BÖSE im Bett - Andrea Lieder-Hein - E-Book

BÖSE im Bett E-Book

Andrea Lieder-Hein

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Beschreibung

Gerade als Familie Beyer nicht mehr zu hoffen wagt, wird der Traum doch noch wahr. Mia, ihre Tochter, ist ein Sonnenschein. Klug, hübsch, wohlerzogen, für alle eine Freude. Bis sie 14 wird. Ab da geht alles schief. Eine Geburtstagsfeier gerät aus den Fugen und zwei Mitschüler sterben. Als dann auch noch ihre Klassengemeinschaft neu zusammengesetzt wird und alte Freundschaften zerbrechen, rutscht Mia langsam ab.

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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Andrea Lieder-Hein

BÖSE im Bett

Rufmord am eigenen Vater

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

PROLOG

TEIL Eins 001 Mias Geburtstag

002 In der Schule

003 Familie Bayer

004 FEE

005 Polizeiinspektion Aurich/Wittmund

006 Okkultismus-Party in der Leichenhalle

007 Zwei Leichen im Wittmunder Wald

008 Polizei in der Schule

009 Beerdigung

010 Besuch bei Jana Drexeler

011 Klassenfahrt Norderney

012 DJH Norderney

013 Letzter Schultag vor den Sommerferien

TEIL Zwei 014 Borkum-Urlaub

015 Nachts am Strand

016 Der neue Kollege

017 Schulbeginn mit Angst und Schrecken

018 Flucht nach Hamburg

019 Mias Rache

020 Furchtbare Vorwürfe

Epilog

Leseprobe: Aya und die Leiche am Priwall

Leseprobe: Meine Miesen Morde

Leseprobe: Die dreizehn Fenster

Impressum neobooks

PROLOG

Sie kamen immer wieder, diese Gedanken. Immer wieder, ganz plötzlich und unverhofft. Nie wusste sie, wann. Sie kamen aus dem Nichts, einfach so.

An jenem späten Vormittag gingen sie von der Beerdigung ihrer geliebten Mutter heim, sie und ihr Vater. Mama war vor ein paar Tagen an Krebs gestorben. An einer sehr aggressiven Art von Leukämie, wie ihr Vater ihr erklärt hatte.

Ihr Vater war furchtbar traurig, damals. Noch auf dem Heimweg konnte sie die Spuren seiner Tränen sehen, wenn sie von der Seite auf sein Gesicht schaute. Er war so verzweifelt am Grab gewesen, dass sie fast fürchtete, er fiele gleich mit hinein, in die grün ausgeschlagene Grube.

Später, im Wohnzimmer, hatte ihr Vater noch lange nur so da gesessen, einfach vor sich hin gestiert. Kaum geredet. Und dann hatte er sich plötzlich drei Flaschen Bier geholt. Aus dem Kühlschrank.

Sie sah diesen Film immer in der gleichen Reihenfolge, immer wieder so, als ob alles gerade erst passierte. Und immer hatte sie diesen Kloß im Hals und das Ziehen in der Magengegend. Am Ende würde sie sich übergeben müssen oder mit der Rasierklinge ihre Arme ritzen. Sonst würde die Übelkeit bleiben.

Vater trank keinen Alkohol, weil er ihm nicht schmeckte, und aus Prinzip nicht. Er wollte nüchtern bleiben, sein Gehirn nicht lahm legen, seine Handlungen kontrollieren. Bier gab es nur für Gäste. Und nun standen diese drei Flaschen Bier auf dem Tisch. Er trank sie langsam, eine nach der anderen, und weinte dabei.

Als sie an jenem Abend gegen 20:00 Uhr im Bett lag, dachte sie noch lange über die schrecklichen Ereignisse nach. Mitten in der Nacht wachte sie auf. Ihr Vater legte sich langsam neben sie und deckte sich mit ihrer Decke zu. Er roch nach Bier.

„Ich bin so traurig, Jana, so traurig. Mama kommt nie wieder zu uns. Was soll ich bloß machen? Was sollen wir bloß machen?“ Er rückte näher an sie heran. Sie roch das Bier. Ganz intensiv. Und sie spürte seine Traurigkeit. Vorsichtig streichelte sie ihm über das nass geweinte Gesicht und flüsterte: „Du bist nicht alleine. Ich bin doch bei dir, Papa.“

Bei diesen Worten zog er sie näher an sich heran, presste sie richtig fest an seinen von Schmerz geschüttelten Leib. Ihr wurde allmählich etwas mulmig zumute und sie versuchte, ihn ein wenig weiter wegzuschieben. Aber er rückte immer dichter an sie heran, fuhr über ihren Oberkörper, wischte ihr Shirt über die Schultern und schnaufte plötzlich ganz fremd. Ihr wurde richtig angst und bange.

Was ihr Vater wohl hatte? Ob er krank war? War diese Leukämie vielleicht ansteckend? Dann plötzlich durchfuhr sie ein heftiger Schmerz. Irgendetwas fuhr in ihren Unterleib und ihr Vater zuckte rhythmisch auf ihrem schmalen Körper. Nach wenigen Minuten schnaufte er noch einmal wie der alte Hund ihrer Freundin bei großer Anstrengung, und dann rutschte er von ihr runter und nahm das Ding unten mit aus ihrem Leib.

Kurz darauf war er eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wachte sie auf und schaute auf ihren Vater. Er öffnete verschlafen seine Augen.

„Papa, was hast du gestern mit mir gemacht? Du hast mir weh getan, und so geschnauft.“ Ihr Vater schaute ziemlich erschrocken und antwortete eindringlich: „Wir zwei sind jetzt ganz alleine auf dieser Welt. Wir gehören zusammen. Wir sind eins. Du darfst es aber NIEMANDEM erzählen, was heute Nacht geschehen ist, sonst trennen sie uns und du bist dann ganz alleine. Aber mit diesem Ritual zeige ich dir, wie lieb ich dich habe. Du wirst es lernen zu mögen. Denke immer daran, wir haben nur noch uns. Wir sind EINS und müssen das auch spüren.“

Diese letzten Sätze waren es gewesen, die sie damals überzeugt hatten. Damals. Damals, als sie gerade neun geworden war. Sie hatte nie etwas erzählt, keinem. Bis jetzt nicht. Aber sie hatte gelernt, ihren Vater zu hassen und zu verachten.

Inzwischen wusste sie genau, was er tat und warum. Sie hasste ihn dafür täglich mehr, und manches Mal wünschte sie sich, einfach seinen Penis abzuschneiden, ihn ihm in den Mund zu stopfen. Oder ihn anzuzünden. Einfach so.

Dennoch hatte sie durchgehalten. Bis jetzt.

TEIL Eins 001 Mias Geburtstag

Draußen war es noch dunkel, als der Wecker schrillte. Elke Beyer fasste erschrocken hin, um ihn zum Schweigen zu bringen. Erst kurz vor fünf. Aber dieses war ein ganz besonderer Tag, der 14. Geburtstag ihrer Tochter Mia-Marie. Mit einem Handgriff brachte Elke den Wecker zum Schweigen. Leider nicht schnell genug. Eine Hand tastete sich im Bett vor und streichelte sanft ihren Körper. Johann Beyer liebte diese kurzen Momente vor dem Aufstehen im Bett mit seiner Frau. Dabei dachte er an nichts anderes als an Wärme und Geborgenheit.

Langsam drehte er sich zu ihr um und begrüßte sie wie immer mit einem morgendlichen Kuss. Ein Ritual, dass er nicht missen mochte. „Schlaf noch ne Runde, Johann. Es ist erst eben vor fünf. Ich gehe schon mal nach unten und bereite den Tisch für Mia vor. Vierzehn Jahre! Wo ist sie hin, die Zeit?“

„Gut, aber dann rufst du mich. Ich möchte unbedingt dabei sein, wenn unsere Tochter die Geschenke auspackt.“ Johann Beyer drehte sich noch einmal um und dachte an Mia. Wie sehr hatten sie sich beide ein Kind gewünscht, aber es wollte nicht klappen. Johann nahm es für Gott gewollt. Dieses Argument hatte er als Pfarrer oft ausgesprochen, wenn Frauen aus seiner Bochumer Gemeinde mit dem gleichen Problem kämpften. Verzweifelt oft und Antwort suchend. Warum ich? Das fragten sich viele, und ganz heimlich auch er. Damals.

Dann, vor fast sechzehn Jahren, hatte er seine Pfarrei gewechselt. Eine kleine evangelische Gemeinde in der Nähe von Wittmund suchte einen Pfarrer. Raus aus dem Ruhrgebiet und an die Küste? NRW verlassen zugunsten von Niedersachsen? Nächte lang hatten sie diskutiert. Die Nähe zu den Inseln war letztlich ausschlaggebend gewesen. Und dann war Elke plötzlich schwanger. Die Nordseeluft, die frische Brise? Egal, Hauptsache ein Kind.

Währenddessen deckte Elke in der großen Küche den gemeinsamen Frühstückstisch. Mitte Mai gab es nur wenige Blumen im Garten, aber ein paar gelbe Tulpen zusammen mit Pfingstrosen zauberten viel Frische auf den Tisch. Dann platzierte sie die Geschenke neben Mias Teller. Es waren drei. Von Oma Imme bekam sie einen iPod, den Mia beim Joggen tragen wollte. Von Papa Johann ein neues Fahrrad und von Mama ein Tagebuch und eine Gitarre. Ja, eigentlich war es viel zu viel. Aber Mia war nun mal ihr Sonnenschein, und das wollten Eltern und Oma auch immer gerne zeigen.

Mia-Marie besuchte im nahegelegenen Wittmund die achte Klasse des Hans-Berger Gymnasiums. Sie war beliebt, klug und Klassensprecherin. Alles Dinge, auf die Mutter Elke sehr stolz war.

Gegen sechs Uhr stand alles bereit. Der Tisch war zauberhaft geschmückt, das Fahrrad eingepackt und mit einer riesigen roten Schleife verziert, der iPod in einem kleinen Holzkästchen untergebracht und das Tagebuch in Folie eingewickelt. Einzig die Gitarre lehnte unverpackt an Mias Stuhl. Umrahmt von Blumen und ein paar Süßigkeiten. Nun konnten ihr Mann und ihre Tochter kommen.

„Mia, Johann, das Geburtstags-Frühstück ist fertig“, rief Elke überglücklich. Johann hatte schon auf diesen Moment gewartet, denn er litt mitunter an Migräne-Anfällen, und deshalb stand er immer zur gleichen Zeit auf. Punkt sechs Uhr in der Früh. Jeden Tag. Seit Jahren. Das hatte ihm sein Bochumer Arzt damals eingebläut. „Immer alles zur gleichen Zeit, Herr Beyer, und Sie werden sehen, das hilft.“ Wie es schien, half es tatsächlich.

Pastor Beyer zupfte seine karierte Flanell-Hose zurecht und öffnete gerade die Tür, als Mia-Marie in ihn hineinstolperte. „Sorry, Papa, ich hab dich nicht gesehen“, rief sie über ihre Schulter hinweg und eilte die Treppe hinab.

„Mia, herzlichen Glückwunsch, mein Kind. Schau mal, was du bekommen hast. Hier, das ist von Oma Imme, das von Papa und diese Geschenke sind von mir.“ Während sie sprach, schlang sie ihre Arme um Mia und drückte ihr einen schmatzigen Kuss auf die linke Wange.

„Danke, Mama, aber jetzt mit 14 geht das auch ohne Kuss, nur Umarmung. Sonst lachen alle, weil ich noch so kindisch behandelt werde.“ Elke verzog das Gesicht sichtlich irritiert. „Du bleibst doch immer unser Kind, mein Liebling.“ „Nein Mama, ich bleibe eure Tochter, nicht euer Kind. Das nehmen wir gerade in Reli durch, erwachsen werden und Freunde haben.“ „Freunde, Mia? Du meinst Freundinnen.“

Eine Antwort blieb Mia erspart, denn nun war ihr Vater auch unten und trank seinen ersten Tee, wie immer im Schlafanzug. „Lecker, dieser Ostfriesen Tee mit Kluntje und der Sahnewolke.Hätte nie geglaubt, dass ich mal lieber Tee als Kaffee trinken würde.“ Johann Beyer goss sich eine zweite Tasse ein und schaute liebevoll auf seine Tochter. „Und? Wie gefallen dir deine Geschenke?“

Mia zerriss gerade das letzte Papier. Es war ein 24“ CityBike in schwarz-weiß und nannte sich „Wild Cat“. Am Lenker hing ein schwarz-weißer Helm. Mia wusste im ersten Moment gar nicht, was sie sagen sollte. So viele Geschenke, und alle so super toll. „Danke, danke, danke für alles“, stammelte sie und fügte hinzu „ab heute fahre ich mit dem Rad zur Schule.“

Elke huschte noch schnell in die Küche und holte eine Transportbox, gefüllt mit selbstgebackenem Kuchen. „Hier, Mia-chen, für deine Mitschüler, habe ich gestern noch gebacken. Apfelkuchen. Die Sahne ist in einer Extra-Box.“

„Mama, ich hätte lieber Hanuta oder Snickers mitgenommen. Die sind auch leichter zu tragen.“

Kurz nach sieben schwang sich Mia samt Tragebox auf ihr neues Fahrrad. Vorne am Lenker befand sich ein großer Weidenkorb. Ein zweiter auf dem Gepäckträger. Für ihren Schul-Rucksack. Den Helm fand sie nicht so pralle, aber auch den trug sie.

002 In der Schule

Mia drehte seit einigen Minuten eine Strähne ihrer langen dunkelbraunen Haare immer wieder um ihren rechten Zeigefinger. Dabei hoffte sie inständig, ihr würden die Vokabeln einfallen, die sie gestern neu gelernt hatten. Der lateinische Text vor ihr war relativ kurz, aber er hatte es in sich.

In die Stille hinein klopfte es und ohne ein „Herein“ stürmte Mias Mutter in die Latein-Stunde. Langsam, aber unaufhaltsam, stieg ein unangenehmes Gefühl in Mias Bauch auf. Was wollte ihre Mutter hier in der Klasse? Während einer Arbeit?

„Guten Morgen, Frau Vogelfang. Entschuldigen Sie die Störung, aber Sie wissen sicher schon, dass Mia-chen heute 14 wird und für alle selbstgebackenen Kuchen von mir mitgebracht hat. Leider hat sie die Sahne vergessen. Ich habe auch noch Pappteller, Plastikgabeln und Servietten mitgebracht.“

Bei „Mia-chen“ wurde Mia fast schlecht. Wie konnte sie nur! Vor der ganzen Klasse! Und dann die Scheiß Sahne. Wer isst denn bitte schön mit vierzehn noch selbstgebackenen Kuchen mit Sahne, auf Papptellern mit Plastikgabeln? Im Latein-Unterricht?

Studienrätin Gertrud Vogelfang schmunzelte in sich hinein. „Danke, legen Sie doch alles auf’s Pult, in der großen Pause kann Mia dann den Kuchen verteilen.“

Als Frau Beyer den Raum verlassen hatte, kehrte wieder Stille ein. Frau Vogelfangs Blick ruhte wohlwollend auf Mia-Marie. „Aus sehr gutem Haus, die Kleine“, dachte sie. „Wohl erzogen, klug und hübsch. Und so eine aufmerksame Mutter! Backt für 29 Schüler selbst Kuchen und bringt noch Sahne in die Schule. Manch andere Mutter steht nicht einmal auf, um ihrem Kind Frühstück zu bereiten. Ganz anders Frau Beyer. Was für eine schöne Kindheit Mia hat. Beneidenswert.“

Am Ende der Stunde sammelte Frau Vogelfang alle Hefte ein und ging mit einem Stück Apfelkuchen aus dem Klassenraum.

003 Familie Bayer

Bin wieder da.

Oh, schön, Mia. Wie war dein Tag?

War OK.

Und mein Kuchen? Hat er euch gut geschmeckt?

Ja, Mama.

Ich wollte es euch doch schön machen, Kindchen.

Wir waren mitten in einer Klassenarbeit, als du kamst.

Oh, das hat eure Lehrerin gar nicht gesagt. Das tut mir leid.

Ist schon OK, aber der Kuchen hätte auch OHNE Sahne geschmeckt.

Und nun erzähl mal. Wie fährt sich dein neues Rad?

Echt super. Ich hab nur 16 Minuten für die knapp vier Kilometer gebraucht.

Und die Strecke am Wald entlang? Ich hab mir schon Sorgen gemacht.

Wieso DAS denn?

Wenn da mal was passiert. Man hört so viel. Und die Autos fahren auf der Bundesstraße auch ziemlich schnell.

Mama, das war alles in Ordnung. Du machst dir zu viel Sorgen.

Mit diesen Worten verließ Mia die Küche, um ihre Schulsachen in ihr Zimmer zu bringen, ehe sie essen gehen konnte. Donnerstag war der einzige Tag, an dem sie schon mittags frei hatte, und nicht erst um 16 Uhr zu Hause war.

Gerade als sie die Küche verließ, betrat ihr Vater den Raum und setzte sich mit einer besorgten Miene an den Tisch.

„Elke, ich habe an der Türe etwas gelauscht. Es tut mir leid, aber du musst unserer Tochter vertrauen. Sie wird langsam erwachsen. Sie braucht mehr Spielraum, Freiheit. Du erdrückst sie mit deiner Ängstlichkeit.“

004 FEE

Am späten Nachmittag ging Mia in den Garten des Pfarrhauses und pflückte einen riesigen Strauß gelber, roter und weißer Tulpen. Danach lief sie über den angrenzenden Friedhof zum ältesten Teil, der weit hinten zwischen gewaltigen Rotbuchen lag.

Neben einem Grab mit einem Findling kniete sie nieder. Der Findling hatte die Größe eines Bauernbrotes und war so schwer, dass man ihn gerade noch mit einer Schubkarre transportieren konnte. Auf dem Stein waren vor vielen Jahren Buchstaben und Zahlen eingehämmert worden.

FEE

16.05.1798 – 16.05. 1807

Vorsichtig nahm Mia die verwelkten Blumen aus der grünen Plastik-Vase und sortierte die frischen Tulpen hinein. „Fein“, sagte sie laut und erzählte Fee von ihrem peinlichen Erlebnis mit der Sahne in der Lateinstunde.

Ungefähr vor drei Jahren erfuhr Mia zufällig, dass ein kleines Mädchen vor mehr als 200 Jahren in der Kirche als Findelkind abgelegt worden war. Danach hatte sie im Internet den Namen Fee und den Ortsnamen Waddehörn eingegeben. Staunend las sie die Legende.

***

Waddehörnist ein Dorf im Landkreis Wittmund. Es liegt 4,3 Kilometer von Wittmund entfernt und hat 925 Einwohner. Urkundlich wird Waddehörn erstmalig im 17. Jahrhundert erwähnt. Die 72 Einwohner bauten damals ihre eigene evangelische Kirche, und zwar aus selbst gesammeltem Holz. Die kleine Kirche nannten sie Betstube. In dieser Betstube, so sagt es die Legende, wurde am 16. Mai 1798 ein Säugling abgelegt. Da die Mutter nie gefunden wurde, nannten die Bewohner das kleine Mädchen FEE. Fee wuchs praktisch bei allen gemeinsam auf. Sie half, als sie älter wurde, mal beim Füttern, holte die Tiere von der Weide, putzte und bereitete Essen für die Bauern auf dem Feld zu.

„Kurzum, sie war der Sonnenschein im Dorf und bei allen beliebt wegen ihrer Fröhlichkeit und Hilfsbereitschaft“, ist in einer alten Chronik nachzulesen.

An FEEs neuntem Geburtstag soll ihr ein Traum erfüllt worden sein. Sie bekam von Bauer Hinnerk Janssen ein Pony geschenkt. Bei einem kleinen Geburtstags-Ausritt traf es sich, dass Bauer Ubbe Ubsen seinen Hund erschießen musste, weil eine Falle seine Beine zerschmettert hatte. Dieser Schuss erschreckte das Pony von Fee derart, dass beide stürzten und das Mädchen sich auf einem Stein das Genick brach. Seit der Zeit blieb ihr Grab nie ungeschmückt.

Im 19.Jahrhundert galt die Kirche als einsturzgefährdet. Sie wurde danach abgetragen und durch einen Klinkerneubau ersetzt. Erst 27 Jahre später wurde der Kirche ein Turm angefügt.

Um die Kirche herum befand sich damals wieheuteder Friedhof. Durch einen kleinen Gang, den Karkpad, gelangte man zum Pfarrhaus und zum Gemeindehaus.

Die drei Gemeinden Waddehörn, Upmeer und Ikenbargen teilen sich inzwischen Kirche, Friedhof und Gemeindehaus. Von den rund 2300Einwohnern der drei Gemeinden zählt die Kirchengemeinde stolze 1523 Mitglieder. (Stand 2013).

***

Mia schaute ein letztes Mal auf FEEs Grab. Genau an ihrem Geburtstag geboren. Schade, sie hätte FEE gerne kennen gelernt. Nur neun Jahre durfte sie leben. Furchtbar. Aber alle hatten sie lieb, und sie hatte ein Pony bekommen. Ihr Traum war in Erfüllung gegangen, wenn auch auf makabre Art.

005 Polizeiinspektion Aurich/Wittmund

Eike Sonneboek wachte gegen sechs Uhr auf und dachte nur „Gott sei Dank FREITAG“. Dann duschte er, trank einen lauwarmen Pulverkaffee und fuhr zur Schule. Seit Februar unterrichtete er am Hans-Berger-Gymnasium in Wittmund Biologie und Sport. Er erinnerte sich mit Grausen an die erste Frage seines Schulleiters, als er seinen Dienst antrat. „Sie wissen sicher, wer Hans Berger war?“ Eike spürte ein mulmiges Gefühl, als er mit einem fragenden „Nein?“ antwortete. „Morgen wissen Sie es“, sagte der Direktor und schritt davon.

Danach hatte Eike sich sofort mit seinem Smartphone im Netz informiert. <Hans Berger lebte von 1873 – 1941 und war der Entwickler der Elektroenzephalographie (EEG). Er war als Neurologe und Psychiater tätig und forschte daran, Hirnströme messen zu können. Seine Entdeckung wurde erst viele Jahre später gewürdigt. >

Am folgenden Tag kam in der großen Pause der Direktor zu ihm und grinste. „Ich frage Sie jetzt natürlich nicht wie einen Schulbub ab. Ich weiß, dass Sie sich informiert haben. Wenn nicht, werden Sie es bei uns nicht weit bringen.“ Mit diesen Worten entschwand er wieder.

***

Nils Lindström versuchte verzweifelt, mit der maroden Kaffeemaschine noch etwas Brauchbares zu kochen. Aber es funktionierte nicht.

Wenn nachher die Neue kommt, dann kann die sich erst einmal um die Maschine hier kümmern. Frauen können doch gut mit Kaffeeautomaten umgehen.

Ich glaub’ kaum, Nils, dass die Kommissarin zum Kaffee kochen hier eingestellt wurde.

Ach, Egon, du nimmst mir allen Mut auf einen ordentlichen Kaffee. Wo kommt die her? Aus dem Ruhrpott?

Gelsenkirchen.

Ach du Schreck. Auf Schalke-Fan? Das fehlt noch gerade. Keinen Kaffee kochen können und Auf Schalke. Ist die strafversetzt? Von Gelsenkirchen nach Wittmund?

Willst du behaupten, Wittmund sei eine Strafe? Nee, ich weiß nichts von strafversetzt. Die hat in Essen gearbeitet und in Gelsenkirchen gewohnt. Vielleicht mal ein Tapetenwechsel?

Naja, warten wir’s ab. Wann kommt die?