Schatz der Tiefe - Tina Alba - E-Book

Schatz der Tiefe E-Book

Tina Alba

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Beschreibung

Seit dem Tod seiner Mutter ist Fischer Nalukomao vom Unglück verfolgt: seine Netze bleiben leer, sein Geliebter Labeku verschollen auf See, und sein Schuldenberg wächst in den Himmel. Nur eine alte Sage gibt ihm noch Hoffnung. So bricht er auf, um den legendären Schatz der Tiefe zu suchen.Anstelle von Gold und Juwelen findet Nalu eine grimmige Piratenbande, die ebenfalls auf Schatzsuche ist ... und leider überzeugt, dass er den Weg zur Beute kennt. Und nicht nur das - auch sein verloren geglaubter Geliebter ist an Bord gefangen. Nach viel zu kurzer Wiedersehensfreude sind die Liebenden überzeugt: was auch immer der Schatz der Tiefe ist, er darf um keinen Preis der Welt den Piraten in die Hände fallen.Als ein Unwetter aufkommt, läuft das Schiff auf ein Riff auf. Nalu und sein Liebster haben den Tod vor Augen - doch dann finden sie sich in einer Höhle wieder, in der Gesellschaft eines mysteriösen Fremden - schön und geheimnisvoll wie das Meer selbst

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Liebesflammen III

 

 

Schatz der Tiefe

 

 

 

 

Tina Alba

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum:

Kristina Siers, Außer dem Beckhofstor 5, 26721 Emden

www.tina-alba.de/wordpress

 

Cover: Cover für Dich/Sylvia Ludwig

 

Motive für Cover:

Portrait of two young self confident businessman (hair): Paolo Schorli/shutterstock.com

Open treasure chest: Fer Gregory/shutterstock.com

Handsome young man with naked torso: Y Photo Studio/shutterstock.com

3D rendering of a beautiful fantasy mermaid: Valentyna Chukhlyebova/shutterstock.com

Empty underwater background: rangizzz/shutterstock.com

Set of Gold borders: Frame Art/shutterstock.com

Shiny crystal: pixabay.com

Diamond: pixabay.com

Endkorrektorat und Satz: Tanja Rast

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
1 In den Sonnenaufgang
2 Schicksalsschiff
3 Sturm
4 Verzauberte Höhle
5 Makal
6 Der Retter
7 Piratenjagd
8 Schatz der Tiefe
9 Befreiung

 

Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung
Lesefutter
Lesefutter
Lesefutter

1.

In den Sonnenaufgang

 

Niemand weiß, was oder wie viel von dieser Legende wahr ist. Vielleicht alles, vielleicht nichts. Vielleicht ist Malaua-Ka’le nichts weiter als ein Märchen. In allen Märchen steckt ein Körnchen Wahrheit, heißt es, warum dann nicht auch in dem um den Schatz aus der Tiefe? Warum sollte ich nicht daran glauben, dass es ihn gibt? Warum sollte ich nicht nach ihm suchen? Wenn es so weitergeht wie bisher, dann ist ohnehin alles Hoffen sinnlos. Ich sollte einfach mein Boot nehmen und los segeln, in den Sonnenaufgang, wie es in der Legende heißt: Segle gen Sonnenaufgang, und du findest den Schatz aus den Tiefen der Meere, der dir all deine Wünsche erfüllen wird. Der dir Glück bringt, Reichtum und Sicherheit.

Nalukomao hielt bei seiner Arbeit inne und starrte in die Flammen seines Räucherfeuers, über dem ebenso wie an den vergangenen Abenden nur lächerliche zwei dürre Miokas hingen. Blau schimmernde, glatthäutige Fische mit zu einem langen Säbel ausgezogenem Oberkiefer, deren Himmelsfarbe am Bauch in das zarte Violett und Rotgold des Sonnenuntergangs über dem Meer überging. Ihr Fleisch war begehrt, aus ihren Säbeln ließen sich Messer schleifen, so biegsam und zugleich stabil waren die Knochen. Die Haut gab feines Leder, das nach dem Gerben in allen Regenbogenfarben schillerte. Wenn sie denn von guten, gesunden und starken Miokas stammte und nicht von so alten dünnen Dingern wie Nalukomao sie seit Monden aus dem Meer zog. Das Fleisch der wenigen Fische, die er fing, reichte gerade aus, dass Nalu selbst nicht verhungerte, aber der magere Fang war lange nicht genug, um ihm Schimmerschnecken in seine Truhe zu bringen, Meersilber, Salz oder anderes Tauschgut, mit dem er seine Schulden zahlen konnte. Inzwischen gab es kaum noch jemanden in dem kleinen Fischerdorf, bei dem Nalu nicht in der Kreide stand, und langsam wurden seine Gläubiger ungeduldig. Seit Wochen wartete Heilerin Kealeeka auf ihre drei Ellen Mioka-Haut, Tomakaua auf zwanzig Schimmerschneckengehäuse und drei handtellergroße Scheiben Meersilber. Lakuma würde ihm morgen kein Brot mehr geben, wenn Nalu ihr kein Salz zum Tausch anbieten konnte. Mit den letzten Krümeln aus dem Salztopf hatte er seine Miokas eingerieben, bevor er sie über das Räucherfeuer gehängt hatte, jetzt musste er warten, bis er wieder die Gelegenheit bekam, das begehrte Steinsalz aus dem Landesinneren zu bekommen – nur wie, wenn er nichts mehr hatte, was er zum Tausch anbieten konnte? Rauchfisch brauchte er gar nicht erst mitzubringen – die meisten Dorfbewohner waren selbst Fischer und fingen mehr und bessere Tiere als Nalu.

Mutter, grollst du mir immer noch? Habe ich dich so sehr beleidigt, dass dein Geist mich nun verfolgt und meine Netze leer bleiben lässt? Er starrte über das Feuer hinweg den Strand entlang, wo sich die Wellen der Sonnensee leise rauschend am Ufer brachen. Von fern schimmerte Feuerschein über das Wasser – auch auf den nahen Nachbarinseln des Atolls saßen jetzt die Fischer am Strand und verarbeiteten ihren Fang. Viele von ihnen würden morgen nach Westen segeln, zum Festland, um dort ihre Fischwaren eintauschen und dann vielleicht die anderen Inseln anzufahren und die Festlandware zum Tausch anzubieten. Vielleicht würde einer von ihnen Steinsalz mitbringen – aber nicht für Nalu.

Nalus Blick wanderte nach Osten. In seinem Herzen hörte er die Stimmen seiner Mutter und seines Freundes Labeku, die ihm die Geschichte von Malaua-Ka’le immer und immer wieder erzählt hatten. So oft, bis er sie auswendig mitsprechen konnte. Eines Tages sollte er sie seinen eigenen Kindern erzählen können. Nalu seufzte, warf ein Scheit in die Flammen und stocherte im Feuer herum. Er hatte diese Gedanken nie mit seiner Mutter geteilt, aber er hatte schon früh gewusst, dass er keine eigenen Kinder haben würde. Vielleicht hatte sie vermutet, dass er Männer bevorzugte, aber sie hatte Nalu nie darauf angesprochen. Und er hatte nichts gesagt. Auch nicht, als er sich in Labeku verliebt hatte. Zuerst in seine Geschichten und in seine wunderbare Stimme, mit der er Bilder vor den Augen seiner Zuhörer entstehen lassen konnte. Dann in den ganzen Mann, sein sanftes Wesen, sein Lachen, seine schönen Augen. Seine langfingrigen, schmalen Hände, die seine Worte unterstrichen und mit ausladenden Gesten noch mehr Bilder zu den Geschichten malten. Nalu hatte sein Herz verloren und sich mit Labeku getroffen, als ihm klar geworden war, dass Labekus Blicke so viel mehr bedeuteten als einfach nur Neugierde und Freundlichkeit. Auf einer der vielen kleinen unbewohnten Inseln des Atolls hatten sie sich einen Rückzugsort gebaut, wo sie allein sein konnten und … Nalu ballte die Hände zu Fäusten. Die Gedanken an Labeku taten weh, ebenso wie die Erinnerungen an die traurigen Blicke seiner Mutter, die sich so sehr Enkel von ihrem eigenen Blut gewünscht hatte. Wahrscheinlich hätte sie Labeku ohne Zögern in die Familie aufgenommen, wenn Nalu sich auch noch eine Frau genommen hätte, damit die Blutlinie nicht ausstarb. Er wäre nicht der Einzige mit zwei Lebenspartnern im Dorf gewesen. Schließlich hatte auch Kealeeka einen Gefährten und eine Gefährtin. Ich hätte mit ihr reden sollen. Warum musste er sich gerade jetzt an die dunklen Blicke erinnern, mit denen seine Mutter ihn bedacht hatte, immer wenn einer der anderen jungen Männer aus dem Dorf ein Mädchen vor den Götterstein brachte und nach dem Priester rief, um sich mit ihr vermählen zu lassen? An die Blicke, die ihn getroffen hatten, immer wenn eine junge Frau mit schwer gerundetem Leib zu Kealeeka ging und einige Zeit später mit einem Kind im Arm von ihrem stolzen Gefährten nach Hause gebracht wurde? Wie sehr musste sich seine Mutter danach gesehnt haben, das Malaua-Ka’le selbst zu finden, um sich zu wünschen, dass ihr Sohn sich endlich eine Frau nahm und Kinder zeugte, die die Geschichten der Familie weitertragen würden? Wenn keiner mehr da ist, der die Geschichte einer Familie erzählen kann, dann ist sie tot.

Nalu erinnerte sich nur zu gut an die Worte seiner Mutter. Gestorben für immer, verstummt vor den Menschen und vor allem stumm vor den Göttern. Wer soll sie sehen, wer soll sie segnen und sie beschützen, wenn die Geschichten verstummen? Nicht einmal Labeku konnte jetzt noch erzählen, wenn Nalu einmal nicht mehr da war. Denn Labeku war fort. Nicht zurückgekommen von seinem letzten Fischzug, nie wieder heimgekehrt nach diesem Sturm, dem so viele Fischer nur knapp entronnen waren.

Nalus Gedanken wanderten zu den vielen heimlichen Momenten auf der einsamen Insel, zu der gestohlenen Zeit voller Küsse und Zärtlichkeiten. Voll von fiebrigen Berührungen auf glühender Haut, wenn sie sich im Schutz der Palmen heftig, leidenschaftlich und immer viel zu schnell geliebt hatten, wieder und wieder, weil sie nicht genug voneinander bekommen konnten und Nalus Zeit doch so knapp bemessen war. Labeku fehlte. Die Erinnerungen an den Tag, an dem die Ältesten ihn für tot erklärt und die Rituale für ihn begangen hatten, krallten sich wie ein kleines schwarzes Tier in Nalus Erinnerungen und machten sein schweres Herz noch schwerer. Er wollte nicht daran glauben, dass Labeku im Unwetter ertrunken war. Vielleicht hatte er es ja doch geschafft, dem Sturm zu entkommen. Es mochte doch sein, dass Wind und Meer ihn an fremde Strände getragen hatten, weit fort von der Heimat, und er hatte einfach nur den Weg zurück nicht gefunden – oder bisher keine Möglichkeit, nach Hause zu kommen. Nalu klammerte sich an den Gedanken, dass sein geliebter Märchenerzähler noch am Leben war. In den Nächten ließ er sich in die Träume fallen, denn auch wenn sie oft dunkel und voll von seinen Sorgen waren, wartete manchmal auch sein Labeku auf ihn, wenn er einschlief. Und dann liebten sie einander, warm und weich, langsam und voller Zärtlichkeiten – so, wie sie es im wirklichen Leben nie getan hatten.

Nalu spürte einen Stich in seinem Inneren. Er war allein. Der letzte seiner Familie. Würde Labeku noch da sein, hätten sie ein Waisenkind aufnehmen können. Das wäre nicht die Familie gewesen, die seine Mutter sich für Nalu gewünscht hätte, doch dann hätte er wenigstens eine eigene Familie gehabt, in der Kinder waren. Kinder, die die Lieder singen würden, wenn Nalus und Labekus Stimmen verstummt waren. Und nun? Es gab keinen Geliebten mehr, keine Mutter. Nalu würde der sein, mit dem seine Sippe starb.

Er schüttelte den Kopf. Zorn kochte in ihm hoch. Niemals würde seine Geschichte schweigen. Nalu wusste genau, was er tun musste.

Malaua-Ka’le bringt Reichtum und Glück. Wer es besitzt, wird nie mehr in Gefahr geraten. Wer es findet, dem erfüllt dieser Schatz all seine Wünsche. Ich werde ihn finden. Und dann wird meine Geschichte unsterblich werden. Du wirst schon sehen, Makina, meine Mutter. Ich gebe dir einen Grund, stolz auf deinen Sohn zu sein, und dann wird dein Geist mich nicht weiter verfolgen und mir mein Fischerglück rauben. Ich werde reich und glücklich werden, und alle im Dorf werden sich unserer Familie erinnern! Ich tue das für dich, Mutter … und für dich, Labeku, mein Liebster.

Nalukomao erhob sich, kontrollierte noch einmal das Räucherfeuer, dann betrat er die kleine runde Hütte, die er seit dem Tod seiner Mutter vor einigen Monden allein bewohnte. In Kürbisflaschen füllte er frisches Wasser, packte ein, was er an Vorräten noch besaß, und stopfte Ersatzkleidung und eine wärmende Wolldecke in seinen wasserdicht geölten Ledersack. Er wollte fort sein, bevor am nächsten Morgen die Sonne aufging. Auf dem Meer sein, wenn ihr Strahlen sich über den Horizont schob.

Mitten in der Nacht verstaute Nalu sein Gepäck in seinem Fischerboot, löschte das Räucherfeuer und schlich mit den beiden Miokas zum Versammlungsplatz mitten im Dorf. Friedlich schlummerten Menschen in ihren Hütten unter den Sternen. Auf dem Opferstein in der Mitte des Platzes lagen noch die Reste von Blumen und Speisegaben des letzten Sonnenfestes. Nalu drapierte die Fische auf dem Stein und schlang einen der noch frisch aussehenden Blütenkränze um sie herum.

»Ka’le, Beschützerin der Fischer, Hüterin der See, sieh auf meine Gabe und sei mir gnädig. Mein Glück hat mich verlassen. Meine Freunde meiden mich. Ich kann meine Schulden nicht mehr bezahlen. Meine Mutter sieht aus dem Totenreich mit Trauer und Zorn auf mich herab und verflucht mich. Mein Liebster ist verschollen, und ich bin allein. Darum will ich auf die Suche gehen und den Schatz der Tiefe heben, auf dass er mir und meiner Familie Segen bringen möge. Hilf mir, Mutter des Meeres.« Nalu drückte kurz seine Stirn an den Opferstein, dann sah er wieder auf. »Talakuo, Vater der Winde, sei mir gnädig. Treibe mein Boot in die richtige Richtung. Lass es schnell über das Meer gleiten, aber ich bitte dich, zerre nicht zu arg an seinen Segeln, auf dass sie nicht zerreißen. Hilf mir, Vater der Winde, und führe mich den richtigen Weg in den Sonnenaufgang hinein.«

Noch einmal lehnte Nalu die Stirn an den Stein, fühlte seine raue Kühle und atmete den Duft der Opfergaben, diese verwirrende Mischung aus zu süßem Blumenduft, wildem Honig und frischem Räucherfisch. Dann huschte er in die Dunkelheit davon, zurück zu seinem Boot, belud es und stieg hinein. Unter dem klaren Sternenhimmel ließ er sich vom Wind aufs offene Meer treiben und wartete auf den Sonnenaufgang, lange bevor die anderen Fischer aus ihren Hütten gekrochen kamen.

 

Der Morgen kam mit blutrotem Himmel und einer leichten Brise. Es erfüllte Nalu mit tiefem Frieden, das vom Salzwasser gegerbte Holz unter seinen Fingern zu spüren, die rauen Seile, die Ruderpinne. Das Geräusch des im Wind flatternden Segels sprach von Freiheit. Über ihm schrie ein Seevogel und begrüßte den Tag. In der Luft schien ein Knistern zu liegen, das Nalus Haut kribbeln und die feinen Härchen auf seinem Arm sich aufrichten ließ. Er hatte dieses Gefühl so lange nicht empfunden, dass er ihm im ersten Moment keinen Namen geben konnte, diesem aufgeregten Rumoren in seinem Bauch und dem schnellen Klopfen in seiner Brust.

Erst, als der Wind das Segel bauschte und das kleine Fischerboot Fahrt aufnahm, wusste Nalu, dass er Hoffnung spürte. Nach so vielen endlos erscheinenden Wochen ohne Labeku endlich wieder Hoffnung. Er wollte den Wind umarmen und in seinem sachten Streichen die Erinnerung an Labekus Berührungen auf seiner Haut spüren. Er vermisste seinen Liebsten so sehr. Aber wenn Malaua-Ka’le wirklich Wünsche erfüllen konnte, dann … dann konnte es ihm vielleicht sogar seinen Geliebten zurückgeben. Und einen Platz, an dem sie glücklich sein und den neu gewonnenen Reichtum würden genießen können. In Frieden.

Wer am Morgen gen Sonnenaufgang in das goldene Licht hinein segelt, der wird nach zwei Tagesreisen einen Felsen finden. Dieser ist so ganz anders als alle anderen der umliegenden Atolle. Wie ein Kegel ragt er aus den Fluten, sein Kopf so kahl wie der eines alten Mannes, sein Fuß gesäumt von Palmen und sattem Grün. Eine Höhle öffnet sich unter dem Kegel, nur zu finden, wenn der Mond sich rundet. Dort führt der Weg hinunter in die Tiefe, dort ruht Malaua-Ka’le und wartet auf seinen Finder, um ihm Glück zu bringen, ihm allein.

 

Nalu wollte der sein, dem der Schatz der Tiefe Glück brachte. Fest hielt er sein Boot am Wind, nach Osten, zum Sonnenaufgang. Er hatte nur eine Angel und einen Kescher mitgenommen, um unterwegs fischen zu können, nur für sich allein. Ohne die Schleppnetze und Fangleinen war Nalus Boot schnell. Wie ein Mioka schnitt der schmale Bug durch das gischtschäumende Meer. Wind zerrte an Nalus buntbemaltem Lederrock, seinem langen Haar, den Zöpfen an seinen Schläfen. Die eingeflochtenen Perlen und Muschelstückchen klirrten leise. Barfuß und breitbeinig stand Nalu im Boot und hielt den Segelbaum, spürte das glatte Holz unter Händen und Zehen. Er hatte keine Angst. Vor der See nicht, nicht vor den unbekannten Wassern, in die er segelte, und schon gar nicht davor, allein zu sein. Er war immer allein gewesen, selbst als seine Mutter noch gelebt hatte. Nie war ihm das so bewusst geworden wie jetzt, so weit weg von seiner Heimatinsel, die in der Ferne nur noch als winziger Schatten am Horizont schimmerte. Das Meer war Nalukomaos Freund.

Ein Schwarm Miokas huschte dicht unter der Wasseroberfläche am Boot vorbei. Einige Tiere sprangen übermütig in die Luft und klatschten seitlich oder mit dem langen Schwertmaul voran wieder ins Meer zurück.

Ein Grinsen kroch über Nalus Gesicht. »Ihr wisst, dass ich euch heute nicht jage, nicht wahr?« rief er den springenden Fischen zu. Sie einmal nicht mit den Augen des Jägers zu sehen, war Nalu fremd. Nicht darauf zu achten, wie groß und wie schwer ein Mioka wohl sein mochte.

Nalu sah ihre Schönheit, ihre unbändige Kraft, ihre Lebendigkeit, und ihm war, als sähe er sie zum ersten Mal.

---ENDE DER LESEPROBE---