Das Geheimnis vom Strandhaus - Julia Rogasch - E-Book
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Das Geheimnis vom Strandhaus E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Ein Familiengeheimnis auf Sylt Mia ist am Boden: Ihr Verlobter hat eine Neue, ihr Job ist weg und sie sitzt in der grausten Wohnbausiedlung von Hamburg. Um wieder auf die Beine zu kommen nimmt sie einen Buchhaltungsjob beim gut aussehenden wie mysteriösen Laurenz von Hofbacher  in dessen Villa an. Ihr Chef gibt wenig von sich Preis, und doch ist Mia fasziniert von dem Mann, der niemanden in sein Leben lässt. Nach und nach schafft sie es ihn aus der Reserve zu locken und erkennt, dass ein schwerer Schicksalsschlag Laurenz belastet. Und auch Mia selbst bekommt neue Probleme, als jemand bei ihr einbricht und sie Drohungen erhält sich nicht in Familienangelegenheiten einzumischen. Es scheint, dass Mias und Laurenz' Leben stärker miteinander verbunden sind, als sie ahnen. Und die Lösung aller Geheimnisse liegt anscheinend in einem kleinen Haus auf Sylt… 

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Das Geheimnis vom Strandhaus

Die Autorin

Julia Rogasch, geboren 1983, lebt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Seit 2010 sorgt ihr Leben als Mama mit Job täglich für Inspirationen. Ihr großes Glück ist die Familie, welche sie nun mit der Arbeit und der Leidenschaft fürs Schreiben vereinbaren kann, da man ihr die Chance bot, im Marketing via Homeoffice für das Autohaus ihre Kreativität auszuleben, für das sie bis 2010 Autos verkaufte. Wann immer der Familientrubel es zulässt, widmet sie sich privat dem Schreiben.

Das Buch

Mia ist am Boden: Ihr Verlobter hat eine Neue, ihr Job ist weg und sie sitzt in der grausten Wohnbausiedlung von Hamburg. Um wieder auf die Beine zu kommen nimmt sie einen Buchhaltungsjob beim gut aussehenden wie mysteriösen Laurenz von Hofbacher in dessen Villa an. Ihr Chef gibt wenig von sich Preis, und doch ist Mia fasziniert von dem Mann, der niemanden in sein Leben lässt. Nach und nach schafft sie es ihn aus der Reserve zu locken und erkennt, dass ein schwerer Schicksalsschlag Laurenz belastet. Und auch Mia selbst bekommt neue Probleme, als jemand bei ihr einbricht und sie Drohungen erhält sich nicht in Familienangelegenheiten einzumischen. Es scheint, dass Mias und Laurenz‘ Leben stärker miteinander verbunden sind, als sie ahnen. Und die Lösung aller Geheimnisse liegt anscheinend in einem kleinen Haus auf Sylt…

Von Julia Rogasch sind bei Forever by Ullstein erschienen:HonigmilchtageMit dir am HorizontDas Geheimnis vom Strandhaus

Julia Rogasch

Das Geheimnis vom Strandhaus

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinOktober 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-381-0

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Mit dir am Horizont

Empfehlungen

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Widmung

Widmung

Für meine Herzensmenschen Für meine wundervollen Leser

Prolog

Die Worte aus dem Brief klangen immer wieder in seinen Gedanken nach und wirkten dabei wie scharfe Speerspitzen, die sich in sein Herz bohrten.

Du und dieser Versager, dein Freund, ihr kommt schon zurecht. Das habt ihr doch immer gesagt. Dabei ist schon jetzt klar, dass dich mit ihm nur ein erbärmliches Leben erwartet. Wenn das deine Vorstellung von der großen Liebe ist, wie du immer wieder betonst, so geh diesen Weg. Aber erwarte nicht, dass ich euch in irgendeiner Form unterstütze. Ich bin dankbar, dass es deinen Bruder gibt für mich. Für dich schämen wir uns. Deine Entscheidung für diesen Mann ist eine Schande für unsere Familie. Und jetzt auch noch diese elendige Lüge – sei dir gewiss, dass Laurenz und ich uns deine Hirngespinste nicht länger anhören. Begib dich in eine Klinik, bevor du noch an deinen Wahnvorstellungen zugrunde gehst.

Er kämpfte mit den Tränen. Die Worte seiner Mutter waren so hart, dass sie ihn tief in seinem Innern trafen. Wie musste Larissa sich gefühlt haben, als sie diese Zeilen las?

Er faltete den anderen Brief auf, er war von seiner Schwester an ihn gerichtet:

Du wirst die Frau finden, die deinem Leben einen Sinn geben wird. Ich wünsche dir von Herzen, dass es sie gibt und bin mir dessen ganz sicher. Wenn es dir gelingt, dich von unserer Mutter freizumachen, wird die Liebe für dich da sein. Du musst mir versprechen, dass niemand sie dir nehmen wird, egal was passiert. Mutter hat es schon geschafft, mein Leben zu zerstören und hat mir meine Liebe nicht gegönnt. Versprich mir, lass es nicht zu. Lass dir die Liebe niemals nehmen. Von niemandem! Ich werde dir beweisen, dass das alles eine abscheuliche Lüge ist. Ich bin nicht verrückt, bitte glaub’ mir. Gib mir nur ein wenig Zeit. Es tut mir leid, dass wir uns so verloren haben.

»Mir tut es leid. Es tut mir so verdammt leid«, presste er schluchzend hervor und ballte die Faust um den zerknüllten Briefumschlag in seiner Hand. Auch sein Herz fühlte sich an, als lege sich eine Faust darum. Tränen liefen seine Wange herunter und brannten dabei wie flüssiges Feuer.

»Was würde ich dafür geben, dich noch einmal zu sehen?«, flüsterte er.

Sein Flüstern klang laut in der Stille, die um ihn herum herrschte. Es war kalt und begann zu nieseln. Einzig die auf den Boden fallenden Kastanien lenkten ihn für einen Moment von dem tiefen Schmerz ab, der sich in seinem Hals ausbreitete und seine Brust so eng werden ließ, dass er fürchtete, ohnmächtig zu werden.

Kastanien hatte sie geliebt. Handschmeichler hatte sie sie genannt und immer eine davon in der Tasche gehabt, wenn es Herbst wurde. Unter Tränen lächelnd nahm er eine der glänzenden, braunen Früchte, tastete, wie glatt und weich sie sich anfühlte, umschloss sie mit beiden Händen und legte sie neben den anthrazitfarbenen Grabstein.

Heute vor fünf Jahren war es passiert. Und in diesem Moment kam es ihm vor, als wäre es gestern erst geschehen, so präsent und mächtig war das drückende Gefühl in seiner Brust.

Kapitel 1

Mia

Affektiertes Gestikulieren, zur Schau stellen des kugelrunden Babybauches vor einer ansonsten perfekten Figur-Silhouette. Was ich sah, war bühnenreif.

Die High Heels an langen, schlanken Beinen, eingehüllt in teure Cocktailkleidern. Die Damen waren gestylt wie auf einer Dinner-Party, denn man war selbstverständlich schwanger mit Stil. Überall teure Geschenke, verpackt in Tragetaschen mit Luxus-Label, die am Handgelenk baumelten, an dem auch die mit Brillanten besetzte Luxusuhr Platz fand. Champagnerglas in der anderen Hand.Diese Bilder trafen mein gebrochenes Herz wie kleine, spitze Geschosse. Sie versetzten mir deswegen einen Stich, weil das, was ich sah, mein Wohnzimmer war. Im Haus meines Ex-Freundes. Es waren meine kuscheligen Sessel, meine Küche, in der wir jeden Abend gemeinsam Köstlichkeiten gezaubert hatten, und mein Zuhause. Zum ersten Mal in meinem Leben war es sogar ein Zuhause gewesen, wie ich es mir immer erträumt hatte.

Von mir ausgesuchte Windlichter standen im Fenster, dekoriert mit einer rosa-weiß karierten Schleife, wie ich es liebte. Duftkerzen darin, die nach Marshmallow-Vanille und Glück dufteten. Ich erinnerte mich noch daran, wie ich sie in dem kleinen Laden in Eppendorf gekauft hatte, der so besonders liebenswerte Dinge führte.

An der Wand meine Fotografien. Sylt im Sommer, Sylt im Winter. Alles Aufnahmen unserer Lieblingsinsel, jedes Motiv ein Ort voller zauberhafter Erinnerungen und Glücksmomente.

Sie da zu sehen war, als zerbrach etwas in mir. Ich konnte kaum noch atmen, brachte flüsternd ein paar Worte hervor. »Ich bin im falschen Film, es muss so sein. Das darf einfach nicht wahr sein. Das kann nicht mein Leben sein.« Als ich gerade mit einer Träne kämpfte, wurde im ersten Stock über mir krachend ein Fenster geschlossen. Mein panisches Zusammenzucken hatte zur Folge, dass ich das Gleichgewicht verlor. Daraufhin landete ich mit nach allen Seiten rudernden Armen und einem satten Platsch direkt im vor dem Haus sprudelnden Springbrunnen.

Die Gardine im Nachbaranwesen bewegte sich. Mein Atem stand still. Alle Versuche, mich jetzt noch unsichtbar zu machen, würden nur das Gegenteil bewirken und mich Stück für Stück tiefer versinken lassen in meiner Misere, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich duckte mich hinter die Brüstung des Brunnens. Das war jedoch sicherlich sowieso zu spät.

Sie hatte mich gesehen.

Frau Biensheim, meine Ex-Nachbarin, war dafür bekannt, dass sie über alles und jeden Bescheid wusste und ihre Umgebung wie eine lebendige Überwachungskamera genau im Auge hatte und beobachtete. Tagsüber positionierte sie ihr Kissen so im Fensterrahmen, dass ihr nichts entgehen konnte. In den Abendstunden ertappte ich sie dabei, wie sie hinter der Gardine hervorlugte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie dazu ein Fernrohr benutzte.

Mein Alltag konzentrierte sich dagegen derzeit darauf, viel Zeit im Selbstmitleid badend auf dem Sofa zu verbringen. Wenn ich mich aus meiner Wohnung wagte, dann, um meinem Ex-Freund hinterherzuspionieren, was mir postwendend wieder genügend Grund geben sollte, in den See voll Selbstmitleid einzutauchen. Wie jetzt gerade. Das hatte ich nun davon. Ich war von oben bis unten klitschnass. Was trieb mich auch dazu, am Fenster der Ex-Villa bei der Baby-Shower der Nachfolgerin stiller Zuschauer zu sein?

Mein Gefühlshaushalt und damit auch mein Denken und Handeln befanden sich jedoch im Ausnahmezustand. Dass ich hier im Vorgarten meines Ex herumkrauchte, entbehrte jeder vernünftigen Grundlage und ließ Sinn und Verstand vermissen.

Das Unvorstellbare war geschehen. Er hatte mich verlassen. Nach zwölf Jahren hatte er mich abserviert. Mein Verlobter, der, mit dem ich gedanklich die Traumhochzeit tausendfach durchgespielt hatte. Eine Feier bei sommerlichen Temperaturen mit weißem Pavillon im Garten und Kutsche zur Kirche. Der Mann, dem ich meine Gedanken und meine Sorgen anvertraut hatte. Aus vollem Herzen und ohne jemals darüber nachgedacht zu haben, einfach, weil es sich richtig anfühlte. Der Mann, der für mich da gewesen war nach dem Tod meines Vaters, als meine Welt zusammenbrach, ließ mich jetzt einfach alleine. Um mich herum war es seitdem dunkel und grau.

Denn dieser Mann hatte sich kurzfristig umentschieden und mich mit meinen nicht vorhandenen Habseligkeiten vor die Tür gesetzt. An sich war das nichts, was nicht hunderttausenden von anderen Frauen auch passiert, und was noch lange nicht erklärte, warum ich mich jetzt wie ein begossener Pudel aus einem pittoresken Brunnen aufrichtete und neben der dicken Engelsfigur knietief im Springbrunnen stand. Aber es ist wie mit Krankheiten oder schweren Schicksalsschlägen: Man wiegt sich in einer naiv trügerischen Sicherheit, dass, während um einen herum Beziehungen in die Brüche gehen, die eigene die Einzige ist, die für immer hält.

Wie eine Dusche aus Eiswürfeln auf einer Sonnenliege am Strand in der Karibik, trifft einen dann die Erkenntnis, dass man plötzlich selbst diejenige ist, die mit zwei Koffern vor der Tür des Traumhauses steht. Oder noch schlimmer, wie in meinem Fall, im Springbrunnen des Traumhauses. Am Boden der Tatsachen. Und nichts, aber auch gar nichts davon hatte ich kommen sehen.

Frau Biensheim hätte es mir mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen können. Sie hatte hinter ihrer Gardine den allumfassenden Überblick. Sie wird händereibend vor Sensationsgier registriert haben, dass Paul sich, bevor er zur Tür hereingekommen war, erst noch die Krawatte geradegerückt und den Lippenstift aus dem Gesicht gewischt hatte. Vielleicht hatte sie gesehen, wie er sich umgeschaut hat, aus Angst, ich würde etwas davon mitbekommen. Endlich war was los an ihrem Fensterbrett. Wie viele Jahre hatte hier Harmonie geherrscht – nichts hatte es gegeben, was ihre Freundinnen beim Kaffeeklatsch hätte begeistern können.

Jetzt hatte sie auf jeden Fall was zu erzählen. Nämlich, dass ich samt Sonnenbrille um drei Uhr nachts vom Fenstersims im Erdgeschoss gestürzt war, direkt in den Springbrunnen vorm Wohnzimmer. Einer der Brunnen, in denen sich mehrere dicke Engelsskulpturen räkeln. So in etwa stelle ich mir mein Erscheinungsbild vor. Ich war plötzlich eine von ihnen. Nur das anmutende Räkeln entfiel in meinem Fall.

Während ich gerade damit beschäftigt war, den Brunnen wieder zu verlassen, um den Inhalt meiner Handtasche zusammenzuklauben, die ich in Panik geistesgegenwärtig weit von mir und glücklicherweise nicht direkt ins Wasser geschleudert hatte, gab es einen gewaltigen Knall. Es schepperte ohrenbetäubend und alles um mich herum schien zu beben. Ich sah eine dicke Engelsgestalt auf mich zukommen und ein schrilles Quietschen von Reifen, gefolgt von einem berstenden Geräusch von Glas und knarzendes Metall durchdrang die Dunkelheit. Mir zog ein Geruch von verbranntem Gummi in die Nase. So in etwa stellte ich mir den Weltuntergang vor. Auch meine Stimmung passte ganz gut. Im selben Moment knackte es ohrenbetäubend und ich sah eine Baumkrone mitten in den Springbrunnen krachen, woraufhin dieser noch ein klägliches Plätschern von sich gab und dann verstummte.

Ich stand fassungslos nur etwa zwei Meter davon entfernt und presste meine Handtasche an mich. Ich versuchte, das Wirrwarr in meinem Kopf zu sortieren und zu realisieren, was hier gerade geschehen war. Um ein Haar wäre dieser feudale Springbrunnen der Ort gewesen, an dem ich das Zeitliche gesegnet hätte.

War dies vielleicht tatsächlich der Weltuntergang? Schemenhaft erkannte ich ein Auto. Oder wollte mich jemand umbringen? Und wenn ja, warum? Und woher wusste derjenige dann, dass ich heute Nacht hier vor dem Fenster meines Ex rumlungerte – oder besser gesagt, nachts in dessen Springbrunnen lag? Wenn das ein Mordversuch war, musste es sich wohl um eine Verwechslung handeln, tröstete ich mich. Hatte der Fahrer es eigentlich auf die neue Hausherrin abgesehen, bot es sich eventuell sogar an, mich mit ihm zu solidarisieren, kam mir der bittere Gedanke. Um ein Haar entlockte diese Vorstellung mir ein Lächeln. Ich versuchte, Personen zu erkennen und mit ihnen Blickkontakt aufzunehmen, womöglich war der Fahrer verletzt. Das Fahrzeug stand jedoch so weit entfernt am Baum, dass ich niemanden erkennen konnte. Undeutlich sah ich die Umrisse einer Person hinterm Steuer.

Es war einer dieser schicken Oldtimer. Jedenfalls, bevor der Baum ihm eine neue Form verpasst hatte. Der Fahrer stieg nicht aus. Der Wagen wendete mit quietschenden Reifen und der Fahrer gab Vollgas und brauste davon. Ich sah die beiden roten Rücklichter immer kleiner im Dunkeln verschwinden.

Dieser Moment war einer der Sorte, in denen man sich, mit ein wenig zeitlichem Abstand, gerne selbst beobachtet hätte. Ich war überzeugt, dass ich gar nicht so blöd aus der Wäsche schauen konnte, wie ich mir vorkam.

Ich bahnte mir durch das am Boden liegende Geäst einen Weg Richtung Fußweg, als ich ein verbogenes Kennzeichen am Baumstumpf entdeckte. Ich griff nach dem völlig deformierten Stück Blech.

Kurz überlegte ich zwar, dass ich es eigentlich der Polizei hätte übergeben müssen, befand dann aber, dass diese Weltuntergangsstimmung im Vorgarten gerade recht kam. Sollte er sich doch mit seiner Liebsten darum kümmern und den Unfallflüchtigen ausfindig machen. Ich rechnete sekündlich damit, dass sie zur Tür herausstürzen würden. Augenscheinlich war weder mir noch dem Fahrer etwas Ernsthaftes passiert, das war erstmal das Wichtigste. Kurzerhand steckte ich das Kennzeichen ein. Außerdem rettete ich damit auch mich selbst auf eine Art. Wie hätte ich die Situation rechtfertigen sollen? Wie sollte ich der Polizei erklären, dass ich, als der Unfall geschah, gerade in fahlem Licht bei Nieselregen im Springbrunnen unterm Fenster der Villa stand?

Mein Glück und das des Unfallflüchtigen war, dass im Innern des Hauses so laute Partymusik lief, dass anscheinend kein Geräusch von außen zu ihnen vordrang. Ich sah zu, so schnell wie möglich das Weite zu suchen, bevor die Runde der feinen Ladies doch noch die Verfolgung aufnehmen würde.

Über die Schulter warf ich noch einen Blick auf das Trümmerfeld. Der vom Landschaftsarchitekten in mühevoller und kostspieliger Kleinarbeit angelegte Garten war nicht mehr wiederzuerkennen. Er glich eher einem Acker, auf dem eine Rotte Wildschweine gewütet hatte. So absurd die Situation war, gab sie mir irgendwie eine gewisse Genugtuung.

Als ich einige Meter entfernt war, sah ich, wie ein heller Lichtstrahl vom Inneren des Hauses auf den Weg zur Tür fiel. Ein greller Schrei, der durch Mark und Bein ging, folgte dem Türöffnen. Augenscheinlich hatte meine Nachfolgerin oder eine ihrer Freundinnen sich gerade mindestens genauso erschreckt wie ich. Diese Erkenntnis ließ mich trotz eines rasenden Pulses schadenfroh schmunzeln.

Auf die Gefahr hin, dass Frau Biensheim sah, wie ich das Schild eingesteckt hatte, eilte ich Richtung Bahnstation. Ich war selbst erstaunt, dass ich mir keinerlei Verletzungen zugezogen hatte. Mir war nur recht kühl, weil meine Kleidung größtenteils nass war. Aber da die Temperaturen noch sommerlich warm waren, war es auszuhalten.

Machte ich mich strafbar, weil ich einfach samt Kennzeichen das Weite suchte? Oder war das als Schockreaktion zu werten? Ich sah mich eher als Opfer, weniger als Täter. Aber was hatte ich schon zu verlieren? Wenn ich mir vor meinem inneren Auge über das Ziel der Stadtbahn Gedanken machte und sich die grauen Betonklötze und das kalte Licht in den Gängen zeigten, kam ich zu dem Schluss: Wenig!

Ich betrachtete die Leute, die in dieselbe Richtung wollten wie ich und musste schlucken. Sie schlichen schweren Schrittes in die Bahn, den Kopf gesenkt, einige starrten auf ihr Handy. Die meisten trugen eine Plastiktüte eines Discounters mit sich. Ich stellte mir vor, dass darin einzig Bier in Dosen und Zigaretten lagen. Mir kam es vor, als könne mein Kopfkino nur noch graue, traurige Bilder malen.

Vielleicht war es eine Auswirkung des Schocks. Womöglich aber auch die traurige Realität, denn ich wohnte jetzt im absoluten Albtraumviertel. Meine Situation war in jeglicher Hinsicht perspektivlos. Tränen liefen über meine Wangen und der Kloß in meinem Hals wurde sekündlich dicker. Fast hatte ich das Gefühl zu ersticken.

Gerade eben noch war ich in der heilen Welt zu Hause, umgeben von Sorglosigkeit und Leichtigkeit inmitten prachtvollster Anwesen. In meiner Erinnerung spielte leise Klaviermusik im Hintergrund, auf den Terrassen Loungemusik. Im Sommer tanzte man auf Partys in parkähnlichen Gärten, in denen eigens weiße Pavillons für die nahezu alltäglichen Feiern irgendeines herausragenden Ereignisses aufgestellt wurden.

In meiner Erinnerung glänzte diese Welt taghell und sonnig, wie als läge sie auf der anderen Seite der Erde, während da wo ich jetzt war, dunkle Nacht herrschte. Die Welt, in der ich mit Paul gelebt hatte, war eine Umgebung, in der ich meine Kinder in Gedanken hatte aufwachsen sehen wollen – und nun das.

Ich schlich vorbei an einer Gruppe Jugendlicher, die ein Duft von Marihuana und Bier umgab, und klammerte mich an meine Handtasche.

Wie naiv war ich gewesen, tatsächlich an die große Liebe zu glauben? Daran, dass uns eine Zukunft bevorsteht, die unerschütterlich ist. Die nächsten Schritte, Hochzeit, Familie – alles schien mir so selbstverständlich. Und ich hatte es mir so gut vorstellen können, hatte mich in diesem Lebensplan so wohlgefühlt. Vor allem, weil ich nicht alleine war. Nie im Traum hätte ich geglaubt, dass das zu Ende geht und ich noch einmal im Leben so einsam und verlassen dastehe. Diesmal ohne meinen geliebten Vater, der mich schützend in den Arm hätte nehmen können.

Unsere feinen Freunde hatten sich größtenteils auf die Seite meines Ex-Freundes geschlagen. Man sinnierte lieber auf der großzügigen Terrasse seines Anwesens über den Sinn und Unsinn einer festen Beziehung und der großen Liebe. Das Glas teuren Rotweins in der Hand in edlem Ambiente zu schwenken, war angenehmer, als sich selbst in meiner Einzimmerwohnung in spartanischer Atmosphäre mit Wein aus dem Tetra Pak zuzuprosten. Damit verlor ich nicht nur den Glauben an die Liebe, sondern an nahezu alles Positive im Leben.

In was für einer oberflächlichen Scheinwelt ich bisher gelebt hatte, wurde mir nach und nach bewusst. Womöglich würde das früher oder später ein kleiner Trost werden.

Dankbar dachte ich an meine neue Freundin. Sabine gab mir Halt in meinem Alltag, der sich anfühlte, als sei ihm der Boden entrissen worden.

Ich kam am grauen Wohnblock an, in dem sich meine Wohnung befand. Mein Blick wanderte Stockwerk für Stockwerk an der tristen Fassade bis zu meiner Wohnung im fünften Stock hinauf. Bunte Markisen bildeten den einzigen Farbschimmer in dieser Ansicht. Zunichtegemacht wurde dieser durch Heerscharen von Satellitenschüsseln, die auf nahezu jedem der beengten Balkone angebracht waren. Mit hängenden Schultern ging ich auf die Eingangstür zu. Kein grüner Zweig umgab das Gebäude, nicht einmal eine Rasenfläche brachte einen Hauch von Idylle in das Bild. Seufzend schloss ich die Haustür auf und ignorierte dabei die überquellenden Briefschlitze von mehr als vierzig Wohnungen.

Abgeschreckt vom beißenden Gestank im Fahrstuhl und davon, dass mir der Weg in den fünften Stock darin vorkam, als reise ich zum Mond und bei jedem Halt stiegen gruselige Außerirdische ein, wählte ich lieber die Treppe. An die Wand hatten Jugendliche obszöne Sprüche geschmiert und es roch ekelerregend nach Urin und Zigarettenqualm.

Ich rannte fast bis zu meiner Wohnungstür und sank matt und außer Atem zu Boden, als ich mich von innen gegen die geschlossene Tür lehnte.

Ich weinte, weil ich hier nicht sein wollte. Weil das alles sich wie ein schlechter Scherz anfühlte. Wie ein böser Traum, aus dem ich einfach nur erwachen wollte. Vielleicht weinte ich aber auch aufgrund des einsetzenden Schocks nach diesen dramatischen Szenen im Vorgarten.

Ich weinte, weil Paul mir fehlte. Die Abende mit ihm, die Sorglosigkeit, die ich bei ihm verspürt hatte. Auch, wenn er mich seit Monaten belogen hatte, es war das Nicht-Alleinsein, das Gefühl von Zukunft, welches mir so sehr fehlte. Dass er mich verlassen hatte, hatte mich in ein tiefes Loch fallen lassen. Wortwörtlich. Mehr als ein Loch war diese Einzimmerwohnung nicht. Ich war aber hier eingezogen, damit mein Erspartes aufgrund der niedrigen Miete so lange wie möglich ausreichen würde.

Die mickrige Küchenzeile lud nicht gerade zum Kreieren kulinarischer Gaumenfreuden ein. Ein innenliegendes Badezimmer mit grauenerregend lindgrünen Kacheln und einem Duschvorhang mit Blütenmuster machten die banale tägliche Dusche zu einem Martyrium. Es handelte sich um einen Plastikvorhang der Sorte, die sich penetrant an einen klebt, wenn man ihm beim Duschen zu nahekommt. Nicht, dass ich zwingend die Sechs-Quadratmeter-Dusche mit Vollverglasung und die Whirlpool-Funktion meiner Ex-Badewanne zum Glücklichsein brauchte. Es war eher der himmelweite Unterschied, der mich immer wieder schlucken und mich das Ausmaß meiner Misere spüren ließ. Und unabhängig aller Unzufriedenheit über diese Wohnung, gönnte ich es einfach Madame Bilderbuch-Babybauch ums Verrecken nicht, dass sie jetzt in dieser Wanne vorgeburtlichen Kontakt zum Kind meines Ex-Freundes aufnehmen würde, während ich mit meinem anhänglichen Duschvorhang kämpfte. Der Vorhang stand symbolisch für die erbärmliche Umgebung, die sich an mich geheftet hatte und die ich nicht mehr loswurde, seit dem Tag, an dem ich herausgefunden hatte, dass Paul mich betrog und ich daraufhin ausgezogen war.

Nachdem ich heiß geduscht hatte, fühlte ich mich trotz des aufdringlichen Duschvorhanges wohler. Ich schaute mich im scheußlichen Bad um.

Als meine Welt in Scherben lag, dachte ich alle Gedanken, fühlte Emotionen von Wut über Verzweiflung bis hin zu Hysterie und Trauer. Es war mir im ersten Moment egal, wohin ich kam. Ich wollte einfach nur weg. Weg von dem Mann, der mich hinterhältig belogen hatte, und weg von den wohlhabenden Nachbarsdamen, die sich spätestens von nun an über mich ihre aufgespritzten Mäuler zerreißen würden.

Und da saß ich nun. Abserviert.

Im Nachhinein war ich der Überzeugung, ich habe an seiner Seite nach außen hin ein ganz passables Bild abgegeben. Mein Auftreten war ausgeglichen unspektakulär. So repräsentativ, dass man mit mir nicht negativ auffiel und so unauffällig, dass ich niemand anderen faszinierte. Den Kick schien er sich dann woanders geholt zu haben.

Die Vorstellung, dass mein Ex mit einer anderen Frau ins Bett stieg, wirkte wie ein Sturz aus tausenden von Metern. Mir wurde eiskalt. Vielleicht aber auch, weil die Kälte dieser Wohnung Besitz von mir nahm und mich anwiderte. Der miefige Geruch aus überfüllten Mülltonnen, das Panorama aus kargen Hochhäusern, zwischen denen lieblose Spielplätze dahinvegetierten, weil schon lange niemand sich mehr darum scherte, erdrückten mich. Wie ein Fremdkörper hockte ich in diesem Loch und verharrte die meiste Zeit wie in einer Schockstarre.

Ich war bei meinem alleinerziehenden Vater aufgewachsen, der als freiberuflicher Autor für ein philosophisches Magazin nicht viel besaß, wohl aber ein großes Herz. Unsere Wohnung war ähnlich meiner jetzigen gewesen. Sie bestand aus nur zwei Zimmern. Mein Vater schlief auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer, ich hatte mein eigenes Zimmer. Oft hatten wir abends bis spät in die Nacht gemeinsam gelesen oder uns Geschichten erzählt. Noch heute spürte ich die wohlige Wärme seines Armes, den er liebevoll um mich legte, wenn er mir mit weisem Blick über den Rand seiner Brille hinweg aus seinen Büchern vorlas.

Mit der Wärme und der Herzlichkeit meines Vaters ausgestattet, fühlte sich unsere Wohnung damals trotz ähnlicher Merkmale aber anders an. Sie war unser kleines feines Reich und für mich das schönste Zuhause der Welt. In Gedanken träumten wir uns damals von dort aus so oft an unseren Strand auf Sylt. Mein Vater hatte eine Cousine, die auf der Insel lebte. Manches Mal hatte sie uns ermöglicht, sie für ein paar Tage zu besuchen. Es waren mit die schönsten Tage in meinem Leben, die ich dort mit meinem Vater träumend und philosophierend im Schneidersitz im Sand sitzend verbracht hatte. Beim Gedanken daran spürte ich förmlich den Sand zwischen meinen Zehen und den immerwährenden leichten Wind im Haar. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.

All das lag Welten von meiner jetzigen Realität entfernt. Mit Paul war ich ein paar Mal nach Sylt gereist, und obwohl mein Vater mir unsagbar fehlte, waren es Tage, an denen ich ihm besonders nah war. Jetzt war auch Paul fort und es erschütterte mich, so einsam zu sein. Einerseits war ich froh, ausgebrochen zu sein aus dem Dunst aus Lügen und falschem Spiel. Andererseits kam ich nun mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass ich auf Paul fokussiert war.

Erst einmal sollte ich mir einen Job suchen, mit dem ich ein paar Taler verdienen konnte. Denn als wäre es noch nicht frustrierend genug, dass mein Freund mich verlassen hatte und schon so bald Papa werden würde, dass ich gar nicht genauer darüber nachdenken mochte, wie lange ich schon das Abendessen für ihn zubereitet hatte, während er sich seiner schwangeren Freundin gewidmet hatte. Ich hatte mit der Trennung auch meinen Arbeitsplatz verloren.

Ich war in einem gut gehenden Unternehmen für Beauty und Wellness in der Buchhaltung beschäftigt gewesen, Paul im Vertrieb. Im Job hatten wir uns kennen- und lieben gelernt. Unsere Geschichte glich einem Film. Wie im Film war es noch immer, nur war es weniger ein Kassenschlager mit Happy End, sondern eher ein Anwärter für die goldene Himbeere.

Ich hätte unmöglich noch einen Tag in der Firma bleiben können, in der ich ihm und womöglich seiner neuen Freundin täglich über den Weg stolperte. Das hätte ich nicht überlebt. Oder das frisch verliebte Pärchen hätte es nicht überlebt und das nächstbeste Schreibtischutensil wäre zur Mordwaffe mutiert.

Kapitel 2

Mia

Die Nacht verbrachte ich zwischen einer Tüte Chips und einer Big-Box Taschentücher in Embryonalstellung kauernd auf meinem Sofa. Das Bild, das sich mir am nächsten Morgen bot, sowohl im Spiegel als auch um mich herum auf dem Sofa, war keinesfalls ansehnlich. In diesem Moment war ich dankbar, dass niemand mich so sah.

Nachdem ich kurz ins Bad gekrochen war, lag ich kurze Zeit später schon wieder auf dem Sofa und empfand jeden Körperteil als bleischwer. Noch nicht einmal eine Tasse Kaffee motivierte mich, das Sofa zu verlassen. Es fühlte sich leer an in mir. Kalt und unbelebt und fast so, als würde ich jemanden vor mir liegen sehen, dessen Anblick mich erschaudern und mich nur wegschauen ließ.

Ich dachte an die kleine Holzkiste. Seit dem Tod meines Vaters war sie fest verschlossen. Sie umgab ein durchsichtiges Schloss. Zum ersten Mal dachte ich, ich könnte ihm nahe sein, indem ich seine Worte las. Bisher hielt mich eine Angst davon ab, dass es mein Herz zerreißen würde.

Ich stand auf und hob die Sitzfläche meines Hockers hoch, unter der der Schatz mit den Briefen versteckt war. Ich hatte sie vor mir selbst versteckt. Zitternd öffnete ich die Schachtel mit dem Aufdruck »Bilder von uns«.Neben einigen Fotos meiner Eltern hatte mein Vater in der Kiste Briefe gesammelt, die er an mich und meine Mutter verfasst hatte.

Ich öffnete den Brief, den er damals meiner Mutter geschrieben hatte.

»Der bist du doch gar nicht gewachsen! Was willst du ihr bieten? Vergiss sie am besten ganz schnell wieder.« Dass meine Freunde ihre Bedenken hatten, dass ich alter Schreiberling wenig Chancen bei dir haben sollte, klang plausibel.

Aber du weißt, mein lieber Schatz, im Vorfeld aufzugeben, liegt mir fern. Ja, ich bin ein armer Schreiberling. Und nein, niemals werde ich dir ein Haus bieten können, wie das, welches du deine Heimat nennst. Umgeben von Pferden, Polosport und feinen Gästen. Wenn das für dich zum Glück dazugehört, dann stimmt es, was sie sagen. Ich aber glaube, du weißt, worauf es im Leben ankommt.

Ich möchte da sein, in dieser schweren Zeit, dir helfen, dein Lachen wieder aufblühen zu lassen, mit dir über die Wiese am Elbufer schlendern und danach einen Tee in Lores gemütlichen Café trinken. Wie früher, als wir uns heimlich dort trafen. So sicher konnten wir uns an diesem Ort sein, dass deine Familie uns dort niemals sehen würde. Keine Sekunde würden sie einen Fuß in diese schäbige Lokalität setzen, die uns in diesem Moment die Welt bedeutete.

Mein lieber Schatz, lass uns nicht vergessen, was das Leben ausmacht. Lass die schwarze, große Wolke nicht unser Leben beherrschen. Lass uns weiter träumen, verzweifeln und wieder lachen. Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.

Mein Vater hatte eine wundervolle Art zu Schreiben. Was musste meine Mutter gefühlt haben bei diesen Worten?

Aber was meinte mein Vater mit »schwerer Zeit« und damit, dass sie ihrer Familie nicht begegnen wollten? Mein Vater hatte mir erzählt, dass meine Mutter krank war. Er sprach immer von einer heimtückischen Erkrankung. Nach diesem Brief klang es, als sei sie seelisch angeschlagen gewesen.

Ich hatte es mir all die Jahre ganz anders vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, seine Briefe zu lesen. Ich war traurig, vermisste ihn, aber eher so, als ob wir nur räumlich getrennt seien. Ich fühlte mich ihm so nah wie lange nicht und nahm mir ganz fest vor, endlich alle Briefe zu lesen.

Heute musste ich in Sachen Jobsuche weiterkommen. So konnte es, schon finanziell, unmöglich weitergehen.

Ich schaute online auf meinem Tablet nach einer Seite, die mir Sabine empfohlen hatte. Sabine, die Betreiberin eines kleinen Tante-Emma-Ladens galt als die gute Seele des Viertels und strahlte eine Wärme aus, die die Atmosphäre zwischen den trostlosen, öden Betonklötzen sonst kaum hergab. Das Geschäft galt als inoffizieller Mittelpunkt dieser Gegend für alle Bewohner und als einziger Lichtstreifen zwischen Tristesse und Eintönigkeit für mich. Ich war mir vom ersten Tag an sicher, dass ich, wenn es mal ein ernsthaftes Problem geben sollte, zu jeder Zeit zu ihr kommen konnte. Sie war dreiundsechzig Jahre alt und verkaufte in ihrem Kiosk allerlei Dinge, die man im Alltag so brauchte. Schon der Spruch, der an der Tür ihres Kiosks stand, sagte eine Menge aus:

Wie kann ich deinen Tag schöner machen?

Sabine gelang das in den meisten Fällen, einfach, weil sie da war.

Ich las die Stellenangebote. Nichts war dabei, wofür ich mich für ausreichend qualifiziert hielt.

Neben Tagesmutter- und Babysitter-Gesuche, für die ich mich stimmungstechnisch in nicht allzu geeigneter Lage befand, gab es viele Angebote, die schon in ihrer Aufmachung so unseriös wirkten, dass ich Skrupel hatte, dort anzurufen. Kopfschüttelnd blätterte ich weiter und studierte die Überschriften. Ich sah mich weder als »Motivations-Wunder im Harz«, was die Begleitung einer Jugendgruppe auf Ausflügen beschrieb, noch »mit Herz für Mami und Mini«, Verkäuferin in einem Babygeschäft. Es war nichts zu finden für mich. Am Ende führte aber kein Weg daran vorbei: Ich musste mich aufraffen, wenn ich nicht länger in dieser gruseligen Umgebung bleiben wollte. Die vier Wochen waren vier Wochen zu viel. Mir fiel ein, dass Sabine von einer Stelle erzählt hatte. Irgendwas mit »Honigmilch« kam darin vor. Dieser Begriff hatte sich ihr eingeprägt. Ich fand das Angebot, das Sabine als passend einschätzte.

Die Beschreibung war neutral gehalten. Eine Agentur mit dem klangvollen Namen Honigmilch stand hinter der Anzeige. Der Name sprach mich an und stand für mich für all das, wonach ich mich sehnte – Wärme und Zuversicht. Man suche Unterstützung für einige Auftraggeber. Seriosität garantiert. Beim persönlichen Gespräch erhalte man Details. Ich nahm mein Handy zur Hand, und rief bei der Nummer an. In meinem Kopf spielten sich Szenen zu skurrilsten Stellenangeboten ab und nur einen Moment, bevor mein Herzrasen mich zum Auflegen brachte, meldete sich eine Stimme, die gut gelaunt und unbeschwert klang.

»Lewalder, Agentur Honigmilch, guten Tag!«

»Guten Tag, Frau Lewalder. Mia Schönthal mein Name.«

»Frau Schönthal, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Frau am anderen Ende freundlich.

»Sie haben eine Anzeige geschaltet, darauf melde ich mich. Sie schrieben, dass Sie zunächst ein persönliches Gespräch wünschen. Hätten Sie Zeit, dass wir uns einmal treffen?«, fragte ich mit einem Flattern in der Stimme. Ich hoffte, die Frau am anderen Ende der Leitung würde es nicht negativ werten.

»Sehr gerne! Ich freue mich über Ihren Anruf«, kam als Antwort.

»Worum geht es denn bei dieser Stelle eigentlich? Die Anzeige verrät ja nicht allzu viel über die Aufgabe.« Auch wenn im Text stand, dass weitere Informationen nach einem persönlichen Gespräch folgen würden, hoffte ich, zu erfahren, worum es ging.

»Ihre Frage ist berechtigt. So viel schon vorab zu Ihrer Beruhigung: Es handelt sich dabei um eine buchhalterische Tätigkeit. Wir hatten bereits Anruferinnen, die bei uns als Escort Dame anheuern wollten.« Frau Lewalder lachte verblüfft. »Ich hatte nicht bedacht, dass wenig Angaben im Beschreibungstext zu solch Ideen führen könnten.«

»Also als Escort Dame hätte ich in der Tat Bedenken, was meine Qualifikation angeht. Aber buchhalterisch kann ich punkten«, erwiderte ich mit einem Schmunzeln.

»Na wunderbar! Wann passt es Ihnen denn zeitlich?«, antwortete Frau Lewalder fröhlich.

»Von mir aus so schnell wie möglich. Haben Sie ganz kurzfristig morgen schon Zeit?«, lehnte ich mich weit aus dem Fenster. Meine Stimme hatte jetzt schon mehr Mut entwickelt als der Rest meines Körpers und preschte voraus.

»Das kann ich einrichten. Sagen wir, 10 Uhr im Café Auszeit? Kennen Sie das?«

»Sehr gut! Ja, ist mir ein Begriff! Vielen Dank! Ich freue mich drauf. Was benötigen Sie von mir?« Ich wollte bestmöglich vorbereitet sein für das Gespräch.

»Lassen Sie uns erst einmal schauen, ob wir uns gut verstehen, alles andere besprechen wir dann, ist das in Ihrem Sinne?«, ließ die freundliche Stimme von Frau Lewalder einen Teil meiner Last von mir abfallen. Bis morgen alle Unterlagen zur Hand zu haben, wäre mir kaum gelungen.

»Danke, Frau Lewalder«, sagte ich und wir verabschiedeten uns voneinander.

Als ich aufgelegt hatte, stieß ich einen lauten Jubelschrei hervor und hüpfte mit dem Telefon in der Hand durch den Raum. Ich sah einen Silberstreif am Horizont aufblitzen. Das Gespräch wirkte wie eine Überdosis Glücksgefühle und in diesem Moment fühlte es sich an, als ginge es aufwärts für mich.

Ich war dankbar für dieses Telefonat, das mir eine erste Perspektive gab.

Ich wollte mich selbst für meinen Mut belohnen. Ich wollte bei Sabine eine Honigmilch trinken. Das war etwas für die Seele. Ich war ein absoluter Honigmilch-Fan. Womöglich ein Wink des Schicksals, dass die Agentur gerade diesen Namen trug?

Honigmilch gab mir ein Gefühl von Geborgenheit, weil mein Vater mir diese als Kind zubereitet hatte, wenn ich krank war und auch später als Jugendliche, wenn mich mal wieder der Liebeskummer plagte. Das war genau das, was ich jetzt brauchte.

Bevor ich ging, warf ich einen Blick auf mein Spiegelbild. Aus müden Augen lächelte mich mein Gegenüber schief an. Ich hatte mal gelesen, dass es einen glücklicher stimmen würde, wenn man sein Spiegelbild anlächelte. Schaden konnte es in keinem Fall, sei es auch noch so gekünstelt. Ich straffte die Schultern, fasste mein dickes, blondes Haar in einem Pferdeschwanz zusammen, grinste verkrampft in den Spiegel und griff nach meiner Tasche. Eine Sofortwirkung des Lächel-Dopings konnte ich nicht feststellen, aber vielleicht war die Stimmung dafür auch viele Wochen zu weit im Keller gewesen.

Einigermaßen gesellschaftstauglich verließ ich meine Wohnung.

Eiligen Schrittes lief ich zur Treppe und stieg die verhasst gewohnte Strecke der fünf Stockwerke hinab.

Sabines warmherziges Lächeln, welches mir schon von Weitem entgegenstrahlte, empfing mich. Sie aß gerade Schokolade.

»Hey Kleines! Wie geht’s dir? Schoki?« Sie griff neben sich in eine Schachtel und reichte mir eine Schachtel Kinderriegel. »Iss erst mal was. Und dann setz dich doch und erzähl mir, warum du gestern Abend gar nicht angerufen hast.« Rumpelnd zog sie einen Stuhl zu sich und deutete mir an, mich hinzusetzen.

»Du bist ein Schatz, Sabine«, bedankte ich mich und nahm sie in den Arm, bevor ich mich setzte.

Die drahtige, kleine Person erwiderte meine Umarmung mit festem Griff und ich fühlte mich geborgen.

»Ich war bei meinem Ex. Also nur vor der Tür«, sagte ich zähneknirschend.

»Ach Mädchen. Sollst du ja auch nicht machen«, mahnte Sabine mich kopfschüttelnd, zog dabei die Augenbrauen hoch und warf die Stirn sorgenvoll in Falten.

»Weiß ich ja, aber …«, stammelte ich.

»Du liebst den Mistkerl halt. Ich weiß. Aber er isses nicht wert! Liebes – tu’ dir doch selbst nicht so weh. Was soll das bringen? Dass du die neue Alte in Strapsen durch das Wohnzimmer hüpfen siehst?«

»Sabine!«, entrüstet schaute ich sie an.

»Ja, is’ doch so«, stellte sie trocken fest.

»Ja, es war eine blöde Idee von mir. Das hab ich ja auch festgestellt«, gab ich zu.

Sabine war Gold wert.

»Sabine, wenn ich hier mal wieder wegziehe«, fasste ich meine Gedanken in Worte, »nehm’ ich dich einfach mit.«

Sabine lächelte versonnen und schüttelte schweigend den Kopf.

»Mich erdrückt das hier alles. Es ist so erbärmlich, so unglaublich deprimierend und problembehaftet. Das halte ich nicht länger aus.«

»Kleines, das stimmt. Aber es kann ja nicht überall Alsterdorf sein«, sagte Sabine knapp und rührte in ihrem Kaffee.

»Ich würde dir empfehlen, dass du dich wieder aufrappelst und nicht länger in Selbstmitleid badest. Dann wird alles von ganz alleine wieder gut. Dann findest du auch deinen echten Traumprinzen.« Sabine lächelte mütterlich.

»Ein ganz normaler Typ würde mir auch schon reichen«, sagte ich und lächelte schief.

»Weiß ich doch, Mädchen. Was kann ich denn eigentlich für dich tun, außer dich mit Kinderriegeln glücklicher zu zaubern? Heiße Milch mit Honig?«

Ich nickte lächelnd. Die Honigmilch war schon so etwas wie unser Ritual geworden, daher konnte sie meinen Wunsch erkennen, ohne dass ich ihn ausgesprochen hatte. Seit ich hier wohnte, kannte ich Sabine. Seit ich hier wohnte, ging es mir allerdings auch schlecht. Es war daher nicht allzu schwierig, meinen Gemütszustand zu erraten. Da Sabines dringendster Tipp bei seelischer Verstimmung die heiße Milch mit Honig war, war ich gleich beim ersten Treffen mit ihr in den Genuss dieses Seelentrösters gekommen und hatte mich sofort wohlgefühlt bei ihr.

»Bald kann ich mich aus deinem Laden kugeln«, sagte ich mit einem Seufzen.

»Alles wird gut, mein Mädchen«, sagte Sabine und schob lächelnd den Vorhang aus dicken Holzperlen beiseite, der ihren Laden von ihrem privaten Bereich trennte und beim Durchgehen ein klackerndes Geräusch erzeugte.

Nachdenklich starrte ich auf die Bilder von Sabine, die an der Wand hingen. Sabine war mit ihrem Laden älter geworden, hatte aber nie an Fröhlichkeit eingebüßt. Sie durfte wahrlich stolz sein auf sich. In dieser Gegend den Laden all die Jahre aufrecht zu erhalten und sich diese optimistische Lebenseinstellung nicht trüben zu lassen, erntete meine Bewunderung.

Hier lebten etliche alte Leute. Armut im Alter, Arbeitslosigkeit und Krankheiten, die zu Jobverlust führten, ließen die Menschen hier stranden. Aber es gab auch junge Leute, die hier wohnten. Menschen, die ganz am Anfang ihrer Lebensplanung standen. Wie schwer, wenn man zu Beginn schon alle Kräfte mobilisieren musste, gegen die Tristesse hier anzukommen.

So betrachtet bekam ich einen ganz anderen Blick auf die Leute, die hier lebten. Sie mussten enorm starke Menschen sein, wenn es ihnen gelang, Tag für Tag aus diesem Sumpf heraus aufzustehen und dabei nicht zu kapitulieren.

Sabine kam zurück und strahlte. Es mussten Persönlichkeiten wie Sabine sein, die diese Menschen antrieben.

Der Duft von Honigmilch stimmte mich sofort optimistischer.

»Mädchen, und jetzt versprichst du mir, dass du das nicht mehr machst!«, sagte Sabine und knuffte mich in die Seite.

»Zu viel Schokolade zu essen?«, fragte ich gespielt unschuldig.

»Du weißt genau, was ich meine. Lass ihn gehen, den Mistkerl. Quäl’ dich doch nicht unnötig weiter. Willst du unbedingt wissen, wie die beiden zusammen aussehen, wie sie lachen, wie sie an deinem Platz am Frühstückstisch sitzt oder die Buchsbäume vorm Haus frisiert?«

»Du weißt von den Buchsbäumen?« Irritiert schaute ich Sabine an.

»Leute wie ihr haben Buchsbäume im Vorgarten, die perfekt rund geschnitten sind. Is’ so.«

»War so, ja«, stellte ich fest. Dabei konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Wieso, hast du sie rausgerupft und willst sie hier auf den Balkon pflanzen für ein bisschen Luxusflair?« Sabine grinste irritiert.

Ich musste lachen.

»Nein, sie sind seit heute Nacht nicht mehr rund. Sie sind komplett zerstört.« Ich kicherte, stockte für ein paar Sekunden und lachte dann erneut, diesmal fast schon hysterisch.

»Ist alles in Ordnung bei dir?« Sabine schaute besorgt.

Mein Lachen war kein glückliches Lachen, es war ein verzweifeltes. Ein Lachen, das einfach nur schrie: Nimm mich in den Arm! Ich kann nicht mehr! Und das tat Sabine.

Sie drückte mich fest an sich.

»Kleines, hast du bei der Stellenanzeige angerufen?«, hakte Sabine nach.

»Habe ich! Morgen treffe ich mich mit der Dame!«, sagte ich stolz wie ein Kind, das seine Hausaufgaben erledigt hat, und streckte demonstrativ den Rücken durch.

»Mensch klasse! Und das erzählst du erst jetzt! Das ist doch ein Schritt in die richtige Richtung«, lobte mich Sabine schmunzelnd und knuffte mir vorwurfsvoll in die Seite.

Wir plauderten noch ein bisschen und nach einiger Zeit verabschiedete ich mich von Sabine.

Ich ging gerade auf meine Tür zu, da erschrak ich gewaltig. Vor meiner Tür hockte eine Frau, die weinte. Als ich näherkam, stand sie auf, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und schaute mich aus roten Augen an.

»Ich, ich wohne hier«, sagte die Frau und deutete auf die Nachbartür.

»Hallo«, stammelte ich. »Ist alles in Ordnung? Kann ich irgendwas für Sie tun?«, fragte ich besorgt.

»Haben Sie ein Pflaster für mich?«, fragte die Frau und sah mich an. Ihr Blick wirkte jugendlich und unschuldig. Er hatte etwas Hilfesuchendes. Dann hob sie ihre Hand und zeigte mir eine Wunde, um die sie ein Taschentuch gewickelt hatte. Ich wich vor Schreck zurück.

»Oh nein! Was ist passiert? Klar, warten Sie, ich schaue gleich nach einem Pflaster. Kommen Sie mit!« Ich zögerte nicht lange, die junge Frau in meine Wohnung zu lassen. Sie war verletzt und irgendwie schien sie mir gerade so zerbrechlich und hilflos, dass ich die Tür aufschloss und sie mit einer Handbewegung einlud, mit hineinzukommen.

»Danke!« Sie lächelte und in diesem Moment sah ich, dass sie sehr hübsch war. Allein die roten Augen und die blasse Haut verfälschten diesen Eindruck. Sie sah mitgenommen aus.

»Ich hab mich ausgeschlossen. Hab noch versucht, die Tür mit einem Trick zu öffnen. Aber mehr als diesen Cut in der Hand habe ich nicht erreicht.« Sie lächelte schief. »Mein Freund kommt hoffentlich bald wieder. Er wollte sich gleich melden, wenn er auf dem Rückweg von der Arbeit ist.«

»Ach so, ok. Hier ist ein Pflaster.« Ich reichte es ihr gemeinsam mit Desinfektionsspray. Dies hatte ich immer griffbereit in einer Küchenschublade. Meine Kochkünste und mein eher ungeschickter Umgang mit diversen Küchenutensilien machten das notwendig. Mir war die Situation nicht ganz geheuer, dennoch wirkte die junge Frau vertrauenserweckend auf mich. Nie hätte ich noch bis vor wenigen Minuten für möglich gehalten, dass ich mit einer Nachbarin hier in meiner Küche saß.

»Sie sind neu hier, oder?«, fragte sie mich und sah mich an. Noch nie hatte ich so eisblaue Augen gesehen. Sie widmete sich wieder ihrer Hand und versorgte die Wunde mit dem Pflaster.

»Ja, relativ neu. Mein Freund und ich haben uns getrennt. Da bin ich hier erst mal eingezogen«, antwortete ich. Das Wort erst mal bereute ich gleich, nachdem ich es ausgesprochen hatte. Das klang nach einer Notlösung und fühlte sich irgendwie unfair an ihr gegenüber.

»Also, ich bin froh, hier so kurzfristig eine Wohnung gefunden zu haben«, schob ich daher hinterher.

»Kann man froh sein, hier zu wohnen? Das glaube ich nicht«, stellte meine Nachbarin fest und lächelte skeptisch. »Wo haben Sie denn vorher gewohnt?«

Mir kam es falsch vor, zu sagen, dass ich in Alsterdorf gelebt hatte. Allerdings fiel mir auf Anhieb auch keine andere Antwort ein. Ich antwortete ihr deshalb ausweichend, dass ich nicht weit von hier entfernt gelebt hatte.

»Ok.« Ihr Ok konnte alles bedeuten.

»Und Sie, entschuldigen Sie, ich weiß Ihren Namen noch gar nicht. Sind Sie auch neu hier?«

»Anna heiße ich«, antwortete meine Nachbarin.

»Mia. Sag bitte du zu mir«, stellte ich mich vor und wir lächelten uns an.

»Ich wohne hier, seit ich mit achtzehn von zu Hause ausgezogen bin. Das war vor fünf Jahren. Ich bin dann zu Tom gezogen. Tom ist mein Freund; kennst du vielleicht.« Anna schaute mich abwartend an, während sie das sagte.

»Ich kenne ihn vom Sehen, ja. Aber ich finde es unheimlich anonym hier. Findest du nicht auch?«

»Ich bin ganz froh, dass ich hier nicht so viele kenne«, stellte Anna nüchtern fest. »Die meisten machen mir Angst.«

»Das stimmt. Das geht mir leider auch so«, gab ich ihr recht. »Kaffee?«, bot ich an. Sie nickte.

Ich reichte ihr eine Tasse Kaffee, den ich nebenbei gekocht hatte, und schaute mir diverse Tattoos auf ihrem Handgelenk an.

»Danke! Nett von dir.« Anna nahm die Tasse Kaffee und trank einen großen Schluck. »Meine Eltern sind durchgedreht damals. Ich hatte gerade mein Abi gemacht. Sie hätten sich gewünscht, dass ich Medizin studiere. Wie Mama. Oder Jura wie mein Papa. Aber ich wollte das nicht. Ich wollte glücklich sein. Raus aus dieser falschen Gesellschaft zwischen Reiten und Golfspielen.« Ihr Blick bekam etwas Rebellisches.

Erstaunt schaute ich sie an. Was sie sagte, klang abgeklärt, nicht nach einem jungen Mädchen, das in einem Anflug von Erwachsenwerden gegen den Willen ihrer Eltern auszieht und sich Hals über Kopf in die große Liebe stürzt.

»Und was machst du seitdem? Wovon lebst du?«, fragte ich sie.

»Ich habe eine Ausbildung angefangen in einem Blumenladen. Blumen waren immer mein Hobby. Als Kind habe ich schon die ganze Nachbarschaft mit Sträußen und Gestecken versorgt. Der Laden ist hier im Nachbarviertel. Echt schön. Macht Spaß!« Sie lächelte glücklich. »Ich geh’ mal wieder«, sagte sie plötzlich und stand auf.

»Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte ich besorgt, schließlich hatte ich sie gerade weinend vor meiner Tür gefunden und der Schnitt an der Hand war nicht ohne.

»Du meinst unseren Streit, oder?« Ihre beeindruckenden Augen schauten Hilfe suchend an mir vorbei durch den Raum.

Ich hob ahnungslos die Schultern. Ich wusste nicht, wovon sie sprach.

»Ich dachte, man konnte uns vorhin hören. Gab ein bisschen Streit. Aber alles ok. Danke. Meine Eltern haben mal wieder rumgestresst. Meistens haben wir keinen Kontakt. Wenn, dann geht es ums Geld – einfach ein Scheißthema. Die Kombination können wir beide immer nicht so gut ab«, sagte sie ausweichend, stand auf und ging zur Tür. »Weißt du, auch, wenn das hier alles nicht Alsterdorf ist. Nach Hause möchte ich nicht wieder zurück. Die haben es nicht begriffen.« Ihr Tonfall klang bitter. Erschreckend abgeklärt für eine so junge Frau. Sie legte mir einen zusammengefalteten Zettel auf den Tisch. »Hier, der lag auf dem Boden.«

Dann ging sie.

Als ich wieder alleine war, faltete ich den Zettel auf und las die handschriftlichen Zeilen. Es war die Schrift meines Vaters.

Keine Begegnung ist ein Zufall. Immer, wenn wir jemandem begegnen, geschieht das aus einem bestimmten Grund. Wenn es uns schlecht ging, ist vielleicht der Mensch, den wir treffen, unsere Chance. Die Chance, jemand anderem zu helfen, kann aber auch uns selbst helfen, unsere Verletzungen zu heilen. Wir sollten diese Chance nutzen. Man muss es nur zulassen, einem Menschen zu vertrauen.

Danke mein Schatz, dass du mir die Chance gegeben hast, gemeinsam schaffen wir es, diese schwarze, graue Wolke zu vertreiben.

Wie treffend waren diese Worte gerade auch für mich. Dieser Mensch war Paul für mich gewesen. Aber was kam jetzt, wo Paul aus meinem Leben verschwunden war? Traten jetzt vielleicht neue Menschen in mein Leben?

»Danke, Papa«, flüsterte ich und wollte den Zettel ganz nach unten in die Kiste legen. Als ich ihn zusammenfaltete, fiel mir auf, dass auf der Rückseite eine Notiz stand: »Diagnose Depression, April«. Die Jahreszahl lag ein Jahr vor ihrem Todeszeitpunkt. Für einen Moment tat es einen Stich in meinem Herzen. Meine Mutter hatte also an einer Depression gelitten. Diese Erkenntnis ließ mich einmal tief durchatmen. Ich hatte das bisher nicht gewusst. In meiner Handtasche suchte ich nach Taschentüchern. Dabei fiel mir auf, dass ich mein Handy gar nicht sah.

Ich suchte es überall, fand es aber nicht. Unruhig durchwühlte ich noch mal alle Fächer meiner Handtasche und der Jacke. Dann suchte ich auf dem Tisch, meinem Nachtisch und im Badezimmer. Nichts.

Langsam wurde ich nervös. Ich musste es verloren haben. Hatte ich es heute überhaupt schon benutzt? Zuletzt hatte ich es gestern Abend gebraucht. Und dann hatte ich es nicht mehr in der Hand gehabt. Die Stellenanzeige hatte ich vom Festnetz aus angerufen. Von dort aus wählte ich meine Nummer und horchte. Leider klingelte es nirgends.

Bestimmt war es mir bei meiner nächtlichen Aktion aus der Handtasche gefallen und lag nun in Pauls Vorgarten. Bestenfalls. Es konnte auch sein, dass es im Springbrunnen lag. Oder irgendein zwielichtiger Typ aus der Bahn, und davon hatte ich einige gesehen, hatte meine Schocksituation ausgenutzt und mich beklaut.

Es half nichts, ich musste es suchen. Geld für ein Neues hatte ich nicht, alle Datensicherungen waren auf Pauls PC und wenn ich die Nummern behalten wollte, musste ich es wiederfinden.

Ich machte mich also noch einmal auf den Weg nach Alsterdorf.

Kapitel 3

Mia

Als ich die Wohnung verließ, hielt mir der Freund meiner Nachbarin die Tür zum Treppenhaus auf. Er sagte nichts, schaute an mir vorbei. Ich bedankte mich und grüßte kurz. Er war ein markanter Typ. Groß und durchtrainiert, wenn ich das richtig erkannte hinter dem Sweatshirt und der lässigen Jeans. Er passte gut zu der kleinen und zierlichen Anna. Sein dunkles Haar stand gekonnt wirr in alle Richtungen und sollte wohl den »Out of bed«-Look darstellen. Trotz seines finsteren Blickes, der weiterhin direkt an mir vorbeiging, hatte er ein attraktives Auftreten. Er stieg in den Fahrstuhl, ich nahm wie immer die Treppe.

Als ich vor meinem ehemaligen Wohnhaus ankam, stand das Auto meines Ex-Freundes zu meiner Erleichterung nicht vor der Tür. Es war niemand zu Hause.

Es bot sich mir ein Anblick der Verwüstung. Pauls Blick, als er dieses Chaos entdeckt hatte, hätte ich gerne gesehen.

Ein Blick in den Springbrunnen zeigte mir, dass mein Handy hier nicht war. Glück gehabt. Es sei denn, jemand hatte es bereits aus dem Wasser gefischt und war mir auf die Spur gekommen.

Leider sah ich es auch neben dem Springbrunnen nicht und als ich nach einigem Suchen fast schon aufgeben wollte, bemerkte ich etwas auf dem Boden vor der Haustür. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass vor der Tür ein großer Strauß champagnerfarbener Rosen lag, zusammen mit einer Schachtel Pralinen und einer Karte. Ich schaute mich um. Frau Biensheim lehnte ausnahmsweise mal nicht am Fenster. Auch sonst war niemand zu sehen. Durch das restliche Gestrüpp stakste ich auf die Tür zu. Mein Herz klopfte vor Aufregung so laut, dass vorübergehende Passanten es womöglich hören konnten. Mit feuchten Händen nahm ich die Karte, die in den Rosen steckte, und las neugierig die handschriftlich geschriebenen Worte:

Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich hoffe, es geht Ihnen gut und Sie haben sich vom Schreck erholt. Selbstverständlich komme ich für den Schaden auf. Rufnummer und Kontaktdaten sind im Kuvert in Ihrem Briefkasten.

Der Adressat dieser Karte musste ich sein. Niemand anders hatte den Unfall miterlebt. Der Absender musste denken, dass ich hier wohnte, anders war es auch schwer zu erklären, warum ich nachts im Vorgarten umherstand. Weitere Beteiligte, die als Opfer oder Zuschauer seiner nächtlichen Irrfahrt beigewohnt hatten, gab es nicht, außer Frau Biensheim eventuell.

Ein Klingeln meines vertrauten Handytons ließ mich zusammenzucken. Der Schreck wich der Erleichterung, gleich wieder in Besitz meines Telefons zu sein. Hektisch machte ich mich auf die Suche, um das Handy zu orten. Ich fand es unter einem Busch unterhalb der Fensterbank. Kurzerhand griff ich noch nach den Blumen und den Pralinen, und startete in Richtung Haltestelle, während ich den Anruf annahm. Ich wollte möglichst schnell verschwinden, bevor mich noch jemand sah. Der Anrufer war die freundliche Frau Lewalder.

»Frau Schönthal? Prima, dass ich Sie erreiche. Würde es Ihnen auch heute Nachmittag bereits passen, dass wir uns treffen? So gegen 16 Uhr?«

»Gerne! Danke! Heute passt mir auch. Bis dahin.«

Als ich aufgelegt hatte, fand ich einige Anrufe und Nachrichten von Sabine auf meinem Handy.

»Sag bloß nicht, du bist wieder zu ihm gefahren???«

»Mia?« Der Tonfall war schon energischer.

»Meld’ dich bitte!« Sabines sonst so besonnen ruhige Stimme klang aufgeregt.

Sie hatte sich Sorgen gemacht. Ich staunte, wie wenig vorwurfsvoll sie mir bei meinem Besuch begegnet war. Sabine wusste ihr Gegenüber dann aufzubauen, wenn andere nur verständnislos den Kopf schüttelten. Sie war wirklich ein großartiger Mensch.

Mit dem stattlichen Blumenstrauß und den Pralinen in der Hand machte ich mich wieder auf den Weg zum Wohnblock. Ich hatte die Idee, die Blumen meiner Nachbarin Anna zu schenken. Sie hatte so von Blumen geschwärmt, vielleicht würde sie sich freuen.

Während ich den Strauß anschaute, stellte ich mir den Fahrer des Oldtimers vor, der allem Anschein nach zwar kein Verantwortungsbewusstsein, wohl aber Geschmack hatte. Die Pralinensorte liebte ich. Genau die schwebten mir vor, als mir heute nach ein wenig Seelenbalsam zumute gewesen war. Dass ich diese nun auf dem Umweg über den Ort des Unfalls und meiner näheren Vergangenheit fand, war kurios.

In meiner Wohnung angekommen, versorgte ich die Blumen mit Wasser und schnappte mir die Schachtel Pralinen, um mich noch einmal auf den Weg zu Sabine zu machen.

»Hallo, meine Süße! Schon wieder da? Ist aber nix passiert, oder?«, begrüßte sie mich.

»Hallo, Sabine! Nein, nichts passiert. Ich wollte dir eine Entschuldigung vorbeibringen, weil ich mich gestern Abend nicht gemeldet hatte. Aber mein Handy lag in Pauls Vorgarten.«

»Du musst dich nicht rechtfertigen«, stellte sie trocken fest. Dann erst fiel ihr auf, was ich als Erklärung für meinen nicht erfolgten Rückruf vorgebracht hatte. »In Pauls Vorgarten also?« Mit gespielt ernster Miene schaute Sabine über den Rand ihrer Hornbrille und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie kam es da denn bitte hin? Den Teil hast du vorhin irgendwie ausgelassen.«

»Eine lange Geschichte.« Noch während ich das sagte, wusste ich, dass dies nur ein kläglicher Versuch war, drumherum zu kommen, ihr die ganze Geschichte zu erzählen.

»Ich hab ja Zeit.« Sabine ließ sich auf ihren Stuhl fallen, verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Ich setzte mich ebenso.

Ich erzählte ihr die unglaubliche Geschichte.

»Und du bist dir sicher, dass du gestern nicht ein wenig zu tief ins Glas geschaut hast?«, rätselte sie und ich erkannte, wie sie versuchte, das Puzzle in ihrem Kopf zusammenzusetzen.

»Sabine!« Empört blitzte ich sie an. »Natürlich bin ich mir sicher! Genau so war es!«

»Stell’ dir mal vor, was alles hätte passieren können!«, mahnte Sabine mit sorgenvollem Blick.

»Ist ja nichts passiert. Vielleicht sollte das geschehen!« Ich hoffte selbst, dass das Ganze womöglich einen Sinn gehabt haben könnte.

Ich griff nach der Pralinenschachtel und studierte sie eingehend.

»Na ja, ich weiß nicht«, stellte Sabine fest, zog einen Mundwinkel nach oben und schüttelte den Kopf. »Und was genau machst du da jetzt?«, fragte sie irritiert, als sie sah, wie ich die Pralinenschachtel inspizierte, als vermutete ich einen Zünder für eine Bombe. Wahrscheinlich fürchtete sie bereits, ich sei in der Nacht auf den Kopf gestürzt und habe meinen Verstand verloren.

»Die sind von dem Unfallfahrer«, erklärte ich.

»Die sind von dem Unfallfahrer? Hat er die, bevor er Gas gegeben hat, noch durchs zersplitterte Fenster zugeworfen als Entschuldigung oder wie haben dich die Pralinen erreicht?« Sabine war offensichtlich mehr als verwirrt. Ungläubig starrte sie mich an.

Ich musste lachen. »Natürlich nicht. Als ich mein Handy vorhin im Vorgarten gesucht habe, da lag die Schachtel vor der Tür. Dazu noch ein traumhafter Blumenstrauß und eine Karte mit einer Entschuldigung.«

»Abgefahren! Am Ende also doch ‘n Gentleman.« Sabines Wortschatz gab nicht mehr viel her.

»Ja, oder? Leider ohne Telefonnummer. Die lag im Briefkasten. Das wäre noch verrückter. Obwohl, von Männern habe ich eigentlich derzeit mehr als die Nase voll«, fügte ich an.

»Ob jemand, der kurzerhand mal den Vorgarten fremder Leute planiert und dann einfach das Weite sucht und noch nicht einmal aussteigt, das Zeug zum Traumprinzen hat, wage ich auch zu bezweifeln, meine Liebe. Pralinen hin oder her«, stellte Sabine nüchtern fest.

»Da hast du auch wieder recht«, musste ich ihr beipflichten.

»Und nun?« Sabine steckte sich eine Praline in den Mund und ließ sie genüsslich auf ihrer Zunge zergehen. »Mhmmm! Also die Pralinen schmecken jedenfalls sehr gut – dafür hat sich die dusselige Aktion schon mal gelohnt«, sagte sie augenzwinkernd.

»Na siehst du!«, antwortete ich und griff nach einer Praline für mich. Wir mussten lachen.

»Alles wird gut, meine Süße! Gut, dass dir nix passiert ist. Wichtig ist, dass du jetzt Geld verdienst, alles andere wird sich dann nach und nach einpendeln«, versuchte Sabine, mich zu beruhigen.

»Das hoffe ich. Ich mache mich mal wieder auf den Weg, ok? Hab ein bisschen zu wenig geschlafen heute Nacht. Ich bin todmüde«, sagte ich und nahm sie zur Verabschiedung in den Arm.

»Schön, dass du da warst. Es wird sich alles finden!«, sagte sie leise und drückte mich fest.

Sabine hatte recht. Ich musste vielleicht wieder mehr zu tun haben, dann würden die Gedanken an Paul und meine Nachfolgerin von selbst verschwinden. Ein Job war schon ein guter Anfang.

Kapitel 4

Laurenz

Als ich mein Auto zur Werkstatt gebracht hatte, ließ ich mich von einem Taxi in die Firma bringen. Hier hatte ich mein Auto stehen, mit dem ich sonst all meine Alltagswege bestritt. Den Oldtimer hatte ich im Parkhaus des Gebäudes abgestellt und fuhr nur hin und wieder damit. So wie gestern Abend.

Jetzt würde ich einige Zeit auf ihn verzichten müssen. Ich konnte meinen Ärger über den Unfall kaum in Worte fassen. Wie konnte es passieren, dass ich dermaßen die Kontrolle verlor?

Erst diese konfuse Fahrt gegen den Baum und, als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, beging ich auch noch Fahrerflucht. Das passte überhaupt nicht zu mir und erschien mir noch im Rückblick so abwegig, dass ich nur immer wieder selbst den Kopf über mich schütteln konnte.

Es war eine hilflose Geste, den Blumenstrauß nebst den Pralinen und meinen Kontaktdaten so feige vor dem Haus zu drapieren. Eine gänzlich schwache Leistung. Aber ich war nicht in der Lage, jemandem Fremdes gegenüberzustehen und zu erklären, was in mich gefahren war, einfach davonzufahren, wenn ich es noch nicht einmal mir selbst erklären konnte. Ich schob es auf den Schock.

Nun würde ich abwarten, bis die Eigentümer des Hauses sich meldeten und alles Weitere möglichst unkompliziert in die Wege leiten würden. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.

An Arbeit war heute nicht zu denken. Ich würde schnellstmöglich mein Büro wieder verlassen und hoffte, zu Hause zur Ruhe zu kommen. Ein wenig Zeichnen, mit den Hunden eine Runde drehen. Das würde mich abschalten lassen.