Das Duell - Betsy Collins - E-Book

Das Duell E-Book

Betsy Collins

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Beschreibung

Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. »Grün?«, wiederholte Lady Mildred entgeistert. »In der Tat.« Die Duchess of Parbrooke nickte entschieden. »Helena wird bei der Hochzeit mit Ihrem Sohn ein grünes Brautkleid tragen.« »Nun …« Lady Mildred zögerte. Constance Parbrooke hatte sechs Jahre in einem abgelegenen schottischen Ort verbracht. Vermutlich war ihr Sinn für Schicklichkeit dadurch getrübt. »Darf ich daran erinnern, was der Volksmund sagt? ›Schämen soll sich die Braut, die in Grün zum Altar sich traut‹.« Die Duchess machte eine wegwerfende Handbewegung. »Grün passt fabelhaft zu Helenas tizianroten Haaren. Am Hochzeitstag soll sich eine Braut schließlich von ihrer besten Seite zeigen. Außerdem stehen wir doch über diesem törichten Aberglauben, nicht wahr?« Ein Klopfen enthob Lady Mildred der Notwendigkeit einer Antwort. Sie war heilfroh darüber. Natürlich stand sie selbst über jeglichem törichten Aberglauben. Aber ob das auch für die Gäste galt? Die Hochzeit des Marquess of Meadowby mit der ältesten Tochter der Duchess of Parbrooke sollte keinerlei Anlass für Kritik bieten.

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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der aufstrebende Fürst – 9 –Das Duell

Unveröffentlichter Roman

Betsy Collins

»Grün?«, wiederholte Lady Mildred entgeistert.

»In der Tat.« Die Duchess of Parbrooke nickte entschieden. »Helena wird bei der Hochzeit mit Ihrem Sohn ein grünes Brautkleid tragen.«

»Nun …« Lady Mildred zögerte. Constance Parbrooke hatte sechs Jahre in einem abgelegenen schottischen Ort verbracht. Vermutlich war ihr Sinn für Schicklichkeit dadurch getrübt. »Darf ich daran erinnern, was der Volksmund sagt? ›Schämen soll sich die Braut, die in Grün zum Altar sich traut‹.«

Die Duchess machte eine wegwerfende Handbewegung. »Grün passt fabelhaft zu Helenas tizianroten Haaren. Am Hochzeitstag soll sich eine Braut schließlich von ihrer besten Seite zeigen. Außerdem stehen wir doch über diesem törichten Aberglauben, nicht wahr?«

Ein Klopfen enthob Lady Mildred der Notwendigkeit einer Antwort. Sie war heilfroh darüber. Natürlich stand sie selbst über jeglichem törichten Aberglauben. Aber ob das auch für die Gäste galt? Die Hochzeit des Marquess of Meadowby mit der ältesten Tochter der Duchess of Parbrooke sollte keinerlei Anlass für Kritik bieten.

Der Butler von Axbury Manor trat ein. »Verzeihung, Euer Gnaden.« Er verbeugte sich tief und hielt der Duchess ein Silbertablett hin. Darauf lag eine weiße Karte, wie ein Besucher sie dem Personal gab, um sich bei der Herrschaft anzukündigen.

Lady Mildred kniff die Augen leicht zusammen. Diese Karte musste von einem Gentleman stammen, denn sie war klein und nur dezent bedruckt. Eine Dame hätte ein größeres Format und verspielte Motive gewählt. Ihre eigene Karte beispielsweise zierten Blumenranken und Täubchen. Ein geschmackvolleres Exemplar musste man in ganz England mit der Lupe suchen, fand sie.

Constance Parbrooke nahm die Karte vom Tablett und musterte sie. »Mein Neffe Archibald?«, stieß sie verdutzt hervor.

»Ich denke schon, Euer Gnaden. Der Gentleman sagte jedenfalls, er wolle seine Tante besuchen. Und – er hat Gepäck ausladen lassen. Recht viel Gepäck, Euer Gnaden.«

Gibbs versuchte, sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen. Der junge Mann, der eben aus der Kutsche gestiegen war, schien auf einen längeren Aufenthalt in Axbury Manor eingerichtet zu sein. Von einem solchen Gast wusste der Butler allerdings nichts. Warum nicht? Und welche Gästesuite sollten die Hausmädchen am besten herrichten?

»So? Ich lasse bitten.«

Neugierig blickte Lady Mildred vom Butler zur Duchess und wieder zurück. Hier handelte es sich offenbar nicht um einen der üblichen Nachmittagsbesuche. Und sie bekam alles aus erster Hand mit!

»Sehr wohl, Euer Gnaden.« Gibbs verbeugte sich und verließ den Grünen Salon.

Die Duchess war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, doch jetzt schlug ihr Herz deutlich schneller. Vier Neffen hatte sie. Allesamt Söhne von Lord Walter, dem jüngeren Bruder ihres verstorbenen Gatten.

Sie selbst hatte zwar drei Töchter, aber keinen Sohn zur Welt gebracht. Keinen Erben. Ein ständiger Streitpunkt in ihrer Ehe. Schließlich hatte Constance Parbrooke den Duke verlassen und war mit den Töchtern zu ihrer Mutter nach Schottland gezogen. Seit dem Selbstmord ihres Mannes im letzten Frühling trug Lord Walter gemäß Erbfolge den Titel des Duke of Parbrooke.

An dessen Söhne erinnerte sie sich nur vage. Ihr Ehemann hatte den Kontakt zu seinem Bruder nicht gepflegt. Zu groß war der Stachel in seinem Fleisch gewesen, weil Lord Walter vier Söhne sein Eigen nennen durfte. Die Duchess hatte ihre Neffen seit fast einem Jahrzehnt nicht gesehen. Welcher von ihnen war Lord Archibald? Sollte er der Älteste sein, gab es nämlich guten Grund für ihr Herzklopfen …

Nach dem Erbfall war Lord Walter in seinem geliebten Yorkshire geblieben, statt in Axbury Manor einzuziehen. Er hatte seiner Schwägerin angeboten, mit ihren Töchtern dort zu wohnen. Constance Parbrooke sollte dafür sorgen, dass das prächtige Anwesen in Schuss blieb. Womöglich schickte er nun seinen Sohn vor, weil er seine Meinung geändert hatte? Oder wollte Lord Archibald vielleicht selbst in Axbury Manor leben?

Mal nicht den Teufel an die Wand, mahnte sich die Duchess. Vielleicht war ihr Neffe ja nur auf der Durchreise und wollte ihr einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Immerhin gab es viele Menschen, die mehr Familiensinn besaßen als ihr verstorbener Gatte.

»Ich fürchte, wir müssen das Gespräch über die Hochzeit unserer Kinder auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, Marchioness.«

»Selbstverständlich, Euer Gnaden. Verwandtenbesuch, wie nett! Ich freue mich für Sie. Dann werde ich mich jetzt verabschieden. Ich trinke nur noch rasch meinen Tee aus.« Alles andere wäre unhöflich gewesen, fand Lady Mildred. Im Zeitlupentempo hob sie die Tasse zum Mund. Hoffentlich sputete sich Gibbs. Sie wollte unbedingt noch einen Blick auf den Besucher werfen.

Widerstrebend stellte sie die leere Tasse zurück auf den Tisch und stand auf, genau wie die Duchess.

»Danke, dass Sie vorbeigeschaut haben, Lady Mildred.«

»Es war mir ein Vergnügen. Einen angenehmen Tag wünsche ich Ihnen. Und natürlich eine schöne Zeit mit Ihrem Neffen. Familie ist so wichtig, nicht wahr? Ich persönlich bin ja der Meinung …«

Lady Mildreds Verzögerungstaktik ging auf: Gibbs führte einen Gentleman herein. Der war Mitte zwanzig, durchschnittlich groß, dunkelhaarig, besaß einen imposanten Backenbart – und einen leichten Silberblick.

Constance Parbrooke schluckte. Der Junge mit dem Silberblick. Das wusste sie noch. Kein Zweifel: Vor ihr stand Lord Walters Erstgeborener.

Strahlend ging sie auf ihn zu. »Herzlich willkommen, mein lieber Neffe! Wie schön, dich zu sehen.«

Er verbeugte sich. »Guten Tag, Tante Constance. Ich treffe dich hoffentlich bei bester Gesundheit an?«

»In der Tat, Archibald. Dasselbe trifft hoffentlich auch auf dich zu?«

»Ja, ich bin rundherum wohlauf und froh, hier zu sein.«

»Darf ich dir die Marchioness of Meadowby vorstellen? Ihr ältester Sohn wird im Frühjahr meine Helena heiraten. Lady Mildred, dies ist Lord Archibald. Mein Neffe aus Yorkshire.«

Wieder verbeugte er sich. »Sehr erfreut.«

Lady Mildred neigte den Kopf. »Ganz meinerseits.«

»Und meinen Glückwunsch zu der bevorstehenden Hochzeit. Ich wünsche dem künftigen Ehepaar alles Gute.«

»Wie gütig von Ihnen. Vielen Dank. Ich werde es meinem Sohn ausrichten, sobald ich ihn sehe. Gewiss wird er sich sehr darüber freuen, Lord Archibald. Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, Lady Mildred.«

Mit einem knappen Nicken bedeutete Gibbs einem im Korridor wartenden Hausdiener, die Marchioness hinauszubegleiten. Zwei Hausmädchen huschten vorüber, auf dem Weg in den ersten Stock, um eine Gästesuite herzurichten. Besser, man hatte etwas, das man nicht brauchte, als umgekehrt. Niemand würde Gibbs nachsagen, in Axbury Manor sei man auf Gäste nicht vorbereitet.

*

»Bitte nimm Platz, mein lieber Archibald.« Constance Parbrooke zeigte auf die beiden mit flaschengrünem Samt bezogenen Lehnstühle, zwischen denen ein niedriger rechteckiger Tisch stand. »Du trinkst doch einen Tee mit mir?«

Der Butler räumte Lady Mildreds Geschirr weg und stellte ein sauberes Gedeck auf den Tisch.

Ungläubig schaute Lord Archibald zu. Nach der langen Kutschfahrt hing ihm der Magen in den Kniekehlen. Er hatte sich auf den Nachmittagstee gefreut. Auf eine große Tischplatte, die sich förmlich bog unter Torten, Kuchen, süß und herzhaft belegten Sandwiches, Plätzchen und Blätterteiggebäck. Wie es in englischen Adelshäusern halt üblich war. Erst recht in einem Anwesen des Kalibers von Axbury Manor.

Doch außer den beiden Tassen stand lediglich ein armseliger Teller mit Ratafiaplätzchen da. Sollte das ein Scherz sein? Womöglich gar ein Affront gegen ihn? Nicht ausgeschlossen angesichts des Grundes für seinen Besuch.

Andererseits hatte die Duchess ihn so freundlich begrüßt. Viel freundlicher als erwartet. Unwahrscheinlich, dass sie ihn beleidigen wollte. Außerdem hätte sie damit an dem Ast gesägt, auf dem sie saß. Sie war auf sein Wohlwollen angewiesen, wenn sie nicht wieder bei ihrer Mutter in Schottland unterschlüpfen wollte.

Ihm fielen die Worte ein, mit denen sein Vater ihn verabschiedet hatte: »Die gute Constance ist exzentrisch. Sie wird dich bestimmt manches Mal überraschen. Nimm es wie ein Mann.«

»Sehr gern, Tante Constance«, versicherte Lord Archibald deshalb rasch und hoffte, sie möge sein Zögern nicht bemerkt haben. Er wartete, bis seine Tante saß, und nahm Platz. Sicher, die Ratafiaplätzchen sahen vorbildlich goldbraun aus und dufteten nach Mandeln. Trotzdem waren sie nur ein kläglicher Ersatz dessen, was seinen Bärenhunger besänftigt hätte.

»Bitte, greif zu«, sagte die Duchess herzlich, während Gibbs Tee einschenkte.

»Danke.« Lord Archibald nahm ein Ratafiaplätzchen und musste an sich halten, um es nicht zu verschlingen.

»Was für eine schöne Überraschung, lieber Neffe.«

»Überraschung?«, wiederholte er gedehnt.

»Aber ja. Ich weiß, wir haben viele Jahre nichts voneinander gehört. Das bedaure ich wirklich. Umso mehr schätze ich deinen Besuch. Nun erzähl bitte: Was führt dich nach Südengland?«

Gibbs zog sich diskret neben die Tür zurück.

»Äh … Entschuldige, Tante Constance, ich bin ein wenig verwundert. Mein Besuch wurde dir doch angekündigt?« Lord Archibald hörte selbst, dass er den letzten Satz wie eine Frage betonte, nicht wie eine Feststellung. Er konnte sich leider nicht hundertprozentig sicher sein. Während der Jagdsaison für Rotwild war sein Vater nicht immer die Zuverlässigkeit in Person.

Sie runzelte die Stirn. »Nein. Bis ich eben deine Karte bekam, wusste ich nicht, dass du mich besuchen wirst. Natürlich bin ich uneingeschränkt positiv überrascht.«

»Das verstehe ich nicht. Vater wollte dir einen Brief schreiben, um meinen Besuch anzukündigen.«

Die Duchess kehrte beide Handflächen nach oben. »Ein solcher Brief hat mich nie erreicht.« Sie blickte zum Butler. »Gibbs, ist es denkbar, dass eine Nachricht des Duke of Parbrooke verlegt wurde?«

»Ausgeschlossen, Euer Gnaden. Wer auch immer vom Personal Briefe entgegennimmt, zeigt sie zunächst mir. Dieses Verfahren hat sich seit Jahren bewährt. Nie wurde irgendein Brief verlegt. Eine Nachricht Seiner Gnaden hätte ich zu Gesicht bekommen. Und ich versichere Ihnen: Das ist nicht geschehen.«

Constance Parbrooke wandte sich wieder ihrem Neffen zu. »Du siehst mich ratlos, mein Lieber.« Sie stockte. »Dann bist du also gar nicht auf der Durchreise, wie ich zunächst annahm?«

Betreten schüttelte er den Kopf. »Nein. Jetzt kann ich auch die verdutzten Blicke deines Personals einordnen, als mein Kutscher das Gepäck auslud. Niemand hat mit mir gerechnet.«

»So ist es leider. Sonst hätte ich dir natürlich einen anderen Empfang bereitet. Gibbs, sorgen Sie dafür, dass die schönste Gästesuite für meinen Neffen hergerichtet wird. Und lassen Sie sein Gepäck nach oben bringen.«

»Ich war so frei, es bereits in die Wege zu leiten, Euer Gnaden.« Mit Genugtuung stellte der Butler fest, dass er sich für die richtige Suite entschieden hatte.

Seine Herrin nickte anerkennend. »Ausgezeichnet.«

»Ich bedaure, dass ich dir solche Umstände bereite, Tante Constance.«

»Dir braucht absolut nichts leidzutun, Archibald. Ich freue mich sehr über deinen Besuch. Wenn du mehr Zeit in Axbury Manor eingeplant hast, als ich zunächst dachte – umso besser! Auch meine Töchter werden froh darüber sein. Möglicherweise ist der Brief deines Vaters zwischen Yorkshire und hier verloren gegangen. Aber nun sitzt du mir ja gegenüber und kannst mich persönlich über den Grund deiner Reise informieren.«

Der junge Mann lächelte angespannt. Seine Tante hatte also keinen Schimmer, warum er hier war. Die Vorstellung, sie aufzuklären, gefiel ihm ganz und gar nicht. Sein Hals fühlte sich dicker an als üblich. Als würde er über den Hemdkragen quellen.

Er räusperte sich. Die Duchess blickte ihn so erwartungsvoll an … Er musste etwas sagen. Am besten platzte er nicht gleich mit der Tür ins Haus. »Du erwähntest vorhin die bevorstehende Hochzeit deiner Tochter Helena mit dem Sohn der Marchioness of Meadowby. Nun, auch ich werde heiraten.«

»Tatsächlich!« Constance Parbrooke klatschte in die Hände. »Was für eine wunderbare Nachricht! Meine herzlichsten Gratulationen, lieber Archibald. Ich wünsche dir und deiner Verlobten alles Glück der Welt.«

»Vielen Dank. Das ist sehr lieb von dir.«

»Darf ich fragen, wer deine Zukünftige ist?«

»Natürlich. Lady Ruth. Die Tochter des Viscount of Mordant.«

»Ruth. Ein wohlklingender Name. Sag, wie ist sie so?«

Lord Archibald wusste nicht, worauf seine Tante hinauswollte. Meinte sie Alter und Erscheinungsbild? Vermutlich. Das war ja auch seinem Vater wichtig. »Sie ist 21, also zwei Jahre jünger als ich«, begann er und wähnte sich auf der sicheren Seite. »Einen Kopf kleiner. Blonde Haare. Blaue Augen. Weiße, ebenmäßige Zähne.«

Mit Mühe verkniff sich die Duchess ein Schmunzeln. Lord Archibald schien hoffnungslos unromantisch zu sein. Ebenso gut hätte er ein Pferd beschreiben können, das er zu kaufen gedachte. »Klingt nach einem sehr angenehmen Äußeren. Und ihr Wesen?«

Mit dieser Frage erwischte sie ihren Neffen auf dem falschen Fuß. Wie sollte er das Wesen seiner Verlobten beschreiben? Lady Ruth war – nun, Lady Ruth halt. »Sie ist freundlich und zurückhaltend. Sehr tierlieb.«

»Aha. Durchweg lobenswerte Eigenschaften. Und woher wusstest du, dass sie die Richtige für dich ist?«

Er räusperte sich. Was für eine Frage! Sein Vater hatte ihm gesagt, dass Lady Ruth die richtige Gattin für ihn war. So lief es doch gemeinhin in Adelskreisen. »Wir kennen uns schon einige Jahre. Vater schätzt Lady Ruth. Ihr Vater ist ein guter Freund von ihm. Die beiden gehen oft zusammen auf die Jagd. Vater ist davon überzeugt, dass auch Mutter – Gott schenke ihrer Seele Frieden – sich Lady Ruth als Schwiegertochter gewünscht hätte. Außerdem teilen wir eine Vorliebe für Backgammon.«

»Wie schön. Gemeinsame Interessen sind enorm wichtig. Ich weiß, wovon ich rede.«

Hoffentlich fängt sie jetzt nicht von Onkel Horatio an, dachte Lord Archibald bange. Er konnte sich kaum an den verstorbenen Duke erinnern. Viel Schmeichelhaftes über ihn hatte er nicht gehört, um es vorsichtig auszudrücken. Auch die Duchess konnte garantiert nichts Gutes über ihn berichten. Schließlich hatte sie ihn verlassen und damit für einen gesellschaftlichen Skandal gesorgt.

»Dein verstorbener Onkel fand die Suche nach Gemeinsamkeiten leider überflüssig. Für ihn galten einzig und allein seine eigenen Vorlieben.«

Lord Archibald war es ein Rätsel, warum sich manche Leute über die Eigenheiten ihrer Mitmenschen Gedanken machten. Warum sie obendrein darüber sprachen. So etwas lag ihm überhaupt nicht. Deshalb fühlte er sich jetzt auch nicht nur wegen seines Kohldampfs entschieden unwohl. Hoffentlich hörte seine Tante bald auf, ihm Informationen über Onkel Horatio aufzudrängen, die er nicht hören wollte.

Gerade machte Constance Parbrooke wieder den Mund auf, da knurrte Lord Archibalds Magen. Sehr laut sogar. Rasch hüstelte der junge Mann. Um das hässliche Geräusch zu übertönen, hätte er allerdings einen ausgedehnten Hustenanfall vortäuschen müssen.

»Du meine Güte«, sagte die Duchess. »Vor lauter Freude über deinen Besuch habe ich ganz vergessen, was für eine lange Reise hinter dir liegt. Du bist gewiss hungrig. Gibbs, haben wir noch Mulligatawny-Suppe vom Lunch?«

»Ja, Euer Gnaden.«

»Gut. Bringen Sie Lord Archibald bitte eine schöne große Portion. Und Sandwiches.«

»Sehr wohl, Euer Gnaden.« Gibbs verbeugte sich, öffnete die Tür des Grünen Salons – und sah sich einem Hausdiener gegenüber, der mit erhobener linker Faust vor ihm stand. In der rechten Hand hielt er ein Silbertablett, auf dem ein Brief lag.

»Entschuldigung, Mr. Gibbs.« Paul ließ die Hand sinken. »Ich wollte gerade anklopfen. Eben ist ein Brief für Euer Gnaden abgegeben worden. «

»Danke.« Der Butler nahm ihm das Tablett ab. »Lassen Sie umgehend eine große Portion Mulligatawny-Suppe und eine Auswahl Sandwiches für Mylord bringen.«

»Natürlich.« Paul eilte den breiten Korridor entlang.

Gibbs schloss die Tür und musterte den Brief. Das Siegel des Duke of Parbrooke. War es möglich …

Er ging zu seiner Herrin und hielt ihr mit einer Verbeugung das Tablett hin. »Verzeihung, Euer Gnaden. Dieser Brief ist eben für Sie eingetroffen.«

Natürlich erkannte auch sie das Siegel sofort. »Nanu? Post von deinem Vater, Archibald. Sollte dies etwa die Nachricht sein, von der wir eingangs sprachen?«

»Das wäre allerdings ein großer Zufall.« Nachdenklich zupfte er an seinem Backenbart. War der Brief des Duke of Parbrooke doch in Axbury Manor verlegt worden? Hatte Gibbs vorhin beim Personal Alarm geschlagen, und nun war irgendein Diener oder Hausmädchen bei einer hektischen Suchaktion auf den Umschlag gestoßen?

Nein, das konnte nicht sein. Gibbs hatte den Salon ja gar nicht verlassen, seit er von dem fehlenden Brief erfahren hatte. Hör auf, so misstrauisch wie Vater zu sein, mahnte sich Lord Archibald.