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Conny kehrte der Liebe wegen ihrer norddeutschen Heimat den Rücken und erfuhr in den USA allerlei Schicksalsschläge, die sie zu verzweifeln drohen. Als sie nach der Entführung ihrer Tochter wieder ihre alten Kräfte mobilisiert, erlebt sie die beflügelnde Macht der wahren Liebe mit dem Winzer Georg noch einmal. Allerdings kann sie die vergangene Zeit nicht aus dem Gedächtnis löschen. Als sie eines Tages von ihrer Schwester Evelyn in ihre Heimat Deutschland eingeladen wird, ahnt sie nichts Böses. Die Freude über das Wiedersehen wird durch eine fatale Entdeckung und die Beantwortung heikler Fragen getrübt. Es kommt zu schicksalhaften Ereignissen, deren Verlauf das Leben aller Beteiligten für immer verändert.
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Seitenzahl: 364
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Sylvia McKaylander
Connys
Alptraum
Die Würde des Menschen ist unantastbar, nach dem Grundgesetz.
Dieser Roman ist demjenigen gewidmet, die die charakterliche Größe und auch den Mut aufbringen, zuzugeben, einst bei der Einschätzung von Menschen mit Handicap bzw. Förderbedarf grundlegend falsch "geurteilt" zu haben - vor allem in Bezug auf die intellektuelle Fähigkeiten!
Ihr seid NICHT DUMM! Ihr seid ETWAS BESONDERES!
Auch wenn es Euch viel abverlangt, oftmals einigen Herrschaften gehörig die Stirn zu bieten, so es ist doch gut, anders zu sein - und nicht der Norm zu entsprechen und nicht zuletzt wächst man auch am Widerstand!
WER legt die Normen fest?
WER?
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2018 Sylvia McKaylander
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN: 9783752897531
San Francisco, Kalifornien
vor 20 Jahren
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Etwas knallte. Es war laut.
Conny, die im behaglichen Lesezimmer am Kamin in ein Buch versunken saß, die Beine hatte sie auf eine Fußbank gelegt, fuhr zusammen. Das Buch fiel zu Boden. Was war das? Sie lauschte. Nein. Nun hörte sie nichts mehr. Es war wieder still. Ganz so, als wäre nichts gewesen. Hatte sie geträumt?
Sie setzte sich steif auf. Jede Faser ihres grazilen Körpers spannte sich an. Dem Geräusch nach zu urteilen musste im oberen Stockwerk eine Tür zu geschlagen sein, doch die Türen waren meist allesamt geschlossen – bis auf die des Kinderzimmers; die war angelehnt, da ihre vierjährige Tochter sonst Angst hatte. Aber warum schlug diese Tür zu?
Irgendwas stimmte nicht. Sie spürte es. Sie wusste es. Sie musste nach ihrem Kind sehen. Nach Lizzy. Jetzt.
Panik ergriff sie. Sie huschte in ihre Pantoffel und rannte den Flur hinunter in die finstere Eingangshalle der großräumigen viktorianischen Villa, wo sie sich umschaute. Ihr Atem ging keuchend. Sie blickte in jeden dunklen Winkel. Nichts war zu sehen. Das Ticken der Standuhr drang in ihre Sinne. Sie war allem Anschein nach tatsächlich bis auf die Bediensteten allein und auf ihren Schultern lag wie stets in der Abwesenheit ihres Gatten, die zentnerschwer Verantwortung für das Haus, die Angestellten, das Kind.
War es ein Einbrecher? Sollte sie nicht besser die Polizei zur Hilfe holen? Die Alarmanlage war eingeschaltet, das rote Lämpchen blinkte. Ein Einbrecher hätte die doch normalerweise längst außer Gefecht gesetzt, oder? Egal.
Conny rannte die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Beinahe fiel sie der Länge nach über eine Welle des Läufers, konnte sich jedoch im allerletzten Augenblick mit den Händen abstützen.
In ihrem Kopf spielten sich Szenarien aus schlechten Filmen ab, gegen die sie sich vehement zur Wehr setzte. Sie lief den langen mit einem roten Teppich ausgelegten Korridor entlang, versuchte krampfhaft ihre Atmung, ihre kopflose Panik in den Griff zu bekommen. Fehlte gerade noch, dass sie ihre irrationalen Ängste unbewusst auf ihr Kind übertrug.
Sie hastete den Gang herunter an vielen geschlossenen Türen vorbei, denen sie bisher keinerlei Beachtung geschenkt hatte. Dann, endlich, hatte das Kinderzimmer, das zweitletzte Tür links erreicht.
Conny starrte perplex auf die geschlossene Tür. Das war es also. Die Tür war zugeschlagen – obschon sie diese weit offen stehen gelassen hatte.
Ein leises Weinen, ein Mitleid erregendes leises Wimmern drang zu ihr.
„Mami! Mami!“
Eilig trat in das Zimmer. Ein eisiger Luftzug schlug ihr ins Gesicht.
Das Licht der Straßenlaterne leuchtete ins Zimmer, sodass sie ohne Mühe das weit geöffnete Fenster sehen konnte. Es waren es gerade mal zehn Grad im Raum. Es ging ein vom heulenden Sturm begleitender Platzregen nieder. Auf dem Teppich am Fenster hatte der Regen eine Pfütze gebildet.
„Um Himmels willen!“
Die Kleine weinte. „Mami, es ist so kalt.“
„Keine Angst, mein Schatz. Gleich ist alles wieder in Ordnung.“
Sie schaltete das Licht ein, schloss das Fenster, drehte die Heizung höher, ehe sie sich ihrem Kind zu wandte, dass aufrecht in ihrem Bettchen mit vor Fieber glühenden Wangen stand. Regen schlug im nächsten Augenblick von einer Windböe erfasst, laut klatschend gegen die Fensterscheibe.
Conny kochte vor Wut. Sie war sich sicher, sie selbst hatte den Stopper vor die Tür gestellt – jetzt befand er sich einige Zentimeter von der eigentlichen Stelle entfernt. Wer brachte es fertig ein ohnehin schon erkältetes Kind der Gefahr einer Lungenentzündung auszusetzen? Diese Frage quälte Conny.
Das Kind hustete gequält, es röchelte. Besorgt fühlte Conny ihr die Stirn. Sie hatte hohes Fieber. Mindestens 39 Grad, wenn nicht mehr. Vor zwei Stunden noch hatte die Kleine nur noch leicht erhöhte Temperatur gehabt, dass könnte sie schwören. Lissy hatte einen Rückfall erlitten.
Die Kleine sah ihre Mutter mit ihren blauen großen Augen an. „Es war einer hier! Er war ganz groß, Mami, ein echter Riese wie im Märchen, und er war schwarz“, behauptete das Kind. „Ich dachte, du bist das. Du bist ja auch groß. Und dann bin ich wieder eingeschlafen. Auf einmal wurde es so kalt.“
Erschrocken sah sie ihre Tochter an, schüttelte ihr das Bett aus, rieb ihr die Brust mit einem Erkältungsbalsam ein. „Hast du denn irgendwas gehört?“
„Nein. Ich habe gefragt, wer er ist, aber er hat nichts gesagt.“
Konnte das stimmen oder hatte Lissy das im Fieberwahn geträumt? Anderweitig, wer hatte denn dann das Fenster geöffnet? Sie nicht.
Liebevoll gelang es Conny, ihre Tochter zu beruhigen, sodass die Kleine wieder in einen Schlummer fiel. Lissy schmiegte ihre Stoffpuppe an sich. Liebevoll strich Conny ihr über das lockige dunkle, fast schwarze halblange Haar.
Sie wandte sich zum Gehen um, doch sie schnappte urplötzlich nach Luft. Ihre kornblumenblauen Augen weiteten sich. Sie war viel zu erschrocken, um zu schreien.
Eine hochgewachsene dunkle Gestalt stand wenige Meter vor ihr. Dieser Jemand stand reglos da und starrte sie an. Er sprach kein Wort.
Ihre Stimme war nicht mehr als ein Hauchen. „Wer ist da?“
Anstatt jedoch Antwort zu geben, trat er näher an sie heran, sodass sie seine steinerne Visage sehen konnte. Es war Oscar, der Butler.
„Entschuldigen Sie, gnädige Frau. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich habe meinen letzten Kontrollgang gemacht.“
„Mami?“
Sie fand rasch ihre Fassung wieder. „Alles ist gut, mein kleiner Schatz. Ich lasse die Tür offen stehen.“ Conny drehte die Spieluhr auf der Kommode auf, deren Melodie eine besänftigende Wirkung auf sie hatte. „Schlaf gut, Lissy.“
Lautlos ging sie ein Stück in Richtung ihres Schlafzimmers. In ihr tobte ein Hurrikan des Zornes. Was sollte das eben; sie so zu erschrecken?
Sie schielte zur Seite. Er ging neben ihr her. Die Gesichtszüge des alten Butlers waren von messerscharfen tiefen Falten markant umgeben. Er trug einen dunkelroten Bademantel über seinen schwarzen Pyjama. Der Mann war ihr seit jeher unheimlich. Richards verblichene Vorfahren hatte bereits seinen Großvater und den Vater, ebenfalls Butler beschäftigt.
„Was sollte das eben, Oscar? Warum haben Sie das Fenster geöffnet?“
„Ich?“ Oscar blickte sie kaltherzig an. „Das war ich nicht. Die Kleine hat Temperatur und deswegen hat sie es wohl geträumt. Kinder fantasieren oft, vor allem wenn sie Fieber haben.“
Das konnte sie nicht leugnen. „Es sind nur noch Sie im Haus, Oscar. Megan und Ella nächtigen, wie Sie ja selbst wissen, für gewöhnlich in den eigenen vier Wänden.“
„Ich habe es jedenfalls nicht geöffnet.“
„Irgendwer wird es ja wohl gewesen sein müssen. Mein Kind hat eine schwere Erkältung und Sie glauben doch wohl selbst nicht, dass ich das Fenster bei diesem Wetter offen lasse, mein Kind dieser Gefahr aussetze.“
Stolz hielt er sein breites Kinn hoch, sodass es wirkte, er blicke er auf sie herab. Für Conny war dies die reinste Provokation. „Ich kann Ihnen nur versichern, dass sich von uns jeder an Ihre Anweisungen hält.“ Er sah sie unverblümt an. „Sie haben es wahrscheinlich vergessen.“
„Genug!“, schmetterte sie ihm mit hochrotem Gesicht entgegen. „Von ihren Respektlosigkeiten habe ich genug, Oscar. Das wird Konsequenzen haben, dafür werde ich sorgen. Richten Sie dem Personal morgen aus, ich erwarte diese Person zu sprechen. Andernfalls droht die fristlose Kündigung. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Er lächelte süßlich, sich wohlig in der Gewissheit wiegend, dass diese Frau ihm nichts anhaben konnte. Sein Boss stand ihm treu ergeben zur Seite und er sah keinen Grund, warum das diesmal anders sein sollte.
„Verzeihen Sie mir meine Direktheit, gnädige Frau, aber Sie haben nicht die Befugnis, mich, oder sonst jemanden vom Personal zu entlassen.“
Sie holte tief Atem, zwang sich ruhig zu bleiben. Es war ihr nur zu bewusst, wie wenig Achtung und Respekt ihr allgemein entgegengebracht wurde. Es schien, als nähme sie niemand so richtig ernst, geistig für gesund, seitdem irgendwie nach außen drang, dass ihre seelische Stabilität wegen einer grässlichen Depression nach Lissys Geburt ins Wanken geriet, sie fachmännische Hilfe aufsuchen musste.
Conny ließ ihre helle, sonst angenehme Stimme schärfer als sonst erklingen, als sie sagte: „Meinem Mann werde ich diesen Vorfall präzise darlegen. Ungeschoren kommen Sie mir diesmal nicht mehr davon, dafür werde ich sorgen.“
Doch der Butler zeigte sich unbeeindruckt. „Wie Sie meinen. Aber finden Sie nicht, dass Sie diesen Vorfall, sagen wir mal, nicht ein bisschen zu sehr hochspielen?“
Sie beruhigte sich. Besonnener fuhr sie fort: „Mir ist klar, dass Sie meinen Mann sehr verehren, Oscar, doch lassen Sie sich gesagt sein, so liebenswürdig und großzügig er sich auch gibt, er ist auch nur ein Mensch, und bei weitem nicht unfehlbar. Es ist mir schleierhaft, warum er ausgerechnet an Ihnen einen Narren gefressen hat, doch bei mir kommen Sie damit nicht durch. Merken Sie sich das!“
Er sah sie unverhohlen an, der Schelte zum Trotz, und biss die Zähne aufeinander. Sein Lächeln wirkte maskenhaft. „Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.“
Ohne den Mann noch eines Blickes zu würdigen, ging Conny den Gang hinunter zu ihrem Schlafzimmer. Entschlossen drückte sie die Türklinke herunter, hielt jedoch inne. Sie fühlte sich auf seltsame Weise unbehaglich, ganz so als, wenn jemand sie beobachte. Als sie bedächtig einen Blick zurück in den Korridor warf, lief es ihr eiskalt den Rücken hinab.
Der Butler stand reglos im Korridor – und sah sie direkt an. Er sagte kein Wort. In den absonderlich glänzenden Pupillen lag etwas befremdliches, etwas, was sie zutiefst beunruhigte. Die Hände hatte er in die Taschen seines Morgenmantels vergraben, daher konnte sie nicht sehen, dass er sie zu Fäusten geballt hatte. Wenn es in ihrem Kopf nicht so rauschen würde als stünde sie vor einem nervlich bedingten Kollaps, könnte sie auch das zornige Knirschen seiner Zähne vernehmen.
Conny ging wütend in die Offensive – und starrte ihn ebenso an.
Ruckartig, als habe sie ihn damit aus der Trance gerissen, schüttelte er sein Haupt, ging mit großen Schritten erst den Flur in ihr entgegengesetzte Richtung, dann die Treppe hinunter.
Conny fröstelte, als sie die Tür des Schlafzimmers hinter sich schloss. Kalter Schweiß stand ihr auf der fahlen Stirn und ihr war übel.
Was, zum Teufel nochmal war eigentlich los in diesem Haus? Welches makabere Spiel wurde mit ihr getrieben? Oder entsprang dieser Eindruck bloß ihrer regen Fantasie? Nein!, wusste sie. All dies war real. Erschreckend real. Und, nein, sie war nicht verrückt, schon gar nicht depressiv. Diese schreckliche apathische Phase hatte sie hinter sich gelassen.
Die kleinen blauen Pillen, die ihr Nervenkostüm festigten, hatte sie vor anderthalb Jahren schon in Richards’ Gegenwart in den Müll befördert. Sie brauchte sie nicht mehr und sie wollte sie auch nicht mehr, deren Chemie hatten sie zuletzt nur noch angewidert. Conny wollte sie von Anfang an nicht nehmen, aber Richard hat so lange auf sie eingeredet, dass sie schließlich resignierte. Es seien nur harmlose Stimmungsaufheller, hatte er beteuert. Mit Widerwillen hatte sie geschluckt. Wie sie dann spürte, das die ihr halfen, sich besser zu fühlen, sie besser gelaunt war, fröhlicher, nahm sie freiwillig weiter. Sie fühlte sich so wunderbar anders, so frei und glücklich. Conny hatte das Gefühl, als würden die Burg in ihrem Kopf, so verglich sie ihr Gemüt, mit deren Hilfe zu einer starken Festung wandeln. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen.
Heute war sie klar im Kopf. Ihr scharfer Verstand war mehr denn je zu Logik fähig. Conny fühlte sich fabelhaft. Mental wie körperlich. Die Burg, vielmehr das Mauerwerk war sicher und solide, jeder der Steine lag wohlgeordnet und gerade auf den anderen, ein jeder an seinen Platz.
Sie blickte in den ovalen Spiegel vor sich. Ihre Wangen waren fleckig vor Erregung. Um sich zu beruhigen, setzte sie sich an den altmodischen Frisiertisch und bürstete ihr dunkelblondes halblanges Haar, dass es nur so glänzte, bevor sie entmutigt die Arme in ihren Schoß fallen ließ. Es brachte alles nichts, sie musste mit Richard über diesen Vorfall reden, auch wenn sie sich nicht viel davon versprach. Er hielt sicherlich wie so oft schützend seine Hand über den Butler, doch auch er konnte letztendlich die Augen vor den Tatsachen nicht verschließen. Wenn er etwas für seine Ehefrau empfand, so meinte sie, würde er den Diener in die Schranken weisen. Und er liebte sie. Er liebte sie sogar sehr. Dessen war sie sich sicher.
Sie lehnte sich zurück und schmunzelte bei der Erinnerung daran, wie sie und Richard sich vor dreizehn Jahren in ihrer deutschen Heimat Lüneburg kennengelernt hatten. Er arbeitete zu jener Zeit für ein halbes Jahr in einer renommierten Kanzlei, sie, zweiundzwanzig Jahre jung, jobbte im Supermarkt. Sie war an diesen Tag damit beschäftigt gewesen neue Ware zu etikettieren, als ein hilfloser Mann im dunklen Anzug mit roter Krawatte sie unbeholfen nach einem Fertiggericht amerikanischer Art fragte. Wie zuvorkommend er war, wie höflich – und so schüchtern. Sie fand das entzückend. Die beiden verliebten sich auf den ersten Blick ineinander und verbrachten nunmehr ihre Freizeit gemeinsam. Sie nutzte die Gelegenheit, um ihn die Schönheiten ihrer Heimat zu zeigen; wozu sein Beruf ihm kaum Zeit ließ. So fuhren sie unter anderem mit der Kutsche durch die blühende Heide oder sie brachte ihm ihre geliebten Gedichte von Hermann Löns nahe, der die Schönheit der Heide in wohlklingenden Worten anpries.
Beide schmiedeten eifrig Zukunftspläne, die allerdings seitens ihrer sechs Jahre älteren Schwester als auch der pflegebedürftigen Eltern auf nur wenig Gegenliebe stießen. Aus Trotz allein schon schlug sie deren Bedenken, vor allem des Altersunterschiedes von zwölf Jahren wegen in den Wind. Wen kümmerte das denn schon, wenn man sich liebte? Die Beziehung beider zu Frank, Conny um vier Jahre älteren Bruder hingegen war mehr als herzlich. Auch er kehrte seinem Zuhause alsbald den Rücken, um in London sein Glück zu suchen.
An Richards Seite wanderte Conny letztlich in die USA aus. Außer Frank war keiner ihrer Familie mit zum Flughafen gekommen, um sich dort von ihr zu verabschieden. Es kränkte sie zwar, doch sie hatte von Evelyn im Grunde genommen eigentlich gar nichts anderes erwartet.
So zog frisch verliebt in die Villa an der Van Ness Avenue ein. Seine strengen Eltern, die nur wenige Häuser weiter wohnten, und bereits eine der wohlbetuchten Töchter für ihren Sprössling ausgesucht hatten, kamen ihr die ersten Wochen frostig entgegen, doch da sie einsehen mussten, dass ihr einziger Sohn diese Frau von Herzen liebte, und auch Conny mit der Zeit lieb gewannen, begann das Eis langsam zu schmelzen. Ihre Vermählung fand im kleinen Kreise statt, beide wollten es so, und auch die vierwöchigen Flitterwochen in St. Tropez waren ein Traum. Ja, und wenn sie zurückdachte, war dies die glücklichste Zeit ihres Lebens, nur Nachwuchs wollte sich lange Zeit nicht einstellen.
Conny stöhnte gequält, erhob sich um zu Bett zu gehen, als ihr Blick auf ein Foto warf, der sie an Richards Seite lachend mit einem seiner Freunde auf ihrem Segelboot in der sonnigen Bay von San Francisco zeigte, im Hintergrund war die Golden Gate Bridge zu sehen. Bill war sein Freund, ebenso waren alle Bekannten Richards Freunde. Sie hatte niemanden, den sie ins Vertrauen ziehen mochte, und konnte. Ihr wurde von diesen Leuten stets eine kühle Freundlichkeit entgegengebracht, wohin gegen sie Richard in ihrer Anwesenheit herzlich entgegentraten.
Conny nahm sich, wie sie unter die leichte Bettdecke huschte felsenfest vor, in einer ruhigen Minute mit ihm zu reden. Er war ihr Märchenprinz, der Mann den sie sich als Teenager herbeigesehnt hatte. Ihrem Kind ein fabelhafter und vor allem liebevoller Vater.
Um zwei Uhr Nachts erwachte sie von einem Geräusch. Sie lag im Bett, hörte eine Person, wahrscheinlich Richard die Treppe hoch stampfen. Sie hielt den Atem an, lag reglos, da als Schritte sich ihrem Raum nährten. Aber er kam nicht zu ihr. Er ging wohl wieder mal in das Gästezimmer, nur zwei Türen weiter.
Am nächsten Morgen um sieben traf sie Richard gut gelaunt im Salon beim Frühstück an. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf die glatt rasierte Wange. „Guten Morgen, Richard. Gut geschlafen?“
„O ja, auch wenn die Nacht ziemlich kurz war.“ Er gähnte. „Die Verhandlungen zogen sich bis tief in die Nach hin.“
„Ich habe auf dich gewartet“, sagte sie rundheraus.
Er blickte sie betroffen an. „O, das tut mir leid, Liebes. Ich hätte dir gestern sagen müssen, dass du nicht warten sollst. Ich wollte dich einfach nicht stören.“
„Danke für die Rücksichtnahme, aber das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen.“ Sie neigte sich zu ihm herüber. „Ich hätte gern noch mit dir gekuschelt.“
„Ein anderer es Mal, ja?“
„Okay, aber lass mich ja nicht zu lange warten.“ Sie trank einen Schluck Orangensaft. „Konntest du dich mit den Bossen einigen?“
„Ja, zum Glück.“ Er maß sie mit einem kritischen Blick. „Seit wann kümmern dich meine Geschäfte?“
Seufzend stellte sie die Tasse aus dünnem Porzellan auf die Untertasse. „Richard, also ich bitte dich! Ich habe mich immer schon für deine Geschäfte interessiert, du hast es nur nie richtig zur Kenntnis genommen.“
Er hob die grauen Augenbrauen erstaunt, schmunzelte. „Tatsächlich?“
„Tatsächlich.“
Sie spürte seine Angespanntheit, sah ihm an, wie sehr es in seinem Kopf arbeitete. Richard war nervös, seine knochige langgliedrige Hand zitterte leicht. Wieso nur?
„Was hast du, Conny? Kummer?“
„Ach, ich mache mir nur Sorgen um Frank. Ich habe schon so lange nichts mehr von ihm gehört.“
Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Mensch, Conny! Das habe ich vergessen dir zu sagen. Entschuldige, bitte! Dein Bruder hat vorgestern angerufen. Du hattest dich zurückgezogen wegen deiner Migräne und er wollte nicht das ich dich hole. Ich soll dir ausrichten, er sei umgezogen und würde sich wieder bei dir melden, wenn der Stress vorbei sei.“
„O, na dann ist es ja gut.“ Sie lächelte ein wenig. „Richard, gehst du mit mir zum Ball nächsten Monat, im Sheraton? Ich hätte wirklich mal wieder nach langer Zeit Lust das Tanzbein mit dir zu schwingen.“
Richard verschluckte sich beinahe. Er tupfte sich das Kinn, an dem ein Fleck Kaffee drohte, seine teure Hose zu ruinieren, mit einer Servierte ab.
„Conny, meinst du das ernst? Fühlst du dich denn -“
„Richard, es geht mir blendend“, fiel sie ihm freudig ins Wort. „Es ging mir noch nie besser. Du kannst also deiner Rosemary sagen, dass ich ihre Dienste nicht mehr benötigen werde.“ Er starrte sie sprachlos an. „Du hast mich schon verstanden.“
Richard holte tief Luft, versuchte Fassung zu wahren. Es war ihr gelungen ihn zu verunsichern. „Wie du meinst. Aber nur, wenn es dich nicht überfordert.“
„Keine Sorge! Es ist eh an der Zeit, dir eine gute Ehefrau, eine Lebensgefährtin zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes.“
Er legte seine Hand auf ihre. Sie war braun gebrannt, er trug seinen goldenen breiten Ehering. „Das freut mich zu hören. Wirklich! Du hast mir gefehlt, Conny. Rosemary ist bei weitem nicht so gute Tänzerin wie du. Stell dir vor, meine Zehen sind von vorletzter Woche immer noch blau.“
Sie lachte amüsiert auf. „Du bist zu bedauern. Na, zum Glück hat deine Leidenszeit ja jetzt ein Ende.“
„Sehr beruhigend. Was hast du heute so vor?“ Sie zuckte ahnungslos die Schultern. „Fahre doch in die Stadt, treffe dich mit deiner Freundin zum shoppen.“
„Mal sehen. Ich hatte mir vorgenommen, Ella heute Nachmittag bei den Gardinen zur Hand zu gehen. Sie ist nicht mehr die Jüngste.“
Zu spät. Sie war damit bei ihm ins Fettnäpfchen getreten. Das Personal war der wunde Punkt zwischen ihnen. Er sah sie hart an. „Conny, ich bitte dich! Du als Herrin dieses Hauses hast es ja wohl nicht nötig, dich zu solch niedrigen Arbeiten herabzulassen. Das ist Sache des Personals“, entrüstete er sich. „Dafür ist schließlich Megan auch noch da.“
„Ich habe keine Ahnung, warum du diese Frau eingestellt hast, Richard. Wenn ihre Referenzen noch so gut sind, sie ist frech, vorlaut und faul, respektlos mir gegenüber. Lissy mag sie auch nicht.“
„Nun gut, ich werde mit ihr reden. Entweder sie strengt sich mehr an oder sie sucht sich einen neuen Job.“
Sie war erleichtert. „Ich danke dir, Richard.“
Er neigte sich zu ihr herüber, um sie zu küssen, ehe er mit seinen graublauen Augen tief, in die ihre blickte. Die Wärme darin entschädigte sie im Nu für allen Verdruss der letzten Tage. „Ich liebe dich, Conny, dich und meine Kleine. Ich möchte euch beide glücklich sehen.“ Er stand auf, ging zur Tür. „Warte bitte nicht auf mich heute Abend. Wir haben wieder mal eine dieser endlos langen Sitzungen. Es geht um eine millionenschwere Fusion. Gebe unsere Kleinen einen Kuss von mir.“
„Das werde ich.“
„Wie geht es dem Kind? Oscar erzählt mir von dem Vorkommnis. Du hast vergessen das Fenster zu schließen, sagt er.“
Sie hielt selbstbewusst seinem Blick stand. „Das Fieber ist gesunken, sie hat nur noch leicht erhöhte Temperatur.“ Sie neigte sich zu ihm vor. „Richard, ich habe das Fenster nicht vergessen. Außerdem hat Lissy jemanden in ihrem Zimmer gesehen. Und sie lügt nicht. Lissy nicht.“
Er lachte, wiegte den Kopf. „Kinder flunkern nun mal ab und zu und die Kleine hatte Fieber. Sie wird fantasiert haben. Und überhaupt, wer, wenn nicht du, sollte das gewesen sein?“
„Dein Diener vielleicht?“
„Glaubst du das im Ernst? Warum sollte Oscar so etwas tun?“ Ehe sie Einwand erheben konnte, sagte er: „Du, ich muss jetzt los. Bis später.“
Er verabschiedete sich winkend von ihr und verschwand hastig um die Ecke. Einige Momente später hörte sie die Haustür ins Schloss fallen.
Es ärgerte sie ungemein, dass er der Äußerung seines Kindes keinerlei Bedeutung beimaß. Und nicht nur das. Oscar log Richard an und der glaubte ihm auch noch blind jedes Wort. Diese Tatsache verdarb ihr den Appetit. Sie ließ das Brötchen auf den Teller fallen, trank hastig die Tasse Kaffee leer. Da sie wusste, das Lissy in Ellas Obhut gut aufgehoben war, schickte sie sich zu einem Spaziergang an. Sie brauchte dringend frische Luft.
***
Niedergeschlagen, weil sie nicht wusste, wie sie ihren Ehemann überzeugen konnte, wanderte Conny durch die Gänge des Hauses. Sie schlich an das Bett ihrer Tochter. Ihr Mädchen schlief tief und fest. Liebevoll deckte sie sie zu. Sie nahm sich beim Verlassen des Zimmers fest vor, noch aufmerksamer als zuvor auf ihr Kind zu achten; sofern dies noch möglich war. Das mit dem Fenster gestern hätte niemals geschehen dürfen. Nie. Es war eine Intrige gegen sie in Gange, da war sie sich sicher.
Ella Barnes, eines der älteren der insgesamt drei Dienstmädchen kam mit einem Stapel Wäsche auf dem Arm lautlos ins Zimmer, begrüßte sie mit einem angedeuteten von einem Lächeln begleitenden Nicken.
„Wie geht es ihr?“, fragte Ella im Flüsterton.
„Viel besser.“
„Gut.“
Die untersetzte grauhaarige Frau in schwarz-weißer Uniform und Häubchen ordnete die Wäsche in den Schrank und der Kommode ein, worauf sie ihrer Herrin voraus in den Flur ging. Sie sah Conny, die unschlüssig darüber, was sie tun sollte, mit sich und ihrem Gewissen hadernd, an.
Conny fand ihr Verhalten merkwürdig. Es war ihr mulmig zumute. Sie kannte sie gut genug, um zu wissen, dass diese Frau sich eher die Zunge abbeißen würde, ehe sie wegen eines unbegründeten Verdachts hin den Mund aufmachte. Eine tiefe Freundschaft verband die beiden Frauen.
„Was ist los, Ella?“
„Ich muss mit Ihnen sprechen. Es ist wichtig“, flüsterte sie.
Die sah sie irritiert an, dann nickte sie ihr zustimmend zu, ehe sie die Bedienstete eilig, damit sie beide niemand des Personals sah, diskret in eines der Zimmer zu führen, und die Tür schloss. Megan würde sofort ihre Unterredung mit Conny Oscar stecken, aus Angst um ihren Job.
Ella kam sofort zur Sache. „Es tut mir echt leid, was gestern Nacht passiert ist. Ich sage Ihnen, es war volle Absicht von Oscar.“
„Oscar war das also! Und warum?“
Ella zuckte die Achseln. „Auf Geheiß ihres Mannes, so einfach ist das! Er ist Richard hörig, tut beinahe alles um ihm seine Dankbarkeit zu beweisen. Es gibt da so eine alte Geschichte, die hat sich zugetragen, als Richards Eltern noch lebten. Richard war nie ein Engel, genauso wenig wie Oscar; die beiden haben so manches Ding miteinander gedreht, nur nicht immer legal. Neulich hat sich Oscar bei ihm eine größere Summe geborgt. Für die Rennbahn hat er behauptet. Ich habe widerwillig einen erbitterten Dialog zwischen den beiden mitbekommen. Richard wollte ihm einen Teil der Schulden bei ihm erlassen, wenn er sich dafür erkenntlich zeige, und was für ihn täte.“
„Aha, interessant.“
Sie verschwieg Conny, um sie nicht noch mehr aufzuwühlen als sie es eh schon war, dass der Butler ihr, Conny ausgeprägte Hassgefühle entgegenbrachte, die er stetig unter dem Personal nährte. Conny stand denkbar schlecht da. Doch bei ihr, Ella, biss er sich mit seinen Tiraden die Zähne aus. Sie hielt loyal zu ihrer Chefin und schwieg oftmals.
Ella legte Conny den Arm um die Schulter. „Ich weiß gar nicht wie ich Ihnen helfen kann, ohne meinen Job zu riskieren. Es ist alles so schrecklich verworren. Er erzählt uns zum Beispiel, dass Sie diese blauen Pillen immer noch einnehmen, und deshalb ab und zu nicht ganz ‚in der Welt‘ sind.“
„Ungeheuerlich! Ella, ich weiß schon seit einiger Zeit, dass in diesem Hause einiges nicht zum Besten steht. Die Spannung in diesem Hause kann ich spüren, auch wenn ich nicht weiß, was hier gespielt wird. Und mein schöner hellblauer Kaschmirpullover ist immer noch unauffindbar?“
„Leider ja. Ich selbst habe das ganze Haus abgesucht.“
„Komisch. Lissy mochte ihn immer so gern. Er war so schön kuschelig.“
Ella sah sie nachdenklich an, ehe sie im Flüsterton weiter sprach. Die Worte kamen hektisch über ihre vor Erregung bebenden Lippen. „Oscar ist einkaufen gefahren, sonst würde ich auch nicht mit Ihnen reden können. Wir müssen ihm alles berichten; jede Kleinigkeit, was wir Ihnen sagen oder was Sie tun. Und wir dürfen Sie niemals mit dem Kind allein lassen, einer von uns muss immer ein Auge auf sie und Lissy haben.“ Sie zögerte, aus bodenloser Furcht, sie habe schon viel zu viel gesagt. Der erwartungsvolle Blick ihrer Herrin veranlasste sie fortzufahren. „Ihr Mann ist in letzter Zeit öfter unterwegs und die Abende verbringt er lange allein in seinem Arbeitszimmer, er telefoniert auffallend viel herum. Ich sage Ihnen, er hat irgendetwas im Sinn – etwas sehr, sehr böses.“
„Ella, hören Sie auf damit!“, fuhr sie erregt an. „Das ist Unsinn! Richard täte nie etwas Böses! Er ist so lieb zu mir und Lissy. Er liebt uns vom ganzen Herzen. Und überhaupt, warum sollte er das so etwas tun?“
„Weil er eine Affäre mit Rosemary hat!“
Ihr Herzschlag setzte aus. „Das ist nicht wahr!“
„Doch! Das ist ein offenes Geheimnis in diesem Haus. Das weiß, bis auf Sie, jeder hier! Einmal, als Sie im Bett waren, kam sie sogar mal hierher und hat ihn abgeholt. Die beiden turtelten herum wie ein Liebespaar.“ Ihr Blick war nachsichtig. „Wachen Sie auf, Conny! Wie lange wollen Sie noch die Augen vor der Realität verschließen?“
„Genug jetzt!“ Sie öffnete ihr die Tür. „Ich bin ihre Vorgesetzte! Was fällt Ihnen eigentlich ein, so mit mir zu reden?“
„Da ist nötig, damit Sie endlich ihren Mann als das sehen, was er wirklich ist. Ein notorischer Fremdgeher und Lügner!“
„Schluss jetzt!“, fuhr sie heftig an. „Sie gönnen mir mein Glück an seiner Seite einfach nicht, Ella. Das ist ihr Problem. Ich habe Ihnen in letzter Zeit anscheinend zu viel an Taktlosigkeiten durchgehen lassen.“
Gekränkt sah die Bedienstete sie an. „Glauben Sie das im Ernst?“
„Ja, das glaube ich.“
„Dann sind Sie noch blauäugiger und dümmer, als ich dachte.“
„Genug!“ Sie hielt die Tür noch weiter auf. „Gehen Sie wieder an ihre Arbeit, Ella! Dieser Dialog hat nie stattgefunden.“
Sie machte Anstalten zu gehen, hielt kurz vorm Verlassen des Raumes inne. Sie drückte Conny mit einem so eindringlichem Blick die Hand, dass es ihr mulmig wurde. „Ich flehe Sie an, Conny, bitte passen Sie gut auf sich und das Kind auf. Ich könnte es nicht ertragen, wenn -“
„Schluss jetzt, Ella! Ich will nichts davon hören.“
„Irgendwann können Sie aber nicht mehr den Kopf in den Sand stecken.“ Nun konnte die Frau nicht mehr anders. Sie sagte es. „Er hat oft mit ihrer Schwester telefoniert. Die planen irgendwas. Mehr weiß ich nicht.“
Conny sah die Frau an, als sei die von allen guten Geistern verlassen. Sie lachte auf. Allein der Gedanke daran, dass die beiden sich miteinander unterhielten, war zu aberwitzig in ihren Augen. „Unmöglich! Er nennt meine Schwester eine verbiesterte Trockenpflaume. Die beiden können sich nicht leiden und zu sagen haben sie sich erst recht nichts.“
„Was ich gehört habe, das habe ich gehört!“, sprach die ältere Frau hartnäckig. „Die beiden haben sich sehr angeregt unterhalten. Ich konnte es ganz deutlich hören. Ihr Name fiel einige Male – im negativen Sinne.“
„Das mein Name fiel, das haben Sie gehört?“
„Mehrmals!“
„Ella, wissen Sie, wie unglaubwürdig das alles in meinen Ohren klingt?“
Trotzig hob die das Kinn die Höhe. „Es ist mir egal, wie sich das anhört. Ich sage die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.“
Conny gab der Bediensteten mit einer stummen Geste zu verstehen, dass der Dialog beendet war. Sie schloss hinter ihrem Rücken hart die Tür.
Sie blickte hinaus in den sonnigen Tag. Das Fenster war zum Lüften geöffnet. Von weit her hörte sie die Cable Car rattern, die Schreie der Möwen in der Bay schallten zuweilen vom kühlen Seewind getragen zu ihr. Den Straßenlärm hörte sie, inzwischen abgestumpft kaum noch. Ella hat sie noch nie angelogen. Was war, wenn darin auch nur ein Fünkchen Wahrheit lag?
***
Der nächste Tag brachte Conny eine unliebsame Überraschung. Sie hätte nach der Unterredung mit Ella schwören können, dass sie die neuste Ausgabe des San Francisco Chronicle aufgeschlagen auf ihren Schreibtisch gelegt hatte. Sie nahm sie zur Hand – und starrte auf ein Foto. Darauf war Richard zu sehen, der auf der Tanzfläche seinen Arm um eine glückselig strahlende Frau legte. Da stand:
DIE NEUE FRAU AN DER SEITE VON R.WINFIELD?
WO IST SEINE GEMAHLIN? WIE KRANK IST SIE WIRKLICH?
Conny klappte die Kinnlade herunter, die Hitze des Zorns stieg ihr ins Gesicht. Sie und krank! Aber es war nicht nur das. Sie kannte die Frau, kannte sie sogar gut. Sie war einige Jahre älter als sie und sie, Conny, hatte letzte Woche zusammen mit ihr, Rosemary Berger Tennis gespielt. Alles war sie sonst auch gewesen. Die Witwe war eine bekannte Persönlichkeit, die für ihre Großzügigkeit bei sozialen Projekten berüchtigt war, und – im Gegensatz zu Conny – gern in der Öffentlichkeit erschien.
Den Druck, der sich in Conny ausbreitete, wenn das Scheinwerferlicht auf sie fiel, während sie glückstrahlend an der Seite von Richard in die Menge lächelte, ertrug sie seit der Niederkunft ihrer Tochter einfach nicht mehr; und wenn sie ehrlich war, sie wollte sie das auch gar nicht mehr erdulden. Zuerst war sie damit einverstanden, dass Rosemary sie bei wohltätigen Anlässen dann und wann mal vertrat, hatte es sogar mit ihr einhellig besprochen, doch irgendwann, sie konnte nicht mal mehr sagen, wann genau, hatte Richard einfach aufgegeben sie, Conny, zu fragen, ob sie ihn begleitete, und Rosemary nahm dies einfach als Selbstverständlichkeit hin – bis heute. Leise schleichend, unmerklich fand dieser Prozess statt.
Conny wartete am Abend in der mit wuchtigen mit schwarzen Leder bezogenen Möbelstücken eingerichteten Bibliothek auf Richards Heimkommen.
Sie ging nervös im Zimmer auf und ab, betrachtete die hohen Regale, die bestückt waren mit klassischen Stücken der Weltliteratur und juristischen Standard-Werken.
Sie hörte Richard ins Haus kommen, ihn einige Worte murmelnd mit Oscar wechseln. Schwere Schritte näherten sich ihr. Energisch öffnete er die Tür und blieb perplex auf der Schwelle stehen. „Conny! Du hier? Ist was passiert? Geht es unserer Kleinen schlechter?“
„Nein, Lissy geht es gut. Sie freut sich schon wieder riesig darauf, bald mit ihren Freunden im Kindergarten spielen zu können.“
Erleichtert ließ er seine Aktentasche auf den Stuhl hinter den wuchtigen Schreibtisch fallen.
„Gott sei Dank! Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt.“ Er rieb sich mit wehleidiger Miene die Schläfe. „Können wir diesen Dialog nicht verschieben? Ich bin überreizt und müde. Ich möchte einfach nicht, dass wir beide uns im Streit böse Dinge an den Kopf werfen, die wir später bitter bereuen werden.“
„Warum? So weit muss es doch gar nicht kommen. Oder, Richard?“ Sie dachte gar nicht ihm diese Chance, einen Aufschub zu gewähren, um seine Pläne weiterhin zu verschleiern, denn das sie ihn, aller Wahrscheinlichkeit ins Schwitzen brachte, war ihr mehr als Recht. „Wir reden hier und jetzt. Hart war mein Tag auch – vor allem was das Personal angeht. Dein autoritärer Führungsstil ist nicht der meine.“
Er blickte über den Rand seiner Nickelbrille. „Wenn du auf das geöffnete Fenster anspielst, ja, ich weiß davon. Und von deinen Respektlosigkeiten gegenüber Oscar ebenfalls.“
Conny schnappte nach Luft. „Was?“
„Er sagte, du hättest in einem Ton mit ihm geredet, der seinesgleichen nicht würdig sei. Ich habe mit Engelszungen auf ihn eingeredet und versucht, ihn von einer fristlosen Kündigung abzubringen. Er war sehr wütend. Du wirst dich bei ihm entschuldigen. Ich bestehe darauf! So einen guten Butler wie ihn kriege ich nie wieder.“
„Das ist nicht wahr, Richard.“
„Willst du damit andeuten, dass Oscar lügt?“
„In diesem Fall, ja! Außerdem habe ich das Fenster fest verschlossen. Das kann Ella Barnes bezeugen. Sie war dabei, als ich Lissy ins Bett brachte. Ich schwöre dir, Richard, der Raum war wohlig warm, als ich ihn verließ.“ Sie berichtete ihm detailliert alles. „Und dein Oscar war der einzige, der außer Lissy und mir noch im Hause war.“
Hilflos warf er die Arme in die Höhe. „Ich bitte dich, nun gebe doch wenigstens zu, dass du das Fenster vergessen hast! Mache doch kein solches Drama draus! Der Kinderarzt sagte doch, dass die Kleine wieder in Ordnung kommt.“
Sie schrie ihn wutentbrannt an. „Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich meine Kleine, die ohnehin kränkelt, einer solchen Gefahr aussetzte?“
„Jeder kann nun mal was vergessen. Und Lissy ist auch mein Kind. Ich liebe sie, genauso sehr wie du. Und schreie mich bitte nicht so an“, zischte er bedrohlich leise. „Ich höre sehr gut.“
„Entschuldige. Aber Oscar lügt nun mal, wenn er sagt, ich wäre respektlos ihm gegenüber gewesen. Stimmt, ich habe schärfer mit ihm geredet als sonst, weil ich ärgerlich war, aber mehr war da nicht. Obendrein ist es eher an mir, beleidigt zu sein. Er hat mit mir geredet, als sei ich nicht ganz bei Verstand.“
„Das bildest du dir ein, Conny. Es ist eben Oscars Art.“
„Nein! Und höre, verdammt nochmal mit diesen verfluchten Beschwichtigungen auf!“, schmetterte sie ihm ins Gesicht. „Ich begreife ohnehin nicht, warum du immerzu schützend deine Hand über ihn hältst. Seit damals behandelt er mich so, seit er weiß, dass ich… Na, du weißt schon.“
„Conny, bitte, rege dich doch nicht so auf. Das macht dich krank damit.“
„Dann musst du mir auch Glauben schenken, Richard! Ich gefährde doch nicht unser Kind – zumal es wohl das einzige bleiben wird.“
„Sicherlich nicht mit Absicht.“ Er seufzte. „Ich werde mit Oscar reden.“
„Jetzt?“
„Conny, es ist neun Uhr am Abend. Er schläft bestimmt. Ich verspreche dir, ich rede morgen mit ihm Klartext – und du bist dabei. Beruhigt?“
„Wenn der Wahrheit in meiner Anwesenheit Genüge getan wird, ja.“
Er schlug wieder seinen unverbindlichen Ton an. „Wir werden sehen.“
„Nicht so, ja! Ich bin nicht einer der Klienten, deren Fall noch offen ist. Ich bin deine Ehefrau – und ich bestehe darauf, dass du dem Butler eine Ermahnung erteilst.“ Sie warf sie ihm mit all ihrer Wut die Tageszeitung auf Tisch, direkt vor seine Nase. „Ach, und deine Affäre mit Rosemary ist auch heute wieder in allen Blättern vertreten.“
Er starrte sie erstaunt an. „Affäre?“
„Ich habe mich heute Nachmittag mit Rosemary zum Tennis verabredet. Wir haben nach dem Match, das ich übrigens gewonnen habe, ein interessantes Gespräch geführt – vor allem über dich. Ich habe ihr klipp und klar zu verstehen gegeben, dass von nun an nur noch ich die Frau an deiner Seite sein werde, und du ihre Dienste als ‚Gesellschafterin‘ nicht mehr in Anspruch nehmen wirst.“
Sein Gesicht nahm eine graue Farbe an. Richard setzte sich fassungslos mit weichen Knien in den Sessel ihr schräg gegenüber, stellte das halb volle Glas Brandy mit zitternder Hand hart auf den kleinen Tisch neben sich.
Seine Stimme war nicht mehr als ein Wispern. „Was hast du getan?“
Sie stellte sich vor ihm. „Ich bin deine Ehefrau – nicht Rosemary! Ich liebe dich, Richard Winfield, und werde um dich kämpfen, koste, was immer es wolle! Dass das mal klar ist zwischen uns.“
Er starrte sie an. Die Lage ging ihm allmählich an die Nieren.
„Conny, ich -“
„Jetzt sage ja nicht den Standard-Satz: es ist nicht so, wie ich denke.“ Sie lachte spöttisch. „Vicky hat euch letzte Woche im Lafayette-Park gesehen, wie ihr Hand in Hand auf der Bank gesessen habt.“
„Ich habe Rosemary beraten. Sie war ziemlich fertig mit den Nerven. Die Nachlass-Angelegenheit ihres Mannes ist ziemlich kompliziert.“
„Ich dachte, du wärst auf Wirtschaftsrecht spezialisiert.“
„Himmel nochmal! Das bin ich ja auch.“ Er stand auf um sich noch einen Drink zu gönnen. Den brauchte er um sich zu beruhigen. „Ich konnte ihr daher leider auch nicht helfen, habe sie an einen Freund verwiesen.“
Seine hohe Stirn war faltig. Er fuhr sich ratlos mit den gepflegten Fingern durch das dichte an der Seite akkurat gescheitelte braune Haar, grübelte, was er ihr wohl noch alles entgegnen konnte, um den Verdacht der Liaison von sich zu weisen.
Er stand auf und küsste sie so unvermittelt leidenschaftlich, dass es ihr die Sprache verschlug. „Conny, ich liebe dich! Dich! Verstehst du? Es kränkt mich, dass du mir eine Affäre andichtest. Zwischen Rosemary und mir ist nichts Verbotenes. Gar nichts!“
Ihre Zweifel begannen zu schwinden. „O, Richard! Wie ich das Foto in der Zeitung sah, dachte wirklich… Entschuldige, bitte.“
Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, zog es an seines, und als ihre Lippen sich erneut zu einem Kuss fanden, war sie sich letztlich vollkommen seiner aufrichtigen Liebe sicher.
„Ich liebe dich, Richard. Ich liebe dich ja so sehr“, hauchte sie.
Seine Stimme klang brüchig, zaghaft, als er sie fragte: „Ist sonst noch etwas unklar zwischen uns, Conny?“
„Abgesehen von der Sache mit Oscars infamen Lügen, nein.“ Sie kniete vor ihm nieder, legte ihm mit einem eindringlichen Blick die Arme um den Hals. Er gab sich ihr augenblicklich und ohne Hemmungen hin.
„Ich werde alles tun, um unser Glück auf ewig festzuhalten.“ In ihren Augen glänzte etwas, was ihn zur Vorsicht bei der Wahl seiner Worte mahnte. „Du bist der Mann meiner Träume, Richard, und du siehst noch so verdammt gut wie damals.“
„Was möchtest du von mir, Conny?“
„Dass du Oscar kündigst! Er ist ein Lügner und ein Intrigant! Er mochte mich noch nie, aus Eifersucht, weil er dich nicht mit mir teilen wollte. Er hat von Anfang an versucht einen Keil zwischen uns beide zu treiben.“ Richard wollte ihr widersprechen, doch sie legte ihm die Hand auf den Mund. „Ich bestehe darauf!“
„Das geht nicht so einfach. Er ist jahrelang in diesem -“
„Und wenn schon“, widersprach sie. Ihre Miene war unerbittlich. „Dann mache es gefälligst einfach! Du bist Anwalt!“
Sie drängte ihn nebenher zielstrebig zur Couch hinüber. Er wehrte sich.
„Conny, was machst du? Nein!“
„Ach, komm schon!“ Geschwind legte sie sich auf ihn. „Ich schwöre dir, mein Lieber, am Ende wirst du nur noch eine Frau verlangen. Mich.“
***
Eine Stunde darauf stand Richard mit einem Glas Bourbon in der Hand vor dem Kamin und starrte voller Groll in die Flammen.
Er machte sich Vorwürfe. Wie hatte es vorhin nur dazu kommen können, dass er auf ihre Reize reingefallen war? Und was war, wenn dabei was mit Conny geschehen war? Er wollte kein weiteres Kind. Bloß das nicht!
Wie lange brachte er es noch fertig, ihr diese Schmierenkomödie des liebenden Gatten und fürsorglichen Familienvaters vorzugaukeln, fragte er sich verzweifelt. Er spürte, wie seine Kräfte schwanden. Richard rieb sich stöhnend das heiße Gesicht. Er hörte seine Mutter im Geiste selbstgefällig sagen: „Sie wird dir mit ihrer unreifen, impulsiven Art eines Tages noch Probleme bereiten, Junge. Warte es nur ab.“
„Wie Recht du doch hattest, Mutter“, wisperte er reumütig.
Doch früher, als frisch verliebter junger Mann er hatte es selbstredend nicht hören wollen, wo doch Conny mit ihrem sonnigen Gemüt ihm, da er zu Depressionen neigte, eine wohltuende Heiterkeit versprach. Sie half ihm hinter den dunklen Wolken die Sonnenstrahlen zu erblicken, dafür war er ihr dankbar. Doch jetzt, nach den vielen Ehejahren war aus seiner Sicht einfach die Luft raus. Und nicht nur das. Er verabscheute Conny Abgrund tief, erst Recht für das, was sie ihm vorhin angetan hatte, ja, begann sie sogar allmählich dafür zu hassen. Ja, es war Hass daraus geworden.
Er überlegte nicht mehr lange, sondern tat es einfach – und wählte eine Telefonnummer in Deutschland, die er fast auswendig kannte. Er brauchte jemanden zum Reden, irgendjemanden, der ihn verstand, und ihm dabei half, seine Planung in die Tat umzusetzen.
Eine burschikose Frauenstimme meldete sich. „Ja, Schuster.“
Er gab sich alle Mühe freundlich zu klingen. „Evelyn, ich bin es, Richard Winfield. Connys Mann. Entschuldige, habe ich dich geweckt?“
„Du schon wieder? Ja, hast du!“ Sie gähnte vernehmlich. „Ach, lass mal. Ich bin eh Frühaufsteherin und wäre in einer halben Stunde aufgestanden. Du rufst wegen meiner kleinen Schwester an. Oder?“
Das war mal wieder typisch Evelyn, fand er sarkastisch. Diese Person nahm nie ein Blatt vor den Mund. Sie sah dafür keinen Grund, denn mit der ungeschminkten Wahrheit wäre jedem am Ende besser gedient, fand sie.
„Ganz Recht.“
„Wie geht es ihr?“
„Ach, gar nicht gut. Ihr Zustand verschlechtert sich zusehends. Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun kann, um ihr zu helfen. Ihr Schwermut ist für mich kaum noch zu ertragen.“
„Und wie kann ich dir helfen? Moment mal, ihr habt doch eine Tochter, oder nicht?“
„Deshalb rufe ich dich ja an“, erwiderte er wehmütig. „Ich habe als Vater auch Verantwortung für das Kind. Wir müssen handeln und so schnell wie möglich. Sie setzt das Kind gefahren aus, die deren Gesundheit nicht zuträglich sind.“
„Die wären?“
„Erst die Tage hat sie glatt bei kaltem Regenwetter vergessen, obwohl das Kind stark erkältet ist, das Fenster zu schließen. Lissy hatte einen schweren Rückfall, sie stand kurz vor der Lungenentzündung. Der Kinderarzt wollte das Kind auf der Stelle ins Krankenhaus bringen, doch Conny hat das abgelehnt. Stell dir vor, sie hat es abgelehnt!“, rief er entrüstet. „Die Kleine wäre bei ihr besser aufgehoben, hat sie felsenfest behauptet.“
„Verstehe“, brummte sie verdrießlich. „Conny ist also nicht mehr in der Lage mütterliche Pflichten zu erfüllen.“
„Wenn du es so nennen willst ja. Ich kriege echt Magenschmerzen bei den Gedanken, ihr das antun zu müssen. Es wird bestimmt schrecklich für sie.“
„Stell dich nicht so gefühlsduselig an!“, keifte sie. „Wir müssen eben das tun, was notwendig ist! Benimm dich wie ein Mann und zeige Stärke und Charakter. Wenn du es nicht schon für das Kind tun willst, dann tue es zumindest für dich. Denke an deinen Ruf, Richard! Als erbärmlicher Waschlappen, so wie du dich angehört hast, wird dich niemand respektieren!“
Du meine Güte, dachte er pikiert. Hat diese Frau einen Ton am Leibe!
„Was schlägst du vor, was wir tun sollen?“
Nach und nach erwachten ihre Lebensgeister.
„Richard, du musst im Interesse des Kindes handeln – und das schnell!“ Die Frau schnaubte. „Ich sage es zwar nicht gern, aber meine Schwester war schon immer ein undankbares Geschöpf. Eigensinnig noch dazu. Sie weiß deine Fürsorge gar nicht zu schätzen.“
Er stöhnte. „Leider. Und sie macht es einem nicht gerade einfach ihr zu helfen. Lasse ich sie in Ruhe, ist es ihr nicht Recht; tue ich was für sie, stößt sie mich barsch von sich. Das tut echt weh. Und das schlimmste ist für mich, ich kann nur hilflos mit ansehen, wie sie geistig wie seelisch mehr und mehr abbaut. Ich kann nichts für sie tun. Gar nichts.“
Nach einer halben Stunde des angeregten Diskutierens ging es ihm deutlich besser. Richard ging in den Hausflur, wo ihm der Butler auf der Stelle pflichtbewusst aus einem der Räume entgegenkam.
Oscar Higgins, wie er eigentlich hieß, war Brite. Er war achtundsechzig, sah allerdings mit seinen Falten im undurchdringlichen Gesicht, vor allem auf der glänzenden Stirnglatze doppelt so alt aus. Seine wenigen weißen Haare standen nach rechts wie links buschig vom Hinterkopf ab.
„Oscar, benachrichtigen Sie den Fahrer. Er soll mich zum Club fahren.“
„Sehr wohl, Sir. Und ihre Frau?“
Zornig blickte er hoch zum Obergeschoss, winkte ab. „Ach, die hat mal wieder eine ihrer unausstehlichen Launen. Lassen Sie sie einfach in Ruhe.“
Er nickte, holte einen Brief hervor. „Ehe ich es vergesse, heute ist wieder mal ein Brief von Connys’ Bruder aus London eingetroffen.“
„Tun Sie ihn zu den anderen.“
„Ist gut. Ich fürchte nur, wir müssen ein neues Versteck suchen. Ihre Frau hat sich im Zimmer genau umgesehen, ehe Sie kamen.“
„Okay. Und das Problem mit Ella Barnes ist aus der Welt geschafft?“
Der Butler nickte schmunzelnd. „Ganz so wie Sie es vorgesehen hatten.“
Richard schlug dem alten Mann freundschaftlich auf die Schulter. „Sehr gut. Danke, Oscar. Glauben Sie mir, ich weiß, was ich an Ihnen habe.“
***
Heilfroh darüber, endlich Feierabend zu haben hastete Frank Schuster am späten Nachmittag durch die Londoner City zu seinem Haus in der Winnett Street, nur einige Blocks von seiner Arbeitsstelle, einer angesehenen Adoptions-Agentur entfernt.
Er hasste seinen Job, doch was Besseres fand er nicht, zumal er mit seinen dreiundvierzig Jahren nicht mehr der Jüngste war. Über Arbeitsmangel konnte er sich nicht beklagen, die Agentur war mit Aufträgen mehr als ausgelastet, und er brauchte das Geld. Dringend sogar. Er war bei einigen üblen Gestalten bedrohlich tief in die Schuldenfalle geraten.
Als er die Wohnungstür des kleinen mehrgeschossigen Hauses öffnete, kam ihm Nancy, seine Ehefrau bereits grimmig entgegen.
Sie trug ein vornehmes helles Kostüm, worin sie eine blendende Figur hatte, wie er fand. Im krassen Gegensatz dazu standen die harten Züge ihres langen, faltigen Gesichtes, bei dem man getrost meinen könnte, sie habe die siebzig überschritten, dabei war sie Anfang vierzig.
„Du bist spät.“ Er verzog das Gesicht. Ihre helle glockenreine Stimme war unangenehm schneidend. „Ich habe auf dich gewartet. Unser Sohn hat angerufen aus dem Internat. Robert hat sich gut eingelebt, es geht ihm gut.“
Er zog die Jacke aus. „Schön. Er ist clever, er wird seinen Weg gehen.“ Erschrocken sah er ihre gepackten Koffer. „Du gehst mal wieder auf Reisen? Wo wirfst du diesmal unser Geld zum Fenster raus?“
„Das geht dich nichts an, Frank. Nicht mehr. Unser Sohn ist aus dem Haus, wir brauchen also die Fassade nicht mehr künstlich aufrechtzuerhalten. In den Ferien kann Robert bei mir und meinem neuen Lebensgefährten wohnen. Ich werde mich hier und jetzt von dir trennen.“
Er war wenig überrascht. Im Grunde hatte er vor Monaten damit gerechnet.
„Interessant! Da habe ich sogar schon einen Nachfolger. Ist er adlig?“