Das Zerwürfnis - Betsy Collins - E-Book

Das Zerwürfnis E-Book

Betsy Collins

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Beschreibung

Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. »Ja, ich will!« Lady Florence sprang von ihrem Stuhl auf, lief um den Tisch herum und umarmte den Marquess of Meadowby. »Und wie ich will!« Wie vom Donner gerührt stand ihre Mutter auf der Schwelle des Frühstückszimmers. Lady Mildred hielt nichts vom Zurschaustellen von Empfindungen. Schon gar nicht vor dem Personal. Lord Vincent, ihrem ältesten Sohn, schien der Gefühlsausbruch wenig auszumachen. Im Gegenteil. Lächelnd ertrug er die Umarmung und tätschelte die Schulter seiner Schwester. Ich muss bei Gelegenheit unter vier Augen mit Florence reden, nahm sich Lady Mildred vor. Diese Neigung zum Überschwänglichen … Kein Gentleman wollte eine Ehefrau, die derart aus sich herausging. »Guten Morgen, Mylady.« Der Butler verbeugte sich. »Guten Morgen, Wilson.« Der Seidenrock ihres schwarzen Witwenkleides raschelte, als sie näherkam und sich auf den Stuhl setzte, den der Butler für sie zurückgezogen hatte. »Ich denke, ich nehme heute Darjeeling, Toast, Butter und ein wenig Käse.« »Sehr wohl, Mylady.« Wilson goss etwas Milch in eine Tasse, damit das hauchzarte Porzellan nicht zersprang, wenn der heiße Tee folgte. Dann nahm er die silberne Teekanne, füllte die Tasse und trug sie gemessenen Schrittes zum Platz der Marchioness of Meadowby. »Guten Morgen, Mutter«

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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der aufstrebende Fürst – 2 –Das Zerwürfnis

Betsy Collins

»Ja, ich will!« Lady Florence sprang von ihrem Stuhl auf, lief um den Tisch herum und umarmte den Marquess of Meadowby. »Und wie ich will!«

Wie vom Donner gerührt stand ihre Mutter auf der Schwelle des Frühstückszimmers. Lady Mildred hielt nichts vom Zurschaustellen von Empfindungen. Schon gar nicht vor dem Personal.

Lord Vincent, ihrem ältesten Sohn, schien der Gefühlsausbruch wenig auszumachen. Im Gegenteil. Lächelnd ertrug er die Umarmung und tätschelte die Schulter seiner Schwester.

Ich muss bei Gelegenheit unter vier Augen mit Florence reden, nahm sich Lady Mildred vor. Diese Neigung zum Überschwänglichen … Kein Gentleman wollte eine Ehefrau, die derart aus sich herausging.

»Guten Morgen, Mylady.« Der Butler verbeugte sich.

»Guten Morgen, Wilson.« Der Seidenrock ihres schwarzen Witwenkleides raschelte, als sie näherkam und sich auf den Stuhl setzte, den der Butler für sie zurückgezogen hatte. »Ich denke, ich nehme heute Darjeeling, Toast, Butter und ein wenig Käse.«

»Sehr wohl, Mylady.« Wilson goss etwas Milch in eine Tasse, damit das hauchzarte Porzellan nicht zersprang, wenn der heiße Tee folgte. Dann nahm er die silberne Teekanne, füllte die Tasse und trug sie gemessenen Schrittes zum Platz der Marchioness of Meadowby.

»Guten Morgen, Mutter«, sagte Lord Vincent gut gelaunt.

Lady Mildred nickte würdevoll. Florence sollte sich ein Beispiel an ihr nehmen. Andererseits ging sie dem Mädchen ja schon seit neunzehn Jahren mit gutem Beispiel voran. Woher hatte es bloß diese ebenso forsche wie undamenhafte Art?

Endlich ließ Lady Florence ihren Bruder los und kehrte strahlend zu ihrem eigenen Stuhl zurück. »Guten Morgen, Mama. Stell dir vor: Ich werde arbeiten!«

»Arbeiten«, wiederholte die Marchioness konsterniert. Eine Tochter aus gutem Hause arbeitete im Jahr 1838 nicht. Auch nicht, wenn mit Königin Victoria eine junge Frau auf dem englischen Thron saß. Sie heiratete möglichst vorteilhaft und bekam Kinder.

»Ja. Vincent hat mich gefragt, ob ich ihn bei der Modernisierung unserer Ländereien unterstützen möchte. Ist das nicht wunderbar?«

Der Butler stellte einen Teller vor Lady Mildred auf den Tisch. Zwei Toastdreiecke, Butter, akkurat angeordnete Käsehäppchen. Wie gewünscht. Allerdings wusste sie nicht genau, ob sie noch Appetit hatte. Oder noch Appetit haben würde, sobald sie wusste, was genau Florence meinte. Denn dass sich die Schwester des Marquess of Meadowby mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigte, kam doch nun wirklich nicht infrage.

»Es ist gut, Wilson. Wir klingeln, wenn wir etwas brauchen.« Sie nippte an ihrem Tee. Vertraut schmeckte er. Das hatte etwas Tröstliches in diesen Zeiten, in denen sich viel zu viel veränderte.

Erst der Tod ihres lieben Gatten. Dann die Nachricht, dass Lord Percival, ihr jüngerer Sohn, es in jugendlichem Leichtsinn mit seinen Wettschulden übertrieben hatte. Anschließend der Freitod des Duke of Parbrooke, Herr von Axbury Manor …

Zugegeben, anders als ihr verstorbener Ehemann hatte die Marchioness dem Duke nicht besonders nahegestanden. Gleichwohl war er viele Jahre ein Nachbar gewesen. Man hatte einander recht gut gekannt.

Zu allem Überfluss wohnte seine Witwe seit wenigen Tagen in Axbury Manor. Wieder. Nachdem sie sechs Jahre mit ihren Töchtern in Schottland gelebt hatte, weil die Ehe zerrüttet gewesen war. Und der Duchess of Parbrooke stand Lady Mildred ganz entschieden nicht nahe.

Sie trank noch einen Schluck Darjeeling und wartete, bis Wilson die Tür hinter sich zugezogen hatte. Dann setzte sie ein schmales Lächeln auf und sah ihren ältesten Sohn an. »Dass du Renwood Hall modernisieren möchtest, hast du ja schon anklingen lassen, Vincent. Aber wie um alles in der Welt könnte Florence dir dabei behilflich sein?«

Der junge Fürst schnitt ein Stück Lammnierchen in pikanter Soße ab und spießte es auf die Gabel. »Florence hat Köpfchen.«

»Ja.« Lady Mildred ertappte sich bei dem Wunsch, der liebe Gott hätte ihrer Tochter einen weniger klugen, dafür aber hübscheren Kopf mitgegeben. Nicht, dass Florence unansehnlich gewesen wäre. Eine Salonschönheit wie ihre Mutter in jungen Jahren war sie allerdings leider auch nicht. Dabei konnte einem Schönheit im Leben enorm nützen.

»Das hat sie ja unlängst bewiesen«, fuhr der 23-jährige Lord Vincent fort. »Als sie vorgeschlagen hat, die Erstausgaben aus unserer Bibliothek zu verkaufen, um unsere finanzielle Lage zu –«

»Ich entsinne mich«, fiel die Marchioness ihm ins Wort. Sie wurde nicht gern daran erinnert, dass ihr Lieblingssohn Spielschulden gemacht hatte.

»Außerdem wohnt Florence seit ihrer Geburt hier und kennt die Pächter und Arbeiter. Viel besser als ich, weil ich ja einige Jahre in Eton und Oxford verbracht habe. Angenommen, ich will nicht länger Roggen, sondern Weizen anbauen, weil der ertragreicher ist. Dann wird es mit Florence an meiner Seite leichter sein, unsere Leute dafür zu begeistern.«

»Wir werden Ackerbau und Viehzucht genau unter die Lupe nehmen«, verkündete Lady Florence begeistert. »Ich kann es kaum erwarten. Der technische Fortschritt wird in Renwood Hall Einzug halten!«

Ihre Mutter blinzelte irritiert. Ja, die Kälbchen und Lämmchen waren niedlich, aber sie fielen nicht vom Himmel. Und über alles, was naturgemäß geschehen musste, bis ein Lebewesen auf die Welt kam, sollte Florence möglichst wenig wissen. Das gehörte sich einfach nicht für eine ledige Dame.

Irgendwann vor Florence‹ Hochzeit würde die Marchioness selbstverständlich ein Gespräch mit ihr führen. Von Frau zu Frau, wie es ihre Pflicht war. Aber noch gab es keinen Bräutigam am Horizont, und vor Ablauf des Trauerjahres für den verstorbenen Marquess würde das auch so bleiben.

»Also, ich weiß wirklich nicht, ob das die passende Beschäftigung für dich ist«, meinte Lady Mildred gedehnt. »Du hast doch schon genug zu tun, Florence.«

Die dunkelhaarige junge Frau schüttelte entschieden den Kopf. »Das sehe ich anders, Mama. Ich mache Besuche, empfange Besuch, gehe spazieren, spiele ein bisschen Klavier …«

»Du spielst sogar ganz ausgezeichnet Klavier. Die letzte Kissenhülle, die du bestickt hast, ist die schönste in ganz Renwood Hall. Und dein Französisch wird auch immer besser. Alles Talente, die dir später zugutekommen werden. Dein künftiger Ehemann wird es kaum zu schätzen wissen, wenn du auf Dinnerpartys mit Kenntnissen über Ackerbau und Viehzucht glänzen kannst.«

»Das Klavierspielen und so weiter muss ich ja nicht aufgeben, Mama. Ich würde wirklich gern mal etwas Neues ausprobieren. Jetzt bietet sich mir die Chance, und ich kann noch dazu etwas Positives für Renwood Hall bewirken. Für unsere Familie. Bitte, bitte lass es mich wenigstens versuchen.«

Der flehentliche Ausdruck in den grauen Augen ihrer Tochter ließ Lady Mildred keineswegs kalt. Doch ihre Aufgabe als Mutter war es nun mal, Florence so gut wie nur irgend möglich auf das Leben als sittsame Hüterin des Hauses vorzubereiten. Wie sollte sie ihr vor diesem Hintergrund gestatten, sich um die Ländereien zu kümmern? Das Mädchen würde schließlich keinen Bauern heiraten!

»Keine Sorge, Mutter«, meldete sich Lord Vincent zu Wort. »Florence wird keine Schwielen an den Händen bekommen, und sie muss auch keinen Stall von innen sehen. Zunächst einmal soll sie hauptsächlich lesen. Zusammentragen, welche Erfahrungen andere Großgrundbesitzer mit welchen Maschinen oder welchem Saatgut gemacht haben. Völlig harmlos also.«

»Und ideal für jemanden, der gern liest. Also für mich«, ergänzte Lady Florence eifrig. Ein Tropfen Honig fiel von dem Toast in ihrer erhobenen rechten Hand auf den Teller.

Die Marchioness registrierte es mit Missbilligung. Sie trank noch einen Schluck Tee, um Zeit zu gewinnen. »Wie auch immer, ladylike ist eine solche Beschäftigung gewiss nicht. Wäre es nicht eher etwas für Percy? Als jüngerer Sohn braucht er schließlich eine Aufgabe. Diese wäre doch wie geschaffen für ihn! Außerdem fühlt er sich gewiss übergangen, wenn wir das Thema ohne ihn besprechen.«

Drei Augenpaare richteten sich auf den leeren Stuhl vor dem vierten, unbenutzten Gedeck. Er war leer. Lord Percival pflegte lange zu schlafen. So lange, dass das Frühstück meistens in seiner Abwesenheit stattfand.

»Diese Sorge kann ich dir nehmen, Mutter«, erwiderte Lord Vincent. »Ich habe Percival gefragt. Er interessiert sich nicht für das Projekt. Also, haben wir dein Einverständnis?«

Lady Mildred zögerte. Sie war dagegen, aber nach dem Tod ihres Gatten war Vincent nun der Marquess of Meadowby. Damit besaß er allein das Recht, über sämtliche Fragen zu entscheiden, die Renwood Hall betrafen. Dass er um ihr Einverständnis bat, war eine höfliche Geste. Anerkennenswert, wenn auch lediglich Formsache. Er wusste es ebenso gut wie sie selbst.

Sie beschloss, keine Schlacht zu schlagen, die sie nur verlieren konnte. »Wenn euch beiden so viel daran liegt, will ich nicht im Weg stehen«, antwortete sie großzügig.

»Danke.« Lord Vincent wandte sich erneut den Lammnierchen zu.

»Tausend Dank, Mama.« Lady Florence strahlte über das ganze Gesicht.

Nein, schön war sie definitiv nicht. Aber wenn ihre Augen leuchteten wie in diesem Moment, hatte sie etwas sehr Gewinnendes an sich. Durchschnittlich ist sie jedenfalls nicht, dachte die Marchioness mit Genugtuung. Vielleicht sogar mit einem Anflug von Stolz, der ihrer Tochter nicht oft zuteilwurde. Lord Vincent übrigens auch nicht. Dieses Gefühl beanspruchte Lord Percival nahezu ausschließlich für sich.

Krachend biss Florence in ihren Toast. Lady Mildred lauschte in sich hinein und stellte fest, dass sie doch ein wenig Appetit hatte. Sie senkte den Blick auf ihren Teller und musterte die Käsesorten. Mit welcher würde sie heute anfangen? Stilton, entschied sie.

Während sich der würzige Geschmack in ihrem Mund ausbreitete, bestrich sie ein Toastdreieck mit Butter. Vincent und Florence waren ihr dankbar. Ein angenehmes Gefühl.

Gut möglich, dass ihre Tochter doch noch einen Rückzieher machte. Florence las gern Gedichte, aber ob nüchterne Zahlen und Studien sie fesseln würden? Vielleicht verlief die Sache ja im Sande. Dann könnte niemand die Marchioness dafür verantwortlich machen …

»Wie war eigentlich dein Besuch bei der Duchess?«, riss Lord Vincent sie aus ihren Gedanken.

Lady Mildred spielte mit der Idee, zu fragen, welche Duchess er meinte. Doch sie war noch nie kindisch gewesen, und sie wollte als Witwe auch nicht damit anfangen. Das würde sie ihrer neuen Nachbarin – Wieder-Nachbarin – nicht gönnen. »Der Besuch hat noch nicht stattgefunden«, antwortete sie, sehr zufrieden mit ihrem gleichgültigen Tonfall.

Erstaunt zog der Marquess die dunklen Brauen hoch. »Du hast ihr doch gewiss deine Karte geschickt, nachdem sie in Axbury Manor eingezogen ist?«

»Selbstverständlich. Wie es sich gehört.«

»Und die Duchess hat dir daraufhin ihre eigene Karte geschickt?«

»Ja.«

»Doch nicht etwa in einem Umschlag?«, fragte Lord Vincent alarmiert.

Wenn eine Dame eine andere Dame besuchen wollte, sandte sie ihr als Zeichen dieses Wunsches ihre Karte. Schickte die Empfängerin der Absenderin anschließend ihre eigene Karte, hieß das, die Besucherin war willkommen. Es sei denn, die Karte steckte in einem Umschlag. Dann war die Besucherin unerwünscht.

»Natürlich nicht«, antwortete Lady Mildred verstimmt. Wie konnte ihr Sohn auch nur in Erwägung ziehen, sie wäre irgendjemandem unwillkommen!

Im Übrigen hatte die Duchess of Parbrooke eine bemerkenswert schlichte Karte. Mit nur ihrem Namen und der Anschrift von Axbury Manor darauf. Wie viel geschmackvoller war da doch die Karte der Marchioness, verziert mit aufgedruckten Täubchen und Blumenranken …

»Wann hattest du denn vor, die Duchess zu besuchen?«, bohrte Lord Vincent.

Seine Mutter betupfte die Mundwinkel mit einer blütenweißen Serviette und strich sorgfältig Butter auf das zweite Toastdreieck. »Ich frage mich, ob es wirklich erforderlich ist, dass ich den ersten Schritt mache.«

»Meines Wissens ist es üblich, dass die Alteingesessenen den Neuankömmlingen einen Besuch abstatten. Oder bin ich da nicht auf dem Laufenden?«

Kerzengerade saß Lady Mildred da, den Blick auf ihren Toast geheftet. »Unter gewöhnlichen Umständen wird es so gehandhabt, ja. In diesem Fall bin ich mir allerdings nicht schlüssig. Immerhin ist die Duchess kein Neuankömmling im eigentlichen Sinne, nicht wahr? Sie hat schon früher in Axbury Manor gelebt. Rund vierzehn Jahre, wenn mich die Erinnerung nicht trügt.«

»Aber anschließend sechs Jahre in Schottland. Findest du nicht, dass eine solch lange Abwesenheit sie zu einem Neuankömmling macht, Mutter?«

Lady Florence blickte aus dem Fenster und trank ihren Tee. Ein Unbeteiligter hätte sie für gedankenverloren halten können. In Wirklichkeit verfolgte sie das Gespräch mit gespitzten Ohren.

Ihre Mutter hatte sich nie um die Gesellschaft der Duchess of Parbrooke gerissen. Lady Florence hingegen fand die Frau faszinierend. Sie war ungewöhnlich. Redete nicht nur über das Wetter, den letzten Ball oder die neueste Mode. Und sie hielt mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Kein Wunder, dass Lady Mildred den Besuch vor sich herschob. Constance Parbrooke war so ganz anders als sie selbst.

Die Marchioness blickte ihren Erstgeborenen an. »Findest du es denn?«, kehrte sie den Spieß um. Ja, sie würde den Besuch abstatten. Aber sie wollte klarstellen, dass sie Vincent damit einen Gefallen tat. Auf diesen kleinen Triumph legte sie Wert. Sie hoffte, dass er sich schon sehr bald auszahlte. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne …

»Ja, das tue ich. Zumal du der Duchess bereits deine Karte geschickt hast.«

Leider, dachte Lady Mildred bedauernd. Aber sie wollte sich nicht nachsagen lassen, sie hätte etwas anderes als perfekte Manieren an den Tag gelegt. »Nun gut.« Hoheitsvoll neigte sie den Kopf. »Die Vorbereitungen für den Wohltätigkeitsbasar beanspruchen mich zwar erheblich, aber dir zuliebe werde ich die Duchess besuchen. Gleich heute Nachmittag.« Wenn es sich schon nicht vermeiden ließ, sollte es wenigstens so schnell wie möglich vorbei sein.

»Danke, Mutter. Gewiss wird sie erfreut sein, dich zu sehen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Wir beide sind doch recht unterschiedlich.«

»Vielleicht wird der Besuch für dich angenehmer, wenn du dich nicht auf die Unterschiede, sondern auf eure Gemeinsamkeiten besinnst.«

Sie runzelte die Stirn. »Welche Gemeinsamkeiten meinst du?«

»Nun, ihr seid wieder Nachbarinnen. Ihr seid beide Mütter. Ihr habt beide kürzlich eure Ehemänner verloren. Möglicherweise könnt ihr euch gegenseitig beistehen.«

Langsam ließ die Marchioness ihren Toast auf den Teller sinken. »Den Verlust von Constance Parbrooke kann man ja wohl kaum mit meinem vergleichen. Ich habe meinen lieben Ehemann angebetet und war ihm fast fünfundzwanzig Jahre eine treu sorgende Ehefrau. Die Duchess hingegen …«

Sie sprach den Satz nicht zu Ende, doch ihr geringschätziger Blick ließ keinen Zweifel an ihrer Meinung aufkommen. Eine verheiratete Frau, die ihren Gatten verließ! Noch dazu mit drei Kindern! Das tat man einfach nicht.

»Falls Helena dir über den Weg läuft, grüß sie doch bitte herzlich von mir«, meldete sich Lady Florence nun doch zu Wort. Wenn ihre Mutter in dieser negativen Stimmung vor die Duchess of Parbrooke trat, war der Misserfolg nämlich vorprogrammiert.

Busenfreundinnen mussten die beiden ja nicht unbedingt werden. Lady Florence hatte jedoch ein gesundes Eigeninteresse daran, dass sie wenigstens leidlich gut miteinander auskamen. Schließlich war die Duchess die Mutter ihrer besten Freundin.

Prompt wurde Lady Mildreds Miene ein wenig weicher. Lady Helena war in der Tat eine sehr angenehme Gesellschaft. Höflich, aufmerksam und bescheiden. Das konnte die Marchioness beurteilen, denn die junge Dame war kürzlich einige Tage ihr Gast gewesen.

Ein Brand in Axbury Manor hatte Lady Helenas Appartement vorübergehend unbewohnbar gemacht, also hatte Vincent ihr und ihrer Zofe Obdach in Renwood Hall angeboten. Natürlich gab es in Lady Helenas Elternhaus etliche andere Räume, in denen sie hätte wohnen können. Allerdings war sie offenbar zu mitgenommen von dem Feuer gewesen, um sich auf Axbury Manor noch wohlzufühlen. Das konnte die Marchioness gut nachvollziehen.

Den Duke of Parbrooke hatte das Unglück ja sogar derart mitgenommen, dass er sich mit seinem Jagdgewehr erschossen hatte! Der Ärmste. Dabei war doch niemand verletzt worden, und auch der Schaden an dem alten Gemäuer hielt sich in Grenzen. Vermutlich hatte Horatio nicht verwunden, dass seine wertvolle Landkartensammlung im Flammen aufgegangen war.