Dämonenfürst - Tina Alba - E-Book

Dämonenfürst E-Book

Tina Alba

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Beschreibung

Ein Blick hinter düstere Fassaden, der die Wahrheit enthüllt. Eine Liebe, die alles verändert. Das Autorenkollektiv Die Uferlosen präsentiert: »Der Schöne und das Biest«. In jedem Buch wird das Thema neu interpretiert, aber eins haben alle Bände gemeinsam: Sie sind Balsam für das Herz. Wie immer ist es die Generation, die gerade am Ruder ist, die sich mit den Fehlern der Vorherigen herumschlagen muss. So auch Fürst Tesario, der von seinem Urahn nicht nur ein Fürstentum, sondern auch einen Pakt mit einem grausamen Dämon geerbt hat. Der Dämoen will nur eins: Macht. Und Tesario ist sein Werkzeug, sein Spielball, sein Sklave. Bis vollkommen unerwartet Leandis auftaucht, dessen Familie über Generationen hinweg mit Tesarios verbündet war - bis die Sache mit dem Dämon passierte. Als Tesarios Berater ist er ganz nah dran - an Tesarios Grausamkeiten, aber auch an seinen Albträumen, seiner Panik und seinem Schmerz. Denn dass es besessen ist, ist Tesario garnicht bewusst. Schließlich gewinnt Leandis Tesarios Vertrauen - doch kann er den unberechenbaren Mann, zu dem er sich mehr und mehr hingezogen fühlt, wirklich retten?

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Für meine Uferlosen und für alle, die täglich gegen ihre Dämonen kämpfen

 

 

Dämonenfürst

 

 

 

 

Tina Alba

 

 

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

Impressum:

Tina Alba c/o WirFinden.Es Naß und Hellie GbR Kirchgasse 19 65817 Eppstein

www.tina-alba.de/wordpress

Cover: Sylvia Ludwig, www.cover-fuer-dich.de und Regina Mars

Grafiken:

Watercolor sketch of Guaita fortress or Prima Torre on the ridge of Mount Titano: kavalenkava/shutterstock.com

Art photo of a beautiful graceful brunet man dancing with airy black chiffon: Kiselev Andrey Valerevich/shutterstock.com

Portrait of a horned devil, experiencing the torments of hell: Kiselev Andrey Valerevich/shutterstock.com

Red background: Oleg Krugliak/shutterstock.com

Ornamental frame with roses: paprika/shutterstock.com

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
1. Gefährliche Nachbarschaft
2. Höhle des Löwen
3. Nachtgedanken
4. Frühstück mit Folgen
5. Urteilsverkündung
6. Gewissen auf zwei Beinen
7. Mann mit zwei Gesichtern
8. Das Biest auf dem Thron
9. Eine neue Stadtwache und ein altes Komplott
10. Das Pferd und die Schlange
11. Dreimal muss es geschehen
12. Alte Bande, neu geknüpft
13. Ein Hauch von Frieden
14. Spurensuche
15. Dämonenkreis
16. Böses Erwachen
17. Dämonenfürst
18. Nächtliche Überraschung
19. Wie Diebe in der Nacht
20. Ein Plan geht auf
21. Dreimal drei Worte
22. Von nun an für immer
23. Die Heilung beginnt
24. Epilog

 

Kaiserband - Der Schöne und das Biest 1
Frostsklave - Der Schöne und das Biest 3
uferlos: Seelengefährten
Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung

1.

Gefährliche Nachbarschaft

 

Wind im Haar, das Donnern der Pferdehufe in den Ohren und den betörenden Duft von Äpfeln in der Nase – Leandis musste sich zusammenreißen, um nicht mit einem lauten Lachen die Zügel einfach loszulassen und die Arme auszubreiten. Wahrscheinlich hätte ihm ein so ausgelassenes Benehmen mehr als kritische Blicke seitens seines Verwalters eingebracht. Der Mann folgte ihm in einigem Abstand und fluchte sicherlich gerade stumm in sich hinein, weil Leandis und Nachtschwarz ihm schon wieder davongaloppiert waren.

Leandis grinste, wischte sich Haarsträhnen aus dem Gesicht und zügelte seinen Hengst. Schließlich waren sie nicht zum Vergnügen hier draußen, sondern um die Apfelbäume zu kontrollieren und sich ein Bild davon zu machen, wie die Ernte ausfallen würde. Leandis strich mit leisem Bedauern über Nachtschwarz’ edel gewölbten Hals und die lange, wallende Mähne. Der Hengst war sein Liebling, sein Stolz, Vater der besten Fohlen des fürstlichen Gestüts. Nicht ein weißes Haar im schimmernden Fell, ein Kraftpaket auf vier Beinen, das sich widerstrebend unter ihm versammelte und auf dem Gebiss seines Zaums herumkaute. »Ist ja gut, mein Großer. Ich würde auch lieber mit dir über die Felder fliegen.«

Leandis wartete, bis sein Verwalter ihn eingeholt hatte, und ließ seinen Blick über die Felder schweifen. Apfelbäume, so weit das Auge reichte, die Äste schwer von rotgoldenen Früchten, deren Duft die warme Luft durchtränkte und in Leandis das Verlangen nach frischem Apfelkuchen weckte. Heiß, gerade aus dem Ofen. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.

»Habe ich dir zu viel versprochen, Herr?« Verwalter Cavo strahlte über das ganze Gesicht.

»Nein. Die Bäume stehen wunderbar. Lass die Arbeiter zusammenrufen und in den nächsten Tagen mit der Ernte beginnen, bevor die ganze Pracht auf dem Boden oder in den Schnäbeln der Vögel landet. Ich bin sehr zufrieden. Reiten wir weiter zu den Außenkoppeln, ich will nach den Stuten und Jungpferden sehen.«

»Natürlich, Herr.« Cavo wendete sein Pferd.

Leandis wollte gerade folgen, als schwerer Hufschlag an seine Ohren drang. »Warte noch, Cavo. Da kommt jemand.«

»Herr!« Die Stimme des Reiters, der den Weg entlang der Apfelbäume auf sie zuhielt, klang ebenso atemlos wie das Schnauben seines Pferdes, und Leandis erkannte sie sofort. »Herr, es tut mir leid, dass ich die Inspektion der Felder unterbrechen muss. Deine Schwester schickt mich. Selva ist zurückgekehrt – mit Nachrichten aus Navona.« Hauptmann Arol senkte ehrerbietig den Kopf und warf Leandis und Cavo einen entschuldigenden Blick zu. »Sie bittet mich, dir zu sagen, dass es dringend ist.«

So, wie Arol die Stirn in Falten legte und die Brauen zusammenzog, ahnte Leandis, dass Selva nicht mit frohen Botschaften zurückgekommen war. Er versuchte, das unangenehme Gefühl in der Magengrube zu ignorieren. »Ich komme. Cavo, sieh allein nach den Stuten, ich muss zurück.«

»Natürlich, Herr. Ich erstatte dir heute Abend Bericht.« Cavo wendete sein Pferd und war wenig später zwischen den Apfelbäumen verschwunden.

Leandis folgte Arol zurück zum Fürstensitz, mit den Gedanken schon bei Selva und ihren ganz sicher nicht erfreulichen Nachrichten. In dieser Zeit kam kaum Gutes aus Navona. Dunkle Wolken hatten sich über dem Küstenreich zusammengebraut, Gerüchte schwirrten wie Mücken und summten von drohenden Aufständen gegen den Landesherrn. Bitte kein Krieg. Wie ein Gebet wiederholte Leandis die Worte im Takt des Hufschlags. Kein Krieg.

 

Mit raschen Schritten eilte Leandis wenig später durch die lichtdurchfluteten Korridore des Fürstensitzes zum Regentinnensaal. Fürstin Fenica hasste die hochtrabende Bezeichnung Thron für den aufwendig mit Schnitzereien verzierten Holzsessel, von dem aus die Herrscherinnen und Herrscher Ceveres schon seit Generationen die Geschicke des kleinen Fürstentums lenkten. Gleich nach ihrer Krönung hatte sie den Raum, der eben diesen Sessel beherbergte, kurzerhand umbenannt.

Soldaten der fürstlichen Wache öffneten Leandis die Doppelflügeltür, die in den Regentinnensaal führte. Ein Blick zu Fenica reichte Leandis, um zu erkennen, dass es in ihr brodelte, auch wenn sie äußerlich kühl wie frisch gefallener Schnee wirkte. Funkelnde Eiskristalle schienen in ihren waldgrünen Augen zu schimmern. Fast glaubte Leandis, gleich Firn in den kunstvoll aufgesteckten Mahagonilocken wuchern zu sehen.

»Du wolltest mich sehen, Schwester?«

Fenica atmete auf. »Verzeih, dass ich dich von den Feldern zurückrufen musste. Ich weiß doch, dass du lieber da draußen bist als hier. Aber es geht um Navona.« Sie warf der kleinen, drahtigen Frau mit den stachelkurzen grauen Haaren einen auffordernden Blick zu. »Selva, bitte berichte. Leandis muss ebenso wie ich wissen, was unsere werten Nachbarn treiben.«

Selva neigte leicht den Kopf zu Leandis. Ihre schlichte, in Grau- und Brauntönen gehaltene Kleidung mochte am Sitz einer Fürstin vollkommen deplatziert wirken, doch für Selvas Arbeit erfüllte sie voll und ganz ihren Zweck – auf der Straße würde die kleine Frau einfach mit ihrer Umgebung verschmelzen, geradezu unsichtbar werden. Praktisch für eine Spionin.

»Hohe Dame, Herr, ich bringe leider keine guten Nachrichten. Niemand weiß genau, was Fürst Tesario im Schilde führt, aber es brodelt allenthalben in Navona. Seine Bürger ducken sich vor ihm, eisenharte Hände führen seine Soldaten, und unlängst hat er seinen Berater einen Kopf kürzer machen lassen, weil der ihm davon abgeraten hat, die Steuern für die einfachsten Dinge des alltäglichen Lebens noch mehr zu erhöhen. Das Volk blutet stumm vor sich hin, der Adel murrt hinter vorgehaltener Hand, und niemand wagt es mehr, dem Fürsten zu widersprechen. Schon kleinste Straftaten werden seit einiger Zeit in übertriebener Weise geahndet. Ich glaube, in der ganzen Burg von Navona gibt es keine einzige freie Kerkerzelle mehr – und wenn man sich den Felsen ansieht, auf dem sie steht, und den Gerüchten glauben darf, dass das Haus Navona den ganzen Stein über Generationen hinweg ausgehöhlt hat wie ein Rudel Maulwürfe, dann sollte es dort eine Menge Kerkerzellen geben.« Selva hielt inne und holte tief Luft.

Leandis nutzte die entstandene Pause, um neben Fenica zu treten und eine Hand auf ihre Schulter zu legen. Angespannte Muskeln unter grüner Seide zeugten vom stummen Groll der Fürstin.

»Wie hoch schätzt du die Gefahr eines Aufstandes ein?« Fenica beugte sich leicht vor.

Selva hob die Hände. »Das ist schwer zu sagen, Hohe Dame. Zuweilen glaubte ich, dass nur noch ein Tropfen fehlt, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Doch dann geschieht immer dasselbe: Adelige finden sich zusammen, treffen sich im Geheimen in Wirtshäusern und Spelunken, in denen jeder vernünftig denkende Mensch keine Grafen und Barone vermuten würde. Und nur einen Tag später finden sich dieselben Barone und Grafen im Kerker wieder oder kommen nach Hause und betreten verwüstete Wohnsitze, stellen fest, dass ihre Kinder entführt, ihre Ehepartner …« Selva hielt inne.

Leandis sah sie schlucken. Er kannte die Anführerin der Spione seiner Schwester als hart und scharf wie eine Klinge, doch etwas musste geschehen sein, das selbst einem Menschen wie Selva den Magen umdrehte. »Was?«, fragte er leise.

»Ermordet«, stieß Selva hervor. »Immer hat es wie ein Unglücksfall ausgesehen. Aber ich bitte dich, Herr, wie wahrscheinlich sind drei Treppenstürze, zwei Reitunfälle, drei Erkrankungen nach angeblich schlechtem Fisch mit Todesfolge und ein nächtlicher Absturz von einem Turm, angeblich während die Dame schlafwandelte? Innerhalb von drei Monden?« Selva schnaufte. »Entweder, sämtliche Adelshäuser Navonas sind vom Pech verfolgt, oder …«

»Oder jemand hilft nach, um die intrigierenden Häuser zu schwächen, Männer und Frauen in Trauer zu stürzen, zu verwirren, und andere zu warnen, es diesen nicht gleichzutun.« Fenica fuhr sich mit den Händen durch die Haare und ruinierte das Kunstwerk ihrer Zofe vollends. »Je länger dieser Zustand andauert, umso größer wird die Gefahr einer Revolte.«

»Oder eines Krieges«, gab Selva zu bedenken.

Leandis spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Krieg mit Navona? Krieg gegen sein armes kleines Cevere, das seine Haupteinkünfte aus Pferdezucht und Obstanbau bezog? Manchmal glaubte Leandis, in einem Märchenland zu leben, in dem die Palastwachen nur deswegen Waffen und Brustharnische trugen, weil, nun, Soldaten das eben taten. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann das letzte Mal auf ceverischem Boden Blut vergossen worden war. Seit Generationen hatte es keinen Krieg mehr gegeben. Nicht einmal aus dem Geschichtsunterricht, mit dem die Eltern die Geschwister gemartert hatten, um sie auf ihre Rollen als Regentin und Berater vorzubereiten. Und nun hing dieses kalte, frostüberzogene Wort, aus dem Furcht wie schwarzer Teer troff, über ihnen in diesem hellen Saal, in dem Sonnenlicht durch sanft wehende Vorhänge floss und schimmernde Kreise auf den Boden malte?

»Alle direkten Nachbarn Navonas ziehen ihre Truppen zusammen«, fuhr Selva fort, »ich rate dir, dasselbe zu tun, Hohe Dame. Nur für den Fall, dass wirklich eine Revolte losbricht und sie auf Navonas Nachbarn überschwappt. Ich habe Boten aus Liva getroffen, die davon sprachen, dass der Fürst seine Streitkräfte bereits zusammenzieht. Auch er scheint zu fürchten, dass es Krieg geben könnte.«

»Alles, nur das nicht.« Fenica hatte sich erhoben, stolz und schlank überragte sie Selva um Haupteslänge. »Selva, lass deine Leute weiter beobachten und Bericht erstatten, aber mischt euch nicht ein. Sobald die Lage zu angespannt wird, will ich, dass du deine Männer und Frauen abziehst. Wann kehrst du nach Navona zurück?«

»Noch heute, Hohe Dame. Ich habe meine Befehle und werde regelmäßig Botschaften schicken.« Sie salutierte militärisch.

»Danke, Selva. Du kannst gehen, lass dich in der Küche versorgen, ruh dich ein wenig aus, bevor du wieder reitest. Wir brauchen deine scharfen Augen und deine Ohren, Freundin.«

»Ich werde auf mich achtgeben, Hohe Dame. Auf bald.«

Damit wandte sie sich ab und verließ den Saal. Ihre weichen Lederstiefel verursachten kaum einen Laut auf dem glänzenden Parkett.

Fenica schien nur darauf gewartet zu haben, dass sich die Tür mit einem vernehmlichen Klacken hinter Selva schloss, dann wirbelte sie herum und drängte sich in Leandis’ Arme. »Verdammt«, murmelte sie an seiner Schulter, »verdammt, verdammt, verdammt!«

Leandis konnte nur nicken. Wortlos zog er Fenica in eine feste Umarmung und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Eine Weile hielten sie einander, Bruder und Schwester, beide sehr wohl wissend, dass dieser kleine Moment der Schwäche nur ihnen allein gehören durfte.

Es war Fenica, die sich als Erste löste, tief durchatmete, die Schultern straffte und sich das Haar aus dem Gesicht strich. »Meine Zofe wird mich erwürgen …«, murmelte sie und lachte selbstironisch. Sie ließ sich auf ihren Sessel fallen, schlug höchst unfürstlich die Beine übereinander und wippte mit einem Fuß. »Was machen wir mit dieser Botschaft?«

»Genau das, was du bereits tust: Weiter beobachten. Zugleich müssen wir unsere Kräfte sammeln, so wenig wir das auch wollen – wenn es Kämpfe in Navona gibt, müssen wir vorbereitet sein. Lass die Truppen zusammenziehen, ohne viel Gewese, ohne Aufwand und vor allem ohne Geheimniskrämerei, denn die schürt nur die Gerüchteküche. Wir sammeln unsere Streitkräfte, denn das tun die anderen Fürsten auch. Sehen uns ihren Zustand an, den Stand der Ausbildung der Soldaten. Lass Übungen durchführen. Schließlich dürfen auch in einem friedlichen Land wie unserem die Soldatinnen und Soldaten nicht einrosten.«

Fenica nickte und wickelte eine Haarlocke um den Finger. »Könnte Navona das nicht als Akt der Provokation verstehen?«

»Vielleicht. Der Einwand ist berechtigt. Aber was ich aus Selvas Bericht heraushöre, ist, dass Navona im Augenblick sehr mit sich selbst beschäftigt ist und damit, sich auch ohne fremde Hilfe zugrunde zu richten. Selva sagte, dass auch Liva sich um seine Truppen kümmert. Also tun wir dasselbe.«

»Ich hasse es, wenn du so zynisch wirst, Bruderherz. Aber ich fürchte, so ganz unrecht hast du nicht.« Fenica seufzte. »Also gut. Mehr Spione, und wir inspizieren die Truppen. Entspringen deinem klugen Beraterverstand noch weitere Vorschläge?«

»Vorschläge nicht, aber ich habe angefangen, die Geschichte Navonas etwas genauer zu studieren, seit Selva das letzte Mal berichtet hat. Tesarios Regentschaft ist fürchterlich, aber sein Vater war nicht viel besser, und, so wie es alte Aufzeichnungen behaupten, auch dessen Vater schon nicht. Wenn wir den Geschichtsbüchern glauben dürfen, dann begann alles unter der Regentschaft von Berden Navona – Tesarios Ururgroßvater. Vor ihm gilt Navona in den Chroniken eher als ein Reich, das seine Konflikte auf See ausgetragen hat. Berdens Vater wurde gar der Piratenfürst genannt, weil er ein offenes Herz und einen ebenso offenen Hafen für Freibeuter gehabt haben soll. Die einfachen Menschen in Navona sind Fischer. Seefahrer, Forscher. Reisende. Nirgends gibt es so experimentierfreudige Köche, wenn es um die Zubereitung von Fisch geht. Aber seit Berden die Regierung übernommen hatte, begannen die Dinge, sich zu ändern. Die Navoner reisten weniger. Es brachen kaum noch Forscher zu den ganzen kleinen Inseln an der Küste auf. Die Weiterentwicklung von Magie und Alchemie geriet ins Stocken, und die einfache Bevölkerung begann zu verarmen. Irgendetwas muss während Berdens Regierungszeit geschehen sein, und ich will herausfinden, was. Vielleicht bringt uns solches Wissen im Umgang mit Tesario weiter.«

»Vielleicht.« Fenica lächelte. »Und das sagst du, der du den Geschichtsunterricht immer so gehasst hast.«

Leandis zuckte mit den Schultern. »Damals wurden wir gezwungen, heute lese ich freiwillig.«

»Dann geh lesen, Bruderherz, während ich mich um die Briefe an die Hauptleute und Generäle kümmere und ein Teil von mir gleichzeitig zu allen Göttern betet, deren Namen ich jemals gehört habe, dass wir sie nicht brauchen werden.«

 

Leandis rieb sich die Augen. Er saß nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit in der Bibliothek, hatte sie nur zur Dämmerung kurz verlassen, um mit Fenica zu Abend zu essen, danach hatte er sich sofort wieder in staubigen Folianten und knisternden Schriftrollen verkrochen, die nach Alter und Stockflecken rochen und deren verblassende Buchstaben inzwischen vor seinen Blicken zu tanzen schienen.

Er blinzelte und drehte den Docht der Öllaterne auf seinem Schreibtisch höher. Die Schriftrolle erzählte nichts Neues, er schob sie beiseite und griff nach einem unscheinbaren kleinen Buch, in brüchiges Leder gebunden, das er nur aus dem Regal gezogen hatte, weil auf seinem Rücken kaum noch zu entziffern Navona stand.

Leandis schlug es auf – und hielt den Atem an. Chronik der Verbundenheit, entzifferte er auf der ersten Seite, verfasst von Ilanco, Barnas, Voron und Tarsis Cevere. Leandis rieb sich die Nasenwurzel. Kopfschmerzen kündigen sich an, aber er konnte jetzt nicht aufhören zu lesen. Wer bei allen Göttern waren Ilanco Cevere und die anderen?

Er zerrte den Band seiner Familienchronik aus dem Regal, die den Stammbaum der Herrscher von Cevere enthielt, und folgte mit suchendem Finger den feinen Ästen und Namensemblemen, bis er Ilanco entdeckte. Das ist lange her … einer unserer Stammväter und seine direkten Nachfahren. Tarsis ist mein Ur … Götter. Urururgroßvater? Er schob die Chronik beiseite, zog das kleine Buch wieder zu sich heran und begann, den handschriftlichen Text zu entziffern. An vielen Stellen war die Tinte verblasst, hier und da hatten Alter, Schimmel und Bücherwürmer den Seiten zugesetzt, aber es reichte noch, um herauszubekommen, was in diesem Buch aufgezeichnet war: die Geschichte eines Bündnisses. Mit dem Haus Navona. Über Generationen hinweg. Und mehr als das – so, wie die Ahnherren über die Fürsten von Navona schrieben, waren sie nicht einfach nur Verbündete im politischen Sinn gewesen.

»Sie waren Freunde.« Leandis strich über den letzten Eintrag, den Tarsis Cevere vor so vielen Jahren hinterlassen hatte: Brüder sind wir geworden, nicht im Blut, aber so doch in der Seele, und die Narbe, die ich am Arm trage, soll mich immer daran erinnern, dass ich in Navona einen Verbündeten habe, dem ich mit Leib und Leben vertrauen kann. »Bündnisse über Generationen hinweg.«

Leandis schob seinen Stuhl zurück und tappte mit der Laterne in der Hand zu dem Regal zurück, in dem er die Chronik der Verbundenheit entdeckt hatte. Tatsächlich, da standen noch weitere der schmalen Bände, die meisten so vom Alter zernagt, dass er die Schrift auf dem Buchrücken nicht mehr entziffern konnte. Er zog jedes einzelne Buch aus dem Regal, bis er gefunden hatte, was er suchte. Hastig raffte er all die schmalen Bände zusammen und eilte aus der Bibliothek.

In ihm reifte ein Plan, der Fenica ganz und gar nicht gefallen würde. Verflucht sei meine Neugier! Aber ich muss dieser Sache auf den Grund gehen!

 

Fenica trug bereits ihre Nachtgewänder, als Leandis mit den Büchern unter dem Arm in ihre Gemächer trat.

»Was hast du gefunden?« Neugierig betrachtete sie die Bücher, die Leandis vor ihr auf dem Frisiertisch ausbreitete.

»Vielleicht einen Anhaltspunkt. Diese Bücher enthalten Aufzeichnungen über ein Bündnis, das viele Jahre zwischen uns und dem Haus Navona existiert hat. Es begann mit unserem Ahnherrn Ilanco. Und es endete, als unser Ururgroßvater den Thron bestieg. Faron.«

Fenica blätterte behutsam in den alten Schriften. »Hast du herausgefunden, warum er den Bund nicht erneuerte?«

»Nein, aber vielleicht liegt der Grund dafür in der Geschichte verborgen. Denk nach – seit wann schwelt es in Navona?«

»Seit Tesarios Ururgroß… Oh!« Ihre Augen weiteten sich.

Leandis nickte. »Genau. Damals muss etwas passiert sein, dass Faron sich nicht wie seine Ahnen mit Navona verbrüderte.«

»Aber … zu dieser Zeit gab es keine Streitigkeiten mit Navona.« Fenica wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. »Es heißt nur, dass die Fürsten von Navona sich von dieser Generation an seltsam zu verhalten begannen – bis heute.«

Leandis hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Das ist alles, was ich gefunden habe. Vielleicht liegt die Antwort in Navona selbst.«

Fenica legte den Kopf schief, jetzt wurden ihre Augen schmal und funkelten. »Was hast du vor, Bruderherz?«

»Ich gehe an seinen Hof. Ich reise nach Navona und bitte Tesario um eine Audienz.«

»Bitte was?« Fenica sprang auf. »Das wirst du nicht tun! Ich werde Selva ausrichten lassen, dass sie sich umhören und nach Hinweisen auf dieses Bündnis suchen soll. Ich lasse doch meinen Bruder nicht in die Höhle des Löwen gehen! Hast du nicht gehört, was Selva erzählt hat? Alle, die Tesarios Misstrauen erregen, landen im Kerker, auf dem Richtblock, oder sie sterben unter seltsamen Umständen!«

Leandis nickte. Er hatte darüber nachgedacht, während er von der Bibliothek zu Fenicas privaten Gemächern geeilt war. Es war Wahnsinn, nach Navona zu gehen. Aber in dem Augenblick, in dem er auch nur vage darüber nachgedacht hatte, hatte sich der Entschluss in ihm eingenistet, und nun spürte er ein solches Drängen in sich, dass er am liebsten umgehend in den Stall gestürmt und Rabenschwarz gesattelt hätte.

»Ich muss das tun, Schwester. Ein Bund, der über so viele Jahrzehnte, Jahrhunderte Bestand gehabt hat, den lässt doch niemand einfach so fallen!« Er atmete tief durch. »Wir wollen beide keinen Krieg. Also müssen wir verhindern, dass in Navona eine Revolte losbricht. So, wie ich das sehe, gibt es nur eine Möglichkeit, einen Bürgerkrieg in Tesarios Reich zu verhindern: Jemand muss ihn zur Vernunft bringen.«

»Ach, und dieser Jemand bist ausgerechnet du?« Fenica schüttelte den Kopf, trat auf Leandis zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Du hast zu lange über den Büchern gesessen. Geh schlafen und denk morgen früh noch einmal darüber nach. Dann wirst du dich fragen, wie du eine so verrückte Idee haben konntest.« Sie küsste ihn auf die Nasenspitze. »Bitte bleib hier.«

Leandis schlang die Arme um Fenica und zog sie an sich. Sie roch so gut. So vertraut, so sehr nach zu Hause, nach Familie, nach Frieden. Immer ein wenig nach Äpfeln und Zimt. »Ich habe dich lieb, Schwesterherz. So sehr. Aber ich liebe auch unser Land. Lass mich versuchen, an Tesario heranzukommen. Vielleicht kann es uns allen helfen, wenn wir die diplomatischen Beziehungen zu Navona wieder aufnehmen. Wer weiß, warum Tesario so handelt. Vielleicht … hat er Angst.«

»Ja, davor, dass sein eigener Hofstaat ihn vom Thron wirft!«

»Oder vor etwas ganz anderem. Ich gebe dir mein Wort, Liebes, ich werde vorsichtig sein. Ich will nur mit ihm reden. Wenn ich merke, dass es nicht fruchtet, werde ich sofort wieder abreisen und die Vergangenheit ruhen lassen.«

»Du bist so stur!« Fenica hob den Kopf und sah zu Leandis auf. »Ich hasse dich.« Sie lächelte. »Warum willst du das unbedingt machen?«

»Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich das Gefühl habe, es tun zu müssen, seit ich diese Bücher aufgeschlagen habe?« Leandis nahm Fenicas Hände in seine, spürte, wie kalt sie waren, und drückte sie an seine Brust.

»Ich weiß es nicht. Ich glaube, du steigerst dich da gerade in etwas hinein. Aber ich kann dich nicht festbinden. Wenn du wirklich meinst, dass du nach Navona und mit diesem unberechenbaren Biest von einem Fürsten reden musst, dann versuche dein Glück. Aber bitte komm mit deinem Kopf auf den Schultern nach Hause.«

»Das verspreche ich dir.«

»Ich versuche, damit zufrieden zu sein. Dein Plan macht mich nicht glücklich. Aber wenn du einen Krieg verhindern kannst …«

Leandis nickte. »Ich glaube, ja, dass ich das kann. Mit deinem Segen, Schwesterchen.«

»Du hast ihn. Möge er dich beschützen.« Fenica lächelte gezwungen. »Ich glaube, das ist, woran unsere Eltern dachten, als sie uns die Amulette vermachten.« Sie zog die Schublade ihres Frisiertisches auf, kramte eine Leandis wohlbekannte kleine Schachtel hervor und öffnete sie. Darin lagen zwei Kettenanhänger, goldgefasste schwarze Edelsteine, in denen winzige Lichtpunkte zu schimmern schienen. Zwei Dreiecke, die zusammengefügt eine Raute bildeten.

»Ich hatte sie fast schon vergessen.« Leandis fühlte sich beinahe schuldig. Die Anhänger hatten ihren Eltern gehört und verfügten über einen wundersamen Zauber – mit ihrer Hilfe konnten ihre Träger einander Nachrichten übermitteln. »Glaubst du, ihr Zauber wirkt noch?« Er erinnerte sich daran, wie ihre Eltern die Steine benutzt hatten, wenn ihr Vater zu Hause auf dem Thron saß und ihre Mutter über Land ritt und die Felder und Koppeln inspizierte. Sie waren nie weiter entfernt gewesen als die Distanz zwischen dem Fürstensitz und den äußersten Obstwiesen. »Und wenn – meinst du, er ist stark genug, meine Nachrichten von Navona hierher zu senden?«

»Ich weiß es nicht.« Fenica legte eines der Lederbänder um Leandis’ Hals.

Er schloss die Hand um den Stein. Leises Kribbeln breitete sich auf seiner Haut aus.

»Sieh ihn an.«

Leandis betrachtete den Stein, sah das helle Wirbeln in der dunklen Fläche, das sich langsam zu Buchstaben, zu Worten formte, die zugleich in Leandis’ Gedanken widerhallten: Pass auf dich auf, Bruder. Er lächelte. »Das werde ich, Schwesterchen. Hoffen wir, dass die Steine wirklich auf so große Entfernung arbeiten. Das ist auf jeden Fall sicherer als Briefe.«

»Ich erwarte, dass du dich meldest.« Mit gespielter Strenge sah Fenica Leandis an.

»Das werde ich. Und wenn ich keine Antwort von dir erhalte, werde ich davon ausgehen müssen, dass der Zauber nicht wirkt, und wirklich einen Brief schreiben. Ich finde einen Weg.«

»Ich weiß. Trotzdem …« Sie streckte die Hände aus, und Leandis ergriff sie, küsste sie, dann zog er seine Schwester noch einmal in seine Arme.

»Wann brichst du auf?«

»Morgen.«

»Schon morgen.«

»Ja. Ich werde jetzt wieder in die Bibliothek gehen und versuchen, weitere Hinweise zu finden.«

»Vergiss nicht zu schlafen.«

»Gewiss nicht, Liebes. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, mein Bruder.«

2.

Höhle des Löwen

 

Tesarios Geduld war am Ende. Er war sich ganz sicher, wenn er noch einmal die Worte falsche Gewichte, Betrüger oder livanischer Goldtaler hören musste, würde er aufspringen und einen der beiden Streithähne, die sich in seinem Audienzsaal einen Gockelkampf lieferten, eigenhändig erwürgen.

Für einen Moment schloss er die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. Hinter seiner Stirn kündigte sich mit leisem Pochen ein Kopfschmerz an, den er inzwischen so gut kannte, dass er ihn schon beinahe als engen Freund bezeichnete. Das flaue Gefühl in seinem Magen erinnerte ihn daran, dass es tatsächlich nicht gut gewesen war, das Frühstück unangetastet in die Küche zurückzuschicken; und die hellen Sonnenstrahlen, die sich in den bleiverglasten Fenstern des Saales brachen und harte Schatten auf Menschen und Möbel warfen, taten das ihre, um dafür zu sorgen, dass Tesario sich einfach grauenhaft fühlte. So grauenhaft, dass er den Audienztag am liebsten abblasen und sich in seinen Privatgemächern verkriechen wollte. Sich die Bettdecken über die Ohren zu ziehen und alles auszublenden – Worte, Geräusche, Beschwerden, Geschrei, Gerüche, Farben, Formen, einfach alles, was auf seinen unausgeschlafenen Verstand wie Hagelkörner einprasselte.

Tesario seufzte stumm, zwang sich, tief durchzuatmen und öffnete die Augen wieder. Sich zu verkriechen, würde keines seiner Probleme lösen – der sich betrogen fühlende Tuchhändler und der hochnäsige Münzwechsler würden sich dann eben am nächsten Audienztag vor seinem Thron gegenseitig ankeifen, er würde ebenso müde sein wie heute, und Licht und Schatten würden ihn nicht weniger quälen. Vielleicht sogar noch mehr. Verdammt, er war so müde.

Doch was geschah, wenn er sich niederlegte und die Augen schloss, daran wollte er gar nicht denken. Die Nacht würde früh genug kommen, und dann würde auch Nibes warme, schnurrende, unaufdringliche Anwesenheit nichts daran ändern, dass er nicht einschlafen konnte. Und wenn er es doch tat, würde die Nähe der Katze nichts gegen die Bilder ausrichten, die auf den Flügeln des Schlafes in seinen Verstand drangen.

»Mein Fürst, ich schwöre dir, die Gewichte, die dieser Münzwechsler benutzt, sind viel zu schwer! Ich habe nicht im Ansatz das an navonischem Silber bekommen, was meine Münzen in Liva wert sind! Er ist ein Betrüger!« Die Stimme des kleinen dicken Tuchhändlers glich inzwischen dem schrillen Quieken eines Ferkels auf der Schlachtbank.

Es war Tesario ein Rätsel, wie ein Mensch so sehr die Beherrschung verlieren konnte. Ich hätte allen Grund zu jammern – mir platzt der Schädel, diese Menschen mit ihren kleinen, nichtigen Probleme rauben mir den letzten Nerv, und hier sitze ich und reiße mich zusammen, auch wenn mir danach zumute ist, zu schreien und um mich zu schlagen. Wie unsagbar peinlich.

Sich dem streitenden Pack überlegen zu fühlen, half Tesario, seine Fassung zu wahren. Er zog eine Augenbraue hoch und brachte das quiekende Schweinchen mit einem Blick zum Schweigen. »Ich habe dich gehört, Vallon von Liva«, gab er mit betont schleppender Stimme zu Buche. Sollte der Kerl doch merken, wie sehr seine läppischen Probleme Tesario langweilten! Er wandte sich dem Wechsler zu. »Was hast du dazu zu sagen, Henco Silberhand?«

Der Beschuldigte, ein hagerer Kerl mit schmalen Augen und wirrem Haar, musterte seinen Ankläger wie ein lästiges Insekt. »Böswillige Unterstellung! Es ist sein livanisches Gold, das falsch ist, die Münzen sind viel zu leicht! Wer weiß, was außer Gold noch alles in diesen Münzen steckt! Außerdem ist sein Goldbrokat minderwertig. Er zieht Fäden. Meine Frau hat mehrere Ellen von dem Zeug gekauft, und die Schneiderin verzweifelt daran, weil es sich nicht verarbeiten lässt!«

»Der redet von Böswilligkeit und macht meine Ware schlecht! Mein Fürst, dieser Mann ist ein Lügner! Überzeuge dich selbst, hoher Herr, hier, sieh meinen Stoff!« Der Tuchhändler wedelte mit einem goldschimmernden Fetzen.

Tesario gab seinem Diener einen Wink, und der Mann nahm dem Händler den Stoff ab, um ihn Tesario zur Begutachtung zu reichen.

Tesario merkte in dem Moment, in dem er die Probe zur Hand nahm, dass dieser Fetzen wohl schon längere Zeit in der Hosentasche des Händlers gesteckt hatte. Dezenter Schweißgeruch beleidigte seine Nase, der Brokat fühlte sich klamm an. »Glaubst du, du hast es mit einem Tuchmacher zu tun, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, Stoffe zu begutachten?«, zischte Tesario gefährlich leise und knüllte den Fetzen in der Hand zusammen.

»Ja … nein … aber … mein Herr, ich … mein Fürst …«

»Sei still!« Tesarios Stimme wurde zum Peitschenhieb, unter dem der winselnde Händler sich duckte.

Auf dem Gesicht des Wechslers breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus. Wähnte er sich schon als Sieger?

Tesario sah ihn an, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Er wusste, diese Miene ließ ihn gefährlich erscheinen. Wie oft hatte der den Blick vor dem Spiegel geübt! »So siegessicher, Silberhand? Dann lass dir gesagt sein, dass dieser Mann nicht der Erste ist, der gegen dich Klage erhebt.« Er genoss es, Silberhand zusammenzucken zu sehen. Kleine Männer mit kleinen Problemen, nichts als Wanzen unter seinen Füßen. Langsam erhob er sich von seinem Thronsessel und trat an den Rand des Podestes, auf dem der Fürstenstuhl stand. Selbst nicht gerade hochgewachsen konnte Tesario diese architektonische Feinheit wunderbar nutzen, um auch auf Bohnenstangen wie Silberhand niederzublicken. »Einsperren«, befahl er, »alle beide. Silberhand, deine Wechselstube wird von meiner Garde durchsucht und überprüft werden, und sollte sich auch nur der Schatten eines falschen Gewichtes dort finden, droht dir die Blendung durch glühenden Stahl. Und du, Vallon von Liva – meine Männer werden deine Waren beschlagnahmen. Sie werden strenger Prüfung unterzogen, und sollten sie sich als minderwertig und deine Münzen sich als falsches Gold herausstellen, so wird dich das eine Hand kosten, denn wer so betrügt, ist nichts anderes als ein Dieb.«

»Aber mein Fürst …«, begann Silberhand, »ich schwöre …«

Tesario hob die Hand. »Kein Wort mehr. Weg mit den beiden, in die Zellen mit ihnen. Einzeln, damit sie sich nicht gegenseitig die Schädel einschlagen.« Tesario ignorierte den Protest der Verurteilten und ließ sich wieder auf seinem Thronsessel nieder, ein Bein über eine Lehne gehängt vergrub er das Gesicht in einer Hand und rieb sich die Stirn. Die Kopfschmerzen waren stärker geworden, ein unangenehmes Pochen hinter den Schläfen, das sich über den gesamten Schädel zog und sich mit der anhaltenden Pein in seinen steifen Nackenmuskeln vereinte. Er sah auf. »Wie viele noch?«

»Das waren die Letzten, mein Fürst. Nur eine Sache noch.«

Unwillig schnaubte Tesario den Bediensteten an. »Erst sagst du, das seien die Letzten gewesen, und dann ist da doch noch etwas? Was?«

»Kein Fall für das fürstliche Gericht, mein Fürst. Es ist eher ein Gast, der um eine Audienz bittet.«

Der Diener druckste so offensichtlich herum, dass Tesario aufsprang und auf den Mann zutrat, so nah, dass ihre Nasen sich beinahe berührten. »Hat dieser geheimnisvolle Gast einen Namen und ein Anliegen, mit dem er mich zu behelligen gedenkt?«

Der Diener schluckte, Tesario sah seinen Kehlkopf zucken. Fast glaubte er, die Furcht es Mannes riechen zu können.

»Nun?«

»Er kommt aus Cevere, Herr. Sein Name ist … er heißt Leandis, mein Fürst. Leandis Cevere.«

Tesario spürte ein Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfen. Ein ungewohntes Gefühl. Er lächelte selten, es gab für ihn keinen Grund dafür. »Leandis Cevere, so so. Unser geschätzter Nachbar. Hat er gesagt, was er will?« Wie weggeblasen der Kopfschmerz, die Müdigkeit, die kräftezehrende Anspannung. Das war neu. Das versprach, interessant zu werden. Leandis Cevere, Bruder der regierenden Fürstin und zugleich ihr engster Berater und Vertrauter, Mitregent und Herr über Meilen und Meilen von Obstwiesen und Pferdekoppeln. Tesario wusste alles über seine engsten Nachbarn. Liva war ängstlich und vorsichtig, fürchtete ständig einen Überfall und verschanzte sich hinter einer Armee, die viel zu groß für ein so kleines Land und einen ebenso kleinen Regenten schien – auf dem Thron von Liva saß ein Kind, ein Junge von gerade einmal zwölf Jahren, dessen Mutter die Regierungsgeschäfte führte. Und dann Cevere – süßes, apfelduftendes, friedliches Cevere. Hatten sie überhaupt eine Armee? Konnte die Fürstin über etwas anderes herrschen als Apfelbäume und Kaltblutpferde?

Tesario spürte einen Hauch von Ärger in sich aufsteigen. Wie oft hatte er schon versucht, mit Cevere in Verhandlungen zu treten wegen eben dieser Pferde. Besser als Streitrösser einzusetzende Tiere gab es nirgends auf der Welt: groß, muskelbepackt, schwere Hufe, die in donnerndem Galopp die Erde beben ließen. »Ist der edle Herr Cevere gekommen, um mit mir über Pferde zu verhandeln?«

Der Diener zuckte zusammen. »Ich weiß es nicht, mein Fürst. Er sagte, dass er dich sprechen will. Unter vier Augen. Er sagte, es sei wichtig.«

»Es ist immer wichtig«, erwiderte Tesario. »Lass ihn im Vorraum meines Arbeitszimmers warten. Ich werde ihn dort treffen.«

Katzbuckeln, Verneigen, konnten diese Diener nichts anderes? Keiner diese Feiglinge sah ihm je in die Augen. Was hatten sie zu verbergen, dass sie ihm nicht in die Augen blickten? Tesario hasste sie, diese hündische Unterwürfigkeit. Vielleicht mochte er die Waldkatzen von Navona deswegen so viel lieber als Hunde. »Sag ihm, ich lasse ihn wissen, wenn ich bereit bin, ihn zu empfangen.«

 

Leandis hatte keine Ahnung, wie lange er bereits in diesem kleinen, aber prunkvollen Zimmer herumsaß und aus dem Fenster in Tesarios Palastgarten starrte. Um die Mittagsstunde hatte er nach einem mehrtägigen, vollkommen ereignislosen Ritt die Hauptstadt erreicht und sein Pferd ohne Umwege zum Palast gelenkt – ein Zimmer konnte er sich immer noch nehmen, wenn sich herausstellte, dass er eine Weile in Navona bleiben würde. Absichtlich hatte er ein anderes Reittier als seinen geliebten Rabenschwarz gewählt, der in Cevere geblieben war – bei Fürst Tesarios Gier nach ceverischen Kaltblütern wollte er sein Lieblingspferd in Sicherheit zu Hause wissen. Immer wieder hatte er unterwegs innegehalten und Fenica über den Zauberstein eine Botschaft zukommen lassen, die letzte einen halben Tagesritt von den Stadtmauern entfernt. Bisher hatte Fenica all seine Nachrichten bekommen, hatte mit ihm über das magische Schmuckstück gesprochen.

Leandis riss den Blick von dem kunstvoll angelegten Garten los, in dem jeder Grashalm seinen Platz zu haben schien und Wildwuchs, wie es aussah, nicht geduldet wurde, und zog den Stein unter seinem Hemd hervor. Sacht strich er über die glänzende Oberfläche, wartete auf das helle Wirbeln in dunklem Kristall und formte seine Gedanken zu einer Botschaft.

Ich bin in Navona, Schwesterherz, und warte schon seit Stunden auf meine Audienz. Ich habe keine Ahnung, warum Tesario mich hier Gräben in den Boden laufen lässt. Er hätte wenigstens so höflich sein können, mir eine Erfrischung zu schicken, ich habe immer noch den Straßenstaub auf der Zunge. Als er damals mich sprechen wollte wegen der Pferde, da konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Ich halte dich auf dem Laufenden. Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut.

Leandis berührte den Stein noch einmal, vergewisserte sich, dass der Zauber seine Gedanken gefangen hatte, und verstaute das Schmuckstück wieder unter seiner Tunika. Draußen sank die Sonne über dem Meer – ein wunderbarer Anblick, den Leandis mit einem Glas Wein und etwas Essbarem noch mehr hätte genießen können.

Tesarios Palast thronte auf den Klippen der Steilküste Navonas; hinter dem Plateau, auf dem der Palastgarten sich ausbreitete, lag direkt das Meer, das der Sonnenuntergang in flammendes Rot tauchte. Am Horizont glaubte Leandis, einen mächtigen Segler auszumachen. Er öffnete ein Fenster. Meeresrauschen drang an seine Ohren. Die Luft schmeckte nach Salz und strich kühl über sein Gesicht. Dieses Land war so anders als sein geliebtes Cevere – und doch war es in seiner Andersartigkeit wunderschön. Wild und harsch, wo Cevere lieblich war. Hier gab es keine sanften Hügel und duftende Obstwiesen. Navona war rauer Fels, frische Meeresbrise, Salz und Möwengeschrei. Leandis schloss die Augen, lauschte dem Wind und dem Meer, und verstand, warum die Navoner ihr Land ebenso liebten wie er Cevere. Es war schön hier. Bevor er wieder ging, wollte er unbedingt einen Strandspaziergang unternehmen, barfuß die Zehen in den Sand bohren und fühlen, wie kalt das Wasser war.

»Heizt ihr in Cevere für die Schlossgärten?«

Die kühle, glasklare Tenorstimme ließ Leandis herumwirbeln. Er hatte den Mann nicht eintreten hören, seine Schritte mussten leise gewesen sein wie der Tritt einer Katze.

Tesario Navona drückte die Tür hinter sich ins Schloss. »Aber nein«, fuhr er fort, eine Augenbraue hochgezogen, während Leandis sich von scharfen grauen Augen gemustert fühlte wie ein seltsames Insekt. »Ich vergaß, so etwas wie einen Schlossgarten kann es nicht geben in Cevere, immerhin gibt es dort nicht einmal ein Schloss, das diese Bezeichnung verdient.«

Ich freue mich auch, dich zu sehen … Leandis biss sich auf die Zunge und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. Tesario hatte schon immer eine scharfe Zunge gehabt, immer gern andere verspottet. Leandis nickte grüßend. »Fürst Tesario. Ich freue mich, dass du Zeit gefunden hast. Ich habe inzwischen die Gelegenheit genutzt, mir diese wunderbar kunstvollen Gartenanlagen genauer anzusehen. Mir war nicht klar, dass es möglich ist, lebende Natur in etwas zu verwandeln, das aussieht, als sei es aus Stein gemeißelt.«

Einen Atemzug lang schien Tesario um Beherrschung zu ringen, doch sofort war dieser kühle, beinahe überhebliche Ausdruck auf dem schmalen Gesicht wieder da. »Bist du gekommen, um mit mir über Gärten zu sprechen, Leandis Cevere?« Tesario rauschte an ihm vorbei auf eine weitere Tür zu, öffnete sie und betrat den Raum dahinter. Mit einer ungeduldig wirkenden Geste forderte er Leandis auf zu folgen.

Ein Kaminzimmer. Tesario steuerte umgehend auf einen der gemütlich aussehenden Ledersessel zu, ließ sich hineinfallen und legte ein Bein über die Sessellehne. Er deutete auf den zweiten Sessel. »Ich rede nicht gern im Stehen. Setz dich und teile Wein und Brot mit mir.«

Anscheinend hat er ja doch so etwas wie Manieren. »Danke.« Leandis setzte sich und griff nach dem Kristallglas, das Tesario ihm über den zwischen ihnen stehenden kleinen Tisch zuschob. Neben Karaffe und Gläsern warteten dort auch kleine Brotscheiben, belegt mit duftendem weißen Käse und grünen Oliven. Navonische Spezialitäten neben Austern und Fisch, schoss es Leandis durch den Kopf, Ziegenkäse und Oliven … sie bekommen ein ganz besonderes Aroma durch den Seewind, und die Ziegen grasen den ganzen Tag auf Bergwiesen und fressen würzige Kräuter. Verdammt, Leandis, konzentrier dich. Er stieß mit Tesario an und kostete den Wein, der samtweich über seine Zunge rollte und den vollen Geschmack von Beeren und die charakteristische Note einer Traube mitbrachte, die auf felsigem Grund gewachsen war.

»Nun«, Tesario stellte sein Glas mit leisem Klirren auf dem Tisch ab, »was verschafft mir die Ehre dieses nachbarschaftlichen Besuches? Hast du eventuell doch noch einmal über mein Interesse an ceverischen Kaltblütern nachgedacht?«

»Mehrfach.« Leandis nahm noch einen Schluck Wein und beobachtete Tesario über den Rand seines Glases hinweg. Der Fürst von Navona hatte sich verändert, seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Schon immer war er schmal und drahtig gewesen. Er hatte den Körper eines Fechters, dessen Geschick mit dem Rapier legendär war. Doch nun sah Tesario geradezu verhärmt aus, als würde er gerade von einer schweren Krankheit genesen. Unter den wachen Augen mit dem durchdringend forschenden Blick lagen dunkle Schatten, die bartlosen Wangen wirkten hohl, und das dunkle Haar machte das fahle Gesicht noch blasser. Doch keine Bewegung verriet Schwäche oder Krankheit, der aufmerksame Blick keine Erschöpfung.

»Und, zu welchem Schluss bist du gekommen?«

»Dass ich nicht verkaufe. Nicht dafür, dass du meine Tiere für deine Truppen einsetzt. Cevere züchtet keine Pferde für anderer Menschen Kriege. Unsere Kaltblüter sind Reit- und Arbeitstiere.«

Tesarios Lippen formten einen Schmollmund. »Bedauerlich. Dir entgeht eine hübsche Summe. Oder erinnerst du dich schon nicht mehr daran, wie viel ich dir für zehn dieser vierbeinigen Juwelen geboten habe?« Eine wegwerfende Geste, dann sprach er weiter: »Aber lassen wir das. Wenn du nicht wegen der Pferde gekommen bist und vermutlich auch nicht ausschließlich wegen dieses wirklich hervorragenden Käses – mit was wolltest du mir dann meine kostbare Zeit stehlen?«

Da war sie wieder, die Schärfe, die so unvermittelt den lockeren Plauderton ablöste. War Tesario zuvor schon so sprunghaft gewesen?

Leandis beugte sich in seinem Sessel vor und wählte seine Worte mit Bedacht. »Nun, als so enge Nachbarn … ich habe lange mit meiner Schwester darüber gesprochen, und wir sind beide der Meinung, dass es an der Zeit wäre, unsere diplomatischen Beziehungen wieder zu … intensivieren. Ich halte es für einen Fehler, dass Fürstentümer, die so eng nebeneinanderliegen, so wenig zusammenarbeiten. Wir könnten …«

»Fehler?« Tesarios Augen verengten sich zu schmalen, funkelnden Schlitzen. »Du bist allen Ernstes hergekommen, um mir kundzutun, ich würde einen Fehler machen?«

»Nein!« Leandis hob die Hände. Götter, hörte der Mann denn nicht zu? »Ich habe dir nichts vorgeworfen. Zumindest stand es nicht in meiner Absicht, dir etwas vorzuwerfen, und wenn meine Worte so angekommen sind, dann tut es mir leid. Was ich sagen wollte ist: Fenica und ich denken, es ist an der Zeit, enger zusammenzuarbeiten. Wir leben in unruhigen Zeiten.«

Wieder wanderte Tesarios Augenbraue in die Höhe. »So?«, sagte er gedehnt, »tun wir das?« Er blickte aus dem Fenster, hinter dem die Sonne im Meer versank und Palastgarten und Wasser in goldenes Licht tauchte. »Ich finde es hier gerade ausgesprochen friedlich. Aber ich weiß natürlich nicht, mit welchen Problemen Cevere gerade zu kämpfen hat.« Er stand auf, umrundete Leandis’ Sessel und beugte sich über die Rückenlehne zu Leandis herunter. »Aber sollten es schwerwiegende Probleme sein, so bin ich selbstverständlich ein guter Nachbar und biete meine Hilfe an.«

Sein Gesicht war für einen Moment so nah, dass Leandis Tesarios Atem spüren konnte. Er wich ein wenig zur Seite. »Vielleicht kann Cevere aber auch Navona unterstützen. Auf den Straßen flüstert man das Wort Revolte.«

»Revolte?« wiederholte Tesario sanft. »So.« Er legte eine Hand auf Leandis’ Schulter.

Ein fester Griff, so viel Kraft in den langen, schmalen Fingern. Leandis atmete tief durch.

»Niemand«, sagte Tesario, noch immer mit seidiger Stimme, »niemand wagt es, gegen mich aufzustehen. Und wer es dennoch tut, der trägt auch die Konsequenzen.« Eine Drohung, verpackt in ein Schnurren.

Leandis war kaum eine Stunde mit Tesario in einem Raum und wusste doch, dass dieser Mann gefährlicher war, als er geglaubt hatte. »Dennoch versuchen es immer wieder Menschen«, gab Leandis ruhig zurück. »Bürger, Adelige. Sogar dein Berater.«

»Mein Berater war ein intriganter Lügner, der seinen Posten missbraucht hat, um mir zu schaden.« Tesario zog seine Hand zurück und ließ sich wieder auf seinem Sessel nieder. Für einen Moment wirkte er sehr jung und zerbrechlich – bis seine Züge sich wieder verhärteten. »Es ist so unglaublich schwierig, zuverlässiges Personal zu finden. Deine Schwester hat unendliches Glück, dich zu haben. Einen Berater, dem sie trauen kann. Einen Mann, der seinen Kopf nicht nur zur Zierde auf seinen Schultern trägt. Fast bin ich ein wenig neidisch.« Tesario betrachtete nachdenklich seine Hände. Er schwieg.

Leandis nickte. »Fenica und ich ergänzen uns gut. Wir wurden gemeinsam auf den Thron vorbereitet und haben unseren Platz gefunden. Ich bedaure, dass es für dich im Augenblick keinen solchen Menschen gibt.«

Tesario sah auf. »Du bedauerst?« Ein Lächeln erhellte seine Züge, ohne die Augen zu erreichen. »Aber das musst du nicht. Ich denke, ich habe soeben eine Lösung gefunden, die für uns beide einen Gewinn bringt.«

»Und die wäre?

»Nun, dir ist an einer Vertiefung unsere diplomatischen Beziehungen gelegen. Mir fehlt ein kompetenter Berater, auf den ich mich verlassen kann. Ich kenne dich kaum persönlich, Leandis Cevere, aber alles, was ich über dich weiß, sagt mir, dass du ein ehrlicher, zuverlässiger und intelligenter Mann bist. Du berätst deine Schwester, seit sie den Thron bestiegen hat. Du willst mehr Nähe zwischen unseren Heimatländern? Dann bleib. Werde mein neuer Berater. Zeige mir, wie man in Cevere mit intrigierenden Adeligen umgeht, mit Messern in den Schatten und Bürgern, die sich wegen Nichtigkeiten vor Gericht streiten!« Tesario sprang auf. »Ja! Ja, das ist gut – für uns beide! Du bleibst, berätst mich, und zugleich wirst du Botschafter Ceveres in Navona sein! Wie klingt das?«

Tesarios Augen funkelten, rote Flecken glühten auf seinen Wangen, und Leandis hätte sich nicht gewundert, wenn er wie ein aufgeregtes Kind begonnen hätte, herumzuhüpfen und in die Hände zu klatschen. »Dein Angebot ehrt mich, aber es kommt zugegeben sehr plötzlich. Ich würde gern eine Nacht darüber nachdenken.«

»Nachdenken?« Wieder wurden Tesarios Augen schmal. »Was gibt es da nachzudenken? Wie kannst du auch nur in Erwägung ziehen, meine ausgestreckte Hand auszuschlagen?«

»Tesario, ich bin der Berater meiner Schwester. Ich kann nicht lange bleiben, ich werde bald nach Cevere zurückkehren. Ich kam her, um über einen Bund zu verhandeln, den es laut einiger alter Dokumente, die ich in unserer Bibliothek fand, sogar über Generationen hinweg gegeben hat. Nicht, um gleich meine Zelte hier aufzuschlagen. Gib mir eine Nacht. Das ist doch sicher nicht zu viel verlangt.«

»Eine Nacht.« Tesario nickte, ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Dann erweise mir die Ehre, diese Nacht als mein Gast in meinem bescheidenen Haus zu verbringen.«

Leandis stieß den angehaltenen Atem mit einem leisen Zischen aus. »Es ist mir eine Ehre. Danke für deine Gastfreundschaft. Ich werde in Ruhe alles Für und Wider abwägen und mich schnell entscheiden, darauf mein Wort.« Es war eine Möglichkeit. Nicht geplant, aber doch nicht schlecht. Leandis seufzte stumm. Ich habe vergessen, wie sprunghaft er ist.

Tesario nickte und betätigte einen Klingelzug, den Leandis gar nicht bemerkt hatte.

Wenig später traten zwei hochgewachsene Männer in der Uniform der Palastwache ein. »Mein Fürst?« Beide sprachen zugleich, beide verneigten sich tief.

»Dieser Mann ist für diese Nacht mein Gast. Er soll sicher im Westflügel untergebracht werden.«

Moment. Sicher? »Sicher?« Leandis erhob sich. »Was hat das zu bedeuten? Du hast mich als deinen Gast in dein Haus eingeladen.«

»Und ich möchte, dass meinem Gast nichts geschieht. Wer weiß, vielleicht schlafwandelst du und stürzt von einer Klippe! Es wird dir an keinem Komfort fehlen. Ich möchte nur deiner Entscheidungsfreudigkeit ein wenig auf die Sprünge helfen.« Er nickte den Wachen zu. »Westflügel. Die blauen Zimmer. Gutes Essen, ein Bad, falls er möchte.« Er wandte sich an Leandis. »Ich hoffe doch sehr, dich morgen Vormittag zum Frühstück als meinen neuen Berater begrüßen zu dürfen, Leandis.«

3.

Nachtgedanken

 

Leandis konnte nicht glauben, was da soeben geschehen war.

---ENDE DER LESEPROBE---