Die Rückkehr des Lord Percival - Betsy Collins - E-Book

Die Rückkehr des Lord Percival E-Book

Betsy Collins

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Beschreibung

Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. Lauter als nötig blätterte Lady Mildred eine Seite des neuen Lady's Magazine um. Lord Vincent sollte nicht glauben, sie würde sich für die Post interessieren, die er gerade las. Obwohl das Briefpapier genau den cremefarbenen Farbton von Percys letztem Brief aus Irland hatte. Die Vorstellung, ihr geliebter jüngerer Sohn könnte nicht ihr, wohl aber seinem älteren Bruder geschrieben haben … Lady Mildred unterdrückte einen Seufzer. Wie lange sehnte sie sich schon nach ein paar Zeilen von Percy! Warum ließ der Junge bloß nichts von sich hören? Jede Wette, sein irischer Chef überhäufte ihn mit Arbeit. Die Iren verfügten bekanntlich über eine recht derbe Konstitution. Anders als Percy, der schon als Kind zart gewesen war. Gewiss fiel er abends todmüde ins Bett und kam einfach nicht dazu, seiner Mutter zu schreiben. Falls er wegen der Strapazen einen Zusammenbruch erleiden sollte, wäre es Vincents Schuld. Der hatte Percy schließlich heimtückisch auf ein Schiff nach Irland verfrachtet. Diesen Verrat würde sie ihm niemals verzeihen. Der junge Fürst ließ den Brief sinken. "Percival möchte kurz vor Weihnachten nach Renwood Hall kommen. "Oh! ", stieß Lady Mildred hervor. Sie brauchte einen Moment, um die Nachricht sacken zu lassen. Nicht nur gab es endlich ein Lebenszeichen von Percy. Nein, sie durfte ihn sogar bald wieder in die Arme schließen!

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Seitenzahl: 126

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der aufstrebende Fürst – 6 –Die Rückkehr des Lord Percival

Betsy Collins

Lauter als nötig blätterte Lady Mildred eine Seite des neuen Lady’s Magazine um. Lord Vincent sollte nicht glauben, sie würde sich für die Post interessieren, die er gerade las. Obwohl das Briefpapier genau den cremefarbenen Farbton von Percys letztem Brief aus Irland hatte.

Die Vorstellung, ihr geliebter jüngerer Sohn könnte nicht ihr, wohl aber seinem älteren Bruder geschrieben haben … Lady Mildred unterdrückte einen Seufzer. Wie lange sehnte sie sich schon nach ein paar Zeilen von Percy! Warum ließ der Junge bloß nichts von sich hören?

Jede Wette, sein irischer Chef überhäufte ihn mit Arbeit. Die Iren verfügten bekanntlich über eine recht derbe Konstitution. Anders als Percy, der schon als Kind zart gewesen war. Gewiss fiel er abends todmüde ins Bett und kam einfach nicht dazu, seiner Mutter zu schreiben.

Falls er wegen der Strapazen einen Zusammenbruch erleiden sollte, wäre es Vincents Schuld. Der hatte Percy schließlich heimtückisch auf ein Schiff nach Irland verfrachtet. Diesen Verrat würde sie ihm niemals verzeihen.

Der junge Fürst ließ den Brief sinken. „Percival möchte kurz vor Weihnachten nach Renwood Hall kommen.“

„Oh!“, stieß Lady Mildred hervor. Sie brauchte einen Moment, um die Nachricht sacken zu lassen. Nicht nur gab es endlich ein Lebenszeichen von Percy. Nein, sie durfte ihn sogar bald wieder in die Arme schließen!

„Wirst du es ihm erlauben, Vincent?“, fragte Lady Florence.

Die Marchioness of Meadowby schnappte nach Luft. Ungehalten schaute sie ihre neunzehnjährige Tochter an, die neben ihr auf dem Sofa saß. „Ich muss mich doch sehr wundern, Florence. Was ist denn das für eine Frage? Selbstverständlich erlaubt er es. Alles andere wäre ja …“

Sie stockte. Lord Vincent verbot seinem Bruder doch gewiss nicht, nach Hause zu kommen? Das Recht dazu besaß er leider. Nach dem Tod seines Vaters war er jetzt nämlich der Marquess of Meadowby, das Familienoberhaupt. Hausherr von Renwood Hall. Er hatte Percy nach Irland geschickt, damit der seine Neigung zum Glücksspiel ablegte. War es möglich, dass er Percy die Sache mit den Spielschulden noch immer verübelte? So sehr, dass er ihm die Heimkehr untersagte?

Ihr Blick wanderte von der Tochter zum Sohn. Sie hoffte, dass Lord Vincent in ihren Augen nicht die bodenlose Abneigung las, die sie empfand. Schon gar nicht die Furcht vor seiner Antwort.

Und sie hatte Glück, denn er sah gar nicht sie, sondern Lady Florence an. „Ja, das werde ich. Percival ist im Frühling nach Irland gereist, und bald haben wir Weihnachten. Ich lasse mich gern davon überzeugen, dass er in der Zwischenzeit hinzugelernt hat.“

Lady Mildred presste die Lippen fest aufeinander. Percy war nicht nach Irland ‚gereist‘! Das klang ja geradezu, als hätte er das Schiff aus freien Stücken betreten. Dabei hatte Lord Vincent den Ahnungslosen mir nichts, dir nichts an Bord gezwungen.

„Schön“, meinte Lady Florence. „Nach allem, was wir aus Tipperary hören, bewährt er sich ja als Lehrer. Ich wäre so erleichtert, wenn er wirklich nicht mehr auf Pferde oder Karten wettet.“

„Und ich erst. Andernfalls muss ich ihm die Tür weisen. Das werde ich ihm auch unmissverständlich schreiben. Er ist in Renwood Hall willkommen, solange er die Finger vom Glücksspiel lässt. Ich will kein zweites Mal erleben, dass er die Familie fast in den Ruin treibt.“

Lady Florence nickte ernst. „Wir werden ein wachsames Auge auf ihn haben müssen.“

„So ist es.“

„Entschuldigt mich.“ Abrupt schlug Lady Mildred ihre Zeitschrift zusammen und stand auf. Sie ertrug nicht länger, wie die Geschwister über Percy redeten. Ja, er hatte aus jugendlichem Leichtsinn einen Fehler gemacht. Mehrere Fehler, wenn man denn päpstlicher als der Papst sein wollte. Aber Ruin … Gewiss übertrieb Lord Vincent. Er war halt eifersüchtig auf seinen jüngeren Bruder, dem die Herzen nur so zuflogen.

„Übrigens kommt er nicht allein“, ergänzte der Marquess of Meadowby.

Lady Mildred war schon fast an der Tür des Chinazimmers angekommen. Jetzt blieb sie stehen und drehte sich langsam um. Wen um alles in der Welt konnte Percy mitbringen wollen? Einen Kollegen aus dem Internat? Hoffentlich keinen gut aussehenden, leichtfertigen irischen Habenichts, der ihrer Tochter den Kopf verdrehte!

„So? Wen denn?“, fragte Lady Florence interessiert.

„Den Direktor des Internats. Mr. Fergal O’Sullivan.“

Die Marchioness rümpfte die Nase. Fergal. Was für ein zutiefst gewöhnlicher Name.

„Und dessen Tochter. Miss Shannon O’Sullivan.“

„Wie der längste irische Fluss also.“ Lady Mildred konnte es sich nicht verkneifen, mit ihrem Wissen zu glänzen. Ihre Kenntnisse über Irland waren sehr begrenzt, doch diesen Namen hatte ihr vor Jahrzehnten eine der Privatlehrerinnen eingetrichtert. Welch unnütze Information, hatte die junge Lady Mildred damals gedacht. Heute kam sie ihr gelegen.

Ein Kind nach einem Fluss zu benennen – das wurde ja immer besser! Man stelle sich vor, englische Eltern würden ihre Sprösslinge Themse, Mersey oder gar Great Ouse nennen! Lachhaft. Sie schickte einen stummen Dank an ihre Eltern, die bei der Namensgebung mehr Voraussicht an den Tag gelegt hatten. Mildred. Die Sanfte und zugleich Starke. Ein Name, den man mit Stolz tragen konnte, statt sich dafür schämen zu müssen.

„Wie nett“, meinte Lady Florence. „Ich platze regelrecht vor Neugierde auf die beiden. Immerhin haben sie Percy unter recht … nun, ungewöhnlichen Umständen kennengelernt. Ich meine, er wollte ja gar nicht nach Irland. Als du mir erzähltest, dass er als Reit- und Fechtlehrer in einem Internat arbeiten soll, war ich sehr skeptisch.“

„Hast du befürchtet, er würde bei der erstbesten Gelegenheit die Flucht ergreifen?“, fragte Lord Vincent.

„Ja. Oder sich nicht anstrengen. Es drauf anlegen, dass der Direktor ihm kündigt.“

Nachdenklich strich sich der 23-jährige Marquess mit einer Hand durch die kurzen dunkelbraunen Haare. „Den Gedanken fand auch ich ziemlich naheliegend. Zum Glück hat Percival uns überrascht. Mr. O’Sullivan äußert sich in seinen Briefen anerkennend über ihn. Nur aus dem Grund bin ich bereit, ihn hier willkommen zu heißen.“

„Wann treffen Percy und die O’Sullivans denn bei uns ein?“, meldete sich Lady Mildred ungeduldig zu Wort. Sie hatte genug davon, in dieser Unterhaltung keine Rolle zu spielen. Sollte sie etwa wie ein Ölgötze dastehen? Wie einer der Reiher, der zusammen mit Pagoden und Kirschblütenzweigen die kostbare Tapete im Chinazimmer zierte?

Sie war die Marchioness of Meadowby! Jedenfalls noch. Bis der Marquess im Frühling seine Verlobte heiratete. Danach würde Lady Helena den Titel führen. Vorläufig allerdings fiel es in Lady Mildreds Verantwortung, dass Gäste Renwood Hall von seiner besten Seite erlebten. Und sie gedachte, ihre Pflichten in den verbleibenden Monaten noch umsichtiger als sonst auszuüben. Die südenglische Aristokratie sollte sich voller Hochachtung an sie als Hausherrin erinnern.

Lord Vincent senkte den Blick auf den Brief. „Am 19. Dezember, schreibt Percival.“

„Ausgezeichnet. Zwei Tage später findet das Weihnachtssingen in Axbury Manor statt. Unsere Gäste werden entzückt sein. Womöglich gibt es so etwas in Irland gar nicht. Und was ist mit Mrs. O’Sullivan? Erweist sie uns ebenfalls die Ehre?“

Ihr Sohn schüttelte den Kopf. „Mr. O’Sullivan ist schon seit rund dreißig Jahren Witwer. Er hat nie wieder geheiratet.“

„Seit rund dreißig Jahren? Dann ist Miss Shannon also kein Kind, sondern eine erwachsene Frau.“

„Ganz recht. Sie leitet die Verwaltung des Internats.“

Lady Mildred zog die Brauen hoch. „Tatsächlich? Wie überaus – bemerkenswert.“

„Ich glaube, Miss O’Sullivan und ich werden uns prächtig verstehen“, sagte Lady Florence hoffnungsvoll. „Endlich habe ich Gelegenheit, mich mit einer anderen berufstätigen Frau auszutauschen.“

„Nun, ich schätze, ihr Vater hat sich für sie eingesetzt“, sagte die Marchioness säuerlich. Sie hielt nach wie vor nichts davon, dass der Marquess seine Schwester in die Leitung von Renwood Hall einbezog. Eine junge Dame, die sich mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigte … Welcher potenzielle Ehemann sollte daran Gefallen finden?

Lady Florence reckte das Kinn vor. „Vielleicht ist sie einfach gut in dem, was sie tut, Mama.“

„Als Eltern will man ja das Beste für seine Kinder“, fuhr Lady Mildred fort, ohne das Argument ihrer Tochter zu beachten. „Das gilt für Leute aus einfachen Verhältnissen genauso wie für unsereinen. Sicher hat Mr. O’Sullivan ihr einen Herrn zur Seite gestellt, der ihr auf die Finger guckt.“

„Mama …“ Weiter kam Lady Florence nicht.

„Entschuldigt mich“, fiel Lady Mildred ihr ins Wort. „Ich muss mit der Hausdame über die Unterbringung unserer Gäste sprechen. Guten Abend.“ Sie drehte sich um und verließ das Chinazimmer so eilig, dass der seidene Rock ihres schwarzen Witwenkleides raschelte.

„Guten Abend.“ Lord Vincent sagte es amüsiert, seine Schwester verdutzt.

„Wann wird Mama endlich akzeptieren, dass Frauen nicht nur Gouvernanten, Gesellschafterinnen und Lehrerinnen sein können?“, fragte Lady Florence kopfschüttelnd.

„Du tust ihr unrecht.“ Der Marquess lächelte schwach. „In Mutters Augen können Frauen auch Gattinnen und Mütter sein. Außerdem dürfen sie natürlich zum Hauspersonal gehören.“

„Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, sondern im Jahr 1838. Und auf dem englischen Thron sitzt eine Frau!“

„Mich brauchst du nicht zu überzeugen, Florence. Ich bin auf deiner Seite. Allerdings fürchte ich, dass deine Versuche, Mutter zu bekehren, nicht von Erfolg gekrönt sein werden.“

Die dunkelhaarige junge Frau seufzte. „Du hast recht. Es ist Zeitverschwendung, das weiß ich. Trotzdem kann ich einfach nicht stumm dasitzen, wenn solche Bemerkungen von ihr kommen. Ich hätte so gern, dass sie stolz auf mich ist.“

„Das wird sie schon noch sein. Spätestens wenn sich bei der nächsten Ernte herausstellt, dass du mit dem Einsatz des neuen Düngemittels recht hattest und unser Ertrag deutlich steigt.“

„Dann wird Mama garantiert sagen, du hättest mir auf die Finger geguckt“, widersprach Lady Florence verdrossen.

„Ich werde schon klarstellen, wer die Lorbeeren für dieses Projekt verdient.“

„Und ich glaube, du kannst reden bis zum Sankt Nimmerleinstag, Vincent. Mama will es einfach nicht wahrhaben. Vielleicht ist es sogar besser, dass sie das Thema ausblendet. Andernfalls müsste sie sich womöglich rund um die Uhr grämen, weil ich mich für unsere Ländereien interessiere. Wie ungehörig von mir!“

Lady Florence sah ihren Bruder an. Die beiden senkrechten Falten auf ihrer Stirn glätteten sich. „Wie steht Helena eigentlich zu dem Thema?“

„Sie findet es großartig, dass du mich unterstützt und so in der Herausforderung aufgehst.“

„Ich meine: Womit wird sie sich beschäftigen, wenn sie erst in Renwood Hall lebt?“

Lord Vincent zögerte kurz. „Ich denke, die Position der Marchioness of Meadowby wird sie durchaus fordern. Gerade anfangs.“

„Das glaube ich auch. Aber du hast eine gescheite Verlobte ausgewählt. Sie findet bestimmt rasch in ihre neue Rolle hinein. Zumal du, ich und auch Mama sie unterstützen werden. Aber was ist später? Vielleicht möchte auch Helena eine Herausforderung, in der sie aufgehen kann?“

Jetzt war es die Stirn des Marquess, in die sich Falten eingruben. „Wenn uns das Schicksal gnädig ist, werden wir Kinder bekommen. Die sind doch gewiss eine Herausforderung, die den Namen verdient?“

„Oh ja, und ich gönne sie euch von Herzen! Es wäre wundervoll, Neffen und Nichten zu haben. Tante Florence wird sie nach Strich und Faden verwöhnen.“

„Untersteh dich.“ Lord Vincent schmunzelte. Die Falten auf seiner Stirn verschwanden, doch ein Gedanke hatte sich eingenistet. Was, wenn die Kinder ausblieben?

Nach Lady Helenas Reitunfall vor wenigen Monaten hatte Dr. Drummond erklärt, eventuell könne sie keine Kinder zur Welt bringen. Sie hatte die Verlobung deswegen sogar lösen wollen. Glücklicherweise war es Lord Vincent gelungen, sie davon zu überzeugen, dass sie beide zusammengehörten – unter allen Umständen.

Er war zuversichtlich, dass Lady Helena ihm einen Erben schenken konnte, der den Fortbestand der Linie sicherte. Natürlich gab es dafür keine Garantie. Ihre Mutter beispielsweise, die Duchess of Parbrooke, hatte drei Töchter zur Welt gebracht. Keinen Sohn. Ein wesentlicher Grund für das Scheitern ihrer Ehe.

Lord Vincent würde seine Frau keinen Deut weniger lieben, wenn sie kinderlos blieben. Das stand fest. Allerdings bekam die Frage von Lady Florence angesichts der Option einer kinderlosen Ehe mehr Gewicht. Wünschte sich Lady Helena eine Beschäftigung, die über ihre Rolle als Marchioness of Meadowby hinausging?

Der junge Fürst fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Wieso hatte er sich noch nicht selbst mit diesem Thema beschäftigt? Er hielt sich für einen modernen Mann. War er es etwa nicht?

Lady Helena schlenderte Hand in Hand mit Lord Vincent durch den Landschaftspark von Axbury Manor. Seit ihrer offiziellen Verlobung durften sie ohne Anstandsdame spazieren gehen. Lady Helena fand diese Momente der Zweisamkeit wundervoll.

Sie musste an den Brief ihrer Patentante denken, der gestern eingetroffen war:

‚Sei nicht enttäuscht, wenn dein zukünftiger Ehemann bei näherem Kennenlernen weniger charmant und geistreich ist, als zunächst gedacht.

Wie hatte ich mich danach gesehnt, Zeit allein mit deinem lieben Onkel zu verbringen! Als ich es dann endlich durfte, büßte mein vermeintlicher Ritter in schimmernder Rüstung erheblich an Glanz ein. Das ging nicht nur mir selbst so, sondern auch etlichen meiner Freundinnen. Wir Frauen dürfen nicht zu viel erwarten.

Heute darf ich meine Ehe wohl mit Fug und Recht eine ausgesprochen erfolgreiche Verbindung nennen. Sie ist es aus folgendem Grunde: Ich habe meine Illusionen abgelegt. Dies ist der Rat, den ich dir mit auf den Weg geben möchte, liebe Helena. Führe dir immer wieder die guten Eigenschaften deines Verlobten – davon hat er gewiss einige – vor Augen. Rücke sie beharrlich in den Vordergrund, statt mit seinen Makeln – auch davon hat er gewiss einige – zu hadern. Dann wirst auch du eine erfolgreiche Ehe führen.’

Bislang konnte Lady Helena die Erfahrungen ihrer Patentante nicht bestätigen. Im Gegenteil, der Marquess of Meadowby stieg mit jedem Treffen in ihrer Achtung. Er war aufmerksam, fürsorglich und zuvorkommend. Er interessierte sich für ihre Ansichten und fragte sie oft nach ihrer Meinung. Er gab ihr das Gefühl, wirklich wichtig für ihn zu sein.

Heute war er schweigsamer als sonst. Eine Weile hörte man nur das Plätschern des Baches, der gemächlich neben dem Weg entlangfloss. „Siehst du Percivals Ankunft mit gemischten Gefühlen entgegen?“, fragte Lady Helena.

Lord Vincent drückte die Hand seiner Verlobten leicht. „Du kennst mich schon erstaunlich gut.“

„Ist das vorteilhaft oder bedauerlich?“

„Vorteilhaft. Schließlich musst du wissen, worauf du dich einlässt, wenn du mit mir vor den Traualtar trittst.“

„Das gilt umgekehrt natürlich auch für dich.“

„In der Tat. Und ich darf sagen: Je besser ich dich kennenlerne, desto mehr freue ich mich auf unser gemeinsames Leben.“ Er hob Lady Helenas Hand zum Mund und küsste sie.

Ein köstlicher Schauer rieselte ihr über den Rücken, als Lord Vincents Lippen ihre Haut berührten. Wie gut, dass sie die schwarzen Handschuhe ausgezogen und in die Tasche ihres schwarzen Capes gesteckt hatte. Das war zwar unschicklich, aber solange sie niemand sah …

„Du hast ganz recht“, meinte der junge Fürst. „Der bevorstehende Besuch löst keine ungetrübte Freude in mir aus. Dafür war Percival zu verantwortungslos. Ich hoffe aufrichtig, dass er das Glücksspiel aufgegeben hat. Und zwar nicht aus Mangel an Gelegenheit, sondern aus Überzeugung.“

„Vielleicht ist er in Irland tatsächlich zur Vernunft gekommen.“

„Gewiss wünscht sich das niemand mehr als ich. Allerdings traue ich dem Braten nicht so ganz. Percival hat in der Vergangenheit so oft Grenzen überschritten …“

Lady Helena hatte ihn als oberflächlichen jungen Mann in Erinnerung, der sich seines guten Aussehens und der Bewunderung der Damen nur allzu bewusst war. Zudem vergötterte Lady Mildred ihn. In ihren Augen konnte er nichts falsch machen. Keine idealen Bedingungen für harmonische Verhältnisse in Renwood Hall – wo Lady Helena nach der Hochzeit Hausherrin sein würde.