Das gefallene Imperium - Codename Ganymed 4: Im Rattennest - Stefan Burban - E-Book

Das gefallene Imperium - Codename Ganymed 4: Im Rattennest E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Der Feldzug gegen die Hinrady verkommt immer mehr zum Stellungskrieg. Fortschritte gibt es – wenn überhaupt – nur spärlich. Die Republik pumpt immer weitere Truppen und Schiffe ins Kriegsgebiet. Die Verluste steigen von Tag zu Tag. Währenddessen kehrt Tammy Rogers mit einem Verwundetentransport nach Vector Prime zurück. Dort findet sie ihre Heimat grundlegend verändert vor. Als ein Schattenlegionär an sie herantritt und die Offizierin bittet, seine Ermittlungen zu unterstützen, sagt sie sofort zu. Die Hinweise verdichten sich, dass am Vector Prime Institut der Kriegskünste, einer der renommiertesten Militärakademien der Republik, irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Man schickt einen Agenten, um das Geheimnis hinter der Fassade zu ergründen. Doch die Mission erweist sich als wesentlich gefährlicher, als Tammy in ihren kühnsten Träumen angenommen hätte …

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Inhalt

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Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Juni 2023 Titelbild: Giusy Lo Coco Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-895-3 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-896-0 Die sechs Romane dieser Mini-Serie erscheinen auch gesammelt in zwei Hardcover-Ausgaben, sie sind direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

1

»Lieutenant? Lieutenant?«

Die Stimme drang wie aus weiter Ferne zu Tammy durch. Sie öffnete die Augen. Reflexartig kniff sie diese wieder zu. Die Rüstung eines Legionärs war normalerweise ein in sich abgeriegeltes System, in dem alles – sogar die Luft – immer wieder aufbereitet wurde.

Dieses Mal war es anders. Trüber Dunst trieb durch ihren Helm. Er brannte in den Augen und reizte ihre Atemwege. Die Offizierin der 21. Irregulären Legion hustete würgend. Nur mit Mühe konnte sie vermeiden, sich zu übergeben.

Sie zwang sich, die Augen einen Spaltbreit zu öffnen. Rechts oberhalb ihrer Stirn war ihr Helm gebrochen und feiner Steinstaub rieselte in die Abgeschiedenheit ihrer Rüstung hinein. Sie hustete erneut.

Das Innere ihres Helms war dunkel. HUD und sämtliche Statusanzeigen waren offline. Weder Hände noch Beine ließen sich bewegen, selbst mit der mechanischen Verstärkung ihrer metallischen Gliedmaßen nicht. Sie kämpfte die aufkeimende Panik nieder. In der eigenen Rüstung eingesperrt zu sein, in jedweder Form hilflos ausgeliefert, war wohl das Schreckgespenst eines jeden Legionärs. Man hatte das Gefühl, bereits im Sarg zu liegen.

Sie bemühte sich, die negativen Auswirkungen ihres momentanen Daseins auszublenden. Überleben war die erste Pflicht eines jeden Soldaten. Sie konzentrierte sich auf die Stimme, die sie beständig anrief.

»Sergeant Calderon?«

»Gott sei Dank!«, erwiderte der Aufklärungslegionär. »Sie sind noch am Leben.«

Tammy hustete erneut. »Irgendwie schon«, gab sie japsend zurück. Sie hatte Calderon und seinen Feuertrupp am Höhleneingang als Wache zurückgelassen.

»Status!«, forderte sie.

Nachdem jetzt Kontakt aufgenommen worden war und der Lieutenant wieder das Sagen hatte, übernahm nun das militärische Protokoll. Calderons anfänglich besorgte Stimme wurde merklich ruhiger.

»Die Hinrady haben das Tunnelsystem bombardiert. Wir befinden uns etwa zwanzig Meter von ihrem Standort entfernt. Aber näher kommen wir nicht ran. Trümmer versperren uns den Weg.«

Tammy spie Dreck aus, der sich in ihrem Mund angesammelt hatte. »Die Flohteppiche waren das? Dann ist die Morgenstern nicht länger im Orbit?«

»Bestätigt!«, erwiderte Calderon. »Menzel musste abdrehen, verfolgt von vier Feindschiffen. Das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe.«

»Gibt es Kontakt zu weiteren Legionären hier unten?«

»Vereinzelt, aber sporadisch. Unsere Rüstungen fangen auch nur die Lebenszeichen von vielleicht dreißig oder vierzig von ihnen auf.« Calderon zögerte. »Die Rüstungen der übrigen könnten beschädigt sein.« Die Stimme des Unteroffiziers wirkte dumpf. Er glaubte selbst nicht an die eigenen Worte.

Tammy schloss die Augen. Sie hatte mehr als sechshundert Mann in die unterirdische Anlage geführt. Falls Calderon mit seiner Einschätzung richtiglag, hatte sie die meisten von ihnen in den Tod geschickt.

»Wer dazu in der Lage ist, arbeitet momentan daran, sich zu befreien. Die unterirdische Anlage ist komplett eingestürzt. Die meisten Legionäre sind unter Tonnen von Schutt und Felsen eingeklemmt.«

»Sind Sie im Augenblick in Gefahr, Calderon?«

»Negativ«, meinte der Aufklärungslegionär. »Ich weiß nicht, warum, aber die Hinrady da draußen bleiben vor dem Tunneleingang zurück. Keine Ahnung, warum sie nicht reinkommen und uns fertigmachen. Sie halten alle Trümpfe in der Hand.«

»Dann sollten wir das ausnutzen«, beschied Tammy. »Arbeiten Sie sich zu uns vor. Tun Sie alles, was Sie können, um den Tunnel freizuräumen. Danach helfen Sie den Überlebenden. Und Calderon, beeilen Sie sich besser. Wer weiß, wie lange sich die Flohteppiche in Zurückhaltung üben?«

* * *

Auf der Brücke der Morgenstern war die vorherrschende Farbe Rot in allen Schattierungen und Variationen. Warnsirenen gellten über das Deck und durch die Korridore, während die Besatzung sich abmühte, die Vielzahl an Schäden in den Griff zu bekommen.

»XO, Bericht!«, bellte Captain Georg Menzel.

Seine Erste Offizierin, Commander Ludmilla Szymanski, torkelte zum Kommandosessel. »Drei Decks erlitten eine explosive Dekompression. Notkraftfelder halten und Schadenskontrollteams sind auf dem Weg. Der Antrieb und die meisten Waffen sind offline.«

»Warum feuern sie nicht mehr?«, wunderte sich der Captain der Morgenstern. »Die hatten uns schon.«

Er legte die rechte Hand auf die Schaltfläche für das Hologramminterface. Zunächst geschah gar nichts, doch dann wurde das altbekannte Bild auf seine Netzhaut projiziert. Er atmete erleichtert auf. Für einen Moment hatte er befürchtet, das Interface wäre ebenfalls ausgefallen. In diesem Fall wäre die Morgenstern taub und blind gewesen.

Seine Erleichterung schlug in blankes Entsetzen um. Der Tarnkreuzer war umzingelt von vier Jagdkreuzern. Ihre Waffen bedrohten das, was von der Morgenstern noch übrig war. Mehrere kleine Objekte lösten sich von zweien der feindlichen Kampfraumer und näherten sich mit hoher Geschwindigkeit dem havarierten republikanischen Kriegsschiff.

Menzel aktivierte umgehend die interne Kommunikation und hoffte insgeheim, dass sie noch in allen Sektionen der Morgenstern verfügbar war. »Achtung! An die gesamte Besatzung: Bewaffnen Sie sich und bereiten Sie alle Sektionen auf die Abwehr feindlicher Enterkommandos vor. Ich wiederhole: Wir werden gleich geentert.«

Menzel schnallte sich los und stand auf. Sein Körper fühlte sich wie gerädert an. Er ignorierte den Schmerz nicht nur, sondern begrüßte ihn sogar. Es bedeutete, er war noch am Leben.

Er wandte sich seiner XO zu. »Drücken Sie jedem eine Waffe in die Hand. Wir werden dieses Schiff nicht kampflos verlieren.«

»Die wollen tatsächlich die Morgenstern?«, vergewisserte sich die Erste Offizierin.

Menzel nickte gepresst. »Die sind hinter unserer Technologie her.« Der Captain musste unwillkürlich an die Möglichkeit von Hinradyjagdkreuzern denken, die über dieselben Tarneigenschaften wie die Claudius-Klasse verfügten und darüber hinaus auch noch über ein Hologramminterface. Ihm schauderte bei dieser Vorstellung. Sollte den Hinrady all das in die Hände fallen, was die Morgenstern zu bieten hatte, dann begann für die Republik eine neue Ära interstellarer Kriegsführung.

Er sah auf. »Ludmilla? Besorgen Sie auch mir ein Bolzengewehr.«

* * *

Lance Corporal Sven Oldenbrook eilte im Laufschritt durch die Korridore der Morgenstern. Ihm folgten etwa zwanzig Soldaten des Marine-Kommandos an Bord des Tarnkreuzers. Dem Raumsoldaten gingen immer wieder die Worte seines Captains durch den Kopf. »Wir werden gleich geentert.«

Er schüttelte leicht den Kopf. Sie würden heute alle sterben. Die Morgenstern war nicht in der Lage, sich gegen gleich vier Gegner zur Wehr zu setzen. Von den zwei Feindschiffen im Orbit ganz zu schweigen. Und die Hinrady hatten nur sehr wenig übrig für das Prinzip eines Kriegsgefangenen. Entweder man gewann gegen die Flohteppiche oder sie brachten einen um. Eine dritte Option gab es nicht.

Oldenbrook packte das Bolzengewehr in seinen Händen fester. Wenn ihnen kein Ausweg blieb, dann würden sie ihre Haut wenigstens so teuer wie nur irgend möglich verkaufen.

In seinen Ohren knackte es und die Stimme der XO hallte blechern durch den Helm des Marine. »Sie haben den Ort der feindlichen Bohrung gleich erreicht, Corporal.«

»Verstanden!«, erwiderte er. Der Lance Corporal öffnete ein Druckschott und fand sich in einem Wartungskorridor wieder. Aus der Decke schlugen Funken. Die Hinrady standen kurz davor, einen Zugang zum Schiff aufzuschneiden. Mit wenigen Handbewegungen dirigierte Oldenbrook seine Männer. Am Ende bildeten ihre Stellungen sich überlappende Schussfelder, mit denen sie die Eindringlinge gebührend in Empfang nehmen konnten.

Die Marines warteten angespannt, während die Flohteppiche mit ihrer Arbeit fortfuhren. Oldenbrook befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. Die Zeit dehnte sich schier endlos, wenn man darauf wartete, dass einem riesige Gorillas mit Aggressionsproblemen gegenüberstanden.

Die Hinrady standen kurz vor dem Durchbruch, da stoppten sie den Plasmabrenner. Oldenbrook fragte sich, was sie nun vorhatten. Da explodierte eine Sprengladung mit solcher Gewalt, dass eine zehn Zentimeter dicke Stahlplatte ins Innere des Korridors geschleudert wurde.

Der Lance Corporal und seine Leute waren hoch konzentriert. Nun galt es, dem Feind Widerstand zu leisten. Zwei Zylinder flogen durch das Loch und klapperten über den Boden.

»Granaten!«, brüllte Oldenbrook und zog sich zwei Schritte zurück. Die Sprengkörper detonierten. Ihre gewaltige Kraft verzehrte zwei der Marines trotz deren Rüstung. Rauch und Qualm füllte den Korridor. Einer seiner Männer zog einen Verwundeten hinter die eigene Linie.

Oldenbrook schaltete die Optik seiner Rüstung auf Infrarot und kombinierte sie mit einem Metallsensor. Da sah er sie: hünenhafte, bullige Gestalten, die, in Rüstungen gehüllt, im Schutz des Qualmvorhangs auf die Marines zumarschierten.

»Gebt ihnen Zunder!«, spornte Oldenbrook seine Soldaten an. Der Korridor füllte sich mit Tausenden Projektilen, als die Marines ihr Sperrfeuer koordinierten. Panzerbrechende Bolzen hagelten auf den Gegner ein. Deren Rüstungen gaben nach mehreren Treffern nach, wurden perforiert, das weiche organische Material darunter buchstäblich zu Hackfleisch verarbeitet.

Die ersten Hinrady gingen blutüberströmt zu Boden. Weitere kamen nach. Die Flohteppiche starteten ihren eigenen Angriff. Energiegeschosse tasteten nach den Marines. Auf seinem HUD sah Oldenbrook Symbole erlöschen. Er verlor Soldaten – eine Menge.

Plötzlich schlugen aus der Decke hinter ihnen Funken. Die Hinrady schnitten sich einen weiteren Weg ins Innere der Morgenstern frei. Oldenbrook verzog die Miene zu einer Grimasse und fluchte.

»Zurückziehen!«, befahl er notgedrungen. Sie hatten keine andere Wahl, als sich abzusetzen. Ansonsten saßen sie innerhalb der nächsten Minuten zwischen zwei feindlichen Entertrupps fest.

Die Marines verließen den Korridor rückwärtsgehend, das Gesicht immer dem Feind zugewandt. Zwei seiner Männer trugen jeweils einen Verwundeten aus der Gefahrenzone. Einen weiteren, den sie nicht mehr erreichen konnten, ließen sie notgedrungen zurück. Sein Symbol auf dem HUD des Lance Corporals erlosch nur wenig später. Oldenbrook schlug auf den Schalter für das Druckschott, das sich zischend schloss. Durch das darin eingelassene Bullauge musste er mit ansehen, wie weitere gegnerische Krieger in den Tarnkreuzer eindrangen.

Der Lance Corporal aktivierte sein Kom. »Hier Oldenbrook. Wir haben den Korridor auf Deck elf verloren«, vermeldete er mit einem schalen Geschmack im Mund. »Wir konnten sie nicht aufhalten.«

* * *

Jemand hievte den Stein von ihr, der Tammys Sicht blockierte. Das Licht eines Helmscheinwerfers schien ihr ins Gesicht. Es brachte ihre Augen zum Tränen. Trotzdem zwang sie sich, den Blick mit halb geschlossenen Lidern aufrechtzuerhalten. Nach einigen Sekunden erkannte sie ihr Gegenüber.

»Sarge?«

Sergeant Major Lester Sullivan nahm den Helm ab und strich sich eine widerspenstige, verschwitzte Strähne aus dem ebenso verschwitzten Gesicht.

»Sie sind nicht totzukriegen, Lieutenant«, erklärte der Mann mit erfreutem, aber auch überraschtem Lächeln.

»Das Kompliment kann ich zurückgeben«, erwiderte sie. »Schaffen Sie mir den ganzen Mist vom Hals.«

Der Sergeant Major nickte immer noch lächelnd und bedeutete einigen Legionären, die sie nicht sehen konnte, ihre Vorgesetzte von der Last zu befreien. Es dauerte über eine Stunde, um sie endlich restlos freizubekommen.

Mit Sullivans Hilfe setzte sich Tammy auf. Erst jetzt wurde ihr das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Die Kaverne war zu großen Teilen eingestürzt und hatte das Labor unter sich begraben. Und Tammys Legionäre gleich mit. Unter den Trümmern und Gesteinsbrocken lugte hin und wieder ein Teil einer Rüstung hervor. Ungefähr zwanzig Legionäre hatten sich mittlerweile befreien können, die meisten mehr oder weniger verletzt.

Viele saßen apathisch in einer Ecke und starrten mit stumpfer, ausdrucksloser Miene lediglich vor sich hin. Wer dazu noch in der Lage war, half anderen, unter den Felsbrocken hervorzukriechen.

Tammy nahm den zerstörten Rest ihres Helmes ab. Sullivan kniete sich mit unvermittelt besorgter Miene neben seine Vorgesetzte. »Wie fühlen Sie sich?«, wollte er wissen.

»Etwas … Probleme … beim Atmen«, antwortete sie. »Aber es hilft alles nichts. Wir müssen hier raus.« Sie machte Anstalten aufzustehen, doch Sullivan drückte sie sanft, aber bestimmt zurück auf den Boden. Es kostete ihn bemerkenswert wenig Anstrengung.

»Sie gehen vorläufig nirgendwohin«, versetzte er ruhig. »Sie bleiben schön hier sitzen und ruhen sich aus.« Tammy wollte aufbegehren, aber der Sergeant Major deutete auf ihren linken Arm und die Rüstung auf Brusthöhe. Tammy senkte den Blick.

Die Panzerung am linken Arm war auf ganzer Länge aufgerissen – genauso wie der Arm auch. Man konnte Knochen und Sehnen erkennen. Die medizinischen Systeme der Rüstung hatten die Verletzung mit einem flüssigen, halbtransparenten Polymer versiegelt. Sie verlor kein Blut. Das war die positive Nachricht. Allerdings würde sie mit einem auf solch brutale Weise zugerichteten Arm keine große Hilfe sein.

Ihre Brust war in nur geringfügig besserem Zustand. Die Rüstung war eingedrückt und an mehreren Stellen aufgerissen. Der Ernst der Lage wurde ihr erst jetzt bewusst.

»Ich schätze, die Lunge hat was abgekriegt«, ergänzte Sullivan ihre eigenen Beobachtungen. »Wären die medizinischen Systeme der Rüstung ausgefallen, wären Sie längst tot. Bleiben Sie einfach nur liegen, bis wir gerettet werden. Was Sie jetzt am dringendsten brauchen, ist ein Lazarettschiff.«

Tammy lehnte sich zurück. Sie spürte den kargen Felsen am Hinterkopf. »Nachricht von der Morgenstern?«

»Nein. Nichts«, bestätigte Sullivan ihre schlimmsten Befürchtungen. Mit einem Kopfnicken deutete er auf den verschütteten Tunnelausgang. »Aber wir haben Kontakt zu Calderon. Er steht mit seinem Feuertrupp weniger als fünf Meter vor dem Zugang. Wir sind hier schneller wieder raus, als Sie denken.« Der Sergeant Major zwang sich zu einem schmalen Lächeln.

Tammy machte eine verkniffene Miene. »Nur was bringt das, wenn wir von diesem Felsbrocken nicht mehr wegkommen? Die einzige Hoffnung besteht darin, dass uns jemand den Arsch rettet.«

* * *

Captain Georg Menzel zog den Kopf zwischen die Schultern. Aus seiner Position heraus war nicht viel zu erkennen, nur hin und wieder aufblitzendes Waffenfeuer. Commander Ludmilla Szymanski kroch zu ihm herüber. Ihr markantes Gesicht war von einem Streifschuss gezeichnet, der eine Brandspur über ihre rechte Wange gezogen hatte.

»Mindestens zehn Hinrady auf der anderen Seite des Ganges.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, schossen die feindlichen Krieger mehrere Salven ab. Ein Brückenoffizier, der bisher nur an der Kommunikation gedient hatte, wurde in Kopf und Brust getroffen. Er fiel rücklings gegen die nächste Wand und rutschte daran zu Boden. Der Mann war bereits tot, noch bevor er das Deck berührte.

Menzel schüttelte den Kopf und sah sich bedeutsam um. Ein gutes Dutzend Brückenoffiziere sowie vier Marines hielten die Hinrady davon ab, die Brücke der Morgenstern einzunehmen. Sie waren nur unzureichend bewaffnet und nicht einmal alle von ihnen trugen eine Rüstung – einschließlich Menzel und seiner Ersten Offizierin. Raumoffiziere, insbesondere diejenigen, die ihren Dienst auf der Brücke versahen, benötigten nur selten Rüstungen. Sie bewegten sich agiler ohne die sperrigen Dinger. Und für eine Raumschiffsbesatzung konnte diese zusätzliche Geschwindigkeit den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Nun verkehrte sich das aber ins Gegenteil. Die Hinrady rückten unbeirrbar vor.

Die Marines nahmen jeweils eine Granate vom Gürtel, zogen diese ab und schleuderten die Sprengkörper in den Korridor. Die Verteidiger der Morgenstern gingen in Deckung. Nur Sekunden später zerrissen mehrere Detonationen eine Gruppe feindlicher Krieger. Der Rest verharrte auf der Stelle, wartete, bis sich Feuer und Rauch verzogen hatten, und griffen dann mit unverminderter Härte an.

Einer der Marines fiel und stürzte Menzel in die Arme. Als er den Mann zu Boden gleiten ließ, waren Hände und Arme des Schiffskommandanten bis zu den Ellbogen mit Blut verschmiert. Die Rüstung des Soldaten wies mehrere qualmende Löcher auf.

»Zur Brücke zurückziehen!«, brüllte einer der Marines und bedeutete dem Captain heftig gestikulierend zu verschwinden. Menzel nickte. Sie konnten die Stellung nicht mehr länger halten.

Marines und Brückenbesatzung feuerten unentwegt. Zwei Hinrady gingen mit durchlöcherter Rüstung zu Boden, kurz danach noch ein dritter. Die Verteidiger bemühten sich, den Gegner vom Kommandodeck fernzuhalten. Ludmilla Szymanski feuerte eine Salve in den Korridor, die einem Hinrady den Helm vom Kopf riss und ihm eine stark blutende Wunde an der Schläfe zufügte.

Der Krieger brüllte etwas, was keiner der Menschen verstand, zog einen Gegenstand aus einem Behälter an der Hüfte und warf diesen in Richtung der Verteidiger. Noch während sich der Zylinder in der Luft befand, bemerkte Menzel zwei blinkende Lichter an der Seite. Der Rhythmus wurde immer schneller.

Der Captain der Morgenstern riss die Augen auf. »Granate!«, schrie er.

Szymanski reagierte augenblicklich. Sie warf sich gegen Menzels Körper und stieß den Mann durch das geöffnete Schott in dem Moment, als die Granate detonierte. Von seinen Schiffskameraden schafften es ein Marine und zwei von der Brückencrew ebenfalls hindurch – die übrigen nicht.

Menzel sah Feuer in einer Stichflamme durch den Gang schießen, als die Granate explodierte. Die Gewalt der Detonation verzehrte die meisten Verteidiger. Ihre erstickten Schreie jagten eine Gänsehaut über seinen Rücken. Der Marine schlug auf den Auslöser des Panzerschotts und dieses schloss sich vor den angreifenden Gegnern.

»Ludmilla?« Menzel rüttelte an der Schulter seiner XO. Sie rührte sich nicht. Mit zwei Fingern prüfte er ihre Halsschlagader. Er zog die Hand zurück. Seine XO weilte nicht länger unter den Lebenden. Das hatte er bereits befürchtet. Der Rücken Szymanskis war aufgerissen und von blutigen Brandwunden übersät. Niemand konnte eine derartige Verletzung überleben.

Menzel schob den leblosen Körper sanft von sich und erhob sich erschöpft. Selten zuvor hatte er sich dermaßen zerschlagen gefühlt. Funken sprühten aus der Tür.

Der Marine sah zu seinem Befehlshaber auf. »Das Schott wird sie nicht lange aufhalten. Sobald sie durch sind, war’s das für uns.«

Menzel nickte und lud mit abgehackt wirkenden Bewegungen ein neues Magazin in sein Bolzengewehr.

»Gibt es noch weitere Überlebende?«, wollte Menzel wissen. »Irgendwo auf dem Schiff?«

Ein Offizier der Brückenbesatzung machte sich an den internen Sensoren zu schaffen. Er drehte sich nach ein paar Sekunden um. »Ich orte noch mehr als dreihundert menschliche Lebenszeichen.«

Der Captain der Morgenstern schloss die Augen. Das bedeutete, die Hälfte der Besatzung war tot. Aber andererseits war die Hälfte auch noch am Leben. Und seine Leute kämpften weiter. Noch hatten sie den Tarnkreuzer nicht verloren. Er lud sein Bolzengewehr durch. Mit mechanischem Klicken wurde ein frisches Projektil in die Kammer geschoben.

Ein Lichtblitz unmittelbar vor dem Brückenfenster lenkte ihn ab. Die vier verbliebenen Verteidiger der Kommandobrücke der Morgenstern wandten sich dem unerwarteten Ereignis zu. Weitere Lichtblitze folgten. Es war wie das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels.

Ein riesiger Schatten legte sich über das Brückenfenster der Morgenstern. »Das ist die Kusanagi«, bemerkte einer der Offiziere unnötigerweise. Die Umrisse des Kampfschiffes waren markant und unmöglich zu verwechseln.

Konteradmiral Ferdinand Langs Dreadnought eröffnete das Feuer. Gleichzeitig fegten weitere Kriegsschiffe an dem Flaggschiff vorbei, nahmen entweder die Jagdkreuzer unter Dauerbeschuss oder hielten auf den Planeten zu. Zwei der feindlichen Kampfschiffe wurden nach nur wenigen Salven vernichtet, ein drittes lediglich unwesentlich später. Das vierte gab Vollschub, in dem Bemühen zu entkommen. Auch die beiden im Orbit verbliebenen Jagdkreuzer rückten ab. Die Hinrady scheuten niemals einen Kampf, aber ihnen war klar, hier und jetzt war kein Sieg zu erringen.