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Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. "Verzeihung, Mylord. Soeben ist Post eingetroffen. Würdevoll schritt Wilson durch das Chinazimmer von Renwood Hall. Vor sich hielt er ein kleines Silbertablett, auf dem zwei Umschläge lagen. Er war sich der besonderen Bedeutung des Moments bewusst. Sein Herz klopfte ein wenig heftiger als sonst – was ein Butler, der diesen Namen verdiente, selbstverständlich nicht offenbarte. Wilson trat zu dem neuen dunkelbraunen Chesterfield-Sofa, auf dem sein Herr saß. Er persönlich fand ja, dass dieses Sofa nicht recht zu der kostbaren chinesischen Tapete mit Pagoden, Reihern und Kirschblütenzweigen passte. Vermutlich wollte Lord Vincent dem Herrenhaus mit diesem Möbelstück eine persönliche Note verleihen. Wie es jeder Marquess of Meadowby zu tun pflegte, nachdem er den Titel geerbt hatte. Der 23-jährige Lord Vincent legte die Times beiseite, nahm die Umschläge und betrachtete sie von beiden Seiten. Langsam legte er einen der Briefe zurück auf das Silbertablett. "Danke, Wilson. Bringen Sie Lady Mildred bitte den für sie bestimmten Brief. Das wäre dann alles. "Sehr wohl, Mylord. " Der Butler verbeugte sich. Er ging an den vier chinesischen Porzellanelefanten auf dem Kaminsims vorbei zum Sofa auf der gegenüberliegenden Zimmerseite. Lady Mildred blätterte gerade in der Zeitschrift Fraser's Magazine for Town and Country. Ihr schwarzes Witwenkleid bildete einen starken Kontrast zu dem roten Sofabezug aus Seidendamast.
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2023
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„Verzeihung, Mylord. Soeben ist Post eingetroffen.“
Würdevoll schritt Wilson durch das Chinazimmer von Renwood Hall. Vor sich hielt er ein kleines Silbertablett, auf dem zwei Umschläge lagen. Er war sich der besonderen Bedeutung des Moments bewusst. Sein Herz klopfte ein wenig heftiger als sonst – was ein Butler, der diesen Namen verdiente, selbstverständlich nicht offenbarte.
Wilson trat zu dem neuen dunkelbraunen Chesterfield-Sofa, auf dem sein Herr saß. Er persönlich fand ja, dass dieses Sofa nicht recht zu der kostbaren chinesischen Tapete mit Pagoden, Reihern und Kirschblütenzweigen passte. Vermutlich wollte Lord Vincent dem Herrenhaus mit diesem Möbelstück eine persönliche Note verleihen. Wie es jeder Marquess of Meadowby zu tun pflegte, nachdem er den Titel geerbt hatte.
Der 23-jährige Lord Vincent legte die Times beiseite, nahm die Umschläge und betrachtete sie von beiden Seiten. Langsam legte er einen der Briefe zurück auf das Silbertablett. „Danke, Wilson. Bringen Sie Lady Mildred bitte den für sie bestimmten Brief. Das wäre dann alles.“
„Sehr wohl, Mylord.“ Der Butler verbeugte sich. Er ging an den vier chinesischen Porzellanelefanten auf dem Kaminsims vorbei zum Sofa auf der gegenüberliegenden Zimmerseite.
Lady Mildred blätterte gerade in der Zeitschrift Fraser’s Magazine for Town and Country. Ihr schwarzes Witwenkleid bildete einen starken Kontrast zu dem roten Sofabezug aus Seidendamast.
Zu Lebzeiten ihres Ehemannes hatte es die Marchioness of Meadowby nie gestört, dass zunächst der Hausherr sämtliche Post an die Familie zu sehen bekam. Bei ihrem Sohn jedoch störte es sie enorm, seit er seinen jüngeren Bruder in die Verbannung geschickt hatte. Ihren Augapfel! Noch dazu hinter ihrem Rücken! Diesen Verrat würde sie niemals verzeihen.
Deshalb saß sie jetzt auch auf dem Rokoko-Sofa mit dem Rahmen aus vergoldetem Walnussholz. Möglichst weit weg von ihrem Erstgeborenen. Obwohl sein Chesterfield-Sofa bequemer war, wie sie widerwillig einräumte.
Lord Vincent hatte das Sofa noch vor dem Zerwürfnis mit seiner Mutter in Auftrag gegeben. Sie erinnerte sich an das Leuchten in seinen Augen, als er auf das Möbelstück zu sprechen gekommen war. Er hatte sogar gewusst, wer diese – wie hießen sie doch gleich – Bogenfedern patentiert hatte, die das Sofa besonders komfortabel machten. Ein gewisser Mr. Pratt aus London.
Lady Mildred empfand Genugtuung, weil sie sich an den Namen erinnerte. Die Witwe des vorherigen Marquess of Meadowby war auf der Höhe der Zeit.
In der Tat. Sie hatte sich persönlich vom Komfort des neuen Sofas überzeugt. Natürlich zu einem Zeitpunkt, als Lord Vincent nicht zu Hause gewesen war. Den Triumph, sie auf seiner Neuerwerbung sitzen zu sehen, gönnte sie ihm nicht.
Warum musste er sich überhaupt ein derart kostspieliges Sofa kaufen? Als gäbe es in Renwood Hall nicht Möbelstücke im Überfluss! Auch wunderschöne Sofas. Musterbeispiele der Handwerkskunst – wenngleich nicht aus diesem Jahrhundert. Aus dem Grund waren sie möglicherweise auch nicht ganz so bequem.
Mit einem huldvollen Nicken nahm sie den Brief vom Tablett, das Wilson ihr hinhielt. Wahrscheinlich noch eine langweilige Einladung zu noch einem langweiligen Tee in der Nachbarschaft …
Ihre Augen weiteten sich, als sie den Absender las. „Von Percy!“, stieß sie entzückt hervor.
Wilson wünschte inständig, Lady Mildred würde sich nicht so gehen lassen. Eine Marchioness juchzte nicht. Es passte einfach nicht zu ihrer Stellung, dermaßen enthusiastisch zu sein. Normalerweise benahm sich seine Herrin ja auch tadellos. Nur wenn es um Lord Percival ging …
Ihm selbst hingegen war es gelungen, keine Miene zu verziehen, als er den Absender gelesen hatte. Obwohl er wie jeder in Renwood Hall wusste, dass dies keine x-beliebige Post war.
Natürlich stand es ihm nicht zu, die Familie zu kritisieren, der er dienen durfte. Unabhängig davon war Lord Percival, nun ja, sehr auf sein Vergnügen bedacht. Seine Vorliebe für Pferderennen und Kartenspiele mit Wetteinsätzen war bekannt – auch wenn Wilson selbstverständlich keinerlei Unterhaltungen des Personals über dieses Thema duldete.
Lord Vincent hatte gut daran getan, seinen Bruder nach Irland zu schicken, fand der Butler. Als langjähriger ranghöchster Angestellter dieses Hauses durfte er sich ja wohl ein persönliches Urteil erlauben, ohne anmaßend zu sein? Vielleicht besann sich Lord Percival ja im Ausland darauf, was für ein Benehmen er seiner traditionsreichen aristokratischen Familie schuldete. Diskret zog Wilson die Tür des Chinazimmers hinter sich ins Schloss. Es klickte leise.
Mit einem liebevollen Lächeln strich Lady Mildred über die Handschrift auf dem Umschlag. So lange sehnte sie sich schon nach einem Brief von ihrem jüngsten Sohn. Und nun hielt sie ihn endlich in den Händen! Einen Moment lang wollte sie ihn noch betrachten, um die Vorfreude auf das Lesen von Percys Zeilen ganz auszukosten.
Sie konnte nachvollziehen, warum er sich bisher nicht gemeldet hatte. Schließlich hatte Lord Vincent ihm heimlich einen Posten als Fecht- und Reitlehrer in einem irischen Internat besorgt. Ihn zu allem Überfluss ebenso heimlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf ein Schiff verfrachtet, das ihn von England nach Irland brachte.
Gewiss war der arme Percy wie vor den Kopf geschlagen gewesen. Völlig verunsichert. Womöglich hatte er angenommen, Lord Vincents Intrige sei mit Lady Mildred abgesprochen? Treffe vielleicht sogar auf deren Zustimmung? Nun, das hatte sie in einem langen Brief klargestellt.
Da sie ihren Ältesten schnitt, hatte sie sich die Adresse des Internats von Lady Florence, ihrer Tochter, besorgt. Die war genauso überrascht von den Ereignissen gewesen wie sie selbst.
Lady Mildred verübelte es ihr, dass sie Lord Vincents Partei ergriff. Sogar behauptete, vielleicht tue Percy der Abstand gut! Lady Florence war schon immer ein wenig eigenartig gewesen. Am liebsten hätte die Marchioness deshalb auch ihre Tochter geschnitten, doch sie wollte sich nicht völlig von der Familie isolieren. Schließlich gab es nur sie und ihre drei Kinder.
Percy war für sie momentan leider unerreichbar. Lord Vincent verdiente für seine Arglist jede Missachtung, zu der seine Mutter fähig war. Und Lady Florence … Nun, Lady Mildred wollte nicht unbarmherzig sein. Sie hielt ihrer Tochter zugute, dass die mit ihren neunzehn Jahren einfach noch zu leichtgläubig war, um den Marquess zu durchschauen. Außerdem brauchte sie eine Vermittlerin, da sie selbst das Wort nicht an Lord Vincent richten wollte.
Ganz vorsichtig öffnete sie jetzt den Briefumschlag, um das Papier bloß nicht zu beschädigen. Kein kostbarer Buchstabe, den Percy ihr geschrieben hatte, sollte unleserlich werden. Erwartungsvoll faltete sie das Blatt auseinander und las:
Liebe Mama,
vielen Dank für deine Zeilen. Nein, ich habe nie vermutet, dass du vorab über meine Reise nach Irland informiert gewesen sein könntest.
Verzeih, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich musste das Ganze zunächst einmal verdauen und überlegen, wie es weitergehen soll.
In deinem Brief schreibst du, dass du alles Menschenmögliche versuchst, damit Vincent mir die Rückkehr nach Renwood Hall gestattet. Bitte versuche nicht länger, ihn zum Umdenken zu bewegen, liebe Mama. Natürlich vermisse ich dich auch. Gleichzeitig gefällt mir die Arbeit als Lehrer.
Einige meiner Schüler verzeichnen im Fechten und Reiten bereits deutliche Fortschritte. Dank mir, wenn ich das so unbescheiden ausdrücken darf. Gewiss freut es dich auch, zu erfahren, dass meine Kollegen und der Direktor mich schätzen. Aus diesen Gründen habe ich beschlossen, vorläufig in Tipperary zu bleiben.
Ich hoffe, du bist wohlauf. Genieße den Herbst! Keine Sorge, das Wetter hier ist nicht so schlecht, wie du befürchtest. Nein, mein Zimmer ist weder zugig noch kalt. Mir geht es rundherum gut. Deshalb grüßt dich ebenso frohgemut wie herzlich dein Sohn
Percival
Lady Mildreds Lächeln fiel in sich zusammen. Ratlos zog sie die Brauen hoch. Frohgemut? Was meinte Percy damit, er wolle ‚vorläufig‘ in Irland bleiben? Und warum unterschrieb er mit seinem vollen Namen? Das hatte er noch nie getan!
Vorsichtshalber überflog sie den Brief noch einmal. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Percy wollte gar nicht nach Hause kommen! Nicht zu ihr! Entgeistert ließ sie das Blatt sinken und starrte vor sich hin.
„Du bist ja ganz blass, Mutter“, sagte Lord Vincent. „Möchtest du ein Glas Wasser?“
Sie bedachte ihren Ältesten mit einem giftigen Blick. Die Ehre einer Antwort würde sie ihm nicht erweisen.
„Percival geht es gut, schreibt er mir. Du brauchst dir also keine Sorgen –“
„Er hat dir geschrieben?“, fuhr die Marchioness ihn an. Vergessen war der Vorsatz, nicht mit ihrem intriganten Sohn zu reden.
„Ja. Der Brief, den Wilson eben für mich brachte, ist ebenfalls von Percival.“ Lord Vincent senkte den Blick wieder auf das Blatt in seinen Händen, drehte es um und las weiter.
Lady Mildred traute ihren Augen kaum. Ihr, seiner Mutter, hatte Percy nur ein paar Absätze geschrieben. Nicht mal eine ganze Seite war mit seiner Handschrift bedeckt. Und dem Marquess, der ihn in die Verbannung geschickt hatte … Dem schrieb er mehr?
Sie rückte auf die vordere Kante des Rokoko-Sofas. Mit sehr geradem Rücken saß sie da, jeder Zoll die Marchioness of Meadowby, Mitglied einer der ältesten und ruhmreichsten Familien Südenglands. „Hast du deinen Bruder bestochen?“, fragte sie eisig.
„Bestochen?“ Der junge Fürst schaute seine Mutter verständnislos an.
„Warum sonst sollte Percy mir schreiben, dass er in Irland bleiben will? Hast du ihm Geld gegeben, damit du dich hier nicht mit einem unliebsamen Konkurrenten auseinandersetzen musst?“
Er runzelte die Stirn. „Offenkundig traust du mir so ziemlich alles Schlechte zu.“
„Das ‚so ziemlich‘ kannst du getrost streichen“, erwiderte Lady Mildred von oben herab. „Schließlich hast du mir bewiesen, wozu du fähig bist.“
„Erstens darf ich dich daran erinnern, dass du Percival immer wieder Geld zugesteckt hast, damit er seiner Wettleidenschaft frönen konnte. Ohne deine ständige Nachsicht wären unserer Familie gravierende Geldprobleme erspart geblieben. Probleme, die ich zum Glück aus der Welt schaffen konnte. Und zweitens ist Percival nicht mein Konkurrent. Im Gegenteil, ich hätte ihn gern in die Leitung von Renwood Hall eingebunden. Du warst oft genug Zeugin, als ich es ihm angeboten habe. Leider wollte er nicht.“
„Mit gutem Grund. Mutmaßlich wusste er, dass er als jüngerer Sohn gegen dich immer den Kürzeren ziehen würde. Warum sollte er einen Kampf gegen Windmühlen führen?“
Wieder einmal stellte Lord Vincent fest, dass seine Mutter in Bezug auf Percival nicht einsichtig sein konnte. Oder wollte. Er fragte sich, warum er noch immer hoffte, sie werde umdenken. Erkennen, dass Percival in Irland die Chance hatte, neu anzufangen. Mit seiner Wettleidenschaft – der Marquess fürchtete, dass es sich eher um Spielsucht handelte – zu brechen.
„Umso mehr sollte es dich freuen, Mutter, dass er in Irland eine erfüllende Aufgabe gefunden hat. Er fühlt sich in Tipperary wohl und arbeitet gern als Lehrer. Hier steht es schwarz auf weiß.“ Der junge Fürst deutete mit dem rechten Zeigefinger auf das Blatt in seiner linken Hand. „Oder hat er dir etwas Anderslautendes geschrieben?“
„Willst du Percys Zeilen an mich lesen?“, fragte Lady Mildred herausfordernd. „Als Marquess of Meadowby bist du ja dazu berechtigt, wie ich sehr wohl weiß. Nur zu. Befiehl mir, dir den Brief zu zeigen, und ich werde es tun.“
Lord Vincent fuhr sich mit einem resignierten Seufzer durch die kurzen dunklen Haare. „Es wäre mir lieber, wenn du mich in erster Linie als Sohn sehen könntest denn als Marquess, Mutter.“
„Das ist mir leider unmöglich, seit du Percy verbannt hast“, erwiderte sie mit Märtyrermiene. „Bis ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen kann, dass er wohlauf ist“, ergänzte sie rasch. Es brachte ihr keinen Vorteil, das Tischtuch komplett zu zerschneiden. Als Marquess saß Lord Vincent am längeren Hebel.
„Möchtest du ihn vielleicht besuchen? Ich würde selbstverständlich dafür sorgen, dass du und deine Zofe mit bestmöglichem Komfort reist.“
Lady Mildred zog das Angebot keine einzige Sekunde in Erwägung. Sie in Irland – nein, wahrlich nicht! Wie man hörte, lebten die Menschen dort selbst im Jahr 1838 quasi noch im Mittelalter.
„Ich glaube kaum, dass sich eine solche Reise ohne männliche Begleitung schickt“, antwortete sie, als wäre der Vorschlag völlig indiskutabel. „Überdies macht das Internat gewiss bald Ferien. Mir ist zwar nicht bekannt, wann genau in Irland Schulferien sind, aber spätestens dann wird Percy ja herkommen. Du erlaubst es ihm doch?“ Nicht auszudenken, wenn Lord Vincent verlangte, dass Percy erst ein Vierteljahr – oder gar länger – in Irland ausharren musste, bevor er nach Hause kommen durfte!
Der Marquess ließ einen Moment verstreichen. Dann fragte er vorsichtig: „Hat Percival dir denn geschrieben, dass er in den Schulferien nach Renwood Hall kommen möchte?“
„Nein“, antwortete Lady Mildred ungeduldig. „Das ist doch auch gar nicht nötig. Es versteht sich ja wohl von selbst, dass es ihn zu mir – zu seiner Familie – zieht, sobald sich die Gelegenheit bietet.“
Lord Vincent erwiderte nichts.
Sein Schweigen irritierte die Marchioness. „Außerdem hat Percy nicht geschrieben, dass er nicht herkommt“, fuhr sie fort. „Also. Der Fall ist ja wohl klar, sollte man meinen.“
„In seinem Brief an mich steht, dass er die Ferien im Landhaus des Internatsdirektors verbringen wird. Zusammen mit ein paar anderen Lehrern. Es ist offenbar eine Art Tradition. Percival hat viel Gutes darüber gehört und freut sich schon.“
„Was?“, rief Lady Mildred fassungslos.
„Lies selbst, wenn du möchtest“, bot der Marquess an und stand auf, um ihr den Brief zu bringen.
„Nein!“ Abwehrend hob sie die rechte Hand. Hastig las sie zum dritten Mal Percys Zeilen. Diesmal starrten ihr die drei Worte ins Gesicht: Genieße den Herbst!
Das also meinte er damit. Sie würden einander im Herbst nicht sehen …
Ihr hatte er es nicht geschrieben. Seinem Bruder schon. Nach allem, was die Marchioness seit seinem ersten Lebenstag auf dieser Welt für ihn getan hatte! Trotz der abgrundtief schäbigen Art und Weise, wie Lord Vincent mit ihm umgesprungen war!
„Bemühe dich nicht“, sagte sie. Dass ihre Stimme vor Wut bebte, fachte ihren Unmut nur noch an. „Bleib ruhig sitzen auf deinem Chesterfield-Sofa mit seinen ach so fortschrittlichen Bogenfedern.“
„Es sind Spiralfedern, Mutter“, erklärte Lord Vincent sachlich.
„Wie auch immer!“ Abrupt stand sie auf. „Du kannst wirklich stolz auf dich sein, Marquess. Endlich hast du einen Keil zwischen Percy und mich getrieben. Meinen Glückwunsch.“
Mit dem Brief in der rechten Hand rauschte sie aus dem Chinazimmer. Natürlich rang sie den Impuls nieder, die Tür zuzuschlagen. Eine solche Blöße hätte sich die Marchioness of Meadowby niemals gegeben. Allerdings zog sie die Tür unsanfter zu als streng genommen nötig.
Der junge Fürst setzte sich wieder. Er ließ den Kopf in den Nacken sinken. Percival stiftet sogar aus der Ferne Unfrieden, dachte er grimmig. Sein Bruder hatte ihm wohlweislich den Schwarzen Peter zugeschanzt, Lady Mildred über die Ferienpläne aufzuklären. Mit dem Ergebnis, dass sie auf Lord Vincent böse war statt auf Percival.
Genugtuung empfand der Marquess of Meadowby keine. Er wünschte, die Natur hätte ihn mit einer dickeren Haut ausgestattet. Das schlechte Verhältnis zwischen seiner Mutter und ihm war ihm beileibe nicht gleichgültig. Als Familienoberhaupt war es allerdings seine Pflicht gewesen, zu handeln. Er hatte einfach nicht mehr mit ansehen können, wie Percival ziellos in den Tag hineinlebte, sich die Zukunft verbaute und obendrein den Ruf der Familie schädigte.
Auch vor dem Eklat wegen Percival hatte Lady Mildred weder ihrem Ältesten noch ihrer Jüngsten nennenswerte Zuneigung entgegengebracht. Einzig Percival kam in den Genuss ihrer Mutterliebe. Damit hatte Lord Vincent sich schon lange abgefunden.
Nicht Eifersucht trieb ihn, sondern das Gefühl, für die Familie verantwortlich zu sein. Dafür sorgen zu müssen, dass sein 21-jähriger Bruder keinen Schiffbruch erlitt, sondern etwas aus seinem Leben machte.
Er spürte sogar einen Anflug von Mitleid mit der Marchioness. Ja, ihre Überfürsorglichkeit für Percival tat dem nicht gut. Unabhängig davon war seine Entscheidung, den Sommer in Irland zu verbringen, für Lady Mildred gewiss schmerzhaft.
Lord Vincent fragte sich, ob er vor diesem Hintergrund lieber auf die Spitze mit den Spiralfedern hätte verzichten sollen. Er hob den Kopf wieder und schaute aus dem langen Fenster in den grünen Park. Nein. Wohin zu viel Nachsicht führte, sah er ja an Percival.
