Im Rausch der Hoffnung - Betsy Collins - E-Book

Im Rausch der Hoffnung E-Book

Betsy Collins

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Beschreibung

Aus heiterem Himmel erfährt der junge Marquess of Meadowby, dass seine Familie wegen Percivals Spielschulden vor dem Ruin steht. Damit droht Vincent der Verlust seiner großen Liebe: Lady Helena. Als verarmter Adliger kann er ihr kein angemessenes Leben bieten. Ihr Vater, der Duke of Parbrooke, will sie mit dem Textilfabrikanten Frederick Chester verheiraten. Das ist die spannende, prekäre Situation, wie sie sich zu Beginn dieser großherrschaftlichen Familiensaga um einen herausragenden, außergewöhnlichen Lord darstellt. »Könnt ihr nicht ein Mal ruhig sein? Ist das zu viel verlangt? Ein einziges verdammtes Mal?« Lady Mildred erschrak. Sie fluchte doch nicht. Nie! Mit einem Schlag war sie hellwach und blickte sich um. Auf dem Nachttisch stand ihre erste Tasse Tee des Tages. Offenbar war Edna, ihre Zofe, unbemerkt herein- und wieder hinausgehuscht. Nicht auszudenken, wenn sie die Marchioness of Meadowby gehört hätte! Ungehalten sah Lady Mildred auf die schweren brombeerfarbenen Samtvorhänge ihres Schlafzimmers. Jenseits der Fenster erklang das Vogelgezwitscher, das sie geweckt hatte. Ganz deutlich hörte sie die Stimmen der Goldhähnchen heraus. Normalerweise erfüllte diese Tatsache sie mit Genugtuung. Schließlich sangen Goldhähnchen höher als die meisten Vögel Englands. Viele Menschen konnten sie gar nicht hören – im Gegensatz zu Lady Mildred. Mit 48 Jahren mochten sich zwar immer mehr graue Exemplare in ihre braunen Haare schleichen, doch ihr Gehör funktionierte nach wie vor tadellos! Trotzdem fühlte sie sich heute schon beim Aufwachen mürrisch. Ihre Schläfen pochten leise. Außerdem hatte sie einen unangenehm pelzigen Geschmack auf der Zunge.

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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der aufstrebende Fürst – 12 –Im Rausch der Hoffnung

Unveröffentlichter Roman

Betsy Collins

»Könnt ihr nicht ein Mal ruhig sein? Ist das zu viel verlangt? Ein einziges verdammtes Mal?«

Lady Mildred erschrak. Sie fluchte doch nicht. Nie!

Mit einem Schlag war sie hellwach und blickte sich um. Auf dem Nachttisch stand ihre erste Tasse Tee des Tages. Offenbar war Edna, ihre Zofe, unbemerkt herein- und wieder hinausgehuscht. Nicht auszudenken, wenn sie die Marchioness of Meadowby gehört hätte!

Ungehalten sah Lady Mildred auf die schweren brombeerfarbenen Samtvorhänge ihres Schlafzimmers. Jenseits der Fenster erklang das Vogelgezwitscher, das sie geweckt hatte. Ganz deutlich hörte sie die Stimmen der Goldhähnchen heraus.

Normalerweise erfüllte diese Tatsache sie mit Genugtuung. Schließlich sangen Goldhähnchen höher als die meisten Vögel Englands. Viele Menschen konnten sie gar nicht hören – im Gegensatz zu Lady Mildred. Mit 48 Jahren mochten sich zwar immer mehr graue Exemplare in ihre braunen Haare schleichen, doch ihr Gehör funktionierte nach wie vor tadellos!

Trotzdem fühlte sie sich heute schon beim Aufwachen mürrisch. Ihre Schläfen pochten leise. Außerdem hatte sie einen unangenehm pelzigen Geschmack auf der Zunge. Nun, den würde der Tee schon vertreiben.

Sie richtete sich auf – und presste ächzend die Fingerspitzen beider Hände an die Schläfen. Ohne Vorwarnung hatte sich das leise Pochen in ein ausgewachsenes Hämmern verwandelt.

Lady Mildred wartete, bis sich ihr Schlafzimmer nicht mehr zu drehen schien. Dann nahm sie die Tasse vom Nachttisch und trank einen großen Schluck. Angewidert verzog sie das Gesicht. Der Tee war ja eiskalt!

»Oh!«, stieß sie hervor – und bereute es sofort, denn das Hämmern in ihrem Kopf wurde stärker.

Entrüstet stellte sie die Tasse zurück. Was fiel Edna ein? Ihre Herrin wünschte den Tee jeden Morgen zur selben Zeit. Und zwar warm. Das verstand sich ja wohl von selbst.

Nahm Edna es mit ihren Pflichten etwa nicht mehr so genau, weil Lady Mildreds Stern im Sinken begriffen war? Nach der Hochzeit ihres ältesten Sohnes im kommenden Monat würde seine Braut, Lady Helena, die Marchioness of Meadowby sein. Die neue Herrin von Renwood Hall.

Lady Mildred beabsichtigte, sich mit mustergültiger Würde zurückzuziehen. Genau genommen sollte dies die vorbildlichste, harmonischste Übergabe von Schwiegermutter an Schwiegertochter aller Zeiten werden. Aber falls Edna glaubte, ihre Pflichten schleifen lassen zu können, war sie schief gewickelt. Und das sollte sie auch so schnell wie möglich erfahren.

Mit finsterer Miene streckte die Marchioness eine Hand nach der Klingelschnur aus, die zwischen Bett und Nachttisch hing. Dabei fiel ihr Blick auf die vergoldete Rokoko-Uhr neben der Teetasse. Halb zehn? So spät? Konnte das stimmen?

Sie kniff die Augen leicht zusammen. Doch, die Zeiger auf dem emaillierten blauen Ziffernblatt waren eindeutig. Und in all den Jahren, in denen Edna nun schon Zofe in Renwood Hall war, hatte sie die Uhr stets zuverlässig aufgezogen.

Zögernd ließ Lady Mildred die Hand sinken. Womöglich sollte sie Edna besser doch nicht wegen des kalten Tees zur Rede stellen …

Jetzt ertönte draußen noch etwas anderes als Vogelgezwitscher. Die Räder einer Kutsche drehten sich auf dem Kies vor dem Herrenhaus. Dieses Geräusch erkannte Lady Mildred ebenso traumwandlerisch sicher wie das Zwitschern eines Goldhähnchens.

Sie schlug die Bettdecke zurück und ging so rasch zu einem der langen Fenster, wie ihre Kopfschmerzen es zuließen. Vorsichtig zog sie den Samtvorhang zurück und spähte hinaus.

Die zweitbeste Kutsche des Marquess of Meadowby fuhr die breite Auffahrt hinunter. Vermutlich musste Lord Vincent, ihr Erstgeborener, zu einem geschäftlichen Termin.

Zum Glück stand also kein Besuch vor der Tür. Dem wäre Lady Mildred jetzt nämlich nicht gewachsen gewesen. Langsam schlurfte sie zurück, legte sich wieder ins Bett und schloss die Augen. So, mit dem Hinterkopf im weichen Kissen, ließ es sich aushalten.

Es klopfte leise. Aus Rücksicht auf ihre pochenden Schläfen verzichtete Lady Mildred darauf, »Herein« zu rufen. Um diese Zeit konnten es nur ihre Zofe oder ihre Tochter sein.

Die Tür klickte kaum hörbar. Ein langer Rock raschelte. »Guten Morgen, Mylady«, sagte eine vertraute Stimme leise.

»Guten Morgen, Edna«, murmelte die Marchioness.

»Verzeihen Sie bitte die Störung. Ich war beunruhigt, weil ich noch nichts von Ihnen gehört habe. Da wollte ich kurz nach Ihnen sehen.«

Matt öffnete Lady Mildred die Augen. Ihre Zofe stand mit einem rechteckigen Holztablett da, an dessen schmalen Seiten die Beine ausgeklappt waren.

»Sind Sie unpässlich, Mylady?«

»Kopfschmerzen.« Da das Pochen in ihren Schläfen beim Sprechen zunahm, hielt sie es für das Beste, sich auf möglichst wenige Silben zu beschränken.

»Oh, das tut mir leid, Mylady. Soll ich nach dem Doktor schicken?«, flüsterte Edna.

»Nein.«

»Ich habe mir erlaubt, Ihnen Frühstück zu bringen, Mylady. Falls Sie keinen Appetit haben, trinken Sie vielleicht wenigstens einen Tee? Es ist Bohea. Ihre Lieblingssorte. Der auf dem Nachttisch ist bestimmt schon kalt.«

Noch vor fünf Minuten hätte die Marchioness ausgeschlossen, je wieder auch nur einen einzigen Bissen herunterzubringen. Jetzt musterte sie begehrlich die Kanne, die zwischen einer großen und einer kleinen silbernen Wärmekuppel auf dem Tablett stand. »Nun gut.«

»Ich schüttle Ihr Kissen auf, dann können Sie sich bequem anlehnen.« Edna deponierte das Tablett auf dem Nachttisch und wartete, während sich ihre Herrin im Zeitlupentempo aufrichtete.

Lady Mildred versuchte, den Kopf ganz gerade zu halten. Er kam ihr viermal so schwer vor wie sonst. Sie musste sich redlich mühen, nicht zusammenzuzucken, als ihre Zofe das Kissen packte und resolut aufschüttelte. Wie konnte man weichen Daunen und zartem Stoff nur derart ohrenbetäubende Geräusche entlocken?

Edna lehnte das Kissen an das Kopfteil, holte ein Bettjäckchen aus dem Schrank und hielt es der Marchioness hin. Langsam schlüpfte die in das schwarze Wolljäckchen mit einer Borte aus Mußelin am Ausschnitt und an den Ärmelbündchen. Dann ließ sie sich erschöpft in das Kissen sinken.

Edna platzierte das Tablett so auf dem Bett, dass die Beine der schmalen Seiten rechts und links von den Oberschenkeln ihrer Herrin standen. Vorsichtig schenkte sie den dunklen Tee aus der Kanne in eine hauchdünne weiße Porzellantasse.

Der rauchige Duft stieg hoch. Kein Anzeichen von Übelkeit, dachte Edna erleichtert. Sie legte die Hände um die glänzenden Knäufe der beiden silbernen Wärmekuppeln. »Darf ich, Mylady?«

»Ja.«

Edna hob die Kuppeln hoch und trat einen Schritt zurück.

Auf dem großen Teller lagen goldgelbes Rührei, knusprige Speckstreifen, gebratene Pilze und Toast mit geschmolzener Butter. Bei dem Anblick lief Lady Mildred das Wasser im Munde zusammen.

Aufmerksam beobachtete Edna ihre Herrin. Die aß in letzter Zeit für gewöhnlich Porridge zum Frühstück. Empfand sie es als Anmaßung, dass unter der kleineren Wärmekuppel nur ein Schälchen Porridge zum Vorschein kam? Auf das Tablett hatte beim besten Willen keine stattlichere Portion gepasst.

Eine gute Zofe ahnte die Bedürfnisse ihrer Mylady voraus. Und Edna glaubte zu wissen, dass Lady Mildred heute ein Katerfrühstück brauchte.

Natürlich hatte sie fragen müssen, ob sie nach dem Arzt schicken sollte. Alles andere wäre eine Pflichtverletzung gewesen. Aber sie war heilfroh, dass die Marchioness abgelehnt hatte, Dr. Drummond zu alarmieren. Dem wäre Lady Mildreds süßlicher Sherry-Atem nämlich ebenso wenig entgangen wie Edna …

Allein bei der Vorstellung lief der Zofe ein Schauer über den Rücken. Keine Dienstbotin schätzte es, wenn ihre Herrin vor Dritten eine Schwäche zeigte.

Sie schaute zu, wie Lady Mildred am Tee nippte, eine Gabel Rührei zum Mund führte und genüsslich kaute. Ihr Mund war noch nicht vollständig leer, da biss sie schon vom Toast ab.

In diesem Moment empfand Edna fast so etwas wie Missbilligung für ihre Herrin. Sie war ganz und gar kein Moralapostel. Bestimmt konnte jeder nachvollziehen, dass sich die Marchioness gestern nach der großen Neuigkeit einen Schluck genehmigt hatte. Edna konnte auch verstehen, warum es nicht bei einem einzigen Sherry geblieben war.

Aber angesichts ihrer Verfassung musste Lady Mildred schon ziemlich tief ins Glas geschaut haben. Das gehörte sich einfach nicht für eine Lady.

Edna hielt ihr zugute, wie unwillkommen die Nachricht gewesen war. Na ja, vielleicht nicht die Nachricht an sich. Die Marchioness hatte sicher nicht erwartet, ihr jüngerer Sohn werde sein Leben lang Junggeselle bleiben. Aber mit einer Schwiegertochter wie dieser hatte sie garantiert nicht gerechnet.

Das stimmte Edna milder. Gleichzeitig sah sie sich in der Pflicht, Lady Mildred zurechtzustutzen. Natürlich nur in dem bescheidenen Rahmen, der einer Zofe gebührte. Aristokratinnen hatten ja sonst niemanden, der ihnen mehr oder weniger ungeschminkt die Wahrheit sagte. Der ihnen einen Wink mit dem Zaunpfahl gab, wenn sie sich vergaßen. Wenn sie riskierten, dass man sie durch den Kakao zog. Und wenn dadurch auch ihre Zofe als engste Mitarbeiterin in Verruf geriet.

»Darf ich mir erlauben, Ihnen ganz herzlich zu gratulieren«, begann Edna deshalb leise, aber entschieden, als die Marchioness einen gebratenen Pilz auf die Gabel spießte. »Mr. Wilson hat dem Personal heute beim Frühstück mitgeteilt, dass Lord Percival heiraten wird. «

Lady Mildred erstarrte. Jäh fiel ihr ein, warum sie mit so schlechter Laune aufgewacht war. Warum es sie ausnahmsweise nicht erfreut hatte, dass sie noch immer die hohen Stimmen der Goldhähnchen hören konnte. Warum sie gestern so viel Sherry getrunken hatte, um ihren Kummer zu ertränken.

Dann war es also nicht bloß ein böser Traum gewesen. Und auch kein schlechter Scherz von Lord Vincent, der sie gestern informiert hatte.

»Wilson«, wisperte sie. Konnte man noch irgendetwas retten, wenn sogar schon der Butler Bescheid wusste und das übrige Personal informiert hatte?

Die Marchioness wirkte so erschüttert, dass Edna Mitleid bekam. Nun, es nützte alles nichts. Sie musste ihrer Herrin in Erinnerung rufen, was sich gehörte. »Ja, Mylady. Lord Vincent hat es dem Butler erzählt. Und der wiederum uns. Sicher wollte Mylord nicht, dass wir es aus der Times erfahren.«

Natürlich. Lord Percival würde veranlasst haben, dass eine Verlobungsanzeige in der Zeitung erschien. Alle Adeligen auf dieser und der irischen Insel würden sie lesen. Lady Mildreds Herz sank.

»Ich wünsche Lord Percival und seiner Verlobten alles, alles Gute«, fuhr Edna fort. »Natürlich auch Ihnen, Mylady. Wenn Lord Vincent nächsten Monat Lady Helena heiratet, wird sein jüngerer Bruder also bereits als verlobter Gentleman mitfeiern. Und bestimmt bringt er seine Zukünftige mit. Wie aufregend!«

»Aufregend«, wiederholte Lady Mildred mit tonloser Stimme. Ja, es war in der Tat so aufregend, dass sie gute Aussichten hatte, vom Schlag getroffen zu werden.

Dann müsste sie den Hochzeitstag des Marquess of Meadowby wenigstens nicht erleben. Nicht mitansehen, wie die edlen Gäste ihre Nasen rümpften angesichts des Bauerntrampels, mit dem sich sein jüngerer Bruder in einem Anfall geistiger Umnachtung verlobt hatte. Ob Lord Vincent dem Butler wohl auch gesagt hatte, auf wen Percys Wahl gefallen war?

Edna faltete die Hände vor dem Körper. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Mylady: Miss O’Sullivan hat beim gesamten Personal von Renwood Hall einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen, als sie Weihnachten hier war.«

»Mhm«, brummte Lady Mildred resigniert. Damit hatte sich ihre Frage beantwortet. Sie konnte nicht hoffen, Percy zur Vernunft zu bringen, bevor sich herumsprach, mit wem er sich verlobt hatte.

Shannon O’Sullivan. Eine bürgerliche, deutlich ältere Frau, die fast so groß war wie er und selbst bei ausgeprägtem Wohlwollen nicht als schlank durchging. Dazu dieses breite, mit Sommersprossen übersäte Gesicht, die ständig roten Wangen, die grässliche Naturkrause … Wie konnte Percy seiner Mama das nur antun? Wusste er denn gar nicht mehr, was er seiner Familie schuldete?

»Genau wie ihr Vater«, ergänzte Edna. »Mr. O’Sullivan. So ein eleganter, gebildeter Herr.«

Langsam hob die Marchioness ihre Gabel zum Mund und aß den gebratenen Pilz. Richtig. Fergal O’Sullivan. Der einzige Lichtblick in diesem Schlamassel.

Leider trug er einen sehr gewöhnlichen Vornamen. Dafür konnte er allerdings nichts. Außerdem war sonst nichts an ihm gewöhnlich. Wie hatte ein so kultivierter Herr nur eine derart schlichte Tochter in die Welt setzen können? Shannon musste ganz nach seiner verstorbenen Frau geraten sein.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte Lady Mildred seit Weihnachten oft an den irischen Internatsdirektor gedacht. Seine warmen haselnussbraunen Augen, die angenehm tiefe, tragende Stimme …

Sie trank einen Schluck Tee. Dann widmete sie sich dem Rührei. Vielleicht war ja noch nicht alle Hoffnung verloren?

Wunder durfte man bei der Ausgangsposition leider keine erwarten. Aber eine Friseurin, die ihr Handwerk verstand, konnte doch gewiss etwas halbwegs Ansehnliches aus Shannon O’Sullivans störrischer Naturkrause zaubern? Und ein vorteilhaftes Kleid dürfte für eine gute Schneiderin kein Problem sein.

Hoffentlich kam Miss O’Sullivan von selbst auf die Idee, beim Essen kürzerzutreten. Wenn sie noch denselben gesunden Appetit an den Tag legte wie während ihres Aufenthalts in Renwood Hall, müsste die Schneiderin schon sehr gut sein.

Man durfte doch erwarten, dass die Irin berücksichtigte, welch vornehme Gäste an Lord Vincents und Lady Helenas Hochzeit teilnahmen. Würde sie nicht versuchen, sich als Percys Verlobte im besten Licht zu zeigen? Auch eine Bürgerliche musste wissen, dass dies Ehrensache war.

»Darf ich Ihnen Tee nachschenken, Mylady?«, unterbrach Edna sanft die Überlegungen ihrer Herrin.

»Ja. Und Sie brauchen nicht zu warten, bis ich mit dem Frühstück fertig bin. Ich fühle mich schon ein wenig besser.«

»Ach, das freut mich, Mylady.« Die Zofe goss Tee in die weiße Tasse, machte aber keine Anstalten, den Raum zu verlassen.

»Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?«, fragte Lady Mildred argwöhnisch. Eine weitere Hiobsbotschaft konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen.

»Ich möchte Ihnen nur in aller Bescheidenheit sagen, wie froh ich bin, Ihre Zofe sein zu dürfen, Mylady. Ich weiß, meine Meinung ist unwichtig, und ich möchte nicht vorlaut erscheinen. Aber …«

»Fahren Sie fort.« Die Marchioness steckte sich das letzte Stückchen Toast in den Mund. Es hatte ganz den Anschein, als würde sie ein Kompliment zu hören bekommen. Genau das brauchte sie jetzt.

»Nun, ich finde es beeindruckend, wie klug Sie mit allen – Ereignissen – des Lebens umgehen, Mylady. Sie sind ein großes Vorbild für jede Dame in diesem Königreich. Das wollte ich Ihnen einfach mal sagen.«

Man brauchte keine Kristallkugel, um zu wissen, dass Lord Percivals Entscheidung eine harte Prüfung für seine Mutter darstellte. Auch eine ungebildete Frau wie Edna ahnte es. Sie wollte ihrer Herrin Respekt zollen. Das war ja nicht verwerflich.

Zumal ihre Worte der Wahrheit entsprachen. Lady Mildred hatte sich mustergültig verhalten, nachdem Edna ihr die unglückselige Verlobung in Erinnerung gerufen hatte. Jeder Zoll eine Marchioness war sie geblieben, statt zu jammern und sich die Haare zu raufen – was sie am liebsten getan hätte.

Sie nickte huldvoll. »Ich tue lediglich meine Pflicht für meine Familie. Sie können jetzt gehen.«

»Jawohl, Mylady.« Edna knickste und verließ das Schlafzimmer. Es hätte sie überrascht, wenn morgen ein weiteres Katerfrühstück fällig gewesen wäre. Lady Mildreds Brummschädel dürfte ein einmaliger Ausrutscher bleiben. Die Marchioness war dabei, sich mit der Verlobung abzufinden. Edna musste sich keine Sorgen um den Ruf ihrer Herrin – und ihren eigenen – machen.

Lady Mildred nahm das Schälchen mit dem Porridge. Während sie nachdenklich löffelte, keimte Selbstmitleid in ihr auf. So weit war es also gekommen, dass sie sich über ein Kompliment ihrer Zofe freute.

Ihr Erstgeborener, Lord Vincent, und ihre Tochter, Lady Florence, ließen beschämend wenig Wertschätzung erkennen. Alle uneigennützigen Mühen der Marchioness, all ihr Streben zugunsten der Familie nahmen sie als selbstverständlich hin. Und Percy, ihr Augapfel, befand sich weit weg in Irland …

Ein vages Bild stieg in Lady Mildreds Hinterkopf auf. Gestern hatte Lord Vincent sie über Lord Percivals Verlobung informiert. Und ihre spontane Reaktion war – nun ja, nicht unbedingt gelassen ausgefallen. »Diese grobschlächtige Person wird nie meine Schwiegertochter!«, hatte sie gerufen. »Niemals! Ich erlaube es nicht!«