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Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. »Was hast du getan?« Fassungslos starrte die Marchioness of Meadowby ihren ältesten Sohn an. »Ich habe meiner zukünftigen Schwiegermutter angeboten, mit ihren Töchtern in Renwood Hall zu wohnen«, wiederholte Lord Vincent. »Für den Fall, dass Lord Archibald in Axbury Manor einziehen möchte.« Er saß in jenem Raum, den seine Mutter kürzlich zu ihrem Arbeitszimmer erkoren hatte. Besonders wohlfühlte er sich nicht auf dem zierlichen Rokokosessel mit roséfarbenem Samtbezug. Allerdings gab es hier keine andere Sitzgelegenheit für Besucher. Und zwar aus gutem Grund: Dieses Zimmer war Lady Mildreds Refugium. Das Personal von Renwood Hall hatte Anweisung, sie nur im Notfall zu stören. Hier wollte sie allein sein. Wie angenehm, aus dem langen Fenster auf den See im Landschaftspark zu schauen! Sie bedauerte nur, dass sie nicht schon früher auf die Idee gekommen war, sich ein Arbeitszimmer einzurichten. So viele Räume dieses Herrenhaus auch besaß – wirklich allein war die Marchioness selten. Da gab es die Zofe, die ihr morgens eine Tasse Tee ans Bett brachte. Hausmädchen, die ausgerechnet dort zum Staubwischen anrückten, wo ihre Herrin gerade ein paar Minuten Ruhe genießen wollte. Wilson, den allgegenwärtigen Butler. Natürlich war es seine Aufgabe, ständig ansprechbar zu sein. Doch manchmal fand Lady Mildred sein Pflichtbewusstsein beinahe lästig. Umso mehr genoss sie ihre Auszeiten in diesem Zimmer.
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Seitenzahl: 127
Veröffentlichungsjahr: 2023
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»Was hast du getan?« Fassungslos starrte die Marchioness of Meadowby ihren ältesten Sohn an.
»Ich habe meiner zukünftigen Schwiegermutter angeboten, mit ihren Töchtern in Renwood Hall zu wohnen«, wiederholte Lord Vincent. »Für den Fall, dass Lord Archibald in Axbury Manor einziehen möchte.«
Er saß in jenem Raum, den seine Mutter kürzlich zu ihrem Arbeitszimmer erkoren hatte. Besonders wohlfühlte er sich nicht auf dem zierlichen Rokokosessel mit roséfarbenem Samtbezug. Allerdings gab es hier keine andere Sitzgelegenheit für Besucher.
Und zwar aus gutem Grund: Dieses Zimmer war Lady Mildreds Refugium. Das Personal von Renwood Hall hatte Anweisung, sie nur im Notfall zu stören. Hier wollte sie allein sein.
Wie angenehm, aus dem langen Fenster auf den See im Landschaftspark zu schauen! Sie bedauerte nur, dass sie nicht schon früher auf die Idee gekommen war, sich ein Arbeitszimmer einzurichten. So viele Räume dieses Herrenhaus auch besaß – wirklich allein war die Marchioness selten.
Da gab es die Zofe, die ihr morgens eine Tasse Tee ans Bett brachte. Hausmädchen, die ausgerechnet dort zum Staubwischen anrückten, wo ihre Herrin gerade ein paar Minuten Ruhe genießen wollte. Wilson, den allgegenwärtigen Butler. Natürlich war es seine Aufgabe, ständig ansprechbar zu sein. Doch manchmal fand Lady Mildred sein Pflichtbewusstsein beinahe lästig.
Umso mehr genoss sie ihre Auszeiten in diesem Zimmer. Und weil sie hier für sich sein wollte, gab es auch nur ihren Schreibtischstuhl und am Fenster den Rokokosessel mit dem geschwungenen Rahmen aus vergoldetem Lindenholz. Ein Meisterwerk der Schreinerkunst. Lady Mildred ging jedes Mal das Herz auf, wenn sie die stilisierten Blätter auf dem verspielten Rahmen betrachtete und die gebogenen Stuhlbeine mit den Füßen, die wie Krallen aussahen.
Der Bezug passte genau zur roséfarbenen Seidentapete. Überdies war der Sessel ideal, wenn Lady Mildred sich nach getaner Arbeit kurz ausruhen wollte. Das Samtpolster nicht nur auf der Sitzfläche, sondern auch auf Rücken- und Armlehnen fühlte sich traumhaft weich an.
Doch auf ihrem geliebten Sessel saß jetzt nicht sie, sondern Lord Vincent. Der Mann, dem sie grollte, weil er ihren Lieblingssohn nach Irland verbannt hatte. Sie gönnte ihm den prächtigen Sessel nicht. Wieder einmal haderte sie mit der Tatsache, dass alles unter diesem Dach ihm gehörte. Dem Marquess of Meadowby.
Wütend funkelte sie ihren Erstgeborenen an. »Das kann unmöglich dein Ernst sein!«
Der junge Fürst stockte kurz, so entsetzt klang seine Mutter. »Doch. Ich finde die Lösung naheliegend. Nach dem Tod ihres Gatten hat die Duchess kein Wohnrecht mehr in Axbury Manor. Ihre älteste Tochter wird im Juni meine Ehefrau. Helena fände es bestimmt angenehm, wenn auch ihre Mutter und Schwestern hier wohnen würden. Groß genug ist Renwood Hall ja.«
»Kein Haus dieser Welt ist groß genug, um die Duchess of Parbrooke und mich gleichzeitig zu beherbergen!«, protestierte Lady Mildred.
»Bei den Hochzeitsvorbereitungen kommt ihr doch auch blendend miteinander aus«, meinte Lord Vincent erstaunt.
»Blendend? Ha! Eine friedliche Koexistenz ist es! Lediglich dem Umstand geschuldet, dass mein Sohn ihre Tochter heiraten wird. Würde ich mir nicht ständig auf die Zunge beißen, gäbe es Zeter und Mordio. Du hast ja keine Ahnung, was ich alles erdulde, nur damit deine Hochzeit glatt über die Bühne geht!«
»So schlimm?«
»Ja!«, brach es aus der Marchioness heraus. »Eine Engelsgeduld lege ich an den Tag, um den Frieden zu wahren. Aber davon bekommst du ja nichts mit. Dir gegenüber ist sie die Liebenswürdigkeit in Person. Aber wenn sie mit mir allein ist, will sie mich partout aus dem Konzept bringen. Constance Parbrooke mit ihren politischen Bemerkungen aus heiterem Himmel, ihrem Faible für alles Moderne, ihren roten Haaren …« Lady Mildred musste innehalten, um Luft zu holen.
Lord Vincent fragte sich, was die tizianroten Haare der Duchess zur Sache taten. Seine Mutter wirkte so aufgewühlt, dass er lieber nicht nachhakte.
»Ich wusste nicht, dass du eine solche Abneigung gegen sie hegst«, sagte er nur. Vor dem Tod seines Vaters hatte seine Mutter nie eine solche Vehemenz an den Tag gelegt. Ob sie glaubte, als Witwe um ihre Position im Haushalt kämpfen zu müssen? Erst recht jetzt, da sie das Zepter der Herrin von Renwood Hall bald an Lady Helena weiterreichen würde?
»Immer will sie alles bestimmen«, zischte Lady Mildred. »Was, wenn sie gegen meine Themenzimmer ist? Unzählige Stunden habe ich in das Projekt investiert! Ich weiß genau, welche Räume nur Jagdszenen, Stillleben oder Ahnenporträts enthalten sollen. Wenn Ihre Gnaden das nun nicht modern genug findet? War dann meine Arbeit für die Katz, weil dir der Standpunkt deiner Schwiegermutter wichtiger ist als meiner? Wirst du Constance Parbrooke freie Hand lassen?«
»Mutter, bitte«, sagte der Marquess beschwichtigend. »An deinen Themenzimmern wird nicht gerüttelt. Das habe ich dir versprochen. Auch Helena gefällt deine Idee. Ihre Mutter würde doch nicht als Hausherrin hier einziehen, sondern als Gast. Und ich hoffte, du würdest sie großzügig aufnehmen, sollte sie Axbury Manor wirklich verlassen müssen.«
»Warum zieht sie denn nicht wieder zu ihrer Mutter nach Schottland? Das war ihr gut genug, als sie vor sechs Jahren den Duke verlassen hat. Und überhaupt – die Duchess und ihre beiden jüngeren Töchter? Lady Josephine ist ja vermutlich bald unter der Haube, aber Lady Mathilda mit ihrem glasigen Blick … Ich muss mich schon sehr wundern, was du mir zumutest, Vincent. Reicht es dir etwa nicht an Veränderung, wenn Lady Helena mit ihrer Zofe hier einzieht?«
»Denk bitte auch an deine Schwiegertochter in spe, Mutter. Für Helena wird es eine große Herausforderung sein, deine Nachfolge als Marchioness of Meadowby anzutreten.«
Lady Mildred nickte gnädig. Sie hinterließ in der Tat große Fußstapfen. Jede Schwiegertochter hätte es schwer, wenn sie mit ihr verglichen wurde. »Ich deute deine Worte als Anerkennung meiner Leistungen für diese Familie. Danke. In der Tat wird es der lieben Lady Helena nicht ganz leichtfallen, der Rolle gerecht zu werden, die ich so viele Jahre bekleidet habe. Zumal die Duchess sie mutmaßlich kaum auf diese wichtige Position vorbereitet hat.«
Lord Vincent ignorierte die Stichelei gegen seine zukünftige Schwiegermutter. »In dieser Phase des Umbruchs wüsste Helena es bestimmt zu schätzen, ihre Mutter und Schwestern in der Nähe zu haben.«
»Gute Güte.« Missbilligend presste Lady Mildred die Lippen zusammen. »Um so etwas hat sich niemand geschert, als ich nach der Hochzeit mit deinem Vater – Gott schenke seiner Seele Frieden – hier eingezogen bin. Und meine Familie wohnte auch nicht gerade um die Ecke.«
»Dorset ist erheblich näher als Schottland«, gab der Marquess zu bedenken.
Seine Mutter wedelte den Einwand mit einer Hand beiseite. »Wie dem auch sei. Ich hatte mich darauf vorbereitet, Lady Helena mit ihren Pflichten vertraut zu machen, die Renwood Hall betreffen. Sollte Constance Parbrooke hier einziehen, wird sie alles an sich reißen. Aber wenn es dir egal ist, dass hier bald Zustände wie in Axbury Manor herrschen – bitte sehr.«
Lord Vincent unterdrückte einen Seufzer. »Helena soll ja von dir lernen, Mutter. Niemand anders könnte sie auch nur annähernd so gut in unsere Gepflogenheiten einweihen wie du. Und du darfst ganz sicher sein, dass ich es der Duchess genauso vermitteln werde.«
»Hm.« Lady Mildred inspizierte ihre Fingernägel. Als Marquess saß ihr Ältester am längeren Hebel. Sie musste sich mit seiner Entscheidung abfinden. Sein Kompliment machte ihr das Einlenken ein wenig leichter.
»Nun gut«, erwiderte sie würdevoll. »Begeistert bin ich nicht, aber ich will deinen Plänen nicht im Wege stehen. Renwood Hall ist schließlich berühmt für seine Gastfreundschaft. Ohne Ansehen der Person.«
»Freut mich, das zu hören, Mutter.« Erleichtert stand der junge Fürst auf. »Jetzt halte ich dich nicht länger von deiner Arbeit ab. Guten Tag.«
»Guten Tag.«
*
Als Lord Vincent die Tür hinter sich ins Schloss zog, glättete sich Lady Mildreds Stirn allmählich. Sie zog eine Schublade ihres wuchtigen Schreibtisches auf und holte eine kleine Sherrykaraffe nebst Gläschen aus geschliffenem Kristall heraus. Streng genommen war es noch zu früh für einen Drink, doch ungewöhnliche Umstände erforderten bekanntlich ungewöhnliche Maßnahmen.
Die Marchioness schenkte sich eine großzügige Portion Sherry ein und nippte. Lord Vincents Abschiedsworte versöhnten sie halbwegs mit der Situation. Er wollte sie nicht von ihrer Arbeit abhalten. Also respektierte er ihre Tätigkeit. Ausgezeichnet.
Zunächst hatte sie Befürchtungen gehabt, er und ihre Tochter könnten das Projekt nicht ernstnehmen. Immerhin beschäftigten sich Lord Vincent und Lady Florence mit Ackerbau und Viehzucht. Darum, auf den Feldern eine größere Ernte einzufahren und Tiere zu züchten, die – ja, was eigentlich? Größer und deshalb fleischiger waren? Oder schmackhafteres Fleisch boten? Sie wusste es nicht genau.
Jedenfalls waren die Bemühungen der Geschwister messbar. So und so viele Büschel Gerste mehr, so und so viel Pfund Fleisch mehr. Der Erfolg von Lady Mildreds Projekt hingegen ließ sich nicht beziffern. »Er ist eben schöngeistiger Natur«, murmelte sie mit Genugtuung vor sich hin.
Seit Wochen nahm sie die Räume von Renwood Hall unter die Lupe und machte eine Inventur der Gemälde. Wie viele Stillleben gab es? Jagdszenen? Porträts? Gemälde mit religiösen Motiven? Landschaftsbilder? Gewissenhaft trug sie alle Fundstücke in eine Liste ein, mit dem Ziel, Themenzimmer einzurichten.
Sie hatte das Bedürfnis, Struktur in etwas zu bringen, das sie nicht Chaos nennen wollte. Obwohl der Zustand diesem Wort offen gestanden ziemlich nahekam.
Renwood Hall war ein prachtvolles jakobinisches Herrenhaus aus roten Ziegeln mit steilen Giebeln, die weithin sichtbar in die Höhe ragten. In seinem Inneren gab es kostbare antike Möbel, edle Teppiche und wertvolle Gemälde. Nur … Irgendwie war alles so durcheinander, fand Lady Mildred.
Ein Barocksofa stand neben einem Hepplewhite-Tisch. Eine Zeichnung von Rembrandt hing neben dem nicht sonderlich guten Ahnenporträt eines unbekannten Malers. Die Unordnung machte sie regelrecht nervös.
Eine Inventur ist der erste Schritt, dachte sie zufrieden und schaute aus dem Fenster in den Landschaftspark. Renwood Hall würde kein Sammelsurium an Kunstschätzen beherbergen, sondern durch Systematik bestechen. Ordnung, die Besuchern positiv auffiel, zur Entspannung anregte und vom kunstsinnigen Geschmack Lady Mildreds zeugte.
Wie sie die Damen bemitleidete, die sich nicht beizeiten eine Beschäftigung gesucht hatten und aus Langeweile ständig ihre Schwiegertöchter kritisierten … Am eigenen Leibe hatte sie es erlebt. Ihre Schwiegermutter war völlig überfordert gewesen, als die junge Braut Lady Mildred das Regiment in Renwood Hall übernommen hatte. Und ihr verstorbener Gatte war leider allzu nachsichtig mit seiner Mama gewesen.
So würde es diesmal auf keinen Fall laufen. Wenn Lady Helena als neue Marchioness of Meadowby Einzug hielt, würde Lady Mildred eine Aufgabe haben.
Ja, sie freute sich sogar darauf, dass die Schwiegertochter ihr banale, aber notwendige Alltagsentscheidungen wie Speisenfolgen und Gästelisten abnahm. Dann konnte sich Lady Mildred mit erhabenen Themen wie Kunstgeschichte und Architektur beschäftigen. Sie würde sich einen Namen machen als Graue Eminenz von Renwood Hall – und Constance Parbrooke durfte ihre Pläne nicht durchkreuzen!
Nach dem dritten Schlückchen Sherry hatte sie sich halbwegs beruhigt. Vielleicht kam es ja gar nicht so schlimm wie befürchtet?
Da der Duke of Parbrooke keinen Sohn gezeugt hatte, waren Titel und Besitz nach seinem Tod an seinen jüngeren Bruder gegangen. Gut möglich, dass dessen ältester Sohn, Lord Archibald, in Axbury Manor einziehen wollte. Immerhin war es eines der vornehmsten Herrenhäuser des Königreichs. Und irgendeinen Grund musste es schließlich für Lord Archibalds Reise von Yorkshire nach Südengland geben.
Wie man hörte, schaute sich der junge Mann eingehend im Anwesen und in den Ländereien um. Deshalb handelte es sich also nicht bloß um einen Höflichkeitsbesuch bei seiner Tante, der Duchess of Parbrooke. Lord Archibald wollte garantiert bleiben. Erst recht, seit er Lady Florence begegnet war …
Ein Lächeln breitete sich auf Lady Mildreds Gesicht aus, während sie den spiegelglatt daliegenden See betrachtete. Man musste schon sehr unsensibel sein, um nicht zu erkennen, dass Lord Archibald in ihre Tochter verliebt war. Er, der einmal den Titel des Duke of Parbrooke erben würde, betete die Neunzehnjährige förmlich an.
Was für ein Glück! Ein Duke stand in der Rangfolge des Adels nämlich eine Stufe über einem Marquess, dessen Tochter Lady Florence war. Das Ziel jeder aristokratischen Mutter lag in greifbarer Nähe: eine vorteilhafte Eheschließung des Kindes. Lady Florence könnte Herrin von Axbury Manor werden!
Und als solche würde sie doch ganz gewiss nicht die Duchess hinauswerfen? Die Mutter ihrer besten Freundin, Lady Helena? Nein. Lady Florence mit ihrem guten Herzen bot Constance Parbrooke garantiert an, mit den beiden jüngeren Töchtern in Axbury Manor wohnen zu bleiben. Und Lady Mildred hätte in Renwood Hall ihre Ruhe. Alles wäre in schönster Ordnung.
Ihr Lächeln verblasste. Wenn Lady Florence den guten Lord Archibald doch nur ermutigen würde! Nur ein winziges Bisschen! Stattdessen beharrte sie darauf, dass sie für ihn lediglich Sympathie empfand. Höflich, aber distanziert ging sie mit ihm um.
Die Marchioness seufzte. Seit wann musste man mehr als Sympathie empfinden, um zu heiraten? Lady Florence sollte sich Lord Archibald natürlich nicht an den Hals werfen. Männer respektierten keine Frau, die allzu bereitwillig Ja sagte. Gleichzeitig durfte man auch nicht so kühl sein, dass der Verehrer seine Annäherungsversuche für aussichtslos hielt.
Es galt also, auf einem feinen Grat zu wandeln. Leider besaß Lady Florence dafür nicht das mindeste Gespür. Trotz aller hilfreichen Ratschläge ihrer Mama. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schien ihr gar nicht klar zu sein, welch einmalige Chance sich ihr hier bot! Immerhin war sie – bei aller mütterlichen Nachsicht – keine Salonschönheit.
Ebenso wenig wie Lord Archibald. Er hatte einen leichten Silberblick. Manchmal wusste man nicht genau, wen er gerade ansah. Aber dafür konnte er mit einer schlanken Figur, einem stattlichen Backenbart und einem angenehmen Wesen aufwarten. Was erwartete Lady Florence eigentlich? Warum nur zögerte sie?
Lady Mildred leerte ihr Sherryglas und stellte es lauter als nötig auf den Schreibtisch. Sie hatte lange genug mit Engelszungen auf ihre Tochter eingeredet. Jetzt war es Zeit für Taten – bevor Lord Archibald die Geduld verlor und sich nach einer entgegenkommenderen Kandidatin umschaute.
*
»Haben Sie das verstanden, Edna?« Prüfend blickte die Marchioness of Meadowby ihre Zofe an.
Die Mittdreißigerin nickte ernst. »Jawohl, Mylady. Um Punkt sechzehn Uhr komme ich zum Angelplatz am Bach. Mit diesen Stoffmustern.« Sie hob das kleine Bündel in ihren Händen hoch. »Und dann gehe ich ein Muster nach dem anderen mit Ihnen durch.«
»Ganz genau.«
»Draußen«, vergewisserte sich die Zofe mit fragendem Blick.
»So ist es, Edna. Den Tipp habe ich neulich erst im Lady’s Magazine gelesen. Unter freiem Himmel wirken die Farben anders. Es geht um meine Sommergarderobe, die ich naturgemäß oft im Freien tragen werde. Also ist das Vorgehen nur logisch, nicht wahr?«
»Jawohl, Mylady.«
»Gut, dann wäre alles geklärt. Ich gehe jetzt in mein Arbeitszimmer. Wir sehen uns pünktlich um sechzehn Uhr am Bach. Ich verlasse mich auf Sie.«
»Jawohl, Mylady.« Edna knickste und sah zu, wie ihre Herrin die Suite verließ.
Wie eigenartig! Bisher hatte die Marchioness die Stoffmuster immer in genau diesem Zimmer unter die Lupe genommen. Hier standen schließlich die Schränke mit ihrer Garderobe. Gefiel Lady Mildred ein Stoff, holte Edna je nach Bedarf eine Haube, Schuhe, einen Mantel oder Schmuck hervor. Dann konnte sich Lady Mildred ein Bild davon machen, wie der fragliche Stoff dazu passte.
Wie um alles in der Welt sollte sie das draußen beurteilen können, fern von ihrer Garderobe? Sollte die Zofe etwa zwischen Suite und Bach hin- und hereilen, um das gewünschte Kleidungsstück oder Accessoire zu holen? Edna schüttelte den Kopf. Wie hatte dieser absurde Tipp es bloß ins Lady’s Magazine geschafft?
