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Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. Das dezente weinrote Seidenröschen auf Gladys Walkers grauer Haube bebte. Gerade stimmte ihr Gatte auf der Kanzel Rock of Ages an. Ein wahrhaft ergreifendes Kirchenlied. Allerdings war Mrs. Walker nicht deswegen so aufgewühlt. Nein, in dem Lied kam mehrfach die Note D vor. Und Humphrey hatte nun mal die leidige Angewohnheit, stattdessen ein C zu singen. Um diesen Fehler auszumerzen, hatten sie vor dem feierlichen Weihnachtssingen in Axbury Manor täglich geprobt. Mrs. Walker am heimischen Klavier, ihr Gatte mit dem Notenblatt in der Hand daneben. Mit Erfolg. Doch seit diesem großen Ereignis übten sie seltener. Humphrey neigte dazu, in seine alten Fehler zurückzufallen. Bitte nicht, schickte Gladys Walker ein Stoßgebet zum Himmel. Nicht heute. In der ersten Reihe saß nämlich die Duchess of Parbrooke. Herrin von Axbury Manor. Die ranghöchste Aristokratin Südenglands – und keine große Kirchgängerin. Darum kam ihrer Anwesenheit heute besondere Bedeutung zu. Ihre älteste Tochter, Lady Helena, würde im Juni den Marquess of Meadowby heiraten.
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Das dezente weinrote Seidenröschen auf Gladys Walkers grauer Haube bebte. Gerade stimmte ihr Gatte auf der Kanzel Rock of Ages an. Ein wahrhaft ergreifendes Kirchenlied. Allerdings war Mrs. Walker nicht deswegen so aufgewühlt. Nein, in dem Lied kam mehrfach die Note D vor. Und Humphrey hatte nun mal die leidige Angewohnheit, stattdessen ein C zu singen.
Um diesen Fehler auszumerzen, hatten sie vor dem feierlichen Weihnachtssingen in Axbury Manor täglich geprobt. Mrs. Walker am heimischen Klavier, ihr Gatte mit dem Notenblatt in der Hand daneben. Mit Erfolg. Doch seit diesem großen Ereignis übten sie seltener. Humphrey neigte dazu, in seine alten Fehler zurückzufallen.
Bitte nicht, schickte Gladys Walker ein Stoßgebet zum Himmel. Nicht heute. In der ersten Reihe saß nämlich die Duchess of Parbrooke. Herrin von Axbury Manor. Die ranghöchste Aristokratin Südenglands – und keine große Kirchgängerin. Darum kam ihrer Anwesenheit heute besondere Bedeutung zu.
Ihre älteste Tochter, Lady Helena, würde im Juni den Marquess of Meadowby heiraten. Und Mrs. Walker hoffte inständig, dass Humphrey die Trauung vornehmen durfte. Es wäre der Höhepunkt seiner Karriere. Der vorläufige Höhepunkt jedenfalls. Denn Gladys Walker beabsichtigte, ihn zu einem der führenden Kirchenmänner des Königreiches zu machen.
Schweißperlchen traten ihr auf die Stirn, als das erste D im Lied bevorstand. Sie sang lauter als gewöhnlich, damit ein eventueller Fehler ihres Gatten nicht so auffiel.
Zu ihrer enormen Erleichterung hörte sie, dass Humphrey den Ton traf. Nicht nur dieses D, sondern auch alle übrigen Töne von Rock of Ages. Die weinrote Seidenblüte auf ihrer Haube bebte stärker. Diesmal nicht, weil Gladys Walker angespannt war, sondern vor Glück.
Das Lied verklang, und Humphrey Walker begann mit seiner Predigt. Wie immer war sie kurz, unterhaltsam und erbaulich. Genauso, wie die Gemeinde es an ihrem Pfarrer schätzte.
Ein seltenes Gefühl meldete sich in Gladys Walker: Stolz auf ihren Ehemann. Wie er dort auf der Kanzel stand und gutmütig in die Runde lächelte … Ein zugewandter, in sich ruhender Seelsorger. Groß und stattlich wirkte er.
Vielleicht ein wenig zu stattlich? Sie zog die Stirn kraus.
*
»Euer Gnaden. Es ist mir eine Freude, Sie zu sehen.« Humphrey Walker verbeugte sich respektvoll. Seine Gattin knickste so tief, dass sie Mühe hatte, sich wieder würdevoll aufzurichten.
»Guten Tag, Mr. Walker und Mrs. Walker.« Die Duchess of Parbrooke nickte lächelnd. »Ich fürchte, diese Freude gönne ich Ihnen beschämend selten. Umso mehr weiß ich Ihre nette Begrüßung zu schätzen.«
»Zu Scham besteht absolut kein Anlass, Euer Gnaden«, versicherte der Pfarrer. »Viele meiner Schäfchen können nicht jeden Sonntag zur Kirche kommen. Mal ist eine kranke Großmutter zu pflegen. Mal kalbt eine Kuh. Mal schlüpft die beste Legehenne durch ein Loch im Zaun und muss eingefangen werden. Für mich zählt, dass ein Mensch Gott in seinem Herzen trägt. Das ist wichtiger, als wenn jemand stets auf der Kirchenbank sitzt, ohne innerlich anwesend zu sein.«
Gladys Walker war einer Ohnmacht nahe. Humphrey redete mit dem vornehmen Gast ja wie mit einem x-beliebigen Gemeindemitglied! Im Zusammenhang mit der Duchess nahm man doch nicht das Wort ›Scham‹ in den Mund! Außerdem war die Frau garantiert noch nie einer ausgebüxten Henne hinterher gehuscht. Auch pflegebedürftige Angehörige oder kalbende Kühe hielten sie nicht vom Kirchgang ab.
Nein, Ihrer Gnaden mangelte es schlicht und einfach an Hingabe. Jedenfalls, was die Ausübung ihres Glaubens betraf. Dieses Phänomen hatte Mrs. Walker schon des Öfteren bei Adeligen beobachtet. Natürlich hätte sie es niemals laut ausgesprochen.
Es gab nun mal eine bestimmte Ordnung in der Welt. Der Schöpfer hatte sich etwas dabei gedacht. Deshalb war es nicht Gladys Walkers Aufgabe, die Verhältnisse zu hinterfragen. Geschweige denn, sie ändern zu wollen. Wohl aber durfte sie versuchen, für sich – und ihren Gatten – das Bestmögliche aus dieser Ordnung herauszuholen.
Ihren Traum von einer Karriere als Konzertpianistin konnte sie nicht verwirklichen. Dieser Weg blieb ihr als Frau im Jahr 1839 versagt. Also legte sie all ihren Ehrgeiz in Humphreys beruflichen Aufstieg. Und zum Glück sah es ganz danach aus, als nähme die Duchess ihm seine Bemerkung nicht übel.
Im Gegenteil, Constance Parbrooke nickte huldvoll. »Sie sind ein großzügiger Mann, Mr. Walker. Genau die richtige Person, um meine Helena und den Marquess of Meadowby zu trauen. Am zweiten Mittwoch im Juni. Ich darf doch auf Sie zählen?«
Hinter der Duchess schnappte jemand nach Luft. Es war Lady Mildred, die Mutter des Bräutigams. Gleich darauf räusperte sie sich demonstrativ. Constance Parbrooke ignorierte es.
»Auf mich, Euer Gnaden?« Verdutzt zeigte Humphrey Walker auf sich selbst. »Für die Hochzeit von Lady Helena und Lord Vincent?«
»Ja. Ich hoffe, Sie haben an dem Tag nicht bereits andere Verpflichtungen?«
»Aber nein.« Der Pfarrer strahlte. »Es wird mir eine große Ehre sein, die Trauung zu vollziehen, Euer Gnaden.«
»Sehr schön. Kommen Sie doch in den nächsten Tagen einmal nach Axbury Manor, damit wir die Details besprechen können.«
»Sehr gern. Du meine Güte. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Vielen Dank, dass Sie Ihr Vertrauen in mich setzen, Euer Gnaden. Und Sie, Lady Mildred«, meinte Humphrey Walker zu der Dame hinter der Duchess. Vor Freude hatte er ganz rote Wangen.
Mit einem starren Lächeln stand Gladys Walker neben ihm. Am liebsten hätte sie ihn mit dem Ellenbogen angestoßen. Hoffentlich redete er nicht weiter! Es gab keinen Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Er wirkte ja geradezu überwältigt. Als könne er sich gar nicht erklären, wieso die Duchess ausgerechnet ihn auswählte. Als wäre er mit der Aufgabe womöglich überfordert!
Lady Mildred nickte knapp. In ihrem schmallippigen Lächeln lag nichts von der Herzlichkeit der Duchess. Aha, die Mutter des Bräutigams hatte also andere Pläne gehabt …
Du wirst schon sehen, dachte Mrs. Walker pikiert. Auch die Marchioness of Meadowby würde an Humphreys Trauung nichts auszusetzen haben. Dafür sorgte schon seine Ehefrau. Diese Hochzeit war sein Sprungbrett – auch wenn es ihm noch nicht bewusst zu sein schien.
Jetzt gingen die beiden Aristokratinnen in ihren schwarzen Witwenkleidern weiter. Gladys Walker atmete auf. Andere Kirchgänger rückten nach, um sich zu verabschieden.
»Ist das nicht eine wundervolle Nachricht, mein Engel?«, fragte der Pfarrer seine Gattin, als sich der Platz vor der Kirche geleert hatte.
»O ja. Und so verdient.« Sie nickte nachdrücklich. Höchste Zeit, sein Selbstbewusstsein zu stärken.
»Ich dachte, einer meiner namhaften Kollegen würde Lady Helena und Lord Vincent trauen. Ihre Familien haben doch bestimmt gute Beziehungen nach ganz oben.«
Mrs. Walker hakte sich bei ihrem Mann ein. »Nicht so bescheiden, Humphrey. Du bist zwar noch nicht lange Pfarrer in dieser Gemeinde, aber du hast offenbar schon den besten Eindruck hinterlassen. Meinen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung.«
»Ich danke dir, mein Engel. Und einen guten Eindruck konnte ich nur machen, weil du mir so aufopfernd den Rücken freihältst. Du führst unseren Haushalt, leitest den Chor, hast sogar den Streit zwischen Mrs. Lodge und Mrs. Buxton wegen des Blumenschmucks für den Altar geschlichtet … Manchmal frage ich mich, wie du das alles schaffst.«
Mit der freien Hand tätschelte sie seinen Arm. »Ich tue nur meine Pflicht, damit du dich auf deine seelsorgerischen Aufgaben konzentrieren kannst. So wie auf die bevorstehende Hochzeit. Sie wird das gesellschaftliche Ereignis in Südengland sein. Jede Menge namhafter Gäste werden kommen.«
»O ja. Und ich darf die Trauung vornehmen. Was für ein Glücksfall! Ich werde mich so richtig ins Zeug legen. Lady Helena und der Marquess sollen gern an ihre Hochzeit zurückdenken.«
»Unbedingt«, pflichtete Gladys Walker ihrem Gatten bei. »Zumal unter den Gästen bestimmt Leute sein werden, die etwas für die Karriere eines aufstrebenden Pfarrers tun können.«
Mr. Walker lächelte milde. »Du meinst es wirklich gut mit mir, mein Engel. Allerdings weiß ich gar nicht, ob eine Karriere das Richtige für mich wäre. Ich bin schon sehr gern ein ganz normaler Landpfarrer.«
»Natürlich, Humphrey. Du leistest ja auch hervorragende Arbeit. Deshalb bin ich sicher, dass du mit deinen außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht nur hier viel Gutes stiften kannst.«
»Alles zu seiner Zeit«, meinte der Pfarrer vage. »Apropos: Mein Hals ist vom vielen Reden ganz trocken. Ich gäbe jetzt allerhand für eine Tasse Tee. Was meinst du?«
»Gute Idee. Lass uns heimgehen.« Gladys Walker wusste, wann sie sich bremsen musste. Ihr Ehemann war so genügsam. Das Feuer des Ehrgeizes schwelte nur sanft in ihm. Man musste es schüren, damit er seine Begabungen nicht vergeudete. Das Singen hatte sie ihm geduldig beigebracht, bis er jeden Ton traf. Mit ihrer Hilfe würde er auch noch den Sinn, ja, die Notwendigkeit einer Karriere einsehen …
»Ist eigentlich noch etwas vom Zitronenkuchen da?«, riss er sie aus ihren Gedanken.
»Ein Stück, glaube ich«, schwindelte Mrs. Walker. Tatsächlich befand sich noch gut der halbe Zitronenkuchen in ihrer Küche. Den Löwenanteil würde sie unauffällig verschwinden lassen. Ihr Gatte musste auf seine Figur achten. Genauer gesagt: Sie musste darauf achten. Denn bei der Hochzeit im Juni sollte er in jeder Hinsicht glänzen.
»Oh.« Humphrey Walkers Enttäuschung klang durch. »Na, besser als nichts. Ein halbes Stück für jeden von uns.«
»Nein nein, selbstverständlich überlasse ich dir das Stück, Humphrey. Nach deiner schönen Predigt hast du es dir mehr als verdient.«
*
An den Kutschen der Aristokratinnen angekommen, schaute sich die Duchess of Parbrooke um. Ihre beiden jüngeren Töchter waren ihr gefolgt, doch Lady Helena plauderte noch in einiger Entfernung mit ihrem Verlobten.
»Unsere Ältesten sind so in ihr Gespräch vertieft, da mag ich sie nicht zur Eile anhalten«, sagte Constance Parbrooke. »Lassen Sie uns vorfahren, Lady Mildred.«
Die Marchioness of Meadowby zögerte. Das war mal wieder typisch Duchess. Die beiden Familien hatten vereinbart, sich nach dem Kirchgang in Renwood Hall zu treffen. Lady Mildreds Zuhause. Und jetzt gebärdete sich Constance Parbrooke, als wäre sie kein Gast, sondern die Hausherrin.
Kein Wunder, dass sie es eilig hat, dachte die Marchioness ungnädig. In Renwood Hall wurde stets angemessen aufgetischt, während die Mahlzeiten in Axbury Manor – nun ja – nicht gerade üppig ausfielen. Man munkelte, die Duchess müsse sparen. Vielleicht war der Grund aber auch einfach eine Marotte von ihr? Sie wich ja oft von jenen Manieren ab, die eine Aristokratin eigentlich an den Tag legen sollte.
»Es ehrt mich, dass Renwood Hall Sie lockt«, antwortete Lady Mildred mit einem unschuldigen Lächeln. »Doch wie sollen wir uns aufteilen? In eine Kutsche passen vier Personen, und wir sind zu fünft. Sie, ich, Lady Josephine, Lady Mathilda und meine Florence.«
»Ganz einfach.« Die Duchess drehte sich zu den drei jungen Damen um, die hinter ihnen warteten. »Zwei von euch fahren mit Lady Mildred und mir schon einmal vor. Wer möchte mit unseren Turteltauben in der Kutsche des Marquess nachkommen?«
»Ich auf keinen Fall!«, rief die zwölfjährige Lady Mathilda energisch. »Diese kitschigen verliebten Blicke halte ich nicht aus. Ich fahre bei dir mit, Mama.«
Lady Mildred blinzelte entgeistert. So viele Worte hatte das Mädchen in ihrer Gegenwart noch nie über die Lippen gebracht. Normalerweise beschränkte sich Lady Mathilda darauf, ihren glasigen Blick zur Schau zu tragen. Als wären alle Menschen um sie herum furchtbar langweilig. Und nun preschte sie vor mit – ja, mit einer vehementen Meinung. Genau wie ihre Mutter es zu tun pflegte. Sehr ungehörig.
»Florence, was hältst du davon, wenn wir beide Helena und Lord Vincent Gesellschaft leisten?«, fragte Lady Josephine. Sie wollte ebenfalls nicht fünftes Rad am Wagen sein. »Dann können wir miteinander plaudern, während sie sich ihre kitschigen verliebten Blicke zuwerfen, die Mathilda nicht erträgt.«
»Gern«, packte Lady Florence die Chance beim Schopf. Sie hatte schon befürchtet, allein in die Nachzügler-Kutsche eingeteilt zu werden. Ihr Widerwille dagegen war ähnlich groß wie der von Lady Mathilda. Allerdings war sie zu wohlerzogen, um ihn zu äußern.
Die Neunzehnjährige gönnte ihrem älteren Bruder und ihrer besten Freundin das private Glück von Herzen. Gleichzeitig konnte sie es nur schwer mitansehen. Bei diesen Gelegenheiten wurde ihr nämlich die eigene Einsamkeit umso mehr bewusst.
Kehrte der Mann, den sie liebte, wie versprochen zurück?
Im letzten Juni war Timothy Taylor in einem Auswandererschiff nach Amerika aufgebrochen, um dort sein Glück zu machen. Ein Jahr hatte er sich dafür gegeben – und Lady Florence gebeten, auf ihn zu warten. Seitdem hoffte sie. Seitdem bangte sie. Seitdem fragte sie sich, ob sie, falls er zurückkam, noch so für ihn empfand wie damals. Und ob er noch so für sie empfand.
Irgendwie war alles jetzt viel komplizierter, denn Lady Florence hatte ihrer Mutter anvertraut, dass sie einen Bürgerlichen liebte. Dieses Geständnis war unumgänglich geworden, weil Lady Mildred sie unbedingt mit Lord Archibald verheiraten wollte. Natürlich stellte sich ihre Mutter einen steinreichen Bürgerlichen vor. Dass Timothy ein armer Handwerker sein könnte, wäre ihr nie in Sinn gekommen.
Womöglich fehlte ihm das nötige Quäntchen Glück, um in New York zu einem Vermögen zu kommen. Was dann? Lady Florence zwang sich zu einem Lächeln und stieg in die schwarz glänzende Kutsche mit dem Wappen des Marquess of Meadowby. »Wir warten auf Lord Vincent und Lady Helena«, informierte sie den Kutscher, der ihr die Tür aufhielt.
»Jawohl, Mylady.«
Lady Josephine folgte ihr. »Ich schlage vor, ich nehme neben dir Platz statt auf der Bank gegenüber«, meinte sie. »Die beiden Verlobten möchten bestimmt nebeneinandersitzen. Ich wäre lieber nicht die Anstandsdame, die ihnen das Vergnügen verdirbt.«
»Genauso wenig wie ich.« Lady Florence rückte zur Seite, um Platz für die ein Jahr jüngere Lady Josephine zu schaffen.
Die setzte sich. »Danke. Und nun, da wir unter uns sind: Was für ein Kleid trägst du bei der Hochzeit?«
Lady Florence zuckte zusammen. So oft malte sie sich aus, was sie für ihre Trauung mit Timothy anziehen würde. Sie brauchte zwei Optionen. Wenn sie einen armen Handwerker heiratete, kam nur eine bescheidene Robe infrage. War Timothy hingegen in Amerika zu Reichtum gekommen, durfte sie im Luxus schwelgen. Aber von diesen Überlegungen konnte ihre Banknachbarin doch unmöglich wissen! »H … Hochzeit?«, stammelte Lady Florence.
»Nun schau nicht so entsetzt drein«, meinte Lady Josephine belustigt. »Hat deine Mama dich etwa zum Stillschweigen verdonnert? Wie schade. Heutzutage muss man kein großes Geheimnis darum machen, finde ich. Es sei denn natürlich, man ist die Braut.«
»Die Braut«, wiederholte Lady Florence zaghaft. Wie konnte sie sich aus der Affäre ziehen?
»Ja. Sicher.« Lady Josephine wunderte sich. Ihre Bekannte war heute reichlich schwer von Begriff. »Ich musste Mama schwören, dass mir keine Silbe über Helenas Hochzeitskleid entschlüpft. Aber über mein eigenes Kleid darf ich durchaus reden. Ich bin ja auch nur die Schwester der Braut. So wie du die Schwester des Bräutigams bist. Aber wenn deine Mama es nicht möchte …«
Endlich fiel der Groschen. »Ach so, du meinst mein Kleid«, sagte Lady Florence erleichtert. »Das ist kein Geheimnis. Ich hatte dich missverstanden, entschuldige. Also, ich werde ein fliederfarbenes Kleid tragen.«
»Aha. Flieder steht dir mit deinen dunklen Haaren bestimmt ausgezeichnet.« Lady Josephine nickte aufmunternd. Sie wollte Details hören. Als keine folgten, fragte sie direkt: »Was für ein Stoff ist es denn? Seide? Taft? Satin? Hat er ein Muster oder nicht?«
»Äh …« Lady Florence versuchte, sich an die detaillierten Ausführungen der Schneiderin zu erinnern. In ihrer Welt gab es so viel Wichtigeres als das Kleid, das sie zur Hochzeit ihres Bruders mit Lady Helena tragen würde. »Satin. Ohne Muster. Mama findet, so kurz nach dem Ende meines Trauerjahres für Papa soll ich noch zurückhaltend sein.«
»Natürlich«, sagte Lady Josephine mitfühlend. »Ihr standet euch ja auch nahe. Meine Mama hat in der Richtung keine Bedenken, obwohl mein Papa später gestorben ist als deiner und mein Trauerjahr zum Zeitpunkt der Hochzeit gerade erst vorbei sein wird. Meine Eltern lebten ja schon seit Jahren getrennt. Das ändert die Dinge.«
Lady Florence nickte. »Das heißt, dein Kleid wird wagemutig sein?«
»Ich hoffe es! Bis jetzt konnte ich mich noch nicht mit Mama auf alle Details einigen. Ich möchte zum Beispiel kurze Ärmel mit Volants aus Mußelin. Mama hingegen bevorzugt es schlichter. Aber ich setze alles daran, sie zu überzeugen. Zum Glück ist die Schneiderin auf meiner Seite. Eine bessere Fürsprecherin gibt es nicht.«
»Und welche Farbe hat dein Kleid?«, erkundigte sich Lady Florence höflich.
