Capitan Codreanu - Oliver Jens Schmitt - E-Book

Capitan Codreanu E-Book

Oliver Jens Schmitt

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Beschreibung

Extremer Antisemitismus, eine soziale Revolution, die Schaffung eines „Neuen Menschen“: Nach Hitler und Mussolini war Corneliu Zelea-Codreanu (1899 bis 1938) der Dritte in der Reihe charismatischer Führer des Faschismus im Zwischenkriegseuropa. Der Historiker Oliver Jens Schmitt zeichnet in dieser Biographie erstmals seine Geschichte im europäischen Kontext. Wie Hitler plant Codreanu 1923 einen Putsch. Er wird verhaftet und zu einem Idol rechtsnationaler Kreise. Schmitt erzählt von Studentenunruhen, Massenaufmärschen, von der Anziehungskraft, die der Capitan besonders auf Intellektuelle wie Mircea Eliade und Emil Cioran ausübte, von seinem gewaltsamen Tod und dem Aufflackern seines Kultes in der Gegenwart.

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Extremer politischer Antisemitismus, eine soziale Revolution, die Schaffung eines »Neuen Menschen«: Nach Hitler und Mussolini war Corneliu Zelea-Codreanu (1899 bis 1938) der dritte in der Reihe charismatischer faschistischer Führer in Zwischenkriegseuropa. Dennoch ist Codreanu bei uns bis heute nahezu unbekannt geblieben. Der in Wien lehrende Schweizer Historiker Oliver Jens Schmitt zeichnet jetzt erstmals seine Geschichte im europäischen Kontext. Wie Hitler plant Codreanu 1923 einen Putsch. Er wird verhaftet und in einem Prozess durch wohlwollende Richter zu einem Idol rechtsnationaler Kreise. Schmitt erzählt von Studentenunruhen, religiös aufgeladenen Massenaufmärschen und von der Anziehungskraft, die der Căpitan auf alle Schichten und besonders auf Intellektuelle wie Mircea Eliade und Emil Cioran ausübte, von seinem gewaltsamen Tod und dem Aufflackern seines Kultes in der Gegenwart.

Zsolnay E-Book

Oliver Jens Schmitt

Căpitan Codreanu

Aufstieg und Fall des

rumänischen Faschistenführers

Paul Zsolnay Verlag

ISBN 978-3-552-05807-1

Alle Rechte vorbehalten

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2016

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Einleitung

Totenbeschwörung

Kriegstriumph und Revolutionsfurcht

»Apostel« in einem sozialen Krisengebiet: der Vater

Theorie und Praxis des Provinzantisemitismus

Eine nationalrumänische Familie

Das Erlebnis des Krieges

Begegnung mit der Stadt: Iaşi

Der Arbeiteraktivist

Studentenführer der »Generation von 1922«

Studentischer Gewaltaktivist

Antisemitischer Missionar in Deutschland

Die Liga der national-christlichen Verteidigung

Der Putschist

Religiös verzückte Gefängnisgemeinschaft: die Văcăreşteni

Der Mörder

Freispruch, Hochzeit, Triumph

Die Kultfigur

In Frankreich

Führer der »Legion Erzengel Michael«

Sektierer

Der Marsch

Die Eiserne Garde

Die Krise und die Kamarilla

Im Parlament

Bukarester Verführung

»Heraus zum heiligen Kampf«

Die »Schule des Fanatismus«

Der General

Der Mord am Premier

Der Schismatiker

Tastender Neubeginn: »Alles für das Land«

Das »rumänische Lourdes«

Die »Fünfte Kolonne«

Die legionäre Kommune

Vertraute

Berge und Meer – biografische Raumachsen

Der Führer

Ikonisierung

Der Mystiker

Der politreligiöse Schriftsteller

Legion und Partei

Gewalt und Bedrohung

Eskalation: Căpitan und König

»Hin zum großen Sieg der Legion«

Des Königs Staatsstreich

Im Wald von Tâncăbeşti

Kurzer Kult und langes Schweigen

Anmerkungen

Dramatis personae

Zeittafel

Danksagung

Personenregister

Einleitung

Überlebensgroß prangte das Porträt des toten Führers an der Bühnenrückwand. Das markante Gesicht eines jungen Mannes im Halbprofil, mit stark gewelltem Haar. Aus Lautsprechern hallte die Schwurformel über den Platz. Der Film der Wochenschau zeigte Zehntausende, die im Zentrum Bukarests, zwischen modernen Hochhäusern und Palästen der Belle Époque, andächtig verharrten – in Volkstracht und Grünhemd, elegante Damen und scheue Bäuerinnen.1 Es war der 6. Oktober 1940. Einen Monat zuvor hatte General Ion Antonescu König Carol II. von Rumänien gestürzt. Groß-Rumänien, der 1918 entstandene achtgrößte Staat Europas, hatte ein Drittel seines Staatsgebietes unter den Diktaten Hitlers und Stalins verloren. Die rumänische Gesellschaft war zutiefst aufgewühlt, der ungeliebte und bei vielen verhasste Monarch mit knapper Not aus dem Land entkommen. Auf der Bühne stand neben Ion Antonescu Horia Sima, Führer der »Legion des Erzengels Michael«, Nachfolger jenes Mannes, auf dessen Geist die Nation nun vereidigt wurde. Den Eid sprach Ion Antonescu vor, der das Grünhemd der Legion trug: »Im Geiste des Căpitan und der Nation« ließ er die Masse schwören, ein Land zu erschaffen, das sein werde wie die heilige Sonne am Himmel.2

Der Căpitan war Corneliu Zelea Codreanu, charismatischer Gründer und Führer der Legion, der am 29. November 1938 »auf der Flucht erschossen« worden war und dessen wichtigste Gefolgsleute, rund 250 Männer und eine Frau – darunter führende Intellektuelle –, ein knappes Jahr später ohne Gerichtsurteil auf Befehl Carols II. umgebracht worden waren. Der Zusammenbruch der Königsdiktatur Carols II., der im Jahrzehnt zuvor die demokratischen Parteien systematisch destabilisiert hatte, hatte die Legion unter einer weitgehend neuen Führung an die Macht gebracht. Horia Sima stand auf der Tribüne neben Ion Antonescu, dem neuen Staatsführer, und huldigte ihm. Die rumänische Nation wurde auf den Geist eines Toten vereidigt. Die Eidformel enthielt das legionäre Heilsversprechen: ein Land, schön wie die heilige Sonne am Himmel.

Die Apotheose Corneliu Zelea Codreanus. Ion Antonescu und Horia Sima, Führer des »national-legionären Staates«, bei der Großkundgebung in Bukarest am 6. Oktober 1940.3(Bild: AC.N.S.A.S.)

Auf die Vereidigung folgten Wochen des Totenkults, der in seiner Form in der neueren europäischen Geschichte praktisch einzigartig ist. Codreanu wurde neben Gott gestellt, beinahe selbst vergöttlicht, und dies in einem Land mit traditioneller kirchentreuer Frömmigkeit. Die Propaganda hämmerte: »Der Căpitan – Märchenheld der rumänischen Nation, unvergleichliche Schönheit. Der Căpitan – Goldmund [eine Anspielung auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos, O.J.S.] der Nation. Der Căpitan – großer Prophet und Evangelist der Wege des Herrn, der erlesensten Tugenden. Der Căpitan – höchstes Verständnis dieser Nation … Der Căpitan – Verkörperung des allmächtigen Willens der Nation. Der Căpitan – Ikone [hier religiös gemeint, O.J.S.] der rumänischen Seele. Der Căpitan – Christus der rumänischen Nation … Der Căpitan hat die rumänische Nation erlöst. Der Căpitan – der Heiland der rumänischen Nation.«4

Von September 1940 bis Januar 1941 befand sich Rumänien in weiten Teilen in einem spirituellen Ausnahmezustand. In der neuen Regierung, einer schwierigen Kohabitation aus Armee und Legion, nutzten die Legionäre die ihnen lange verschlossenen Massenmedien. Über den Äther predigten Minister und »Alte Kämpfer« der Bewegung, aber auch aufstrebende junge Intellektuelle wie Emil Cioran, nach 1945 ein führender Philosoph von europäischem Rang in Paris. Cioran verkündete ekstatisch, »mit Ausnahme Jesu war nie ein Toter gegenwärtiger unter den Lebenden«.5 Am 14. November 1940 sprach im Rundfunk Vasile Iaşinschi, Apotheker aus dem Städtchen Rădăuţi in der Bukowina, ein Weggefährte Codreanus und nun Sozialminister: Rumänien befinde sich auf dem Wege einer vollkommenen spirituellen und moralischen Revolution, die sich auf die Gewissheit stütze, dass alles vom Căpitan ausgehe. Es sei himmlische Vorsehung, dass ein jahrhundertelanger Weg zu einem Ende gekommen sei und nun eine neue, die gesamte Zukunft der Rumänen prägende Epoche beginne. Der Glaube habe den Mammon überwunden, triumphiert hätten Liebe, Opfermut und der Geist der Armut.6 Drei Tage später, am 17. November 1940, hörten die Rumänen die Stimme Ilie Gârneaţăs, eines Mitbegründers der Legion im Jahre 1927, der Codreanu als auserwählten Führer der Nation feierte: Mit Freudentränen habe der reine Geist des Volkes im Căpitan den Mann erblickt, der den Hoffnungen auf Befreiung und Erlösung entsprach. Eine ganze Generation habe sich um jenen geschart, dessen Augen über das Dämmern des Morgens in die Tiefe der Zeit geblickt hätten. »Wenn dich der Căpitan ansah, glaubtest du, er sei aus der Wirklichkeit herausgetreten und höre die weisen Befehle der Gründerfürsten« des Landes. Codreanu sei bestimmt gewesen, durch seine Gestalt eine Ikone der Vollkommenheit zu werden: milde und gut, den Kleinen und Schwachen zugewandt, voll Liebe für jene Herzen, die ihn verstanden, ein Mann mit »evangelischen Eigenschaften«. Wie ein Erzengel sei Codreanu den Feinden entgegengetreten, und siehe, das Tier wich vor dem Gottbegnadeten zurück. »Er war ein großer Inspirierter und ein vollkommener Kenner der Wirklichkeit. Seine Visionen wurden Gewissheit. Niemals begann er etwas ohne die Gewissheit zu siegen. Er glaubte an seine Sendung«, wie seine Anhänger an ihn glaubten. »Er kam wohl aus der Legende, den Mythen, der Geschichte der großen Hauptleute. Ihn schreckten die Qualen nicht und der Tod. Heiter und kühn hat er sie angenommen, überzeugt, dass das Wort zur Erlösung der Nation durch ihn gesprochen habe.«7

Die hier sprachen, sahen sich in einer Kampfgemeinschaft mit dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus, und Begriffe, die sie verwendeten, wie Vorsehung und Sendung, scheinen vertraut. Und doch weisen sie im rumänischen Kontext eine andere Dimension auf. Denn es handelte sich nicht nur um religiöse Versatzstücke, mit denen eine stark christlich geprägte Gesellschaft ideologisch erreicht werden sollte. Es ging vielmehr um eine Ideologie, in deren Mittelpunkt nicht Rasse, sondern Religion stand, und deren Heilsversprechen nicht nur ein besseres Leben auf Erden, sondern echte Transzendenz verhieß, und zwar weniger für das Individuum, sondern für die gesamte rumänische Volksgemeinschaft. Auch die Ikone ist keine Metapher in einer Bewegung, die in mystischer Verehrung eines gemalten Abbilds des Erzengels Michael begonnen hatte.

Corneliu Zelea Codreanu, apostelgleich, in die Nähe Christi gerückt, gehört zu den großen charismatischen Führern extremer politischer Ideologien im Europa der Zwischenkriegszeit. Heute ist er außerhalb Rumäniens fast ganz vergessen, in Rumänien von einigen neofaschistischen Nostalgikern verehrt, von der Mehrheit der Gesellschaft mit Unbehagen – und Unkenntnis – betrachtet. Selten war der Sturz von gottähnlicher Verherrlichung, einer Apotheose, der Beschwörung einer Totenherrschaft über eine europäische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts und das Abdrängen in Vergessen und Nicht-erinnern-Dürfen so eindrücklich wie bei dem Führer der Erzengellegion.

Am 20./21. Januar 1941 kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen den Legionären Horia Simas und der Armee. Der von Hitler unterstützte Antonescu siegte. Die Legion wurde in den Untergrund oder ins Ausland gezwungen, wo Sima und seine Gefolgsleute bis in den Hochsommer 1944 in Buchenwald interniert blieben. Auf den mystischen Siegestaumel im Herbst 1940 war ein Sturz ins Bodenlose gefolgt.

Die Legionäre hatten sich in den Augen jener Menschen, die am 6. Oktober gläubig geschworen hatten, binnen Wochen und Monaten völlig diskreditiert. In den Kämpfen vom 20./ 21. Januar 1941 war es zu einem legionären Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung gekommen.8 Vom Versprechen auf ein Land »heilig wie die Sonne am Himmel« war nach Gewalt und Pogrom nichts mehr geblieben. Ab Ende August 1944 wurde Rumänien von der Roten Armee überrannt. Bis Ende 1947 hatten die Kommunisten die Macht ganz übernommen und eine Diktatur errichtet. Die antisemitische und antibolschewistische Legionärsbewegung galt der rumänischen KP zumindest rhetorisch als ideologischer Hauptfeind. Codreanu wurde zur Unperson. Hatte schon Carol II. Tonträger mit Codreanus Stimme und legionäre Schriften massenhaft zerstören lassen, so wurde der Besitz legionärer Objekte nun noch gefährlicher. Repression erklärt das Vergessen aber nur zum Teil.

Eine Biografie Corneliu Zelea Codreanus muss erklären, wie es dem Sohn eines Deutschlehrers aus der ostrumänischen Provinz, aufgewachsen an der Grenze zum russischen Zarenreich, gelungen ist, wie kein politischer Führer vor oder nach ihm die rumänische Gesellschaft zu mobilisieren, von Bauern bis zu Aristokraten, von Studenten bis zu Arbeitern; die Gesellschaft auch zu polarisieren durch seinen charismatischen Sendungsanspruch, seinen »legionären Glauben«, sein Versprechen auf nicht nur irdisches Heil, einen »Neuen Menschen«, der nicht nur »weißeres Brot« und ein »weicheres Bett« erhalten sollte, sondern »Erlösung« und »Auferstehung« nicht als Metapher, sondern als konkretes Versprechen im Sinne christlicher Glaubenstradition, die nicht nur das Individuum, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen umfasste. Codreanu und die Gesellschaft, die seinen charismatischen Anspruch gläubig aufnahm oder entschieden ablehnte oder gar verspottete, stehen daher im Mittelpunkt einer Lebensbeschreibung, die Menschen, Orte und Ideen miteinander verbinden will.

Totenbeschwörung

Das Kloster Putna in der Bukowina ist ein für die rumänische Geschichte hochsymbolischer Ort. Hier liegt Stefan der Große (1457–1504) begraben, der Fürst (Woiwode) der Moldau, zeitweiliger Sieger über Osmanen und Polen, der im Geruch der Heiligkeit stand. Im ausgehenden 19. Jahrhundert griffen Intellektuelle in Rumänien die volkstümliche Verehrung des Woiwoden auf und schufen einen Kult um ihn.1 Das Kloster Putna war 1775 mitsamt der Bukowina von Österreich annektiert worden. Beim Zusammenbruch der Donaumonarchie im Herbst 1918 schlossen rumänische Nationalaktivisten das Gebiet Rumänien an. Dass Putna wieder rumänisch wurde und damit auch die Gebeine des Woiwoden Stefan, wurde mit einem Festakt gefeiert. In das malerisch zwischen waldigen Hügeln gelegene Kloster begaben sich Vertreter der politischen und kulturellen Elite. Zu ihnen sprach ein Gymnasialprofessor aus dem ostrumänischen Provinzort Huşi, dekorierter Frontoffizier, mehrfach gewählter Parlamentsabgeordneter und landesweit bekannter antisemitischer Agitator: Ion Zelea Codreanu, der Vater des späteren Gründers der »Legion Erzengel Michael«.

Dass Biografien mit der Klärung des familiären Hintergrunds beginnen, ist nicht ungewöhnlich. In unserem Falle aber geht es um mehr, und zwar um die These, dass kein anderer charismatischer Führer im Europa der Zwischenkriegszeit (mit Ausnahme des Gründers der spanischen Faschistenbewegung der Falange, José Antonio Primo de Rivera, Sohn eines Diktators) so stark von seinem Vater geprägt, von seiner Familie geschaffen und begleitet wurde wie Corneliu Zelea Codreanu. Was der Sohn sprach und bewegte, kam vom Vater, wurde von der Mutter und vor allem den Brüdern und Schwestern getragen. Während sich Hitler und Stalin in der Öffentlichkeit als von traditionellen familiären Banden gelöst darstellten, zogen Codreanu Vater und Sohn in den Wahlkampf, agitierte eine Schwester in den Dörfern Nordostrumäniens, nahmen die Brüder als Propagandisten Anteil an der Verkündung der Heilslehre des Erstgeborenen der Familie.

Der rumänische Faschismus ist Familiengeschichte, die Geschichte echter Familien wie der Codreanus, die sich nach traditionellem Muster über Heiraten und Patenschaften erweiterten, imaginierter Familie in den »Kreuzbruderschaften« der Schüler, »legionärer Familie« als Vorstellung und vom harten Kern gelebte soziale Praxis. Was Ion Zelea Codreanus Kinder und Zehntausende ihrer Anhänger in der Zwischenkriegszeit in enthusiastischem Aufbruch zu einer neuen Zeit und einem »Neuen Menschen« erlebten und zu ihrem Generationenprojekt machten, das hatte die Generation vor ihnen angelegt – und wie andere vergleichbare Phänomene der europäischen Zwischenkriegszeit war in Rumänien die Legionärsbewegung im Protest der »Generation von 1914« entstanden, jener Jungen, die den Krieg nicht als Kombattanten erlebt hatten und sich daher von dem vereinigend wirkenden Fronterlebnis ausgeschlossen fühlten.2

Hören wir nun, was Ion Zelea Codreanu in Putna sprach.3 Seine Rede war eine einzige Beschwörung von Toten. Er begann mit einer Schlacht im jüngst vergangenen Weltkrieg, dem drohenden Durchbruch von Truppen der Mittelmächte beim Oituz-Pass in den Karpaten am 7. Oktober 1916. Es regnete Schrapnells und Granaten und Kugeln, die Bäume hinwegfegten – da erfasste die rumänischen Soldaten ein plötzlicher Mut, und sie stimmten den Kriegsgesang Stefans des Großen an: »Auf, Brüder, zum Angriff, zum Angriff heraus, verteidigt das Kreuz!« Beifall brandete auf, als Codreanu den Sieg über jahrhundertelanges Leiden lobpries. Rumänische Geschichte sei Opfer- und Leidensgeschichte. »Wir haben im Geiste des Erzengels gesiegt, es haben aber auch unsere Ahnen gesiegt, vor allem aber Stefan der Große und Heilige.« Nun sei die Stunde der Befreiung angebrochen, und rumänische Fahnen wehten auf Stefans alten Burgen. »Erhebt euch alle, die ihr gequält und getötet worden seid von den Bütteln unseres Volkes, erhebt euch, denn es ist die Stunde großer Freude! Erhebt euch und verneigt euch gemeinsam mit uns Heutigen vor dem Grabe des heiligen Stefan und – erhebe auch Du Dich, Stefan, Majestät!« Im Publikum brachen erschütterte Menschen in Tränen aus, und Codreanu sprach nun den toten, den auferstandenen Woiwoden an: »Schau es an, Dein lebendiges Volk, das Volk der Schatten Deines Stammes.«

Der Vater: Ion Zelea Codreanu als Offizier.4(Bild: National Archives of Romania)

Was Ion Zelea Codreanu vortrug, war nichts anderes als das Credo des rumänischen Nationalismus. Die Nation ist die Gemeinschaft der Toten, der Lebenden und jener, die da kommen werden. Die Erde der Ahnen ist das Bindeglied aus Scholle und Blut zwischen dieser Generationenabfolge. Genau diese Mystik sollte sein Sohn propagieren. Codreanu war zutiefst überzeugt, einem Volk anzugehören, dem schwerstes Unrecht angetan worden sei – über Jahrhunderte hinweg, von fremden Herrschern und Invasoren. Sein Sohn Corneliu teilte dieses Gefühl, zurückgesetzt zu sein, gegen Unrecht kämpfen, sich verteidigen zu müssen: eine Obsession des Opfers und der Bedrohung. Dagegen hatte sich ein neuer kämpferischer Typ des Rumänen zu stellen, nicht mehr der duldende Bauer. Das Feuerschwert des Erzengels Michael, an das die Legionäre glaubten – es leuchtete schon in der Rede Ion Zelea Codreanus in Putna. Rumänien war 1916 in den Krieg eingetreten und kurz darauf von Österreich-Ungarn, Deutschland und Bulgarien schwer geschlagen und in den Ostteil des Landes zurückgedrängt worden. Noch Anfang 1918 war das Land einen demütigenden Frieden eingegangen. Wenige Monate später hatte es vom untergegangenen Österreich-Ungarn Siebenbürgen, das Banat, die Bukowina und vom Zarenreich Bessarabien gewonnen und damit die kühnsten Träume rumänischer Nationalisten verwirklicht. Dies ist der Hintergrund von Codreanus Rede voller historischer Mystik und auch der Grund für die Erschütterung seiner Zuhörer.

Kriegstriumph und Revolutionsfurcht

Rumänien war nicht der einzige Siegerstaat, in dem sich nach 1918 Triumph mit Ängsten und Frustration mischte. In Italien führten die Vorstellung vom »verstümmelten Sieg« und schwere soziale Unruhen zur raschen Machtergreifung des Faschismus.1 Ganz unähnlich war die Lage in Rumänien nicht: Die Gebietsgewinne waren so umfassend, dass das eben noch am Boden liegende Land als einer der großen Sieger aus dem Weltkrieg hervorging. Doch befand sich das aus österreichisch-ungarischen und russischen Provinzen entstandene »Groß-Rumänien« in einer Zone enormer Instabilität. Der eben eingegliederte neue Osten, Bessarabien, war seit Februar 1917 von den russischen Revolutionen voll erfasst worden. In Ungarn waren bolschewistische Revolutionäre an die Macht gelangt, in Bulgarien radikale Agrarsozialisten. In der jungen Sowjetunion tobte, vor den Toren des entstehenden Königreichs »Groß-Rumänien«, der Bürgerkrieg zwischen »Roten« und »Weißen«. Vor allem aber war der Zusammenbruch der Imperien derart überraschend gekommen, dass die politischen und administrativen Eliten Rumäniens am Rande der Überforderung standen: Sie mussten mit militärischer Gewalt die neuen Provinzen sichern, an den Pariser Vorortekonferenzen die internationale Anerkennung der Grenzen erreichen und zugleich im Lande selbst drohende revolutionäre Umwälzungen abwenden.

Im Innern hatte die weitgehende Niederlage von 1916 König und Eliten zu großen Zugeständnissen gegenüber den politisch rechtlosen und wirtschaftlich schwachen Bauern gezwungen: Ohne Aussicht auf eine den Großgrundbesitz radikal beschränkende Landreform und ein allgemeines Wahlrecht hätten die rumänischen Bauernsoldaten wohl die Waffen niedergelegt oder, dem Lockruf des Bolschewismus aus Bessarabien folgend, gegen König und Eliten gerichtet. Mit dem allgemeinen Wahlrecht brach die seit dem Zusammenschluss von Walachei und Moldau zum Fürstentum Rumänien (1859) bestehende oligarchische Zweiparteienwelt von Konservativen und Liberalen zusammen: Die Partei der Großgrundbesitzer, die Konservativen, hatte nur dank dem Zensuswahlrecht Einfluss ausgeübt und wurde mit den allgemeinen Wahlen förmlich hinweggefegt. Aus der Vorkriegszeit hatte als einzige große und im Parlament vertretene Formation die Liberale Partei überlebt: Sie wies dynastische Züge auf, denn die Stellung der Familie Brătianu war beinahe allmächtig, und baute Groß-Rumänien nach 1918 in autoritärer Weise auf. Der Rest des Parteiensystems musste sich erst formieren. Da war zum einen die Gefolgschaft des Generals Averescu, der zu Beginn der 1920er Jahre einen ebenso kometenhaften Aufstieg wie tiefen Fall erlebte; zum anderen die Agrarsozialisten unter der Führung des Lehrers Ion Mihalache mit ihrem Schwerpunkt in Südrumänien; drittens gab es die siebenbürgisch-rumänische Nationalpartei, die bis 1918 die schichtenübergreifende rumänische Vertretung gegen die nationalistische Politik der Budapester Regierung gewesen war; viertens ein dauerhaft instabiles rechtsnationalistisch-antisemitisches Lager; fünftens ein politisch wenig bedeutsames linkes Spektrum aus Sozialdemokraten und den wegen staatsfeindlicher Tätigkeit bald verbotenen Kommunisten. 1926 schlossen sich Bauernpartei und Nationalpartei zur Nationalen Bauernpartei zusammen und bildeten neben der Liberalen Partei die zweite große demokratische Formation. Da Parteien und Fraktionen ganz auf ihre Führer ausgerichtet waren und der Monarch besonders in den 1930er Jahren stark in das Innenleben der Parteien eingriff, entstand in der Zwischenkriegszeit keine dauerhafte, stabile Konstellation.2

Nach 1918 war das neue Groß-Rumänien zudem von mehrfachen strukturellen tektonischen Linien durchzogen:3 Das zuvor ethnisch relativ homogene Altreich wies nun – mit fast verdoppelter Staatsfläche – beinahe dreißig Prozent ethnische Minderheiten auf – Ungarn, Deutsche, Bulgaren, Ukrainer, Russen, Türken sowie Juden (die Jiddisch, Ungarisch, Deutsch, Russisch und Rumänisch sprachen) –, von denen viele aufgrund jahrhundertealter imperialer Traditionen politisch und gesellschaftlich über den Rumänen gestanden hatten und sich mit ihrer Rolle als Minderheit nur mühsam oder gar nicht abfanden, während Minderwertigkeitsgefühle und die Unsicherheit, ob Rumänien als Nachfolgestaat großer Imperien wirklich Bestand haben würde, den rumänischen Nationalismus befeuerten. Bruchlinien bestanden aber auch zwischen den Rumänen im sogenannten Altreich (Regat, also Walachei und Moldau) und den habsburgisch (Siebenbürgen, Banat, Bukowina) und russisch (Bessarabien) beeinflussten Gebieten. Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe kann jahrhundertealte kulturelle Prägungen und politische Zugehörigkeiten nicht über Nacht verschwinden lassen. Und so war der Regionalismus zwischen den Rumänen neben der Minderheitenfrage ein Phänomen, das Männer wie Ion Zelea Codreanu als schwere Bedrohung der rumänischen Nation ansahen. Aber auch Währungen und Verkehrswesen waren im neuen Staat erst aufeinander abzustimmen, ebenso das Bildungswesen und überhaupt die Vorstellung von Staat, Beamtenschaft und parlamentarischem Leben. Diese Bruchlinien in dem großen Staat, den 1914 kein ernsthafter rumänischer Politiker als reale Möglichkeit angenommen hätte, waren so tief und sichtbar, dass die Eliten Groß-Rumäniens alles unternehmen mussten, um sie zu überbrücken und langfristig zu beseitigen.

Der Augenblick des Triumphs der nationalrumänischen Idee fiel mit ausgeprägter Revolutionsfurcht sowie innen- und außenpolitischer Instabilität zusammen: Revisionistische Nachbarn wie Ungarn, das 1920 im Vertrag von Trianon die Grenzen nur widerwillig und gleichsam unter Vorbehalt akzeptierte; die Sowjetunion, die den Verlust Bessarabiens nie offiziell hinnahm und die rumänische Ostgrenze nicht anerkannte; Bulgarien, das in das Schwarzmeergebiet der Dobrudscha Guerillakämpfer schickte; kommunistische und sozialistische Agitatoren, die bis 1920 Streikwellen organisierten, in Zusammenarbeit mit den sowjetischen Bolschewiken sogar einen Anschlag auf das Parlament in Bukarest unternahmen; eine schwere Wirtschaftskrise in den unmittelbaren Nachkriegsjahren; die nur schleppend umgesetzte Landreform. Jene, die sich als Führer Groß-Rumäniens ansahen, hatten Grund zur Sorge. Das Aufkommen einer nationalistischen extremen Rechten ist vor dem Hintergrund dieser starken Stimmungsgegensätze, einer emotional ungewöhnlich aufgeladenen gesellschaftlichen Atmosphäre zu sehen, in der soziopolitischer und nationaler Aufbruch in eine moderne Massengesellschaft mit ausgeprägten Verlustängsten zusammenprallte.4

Die politischen Eliten reagierten überwiegend mit Repression und dem Auf- und Ausbau eines Sicherheitsapparats, der oft auch gegen unbescholtene Bürger gewaltsam vorging. Am eindrücklichsten aber war die Effizienz des Geheimdienstes Siguranţa, der immer tiefer in die Kapillaren der Gesellschaft vordrang und in seiner Bekämpfung vermeintlicher und echter Gefahren die Furcht vor Zersetzung von innen und Feinden von außen aber noch verstärkte. Die Nachrichtendienste erstellten immer längere Listen von Staatsfeinden: linke und (weniger gefürchtet) rechte Extremisten, ethnische und auch religiöse Minderheiten. Denn Groß-Rumänien war nicht nur multiethnischer, sondern auch multireligiöser geworden. Schon vor 1914 hatten zahlreiche Juden im Lande gelebt, in der Dobrudscha auch Muslime. Nach 1918 gab es aber plötzlich zwei rumänische Groß-Kirchen im Land, nämlich neben der etablierten orthodoxen Kirche die unierte Kirche, also jener Teil der Orthodoxie, der sich zwischen 1698 und 1701 in Siebenbürgen und später dem Banat in einer Kirchenunion dem Papst unterstellt hatte. Diese Unierten hatten das rumänische Nationalgefühl westlich der Karpaten seit dem 18. Jahrhundert signifikant geschaffen. Für die Orthodoxen waren sie abweichlerische Schismatiker, selbst sahen sie sich als intellektuelle Bannerträger der Nation. Die Verfassung von 1923 erkannte beide als nationale Kirche an, gab der orthodoxen Kirche aber den Vorrang.5 Seit 1918 gab es aber auch starke protestantische (lutherische und reformierte) Kirchen sowie die katholische Glaubensgemeinschaft. Die russifizierte orthodoxe Kirche in Bessarabien hingegen musste erst rumänisch gemacht werden. Als Staatsfeinde galten die neoprotestantischen Kirchen wie Adventisten und Baptisten, die besonders im Osten anwuchsen.

Groß-Rumäniens Eliten waren von Phobien geprägt, sahen sich allenthalben bedroht, und sie kannten nur eine Sprache, jene der staatlichen Gewalt, und nur ein Modell der staatlichen Organisation, jenes des französischen Zentralismus, der das heterogene Land zusammenbringen, -zwingen und -halten sollte. In der Zwischenkriegszeit griff daher fast jede Regierung zum Kriegsrecht – in der Grenzregion zur Sowjetunion, Bessarabien, galt es fast durchgehend, aber auch in anderen Landesteilen wurde es verhängt, so um Wahlen zu manipulieren. Eine freie Presse und freie Wahlen entwickelten sich in Rumänien zwischen 1918 und 1938 nur in Ansätzen.6 Aus der Zeit vor 1914 wurde das System übernommen, dass der König vor den Wahlen jene Regierung ernannte, die die Wahlen durchführte und unter Ausnützung des staatlichen Machtapparats auch gewann. Der König aus der seit 1866 regierenden Dynastie der süddeutschen katholischen Hohenzollern war zwar konstitutioneller Monarch, doch war seine Stellung stark, und ein machtbewusster Monarch, das sollte Carol II. zeigen, vermochte die Verfassung aus den Angeln zu heben. In Rumänien galt bei Wahlen die »Regierungsmitgift«, ein Zuschlag von fünfzig Prozent der Sitze für die jeweils stärkste Partei. Gemeint war damit aber auch, dass die Regierung über willfährige Präfekten, Gendarmen und Geheimdienste Wahlen fälschen, Wähler einschüchtern, Kandidaten der Opposition vom parlamentarischen Leben fernhalten konnte, beispielsweise durch die vor Wahlen beliebte Verhängung von Quarantänezonen im ländlichen Raum. In der Provinz bedeutete jede Wahl Gewalt: prügelnde Gendarmen, bezahlte Schläger der Großparteien, Gewalt durch den freizügigen Ausschank von Schnaps an die demokratieunerfahrenen bäuerlichen Wählermassen.

In dieser Atmosphäre von struktureller Gewalt durch Staat und Gesellschaftssystem und offener physischer Gewalt durch Schlägerbanden und Bauernunruhen waren Ion Zelea Codreanu und seine Familie in den Jahren vor dem Weltkrieg sozialisiert worden.

»Apostel« in einem sozialen Krisengebiet: der Vater

Mitte der 1930er Jahre, als sein Sohn die Ikone des rumänischen Nationalismus geworden war, begeistert verehrtes Symbol zweier Generationen radikalisierter Studenten, Bauern, Aristokraten und Arbeiter, veröffentlichte Ion Zelea Codreanu eine kurze Autobiografie Wie ich zum fanatischen Glauben an die Propagandamacht des Buchs gelangte.1 Codreanu zeichnete das Leben eines romantischen Kämpfers für die Freiheit der rumänischen Nation. Aufgewachsen in der österreichischen Bukowina, habe er schon als Kind von einem großen und unabhängigen Rumänien geträumt, von den Siebenbürger Aufstandsführern Horea und Avram Iancu gelesen; im Elternhaus seien Lieder von Stefan dem Großen und den rumänischen Siegen im Balkangebirge (1877) gesungen worden; verehrt habe er die Heiducken, die Robin Hoods Rumäniens. Am Gymnasium von Suceava habe er seine Schulkameraden agitiert, und nachts hätten sie sich bei der Ruine der alten Festung Stefans des Großen versammelt und gelobt, mit der Waffe in der Hand eine bessere Zukunft zu schaffen.

Da er in Österreich keine Zukunft sah, ging Ion Zelea Codreanu in nächtlichem Dunkel über die Grenze nach Rumänien: Mit Blick auf die Lichter von Suceava schwor er, die »verfluchte Grenze« nur mit dem Schwert in der Hand wieder zu überschreiten. In Iaşi, der alten Hauptstadt der Moldau, zu der bis 1775 die Bukowina gehört hatte, wurde er von führenden Professoren der Universität freundlich aufgenommen. Die Namen, die er nannte, sind bedeutend für die Wissenschafts- und Politikgeschichte Rumäniens: Alexandru D. Xenopol (1847–1920), damals Rektor der Universität und Nationalhistoriker; Ion Găvănescu (1859–1949), einer der Gründer der Pädagogik in Rumänien, und der Lehrstuhlinhaber für Politische Ökonomie, Alexandru Constantin Cuza (1857–1947), die beide bereits damals führende Vertreter des radikalen universitären Antisemitismus waren. Ion Zelea Codreanu wurde an der Universität sogleich politisch aktiv – als Präsident des Nationalen Studentenkomitees, Vizepräsident des Vereins »Solidarität« und Studentendelegierter im Komitee der »Kulturliga«. Die Tätigkeit in diesen nationalistisch-irredentistischen Vereinen war ihm aber bald nicht mehr genug: Er organisierte den Schmuggel national-rumänischer Propagandaschriften in die österreichische Bukowina. Denn, so schrieb er, er habe instinktiv gespürt, dass sich das Schicksal der rumänischen Nation bald erfüllen würde. Wie sein Sohn Corneliu nach 1918 hatte Ion Zelea Codreanu seinen politischen Weg an der Universität begonnen, und einige seiner Lehrer sollten auch jene seines Sohnes werden.2

Als Ion Zelea Codreanu von der Universität abging, kam er als Hilfslehrer an das Gymnasium von Huşi. Der Ort lag nur wenige Kilometer vom Pruth entfernt, dem Grenzfluss zum Zarenreich, ein Bezirkshauptstädtchen mit, wie in der Moldau üblich, starker jüdischer Bevölkerung. Wie die Bukowina hatte auch das Gebiet östlich des Pruth bis zum Dnjestr (rumänisch: Nistru) einst – bis 1812 – zum Fürstentum Moldau gehört. Codreanu blickte über die geschlossene Grenze und entwickelte einen tiefen Hass, wie er schrieb, auf Russen und die Slawen im Allgemeinen.3 Als er nach Huşi kam, gab es jenseits des Pruth im Gegensatz zur Bukowina keine rumänische Nationalbewegung. Bessarabien erschien ihm »wie ein verschlossenes Grab«, weiter weg als Afrika oder Amerika. Und er dachte darüber nach, wie er das verlorene Land infiltrieren könnte.

Tatsächlich gelang ihm unter einem Vorwand die Einreise nach Russland, und er fuhr im Winter mit einem Schlitten bis in die Provinzstadt Bălţi, wo er zu örtlichen rumänisch gesinnten Nationalaktivisten Kontakt aufnahm. Zurück in Rumänien, war Codreanu der Pläne voll: Heiraten über die Grenze hinweg, Stipendien für die Ausbildung in Rumänien, Erleichterung grenzüberschreitender Reisen, Einschleusen rumänischer Propaganda und schöner Literatur, die in Russland verboten war. Er eilte nach Iaşi zu den befreundeten Professoren Cuza und Găvănescu, dazu dem Mediziner Corneliu Șumuleanu (1869–1937, später führender Legionär) und dem Bischof von Huşi, Nicodim Munteanu (1864–1948, später Abt des legionär ausgerichteten Klosters Neamţ, 1939–1948 Patriarch der Rumänischen Orthodoxen Kirche). Er organisierte Vorträge und Bälle zur Sammlung von Spenden für die »Zwillingsbrüder« jenseits des Pruth. So baute er Kontakte zu jenen bessarabischen Politikern auf, die 1918 die Vereinigung des Gebietes mit Rumänien vollziehen und in Groß-Rumänien eine führende Stellung einnehmen sollten: Pan Halippa (1883–1979) und Ion Pelivan (1876–1954).

Ion Zelea Codreanus Erinnerungen sind lückenhaft: Er geht nur einem Strang seines politischen Lebens nach, seinem leidenschaftlichen Irredentismus, seinem Traum von einer Vereinigung aller Rumänen. Nur in Ansätzen wird seine eigentliche Obsession deutlich: die »Überfremdung« Rumäniens durch die im 19. Jahrhundert vor allem in die Moldau aus Russland eingewanderten aschkenasischen Juden. Auch geht er darüber hinweg, wo er politisch sozialisiert worden war, da er und sein Sohn 1936, als er seine Broschüre schrieb, längst mit jenen Männern gebrochen hatten, die die tatsächlichen Mentoren des politischen Antisemitismus im Vorkriegsrumänien waren, nämlich A.C. Cuza und Nicolae Iorga (1871–1940). Während Cuza im kommunistischen Rumänien tabuisiert war und erst unlängst von der Forschung wiederentdeckt worden ist, galt der Historiker Iorga schon zu Lebzeiten als eine Art wissenschaftlich-kultureller Vater des Vaterlandes; in kommunistischer Zeit wurde Iorga Gegenstand großer Verehrung, die in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unkritisch bis heute anhält.4

Iorga und Cuza gründeten im April 1910 die Nationalistisch-demokratische Partei, in die auch Ion Zelea Codreanu eintrat und in der er alsbald eine führende Rolle übernahm. Ein wichtiges Sprachrohr der Partei war die von Iorga seit 1906 herausgegebene Zeitung Neamul românesc (Das rumänische Volk). »Neam« fasste Iorga als nationale Abstammungsgesellschaft auf, und das Bedeutungsfeld öffnet sich zwischen den Polen Volk (wie im Sinne des Völkischen) oder Rasse.5 In dieser Zeitung erhielt Codreanu-Vater eine mediale Plattform und auch Unterstützung und daher Ansehen durch Professoren der Universität Iaşi. Wer ihm durch die Spalten der Zeitung folgt, deren Frontseite oft mit Historienbildern rumänischer Heldenfürsten des Mittelalters oder rumänischer Bauern in Tracht geschmückt war, erhält Einblick in jene Ideen- und Lebenswelt des Provinzantisemitismus, irredentistischen Ultranationalismus und Militarismus, in der der spätere Führer der Legion, Corneliu Zelea Codreanu, aufwuchs.

Ion Zelea Codreanu war zum Zeitpunkt der Parteigründung Gymnasiallehrer für Deutsch in Huşi und war zeitweise auch Rektor der Schule. Seine Arbeit empfand er als »Apostolat«, sein Sendungsbewusstsein war groß. Er verfasste sogar eine Broschüre zur Schulreform, wobei er unter dem Eindruck des veränderungswilligen Erziehungsministers Spiru Haret stand. Die Arbeitsbedingungen in einer Schule unweit der russischen Grenze aber waren trist: Zugluft, fehlende Heizung, feuchte Räume, frierende Schüler.6 Codreanu selbst interessierte sich sehr für die Schüler und deren Anliegen – sofern sie Christen und nicht Juden waren. Sich selbst sah er als sozialen Aufsteiger und bekannte sich bei Parteiversammlungen neben dem hochadeligen Cuza und dem aus einfachem Bojarenadel stammenden Iorga als »Bauer«.7

In seiner Rede am Gründungskongress der Nationalistisch-demokratischen Partei im April 1910 wurde Codreanu umjubelt: »Wir kommen in der elften Stunde«, rief er aus, »wir sind vom Untergang bedroht … in einer Lage, wie sie die Geschichte keines anderen Volkes kennt.« Er zeichnete das Bild steigender Säuglingssterblichkeit und sinkender Geburtenrate bei christlichen Rumänen, der biologischen Degenerierung in den Dörfern, die dem Land keine guten Rekruten mehr stellten, er erinnerte an Zehntausende Pellagrakranke, eine Mangelerscheinung als Folge des Verzehrs von verdorbenem Mais, beschwor den Untergang der rumänischen Mittelschicht – und kontrastierte dies mit dem Wachstum der jüdischen Bevölkerung und deren wirtschaftlichem Erfolg.8

Codreanus Untergangsvisionen und seine politischen Forderungen stammten nicht von ihm. Er gab nur wieder, was die von ihm bewunderten Universitätsprofessoren von ihren Lehrkanzeln seit langem verkündeten, was rumänische Politiker und Dichter seit Jahrzehnten in Wort und Schrift verbreiteten. Besonders A.C. Cuza verstand unter »Politischer Ökonomie« eine Wissenschaft, die beweisen sollte, dass die Juden die rumänische Nation zerstörten: Codreanus demografische Ängste speisten sich aus Cuzas Buch Über die Bevölkerung (1899), die Bedrohung des Mittelstands aus einer Schrift Cuzas von 1890, das Interesse für die Bauern unter anderem aus Cuzas Die Bauern und die leitenden Klassen (1895). Und niemand war mehr von der Furcht vor den Juden besessen als Cuza.9

Codreanu verlieh dem schon traditionellen Antisemitismus und dem Irredentismus eine eigene Note: Begriffe wie »Errettung«, »Erlösung«, »Apostel« verstand er tatsächlich in ihrer vollen religiösen Dimension. Ion Zelea Codreanu war ein tiefgläubiger Mann, wobei »Glaube« bei ihm die Hingabe an eine sakralisierte Nation bedeutete, die aber eine weitere transzendente Dimension aufwies und eben nicht nur eine irdische.10 Der Vater des späteren Legionsführers war zutiefst überzeugt davon, dass die rumänische Nation am Abgrunde stehe, bedroht von korrupten Parteien und Juden, die Wirtschaft und Kultur der Rumänen zersetzten. Damit war er in der rumänischen Gesellschaft nicht allein. Doch selbst im Umfeld der Partei Iorgas fiel er mit seinem religiös geprägten Fanatismus und seinem ausgesprochenen Antisemitismus auf.

Was Cuza, Iorga oder Codreanu als »jüdische Frage« bezeichneten, war um 1900 in der rumänischen Geschichte ein eher junges Phänomen. Zwischen 1800 und 1900 war die Zahl der jüdischen Bevölkerung von rund 12.000 auf knapp 200.000 gestiegen, wobei eine besonders starke Zuwanderung zwischen 1830 und 1840 erfolgt war (von 37.000 auf rund 80.000). Die Zuwanderer kamen vor allem aus dem Russischen Kaiserreich, besonders dem sogenannten Ansiedlungsrayon für Juden, wo sich die Lebensbedingungen drastisch verschlechtert hatten. Sie konzentrierten sich auf die Moldau, wo sie 1900 10,62 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten, in den als Städten verzeichneten Siedlungen aber 20,27 Prozent. Die moldauische Hauptstadt Iaşi war zur Hälfte zu einer jüdischen Stadt geworden, viele Landstädtchen hatten eine jüdische Bevölkerungsmehrheit erhalten. Tatsächlich wies die jüdische Bevölkerung ein höheres Bevölkerungswachstum auf als die christliche. Die jüdische Bevölkerung unterschied sich in Sprache (Jiddisch) und lange auch durch Kleidung von der rumänischen Gesellschaft der Moldau.11 Die starke Einwanderung wurde im Sinne einer Laissez-faire-Politik des Fürstentums Moldau lange geduldet. Die Zuwanderer erlangten eine führende Stellung im Handwerk, im Gastgewerbe sowie dem Kleinkreditwesen und wurden zunehmend von den adeligen Großgrundbesitzern als Pächter herangezogen. Es entstand eine jüdische Zwischenschicht in der sozial stark polarisierten rumänischen Gesellschaft.

Von einer derart umfangreichen Zuwanderung wäre auch eine stabilere Gesellschaft nicht unbeeinflusst geblieben. Im seit 1859 bestehenden rumänischen Staat gerieten die Juden zwischen die Fronten von Hochadel und abhängigen Bauern und wurden für jene Kräfte zum Sündenbock, die im neuen Staat auf eine umfassende Modernisierung hofften. 1866 wurde daher ein Einbürgerungsverbot für Juden verhängt. Die moldauischen und dann rumänischen Eliten waren sich im Umgang mit den Immigranten nicht einig: Zwischen 1848 und 1864 schien eine Emanzipation nicht ausgeschlossen. Im jungen Nationalstaat aber änderte sich dies, als Schriftsteller und Dichter wie der Nationalpoet Mihai Eminescu in den Juden eine »übergeschobene Schicht« sahen. Zum Brennpunkt des intellektuellen Antisemitismus entwickelten sich die beiden Universitäten Bukarest und vor allem Iaşi, wo Iorga und Cuza 1895 die Alliance antisémite universelle als Gegenstück zu supranationalen jüdischen Verbänden wie der 1860 in Frankreich entstandenen Alliance israélite universelle gründeten. Die antisemitische Agitation an den Hochschulen war so stark, dass aus jüdischer Perspektive »Student« und »Antisemit« gleichbedeutende Begriffe waren.12

Das negative Bild der Juden wurde aber auch auf andere zugewanderte Gruppen übertragen, wodurch sich das rumänische Selbstverständnis immer mehr im Sinne des von Iorga propagierten neam (Abstammungsgemeinschaft) veränderte. Die Walachei und die Moldau hatten seit dem Mittelalter Zuwanderer angezogen. Die rumänische Gesellschaft war den Umgang mit kulturell anderen also seit langem gewohnt und besaß auch erstaunliche Assimilationskraft. Doch mit dem Blick auf Städte wie Iaşi mit rund fünfzig Prozent jüdischer, oftmals jiddischsprachiger Bevölkerung bekundeten rumänische Nationalaktivisten starkes Unbehagen: Sie bekämpften das, was sie als gefährlichen Kosmopolitismus ansahen, und sie fürchteten, nichtchristliche Zuwanderer würden sich nicht mehr anpassen, sondern vielmehr jene gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Positionen einnehmen, von denen die Modernisierung des Landes abhing.

Hinzu kam die Furcht vor gesellschaftlichen Veränderungen, dem Einbruch der Moderne in dieses lange Zeit periphere europäische Land, das sich seinen Platz auf der mentalen Landkarte Europas erst suchen musste. Auf dieser Suche nach dem echt Rumänischen wandten viele Intellektuelle im romantischen Geist der Epoche ihren Blick zum Dorf und zu den Bauern.13 Nicolae Iorga entwarf eine eigene Ideologie des Agrarpopulismus, den »Sämannskult«, in dem er die Bauern als Träger des nationalen Spezifikums verklärte. Spätestens aber mit diesem Blick auf das Ländliche – der von den russischen intellektuellen »Volkstümlern« (Narodniki) nicht unbeeinflusst war – sahen sich die Nationalaktivisten mit der sozialen Frage konfrontiert. Der erste Fürst der vereinigten Fürstentümer Walachei und Moldau, Alexandru Ioan Cuza, hatte 1864, also drei Jahre nach der Bauernbefreiung durch Zar Alexander II. in Russland, ebenfalls eine Bauernreform durchgeführt, die aber scheiterte. Der wirtschaftliche Druck auf die Bauern stieg mit dem neuen, stark an Profit orientierten System, dem jede Abmilderung durch patriarchale Bräuche fehlte. Die Bauern waren mit den Veränderungen überfordert. Achtzig Prozent der rumänischen Bevölkerung lebten am Land, wo die Lebensbedingungen drückend waren. Analphabetismus (1899 im ländlichen Raum: 84,5 Prozent), Mangelernährung und dadurch verursachte Krankheiten wie die Pellagra sowie Alkoholismus waren weit verbreitet. Da sie das neue Wirtschaftssystem in den Dörfern vertraten, wurden die Juden in der Wahrnehmung der rumänischen Bauern zur Bedrohung, und nicht die Bojaren, die sich physisch zurückzogen. Die Idealisierung des rumänischen Dorfes und die Propagierung von dessen Gefährdung durch Juden erfolgten durch Teile einer Elite, die sich oftmals weigerte, ihre Güter selbst zu bewirtschaften.14

Wer wie Ioan Zelea Codreanu um 1900 im östlichen Rumänien lebte, für den war die Agrarfrage kein abstraktes Problem. 1905 erhoben sich im Russischen Reich mit den Arbeitern und der städtischen Bevölkerung auch die Bauern, und zwar auch jene in Bessarabien. Rumänische Intellektuelle sahen in der bessarabischen Revolution darüber hinaus eine nationale Erhebung gegen die russische oder russifizierte Oberschicht und den Staat.15 Rumänen wie Ion Zelea Codreanu hofften auf ein nationales Erwachen der rumänischsprachigen Bevölkerung jenseits des Pruth. Da erfasste der bäuerliche Unmut Rumänien selbst.

Aufgrund steigender Belastungen durch Pachtverträge kam es in der Moldau am 7. März 1907 zu Zusammenstößen zwischen Bauern und jüdischen Pächtern.16 In kürzester Zeit erfasste ein gewaltiger Flächenbrand das ganze Land: Zwischen dem 19. März und dem 13. April 1907 brach sich der aufgestaute Hass auf die jüdischen Pächter Bahn – viele wurden misshandelt, Gutshöfe wurden gestürmt und niedergebrannt, Provinzhauptorte angegriffen, überall die Parole »Wir wollen Land« verkündet. Der Funke sprang bald auf den südlichen Landesteil, die Walachei, über. Der Aufstand war spontan und ohne zentrale Führung. Vielerorts aber stellten sich Lehrer, seltener Priester an die Spitze der Aufständischen. Große Sympathie genossen die Bauern an den Universitäten, und die Bauern begrüßten die Studenten, die zumeist als Freunde und Befreier in die Dörfer eilten. Iorga veröffentlichte den Artikel Gott vergebe ihnen (bezogen auf bäuerliche Gewalt), der ihm und seinen Sympathisanten (wie Ion Zelea Codreanu) den Hass der besitzenden Schichten eintrug. Der Staat schlug mit großer Härte zurück, ließ ganze Dörfer militärisch stürmen, besonders renitente sogar bombardieren. Zehntausende Bauern gerieten in Gefangenschaft, mehrere Tausend sollen von der Armee, die Alexandru Averescu kommandierte (auch er, wie alle namentlich Genannten, eine wichtige Gestalt im Leben Corneliu Codreanus), getötet worden sein. Rumänien, das sich kurz zuvor in einer Landesausstellung als moderner Staat mit Zivilisationsmission im Osten selbst gefeiert hatte, war bis in seinen tiefsten Kern erschüttert.17

Für die antisemitischen Aktivisten an der Universität und ihre Gefolgsleute in der Provinz bedeutete der Aufstand aber einen Weckruf.18 Die Parteigründung durch Iorga und Cuza erfolgte vor diesem Hintergrund, und so begann auch die parteipolitische Laufbahn Ion Zelea Codreanus in einem gewaltgeprägten Umfeld.

Theorie und Praxis des Provinzantisemitismus

Zwischen 1903 und 1918 bildeten Ostrumänien und Bessarabien einen Gewaltraum, in dem die Revolution von 1905 und der Aufstand von 1907 nur sichtbare Höhepunkte bildeten.1 In beiden Bauernaufständen wurden Gewalt entgrenzt und gesellschaftliche Schranken niedergerissen. Im Fall Rumäniens kam hinzu, dass die bäuerliche Gewalt wohl noch eruptiver, weniger gesteuert und gelenkt war als in Russland, dafür jedoch angesichts der ansonsten geltenden ethnischen Homogenität zwar keine nationalen, wohl aber antisemitische Töne zu hören waren. Beidseits des Pruth breitete sich der Antisemitismus stark aus. Die bessarabische Hauptstadt Chişinău war 1903 Schauplatz eines der schwersten Pogrome im Zarenreich. Extrem vehement wüteten im Südwesten Russlands die gegen die angeblich besonders revolutionsaffinen Juden etablierten Schwarzen Hundertschaften, Schlägertrupps, deren führendes Mitglied, Pavel A. Kruševan, mit A.C. Cuza in Beziehung stand und an dessen Grab Codreanus Vater 1922 an einem Gedenkgottesdienst teilnahm. Als »Legion Erzengel Michael« organisierte Vladimir M. Puriskevič (der 1916 am Mord an Rasputin beteiligt war) 1908 antisemitische Banden. Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung kennzeichneten auch die Bauernrevolte in der Moldau 1907. Die Niederschlagung der Revolutionen durch die russische respektive die rumänische Armee forderte zahlreiche Opfer und machte den Staat zu einem massiv physische Gewalt ausübenden Akteur. Dies galt auch, da Steuern mit dem Prügel eingetrieben wurden und Beamte im ländlichen Raum oftmals nur der verlängerte Arm der regional mächtigen Grundbesitzer waren. Gewalttätig war auch das politische Leben, wie es Ion Zelea Codreanu als Kandidat der Nationalistisch-demokratischen Partei erlebte, als er im Wahlkampf von Schlägern eines Kontrahenten schwer misshandelt wurde (Februar 1911).2 Wer in Rumänien für die Opposition kandidierte, musste mit der Beschlagnahmung von Wahlmaterial ebenso rechnen wie mit Schikanen der Gendarmerie, körperlichen Angriffen durch bezahlte Schläger und Fälschung der Wahlergebnisse.

Freilich schreckten auch Codreanus Parteifreunde vor Brutalität nicht zurück: A.C. Cuza ließ im Dezember 1911 in Iaşi eine sozialdemokratische Parteiversammlung durch Schläger stürmen. Gewalttätig und zu Gewalt aufstachelnd war schließlich auch die politische Sprache der Partei Iorgas und Cuzas, in der Codreanu sozialisiert wurde. Das Programm der Partei widmete sich zwar vorrangig der Bauernfrage und einer protektionistischen Wirtschaftspolitik, doch setzte A.C. Cuza durch, dass die »Eliminierung der Juden« aus Gesellschaft und Wirtschaft Rumäniens festgeschrieben wurde. In Iorgas Zeitung propagierte Cuza im Januar 1910 seine Haltung: »Die Juden ersäufen die Moldau … Die Juden müssen aus der Moldau entfernt werden, oder zumindest sollte man verlangen, dass die täglich wachsende Einwanderung … eingedämmt werde.« Zwischen den 1880er und den 1940er Jahren änderte Cuza seine Diktion nicht.3

Ion Zelea Codreanu war von Cuza und Iorga tief beeindruckt und fühlte sich ihnen persönlich verbunden. Cuza wurde denn auch Pate von Codreanus Erstgeborenem, Corneliu. Die Konsequenzen, die Codreanu aus der Vorstellung einer drohenden sozialen und nationalen Katastrophe zog, waren aber andere als jene der Professoren: Er wollte handeln, organisieren, Widerstand leisten. Er war kein Theoretiker des Antisemitismus, sondern sah sich als Mann der Tat. Ebenso wie er die Schule neu organisieren wollte, meldete er sich auch in der Partei mit Vorschlägen. Zwei Lebenskräfte erkannte er an, die Wahrheit und die Organisation. Wahrheit liege im Kampf für eine »entrechtete Rasse« und die Weckung des »Lebensinstinktes unseres Volkes«. Aus diesen sozialdarwinistischen Parolen leitete er ein praktisches Programm ab, das er im Gegensatz zu Iorga und Cuza umsetzte. Im Hochsommer 1912 zog er in Tracht durch die Dörfer der Moldau zu den dörflichen Meinungsmachern, von denen er gerne aufgenommen wurde. Zu den Bauern sprach Codreanu im übergeworfenen Bauernmantel und mit eingestecktem Revolver. Codreanu redete nicht nur, er handelte auch und gründete Lesesäle und Parteiklubs. Die Behörden, immer noch unter dem Eindruck der Revolution von 1907, sahen in ihm einen gefährlichen Agitator und Anarchisten.4

Verehrtes Vorbild der Organisation war für Codreanu die Armee, in der er im Gegensatz zu den Parteien jene Ideale verwirklicht sah, denen er huldigte: »unbesiegbare Kraft«, »Wahrheit«, uneigennütziges Apostolat für die Nation. Als Rumänien Österreich-Ungarn 1916 mit dem Ziel angriff, die rumänischen Siedlungsgebiete der Donaumonarchie zu erobern, nahm Ion Zelea Codreanu als Offizier teil. Während die Professoren die Schützengräben mieden, kämpfte er an der Front und wurde mehrfach ausgezeichnet.5 An die Front gefolgt war ihm sein minderjähriger Sohn Corneliu, der die politischen Ideen des Vaters – Antisemitismus, Ultranationalismus, Irredentismus, Militarismus, Niedergangsfurcht – aufgesogen hatte.

Ion Zelea Codreanu war kein Irrläufer an der Peripherie Rumäniens – sein symbolisches Kapital gewann er, weil er neben Professoren wie Iorga und Cuza stand, die ihn in die Partei aufnahmen und legitimierten. Für Codreanu war die radikal-antisemitisch-nationale Politik eine Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg. Ein Karrierist aber war er nicht – er bereicherte sich nicht wie die meisten Politiker. Er war ein Fanatiker, überzeugt von einer endzeitlichen Mission, der nur in Kategorien wie »Wahrheit« und »Lüge«, »Erlösung« oder »Untergang« denken konnte: »Ideen zur Rettung von Volk und Land habe ich seit meiner Kindheit genährt«, erklärte er stolz 1933 in einem Polizeiverhör. Deutlich wird sein Hang zur Mystik, zur Heiligenverehrung, sein Drang hin zur Kirche und zum Klerus – Dinge, die Iorga wie Cuza fremd waren. Er zeigte sich aber in seinem exaltierten Fanatismus auch so kleinlich, dass er vor 1914 Prozesse mit Eltern jüdischer Schüler ausfocht und noch in der Zwischenkriegszeit die Wahl eines jüdischen Sprechers seiner Schulklasse bekämpfte. Ion Zelea Codreanu hatte ein Alkoholproblem, und selbst Professoren, die wenige Jahre später mit seinem Sohn sympathisierten, hielten den Vater für »unzurechnungsfähig und gefährlich«.6

Der spätere Führer der »Legion Erzengel Michael« übernahm viel von seinem Vater, der ihm ein politischer Lehrmeister war – Ideologie, Militarismus, Romantik und Mystizismus, die Universität als Ort der politischen Sozialisierung, nicht aber das Exzessiv-Ausufernde, nicht das Talent zur Rede, das Kumpelhafte des populistischen Agitators. Der Sohn des exaltierten Redners auf den Bauernmärkten der Moldau sollte sich vielmehr – auch in seinem Selbstverständnis – vom Agitator radikalisierter Studenten zum mönchisch-asketischen, schweigenden Ordensritter und Meister des antisemitischen Ultranationalismus entwickeln. Und im Gegensatz zu seinem Vater propagierte er nicht nur Gewalt, sondern schlug Gegner zusammen und griff zum Revolver, mit dem er auch tötete.

Eine nationalrumänische Familie

Seine politischen Überzeugungen setzte Ion Zelea Codreanu auch in seinem Familienleben um. Seine Familie baute er als nationales Modell auf, wobei auch hier die Form entscheidend war: Er selbst rumänisierte den Familiennamen und taufte seine Kinder nach einem nationalreligiösen Programm.

Ion Zelea Codreanu war am 10. August 1878 in Igeşti geboren worden, einem Dorf in der österreichischen Bukowina. In das Taufregister eingetragen wurde er unter dem Namen Ion Zilinschi (wobei die Schreibweise je nach Quelle zwischen Zelinschi oder Zilinschi variiert). Sein Vater Nicolaie, Sohn des Simion, Zilinschi war ein Bauer; seine Mutter war Agafia, Tochter des Bauern Lorenţu Antec und dessen Frau Maria Condac. 1898 heiratete er Eliza Brauner, Tochter des Carol und der Maria Brauner aus Rosieşti.1 Diese Daten sollten in den 1930er Jahren in Rumänien zu einem großen Politikum werden.2

War Corneliu Zelea Codreanu, Herold des radikalen Rumänentums, etwa selbst gar kein Rumäne? Als der rumänische Innenminister den Schauprozess gegen Codreanu im Frühling 1938 vorbereitete, wies er den Nachrichtendienst an, alle Angaben zur Familie Codreanu zu sammeln, um deren nichtrumänische Herkunft zu beweisen.3 Die gleichgeschalteten Medien schrieben nur noch von »Corneliu Zelinschi-Brauner«. Die Männer der Siguranţa, des Geheimdienstes, begannen eine Spurensuche, die sie an den Rand der rumänischen Welt führte, in das nicht immer reibungslose Räderwerk der lokalen Verwaltung. In den Ebenen der Bukowina verliefen sich diese Spuren; die Agenten stießen auch an die Grenze selbst habsburgischer staatlicher Effizienz: Die Eltern der Eliza Brauner etwa hatten bei der Geburt der Tochter keine Urkunde vorweisen können. Die Familien Condac und Antec, so die Sicherheitsbehörde in Iaşi, seien nicht zu eruieren. Und auch das Gemeindeamt in Codreanus Wohnort Huşi drang nicht eben weit in die Vergangenheit vor: Carol und Maria Brauner seien 1890 aus der Bukowina auf ein Gut im Dorf Gura Idrici im Bezirk Vaslui (südlich von Iaşi) gekommen und von dort im Jahre 1903 in den moldauischen Bezirk Tutova weitergezogen. Von den drei Kindern kannten die Behörden nur zwei mit Namen; der Sohn habe sich 1897 in die griechische Armee eingeschrieben, Eliza habe studiert (was damit gemeint war, wird nicht erklärt), die Eltern nach der Heirat ihrer Tochter die Gemeinde verlassen. Alle Spuren vor 1890 waren verwischt, da die Verwaltung das Archiv einfach verkauft hatte.4

Codreanus Gegner hielten es für erwiesen, dass die Familie ein deutsch-polnisch-ukrainisches Gemisch sei, aber kein Tropfen rumänischen Blutes in ihren Adern fließe. Anhänger des Legionsführers erinnerten daran, dass selbst die deutschstämmige Mutter orthodoxen Glaubens gewesen sei und die Konfession den rumänischen Charakter der Familie beweise. Tatsächlich deuten all die Namen in erster Linie auf die ethnische Mischung in einem Grenzraum hin, der die Bukowina und besonders deren Nordteil war, wo sich rumänische, ukrainische, polnische, ungarische und deutsche Bevölkerung verbanden. Namen sagen dabei über die ethnische Herkunft wenig aus. Legte man die Kriterien der rumänischen Regierungspropaganda gegen Codreanu auf die rumänische Bevölkerung von Ostrumänien an, müsste man sie zu erheblichen Teilen als nichtrumänisch einordnen.

Die Familie Ion Zelinschis ist zugleich ein Beispiel für eine Zeit, in der ethnische Eindeutigkeit und Zuordnung in kulturellen Übergangsräumen immer wichtiger wurden. Ion Zelinschis Elternhaus hatte, wie er selbst erzählt, rumänisches Brauchtum gepflegt. Welche Traditionen in der Familie Brauner herrschten, bleibt unbekannt. Ion Zelinschis Bekenntnis zum Rumänentum war ein kultureller Akt, der im österreichischen Gymnasium begann und mit der Namensänderung 1902 seinen Endpunkt erreicht: Die Gemeinde Iaşi publizierte im Amtsblatt den neuen Namen: Ion Zelea Codreanu. Der Name war Programm: Zelinschi (Grüner) wurde zu dem rumänisch klingenden Zelea entpolonisiert. Codreanu hingegen bezog sich auf das rumänische nationale Imaginarium: codru ist der dichte Laubwald, und der Wald ist im rumänischen Selbstverständnis Freund und Schutz in der Not, Rückzugsort im Freiheitskampf gegen fremde Unterdrücker. Die Codreanus bauten diesen nationalen Mythos in ihren Familienmythos ein, der sie als Nachfahren nationaler Freiheitskämpfer im Hochland einreihen sollte. Corneliu Codreanu schrieb 1935: »Mein Großvater war Waldhüter, der Urgroßvater gleichfalls. Von jeher war mein Geschlecht in Zeiten der Bedrängnis ein Geschlecht der Wälder und Berge.«5

Namen als politisches Manifest: So verfuhr Ion Zelea Codreanu auch bei der Taufe seiner Kinder, die aus der 1898 mit Eliza Brauner geschlossenen Ehe hervorgingen. Am 13. September 1899 um 22 Uhr kam der erste Sohn zur Welt, und zwar in der Golia-Straße in Iaşi, wo die Eltern in bescheidenen Verhältnissen lebten. Zeugen der Geburt waren zwei Dienstboten und ein Mann ohne Beruf. Getauft wurde der Knabe auf den Namen Corneliu, und zwar im Andenken an den heiliggesprochenen Märtyrer Cornelius. 1901 wurde die Tochter Rea-Silvia geboren, 1903 Iridenta-Cornelia, 1905 der Sohn Horia-Septimin, 1909 Ion, 1911 Cătălin und 1913 Decebal.6 Es war ein Namensprogramm, das sich aus christlichen Märtyrern und den Mythen von Dakern und Römern zusammensetzte und zugleich für ein großes Rumänien eintrat. Der Vater Codreanu projizierte zentrale Elemente des rumänischen Nationalismus auf seine Familie: die Vorstellung, dass die Rumänen von den antiken Dakern und den Römern abstammten, aber auch die Betonung der christlichen Tradition, wobei er aber in der Orthodoxie weniger bekannten Heiligen den Vorzug gab.

Die Familie organisierte er nach seinen politischen Prinzipien; er machte sie zu einer Kernzelle seines Erlösungsprogrammes und hatte damit Erfolg. Zeitlebens sollten die Geschwister zusammenhalten und den Auserwählten aus ihrer Mitte, Corneliu, unterstützen und verehren. Was es an intellektuellem Leben im Hause des Deutschlehrers gab, war rein nationalrumänisch. Auf dem Dachboden des Elternhauses las Corneliu Codreanu Iorgas Zeitungen (den Sämann und Neamul românesc), genauer die dort veröffentlichten antisemitischen Pamphlete A.C. Cuzas, denen er folgende Punkte entnahm: »Vereinigung aller Rumänen; Hebung des Bauernstandes durch Verleihung von Boden und politischen Rechten; Lösung der Judenfrage«. Ansonsten will er die rumänischen Klassiker gekannt haben. Das einzige Buch, das aber nachhaltig auf ihn Eindruck machte, war Alexandre Dumas’ Die drei Musketiere. Später meinte er: »Mich inspirieren nicht Recht und Philosophie, sondern Kriegskunst und -wissenschaft.«7 Die Geisteswelt des Jugendlichen war ebenso eng wie geschlossen: nationalistisch-antisemitische Propaganda und Ritterromantik. Dieses Weltbild sollte die Schule noch verstärken.

Ansonsten ist aus dem Innenleben der Familie wenig bekannt. In einem unveröffentlichten Tagebuch aus dem Jahr 1934 erwähnt Corneliu Codreanu einige Episoden, darunter jene, wie 1909 ein Lehrer in seiner Hand gelesen und prophezeit habe: Im Alter von 34 Jahren werde er große Not leiden; überstehe er diese, werde er sehr alt. Ebenfalls im Jahr 1909 besuchte er mit seinem Vater einen Ort, dem er zeitlebens eng verbunden blieb und der zu seiner Kraftquelle wurde: die Einsiedelei auf dem Berg Rarău, inmitten einer der eindrucksvollsten Berglandschaften der Ostkarpaten.8 Der codru, der Wald, wurde in der Familie Codreanu nicht nur als symbolhafter Teil des Namens verehrt, und später wurde nicht zufällig Grün die Farbe der Legion: Codreanu fühlte sich der Natur, vor allem den Bergen und Wäldern weit mehr verbunden als den Städten, die ihm fremd blieben und die es wegen ihrer ethnisch-kulturellen Andersartigkeit erst zu erobern galt. Sein offizieller Biograf Ion Banea schrieb Mitte der 1930er Jahre, Codreanu habe eine fröhliche Jugend verbracht, am liebsten Räuber und Gendarm gespielt und sich dabei nie besiegen lassen.9

Dem Erstgeborenen ließ der Vater eine strenge Erziehung angedeihen. Er schickte ihn an die eben gegründete Kadettenschule im Kloster Dealu in der Walachei, wo der militaristisch-nationalistische Geist besonders gepflegt wurde. Der Gründer der Schule, Kriegsminister Nicolae Filipescu, wollte eine nationale Elite schaffen, die er strengem Drill unterwarf und der er gleichzeitig die Bedeutung ihrer Mission vor Augen führte. Er wollte Rumänien »Generationen von Kriegern geben … Löwen wie jene aus den Märchen, in Ehrfurcht vor dem Herrn und nur vor dem Herrn«.10