunft mit den Honoratioren von Caracas. Auch wenn er dieses Treffen in Betracht zieht, handelt es sich dabei weniger um ein festes Vorhaben als um einen flüchtigen Gedanken und ein Zugeständnis an seine Freunde, die ihn dazu drängen. Es ist klar, und insbesondere für mich, dass sich seine Handlungs- und Denkweise bereits deutlich von der jenes Mannes unterscheidet, mit dem ich 1952 Unvergessliches erlebt habe. Sein Wunsch zu reisen und zu forschen besteht weiter fort, doch ist bereits seine feste Überzeugung spürbar, kein halber Wissenschaftler, halber Bohemien und halber Revolutionär zu bleiben, sondern mit Leib und Seele den entscheidenden Schritt zu wagen.

Wie es der Zufall so will, lernt er in jenem schwierigen August Fidel kennen, von dem er den ermunternden Anstoß und die Unterstützung erhält, die er brauchte.

Man mag anmerken, dass die Schilderung einer für die Zukunft so wichtigen Begegnung nur wenig Platz in seinem Tagebuch einnimmt – aber ich täusche mich vielleicht nicht, wenn ich glaube, dass er sich beim Schreiben jener Zeilen ganz im Sinne des großen Meisters gedacht hat: »Es gibt Dinge, die in aller Stille stattfinden müssen.«

 

 

Alberto Granado

La Habana, August 1998

Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein

Die Sonne schien uns zaghaft auf den Rücken, während wir durch die kahle Hügellandschaft von Quiaca wanderten. In Gedanken ließ ich die jüngsten Ereignisse Revue passieren. Die Abreise inmitten so vieler Menschen, hier und dort Tränen, befremdete Blicke aus der zweiten Klasse auf die elegant, zum Teil ganz in Leder gekleideten Leute, die gekommen waren, um zwei merkwürdig aussehende, mit Gepäckstücken beladene Snobs zu verabschieden. Der Name meines Reisegefährten hat sich geändert, Alberto heißt nun Calica;[1] doch die Reise ist die gleiche: Es sind zwei Willen auf der Suche, die durch Amerika ziehen, ohne genau zu wissen, was sie suchen, noch, wohin ihr Weg sie führt.

Grauer Dunst hängt über den kahlen Hügeln und verleiht der Landschaft Farbton und Grundstimmung. Vor uns trennt ein dünner Wasserfaden die Staatsgebiete von Argentinien und Bolivien. Auf der winzigen Brücke, über die die Bahngleise führen, stehen sich zwei Flaggen gegenüber, die bolivianische neu und in leuchtenden Farben, die andere alt, schmutzig und ausgeblichen, so als würde sie langsam die Ärmlichkeit ihrer Symbolik begreifen.

Wir sprechen mit ein paar Polizisten, und sie erzählen uns, dass einer ihrer Kollegen aus der Provinz Córdoba stammt, aus Alta Gracia, dem Dorf unserer Kindheit. Es handelt sich um Tiqui Vidora, einen meiner alten Spielkameraden. Eine seltsame Entdeckung im nördlichen Zipfel Argentiniens!

Kopfschmerzen und Asthma zwangen mich dazu, eine Pause einzulegen. Und so verbrachten wir drei sterbenslangweilige Tage in einem kleinen Dorf, bevor wir in Richtung La Paz aufbrechen konnten.

Als bekannt wurde, dass wir zweiter Klasse reisten, ließ das Interesse an unserem Vorhaben schlagartig nach. Nach wie vor ist die Aussicht auf ein gutes Trinkgeld von großer Bedeutung, hier und überall auf der Welt.

Nach einer oberflächlichen Kontrolle durch den argentinischen und den chilenischen Zoll setzen wir, nun bereits auf bolivianischem Gebiet, unsere Reise ohne Zwischenfälle fort.

Hinter Villazón schaukelt der Zug durch eine vollkommen ausgedörrte Hügellandschaft gen Norden, vorbei an Schluchten und Bergpfaden. Grün ist eine verbotene Farbe.

Der Zug trägt seine Unlust in die vertrocknete Pampa, und der Salpeter beginnt sich bemerkbar zu machen. Doch dann wird alles von der hereinbrechenden Nacht verschluckt, und allmählich breitet sich Kälte aus. Wir sind jetzt im Schlafwagen, aber trotz zusätzlicher Decken dringt einem die schleichende Kälte in alle Knochen.

Am nächsten Morgen sind die Stiefel eiskalt, was an den Füßen ein höchst unangenehmes Gefühl verursacht.

Das Wasser auf der Toilette ist ebenso wie das in den Krügen gefroren.

Mit schmutzigem Gesicht und ungekämmt gehen wir einigermaßen missbehaglich in den Speisewagen, doch die Gesichter unserer Mitreisenden geben uns das beruhigende Gefühl, mit dem Problem nicht alleine zu sein.

Um vier Uhr nachmittags nähert sich der Zug der Schlucht, in der La Paz liegt. Die kleine, aber sehr hübsche Stadt ist in eine unruhige Landschaft eingebettet, aus der der Illimani mit seinen schneebedeckten Gipfeln wie ein Wachturm aufragt. Für die letzte Etappe von nur wenigen Kilometern brauchen wir über eine Stunde. Es scheint gerade so, als würde der Zug an der Stadt vorbeifahren, dann dreht er bei und fährt weiter hinunter in die Schlucht.

Es ist Samstagnachmittag, und es ist sehr schwierig, die Leute zu finden, die uns empfohlen worden sind. Also spülen wir uns erst einmal den Schmutz der Reise vom Körper und ziehen uns um.

Den Sonntag beginnen wir damit, besagte Leute zu finden und uns mit der argentinischen Kolonie in Verbindung zu setzen.

La Paz ist das Schanghai Südamerikas. Eine reiche Palette an Abenteurern aus aller Herren Länder treibt sich in der Stadt mit ihrer bunt gemischten Bevölkerung herum, die an der Spitze des Landes ihrem Schicksal entgegengeht.

Die sogenannten besseren Leute, die gebildeten Leute, fürchten sich vor Zwischenfällen und verfluchen das Interesse, das den Indianern und den Mestizen entgegengebracht wird. Doch bei allen glaube ich einen Funken von Nationalstolz über einige Projekte der Regierung zu bemerken.

Niemand leugnet, dass sich die Situation ändern und die drei Familien, denen die Zinnbergwerke gehörten, entmachtet werden mussten. Die jungen Leute glauben, dass dies ein bedeutender Schritt im Kampf für mehr Gleichheit und für eine bessere Besitzverteilung war.

Am Abend des 15. Juli fand ein langer Fackelzug statt, der für eine Demonstration zwar langweilig war, aber äußerst interessant wegen der Art und Weise, wie Zustimmung ausgedrückt wurde: durch Schüsse aus einem Mausergewehr oder »Piri-Pipí«, dem schrecklichen Repetiergewehr.

Am nächsten Tag marschierten Verbände, Schulen und Gewerkschaften in einem nicht enden wollenden Demonstrationszug, wozu die Mausergewehre die Begleitmusik lieferten. Alle paar Schritte schrie einer der Leiter der verschiedenen Abteilungen: »Genossen des Verbandes Soundso, es lebe La Paz, es lebe die Unabhängigkeit Südamerikas, es lebe Bolivien! Ehre den ersten Märtyrern der Unabhängigkeit, hoch lebe Pedro Domingo Murillo, hoch lebe Guzmán, hoch lebe Villarroel!« Die Hochrufe wurden mit müder Stimme vorgebracht, und ein monotoner Chor antwortete entsprechend darauf. Es war eine malerische, aber keine männlich kraftvolle Demonstration. Die schleppenden Schritte und die mangelnde Begeisterung der Teilnehmer nahmen ihr jede Vitalität, es fehlen die entschlossenen Gesichter der Bergarbeiter, sagten die Kenner.

Am Morgen des nächsten Tages fuhren wir mit einem Lastwagen zu den Yungas, den tropischen Tälern im Osten Boliviens. Zunächst bis zu dem 4.600 m hoch gelegenen Ort La Cumbre, um dann über einen Serpentinenweg, der fast die gesamte Strecke an einer tiefen Schlucht entlangführte, langsam talwärts zu gelangen. In den Yungas verbrachten wir zwei herrliche Tage, doch fehlten uns zwei Frauen, die dem allgegenwärtigen Grün um uns herum eine erotische Note verliehen hätten. Über die Hänge, die zu einem mehrere Hundert Meter entfernten Fluss abfielen, erstreckten sich unter einem bewölkten Himmel Kokosplantagen mit ihren typischen Abstufungen, Bananenplantagen, die aus der Ferne wie grüne, aus dem Urwald ragende Propeller aussahen, Orangenplantagen und Bäume mit anderen Zitrusfrüchten sowie rot gefärbte Kaffeepflanzungen. Das Ganze wurde unterbrochen von einem verkrüppelten Papayabaum, dessen Silhouette irgendwie an die starre Haltung eines Lamas erinnerte, und anderen tropischen Gewächsen.

Etwas abseits lag eine Landschule der Salesianer, in der uns einer der Mönche, ein Deutscher, sehr freundlich herumführte. Hier werden Obst und Gemüse in großen Mengen fachmännisch angebaut. Die Kinder bekamen wir nicht zu Gesicht, sie hatten Unterricht. Als die Rede auf ähnliche Einrichtungen in Argentinien und Peru kam, musste ich allerdings an den entrüsteten Ausruf eines vorbildlichen Lehrers denken: »Ein mexikanischer Erzieher sagte bereits: Das ist der einzige Ort auf der Welt, wo die Tiere besser behandelt werden als die Menschen!« Ich schwieg daher. Im Denken der Weißen, vor allem der Europäer, ist und bleibt der Indianer ein Tier, auch wenn er noch so gute Manieren hat.

Zwei Männer, die das Wochenende in demselben Hotel verbracht hatten, nahmen uns auf ihrem Lieferwagen mit zurück nach La Paz. Bei unserer Ankunft sahen wir etwas zerzaust aus, doch die Fahrt war schnell und relativ bequem.

Naiv und unschuldig wie ein Mädchen vom Lande zeigt La Paz voller Stolz seine herrlichen Kolonialbauten. Wir besuchten auch die neuen Gebäude, die kleine Universität, von deren Terrasse aus man die ganze Stadt überblicken kann, die Stadtbibliothek etc.

Die fantastische Schönheit des Illimani äußert sich in seiner sanften Klarheit, die Natur hat den Berg mit einem leuchtenden Kranz aus ewigem Schnee gekrönt. Ganz besonders feierlich und imposant wirkt er in der Abenddämmerung.

Hier lebt ein vornehmer Mann aus Tucumán, der mich an die erhabene Größe des Berges erinnert. Aus Argentinien vertrieben, ist er hier, im Exil, für die argentinische Kolonie Mittelpunkt und Leitung. Sie sieht in ihm einen Führer und Freund. Seine politischen Ideen gelten überall als veraltet, doch er hält an ihnen fest, unabhängig von dem proletarischen Sturm, der über unserer streitsüchtigen Welt losgebrochen ist. Seine hilfreiche Hand streckt sich jedem Argentinier entgegen, ohne zu fragen, wer er ist und was ihn hierher führt, und in seiner Großzügigkeit gewährt er uns elenden Sterblichen seinen väterlichen, immer währenden Schutz.[2]

Untätig warten wir auf eine Entscheidung, eine Veränderung, warten wir auf den 2. August, doch da ist noch etwas anderes: Etwas mit wiegenden Hüften und Busen hat meinen Weg gekreuzt, wir werden sehen …

Schließlich besuchen wir das Bergwerk »Balsa Negra«. Der Weg steigt gen Süden erst bis auf eine Höhe von ungefähr fünftausend Metern an und führt dann ins Tal hinunter, wo sich die Verwaltung befindet. An einem der Hänge liegt das eigentliche Bergwerk, die Ader.

Es ist ein beeindruckendes Schauspiel: im Rücken der erhabene Illimani, friedvoll und majestätisch, vorn in der Ferne der weiße Mururata und direkt vor unseren Augen die Verwaltungsgebäude, die aussehen wie Trinkbecher, die vom Berg heruntergeworfen wurden und hier unten in der Ebene kopfüber liegen geblieben sind. An den Berghängen schillert eine breite Palette dunkler Töne, und das Schweigen des friedlich daliegenden Bergwerks überfällt auch diejenigen, die, wie wir, seine Sprache nicht kennen.

Der Empfang ist herzlich, man weist uns unsere Unterkünfte zu, und dann wird geschlafen.

Am nächsten Morgen, es ist Sonntag, gehen wir mit einem der Ingenieure zu einem natürlichen See, der von einem Gletscher des Mururata gespeist wird. Am Nachmittag besichtigen wir die Mühlenanlage, in der das Wolfram gewonnen wird, das Mineral, das diese Mine produziert.

Der Produktionsprozess lässt sich in wenigen Worten so beschreiben: Der aus dem Flöz gebrochene Stein wird in drei Teile zerlegt: den Kern, der das Mineral und 70 % Schlacke enthält und direkt »eingeweicht«, also ins Wasser geworfen wird; den Teil, der ebenfalls Wolfram enthält, allerdings in geringeren Mengen; und schließlich die wertlose Außenschicht, die als Abfall auf dem Müll landet. Der zweite Teil läuft über ein Förderband (oder »Gangseil«, wie man in Bolivien sagt) in einen Auffangbehälter und von dort zu der Mühlenanlage, wo er zerkleinert und zu immer feinerem Pulver zermahlen wird. Schließlich wird das Metall im Wasser in mehreren Arbeitsgängen vom Abfall getrennt und bleibt als Feinstaub zurück.

Am nächsten Tag besichtigen wir den Stollen. Mit Säcken aus festem Stoff, einer Karbidlampe und einem Paar Gummistiefeln treten wir in das beunruhigende Dunkel der Mine. Wir gehen zwei oder drei Stunden, sehen die Flöze sich im Bauch des Berges verlieren, klettern durch schmale Luken hinauf auf die nächste Sohle, hören das polternde Geräusch, mit dem die geförderten Steine aus den Loren nach unten gekippt werden, wo man sie wieder einsammelt; sehen, wie sich die Pressluftbohrer im Stollen vorwärtsarbeiten.

Doch man spürt den Herzschlag der Mine nicht. Es fehlen die kraftvollen Arme, die der Erde Tag für Tag das Mineral entreißen; sie sind in La Paz und verteidigen die Revolution, denn es ist der 2. August, der »Tag des Indios und der Landreform«.

Am Nachmittag kommen die Bergarbeiter mit ihren steingrauen Gesichtern und den bunten Plastikhelmen, die sie aussehen lassen wie Krieger aus einer anderen Welt.

Ihre unbeweglichen Gesichter, denen der Berg, der das Mineral ausspuckt, seinen unnachgiebigen Stempel aufgedrückt hat, während der Lastwagen, der sie hierher gebracht hat, in dem weiten Tal kleiner und kleiner wird, all das ist ein faszinierendes Schauspiel.

Die Mine »Balsa Negra« kann unter den gegenwärtigen Bedingungen noch weitere fünf Jahre fördern, dann wird die Produktion stillstehen; es sei denn, die Ader wird mit einem weiteren Stollen von mehreren Tausend Metern Länge verbunden. Der neue Stollen ist bereits in Planung. Zurzeit lebt Bolivien ausschließlich von diesem Mineral, das ihnen von den Amerikanern abgekauft wird. Aus diesem Grund hat die Regierung beschlossen, die Produktion zu steigern. Dank der intelligenten und beharrlichen Bemühungen der verantwortlichen Ingenieure wurde eine Steigerung von 30 % erreicht.

Dr. Revilla empfing uns sehr herzlich und lud uns zu sich nach Hause ein.

Um 4 Uhr traten wir auf einem Lastwagen die Rückfahrt an. Wir übernachteten in einem kleinen Dorf namens Palca und trafen am nächsten Morgen in La Paz ein.

Nun warten wir auf einen …[3], um von hier zu verschwinden.

Gustavo Torlincheri ist ein hervorragender Fotograf. Ich sah seine Arbeiten auf einer öffentlichen Ausstellung und hatte außerdem die Gelegenheit, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Durch seine einfache Technik, die sich einer methodischen Komposition vollkommen unterordnet, schafft er Fotos von außerordentlichem Wert. Mit ihm unternahmen wir einen Ausflug, der uns, ausgehend von La Paz, zum Club Andino in Chacoltoya führte und danach zu den Wasserreservoirs des Elektrizitätswerkes, das La Paz mit Energie versorgt.

Gestern war ich im Ministerium für Landwirtschaft, wo ich mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt wurde. Es ist ein merkwürdiger Ort, an dem Heerscharen von Indios verschiedener Gruppen aus der Hochebene darauf warten, dass sie an die Reihe kommen und vorgelassen werden. Jede Gruppe hat ihre typische Tracht und wird von einem Führer oder »Lehrmeister« vertreten, der mit jedem Einzelnen in seiner jeweiligen Muttersprache spricht. Bevor eine Gruppe eintritt, wird sie von den Angestellten mit DDT besprüht.