Das gefallene Imperium - Codename Ganymed 3: Vergeltung - Stefan Burban - E-Book

Das gefallene Imperium - Codename Ganymed 3: Vergeltung E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Die Hinrady. Die Erkenntnis, dass die ehemaligen Sklaven der Nefraltiri hinter dem Angriff auf den Präsidenten stecken, erschüttert die Republik in ihren Grundfesten. Doch nun weiß man zumindest, wer seine Finger im Spiel hat – und holt zum Gegenschlag aus. Republikanische Streitkräfte gehen in großem Umfang gegen Hinrady-Siedlungen vor. Doch der vermeintlich vernichtende Coup gegen den Feind entpuppt sich als gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die ins Kampfgebiet entsandten Legionen bleiben auf ihrem Vormarsch stecken. Sie müssen unzählige kleine Nadelstiche hinnehmen, die sie langsam ausbluten. Gleichzeitig wird die Lage an der Heimatfront immer verzweifelter. Vector Prime mutiert zum Polizeistaat, Paranoia grassiert allerorts. Bis Lieutenant General Finn Delgado, Oberkommandierender der Schattenlegionen, die Situation nicht länger hinnimmt – und sich entscheidet, dagegen anzukämpfen …

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Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Mai 2023 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Giusy Lo Coco Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-890-8 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-891-5 Die sechs Romane dieser Mini-Serie erscheinen auch gesammelt in zwei Hardcover-Ausgaben, sie sind direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

1

Der Zugriff erfolgte in den frühen Morgenstunden lediglich einen Tag nach der Geiselnahme. Die Schattenlegionäre brachen mühelos die Tür auf und stürmten die kleine Wohnung am Stadtrand von Cibola.

Die Person im Inneren griff nach der unter dem Kissen deponierten Nadelpistole und richtete sich auf. Als der Mann erkannte, dass er von acht voll gerüsteten und bewaffneten Schattenlegionären umringt war, ließ er die Waffe fallen und sich von den Soldaten widerstandslos festnehmen.

Die Elitesoldaten zwangen ihn auf die Knie und verdrehten dem Gefangenen grob die Hände auf den Rücken, bevor sie diese mittels Kabelbinder fesselten.

Ein Offizier trat vor und musterte den Mann am Boden voller Abscheu. »Lewis Stockwell, Sicherheitschef des Präsidenten, ich verhafte Sie hiermit wegen Verschwörung, Hochverrat und Beihilfe zum Mord.« Der Mann machte eine knappe Geste. »Nehmt ihn mit.«

»Sie begehen einen schrecklichen Fehler.«

Der Offizier betrachtete den Sicherheitschef des Präsidenten ohne jedes Mitleid. »Das sagen sie alle«, erklärte er.

Stockwell wurde unsanft auf die Beine gehievt und aus seiner Wohnung geführt. Das Gesicht des Sicherheitschefs war kreidebleich und vor Schock brachte er kein einziges weiteres Wort mehr heraus.

* * *

Präsident Mason Ackland stand vor dem Fenster seines Büros und blickte auf die Skyline von Cibola hinaus. Fassungslos schüttelte er den Kopf.

»Das glaube ich einfach nicht«, beteuerte er immer wieder. »Ich kenne den Mann seit beinahe fünfzehn Jahren.«

Außer dem Präsidenten waren noch Major General Lyonel Marsden, General of the Legions René Castellano sowie Lieutenant General Finn Delgado anwesend. Auf allen Gesichtern spielte sich dieselbe Niedergeschlagenheit wider.

Die Generäle wechselten betretene Blicke. Wortlos einigten sie sich darauf, dass Marsden das Wort ergreifen sollte. Der Stabschef des Präsidenten trat vor und bewegte dabei langsam den rechten Arm. Dieser war nach der Schussverletzung, die er sich während des versuchten Anschlags auf Ackland zugezogen hatte, wieder halbwegs verheilt. Er schmerzte aber immer noch. Die Muskeln mit einigen speziellen Übungen zu lockern, half da ein wenig.

»Ich kann Sie gut verstehen, Herr Präsident«, begann Marsden. »Sogar sehr gut. Es trifft einen ins Mark, wenn man hintergangen wird. Ich weiß das. Aber die ermittelten Beweise sind unmissverständlich. Stockwell lieferte den Verschwörern wichtige Details zu den Sicherheitsvorkehrungen auf dem Anwesen. Außerdem sorgte er höchstpersönlich dafür, dass die abtrünnigen Legionäre für die Schutztruppe ausgewählt wurden. Ihm allein ist es zu verdanken, dass die Verräter überhaupt Zugang zur Anlage erhielten. Das war jetzt schon das zweite Mal, dass man versuchte, die Präsidentschaftskandidaten auszuschalten.«

Finn Delgado sah ruckartig auf. »Bei allem Respekt, Lyonel. Das ist so nicht ganz korrekt. Lieutenant Tammy Rogers’ Bericht legt nahe, dass diese Männer auf der Suche nach irgendetwas waren. Und dazu brauchten sie Zugang zum geheimen Regierungsnetzwerk. Alles andere war nur Beiwerk und sollte uns auf eine falsche Fährte locken.«

Marsden rümpfte die Nase. »Davon bin ich nicht überzeugt. Wenn etwas aussieht wie eine Ente, sich anhört wie eine Ente und so klingt wie eine Ente, dann ist es ganz bestimmt kein Schwan.«

Delgado schnaubte und machte damit klar, was er von dem Vergleich des anderen Generals hielt. »Ich halte mich lediglich an die Fakten und die deuten darauf hin, dass hier etwas Größeres im Gange ist.«

Bevor Marsden darauf antworten konnte, drehte sich der Präsident endlich zu seinen Gästen um. Er hob beschwichtigend beide Hände. »Meine Herren, ich habe Sie nicht hergebeten, damit ich Ihnen beim Streiten zuhören kann. Die Republik befindet sich in einer schweren Krise. Jemand hat es auf uns abgesehen. Wir befinden uns ohne jeden Zweifel im Fadenkreuz einer fremden Macht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht, aber mir ist extrem unwohl bei dem Gedanken zumute. Sogar Teile des Militärs scheinen korrumpiert worden zu sein.«

Abermals wechselten die Generäle betretene Blicke. Sogar Delgado machte den Eindruck, als wäre ihm plötzlich nicht ganz wohl bei der Sache. Die Loyalität des Militärs sicherzustellen, fiel in sein Ressort. Mason Ackland sah von einem zum anderen und kniff leicht die Augen zusammen.

»Was entgeht mir hier? Was haben Sie mir noch nicht gesagt?«

Delgado hüstelte sich. »Es wurden bei Stockwell gewisse Funde gemacht.«

Ackland neigte den Kopf zur Seite. »Gewisse Funde?«, hakte er nach, indem er die zwei Worte leicht in die Länge zog.

Nun war es Castellano, der darauf einging. »Ein Kommunikationsgerät. Die auf dem Gerät gespeicherten Protokolle sind verschlüsselt. Es ist uns noch nicht gelungen, sie zu decodieren. Aber die enthaltenen Nachrichten wurden in Hinradysprache verfasst. In dem Punkt sind unsere Experten absolut sicher.«

Ackland stieß ein kurzes Zischen aus. »Die Hinrady also.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Aber das ergibt keinen Sinn. Die haben sich nie für republikanische Politik interessiert. Warum sollten sie auf einmal versuchen, in den Wahlkampf einzugreifen?«

»Das stützt meine Theorie, dass hier etwas anderes vorgeht«, sprang Delgado sofort ein.

Marsdens Kopf zuckte hoch. »Dafür gibt es keinen schlüssigen Beweis.«

Delgado fletschte die Zähne. Die sture Haltung des anderen Generals fiel ihm gehörig auf die Nerven.

Bevor die Auseinandersetzung der Streithähne eskalieren konnte, fuhr Castellano fort. »Es gibt noch mehr, Herr Präsident. Das Kommunikationsgerät deutet darauf hin, dass Stockwell noch mit anderen Personen darüber in Verbindung getreten ist. Mit Menschen. Hier auf Vector Prime.« Der Oberbefehlshaber der republikanischen Bodentruppen leckte sich über die Lippen. »Alles deutet auf ein regelrechtes Netzwerk von Verschwörern hin. Die Gefahr vor Ort ist noch lange nicht gebannt. Ich würde mich wirklich bedeutend wohler fühlen, wenn wir Sie nach Perseus evakuieren dürften. Dort könnten wir Ihren Schutz wesentlich umfassender garantieren.«

Mason Ackland reagierte zunächst überhaupt nicht. Er kehrte zu seinem Platz am Fenster zurück und stierte hinaus auf die Welt, zu deren Schutz er einst sogar zur Waffe gegriffen hatte. Der Präsident seufzte.

»Erinnern Sie sich noch? An den Krieg hier auf Vector Prime? Und an all die zerstörten Städte, die obdachlosen, hungernden Menschen, die Berge von Leichen, die Jackury und Hinrady hinterlassen haben? Wir hatten gesiegt, aber der Preis, den wir dafür zahlen mussten, war furchtbar hoch.« Ackland deutete zum Fenster hinaus. »Aber wir haben den Planeten seitdem in ein Utopia verwandelt. Grüne Flächen, lebendige Metropolen – und vor allem Frieden.« Ackland straffte seine Gestalt und zog den einteiligen Anzug glatt. Mit neu erwachter Entschlossenheit drehte er sich zu den drei Generälen um. »Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand daherkommt und diese Welt abermals in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt.« Er sah von einem zum anderen. »Es ist mir gleichgültig, wer von Ihnen mit seiner Einschätzung letztendlich recht hat. Die Hinrady scheinen auf jeden Fall für diesen Aufruhr und den Verrat unter unseren Leuten verantwortlich zu sein. Dafür müssen sie bestraft werden.« Ackland fasste Delgado und Castellano ins Auge. »Führen Sie eine Strafexpedition durch. Bringen Sie den Hinrady bei, dass auch sie einen hohen Preis zu zahlen haben, wenn sie unsere Bürger bedrohen.«

Der Präsident wandte sich Major General Lyonel Marsden zu. »Für Sie habe ich eine andere Aufgabe. Mir fehlt ein Sicherheitschef. Diesen Posten übernehmen Sie. Nicht nur für mich. Ich ernenne Sie zum planetaren Sicherheitschef von Vector Prime. Und Ihr erster Auftrag wird sein, die Verschwörer aus ihren Löchern zu zwingen. Lassen Sie nicht zu, dass sich auch nur einer von ihnen versteckt. Meine Amtszeit als Präsident endet bald, aber vorher werden wir Vector Prime und die gesamte Republik wieder sicher machen. Das schwöre ich!«

* * *

»Alles hört auf mein Kommando … Aaachtung!« Die Stimme Sergeant Major Lester Sullivans hallte über den Friedhof. Hunderte von Stiefeln fielen im selben Augenblick an die vorgesehene Stelle und Hunderte von Legionären verharrten daraufhin in völliger Bewegungslosigkeit, die Hände an der Hosennaht.

Eine Ehrengarde aus fünfzig Soldaten der 21. Irregulären Legion legten ihre Waffen an und zielten in den Himmel. Aus Traditionsgründen verwendeten sie altertümliche Projektilwaffen aus dem 20. Jahrhundert anstatt Nadelgewehre.

Lesters Stimme erhob sich ein weiteres Mal, als er einen einzelnen Befehl gab. »Feuer!«

Fünfzig Gewehre dröhnten, als sie in den Himmel schossen. Die Soldaten luden durch, um die nächste Patrone in die Kammer zu befördern. Der Vorgang wurde noch sieben Mal wiederholt, bevor die Soldaten die Waffen senkten. Die Männer und Frauen verharrten in einer Stellung, mit dem Kolben des Gewehrs an der Hüfte. Auf ein Nicken Lesters hin senkte die Ehrengarde ihre Gewehre endgültig.

Die Leichen der bei dem Anschlag getöteten Legionäre wurden in die Gräber hinabgelassen, einige wie von den Angehörigen gewünscht in Särgen, andere eingeäschert in edlen Urnen. Lesters Blick fiel auf einen der Särge. Im Inneren befand sich Corporal Dustin Meyers, die Nummer zwei von Feuertrupp Echo der Verdammnis. Lesters Augen folgten dem Weg des Sarges, bis dieser außer Sicht verschwand. Eine einzelne Träne kullerte über das Gesicht des Sergeant Majors. Es war das einzige Anzeichen der Trauer, das er sich gestattete. Ansonsten hatte er sich perfekt im Griff.

Andere ließen ihren Gefühlen freieren Lauf. Megan Carlyle weinte ungehemmt. Ihre Affäre mit Dustin war wohl ernster gewesen, als irgendjemand vermutet hatte.

»Leb wohl, Dustin!«, flüsterte der Sergeant Major. »Bis wir uns irgendwann wiedersehen.« Die rituelle Grußformel, mit der Legionäre einen gefallenen Kameraden verabschiedeten, ging ihm nur zögerlich über die Lippen.

Die angetretenen Soldaten behielten ihre Habtachtstellung bei, bis auch der letzte Leichnam zur Ruhe gebettet worden war. Die ganze Zeit über salutierte Lester. Er senkte die Hand erst wieder Richtung Hosennaht, als der Militärkaplan der 21. Legion vor die versammelte Mannschaft trat und zu seiner Predigt anstimmte. Sie dauerte nur wenige Minuten. Aber Lester empfand sie als passend und würdevoll. Der Geistliche ehrte die Verdienste aller bei dem Angriff auf das Anwesen gefallenen Männer und Frauen. Dabei unterließ er es, darauf hinzuweisen, dass sie von eigenen Kameraden ermordet worden waren.

Lesters Kieferknochen verkrampften sich. Er durfte gar nicht daran denken, sonst kam ihm die Galle hoch. Die eigenen Leute hatten auf sie geschossen. Die eigenen Leute hatten Dustin und so viele andere auf dem Gewissen.

In der Schule hatte er viel über die Geschichte und den Werdegang der Republik gelernt. Während des Drizil-Krieges hatte die Miliz gemeutert. Sie hatte das Feuer auf Legionäre eröffnet und war für den Tod nicht weniger von ihnen verantwortlich gewesen. War das hier ähnlich? Er hoffte nicht. Ansonsten standen ihnen wirklich düstere Zeiten bevor.

Darauf gab es keine eindeutige Antwort. Noch nicht. Die Ermittler der Schattenlegionen, die seit gut acht Jahren auch als Militärpolizei fungierten, waren an der Sache dran. Er hoffte, sie würden die Verantwortlichen finden, bevor er sie in die Finger bekam. Ansonsten sähen diese Dreckskerle einen Gerichtssaal nie von innen. Und er hatte absolut keinen Bock, zum Mörder zu werden.

Der Militärkaplan beendet seine Predigt. Nacheinander traten die angetretenen Soldaten an jedes Grab heran und ließen je nach Konfession des Verstorbenen entweder etwas Weihwasser in das Grab tropfen oder sie sprachen lediglich im Stillen ein paar Worte, um sich von ihren Freunden und Waffenbrüdern zu verabschieden. Im Anschluss stellten sie sich wieder auf und die Gräber wurden versiegelt. Megan warf eine einzelne rote Rose in Dustins Ruhestätte.

Der Militärkaplan nickte Lester zu, wobei der Mann eine mitfühlende Mimik aufsetzte. Der Sergeant Major wandte den Blick ab. Er hatte momentan keinen Sinn für Mitgefühl. In ihm brannten Hass und der Wunsch nach Rache viel zu sehr. Es war ein Gefühl, als würde er demnächst explodieren, sollte er kein Ventil für seinen Zorn finden.

Lester erhob die Stimme. »Einheit … weg-treten!«

Die Formation löste sich in kleine Gruppen auf. Die Legionäre begannen leise über das soeben Erlebte zu sprechen. Einige wenige zogen es vor, allein ihren Weg vom Soldatenfriedhof zu suchen. Megan gehörte zu ihnen.

Lester hob den Kopf. Das Areal befand sich auf einem ziemlich großen Hügel südlich der planetaren Hauptstadt. Vom Rand des Friedhofs aus hatte man einen phänomenalen Ausblick auf die äußeren Grenzen von Cibola. Die Skyline der Metropole glitzerte im Sonnenlicht. Der Anblick zauberte tatsächlich ein Lächeln auf Lester Sullivans Gesicht. Dustin hätte das gefallen.

Die übrigen Mitglieder von Feuertrupp Echo der Verdammnis gesellten sich zu ihm. Megan Carlyle entschloss sich ebenfalls, wieder zu ihren Truppkameraden zu stoßen. Aber weder sie noch Natascha Schneider oder Toshiro Watanabe hatte Lust, groß über das Begräbnis und ihren Verlust zu sprechen. Lester war dankbar für deren stille Freundschaft.

Der Sergeant Major biss sich auf die Unterlippe. Die nächsten Minuten würden nicht angenehm werden. Er warf Megan einen schrägen Seitenblick zu. An die Verwundung, die sie sich zugezogen hatte, erinnerte nurmehr ein leichtes Humpeln. Und auch das würde bald verschwunden sein, wie die Ärzte versicherten. Das Heilen der unsichtbaren Narben würde länger dauern. Unter Umständen blieben sie für immer. Entgegen dem Volksmund konnte nicht alles von der Zeit geheilt werden.

»Megan?«

Die Soldatin hielt an und musterte ihren Vorgesetzten. Lester sah die unterdrückten Tränen, die in ihren Augen schimmerten. Sie sagte nichts, sondern wartete darauf, dass er fortfuhr.

Aus Verlegenheit räusperte er sich, wahrscheinlich schon zum x-ten Mal an diesem Tag. »Ich mache es kurz«, begann er. »Du bist ab sofort meine Nummer zwei. Lieutenant Rogers befördert dich in den Rang eines Corporals. Die entsprechenden Rangabzeichen bekommst du im Lauf des Tages.«

Megans Augen wurden groß. Sie machte Anstalten, den Kopf zu schütteln, aber dazu ließ es Lester gar nicht erst kommen. »Denk nicht mal dran abzulehnen!«, schalt er sie scharf. »Du wirst die Beförderung gefälligst annehmen! Du hast sie dir verdient.« Sein Ton wurde versöhnlicher. »Dustin hätte es auch so gewollt.«

Megan schloss ihren Mund auf beinahe mechanische Weise und nickte abgehackt. Wie im Schock nahm sie die Glückwünsche ihrer Kameraden entgegen.

»Ich wünschte nur, es wäre unter anderen Umständen dazu gekommen«, brachte sie halbherzig mit brüchiger Stimme hervor.

»Das gilt für uns alle«, gab Lester zurück und sie setzten ihren Weg gemeinsam fort.

Ein junger Legionär stand ein wenig abseits. Lester bemerkte, wie der Mann immer wieder verunsichert zu ihnen herübersah. Der Sergeant Major runzelte die Stirn und konfrontierte den Soldaten, indem er diesen bewusst mit seinem Blick fixierte. Der Legionär erstarrte, fasste sich dann aber ein Herz und kam auf sie zu. Vor dem Sergeant Major hielt er an und salutierte auf eine Weise, wie es nur ein kürzlich in den aktiven Dienst übernommener Soldat nach abgeschlossener Grundausbildung tat. Die Ausführung war völlig in Ordnung. Aber man konnte sehen, dass der junge Kerl überambitioniert war. Typisch für Frischfleisch.

Die Mitglieder von Feuertrupp Echo der Verdammnis stoppten. Lester runzelte die Stirn. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Sarge? Mein Beileid zu Ihrem Verlust.« Der Legionär streckte die Hand aus. Sie hielt ein Speichergerät. Lester ignorierte es. »Mein Marschbefehl«, präzisierte der Mann. »Private Henry Miller«, stellte sich der Legionär vor. »Ihr Ersatzmann für Corporal Meyers.«

Die Mitglieder von Feuertrupp Echo der Verdammnis betrachteten den Neuankömmling wie das weiße Kaninchen, das gerade aus dem Kaninchenbau an die Oberfläche geflutscht war.

Endlich nahm Lester das Speichergerät aus der Hand Millers. »Nun, das ging aber schnell«, sagte der Master Sergeant.

Miller nickte. »Lieutenant Rogers meinte, Sie bräuchten schnellstmöglich Ersatz.«

Erst jetzt fiel Lester auf, dass er den weiblichen Lieutenant während der kompletten Begräbnisfeierlichkeit nicht gesehen hatte. Es erschien aber eher unpassend, diesen Umstand jetzt anzusprechen.

Lester leckte sich über die Lippen. »Nun, dann willkommen im Team!«, erwiderte er. Etwas Herzlicheres fiel ihm beim besten Willen nicht ein.

Toshiro verzog abfällig die Miene. »Na toll! Dustins Leiche ist noch nicht mal richtig kalt.« Der Legionär setzte sich in Bewegung. Als er Henry Miller passierte, stieß er diesen absichtlich und äußerst grob mit der Schulter an. Der Neuzugang sah dem anderen Soldaten, mit dem er zukünftig gemeinsam dienen sollte, hinterher. Es war ihm offenbar nicht klar, ob er wütend reagieren oder den Vorgang einfach unkommentiert so stehen lassen sollte.

Megan und Natascha begrüßten ihren neuen Kameraden mit wenigen Worten und ähnlich finsterer Miene wie Toshiro, bevor sie dem anderen Legionär nacheilten.

Henry warf seinem neuen Vorgesetzten einen unsicheren Blick zu. »Habe ich etwas falsch gemacht?«

Lester setzte ein schmales Lächeln auf, von dem er hoffte, es würde auf sein Gegenüber beruhigend wirken. »Nicht falsch, aber Sie hätten einen passenderen Augenblick wählen können, um sich vorzustellen.« Das Lächeln des Sergeant Majors wurde breiter. »Aber die kriegen sich schon wieder ein.« Er hielt dem Neuzugang die Hand hin. »Nochmals, willkommen bei Echo der Verdammnis!«

* * *

Lieutenant Tammy Rogers kniete auf dem Boden neben der Leiche von Manuel Körner. Die Legionärin streckte ihre Hand aus und strich dem Journalisten eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Als sie die Hand zurückzog, streichelte sie ihm kurz über die Wange.

Körners Augen waren geschlossen. Fast wirkte der Mann, als würde er schlafen. Wäre nicht die unnatürlich blasse Haut gewesen – und das Loch in seiner Stirn.

Ein Offizier der 2. Schattenlegion trat neben sie. Wie alle Ermittler in der Wohnung des Ermordeten trug er nicht seine Rüstung, sondern eine Alltagsuniform. Tammy erhob sich langsam.

»Als uns die Beziehung des Opfers zu Ihnen klar wurde, haben wir Sie sofort informiert, Lieutenant«, sagte der Schattenlegionär. Sie reagierte kaum. Zu tief saß der Schock, ihren Ex-Freund vor sich am Boden zu sehen.

Der Schattenlegionär im Rang eines Captains ließ sie in ihrer Trauer kurz gewähren. Dann beugte er den Oberkörper leicht nach vorn. Die Schonfrist war vorüber. »Lieutenant, es tut mir wirklich sehr leid. Aber ich habe einige Fragen an Sie.«

Tammy straffte ihre Gestalt und zog die Uniform glatt, obwohl diese makellos auf ihrem Körper saß. »Natürlich, Captain …«

»Oskar Malossini«, stellte sich der Mann vor. »3. Kohorte der 2. Schattenlegion.«

Tammy warf der Uniform des Offiziers einen verstohlenen Blick zu. Auf seiner linken Brustseite prangten Feldzugabzeichen, die bis zu einigen der blutigsten Schlachten des Nefraltiri-Krieges zurückreichten. Der Mann war kein Schreibtischtäter, sondern ein erfahrener Gefechtsoffizier. Das stimmte sie optimistisch. Im Gefecht erprobte Soldaten schätzten einen Fall oftmals realitätsnaher ein als jemand, der noch nie einen Schuss im Kampf abgegeben hatte.

»Stellen Sie Ihre Fragen, Captain Malossini«, forderte sie den Schattenlegionär auf.

»Das Opfer war ihr Ex-Freund?«, begann der Mann, indem er seine erste Frage auch gleichzeitig zu einer Feststellung machte.

Tammy nickte knapp.

»Die Trennung fand in gegenseitigem Einverständnis statt?«

Sie machte eine abwertende Handbewegung. »Mehr oder weniger.« Sie sah auf. »Aber Sie glauben hoffentlich nicht, sein Tod hätte etwas mit unserer Beziehung zu tun?!«

Der Schattenlegionär lächelte entschuldigend. »Bestimmt nicht. Ich versuche nur, ein Gefühl für die Ausgangslage zu bekommen.« Er überlegte kurz. »Hat Mister Körner irgendwelche Feinde? Ist Ihnen in der Hinsicht etwas bekannt?«

Tammy wollte die Frage schon verneinen, hielt dann aber abrupt inne. Malossini wurde auf der Stelle hellhörig.

»Ja?«, hakte er nach.

»Manuel hat mich aufgesucht. Er wollte mir etwas mitteilen.«

Malossini runzelte die Stirn. »Und was war das?«

Von Scham erfüllt, verzog Tammy das Gesicht. »Keine Ahnung. Ich wollte ihm nicht zuhören. Als Teil der Sicherheitstruppe für den Präsidenten hatte ich einfach keine Zeit. Und außerdem …« Sie stöhnte.

»Außerdem?«, half er ihr sanft nach.

»Außerdem dachte ich, es wäre wieder eines seiner Hirngespinste. Manuel behauptete immer, er wäre etwas ganz Großem auf der Spur. Und meistens war es gelogen, weil er mich beeindrucken wollte. Ich … ich dachte, das wäre dieses Mal wieder der Fall.«

Der Schattenlegionär legte seine Stirn in tiefe Runzeln. »Nun, das ist … interessant.«

Tammy sah verwundert auf. »Inwiefern?«