Windflug - Tina Alba - E-Book

Windflug E-Book

Tina Alba

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als der Magier-Adept Doral zu den Sternenklippen aufbricht, um dort die legendären Windläufer aufzuspüren, hält jeder ihn für verrückt. Alle, die das bisher gewagt haben, sind verschollen. Für Doral ist die Suche jedoch ein Lebenswerk. Er will beweisen, dass die Windläufer wirklich sind, und dazu ist ihm kein Berg zu hoch. Als er jedoch abstürzt und ausgerechnet von Windläufern gerettet wird, fangen Dorals Probleme erst richtig an. Denn die geflügelten Elfen sind davon überzeugt, dass die jeden Sommer unter ihnen wütende Seuche von menschlichen Forschern zu ihnen gebracht wurde. Auch Dorals rebellischer Retter Thalion, zu dem er sich vom ersten Moment an hingezogen fühlt, ist krank. Für Doral gibt es nur einen Ausweg: Ein Heilmittel muss her!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Liebesflammen IV

 

 

Windflug

 

 

 

 

Tina Alba

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum:

Kristina Siers, Außer dem Beckhofstor 5, 26721 Emden

www.tina-alba.de/wordpress

 

Cover: Cover für Dich/Sylvia Ludwig

 

Motive für Cover:

Long Hair Waving on Wind: Inara Prusakova/shutterstock.com

Set of Gold borders: Frame Art/shutterstock.com

White angel wing: jakkapan/shutterstock.com

Adult caucasian male dancer: Nanette Grebe/shutterstock.com

Mountain range: pixabay.com

Endkorrektorat und Satz: Tanja Rast

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
1 Aufbruch
2 Der Berg ruft
3 Hoch hinauf, tief hinunter
4 Gerettet
5 Und auf einmal ist alles anders
6 Geheimnis der Berge
7 Sommerseuche
8 In Sicherheit
9 Ein Blick ins Herz
10 Schwarze Vögel und kranke Elfen
11 Im Namen der Königin
12 Warten
13 Des Rätsels Lösung
14 Nachspiel

 

Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung
Lesefutter
Lesefutter
Lesefutter

1.

Aufbruch

 

Das trockene Pergament knisterte unter Dorals Fingern, als er die Buchrolle behutsam öffnete. Angespannt hielt er den Atem an. Erste Schriftzeichen erschienen, uralt und beinahe verblichen, an einigen Stellen war die Tinte zerlaufen, hier und da wies das antike Schriftstück Löcher auf, die aussahen, als wären Mäuse an ihnen schuld. Wind, entzifferte Doral, Berge, den Wolken so nahe. Luft. Schwingen. Die auf dem Wind laufen. Windläufer.

»Ja!« Doral entrollte das Pergament weiter, stellte sein Tintenfass auf das obere Ende, um zu verhindern, dass das Schriftstück sich wieder zusammenzog. Seine Finger folgten den verblassten Zeilen, stumm murmelte er die Worte vor sich hin, die er nach und nach entzifferte. Dann entdeckte er die Zeichnung. Den Beweis, nach dem er so lange gesucht hatte. Vor Aufregung zog sich Dorals Magen zusammen, sein Herz schlug schneller. Behutsam streiften seine Fingerkuppen das Bild eines schlanken, drahtigen Mannes mit mächtigen Vogelschwingen auf dem Rücken. Spitz zulaufende Ohren ragten lang aus seinem wirren Haarschopf hervor. Einst musste das Bild in leuchtenden Farben erstrahlt sein, jetzt ließen nur noch Reste von dunklem Blau, Smaragdgrün, Aquamarin und Silber erahnen, wie prächtig der Geflügelte ausgesehen haben musste. »Windläufer«, murmelte Doral. In seinem Inneren bahnte sich ein Lachen seinen Weg, blubbernd wie die tanzenden Bläschen im Schaumwein. »Ich habe sie gefunden!« Aus dem Lachen wurde ein Hustenanfall – letzte Erinnerungen an das lästige Sommerfieber, das Doral und einige seiner Gildenbrüder für einige Tage in seinen Klauen gehalten hatte. Doral hielt sich die Hand vor den Mund und schluckte gegen das Kratzen im Hals. Wie dumm von ihm, die Flasche mit der Silberkraut-Essenz in seiner Kammer vergessen zu haben.

»Und ich habe dich gefunden, Doral. Hinaus mit dir, ich muss die Bibliothek für die Nacht schließen!« Magistra Idine schob ihren kugelrunden Körper mit erstaunlicher Eleganz zwischen den Regalen hindurch. »Was tust du hier noch?«

»In Ruhe lesen, Magistra, und in Ruhe forschen. Aber da ich gefunden habe, wonach ich schon so lange suche, werde ich mich mit Freuden aus deinem Reich entfernen. Vielleicht werde ich die Gilde sogar schon morgen verlassen! Götter, ich kann es kaum erwarten, mit meiner Magisterstudie zu beginnen! Endlich!« Doral konnte nicht anders, er musste aufspringen und Idine um den Hals fallen.

»Na, na, na, junger Mann!« Idine grinste, schob Doral von sich und linste über seine Schulter hinweg auf das Lesepult, an dem er gearbeitet hatte. »Ts. Windläufer. Schon wieder? Immer noch?«

»Immer noch, teure Magistra, und ich habe endlich den Beweis!« Er zog Idine zum Pult und deutete auf die Zeichnung. »Siehst du? Wenn meine Quellen stimmen, hat Adarius Sternensang selbst diese Schrift verfasst. Und würdest du unseren Gildengründer einen Lügner nennen? Oder als jemanden bezeichnen, der nicht sauber nachgeforscht hat, bevor er über etwas schrieb? Die Windläufer existieren, Magistra, und zwar so, wie die Legenden sagen!«

Idine zog die Brauen zusammen. »Wenn dieses Pamphlet denn wirklich von Sternensang geschrieben wurde, hat er sehr wahrscheinlich entweder ein wenig zu lange in die Sterne geschaut oder einen seiner sprechenden Träume notiert. Die Hälfte der Runen ist verblasst, verkohlt oder von irgendetwas angefressen worden, von dem ich nicht möchte, dass es in meiner Bibliothek haust. Wie kannst du dir so sicher sein, dass die Legenden wirklich wahr sind, junger Mann? Die Windläufer sind nichts als kleine geflügelte Äffchen, die sich in den Bergen wie die Ratten vermehren. Sie sind nichts als ein fehlgegangenes magisches Experiment!«

»So wollen alle glauben, ich weiß.« Doral verdrehte genervt die Augen. »Und wenn es anders ist? Wenn ich den Beweis erbringen kann, dass es sie gibt? Wenn ich beweisen kann, dass sie ein Volk sind und keine Tiere?« Doral rollte das Pergament noch ein wenig weiter aus. »Hier, eine Karte. Sie zeigt die nördlichen Kammhügel und die Sternenklippen. Dort sollen sie nach diesem Bericht gesehen worden sein. Ich werde dort hinreisen, Magistra.«

»In die nördlichen Kammhügel. Du.« Idine schnalzte mit der Zunge und wiegte den Kopf zweifelnd hin und her. »Gut, dass ich nicht deine Lehrmeisterin bin, denn für diese Wahnsinnsidee allein schon würde ich dir den Hosenboden stramm ziehen. Es gibt kaum ein unwirtlicheres Gelände als die Kammhügel, ganz zu schweigen von den Sternenklippen. Du bist keine Bergziege, Adept Doral.«

Doral gab sich Mühe, nicht noch einmal mit den Augen zu rollen. »Ich weiß, dass ich einen Führer und kostspielige Ausrüstung brauchen werde. Magische Ausrüstung. Und ich bin mir sicher, dass Magistra Elodia mir diese Expedition höchstens zähneknirschend gestatten und mit keinem Kupferstück finanzieren wird. Darum habe ich bereits vorgesorgt.« Er hob das Tintenfass, und das Pergament rollte sich raschelnd und knisternd zusammen. Behutsam schob Doral es in die Lederhülle, in der er es gefunden hatte. »Darf ich mir das hier ausborgen?«

»Bei allen Göttern, nein, Doral. Die alten Stücke …«

»… dürfen die Bibliothek nicht verlassen. In Ordnung. Schließ mich zur Nacht hier ein, dann werde ich mir eine Kopie anfertigen.«

»Du weißt, dass ich das nicht darf.«

»Von mir wird es niemand erfahren. Idine, teuerste Magistra, ich bitte dich.« Doral versuchte sich an einem bettelnden Schmollmund, den sein letzter Liebhaber als anbetungswürdig und hinreißend bezeichnet hatte, und blickte flehend zu Idine auf.

»Verdammt noch mal.« Die Magistra fluchte sehr undamenhaft. »Wenn du hier irgendetwas durcheinanderbringst oder anzündest, werde ich dich eigenhändig erwürgen.«

»Ich danke dir, Magistra.«

Idine schnaubte, dann kugelte sie vor sich hin murmelnd davon, und Doral hörte wenig später, wie sich der Schlüssel knirschend im mächtigen Schloss der Haupttür zur Bibliothek drehte. Doral blieb allein mit den Büchern, dem alten Pergament und seinen Träumen vom Fliegen.

 

»Magistra Elodia, ich habe mich entschieden.«

Ein erleichtertes, geradezu strahlendes Lächeln erschien auf Magistra Elodias Gesicht. Die alte Magierin erhob sich, trat auf Doral zu und drückte seine Hände. »Na endlich. Glückwunsch, mein Junge. Nun, sag schon, worüber möchtest du forschen, um dir deinen Meistertitel zu verdienen?«

»Über die Windläufer.«

So rasch, wie das Lächeln sich gezeigt hatte, verschwand es wieder und machte missmutig zusammengezogenen Augenbrauen und einer gerunzelten Stirn Platz. »Doral, wie oft haben wir uns schon darüber unterhalten? Die Reise in die Kammhügel ist zu gefährlich. In den letzten Wochen solltest du eigentlich genug Zeit in der Bibliothek verbracht haben, um die Chroniken zu lesen. Wie viele haben es vor dir bereits versucht und sind nicht zurückgekommen, auch ohne dass sie gerade einen Anfall von Sommerfieber hinter sich gelassen haben?«

»Acht. Der Letzte von ihnen hat es vor dreißig Jahren versucht.« Doral hatte die Chroniken sehr wohl studiert, allein schon, um nachzulesen, welche Wege seine Vorgänger genommen hatten und auf welche Schwierigkeiten sie gestoßen waren. Vier der genannten Acht waren unauffindbar verschwunden, den Tod zweier weiterer forschender Magier hatten Bergführer der Gilde berichtet, einer war zwar zurückgekommen, hatte aber so nachhaltig den Verstand verloren, dass er zu keiner klaren Aussage mehr fähig gewesen war. Der Letzte war ebenfalls ohne jede Spur in den Bergen verschwunden, die Gilde hatte nie wieder etwas von ihm, seinen Mitreisenden oder seinem Bergführer gehört. »Ich bin mit den Aufzeichnungen vertraut, Magistra. Und ich habe vorgesorgt.« Er öffnete seine Umhängetasche und förderte mit einem Ächzen drei pralle Lederbeutel daraus hervor. »Seit ich für kleinere magische Dienste und die Arbeit hier in der Gilde Lohn erhalte, habe ich mein Geld gespart. Ich werde die Schatztruhen der Gilde nicht antasten. In diesen Beuteln ist genug, um mich auszurüsten, ein Reit- und ein Packtier zu kaufen und einen oder zwei Führer anzuheuern.«

»Und wozu? Nicht einer, der noch berichten konnte, hat Windläufer, wie sie in den Legenden beschrieben werden, gefunden. Du jagst einen Traum, Doral. Willst du dafür dein Leben riskieren?« Elodia legte eine Hand auf Dorals Arm.

Doral hob den Blick und sah seiner Meisterin in die Augen. Sie musste besorgt sein, nur darum war sie so ungehalten. Er fühlte mit einem Mal eine tiefe Liebe zu dieser gestandenen alten Dame, die ihn von Kindesbeinen an in die Geheimnisse der magischen Welt eingeführt hatte. Elodia war wie die Mutter für ihn gewesen, die er hatte verlassen müssen – wie alle Kinder, deren magische Gabe entdeckt wurde. Sie hatte ihn in den Armen gehalten, wenn er vor Heimweh nicht schlafen konnte, und hatte immer wieder dafür gesorgt, dass er seine Familie wenigstens für einen Tag hier und da besuchen konnte. »In den Aufzeichnungen steht, dass Veroban sie gesehen hat«, sagte er mit leisem Trotz in der Stimme. Er wusste, was kommen würde, und er wurde nicht enttäuscht:

Elodia verdrehte die Augen und seufzte. »Veroban kehrte wahnsinnig zurück. In der kurzen Zeit, in der er noch lebte, waren seine Gedanken von Irrsinn zerfressen. Ich habe ihn selbst gesehen, Junge. Glaub mir, das war nicht schön. Ich möchte nicht, dass dir Ähnliches geschieht.«

»In den Aufzeichnungen über alles, was Veroban noch sagen konnte, steht, dass er durchaus lichte Momente gehabt hat und dann immer wieder eines sagte: Sie fliegen, und sie sind so wunderschön. Ich will, dass sie mich noch einmal in ihre Arme nehmen und mich in den Himmel tragen. Ich habe die Sonne berührt, als sie mich trugen. Ich will wieder mit ihnen fliegen.«

»Wahnvorstellungen«, beharrte Elodia.

Doral richtete sich zu voller Größe auf. »Magistra, und wenn es mich meinen Platz in dieser Gilde kostet, ich bin entschlossen. Ich werde reisen, und ich werde die Windläufer finden. Ich werde dabei nicht sterben und habe nicht vor, den Verstand zu verlieren. Ich komme zurück, und dann werde ich beweisen, dass es die Windläufer gibt.« Er nahm die Beutel und schob sie in seine Tasche zurück. »Bitte, Magistra. Es ist das, was mein Herz will.«

Einen Moment lang erwiderte Elodia Dorals Blick schweigend, die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, die Stirn in Falten. Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, aber Doral wusste, dass die Magistra ihre Finger knetete. Das tat sie immer, wenn sie sich mit einer Entscheidung schwertat.

»Bitte.« Doral legte seine Seele in dieses eine Wort. »Magistra, ich muss das tun. Ich träume jede Nacht von dieser Reise. Ich sehe mich jede Nacht auf den Sternenklippen stehen und fühle den Wind im Haar. Ich bin noch nie dort gewesen, aber ich schwöre bei allen Göttern, dass ich dir beschreiben kann, wie die Luft dort schmeckt und wie der Schnee bei jedem Schritt knirscht. Ich kann das Eis hören, das unter meinen Füßen arbeitet, wenn ich darüber hinweg wandere. Ich kann fühlen, wie unsagbar alt es ist. Dieses Land ruft mich, seit ich das erste Mal davon hörte. Bitte, lass mich reisen. Ich glaube, ich werde nie wieder Ruhe finden, wenn ich nicht gehe.«

Elodia stieß zischend den angehaltenen Atem aus. »Du bist nicht versessen auf diese Reise, du bist verliebt in sie.«

Doral nickte stumm. In seinem Inneren tobte der Bergwind. Schmetterlinge tanzten in der eisigen Brise, er spürte das Echo ihres Tanzes in seiner Magengrube.

»Also gut, Junge. Beweise mir, dass du dich wirklich gut vorbereitet hast. Vielleicht lasse ich dich dann mit meinem Segen gehen.«

»Danke, Magistra!« Doral konnte sich nicht länger beherrschen, er zog Elodia in eine feste Umarmung und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Sie schob ihn schnaubend von sich, aber in ihren Augen sah Doral nichts als bedingungslose Liebe. Er wusste, diese Frau, die ihm Familie und Lehrerin zugleich gewesen war, würde ihn gehen lassen. Damit er zu ihr zurückkam.

 

Eine Woche später ging Doral und nahm Elodias Reisesegen mit sich. Schon einige Tage zuvor hatte er in der Stadt zwei Bergführer angeheuert, die bereit waren, ihn bis an die Grenze zu den unerforschten, ewig schneebedeckten Gipfeln der Sternenklippen zu bringen. Danach war er mit seinen Taschen voll Geld weitergezogen, um die von dem Bergführerpaar empfohlene Ausrüstung einzukaufen. In der Stadt im Tal herrschte schönstes Sommerwetter, aber Doral wusste nur zu gut, dass er die pelzgefütterte derbe Lederkleidung und die Schneeschuhe oben in den Klippen schätzen lernen würde. Auch wenn er sicher war, dass er sich in den schweren, dicken Sachen keinen Schritt weit würde bewegen können. Wenigstens würden sie ihn warm halten. Wer wusste schon, wie oft sie dort oben die Gelegenheit haben würden, einen geschützten Lagerplatz zu finden, wo sie ein Feuer entzünden und Tee und eine warme Mahlzeit kochen konnten?

Die halbe Gilde beobachtete Dorals Aufbruch. Das Gemurmel seiner Gildengeschwister hüllte ihn ein wie Nebelschwaden. Die einen nannten ihn tollkühn und bewunderten seinen Mut, die anderen zweifelten an seinem Verstand und tippten sich vielsagend mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Nur Elodia stand zwischen den Meistern und lächelte wissend und, wie es Doral schien, beinahe ein wenig traurig, als sie einander zum Abschied umarmten.

Sie reichte ihm einen Ledersack. »Feuersteine«, raunte die Magistra, »du wirst sie da oben brauchen. Und ein Fläschchen mit Silberkraut-Essenz. Nur für den Fall, dass dein Sommerfieber doch noch nicht ganz auskuriert ist.« Sie lachte sanft und strich über Dorals Wange.

»Danke.« Doral nahm Elodias Hände und drückte sie fest »Ich komme wieder, ver…«

Elodia schüttelte den Kopf und legte einen Finger an die Lippen. »Nicht, mein Lieber, versprich nichts, was du nicht halten kannst. Was auch immer passiert: Ich will, dass du am Leben bleibst. Und wenn dich etwas in den Bergen halten sollte, dann finde einen Weg, mir wenigstens zu sagen, dass du lebst.«

»Das verspreche ich, Magistra. Danke für alles.« Doral löste den Griff um Elodias Hände, wandte sich seinem Maultier und dem am Tor des Gildenhauses wartenden Führerpaar zu und schwang sich in den Sattel. »Brechen wir auf!« Er trieb das Tier an, zog das Pack-Muli hinter sich her und ließ Cen, einen seiner Führer, überholen, während Tala ihr Reittier neben seines lenkte. Doral blickte nicht zurück. Er hätte es nicht ertragen zu sehen, dass Elodia sich vielleicht nun eine Träne aus dem Augenwinkel wischte oder wie ihm seine Mitstudenten weiterhin einen Vogel zeigten. Er wusste, was hinter dem offenen Stadttor auf ihn wartete: das Abenteuer seines Lebens. Ich freue mich jetzt schon auf ihre dämlichen Gesichter, wenn ich mit handfesten Beweisen für die Existenz der Windläufer nach Hause komme!

2.

Der Berg ruft

 

Nach drei Wochen auf Straßen, Wegen, Feldern und schließlich steinigem Hochland hatte Doral mehrere Dinge gelernt: Er mochte zwar jung sein, dennoch – er war ein Magier, kein Waldläufer, kein Bergführer, und fühlte sich schon gar nicht für längeres Reiten oder ausgiebige Fußmärsche geschaffen. An den ersten Abenden hatte er kaum sitzen können, so sehr tat ihm der Hintern weh von den unendlichen Stunden im Sattel, und seine Füße protestierten jedes Mal, wenn das Gelände zum Reiten zu unwegsam gewesen war und sie die Maultiere hatten führen müssen. Doch mit jedem Tag vermisste Doral das ruhige Gildenleben weniger. Aus den Blasen an den Füßen waren Schwielen geworden, seine Kehrseite hatte sich an das stundenlange Kleben am Sattelleder gewöhnt, die Zügel zerscheuerten ihm nicht länger die Hände. Hatte Doral sich in den ersten Tagen noch jeden Morgen mühselig mit einem kleinen Spiegel in der einen und dem Rasiermesser in der anderen unter den spitzen Bemerkungen des bärtigen Cen das Gesicht geschabt, duldete er inzwischen die dunklen Mehrtagebartstoppeln und fand sogar Gefallen daran, wie der kurze Bart die scharfe Linie seines Kinns betonte. Sein Haar hatte er ohnehin schon immer lang getragen und band es nun mit einem Lederfaden zu einem Zopf, damit die frischen Hochlandwinde es ihm nicht ständig in die Augen wehten.

Mit Cen und Tala verband ihn inzwischen beinahe Freundschaft. Der gutmütige Spott der beiden über blasenversehrte Füße, einen durchgerittenen Hintern und Dorals anfängliche Sehnsucht nach heißen Bädern und Rückenmassagen hatte Doral über die ersten schweren Reisetage hinweggeholfen – und nun konnte er sich ganz auf das konzentrieren, was vor ihm lag.

Die Sternenklippen.

Zum Greifen nah.

Im Licht der untergehenden Sonne leuchteten die schneebedeckten Gipfel und Kuppen wie mit flüssigem Gold übergossen. In Klippen und Schluchten fing sich der Wind und zauberte ein ganz eigenes Geräusch wie fernes Klagen, Singen und Raunen. Doral spürte ein eigenartiges Ziehen in der Brust, als er sein Reittier zum Stehen brachte. Dort oben, das wusste er, da mussten sie sein. Die Windläufer. Seine Bestimmung. Ich wünschte, ich wäre schon dort. Bei ihnen.

»Wenn du da oben mit offenem Mund staunst, schneit’s rein!«, erklang Talas Stimme neben ihm. Ein sanfter Rippenstoß folgte. »Runter vom Maultier, Magier. Das wird wahrscheinlich unsere letzte einigermaßen komfortable Nachtrast. Genieße sie lieber, statt im Sattel festzuwachsen.«

Doral nickte, machte aber keine Anstalten abzusteigen.

»Ich weiß. Sie sind wunderschön.« Jetzt klang Talas harte, raue Stimme beinahe weich. »Aber täusche dich nicht, Doral. Was du hier siehst, ist eine der gefährlichsten Landschaften auf unserem Kontinent. Die Sternenklippen sind wie die Feuerblume – wunderschön, magisch und absolut tödlich. Unter all dem Silber verbergen sich tückische Fallen. Manchmal wird der Schnee selbst zur Falle. Gar nicht zu reden von Stürmen und eisigem Frost. Wo du eben noch einen Pfad gesehen hast, findest du im nächsten Augenblick nicht einmal mehr deine eigenen Fußspuren.«

»Dennoch ist es schön. Ich kann es gar nicht erwarten, da hinaufzusteigen!« Doral schickte noch einen letzten bewundernden Blick zu den sonnenlichtübergossenen Felsen, dann schwang er sich vom Maultier und blieb dabei zum ersten Mal nicht mit dem Stiefel an den Packtaschen hängen.

»Ich erinnere dich an deine Worte, wenn dir Eiszapfen am Bart wachsen und dir der Rotz in der Nase gefriert«, brummelte Cen gutmütig. »Oder du das Gefühl hast, dass dir beim nächsten Schritt die Zehen abbrechen. Macht euch nützlich, ihr beiden. Holz sammeln, Tiere abladen, ich kümmere mich um das Lager.«

»Holz oder Tiere?« Tala grinste Doral herausfordernd an.

»Tiere. Du hattest sie gestern. Und ich glaube, langsam komme ich wirklich mit all den Schnallen zurecht. Außerdem mag ich die Viecher. Sie sind warm, und sie riechen gut. Wie weit werden wir sie mitnehmen können?«

»Zwei Drittel des Weges. Wir werden ein paar Tage bis an die Grenze brauchen. Auf dem Weg dahin befindet sich eine überdachte Schutzhütte, dort lassen wir sie und begleiten dich bis zu dem Ort, von dem aus du allein weitergehen wirst. Bist du bereit dafür, Doral?«

Doral lächelte und zog seinen Ärmel aus dem Maul seines Packtieres, das genüsslich daran zu kauen begonnen hatte. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er ehrlich.

Tala drückte leicht seine Schulter und nickte, dann zog sie von dannen, um das spärliche Buschholz für ein Lagerfeuer aufzusammeln, damit sie ihre Holzvorräte noch nicht angehen mussten.

Doral hob die Lasten von den Packtieren, sattelte die Reittiere ab und pflockte die ganze Bande an, dann hängte er jedem einen Futtersack vor das Maul und rieb schweißfeuchtes Fell mit trockenen Grasbüscheln ab, während er dem zufriedenen Malmen der Maultiere lauschte. Langsam bekam er ebenfalls Hunger, aber er war so aufgeregt, dass er nicht wusste, ob er auch nur einen Happen von dem, was Tala und Cen über dem inzwischen flackernden Lagerfeuer zusammenbrutzelten, würde essen können. Immer wieder ertappte er sich bei einem sehnsuchtsvollen Blick zu den Bergen. Ihm war, als sei sein Herz schon da oben, auf dem charakteristischen dreizinnigen Gipfel, der mit dem Sonnenuntergang immer mehr in Dämmerlicht und Abenddunst verschwand.

---ENDE DER LESEPROBE---