Carolines einzige Liebe - Sylvia McKaylander - E-Book

Carolines einzige Liebe E-Book

Sylvia McKaylander

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Beschreibung

Um die Bauweise der amerikanischen Südstaaten zu studieren, reist Leo Anfang der 60er-Jahre nach Atlanta, doch durch das ungewohnt feuchtwarme Klima erleidet er einen Kreislaufkollaps. Als Leo aus der Ohnmacht erwacht, blickt er in das hübsche Gesicht Carolines und beide verlieben sich ineinander - ungeachtet der Tatsache, dass sie an einen Mann vergeben ist, der ihrem verzweifelten Vater aus einer finanziellen Notlage helfen kann. Leo kämpft um die mit ihrem Gewissen hadernde Caroline und legt sich dabei mit einem führenden Mitglied des Ku-Klux-Klans an, doch letztendlich muss er schwerverletzt flüchten, ohne seine große Liebe noch einmal wiederzusehen. Über vierzig Jahre später bekommt Leo einen Anruf, der ihn geschwind zurück in die USA an Carolines Krankenbett eilen lässt. Bekommen die Liebenden eine zweite Chance? Temporeicher "Mehr-Generationen" Roman, der gut zu lesen ist. Spannung gefülltes Leseerlebnis . Ein unterhaltsamer Buchabend mit lebendigen Bildern Lovelybooks 2019 Die Story an sich fand ich besonders und spannend und auch die Figuren waren interessant und hatten Tiefe. Der Schauplatz der Handlung und auch der Schreibstil waren schön. Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und kann das Buch nur empfehlen. Lovelybooks 2019

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 382

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Carolines einzige Liebe

Carolines einzige LiebeKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Über die AutorinImpressum

Carolines einzige Liebe

Sylvia McKaylander

Carolines einzige Liebe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018  Sylvia McKaylander

Herstellung und Verlag: BoD –  Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783744894623

Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Dieser Roman ist den wenigen Leuten gewidmet, die die fachliche als auch charakterliche Größe und  den Mut aufbringen, öffentlich zuzugeben, dass sie sich bei der Einschätzung bei Menschen mit Handicap einst schwerwiegend geirrt haben - und diese Menschen in aller Form um Verzeihung dafür bitten, ebenso wie für  deren  gedankenlose Bemerkungen als auch gewisse Blicke. Bis heute leiden viele Betroffene unter den Folgen. 

An dieser Stelle möchte ich mich bei  den leider nur wenigen Menschen bedanken, die ohne Wenn und Aber und vom ersten Augenblick an mich und meine  Fähigkeiten glaubten. Ich danke Euch! 

Mehr habe ich zu diesem Thema nicht zu sagen. Nicht mehr. Für mich ist dieses Thema lediglich noch ein schmerzliches Relikt der Vergangenheit. 

Ich hoffe sehr, Ihr habt etwas dazugelernt. Lebt wohl! 

Kapitel 1

Atlanta, Georgia, USA  

 Sommer 1962 

____________________________________________

Schwankend ging Leo Friedrichsen, die Schwindelgefühle verdrängend den Gehweg der Hobart Avenue South East herunter. Es war ein wunderbarer warmer sonniger Tag, die zwitschernden Vögel steigerten sein Vergnügen noch. Die Kamera baumelte um seinen Hals. Er ging bis zum schmiedeeisernen Eingangstor. Leo wankte ein wenig, zwang sich ruhig stehen zu bleiben um die Aufnahme des hochherrschaftlichen Hauses im gregorianischen Baustil nicht zu verwackeln. 

Kalter Schweiß trat ihm  auf die Stirn, überzog seinen schmächtigen Körper mit einem unbehaglichen Film. Leo tat mehrere tiefe Atemzüge, lehnte sich mit geschlossenen Augen stöhnend gegen einen Baum, blinzelte in die Sonne ehe er besinnungslos zu Boden sank.  

„Mr. Friedrichsen, öffnen Sie die Augen.“ Er reagierte nicht. „Öffnen Sie die Augen! Hören Sie mich? Hallo!“

Es war eine angenehm warme weibliche Stimme. Eine Hand tätschelte seine Wange, nicht grob aber auch nicht sanft. „Wachen Sie auf. Bitte.“

Er schaffte es ächzend und unter Aufbietung all seiner Kräfte die Augen einen Spalt zu öffnen und blickte in ein engelsgleiches Gesicht mit strahlend blauen Augen von goldblonden langen Korkenzieherlocken umrahmt. 

Sie lächelte ihn bezaubernd an. „Wie geht es Ihnen?“ 

„Oh, ganz gut“, ächzte Leo und schaute sich um. Er lag in einem Bett. und lächelte sie verklärt an. „Und so hübsch sind Sie. Ich muss im Himmel sein. Wer sind Sie?“

Sie stellte sich ihm als Carol Richmond vor. Sie erklärte ihm stolz, ihr Vater arbeitete als Jurist, und als Rechtsberater im Büro des Gouverneurs. 

Nach leisen Klopfen öffnete ein farbiges Dienstmädchen auf Carols forsche Aufforderung hin die Tür. Ihr bestürztes Angesicht, die mit Tränen überfüllten geschwollenen Augen versetzten die Tochter des Hauses in ängstliche Erregung. Carol hegte augenblicklich eine äußerst ungute Vorahnung.  

„Estelle, was ist passiert?“

Die schnäuzte sich schluchzend die Nase. „Ben …Er wurde heute Morgen in einem Schuppen aufgefunden. Tot.“

„Nein“, rief Carol aus und presste sich, um nicht auf zu schreien die Hand vorm Mund. Fassungslosigkeit zeichnete ihr erbleichtes Gesicht. Sie hielt sich krampfhaft an einer Kommode fest. „Um Gottes Willen.“

Leo beobachtete die Szene stumm und mit Sorge. Was war nur los, fragte er sich beklommen. 

Das Dienstmädchen, er schätzte sie auf siebzehn Jahre, betupfte sich mit einem Taschentuch die Augen. „Ach, es ist ist so schrecklich, Miss Carol. So grauenvoll.“ Estelle schniefte. „Im Schuppen auf einer Wiese haben Kinder ihn entdeckt.“ Die Bedienstete stockte, um Fassung ringend. „Die Kinder haben zufällig nach oben geschaut. Ben hing mit einem Strick um den Hals hoch oben am Balken.“

Carol schloss für einen Moment die Augen und atmete geräuschvoll tief durch. Auf Grund ihrer sittenstrengen Erziehung und unter Berücksichtigung der Etikette raffte sie die Schultern; nicht zuletzt auch des Gastes wegen. Selbst wenn er schlief. Man konnte man nie sicher sein, was dieser so unbewusst wahrnahm.

Die junge Frau schloss für einen Moment die Augen, und atmete mehrmals tief durch. Auf Grund ihrer sittenstrengen Erziehung und unter Berücksichtigung der Etikette, raffte sie energisch die Schultern; nicht zuletzt auch des Gastes wegen. Selbst wenn er schlief, so konnte man doch nie sicher sein, was dieser so unbewusst wahrnahm. 

„Ist Vater schon von der Arbeit zurück?“, fragte sie Estelle.

„Wir erwarten ihn jeden Augenblick, Miss Carol.“

„Das ist gut.“

Einen Moment lang haderte er mit dem Gedanken, ihre Hand zu ergreifen, doch sie kam ihm herrisch zuvor, drückte ihn zurück ins Kissen. „Sie bleiben liegen, Leo. Ich bin gleich wieder da.“

„Ganz wie Sie wünschen, junge Dame.“

Carol führte das weinende Dienstmädchen hinaus, ehe sie hinter sich die Tür schloss. Leo fühlte sich mehr als unbehaglich in seiner Haut. Ich muss sehen, dass ich so rasch wie möglich von hier fort komme., nahm er sich vor, schließlich platzte er mitten in das Leben, in das Dilemma dieser Familie herein.

Aus der Ferne vernahm er erregtes Gemurmel. Er lauschte. „Aber Master Clyde er... Er ist doch so ...“, hörte er die wispernde Stimme des Dienstmädchens. Aus welchem Grund klang sie ängstlich? Und wer war Clyde? 

„Nein, Estelle“, unterbrach Carol sie  barsch. „Schluß damit! Clyde ist nicht der Unmensch, für den du und die anderen ihn haltet. Nein, kein Aber. So, und jetzt will ich nichts mehr davon hören. Koche bitte Hühnersuppe für unseren Gast, er wird einige Tage unser Gast sein. Los. Geh.“ 

„Ja, Miss Carol.“

Dann hörte er rasche Schritte, die sich entfernten.

Leo versuchte sich im Bett aufzusetzen, doch Übelkeit wallte gemeinsam mit Brechreiz auf, so dass er sich langsam stöhnend ins Kissen zurücklehnte und die Augen schloss, um den Schwindel ertragen zu können. 

Verzweifelt sah er der Tatsache, dass seine Unpässlichkeit würde ihn länger hier ans Bett fesseln würde als es ihm lieb war, ins Gesicht. Er war auf die Hilfe dieser Menschen angewiesen, wollte er bald seine Reise gesund und fidel fortsetzen, also nahm er die jetzige Situation als eine Art Fügung des Schicksals an. 

Interessiert sah er sich in dem primitiv eingerichteten Raum um. Ein Tisch mit Stuhl stand unter einem Fenster, gegenüber stand ein Kleiderschrank aus Mahagoniholz mit Intarsienarbeiten. Das dieses Zimmer wenig genutzt wurde erkannte er an dem leicht muffigen Geruch. Die Tapete mit dem Blumenmuster gab dem Zimmer eine kitschige Note, nirgends war auch nur ein Körnchen Staub zu sehen. 

Es dauerte beinahe fünfzehn Minuten, bis Carol mit ernster Visage erneut an sein Bett trat. „Sie sehen ja schon besser aus, Mr. Friedrichsen.“

„Es geht mir ja auch besser. Woher wissen Sie meinen Namen?“

„Sie hatten Ihren Ausweis dabei.“

Er konnte nicht anders, als sie fasziniert an zu lächeln, und kam sich dabei, ob er es wollte oder nicht, wie der letzte Idiot vor. Wie schön sie war ...

„Carol, es ist mir sehr unangenehm, ausgerechnet jetzt, wo Sie und Ihre Familie anscheinend mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, in Ihr Leben zu treten. Bitte, seien Sie versichert, sobald ich wieder -“

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Aber nicht doch. Machen Sie sich darum keine Gedanken, Leo. Sehen Sie nur zu, dass Sie wieder auf die Beine kommen. Solange sind Sie bei uns willkommen.“

„Sehr großzügig. Ich bedanke mich.“

„Ihr Essen wird gleich gebracht. Haben Sie einen Wunsch?“

Er blickte ihr offen ins bekümmerte Angesicht. „Ja, den habe ich. Ein Lächeln von Ihnen, junge Frau. Sie sahen so ernst aus vorhin, ein nettes Lächeln steht Ihnen viel besser.“

Sie errötete wie ein Schulmädchen, und, ob beabsichtigt oder nicht, sie lächelte. „Ach, Sie sind ein Schmeichler.“

„Wie schön. Sie lächeln. Sehen Sie, es geht doch.“

Ein älteres, dickleibiges ebenfalls farbiges Dienstmädchen in weiß-schwarzer Uniform öffnete mit dem Fuß die nur angelehnte Tür, und trug  ein Tablett mit Essen für Leo herein, das Carol ihr abnahm, bevor sich die Bedienstete stumm zurück wieder zog. Auch die sah verweint aus. 

Carol setzte sich zu ihm auf die Bettkante und nahm es auf den Schoß. „So, und jetzt wird gegessen, Leo. Soll ich Sie füttern?“

„Nein, es geht schon.“

„Wirklich?“

Er setzte sich etwas zu schnell auf, doch der Schwindel ließ ihn erbleichen. „Oh Gott, nein.“

„Dachte ich es mir doch. Mund auf.“

Artig schlürfte er den Löffel leer. Kaum hatte er die köstliche Suppe herunter geschluckt, blickte er sich besorgt um. „Wo ist meine Kamera?“

„Im Schrank. Keine Angst, sie hat nicht einen Kratzer abgekriegt. Sie werden sehen, schon morgen Früh sieht die Welt wieder ganz anders aus. Diese Hühnersuppe hat bisher jeden wieder geschwind auf die Beine gebracht.“

Fortan schwieg sie mit bekümmerter Miene. Nach einer Ewigkeit, immerhin kam es ihm so vor, fielen ihm beinahe vor Müdigkeit die Augen zu. Zufrieden stellte sie die Tasse auf das Tablett zurück. „Sie haben alles aufgegessen. Sehr schön. Dann schlafen Sie sich jetzt gesund. Angenehme Ruhe und gute Besserung wünsche ich.“

„Danke.“

Bevor sie sich von ihm abwandte, ergriff er behutsam ihr Handgelenk. „Carol, vielen Dank, für alles was Sie für mich tun; für einen Fremden, meine ich.“

Sie wich seinen Blicken aus. „Leo, bitte. Lassen Sie es gut sein, ja.“

Es klopfte an die Tür und ihr Vater, William Richmond trat ein.

Er war ein kräftiger Mann Ende der Fünfzig mit Vollbart und Bauchansatz. Er trug einen dunkelroten Anzug mit hellem Baumwollhemd, gleichfarbiger Weste und Krawatte. In seinem Mund steckte schräg eine Pfeife. Er begrüßte den Gast mit Handschlag, hieß ihn willkommen.„Sie dürfen bei uns bleiben, bis Sie wieder obenauf sind, Mr. Friedrichsen.“

„Danke, Mr. Richmond. Sie haben übrigens eine wunderbare Tochter.“

Er schmunzelte. „Danke. Meine Carol kommt nach ihrer Mutter, Violett. Gott hat sie selig. Warum sind Sie eigentlich ausgerechnet hierher gekommen, Leo? Hören Sie keine Nachrichten?“

Leo rieb sich gähnend die Augen. „Doch, natürlich. Ich kam, um die Bauweise vor Ort zu studieren. Ich wusste zwar von den Rassenunruhen, aber ich dachte einfach, mir passiert schon nichts.“

Der Gastgeber winkte heftig ab. „Ja, ja, dass denken leider viele. Viel zu viele. Aber seien Sie unbesorgt, damit haben Sie nichts zutun. Wie peinlich, dass Sie etwas davon mit bekommen haben. Ben ist ..... ich meine, er war der Sohn unserer Köchin Milli.“ Der Hausherr fühlte sich unwohl, er hustete verlegen. „Mr. Friedrichsen ... Ich -“

„Leo. Bitte.“

„Gut. Leo.“ Er legte dem jungen Mann die Hand auf Schulter, sah ihn mitfühlend an. „Leo, ich muss es Ihnen sagen. Carol ist bereits verlobt. Clyde Summers ist erst heute Morgen zu einer längeren Geschäftsreise aufgebrochen, er ist ebenso wie ich Jurist. Die beiden kennen sich seit frühster Kindheit, seit dem Sandkasten, so zu sagen. Zwischen Clydes Vater, einem ehemaligen Freund - jetzt stehen wir uns allerdings eher feindlich gegenüber, und ich kann mir denken, warum -  und mir gibt es bereits seit langer Zeit ein Abkommen.“ 

Leo atmete tief ein. Als wenn er es nicht geahnt hätte. 

„Ich verstehe.“

Die Enttäuschung in Leos Gesicht war zu offensichtlich; eine Gegebenheit, die den Vater in Sorge versetzte. Leo spürte, dass das nicht alles war, was dem Mann auf der Zunge lag. 

William hatte, nach dem der Buchhalter zu Besuch gekommen war um nach dem desolaten Stand der Dinge gefragt hatte, die getroffene Entscheidung Carols, den vier Jahre älteren Clyde Summers zum Gemahl zu nehmen mit einem Kopfnicken, wenn auch mit Magenschmerzen gebilligt. Eine Auflösung dessen käme seinem finanziellen Bankrott gleich, da Clyde nachweisbare Kontakte besaß, denen William auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.   

„Sie mögen meine Carol sehr, nicht wahr?“

Stumm nickte Leo. „Ich glaube, mich hat es voll erwischt.“

Niedergeschlagen senkte William seinen Kopf. „Ich habe es befürchtet.“, flüsterte er, gerade laut genug damit Leo die Worte verstand. Dann verabschiedete William sich eilig für den Rest des Tages. 

Befürchtet. Dieses Wort ließ Leo keine Ruhe. Was befürchtete der Mann?

Im nächsten Augenblick holte der Schlaf ihn ein. 

Am darauf folgenden Tag ging es Leo bedeutend besser. Auf Anweisung des Hausherren wurde Leos Habe aus dem Motel ins Haus geholt und die Filme, vier an der Zahl, zum entwickeln in ein Labor gebracht. Als Dankeschön erklärte Leo sich mit seinem Fachwissen als Architekt bereit, William bei der Umgestaltung einiger Räume zu beraten. Er fühlte sich bedeutend wohler, wenn er schon gezwungen war zu bleiben, er sich ein wenig nützlich machen konnte. 

William registrierte Leos mit Sorge die sehnsuchtsvollen Blicke, sah das auflodernde Feuer, das stumme Verlangen in seinen dunklen Augen, immer wenn Carol in seine Nähe kam, und auch sie konnte schmachtend nicht ihre Augen von ihm lassen.

Im Hause Richmond herrschte tiefe Trauer wegen Ben, selbst das Personal redete seither nur im Flüsterton miteinander. Der Mord war das alles beherrschende Thema. 

An einem der Abende wurde Leo unwillig Zeuge eines ernsten Zwiegesprächs zwischen Vater und Tochter. Er ging momentan mit der Skizze für einen der Räume an der halb geöffneten Tür des Salons vorbei als er aus Carols Mund seinen Namen in einem Ton hörte, der ihm die feinen Härchen auf seinem Arm jäh aufrecht stehen ließ.

„Nun, bevor er Leo ins Haus kam warst du dir deiner Pläne aber sicher. Wie steht es denn nun um deine Gefühlen?“ 

„Ach, Vater, frage mich doch was leichteres.“, kam es verzweifelt aus ihrem Mund. „Clyde ist zwar sehr freundlich zu mir, rücksichtsvoll und sanft, doch hat er zuweilen eine beängstigende Art an sich, wenn es mal nicht nach seinen Kopf geht. Und, was das schlimmste ist, er behandelt das Personal schlecht. Estelle hat Angst vor ihm.“

„Hat sie gesagt, warum?“

„Nein, sie ist mir gegenüber total verstockt und in seiner Gegenwart wagt sie sich kaum noch zu äußern. Ja, ich  gebe zu, er legt einen herrischen Ton an den Tag, aber trotzdem … Oft verstehe ich Clyde nicht, obwohl er sich mir gegenüber was seine Unbeherrschtheit angeht, sehr zusammen nimmt. Nur, was mir Sorgen macht, ist, das er mitten in der Nacht aufsteht und das Haus verlässt. Er bleibt stundenlang fort, mehrmals in der Woche.“

William atmete geräuschvoll ein und stellte sich mit dem Gesicht zum Fenster, mit dem Rücken zu ihr.

„Vater, was ist denn? Was verheimlichst du mir?“

Ohne sich zu ihr um zu drehen, fragte er: „Glaubst du Millis Worten?“

„Ach, ich weiß nicht. Sie war Mutters Amme und meine Nanny, und sie konnte Clyde von Anfang an nicht leiden. Ich glaube ihr jedoch, wenn sie sagt, sie habe ihn am Telefon mit einem seiner Kumpels rassistisch über Schwarze reden hören.“ Carols Miene war steinern, als sie fortfuhr. „Er hat das Böse an sich, sagt sie ständig wenn das Thema auf ihn fällt. Wahrscheinlich hat sie ihm irgend so einen Voodoo-Zauber angehängt oder so etwas.“

„So ein Blödsinn“, lachte er.

„Na ja, sie meldet unterbewusst Besitzansprüche an mich an, indem sie so reagiert, aber  anderseits, sie hat noch nie gelogen. Ich weiß selbst, dass Clyde ein sehr komplizierter Mann ist, aber das er ... Nein, Vater. Nein, dass glaube ich einfach nicht.“

„Ich wünschte, mein Liebes, ich könne deine Meinung über Clyde teilen.“

„Und warum kannst du es nicht?“

„Weil ich inzwischen einiges mehr über ihn weiß.“ 

William drehte sich zur ihr um. Seine Miene war so ernsthaft, dass sie erschrocken zurück wich. „Vater. Was ist denn?“ 

„Carol, dass mit dem brennenden Kreuz vor unserem Haus ......“

„Ja?“ 

„Es war Absicht.“ Mit wackligen Knien setzte sie sich in den Sessel hinter ihr. Sie starrte ihn fassungslos an. „Ich muss es dir leider sagen, Carol. Du bist alt genug, und kennst die Lage genauso gut wie ich. Es gibt glaubwürdige Zeugen, die Ben und Clyde in der Stadt einige Tage vor seiner Abreise heftig miteinander haben streiten sehen. Es ging um den Preis für ein Stück Ackerland. So viel zum Motiv.“

„Nein. Nein, dass glaube ich nicht. Zu so etwas ist Clyde gar nicht fähig. Er ist nicht gewalttätig. Gut, wir haben ja alle unserer Fehler, aber ein Mord? Vater.“

William biss die Zähne zusammen. Er wusste, dieses Motiv war  oberflächlich. Die Trennung der Menschen zwischen schwarzer und weißer Hautfarbe herrschte noch immer in vielen Köpfen. Hegte Clyde allen Ernstes auch diese Haltung? Es würde seine bisher ohnehin schon nachteilige Meinung über den jungen Mann noch dazu empfindlich schmälern. 

William drehte sich der Magen um. Bereits als Leo erschien, hatten sich gewisse Befürchtungen in ihm fest gesetzt. Er war nie ein strenger Vater gewesen, doch er musste darauf beharren, so leid es ihm auch tat. Er wollte mit dem liebenden Herzen eines Vaters sein Kind glücklich sehen. „Ich verstehe dich gut, Carol. Leo ist ein sehr angenehmer Mensch, liebenswert, bescheiden. Aber du kennst ja auch die Lage, in der ich mich befinde.“

„Darüber bin ich mir Klaren. Ich werde dir eine gute Tochter sein, sei gewiss.“

Unter normalen Umständen hätte William darauf bestanden, dass sie den Mann ihrer Liebe heiratete, der ohne jeden Zweifel sein momentaner Gast war. „Carol, würdest du denn, wenn die Lage anders wäre, Leo heiraten?“

„Vater, ich bitte dich.“ ereiferte sie sich erbost. „Was soll denn das jetzt? Ich halte nichts von dem Gerede „was wäre wenn ......“, dass weißt du.“

„Entschuldige, bitte. Ich muss meine Frage wohl anders formulieren. Schlägt dein Herz uneingeschränkt für Leo?“

Sie blickte ihm fest in die Augen. „Ja, Vater. Ja, dass tut es. Ich würde sogar mit ihm nach Deutschland gehen. Auch wenn arrangierte Vermählungen in der Regel gut funktionieren, ich bin mir meiner Gefühle für Clyde nicht mehr sicher.“

Verzweiflung war ihm anzusehen. „Mehr wollte ich gar nicht wissen.“

Leo setzte sich mit weichen Knien seinen Weg die breite, mit einem Läufer ausgelegte Treppe hinauf zum Obergeschoss fort. Na, da habe ich ja was schönes angerichtet., schimpfte er mit sich. Ich habe der Tochter des Hauses den Kopf verdreht. Ihr Verlobter wäre sicherlich nicht erfreut darüber. Das Beste wäre, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen, ehe ich noch mehr anrichte., redete er sich reumütig ein. Er ging hart mit sich ins Gericht. Wie sollte er sich verhalten ihr gegenüber?, fragte Leo sich. Bisher hatte er stets, obwohl ihm sein Körper unterhalb der Gürtellinie eindeutige Signale sendete, Zurückhaltung geübt, was ihm von Tag zu Tag mehr eine Pein war. Doch wie lange konnte er sich noch beherrschen, seine Finger von ihr lassen? Bisher waren es lediglich liebevolle Gesten gewesen. Ein zarter Kuss auf die Wange, das Drücken ihrer Hand gepaart mit einem wohlwollenden Lächeln. Wie dem auch sei, alles war noch im grünen Bereich. Und, verflixt nochmal, es musste auch so bleiben. 

Leo nahm sich vor am Tag nach Williams Party zu gehen, ganz früh am morgen, ohne sie noch ein einziges Mal zu erblicken, denn dann, so meinte er, wäre es um ihn geschehen. Zweifelsohne. Er würde sie und ihn ins Unglück stürzen, wenn sie es täten, die Eifersucht ihres zukünftigen Gatten unnütz schüren.

Entschlossen nickte Leo sich und seinem Vorhaben zu. Ohne hinter sich zu blicken schloss er die Tür seines Zimmers hinter sich und stellte sich ans Fenster. Er hörte nicht, wie sich lautlos hinter ihm die Tür von Carols Hand öffnete und wieder schloss. Von hinten legten sich Carols Arme um seine schmale Hüfte. „Leo?“

Er drehte sich zu ihr um. Ihr gequältes Gesicht drückte Sehnsucht nach Liebe aus. Nach seiner Liebe? Fühlte sie etwa dergleichen?

Sie legte ihren Kopf schräg, lächelte ihn betörend an. „Ahnst du es denn nicht, Leo? Ahnst du denn nicht, was ich fühle für dich?“ Sie trat näher, ihre und Leos langgliedrigen Finger harkten ineinander. Sie schmiegte sich liebes hungrig fest an ihn. „Leo, ich liebe dich.“

Schockiert starrte er sie an. „Was?“

„Ja, ich liebe dich, Leo.“

Er haderte mit sich. „Carol ... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Er erfasste ihre Hand und küsste sie.  „Carol, ich liebe dich ja auch, aber .....“

Sie blickte Leo mit ihren großen himmelblauen Augen glückselig an. „Ja?“ 

„Sei vernünftig, Carol. Wir kennen uns erst seit zwei Tagen.“

„Ich weiß, Leo, aber ich kann nun mal nicht anders. Ich kann nicht.“

„Carol, sei ehrlich. Wäre ich nicht in deinem Leben aufgetaucht, wärst du nie in Zweifel geraten. Und ... Ach, verdammt. Unsere Liebe darf nicht ein. Sie ist verboten, denn du bist in festen Händen. Ich bringe dich nur durcheinander. Ich muss fort. Gleich morgen Früh.“

„Nein.“, rief sie aus. Tränen glänzten in in ihren Augen. „Das kannst du mir nicht antun.“ 

„Verdammt, Carol. Ich muss. Dein Vater ist zwar sehr freundlich, aber  das Übereinkommen mit Clyde ist bindend. Es geht um seine Existenz.“

„Aber ich empfinde für Clyde nichts mehr seit -“

„Seitdem ich auf der Bildoberfläche erschienen bin.“ 

„Nein, Leo. Nein, so ist es nicht.“ Sie setzte sich aufs Bett, rückte ihren Rock und die Bluse zurecht. „Leo, meine Gefühle für Clyde sind schon lange bevor du kamst, nicht mehr die, die eine Frau für ihren künftigen Gatten empfinden sollte. Ich bin kein leichtfertiges Mädchen, nie gewesen.“ Sie stand abrupt auf, stellte sich vor ihm und fuhr mit ihren schlanken Fingern durch sein braunes welliges Haar, bevor sie sein kantiges Gesicht umfasste. „Leo, ich liebe dich.“ Sie bohrte ihren Finger in seine dicht behaarte Brust. „Dich. Dich. Dich. Du warst bis jetzt zurückhaltend mir gegenüber, deine Gesten waren schüchtern, deine Bescheidenheit eine Wohltat für mich, mein Gemüt. Das weiß ich zu schätzen.“ 

Er blickte sie finster an. „Als Lückenbüßer eigne ich mich nicht.“

„Himmel noch mal! Leo! Wer redet denn davon?“, fuhr sie ihn hitzig an. Ihre Körper nährten sich einander, von selbst und wie ganz selbstverständlich. „Leo, ich flehe dich an. Lass es mich dir beweisen. Hier. Jetzt.“

Leo haderte mit sich, indes er mit hängenden Armen vor ihr stand und zusah wie tattrig sie die Knöpfe der Bluse öffnete. Reizvoll lächelte sie ihn an, fuhr begierig mit zittrigen Händen durch sein Haar. 

„Carol, bitte. Tu nichts, was dir später sehr leidtun würde.“

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Pssst. Halte den Mund - und genieße es.“

***

Die Geburtstagsparty zu Ehren William Richmonds war Jahr für Jahr ein gesellschaftlicher Anlass, zu dem mehr als zweihundert Gäste, vornehmlich aus reichen alteingesessenen wie traditionsbewussten Südstaaten-Familien kamen. Das ganze Haus erstrahlte im festlichen Glanz, auch der gigantische Kristalllüster im Ballsaal war von der dicken Staubschicht befreit worden. Der Tod Bens rückte von Tag zu Tag mehr in den Hintergrund. 

Allerorts wurde schallend gelacht oder mindestens gelächelt. Die Band spielte Tanzmusik, das Buffet war reichlich und bot von allem das Feinste. Die edlen Abendroben der weiblichen Gäste, die vornehmen Smokings der männlichen Herrschaften lösten in Leo Minderwertigkeitskomplexe aus, der sich lediglich einen abgetragenen konventionellen Smoking aus einem Geschäft ausgeliehen hatte, denn in dem großen Teil von William versank er, nur seine dunkelrote Fliege war eine Leihgabe. 

Carols Anblick, wie sie in einem Traum von Kleid aus dunkelroter Seide und hochgesteckten Haaren neben einen smart lächelnden jungen gut aussehenden Mann mit dunklen Augen, kurzen braunen  Haaren stand und ein geziertes Lächeln zu Schau stellte, löste in Leo einen Schwall Übelkeit aus. Er verspürte eine an ihm nagende Ungeduld, und fragte sich, wie lange sie diese Fassade wohl noch aufrecht erhalten wollte - oder musste. Eine gewisse Verärgerung macht sich widerwillig in ihm breit.  Verdammt., fluchte er in sich hinein. Er, Leo, gehörte an ihre Seite anstatt dieses aalglatten Typen im dunkelroten Gehrock, dem weißen Baumwollhemd darunter mit der passend dazu kombinierter schwarzen Hose; und nicht zu vergessen, das falsche verschlagene Schmunzeln.

Leo genehmigte sich aufgebracht einen Drink, und dann noch einen. Nicht, dass das eine Lösung wäre, doch die entspannende Wirkung des Martinis ließ ihn die Situation besser ertragen, genauso wie den unerträglichen Anblick, als Clyde sie höflich an der Hand zur Tanzfläche führte. 

Es gelang Leo ihr verstohlen einen herausfordernden Blick zu zuwerfen, von dem er nicht wusste, ob sie ihn nun registriert hatte oder nicht. Es hatte nicht den Anschein. Ihr Augenmerk galt uneingeschränkt ihrem Tanzpartner. 

„Hallo, mein Freund.“ William stand neben ihn. „Amüsieren Sie sich?“

„Oh ja. Es ist eine tolle Party und so viele nette Gäste.“

„Haben Sie sich denn schon mit einigen angefreundet?“

„Ja, einige haben gute Kontakte, die ich für meine Firma als Architekt nutzen kann. Das Büro für das ich arbeiten werde ist international tätig.“

„Das freut mich zu hören.“ William senkte die Stimme. „Leo, bitte nehmen Sie sich vor Clyde in Acht, gehen Sie ihm am besten aus dem Wege. Je weniger Worte Sie mit ihm wechseln, desto besser. Glauben Sie mir.“

„Nun gut,  William.  Ich werde versuchen, Ihren Rat zu beherzigen.“

Dem Vater entging Leos schmachtender Blick nicht, mit denen er Carol die ganze Zeit über mit Sorge beobachtete. 

„Was wissen Sie über ihn?“, fragt Leo ihn mit scharfer Stimme. 

„Leider nicht allzu viel Gutes. Carol meint, wie es sich für eine gute Tochter ziemt, es mir und Mutter schuldig zu sein, diesen Mann zu heiraten.“ William nahm einen Schluck Whisky, wiegte ablehnend den Kopf. „Ich sage es Ihnen nur ungern, Leo, aber Clydes Kontakte sind meine einzige Rettung, nur leider ist sich der junge Mann darüber mehr als bewusst.“

„Was er gut für sich auszunutzen weiß.“, fügte Leo grimmig hinzu. William zog eine Grimasse. „Kontakte hat er, ja, wenn auch einen ziemlich miesen Leumund. Sein Vater wurde von seiner Familie, die in Jackson, Alabama lebt, verstoßen, warum weiß ich nicht, oder besser gesagt, noch nicht. Mein Detektiv ist dran. Ich rechne jeden Tag mit Neuigkeiten von ihm. Ich muss alles über ihn wissen, ehe ich ihm meine Tochter, das Einzige was mir noch geblieben ist, anvertraue - aber ich bekomme Magenschmerzen bei diesen Gedanken.“

„Ich schließe aus Ihren Worten, William, dass Ihnen Clyde als zukünftiger Schwiegersohn mehr als missfällt – Notlage hin oder her.“

„Ihr Scharfsinn ist mal wieder unübertroffen, mein lieber Leonard.“, schmunzelte er. 

Leo sah zu Carol und Clyde hinüber, biss die Zähne zusammen. William, meinte, Leos Zähne knirschen zu hören, sprach seinen Gedanken offen aus. „Meine Carol würde Ihnen eine gute Frau sein.“

„Wie bitte?“

Sein Gegenüber lachte auf. „Sie haben mich schon verstanden, mein Guter.“

Perplex sah er William nach, der seine Aufmerksamkeit einer seiner vermögenden Freunde schenkte. Leo nippte gedankenverloren am Glas. Es war ein exzellenter Champagner, der seine Gefühle und Sinne herrlich prickelnd in Wallung brachte - mithin allerdings auch sein Wagemut.  

Wenige Meter von ihm entfernt tanzte Carol mit abwesender Miene nun schon das zweite Stück mit Clyde, der ein vorzüglicher Tänzer war. Carol konnte nicht anders, als unbewusst ihre um Erlösung flehenden Blicke, ihm, Leo, verstohlen zuzuwenden.  

Das blieb ihrem Tanzpartner nicht verborgen. „Carol, was ist mit dir? Du bist den ganzen Tag schon mit den Gedanken woanders. Freust du dich denn nicht, dass ich zurück bin?“

„Doch, natürlich freue ich mich, Clyde.“ 

„Aber du bist verändert, und das gefällt mir nicht. Ich dachte, es sei alles klar zwischen uns beiden,  und wir haben uns ausgesprochen.“

„Da haben wir, ja.“ 

„Wirklich?“

Carol gab sich alle Mühe seinen bohrenden Blicken auszuweichen. „Aber ja.“

„Denke an die Zukunft deines Vaters, mehr sage ich nicht.“

„Du bist widerlich, Clyde.“, zischte sie.

Als hätte er ihre Äußerung nicht genommen, fragte er sie: „Was schaust du eigentlich ständig in diese Richtung? Kennst du den Kerl da?“ Stumm verneinte sie. „Dann schau mich an, Carol, ja.“, zischte Clyde ihr zu. „Was ist nur los mit dir?“ 

„Nichts. Wirklich nicht.“ Sie schenkte ihm ein falsches Lächeln. „Clyde, hier und jetzt bin ich nur für dich da. Da gibt es keinen anderen.“

„Na, dass setze ich auch voraus.“ Clyde blickte Leo ins Gesicht – mit Herausforderung und Kampfeslust, verstärkte den Druck seiner Hand. Sie verzog schmerzvoll das Gesicht. „Wie es es denn dann, Carol? Kannst du mir das sagen?.“

Carol hüllte sich, aus Angst, ein falsches Wort käme über ihre Lippen, beharrlich ins Schweigen. Da die Band einen schwungvollen Walzer zum Besten gab legte Clyde beim tanzen beabsichtigt an Elan zu. Er wirbelte Carol auf der Tanzfläche herum, so dass sie kaum Möglichkeit fand, Blicke mit Leo auszutauschen. In Clydes blaugrauen Augen funkelte es alarmierend. Carol wusste, sie war zu weit gegangen. Innerlich kochte er vor Zorn beinahe über, er beherrschte sich nur mühsam.

„Höre mit dieser Träumerei auf, Carol. Du bist die zukünftige Mrs. Summers, meine zukünftige Frau, also benehme dich dementsprechend.“ Leise fuhr er, wenn auch nicht weniger leiser wie heißblütig fort: „Ist ja nicht zu fassen. Kaum bin ich eine Zeit weg und du verliebst dich gleich in einen anderen. Unglaublich. Wie wird es denn erst, wenn wir Mann und Frau sind?“

„Bitte, mache keine Szene“, zischte sie. „Die anderen gucken schon so.“

„Na, und? Sollen die doch. Du bist doch diejenige, die mit der kindlichen Schwärmerei für den Typen da hinten begonnen hat – nicht ich.“ 

„Clyde, heute ist Vaters Geburtstag. Bitte, mache keine Szene.“

„Es liegt nur an dir.“ 

Das Musikstück war zu Ende, die Gäste spendeten Beifall. Da trat Leo zu ihrer Erleichterung zu ihnen. „Darf ich nun um Ihren Tanz bitten, junge Dame?“

An ihrer Stelle antwortete Clyde barsch: „Äußerst ungern.“

Clydes Blick streifte ihn verächtlich, doch Leo war das gleichgültig. Wortlos ergriff er behutsam Carols Hand, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, indes ihr Verlobter zügig den Weg zur Bar einschlug. 

„Und?“, wollte Leo wissen. „Hast du es ihm gesagt?“

Sie nickte. „Er ahnte es. Ich habe ihm in die Augen gesehen“, flüsterte sie. „Da steht uns noch einiges bevor, Leo, glaube mir. Wie ich ihn einschätze wird er mich sicherlich nicht kampflos aufgeben.“ 

Er küsste sie sacht auf den Mund, sah sie verlangend an. „Mache dir keine Sorgen um mich, Carol. Ich werde nichts tun, was unser Glück gefährdet.“

Beklommen wiegte sie ablehnend den Kopf. „Du gewiss nicht Leo, aber er. Ich traue ihm so einiges zu. Er kocht vor Wut. Ich sehe es ihm an.“

Leo war ein ebenso guter Tänzer, nur um einiges gefühlvoller, umso trauriger waren beide als die Melodie verstummte und verzogen sich in eine Ecke und kicherten unentwegt wie zwei Teenager, denn auch sie hatte einen Schwips. William war nirgends zu sehen.

„Na, ihr Turteltauben“, lallte Clyde. „Genug geflirtet?“

Carol würde am liebsten im Erdboden versinken. „Clyde, bitte. Benimm dich.“

„Wieso denn? Ich frage doch nur“, gab der lallend Antwort. 

Die Männer, beide von der Körpergröße von eins achtzig, blickten sich einander abwägend in die Augen. „Lass ihn, Carol. Er kann mich nicht beleidigen.“

„Ach, was Sie nicht sagen.“, höhnte er und ergriff Carols Hand, zog sie grob an sich, doch sie setzte sich zur Wehr, nicht nur wegen der Alkoholfahne. Angewidert blickte sie ihn an. „Du bist betrunken, Clyde. Du weißt, mich sehr mich das anekelt.“

„Carol, lege dich nicht mit ihm an, dass führt zu nichts.“, flüsterte Leo. 

„Sieh mal einer an, Sie erteilen meiner zukünftigen Gattin ja Ratschläge. Wie reizend“, rief er selbstgefällig aus. „Wie lange geht das denn schon so? Eine Woche, einen Monat?“

Leo wurde die Lage zu heikel. „Seit einer Woche bin ich in diesem Hause zu Gast, wofür ich dankbar bin. Das Klima hier im Süden setzt mir ziemlich zu“

„Oh, ein schwacher Kreislauf, wie mir scheint.“ 

„Leider, jedenfalls bin ich nicht freiwillig in Ihr Leben getreten, Clyde.“

„Nun gut, dass entschuldigt zumindest Ihre Anwesenheit.“ Er trat dichter an Leo heran. „Nicht aber, dass Sie meine Carol anmachen.“

„Er macht mich nicht an, Clyde. Du hast getrunken, ich rieche es.“

Carol wollte sich zurückziehen, doch Clyde ergriff ihre Hand. „Richtig, ich habe getrunken, aber ich denke ich gewöhne dich schon mal daran, damit du als meine Gattin weißt, was du erwarten hast, Schatz.“

Bange wie Hilfe suchend drückte sie sich an Leos Seite. „Du bist ein Scheusal.“

Clyde lachte wiehernd laut auf. „Falsch, Süße! Ich bin dein zukünftiger Gatte und es ist Zeit, dass dein deutscher Liebhaber das endlich mal begreift.“ Er blickte Leo herausfordernd an. „Und Sie? Warum gehen Sie nicht wieder dahin zurück, wo Sie gefälligst hin gehören anstatt anstößig auf anderer Leute Weiber zu starren?“ Leo blieb perplex der Mund offen stehen. „Na, das hat Ihnen wohl die Sprache verschlagen, was?“, schmunzelte Clyde selbstzufrieden, stieß ihn hart an der Schulter an. „Hey, sagen Sie gefälligst mal was dazu. Benehmen Sie sich endlich wie ein Mann.“

„Ich bin mehr Mann als Sie, auch wenn ich nicht weiß, was bei Ihnen so in der Hose steckt.“ 

Clyde starrte ihn sprachlos an. Mit dieser Unverschämtheit hatte er nicht gerechnet. 

Schlagartig herrschte Stille im Saal. Clyde rang mit den Worten, hatte Mühe, die treffende Erwiderung zu finden. Carol stand peinlich berührt mit puterrotem Gesicht dabei. Nach einigen Sekunden Kunstpause fügte Leo hinzu: „Aber ich streite mich grundsätzlich nicht mit Männern, die unter dem geistigen Niveau eines prahlerischen Halbstarken sind.“

„Ho, ho, ho. Immer schön ruhig bleiben, ja.“ Verteidigend hob Clyde die Hände hoch. „Nicht übel. Zurückschlagen können Sie, dass muss ich Ihnen lassen.“ 

Da erschien Estelle mit einem Tablett mit an die zwanzig Gläser, alle großzügig mit teurem Champagner gefüllt. Sie ging unbeabsichtigt dicht an Clyde vorbei, was er ausnutzte um dem Dienstmädchen derbe den Po zu kneifen. 

„Aua“, rief sie so laut aus, dass sich einige Gäste erschrocken zu ihr umdrehten. Die Gläser wackelten bedenklich. Leo ergriff in Sekundenschnelle das Tablett und verhinderte das Schlimmste. 

Clyde grinste breit. „Lass ja die Gläser nicht fallen, dass rate ich dir, Kleine. Sonst gibt es Prügel, verstanden?“

„Du hast Estelle in den Po gekniffen. Warum tust du das, Clyde?“

„Weil sie fünf Minuten zu spät mit den Drinks dran ist. So ein lahmes Personal aber auch. Nigger.“

Leo musterte ihn verächtlich und setzte seinem nervigen Gegenüber überdrüssig zu einem verhängnisvollen Satz an. „Was sind Sie nur für ein Mensch, Clyde?“, stieß er erbost aus. „Jeder ist es wert mit Respekt und Menschenwürde behandelt zu werden – egal welcher Hautfarbe.“

Carols Herzschlag setzte erschrocken aus. Was sagte Leo da? 

„Ach, was Sie nicht sagen“, höhnte Clyde und grinste, womit er seinen Zorn mit eher mäßigem Erfolg zu überspielen versuchte. Die Männer sahen sich gegenüberstehend einander abwägend in die Augen. Es herrschte ein gespanntes Schweigen. Man hätte eine Nadel fallen hören können.

„Leo. Um Himmels Willen. Halten Sie den Mund.“

William packte Clyde am Jackett. „Genug jetzt. Alle beide. Clyde, entweder du hörst jetzt auf zu randalieren, oder du gehst.“

„Reg dich ab, William. Ich bin ja schon fast weg“, rief er lallend aus und wankte zur Tür hinaus. „Hey, wo bleibt denn mein Bourbon?“, brüllte er lallend in die Menge und torkelte schließlich aus dem Ballsaal hinaus in den Korridor bevor er um eine Ecke verschwand. 

Carol blickte ihren Freund erbost an und zog ihn am Ärmel mit verkniffener Miene in eine Ecke. „Ja, um Gottes Willen. Du weißt doch um die Unruhen hier zu Lande; musstest du denn unbedingt Öl ins Feuer gießen, Leo?“

Er hatte keine Ahnung, was sie so erregte. „Wieso denn? Ich hatte doch Recht.“

„Zum Donnerwetter! Darum geht es doch gar nicht“, fuhr sie ihn mit mühsamer Beherrschung an. „Mit deiner dummen Bemerkung hast du seinen Zorn auf sich gezogen. Er hasst dich, und du hast ab jetzt einen Feind fürs Leben. Er kann es nun mal nicht ausstehen, wenn jemand mal nicht seine Meinung vertritt, ihm jemand nicht aufs Wort gehorcht. Und so wie du ihm Kontra gegeben hast, hast du ihn damit nur umso mehr provoziert.“ 

„Meinst du nicht, dass du ein wenig übertreibst, Carol?“, lachte er. „Der Kerl ist doch nicht ganz dicht - und auch nicht ganz nüchtern.“ 

„Also als nüchtern, mein lieber Leo, kann man dich beim besten Willen nun auch nicht mehr bezeichnen.“

William stand neben ihn und sah ihn mit todernster Miene an. Seine Gesichtsfarbe zeigte Zornesröte. Leo wurde es mulmig zumute. „Was, zum Teufel hat Sie nur dazu veranlasst, so was von sich zu geben, Leo?“

Der junge Mann wurde auf einen Schlag nüchtern – und leichenblass. „Ich verstehe kein Wort.“

Das Familienoberhaupt neigte sich weit zu ihm vor, um ihn etwas ins Ohr zu flüstern, was den jungen Mann zutiefst erschütterte. „Clyde ist Mitglied im Ku-Klux-Klan. Mein Detektiv hat  vorhin angerufen.“

Totenbleich lehnte sich Leo an die Wand. „Um Gottes Willen.“

„Ich sehe, Sie verstehen endlich den Ernst der Lage.“ Um den fassungslosen Leo zu beruhigen, legte William ihm die Hand auf die Schulter, die zitterte. „Ich gehe fest davon aus, dass Sie das nicht mit Absicht gesagt haben, Leo.“

Das Schlimmste ließ William aus. Die Tatsache, dass Leo der Tochter des Hauses schöne Augen machte, ihre einst so gegliederten Sinne verwirrte, rückte ihre Familie bei all Clydes vom Neid auf Leo erfüllten Absichten in den Mittelpunkt – gut oder böse. Der alte Mann hegte das Letztere als Vermutung.

„Aber den Klan gibt es doch nicht mehr, oder?“

„Formal nicht, nein. Nach dem Tod eines führenden Mitglieds in den Fünfzigerjahren wurde der offiziell aufgelöst. Inoffiziell allerdings gründeten sich kleinere gleich Gesinnte, voneinander unabhängige Gruppierungen im Untergrund der Gesellschaft, aber keine davon solange um als terroristische, oder rassistische Vereinigung auf der Liste zu erscheinen. Neulich riet mir sogar einer vom FBI, als für den Klan zu neutralen Bürgerrechtler, in den Osten zu ziehen, genauer gesagt nach Washington D.C., zum Sitz der Demokraten. Ich stehe auf der Liste des Klans. Die warten nur auf meinen Kopf.“

Just in diesem Augenblick fiel Carol auf, dass Estelle mit dem Nachschub für das Buffet aufs sich warten ließ, einige Gäste standen mit leeren Tellern da. Sie ging für einen Kontrollbesuch n die Küche und wurde Zeugin, wie Clyde Milli, die farbige Köchin aufs Übelste mit rassistischen Wörtern beschimpfte. Tränen liefen über  die roten Wangen der Frau. Schockiert blieb Carol auf der Stelle stehen. Es stimmte also wirklich, was über ihn erzählt wurde. Ihr Inneres verkrampfte sich. 

„Clyde! Um Himmels Willen. Hör auf.“ schrie sie ihn außer sich an. Ihr Gesicht war feuerrot. „Lass Estelle und Milli in Ruhe. Auf der Stelle.“

„Ja, ja, ist ja gut, Süße.“ Er wollte scheinbar versöhnlich auf sie zu gehen, doch sie wich zurück. Selbstgerecht stellte er sich breitbeinig vor ihr. „Diese faulen Nigger sind Schuld. Ich habe fünf Minuten gewartet. Fünf. Ungeheuerlich.“

Fassungslos sah die Tochter des Hauses ihn an. „Clyde, wie redest du eigentlich? Das sind allesamt gutherzige Menschen, die für uns treu ergeben ihren Dienst tun.“

William stand jäh entrüstet neben seiner Tochter. Ihr Gezeter schallte durchs  Haus und hatte ihn angelockt. 

„So etwas will ich nie wieder von dir hören, Clyde! Nie wieder! Und schon gar nicht hier - nicht in diesem Hause. Hier geht es anständig und menschlich zu - liberal und gerecht.“ Mit Abscheu sah er den blasiert grinsenden Mann an, der sich in seiner Rolle zu gefallen schien. Der Gastgeber hatte Mühe, seinen Zorn zu zügeln. „Wenn es dir hier nicht passt in diesem Hause, dann rate ich dir zu gehen – und zwar für immer.“

Clyde sah den Älteren an, als zweifele er an deren gesunden Menschenverstand. „Dir sind die Konsequenzen nicht bewusst, William. Sieh den Tatsachen ins Gesicht, du alter Träumer. Du bist auf die Hilfe der Banken angewiesen – und auf meine Kontakte. Gib es doch zu, du kannst nicht ohne mich über die Runden kommen.“

„Das wird sich noch zeigen.“

„Nun gut, wie du willst.“ 

Er öffnete die Haustür, doch bevor er den Fuß über die Schwelle setzte drehte sich er sich noch ein letztes Mal um. Clyde blickte erst William, Carol und dann Leo, ihn jedoch einige Sekunden zu lang an, ehe er erst zaudernd, dann entschlossen das Anwesen verließ. 

Bevor Leo in zwei Tagen seine Abreise antrat, seine Verpflichtungen in Deutschland zwangen ihn dazu, erledigte er am Vormittag in blendender Laune einige Besorgungen und holte seine Filme vom Labor ab. 

Ab und an beschlich ihn das Gefühl der Verfolgung, doch er schob es auf seine Fantasie. Leo ging wegen seiner dummen Äußerung hart mit sich ins Gericht, seine Schuldgefühle hingegen hielten sich in Grenzen, zumal er die Reaktion der Richmonds für überzogen hielt. Leo trug bisher sein Herz auf der Zunge, sprach seine Gedanken und Meinungen meist offen aus, aber das dies zuweilen ein schwer wiegender Fehler war, wurde ihm dieses eine Mal überdeutlich vor Augen geführt. Er nahm sich vor, in Zukunft vorsichtiger, zurückhaltender zu sein. 

Er fühlte sich frisch und voller Tatendrang. Und  noch glücklicher war er, als er während einer Kaffeepause in einem Imbiss die Fotos der Villen betrachtete. Jedes der Häuser waren aus jeden erdenklichen Winkel zu Studienzwecken geknipst worden; was der eigentliche Grund seiner Reise hierher auch gewesen war.  

Die Aufnahmen vom botanischen Garten, die des State Capitols mit der goldenen Kuppel im roten Licht der Sonne, Schnappschüsse mit Carol vor dem Haus und in den CNN Studios. Auch William hatte er verewigt, auch wenn er sich dagegen gesträubt hatte. Wohlig seufzte er. Es waren die schönsten Tage seines Lebens, so unbeschwert und frei hatte er sich noch nie gefühlt. Dank Carol hatte er gelernt, das Leben ohne Hemmungen zu genießen, sich an den einfachsten Dingen zu erfreuen ohne ständig den Hintergrund zu erfragen. 

Bei Carols wunderschönem unschuldigen Angesicht, wie sie so liebenswürdig lächelnd den Arm um die Schultern ihres Vaters gelegt hatte, blieb sein Blick von Liebe beseelt minutenlang auf ihr haften. Überrascht stellte er fest, wie verliebt er eigentlich in sie war. Er ließ Carol, das wunderbarste Geschöpf, was er je in seinem erst dreißigjährigen Leben hatte kennen lernen, hatte liebkosen dürfen, nur widerwillig allein – nicht nur weil Clydes Neid und ihre böse Ahnungen seinetwegen über ihnen und ihrer Zukunft hing wie ein Damoklesschwert.  

Leo pfiff den Gehsteig entlang laufend ein Liedchen vor sich hin, hüpfte sogar ab und an zur Belustigung der Passanten, während er nach drei Stunden mit einer vollen Tüte in der Hand auf die Straße trat. Er konnte, und wollte nicht anders als glückselig vor sich hin zu lächeln, Carols Porträt stets vor Augen. Er träumte von einer Zukunft mit ihr, überlegte, ob er nicht nach einigen Jahren hierher auswandern sollte. Ein Leben ohne sie konnte er sich, obschon er sie erst vier Tage kannte, einfach nicht mehr vorstellen, er malte sich seine Zukunft an ihrer Seite in rosaroten Farben aus.

Seinen Mietwagen hatte Leo im Rande der Stadt abgestellt und da er gut zu Fuß war machte es ihm nichts aus über zwanzig Minuten zu laufen. Schwitzend stellte er die Tüte in den Kofferraum, ehe er die Fahrertür aufschloss und den Türgriff des rappeligen Fords betätigte. 

Eine gewaltige Explosion riss ihn von den Füßen. Der Wagen stand lichterloh in Flammen. 

Leo bekam davon nichts mehr mit. Besinnungslos lag er einige Meter vom Wagen entfernt, von der Wucht der Detonation dorthin geschleudert.

Er erwachte zwei Stunden später in der Notaufnahme des Krankenhauses. Er hatte einige Wunden davon getragen und eine leichte Gehirnerschütterung. Leo hatte einen Schutzengel; genauso gut hätte er nach der Aussage des Sprengstoff-Experten der Polizei tot sein können. Wer immer die Bombe mit Fernzünder baute, er tat es mit der Absicht zu töten. Das war keine wegen der Menge des Sprengstoffs längst keine Warnung mehr. Die Fahndung nach Clyde Summers und seinem Komplizen wurde auf der Stelle ausgeschrieben. Das  Motiv lag auf der Hand. Eifersucht.

William war alles andere als begeistert, dass die Polizei der Sache, dieser Lappalie, annahm, er fürchtete zudem noch um seinen tadellosen Ruf. Leo wurde, wenn auch unter dem Versprechen sich zu schonen, auf eigene Verantwortung entlassen. Er wollte die letzten Stunden vor seinem Abflug noch mit Carol verbringen, die Zeit mit ihr auskosten mit allen Sinnen.

In seinem Gästezimmer machte sie ihrem Unmut Luft, doch mehr aus Sorge als aus Zorn. Sie verschränkte die Arme hinterm Rücken und lief erregt vor ihm auf und ab während er auf dem Bett lag. Er konnte nicht anders, als sie die ganze Zeit über anzusehen. 

„Ich habe Angst um dich, Leo. Du musst fort - auf der Stelle.“

Erschrocken sah er sie an, erhob sich mit vorsichtigen Bewegungen. „Carol, du hast gesagt das du mich liebst, und trotzdem schickst du mich fort?“

„Leo“, schrie sie ihn derart in Rage an, dass er erschrocken vor ihr zurückwich. „Nun schalte doch mal endlich dein Gehirn ein! Du hast einen Anschlag überlebt, weiß der Himmel, was noch alles kommt.“ 

Jäh umfasste sie sein Gesicht vorsichtig mit ihren zarten Händen, küsste ihn auf die Stirn. , Leo, bitte verstehe mich doch. Gerade weil ich dich so sehr liebe bitte ich dich abzureisen. Ich könnte es nicht ertragen dich zu verlieren - es würde mich umbringen. Clyde ist aus Eifersucht auf dich wie von Sinnen, er hasst dich. Glaube mir, ich kenne ihn. Er ist in diesem Gemütszustand einfach unberechenbar.“

„Vor dem Idioten habe ich keine Angst.“

„Die solltest du aber haben." Sie blickte ihn auf eine Weise an, als zweifele sie an seinem Verstand. „Kapierst du denn gar nichts? Er wollte dich töten, und sein Komplize, der auch im Klan ist, ist nicht weniger gefährlich.“

„Ich lebe noch.“

„Mensch, du scheinst nicht zu begreifen, in welcher Lage du steckst. Am Ende bist du wahrscheinlich, weil er dich hasst, tot. Tot, Leo! Verstehst du das?“

„Carol, nun bitte rege dich doch nicht so auf, Engelchen.“ Leo war die Ruhe in Person. „Das wird ihm nicht gelingen. Nie und nimmer.“

„Zum Donnerwetter nochmal, Leo! Wie naiv bist du eigentlich?“, schrie sie ihn lauthals an. „Du bist keine Katze mit sieben Leben - du hast nur eines. Eins, und das wäre heute um ein Haar zu Ende gewesen – und ich hätte dich nicht mehr.“ Sie ergriff seine Hand. „Leo, bitte! Ich flehe dich an, nimm endlich Vernunft an. Verbringe den letzten Tag in diesem Hause, zusammen mit mir - dann passiert dir nichts.“ Sie tat mehrere tiefe Atemzüge, neigte sich so weit zu ihm herüber, dass er ihr seinen Atem ins Gesicht blies, und grinste. „Oder zumindest fast nichts.“ 

Auch er brachte ein Grinsen zu Stande. „Aha, du denkst an was ganz bestimmtes.“ Er zog sie an sich, und presste seine Lippen auf die ihre, küsste sie verlangend, zog sie an sich. Ihr Blick drückten all das an Schmerz aus, den sie seinetwegen in den letzten Stunden ausgestanden hatte. „Oh, Carol.“, hauchte er sehnsuchtsvoll. „Du glaubst gar nicht wie sehr ich dich liebe.“ 

„Dann beweise es mir - und reise auf der Stelle ab.“

„Auch wenn es dir das Herz bricht?  Und mir.“

„Dein Tod wegen Clyde würde mir weit mehr wehtun, glaube mir.“

Er ließ sich matt auf das Bett sinken. „Es fällt mir schwer, dich hier allein zu lassen. Briefe und Telefonate sind ein schäbiger Ersatz für dich, deine Liebe, deine Anwesenheit.“

„Wir haben doch bis dahin kaum eine Wahl.“ Mit Besorgnis nahm sie seine Blässe wahr. „Du musst dich ausruhen. Denke daran, was der Arzt gesagt hat.“

Sie öffnete mit seinem schweren Seufzer die Tür. 

„Carol? Willst du wirklich, dass ich abreise?“

Wortlos nickte mit ernster Miene. „Es ist das Beste - für uns beide.“

Mit zusammengebissenen Zähnen schloss sie die Zimmertür, schluchzte leise auf und ging in ihr Zimmer, wo sie sich aufweinend auf ihr Bett warf, weinte hemmungslos. Das einzige was sie tief in sich fühlte war unerträglicher Herzschmerz. Doch ganz tief in ihr drin war auch die Stimme der Einsicht, die ihr beharrlich einzureden versuchte, es sei für das leibliche Wohl beider so besser. Der Gedanke an eine Zukunft als Clydes Gemahlin drehte ihr den Magen um, aber sie schloss es auch nicht ganz aus, war bereit zum Wohle ihrer Familie ein großes Opfer zu bringen – wäre da nicht die leidenschaftliche Zuneigung zu Leo, die ihre Qual zu entscheiden in eine schier unermessliche Höhe steigerte. Ihre sonst so geordnete heile Welt stand Kopf - wegen dieses Mannes. So schrecklich naiv und unbesonnen er auch war, er besaß einen guten Charakter, ein gutes Herz. Im Gegensatz zum anstrengenden Clyde war seine Gegenwart äußerst angenehm, sein trockener Humor brachte alle zum lachen.  

Leo und Carol verbrachten den Tag bis zur Abenddämmerung gemeinsam. Sie verlebten ihn auf eine Art und Weise, die sie beide wohl für immer und ewig in Erinnerung behalten würden. Nicht einen Augenblick konnten sie von Liebe beseelt ihre Finger voneinander lassen. 

Indes Leo eine Stunde darauf in ein Taxi stieg, welches ihn zum Flughafen bringen sollte, schauten beide sich nicht noch einmal zum anderen um. Der Schmerz war viel zu groß, als das sie ihn nach einer innigen letzten Umarmung noch einmal hätten ertragen können. 

Leo zwang sich dazu, seine Traurigkeit zu beherrschen, doch ihr hübsches, wenn auch tieftrauriges Angesicht erschien fortwährend vor seinem geistigen Auge. Er glaubte ihre Stimme zu hören. „Ich liebe dich, Leo, ich werde dich mit der Kraft meines Herzens immer lieben. Immer . Immer.“

Leo blickte mit brennenden Augen  zu ihrem Fenster hoch, und sah, dass sie sich schluchzend davon zurück zog. Sein Herz schrie nach ihr, nach ihren Berührungen, ihrer Stimme. Am liebsten würde er aus den Taxi springen und zu ihr zurück laufen, für Sekunden dachte er  ernsthaft daran  aber nein, nein, er durfte es nicht. Die Vernunft siegte, und Leos anerzogenes Pflichtgefühl tat seine grausame Schuldigkeit. 

Der schweigende Taxifahrer fuhr in Richtung Flughafen, hielt jedoch in einer abgelegenen Seitenstraße an. Irritiert sah Leo sich um. Inzwischen war es beinahe stockfinster. „Was ist denn los? Wir sind doch noch gar nicht da.“

Der Fahrer, ein brummiger Mann mit Bart, drehte sich zu Leo um. „Entschuldigung,  aber hier geht es nicht weiter. Da ist eine Großbaustelle, die sind dabei die Zufahrtsstraße zu erweitern, das hier ist die Umleitung. Es ist nicht mehr weit zum Flughafen, mir wenige Meilen. Zu Fuß sind Sie schneller da.“

Das gefiel ihm nicht. Diese Strecke war ihm absolut unbekannt. Ein Anflug von Panik befiel ihn. „Gibt es denn keinen anderen Umweg?“

„Nein.“ 

Das Taxi fuhr rechts in eine Parkbucht. Leo blickte in den Lauf einer Pistole. „Und jetzt raus hier. Los.“

Seine Augen weiteten sich erschrocken. „Wie bitte?“

Der Mann spannte den Hahn. „Haben Sie was an den Ohren, Mister? Raus jetzt! Machen Sie, dass Sie verschwinden. Das hier ist eine ekelhafte Gegend, ich will weg von hier, habe Familie und Kinder.“

„So was Unverschämtes.“

Leo packte wütend seine Tasche, streckte die Hand aus um die Tür zu öffnen. Er schrie abermals erschrocken auf, als irgendwer ihn brutal schweigend unterm am Arm griff, ihn aus dem Wagen zerrte. Leo wurde vom grellen Licht einer Taschenlampe ins Gesicht geblendet.

„Wa ist los? Was soll das?“

Er hielt sich wegen des in den Augen schmerzenden Lichtes schützend den Arm vor das Gesicht. Er erkannte mit  aufsteigender Panik, dass er von fast dreißig Leuten, allesamt in weißen Kutten mit spitzen Mützen verkleidet, umzingelt war. Einige von denen hielten etwas in der Hand, was er in der  zunehmenden Dunkelheit kaum erkennen konnte, lediglich die hohen Tannen, die rechts von ihm dunkel und bedrohlich in den Himmel ragten, sah er mit bloßen Auge. Das Taxi brauste davon, und hinterließ eine Staubwolke, die Leo husten ließ.  

„Du kommst mit. Keine Zicken. Wenn du machst, was wir dir sagen, dann passiert dir nichts.“

Es war eine männliche Stimme, deren scharfer Ton Leo schlagartig den Ernst der Lage erkennen ließ. 

„Was wollen Sie?“ Er warf ihm die Tasche vor die Füße. „Da ist mein Geld drin. Nehmen Sie, so viel wie Sie wollen.“

Die Menge brach in Gelächter aus. Es waren alles Männer. „Dein verdammtes Geld interessiert uns doch einen Scheiß.“

Panisch sah Leo sich um. Wo war er? 

Er schien sich an einem verlassenen Ort zu befinden; dort, wo die Polizei wohl nie Streife fuhr. Leo zwang sich zur Ruhe, aber das Beben seiner Stimme verriet die Furcht. Die Achselhöhlen des Jacketts fühlten sich feucht an, sein Herz raste schmerzhaft stechend in seiner Brust.

„Was wollen Sie? Wer sind Sie?“

„Du scheinst ein schlechtes Gedächtnis zu haben, mein Freund.“ Er erhob die Stimme. „Du hast mir Carol weg genommen.“

Clyde.

Er war erbost wegen Carol, schoss es Leo in in den Kopf, gleichsam mit der Furcht ob er ihn zu töten beabsichtigte. „Nein, Clyde. Nein, ich habe sie Ihnen nicht weg genommen.“

Ein Peitschenschlag schallte durch die wolkenverhangene Nacht. Leo schrie  erneut erschrocken auf. Angstschweiß lief seine zunehmend fahler werdende Stirn herab. Leichte Herzstiche setzten ein.