Wintertee im kleinen Büchercafé am Meer - Julia Rogasch - E-Book
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Wintertee im kleinen Büchercafé am Meer E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Herzen heilen im kleinen Büchercafé, wenn draußen die Stürme toben Tilda ist zutiefst gerührt, als ihre Freundin sie bittet, als Partnerin in ihrem Büchercafé auf Sylt miteinzusteigen. Auf ihrer Lieblingsinsel war die ehemalige Buchhändlerin Tilda nicht mehr, seit ihr damaliger Partner dort verunglückt ist. Doch zwischen den Bücherstapeln und den frisch gebackenen Kuchen beginnt sie langsam zu heilen und knüpft ein zartes Band zu einem Stammkunden, der regelmäßig in den Laden kommt. Außerdem lässt sie sich zum ersten Mal seit Jahren wieder auf einen Liebesroman ein – und im Austausch mit der Autorin erwacht ihre alte Leidenschaft für Bücher wieder. Dabei ahnt Tilda zunächst nicht, dass nicht nur ein gebrochenes Herz Zuflucht im kleinen Büchercafé sucht ...   Für alle, die von einem Kurzurlaub auf Sylt träumen, gibt es nichts Besseres als Julia Rogaschs romantische Inselbücher! Warm, liebevoll, voller Romantik und Nordseebrise.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Wintertee im kleinen Büchercafé am Meer

JULIA ROGASCH, geboren 1983, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Daneben ist die Nordseeinsel Sylt die Heimat ihres Herzens und Inspiration für ihre Bücher. Schon als Kind schrieb sie erste Geschichten. Beruflich ging sie zunächst andere Wege, lernte nach dem Abitur Drogistin und verkaufte Autos für ein Autohaus, für das sie heute im Marketing arbeitet. Inspiriert vom Leben als Mama mit Job und ihrer großen Leidenschaft für Sylt und emotionale Romane griff sie ihren Kindheitstraum vom Schreiben auf, und das erste Buch entstand. Es folgten weitere Sylt-Romane über die Liebe, das Glück, Schicksal, Familie und Freundschaft.Von Julia Rogasch sind in unserem Hause außerdem erschienen: Winterzauber in der kleinen Teestube am MeerDer kleine Wintermarkt am MeerWinterträume in der kleinen Manufaktur am MeerHerzklopfen im kleinen Bonbonladen am Meer

Herzen heilen im kleinen Büchercafé

Tilda ist zutiefst gerührt, als ihre Freundin sie bittet, als Partnerin in ihrem Büchercafé auf Sylt mit einzusteigen. Auf ihrer Lieblingsinsel war die ehemalige Buchhändlerin Tilda nicht mehr, seit ihr damaliger Partner dort verunglückte. Doch zwischen Bücherstapeln und frisch gebackenem Kuchen beginnt sie langsam zu heilen und knüpft ein zartes Band zu einem Stammkunden. Außerdem erwacht im Austausch mit einer Autorin ihre alte Leidenschaft für Bücher wieder. Dabei ahnt Tilda zunächst nicht, dass nicht nur ein gebrochenes Herz Zuflucht im Büchercafé sucht ...

Julia Rogasch

Wintertee im kleinen Büchercafé am Meer

Ein Sylt-Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Oktober 2024© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®, München

Autorenfoto: © Julia RogaschE-Book-Konvertierung powered by PepyrusAlle Rechte vorbehaltenISBN978-3-8437-3252-9

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Meinen Herzensmenschen.Meinen wundervollen Leserinnen und Lesern.All denen, die an ihre Träume glauben.Dir, denn mein Traum lebt durch dich.

Prolog

Das Rauschen der Wellen klang wie eine majestätische Melodie. Wie die Auftaktmusik einer Oper. Der Beginn von etwas ganz Großem. Gleichzeitig aber auch wie das tosende Finale. Der Schlussstrich unter einem bewegenden Stück, einem Theater, einem Lebenswerk.

Was dieser Moment mit einem machte, welche Wirkung er auf die Seele hatte, das entschied nur der Betrachter für sich allein. Die Atmosphäre am winterlichen Strand betankte die Besucher mit kraftvoller Energie und Euphorie, belegte sie mit Wehmut oder Demut, trug Sorgen fort oder legte sie bloß. Sie befreite den Kopf oder ließ ihn schutzlos zurück, regte zum Erinnern und Nachdenken an, weckte Sehnsüchte und Melancholie, manchmal sogar Traurigkeit. Sie berührte.

Die untergehende Sonne färbte die Haut golden und spiegelte sich in den Augen eines verliebten Paares. Sie blickten einander an, spürten die Nähe des anderen wie Sonnenstrahlen auf der Haut und empfanden so viel Glück in diesem Moment. Es gab nur den kalten Winterstrand, die Sonne, deren Licht um diese Jahreszeit vor allem die Seele wärmte, und sie.

Unweit davon stand ein Mensch allein. Er war traurig, diesen Moment einsam zu erleben, gepackt von den eisigen Armen des Sturmes, der sich mit aller Macht vom Meer her in das Land fraß. Er fühlte sich klein und unbedeutend, und ihn überkam hier am Wasser eine Sehnsucht nach Zweisamkeit, wie er sie nirgendwo sonst spürte.

Wie ein Gift kroch dieses Gefühl in jede seiner Zellen und lähmte ihn. Der Wind hatte seine Haut abgekühlt. Niemand wärmte ihn, kein Mensch, keine Liebe, kein Gedanke.

Aber er zwang sich, den Neuanfang zu sehen, der hinter diesem Sonnenuntergang als Sonnenaufgang an anderer Stelle auf ihn wartete.

Im langen Mantel, einen dicken Schal fest um sich geschlungen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, klappte ein Strandbesucher das Notizbuch zu, das er bei sich trug, richtete den Blick aufs graublaue Meer. Unbewegt, aber aufrecht. Das Notizbuch in der Hand, darin die letzten Zeilen notiert. Mit langsamen Schritten lief die Person an der Wasserkante unterhalb des Roten Kliffs entlang gen Norden. Jetzt leicht gebückt, um dem Wind besser trotzen zu können.

Stetig sank die schwache Sonne gen Horizont und färbte den Himmel in ein sattes Orange, welches sich in einem leuchtenden Kegel auf der Wasseroberfläche spiegelte.

Ein Foto dieser Stimmung würde kaum verraten, ob es sommerlich warm oder winterlich kühl war. Ob der Flieder blühte oder bald schon Weihnachtsmusik die gemütlichen Cafés mit heimeligem Klang erfüllen und festliche Beleuchtung die reetgedeckten Kapitänshäuser schmücken würde.

Tatsächlich war es Winter, ein klarer, kühler Tag, der soeben sein Finale fand. Sobald auch noch die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont verschwunden wären, würde jede Wärme von der Kälte der Nacht verschluckt.

Immer wieder hielt die Person an, notierte ein paar Worte, als wolle sie Gedankenfetzen festhalten, ehe der Wind sie davontrug.

Doch was dort geschrieben stand, würde wohl ein Geheimnis bleiben, welches das Meer mit sich trug. Denn als sie am Ende ihres Weges kurz anhielt, um nach ihrem Handy zu tasten, legte sie das Büchlein neben sich in den Sand. Sofort ergriff eine mächtige Welle ihr Werk, wirbelte es ein paarmal umher, um es dann mit sich zu nehmen.

Die Person rannte hin und her, raufte sich die Haare, tat noch einen Schritt auf das Meer zu und griff nach etwas, das vor ihren Füßen lag. Es war das kleine Buch, doch das Meer musste die Notizen von den Seiten gespült haben. Das triefende Werk in der Hand, lief sie zurück. Doch anders, als die Situation vermuten ließ, war ihr Schritt leichter als eben noch. Aufrecht und schnell. Die Bewegungen wirkten befreit.

Angekommen vor dem Café am Kliff, warf sie das Notizbuch in den Papierkorb und trocknete ihre Hände. Trotz der Kälte stand wie so oft der kleine Hund der Café-Eigentümerin vor der Tür. Er wedelte mit der Rute und forderte kurze Streicheleinheiten ein. Eine holzumrahmte Schiefertafel vor dem Friesenhaus kündigte Omas Vanillepudding-Kissen an. Genau das Richtige, um eine aufgewühlte Seele darauf zu betten. Die Person blickte an der Fassade des reetgedeckten Hauses mit dem kleinen Gaubenfenster über dem Eingang empor. Durch die großen, hellblau gerahmten Fenster und die gläserne Eingangstür konnte man den gemütlichen Innenraum sehen. Gedimmtes Licht, flackernder Kerzenschein und dunkle Holzmöbel sowie Nischen, in denen weiche Sofas auf dem Dielenfußboden standen, wirkten einladend wie ein privates Wohnzimmer. Der Gast trat in die warme Stube, aus der ihm ein süßer Duft nach Wintertee entgegenströmte und wo Behaglichkeit die Besucher empfing. Balsam für die Seele. Ein kleines Nachhausekommen für diejenigen, die sich nach Wärme sehnten.

Der Hund war mit hineingelaufen und rollte sich zum Aufwärmen auf seiner Decke neben dem Tresen zusammen.

Kapitel 1

»Sie benötigen die Anzeige für die ›Rezept-zum-Buch-Aktion‹ noch in dieser Woche?« Die aufgebrachte Stimme unserer umsatzstärksten Anzeigenkundin, der Marketingleiterin einer großen Konditorei, keifte mir entgegen. Ihre überschäumende Wut ließ mir keinerlei Gelegenheit zu antworten.

»Wissen Sie, was? Dann streichen Sie uns dieses Mal für die Ausgabe. Ich habe bereits betont, dass ich mehr Vorlauf benötige, um die Anzeige zu liefern. Die paar Tage reichen da nicht«, schnaubte sie. »Und bitte leiten Sie in die Wege, dass ich einen Gesprächstermin mit Ihrem Chef bekomme. Es gibt da offenbar einige Dinge zu besprechen.« Ihr Tonfall erinnerte mich an den einer Richterin, die einen Schwerverbrecher vor sich hatte.

»Selbstverständlich kümmere ich mich um einen Termin für Sie«, antwortete ich ruhig. »Und entschuldigen Sie bitte die späte Nachfrage. Das war mein Fehler«, schob ich noch hinterher. Doch die Dame hatte bereits aufgelegt.

Matt legte ich mein Handy beiseite und machte mich direkt an eine E-Mail, um meinen Chef vorzuwarnen. Leider hatte ich tatsächlich versäumt, die Kundin rechtzeitig auf die benötigte Druckvorlage für ihre Insertion in unserer Weihnachtssonderausgabe der Zeitschrift Backliebe hinzuweisen. Und weil die Umsätze dieser Firma unsere Haupteinnahmequelle waren, wog mein Fauxpas besonders schwer.

Wie erwartet ließ der wütende Anruf meines Chefs nicht lange auf sich warten. Ich war froh, dass ich zu Hause im Homeoffice saß und er mich so nicht in sein Büro zitieren konnte. Er wetterte durchs Telefon, als habe er soeben erfahren, dass ich seinen Lotterieschein mit einem Millionengewinn versehentlich in den Schredder geworfen hätte.

»Tilda, seit Wochen fällt mir auf, dass die Projekte, die du anpackst, viel zu viel Zeit brauchen, um zum Abschluss zu kommen. Wenn überhaupt. Und es ist nicht das erste Mal, dass wir so ein Gespräch führen.« Er machte eine Pause, und mir ging durch den Kopf, dass das, was hier stattfand, weniger als Gespräch als vielmehr als Vortrag zu bezeichnen war.

»So was darf nicht passieren – erst recht nicht bei diesem Kunden. Wenn das ein Einzelfall wäre, okay!« Wütend schnaubte er ins Telefon. »Aber es häuft sich. Ich habe das Gefühl, es ist dir völlig egal, wenn ein Projekt nicht zustande kommt und schon im Vorfeld scheitert. Nur so läuft das nicht, Tilda. Davon kann ich am Ende des Tages deinen Lohn nicht zahlen. So zu arbeiten kann doch auch nicht dein eigener Anspruch sein. Dass dich nicht jedes Thema vom Hocker reißt, okay. Das geht uns allen so. Aber gerade das Thema Bücher und Rezepte sollte dir doch am Herz liegen.«

Wehrlos hörte ich ihn an. Er hatte recht mit dem, was er mir vorwarf. Ich wusste selbst, dass das, was ich derzeit leistete, in keiner Form dem entsprach, was ich bisher auf die Beine gestellt hatte. Und so bewusst ich mir dessen war, so wenig gelang es mir, etwas daran zu ändern.

»Entschuldige. Ich hatte mir den Termin eingetragen, aber mit der Erinnerung muss etwas schiefgegangen sein«, stammelte ich müde eine fadenscheinige Erklärung.

Er sagte, dass er sich bei der Kundin melden und die Kuh vom Eis holen wollte, und wir beendeten das Telefonat unterkühlt.

Ich stand auf, trat ans Fenster und blickte in den trüb-grauen Himmel über dem Garten des Mehrparteienhauses, den ich aus meiner Wohnung in der Nähe des Dorfzentrums nahezu komplett einsehen konnte.

Er hatte recht. Die Inhalte der Sonderausgabe waren bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch meine Herzensthemen gewesen. Liebesromane, in denen sich alles um Weihnachten, Rezepte und das Backen drehte.

Doch dann war mein Freund Tim vor zwei Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückt, und dieser Unfall hatte auch mein Leben in Scherben zurückgelassen. Denn ich hatte nicht nur seinen Tod verarbeiten müssen, sondern auch die Tatsache, dass das Unglück nicht auf einer Dienstreise, wie dieser Trip von ihm offiziell betitelt worden war, sondern während eines romantischen Wochenendes mit seiner Geliebten passiert war, von der ich nicht das Geringste geahnt hatte. Außerdem hatte er kurz vorher eine beträchtliche Summe Geld von unserem gemeinsamen Sparkonto abgehoben, und ich wusste bis heute nicht, wo es gelandet war.

Alles fühlte sich seitdem schwer an, als liefe ich über frischen Teer, der bei jedem Schritt zäh meine Füße gefangen hielt und mich erst mit großem Kraftaufwand den nächsten bewältigen ließ.

Dicke Regentropfen rannen an der Fensterscheibe herunter, und ihre Bahn fand sich wieder in der meiner Tränen, die gleichzeitig über meine Wangen kullerten.

Es brauchte inzwischen nicht mehr viel, damit ich weinte. Ein kleiner Streit, ein falsches Wort oder ein schräger Blick, schon zitterte eine erste Träne in meinem Augenwinkel.

Tränen der Traurigkeit darüber, meine Liebe verloren zu haben. Tränen der Enttäuschung, dass diese Liebe offenbar einseitig und alles eine riesige Lüge gewesen war. Tränen der Wut, dass Tim mir mit seinem Verrat sogar das Trauern erschwerte, und Tränen des Abschieds von meinen Träumen. Dem Traum von der gemeinsamen Zukunft und dem, den ich mir bereits verwirklicht hatte, für den ich aber in dieser Situation keine Kraft und Begeisterung mehr aufbringen konnte.

Schon seit ich denken konnte, glühte die Leidenschaft in mir, eines Tages mit Büchern zu arbeiten. Irgendwann hatte ich in meinem Heimatort meine eigene kleine Buchhandlung Herzensbuch eröffnet. Fünf Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt.

Doch seit Tims Tod schien es mir, als sei alles, wofür ich brannte und wonach mein Herz rief, plötzlich falsch.

Meine Kraft hatte nicht mehr ausgereicht, mich den mitleidigen Blicken und dem Tratsch der Dorfbewohner zu stellen. Die Kunden, die mir so ans Herz gewachsen waren, wurden plötzlich zu einer Last, zum Hindernis, das mich von meinen Büchern fernhielt.

Deshalb hatte ich im letzten Jahr schweren Herzens entschieden, den Laden zu schließen, und stattdessen einen Job in der Zeitschriftenredaktion angenommen, bei dem ich problemlos von zu Hause aus arbeiten und mich vor der Welt verstecken konnte, bis es mir irgendwann wieder besser gehen würde.

»Du fehlst mir«, tippte ich in mein Handy und schickte die Nachricht nach einem Blick auf die Uhr an meine beste Freundin. Sie machte in ihrem Café, das sie auf Sylt führte, wahrscheinlich gerade Pause, und insgeheim hoffte ich, dass sie Zeit für mich hatte.

Annilen und ich hatten uns vor einigen Jahren bei einem Keks-Workshop auf Sylt kennengelernt und dort sofort Freundschaft geschlossen. Die Liebe zum Backen verband uns, und so hatten wir kurzerhand gemeinsam einen Onlineshop für handverzierte Kekse eröffnet.

Doch auch damit ließ ich sie im Moment viel zu sehr allein. Wieder einmal spürte ich den Stich des schlechten Gewissens.

Wenige Minuten später klingelte mein Handy. Erleichtert nahm ich den Anruf an.

»Meine Süße, was ist los?«, begrüßte mich die beruhigende Stimme von Annilen.

»Ach, Anni. Eigentlich nichts Neues, aber es kostet mich grad alles so viel Kraft.« Im Hintergrund klapperten Teller, und die Spülmaschine lief. Ich berichtete ihr von meinem Tag und dem vermasselten Auftrag, der so wichtig gewesen wäre für die Zeitschrift und der mir so schwergefallen war, dass ich ihn komplett in den Sand gesetzt hatte.

»Tilda, du weißt, ich schätze dich und deine emotionale Art sehr, und ich habe dir immer gesagt, dass ich Verständnis dafür habe, dass du schwere Zeiten durchlebst. Dass es da immer wieder auf und ab geht, ist klar.« Die Art und Weise, wie sie sprach, fühlte sich trotz der Entfernung wie eine herzliche Umarmung an. Sie machte eine Pause. »Aber so ein Tal, das muss irgendwann auch durchschritten sein. Du darfst darin nicht festhängen. Ich sehe, wie du leidest und wie es dich innerlich zerfrisst, wie du dich einigelst. Ich verstehe, warum du deine geliebte Buchhandlung an den Nagel gehängt hast, aber ich glaube noch immer, dass es nur für den Moment die richtige Lösung war. Die Gespräche mit den Leuten, deine Empfehlungen, die Lesungen, deine geliebten Bücher – du weißt selbst, was dir das immer bedeutet hat und wie sehr du das zum Leben brauchst! Klar, dass du daran zerbrichst, dass du dich mit diesen Dingen jetzt nur noch in der Theorie beschäftigen kannst. Von anderen Menschen zu berichten, die deinen Traum leben, ist grausam. Du lebst nicht so, wie du es brauchst, sondern wie eine Blume ohne Sonne. Ein Fisch ohne Wasser. Ich mache mir Sorgen um dich.«

»Mhm«, murmelte ich. Jedem anderen hätte ich diese Beurteilung vermutlich übel genommen. Aber Annis und meine Freundschaft war schon immer von dieser Offenheit geprägt. Wir sagten uns schonungslos die Wahrheit. Sie hatte jetzt so lange zugesehen und mich in meiner Trauer unterstützt. Wenn sie mir nun direkt auf den Kopf zu sagte, dass ich gegen eine Wand rannte mit meinem Tun, dass ich in meiner Lethargie zu versinken drohte, dann tat sie das, weil sie sich um mich sorgte – und weil es die Wahrheit war. Sie hatte recht, und ich wusste das.

Mein Schweigen war Antwort genug.

»Tilda, es tut mir einfach weh, immer wieder so traurige Anrufe von dir zu bekommen und dir nicht helfen zu können. Ich weiß, dass du glücklicher wärst, wenn du rauskommen würdest aus deinem Homeoffice. Die Leute brauchen deine persönlichen und individuellen Buchempfehlungen so sehr! Und du brauchst das auch. Ich kenne niemanden, der ein Buch mit so viel Herzblut und Euphorie vorstellen kann wie du. Ehrlich! All die fantastischen Werke großartiger Menschen zeigen uns den Weg fort von unseren Alltagssorgen an die Orte ihrer Fantasie und in die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, der Liebe und Träume. Und du kennst sie alle! Hast sie gelebt und liebst sie.«

»Aber mein Herz ist gebrochen, ich kann nicht weitergeben, was ich selbst nicht fühle. Ich weiß nicht mehr, wie ich die Liebe und Sehnsucht, die in all den Büchern stecken, beschreiben soll, wenn sie mir so fern vorkommen. Ich habe sie geliebt, Anni. Das ist lange her«, korrigierte ich sie dann. »Und davon, dass ich sie lebe, bin ich ja nun erst recht meilenweit entfernt.« Ich stöhnte.

»Aber so eine Liebe bleibt doch! Auch wenn sie manchmal schmerzt, sie kann uns über schwere Phasen hinweghelfen, und du selbst kannst bestimmen, wie viel Raum du ihr gibst. Nicht auf jede Art von Glück im Leben hat man Einfluss, aber eine Arbeit zu haben, die einen erfüllt, das kann man selbst steuern. Und sie kann dich nicht enttäuschen oder hintergehen, weil sie immer bleibt.«

»Diese Liebe ist Geschichte bei mir. Auch die berufliche.«

»Nein, nur wenn du es zulässt«, erklärte Annilen bestimmt. »Dass es dir so schwerfällt, dich theoretisch mit diesen Themen zu beschäftigen, sagt mir, dass sie noch in dir steckt und nur deshalb wehtut, weil du sie aussperrst. Da bin ich mir ganz sicher. Ich selbst habe mit meinem Café genau das gefunden, was zu mir passt. Und ich weiß, dass dir das auch so ging, bevor du Herzensbuch geschlossen hast.«

»Möglich. Aber warum hat es sich dann so schwer angefühlt, Tag für Tag den Laden zu öffnen? Es kam mir vor, als bestiege ich jeden Morgen den Mount Everest, wenn ich die Ladentür aufschließen und in all die strahlenden Gesichter blicken musste, denen ich Storys mit Happy End ans Herz legen sollte. Na ja, und in die der Leute, die mich mit ihrem unerträglichen Mitleid angeschaut haben. Das war fast noch schlimmer. Ich habe da nicht mehr hingehört, und nicht einmal meinen geliebten Büchern ist es gelungen, mir Kraft zu geben, das zu meistern.«

»Ich verstehe, was du meinst«, stimmte mir Annilen zu. »Aber das lag doch nicht daran, dass du deinen Job und deinen Laden und die Bücher nicht mehr geliebt hast. Es waren die Menschen um dich herum, die es dir so schwer gemacht haben, die vermeintlich alle ein glückliches Leben führen und dich mit ihrem Mitleid immer wieder an deinen Verlust erinnert haben und mit ihren Fragen nach deinem Befinden doch nur ihre Sensationslust stillen wollten. Meinst du nicht, du versteckst dich vor den Menschen, nicht vor den Büchern?«

Ich ließ das, was Annilen in den Raum stellte, auf mich wirken.

»Das mag sein, ja«, sagte ich. »Aber es hat sich nichts verändert. Mein Freund ist weiterhin tot und hat mich all die Zeit hintergangen, ich bin nach wie vor allein und weit entfernt von einer neuen Liebe. Warum sollte es sich jetzt besser anfühlen, täglich unter Leuten zu sein?«

»Wird es vielleicht nicht. Nicht am Anfang. Aber ich glaube, dass du diesen Schritt gehen musst, um wieder dein Glück zu finden. Es wird nicht an deine Wohnungstür klopfen.«

»Nicht? Wer sagt, dass nicht der Pizzabote der Mann meines Lebens ist und sehr wohl irgendwann direkt vor meiner Tür steht, ohne dass ich mich dafür lange unter Menschen begeben muss?«, fragte ich. Annilen seufzte laut, und ein schnaubendes Lachen entwich ihr, das sie sofort zu überspielen versuchte. Auch ich konnte das Lächeln nicht unterdrücken, das an meinen Mundwinkeln zupfte. Ich wusste ja selbst, dass diese Vorstellung albern war.

»Ja«, fuhr Anni dann gedehnt fort, und ich liebte sie dafür, dass sie mich trotzdem weiterhin ernst nahm und nicht genervt auflegte. »Wie gesagt, dass du deinen Buchladen in diesem Dorf geschlossen hast, habe ich verstanden. Was die Leute aus der Tragödie um Tim gemacht haben, war mehr als ekelhaft. Deine Entscheidung, da nicht ständig an vorderster Front zu stehen, um sich deren dummes Gerede anzutun, war vermutlich richtig. Auch dein Widerwille, unter deren Blicken durch die Fußgängerzone zu flanieren, ist absolut nachvollziehbar. Aber es gibt nicht nur dieses Dorf, nicht nur diesen kleinen Radius, in dem du dich bewegen musst. Um dem zu entgehen, musst du dich nicht in deiner Wohnung und im Homeoffice verkriechen.«

»Sondern?«

»Wie wäre es zum Beispiel, wenn du zu mir kommst?«

»Nach Sylt?« Ich lachte hysterisch. »Ausgerechnet an den Ort, wo mein Unglück quasi seinen Ursprung hat? Tolle Idee.« Ich seufzte.

»Ja, dass der schreckliche Unfall gerade hier passiert ist, ist in der Tat ein Argument gegen die Insel als Wohlfühlort. Aber das ist doch nicht alles, was du hiermit verbindest! Ich bin hier, was ja schon Argument genug sein sollte!« Wieder war ich froh, dass sie es schaffte, ihre ehrliche Anteilnahme in ein wenig Humor zu verpacken. »Und außerdem bleibt Sylt einfach der schönste, inspirierendste und tollste Ort der Welt. Die Natur, das Meer, der Strand. All das ist die perfekte Kulisse zum Glücklichsein. Am besten kommst du so schnell wie möglich. Jetzt vor Weihnachten und rund um den Jahreswechsel erwartet uns eine besondere Zeit hier auf der Insel. Eine Zeit voller Trubel, aber auch eine, in der oft eine magische Ruhe herrscht. Hier kannst du wieder zu dir finden und ganz ungestört in dich hineinlauschen. Niemand kennt dich hier, niemand weiß von deiner Geschichte. Finde zu dir selbst und zu deinen Träumen zurück.«

Mein Blick folgte einem der Regentropfen, der über die Fensterbank in eine große Pfütze floss, die sich bereits auf dem Boden meines Balkons gebildet hatte.

»Und das schlechte Wetter, der garstige Wind, die frühe Dunkelheit, die bornierten Touristen, die vor Weihnachten und über den Jahreswechsel anreisen …«, führte ich Annilens Beschreibung zynisch fort. »Der Winter steht vor der Tür und damit die wohl schauderhafteste Zeit, die man sich vorstellen kann, wenn ich an Sylt denke.«

»Oh nein, glaub mir, das erlebe ich persönlich ganz anders. In der grauen Großstadt mag das stimmen, aber hier am Meer ist dieses Wetter heilsam. Wenn die Leute von draußen in mein Café einkehren, steht das Glück in ihren Gesichtern. Sie sind happy, wenn sie es sich am Ofen bei einer heißen Tasse Wintertee gemütlich machen können.«

»Das glaube ich sofort, aber um mich drinnen am Ofen zu verkriechen, muss ich doch nicht nach Sylt kommen. Das kann ich genauso gut hier tun.«

»Nein, darum geht es nicht. Es sind das Meer und der Wind, der Strand, die Weite, die sie glücklich machen, und dieses Glück tragen sie dann in mein Café hinein. Erst wenn sie die Kraft des Winters erlebt und ihr getrotzt haben, können sie die Wärme meines Ofens und eines heißen Tees wirklich genießen.«

Sie hielt kurz inne und holte tief Luft, bevor sie fortfuhr: »Tilda, ich habe eine Idee, die ich schon seit einiger Zeit mit mir herumtrage und von der ich glaube, dass sie die Lösung für dich sein könnte. Ich wollte warten, bis es dir wieder etwas besser geht, aber ich glaube, das Gegenteil ist richtig.«

»Aha?« Jetzt wurde ich doch ein wenig neugierig.

»Bis Weihnachten ist es noch etwas hin, und es steht die gemütlichste Jahreszeit an, in der man sich für Bücher, Tee und Gebäck bei Kerzenschein besonders viel Zeit nimmt. Man kuschelt sich mit einer guten Lektüre irgendwo ein und träumt sich in andere Welten.«

»Ja, das mag sein.«

»Und mein Café ist so ein Ort zum Wohlfühlen.«

»Ja.« Abwartend lauschte ich Annis Ausführungen.

»Ich habe mir überlegt, wie es wäre, wenn ich das Café probeweise rund um die Weihnachtszeit und über die Wintermonate zum Büchercafé ausbaue. Ich besorge ein paar gemütliche und bequeme Lesesessel, schaffe Sofaecken zum Verweilen und stelle ganze Schränke voll mit unterhaltsamer Lektüre auf.« Annilen geriet bei ihren Überlegungen richtig ins Schwärmen. »Ich habe auch schon eine Menge Holzkisten gesammelt, die ich zu Bücherregalen umfunktionieren will, das ergibt einen richtig schönen, rustikalen Vintagelook. Hab ich im Internet gesehen und mich sofort in die Idee verliebt. Wenn das mit dem Büchercafé nichts wird, stelle ich sie mir allesamt in die Wohnung und baue mir meine eigene Bibliothek. Ein Kumpel von mir ist handwerklich geschickt und hat mir schon zugesagt, dass er mir helfen will.«

»Das klingt alles ganz wunderbar, Liebes. Wirklich. Aber was willst du mir damit sagen?«

»Ach, Tilda! Das liegt doch auf der Hand. Ich habe ein zauberhaftes, kleines Café und Ideen, aber keine Ahnung von Büchern und dem Buchhandel. Aber du hast das. Vielleicht könnten wir es gemeinsam angehen. Und hervorragend backen kannst du auch noch. Du musst raus aus deiner Blase aus Frust und Einsamkeit. Wo, wenn nicht bei mir, deiner besten Freundin auf der Welt, wäre der richtige Ort dafür?«

»Ich bin gerührt, Liebes. Wirklich. Die Idee ist toll. Aber du meinst, meine ehemalige Liebe zu Büchern, rudimentäre Backkünste und dass ich deine Freundin bin, qualifizieren mich für einen Neustart auf Sylt? Ausgerechnet auf Sylt? Ich weiß nicht.«

»Ich weiß es auch nicht, Tilda. Aber es fühlt sich, jetzt, wo wir dieses Gespräch führen, so richtig an, dass ich merke, dass wir es ausprobieren müssen.«

»Ausprobieren klingt so leicht«, entgegnete ich. »Ganz so einfach ist das alles nicht.«

»Klar. Aber glaubst du nicht, dass es einen Versuch wert ist? Was hast du denn zu verlieren? Deinen Laden gibt es nicht mehr, dein Job macht dir kein bisschen Spaß, und Tim ist tot. Das ist verdammt schlimm und unfassbar bitter. Aber du bist zu jung, als dass dieser Schicksalsschlag dich nun nie wieder lächeln lassen sollte.«

»Ich lächele sehr wohl noch«, murrte ich und gab ein albernes Lachgeräusch von mir, von dem ich selbst merkte, wie unecht es klang.

Anni ging darüber hinweg. »Du musst endlich zulassen, wütend auf ihn zu sein. Man soll über Tote nicht schlecht reden, aber er hat dich in mehrfacher Hinsicht betrogen, und deshalb darfst du sauer auf ihn sein.«

»Ich weiß, und vielleicht ist genau das mein Problem. Ich hänge zwischen den Gefühlen fest und weiß nicht, wie ich weitermachen soll. Glaub mir, ich habe in der letzten Zeit auch so viel darüber nachgedacht, ob ich grundlegend was ändern kann, damit alles irgendwie wieder besser wird in meinem Leben. Eigentlich hatte ich gehofft, dass es mir vor der trüben, dunklen Jahreszeit noch gelingt, die Kurve zu kriegen, dass der neue Job mir wieder eine Aufgabe und neuen Elan gibt, bevor ich endgültig durchdrehe«, gestand ich jetzt wieder ernst.

»Dann denk doch einfach mal über meine Idee nach. Du kannst und musst das ja auch nicht jetzt entscheiden. Komm doch einfach erst mal her, arbeite weiterhin aus dem Homeoffice, nur eben von Sylt aus, und nebenbei unterstützt du mich ein wenig im Café. Direkt hier in meiner Straße wohnt eine warmherzige ältere Dame, die ein Zimmer in ihrem zuckersüßen Friesenhaus frei hat, das sie mir bereits für eventuelle Aushilfen für einen wirklich guten Preis angeboten hat. Da könntest du wohnen.«

Ich murmelte etwas, das nach Zustimmung klingen sollte.

»Liebes, irgendwas sagt mir, dass ich mit der Überlegung, dich, meine beste Freundin, nach Sylt zu holen, sowohl dir als auch mir einen Traum erfüllen würde, von dem wir beide noch nicht wussten, dass wir ihn träumen. Wenn es dir noch schwerfällt, dir selbst einen Gefallen zu tun, dann tu es für mich. Ich bin mir sehr sicher, du wirst es am Ende nicht bereuen. Du sollst hier erst mal keine große Verantwortung übernehmen, darum geht es mir nicht. Sondern darum, dich als Unterstützung und Beraterin an meiner Seite zu haben – ich kenne mich doch mit Büchern kaum aus. Und ich möchte gerne mit dir zusammenarbeiten, Tilda.«

»Gib mir etwas Zeit. Deine Idee klingt toll, aber es fällt mir im Moment sogar schwer zu entscheiden, was ich zum Mittag essen möchte. Ich kann einen solchen Schritt nicht mal eben so machen.«

»Ach, Tilda, ich bin froh, dass ich dir jetzt endlich von meiner Idee erzählt habe.« Ich hörte das Lächeln auf ihren Lippen, und aus ihrer Stimme klangen Freude, Aufregung und Hoffnung heraus.

Wir legten auf, und fest entschlossen, dieses Gefühl von Geborgenheit, das Anni und der Gedanke ans Meer in mir auslösten, noch nicht loszulassen, zündete ich mir eine der Duftkerzen aus meinem Sylter Lieblingsladen Dünenglanz an und kochte mir einen Wintertee. Beides hatte Anni mir zusammen mit einer Sammlung der leckersten Kekse vor ein paar Tagen in einem duftenden Päckchen geschickt. Dann machte ich es mir in meinem Ohrensessel bequem.

Als ich ihn damals auf dem Flohmarkt gekauft hatte, hatte ich mir vorgestellt, stundenlang mit einem guten Buch darin zu sitzen und mich von den Geschichten davontragen zu lassen. Stattdessen saß ich hier inzwischen oft mit dem Laptop auf dem Schoß und arbeitete in einem Job, der mich langweilte und gleichzeitig in Stress versetzte.

Dieser Sessel sollte nicht so verschwendet werden, formte sich der trotzige Gedanke in meinem Kopf. Er war so viel gemütlicher, wenn man sich mit einem dicken Schmöker hineinkuschelte.

Sehnsüchtig wanderte mein Blick über die Regalwand, in der meine Lieblingsbücher standen. Es waren vor allem Unterhaltungsromane über Liebe, Freundschaft und mutige Frauen, die unweigerlich auf ein Happy End hinausliefen. Aber auch hoch emotionale Geschichten, die oftmals nicht glücklich, sondern tragisch endeten.

Mit beidem war ich in der Zeit nach Tims Tod überfordert gewesen. Während mir die einen unerreichbar und wie geheuchelte Lügen vorgekommen waren, an die das wahre Leben ohnehin nie heranreichen konnte, waren Letztere meiner eigenen Realität viel zu nah gewesen.

Noch kurz vor dem Unfall hatte ich so auf den letzten Band der aktuellen Reihe meiner Lieblingsautorin hingefiebert, und als er dann endlich mit Verzögerung erschienen war, hatte ich nicht einmal mehr den Mut gehabt, ihn mir zu kaufen.

Ich ließ meine Gedanken kreisen, lauschte dem Klang des prasselnden Regens und beobachtete, wie die dicken Tropfen des starken Landregens die Scheibe klar wuschen, genau wie Annilens Worte meine Gedankenwelt. Mit meiner Freundin über Probleme zu reden konnte hart sein, erwischte mich oft auf eine Art, die mich erschütterte, mich aber genau deshalb aufweckte und klarer sehen ließ.

Sie hatte recht damit, dass ich mein Lachen verloren hatte, und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann wusste ich auch, dass das nicht allein daran lag, dass ich um meinen Freund trauerte. Ich hatte damals, als alles auf mich eingeprasselt war wie ein Kometenschauer aus dem Weltall, alle Schotten dicht gemacht und niemanden mehr an mich herangelassen. Ich hatte das Gefühl gehabt, die Leute kämen nur noch in meine Buchhandlung, um Neuigkeiten über den auf einem heimlichen Liebeswochenende tödlich verunglückten Jungunternehmer zu erfahren, der sich mit einem kurz zuvor angeleierten Bauprojekt den Unmut und Zorn vieler in unserem Dorf zugezogen hatte. Die Gehässigkeit und Genugtuung, die so manches Mal in den Reaktionen einiger Kunden mitschwangen, hatten mich angeekelt. Und dabei hatte ich ja selbst genug Gründe, wütend auf ihn zu sein.

Ich hatte es nicht mehr ausgehalten und den Rückzug angetreten, wollte nicht länger in meinem Laden mitten im Dorf stehen, ging kaum noch raus und mied die Öffentlichkeit.

Die Stellenausschreibung zu einem Redaktionsjob im Homeoffice schien mir wie die Lösung all meiner Probleme. Ich konnte weiterhin Geld verdienen und den Erlös aus dem Verkauf des Ladens vorerst unangetastet lassen. Außerdem würde ich mich mit Themen beschäftigen, die mich interessierten – zumindest hatte ich das gedacht.

Schnell war mir allerdings klar geworden, dass über Bücher zu schreiben kein Ersatz dafür war, sie in der Hand zu halten und zu verkaufen, und doch fand ich keinen Weg zurück.

Kapitel 2

Die Tage vergingen, und ich schleppte mich unzufrieden weiter an den Laptop, um mehr schlecht als recht meinen Job zu erledigen.

Und dann, an einem langen, einsamen Wochenende, zog es mich plötzlich in die Küche. Ich begann, einen Teil der Plätzchen und Törtchen, die Annilen auf der Karte hatte, zu backen.

Meine Favoriten waren seit jeher Mini-Gugelhupfe in verschiedensten Geschmacksrichtungen. Die kleinen Küchlein schmeckten mir selbst besonders gut und waren immer eine schöne Geschenkidee. Dazu verfeinerte ich etliche Produkte, die wir in unserem Onlineshop für handverzierte Kekse anboten, der ja sowieso nebenbei lief.

Ich versank in der Arbeit mit dem süßen, nach Vanille und Zimt duftenden Teig, ließ meine Hände ruhig die Buchstaben formen, als ich die Gugelhupfe mit feiner Zuckerschrift personalisierte. Das Backen erfüllte meine Wohnung mit Weihnachtsduft. Im Anschluss dokumentierte ich sorgfältig jede meiner Ideen und Modifikationen in einer Datei, die Annilen und ich für diesen Zweck erstellt hatten und teilten.

Meistens war sie es, die in ihrer professionellen Backstube die Kekse fertigte und versandte, während ich mich um die Werbung und das Organisatorische kümmerte. Um jedoch schnellstmöglich Fotos mit neuen Ideen und Motiven zu bekommen, stellte ich mich hin und wieder auch selbst an den Backofen.

Als letztes Werk für den Abend nahm ich mir einen Keks vor, den ich mit einem Buch verzierte, auf dessen Deckel nur ein Herz zu sehen war. Etwa so hatte das Logo von Herzensbuch ausgesehen, und zum ersten Mal seit Langem empfand ich bei der Erinnerung an meinen Buchladen wieder so etwas wie Freude.

Ich wollte dieses Design unbedingt in den Shop aufnehmen.

Also drapierte ich den Keks auf einer weißen Unterlage und strahlte ihn mit der Lampe an, die ich mir vor einiger Zeit eigens für diese Zwecke besorgt hatte.

Die rosafarbene Zuckergussgrundierung und die zarte weiße Zuckerschrift, mit Glitzerpuder bestreut, sahen wunderschön aus. Kleine Zuckerkristalle reflektierten funkelnd das Licht. Die Farben wirkten harmonisch zurückhaltend und ließen den Keks aussehen, als wäre er mit Raureif bedeckt.

Schnell schoss ich einige Fotos – ich hatte inzwischen Übung darin, unser Gebäck richtig zu positionieren und in Szene zu setzen.

Ich stellte mir vor, wie diese Kekse in Annilens Café ausliegen würden, direkt neben dem neuesten Taschenbuchbestseller, und ein Schauer rieselte meinen Rücken hinab.

Plötzlich erschien mir Annilens Projekt so greifbar.

Es wäre zuerst wie eine Art Pop-up-Store, und wenn es sich durchsetzte, würden wir entscheiden können, das Konzept weiterzuführen und auszubauen.

Kündigte ich wirklich meinen Job und es floppte, stünde ich arbeitslos da. Ein hohes Risiko. Doch irgendwas tief in meinem Innern sagte mir, dass es richtig war, es zu versuchen, weil es sich einfach so falsch anfühlte, weiterzumachen wie bisher.

Den traurigen Anblick im Spiegel, wenn ich an die Arbeit ging, die einsame Stille, die durch die Wohnung zog, während ich Stunde um Stunde vorm Laptop saß, nur unterbrochen durch Telefonate mit Anzeigenkunden. Diese Alternative zum mutigen Aufbruch nach Sylt klang wenig verlockend. Ich hasste meinen Job, und es war den Kunden und auch meinem Chef gegenüber nicht fair, ihn so schlecht zu erledigen. Sylt konnte womöglich die Chance für mich sein, mich noch einmal ganz neu zu sortieren.

Erschöpft vom Backen ließ ich mich auf einen der Stühle am Küchentisch fallen. Es dämmerte bereits, und draußen war es gespenstisch leise. Das Haus, in dem ich lebte, lag in einer Straße, die von Geschäftshäusern dominiert wurde. Hatten die zumeist inhabergeführten Läden im Erdgeschoss wie heute am Sonntag geschlossen, war manchmal den ganzen Tag über niemand zu sehen oder zu hören. Einerseits genoss ich diese Ruhe, besonders nach all dem Trubel, den der Unfall in mir und meinem Laden ausgelöst hatte. Aber auch damit hatte Anni recht. Ich vermisste Gesellschaft und Austausch.

Ich dachte an meine Eltern. Sie waren schon immer mein großer Halt gewesen. Hatten auch in dieser Zeit über dem Gerede der Leute gestanden und während der letzten zwei Jahre ein unschlagbares Talent entwickelt, Fragen nicht zu beantworten und über Dreistigkeiten professionell hinwegzulächeln. Bei ihnen ging es mir gut, sie und unser kleines Häuschen am Rande des Dorfes waren mein sicherer Rückzugsort.

Der Gedanke daran, dass ich nach Sylt gehen und sie nicht mehr nahezu jeden Tag sehen könnte, machte mich traurig. Es war ein klares Gegenargument für Annilens Pläne. Ein Wermutstropfen.

Andererseits waren es meine Eltern, die mir seit Tims Tod oft gesagt hatten, ich solle an mich denken und mein Glück finden. Auch wenn das hieße, dass ich dafür mein Heimatdorf verlassen müsste. Sie würden mich überall auf der Welt besuchen und hätten mehr davon, ihre Tochter wieder glücklich zu sehen, als sie hier im Dorf so einsam zu erleben. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, und ein warmes Gefühl von Geborgenheit breitete sich in mir aus, als ich an die beiden dachte. Nie würden sie mich davon abhalten, durch eine Tür zu gehen, hinter der ich mein Glück vermutete.

In diesem Moment traf ich die Entscheidung. Ich würde zu Anni fahren und es versuchen. Und ich würde keine halben Sachen machen, sondern direkt kündigen. Egal, was passierte, der Job in der Redaktion war es nicht wert, sich daran festzuklammern.

Fein säuberlich legte ich den Keks in eine luftdichte Verpackung. Ich würde ihn Annilen zusenden, zusammen mit der Überraschung der Zusage für unser gemeinsames Projekt.

Mit diesem positiven Gedanken entschied ich, schlafen zu gehen.

Nach einem weiteren endlos erscheinenden Tag im Job voller Problemlösungsansätze und Krisengespräche hatte ich am späten Nachmittag auf dem Weg zu meinen Eltern gerade an einem Blumenladen angehalten. Meine Mutter liebte Blumen, und ich wollte ihr eine kleine Freude machen. Ein wunderschöner Strauß orange­farbener Rosen fiel mir sofort ins Auge. Mit ein wenig Grün waren die fünf Rosen gekonnt zusammengebunden. Ich entschied mich für dieses Gebinde, zahlte und ging wieder zum Auto.

In diesem Moment klingelte mein Handy. Es war meine Mutter.

»Liebes, wir sind noch nicht wieder zu Hause. Es wird wohl noch eine Dreiviertelstunde dauern. Hast du einen Schlüssel dabei?«

»Ja, hab ich. Aber dann erledige ich noch schnell was und komme danach.«

»Prima, bis gleich, mein Schatz.«

Mein Herz klopfte. Die Dreiviertelstunde würde es mir locker ermöglichen, einen kurzen Schlenker in den nächsten Ort einzubauen, wo es seit Kurzem eine neue Buchhandlung gab.

Dass meine Mutter gerade angerufen hatte, war wie ein Wink des Schicksals, der mich in meinem Entschluss, nach vorn zu sehen, bestärkte, und jetzt würde ich den ersten Schritt in diese Richtung gehen.

Ich fand direkt vor dem Laden einen Parkplatz. Bevor ich eintrat, ging ich einmal die Schaufenster entlang und betrachtete die Auslage. Ich genoss, wie liebevoll und vielfältig die Auswahl getroffen und arrangiert worden war. Winterliche Bücher mit glitzernden Covern läuteten die kuschelig-gemütliche Lesezeit ein, warme Farben und ansprechende Geschenkartikel von Lesezeichen über Tassen bis hin zu Süßigkeiten rundeten das Sortiment ab und schufen einen Rahmen für die Wohlfühllektüre. Von draußen erkannte ich schon, dass der Laden gut besucht war. Eine strahlende junge Frau, die mich an mich selbst vor etwas mehr als zwei Jahren erinnerte, wirbelte durch die Buchhandlung und schenkte jedem Kunden ein aufmerksames Lächeln. Als ich eintrat, begrüßte sie auch mich mit einem herzlichen »Moin«.

Ich liebte es, wenn Menschen hier im Alten Land diese Begrüßung nutzten. Sie klang für mich immer nach Sylt und meiner Freundin Annilen. Wie passend.

»Moin«, erwiderte ich und schaute mich im Geschäft um. Der Verkaufsraum war klein und ebenfalls mit viel Liebe zum Detail dekoriert. Mir gefiel, wie die Regale arrangiert waren, und die Zettel mit kurzen handgeschriebenen Rezensionen, die neben einigen Titeln standen. Mein Herz schlug aufgeregt und ein wenig wehmütig. Ich atmete tief ein und wieder aus, um es zu beruhigen und gleichzeitig den Duft nach druckfrischen Büchern in mich aufzunehmen, der mich so sehr an Herzensbuch erinnerte.

»Kann ich etwas für Sie tun?«, erkundigte sich die junge Frau und riss mich damit aus meinen Erinnerungen.

»Ja, ich bin auf der Suche nach dem neuesten Roman von Fenja Malé.«

»Da haben Sie aber Glück, die waren nämlich ganz schnell vergriffen und bis vor Kurzem nicht lieferbar, weil erst nachgedruckt werden musste. Darf ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Danke, nein. Das war es schon. Aber ich möchte Ihnen noch sagen, wie gut mir Ihr hübscher Laden gefällt. Das muss ich unbedingt loswerden.«

»Oh, danke. Wie schön. Lieb, dass Sie das sagen. So ein Geschäft zu führen war immer mein Traum. Und als ich mitbekam, dass es so was in der Art hier weit und breit nicht gibt, da habe ich es gewagt und all meinen Mut und mein Geld zusammengenommen, um mir diesen Traum zu verwirklichen. So viele Kunden schwärmen von einem Laden ein paar Kilometer weiter, der vor einiger Zeit geschlossen hat. Das bedauern etliche, aber für mich war es wohl die Chance.« Sie lächelte, und ich versuchte, es zu erwidern, konnte mir aber nur ein eher verkrampftes Zucken um die Mundwinkel abringen. Was sie sagte, traf mich bis ins Mark. Es war klar, dass sie von meiner Buchhandlung Herzensbuch sprach.

»Das freut mich für Sie«, sagte ich dennoch mit zittriger Stimme, und es war auch nicht gelogen. Diese strahlende junge Frau wirkte auf mich immer mehr wie ein Spiegelbild meines früheren Ichs, und ich gönnte ihr mit ihrem Laden mehr Glück, als ich es gehabt hatte.

»Meiner Meinung nach ist ein Ort ohne eine Buchhandlung ja unvollständig. Und hier im Umland bin ich die Einzige. Das motiviert mich und macht große Freude. Bald wird es erste Lesungen geben. Ich stehe mit Nachbarcafés im Austausch und bin sehr gespannt.«

»Oh. Mhm«, murmelte ich. »Das klingt gut. Ich drücke die Daumen, dass Sie tolle Autorinnen und Autoren dafür begeistern können, hierherzukommen.« Meine Gedanken gingen zurück zu meinen allerersten Bemühungen damals, als die Autoren immer wieder erklärt hatten, dass es für sie nicht interessant sei, hier auf dem Land aufzutreten. Nicht selten hatte ich sie dennoch überzeugt, und sie waren am Ende erstaunt gewesen über die Resonanz und regelmäßig wiedergekommen. Gerade die persönliche Wohnzimmeratmosphäre, die hier so ganz anders war als in den Großstädten oder Buchhandlungen, die einer Kette angehörten, begeisterte viele Autorinnen oder Autoren. An die Autorin des Buches, welches nun vor mir lag, war ich leider nicht herangekommen. Sie hatte nie Interesse an einer Lesung gehabt.

»Eine gute Wahl übrigens. Ich liebe die Bücher von Fenja Malé«, erklärte sie. »Leider macht die Autorin keine Lesungen«, bestätigte sie, was mir gerade durch den Kopf gegangen war. »Sie hat eine ziemlich lange Pause gemacht. Ich bin froh, dass es endlich wieder Nachschub gab. Man munkelt schon, dass die Autorin gar kein Buch mehr rausbringen wird.«

Erschrocken schaute ich sie an. »Wirklich? Warum das? Weil es so lange dauerte bis zu diesem Roman?«

»Schon, ja.« Sie hob die Schultern. »Dazu gibt es aber kein offizielles Statement bisher. Hoffen wir einfach mal, dass das eine Falschmeldung ist. Nach dem Erfolg dieses Romans kann ich mir nicht vorstellen, dass der Verlag etwas dagegen hätte, dass es weitergeht. Aber apropos Nachschub und neue Bücher. Wollen Sie vielleicht unseren Newsletter abonnieren?«, fragte sie mich, als ich bezahlte, und deutete auf einen QR-Code. »Dann bekommen Sie auf jeden Fall sofort die Info, wenn es weitergeht mit einem neuen Buch der Autorin.«

»Danke. Das ist klasse. Das mache ich«, erklärte ich, scannte direkt den Code ein und hinterlegte meine E-Mail-Adresse.

Ich verabschiedete mich, und als ich aus der Buchhandlung trat, fühlten sich meine Schritte leicht und befreit an. Als sei mit dem Besuch des Ladens und dem Kauf des Buches eine große Last von meinen Schultern gefallen, und die Schranken, die mich in letzter Zeit von Buchläden ferngehalten hatten, schienen endlich überwunden. So fröhlich und herzlich empfangen zu werden hatte mir das erstaunlich leicht gemacht.

Trotzdem war die Erkenntnis verstörend, dass meine Entscheidungen und ich im weiteren Sinne mit ihrem Neustart hier zu tun hatten. Dass das, was mein Leid war, zu ihrem Glück geworden war. Was sie über die Kunden gesagt hatte, denen mein Laden fehlte, hatte mich direkt ins Herz getroffen und es ein wenig aus dem Takt gebracht.

Am Haus meiner Eltern angekommen, parkte ich und holte die Blumen aus dem Kofferraum. Meine Mutter hatte mich schon kommen sehen, trat die Treppenstufen vorm Haus hinunter und nahm mich mit offenen Armen in Empfang.

»Willkommen zu Hause, mein Schatz.« Ihr süßer Duft nach Rosen, der mich immer an ihren wunderschönen Garten erinnerte, umschmeichelte sie und zauberte ein unvergleichliches Gefühl von Heimat in mein Herz.

»Oh!« Verzückt schaute sie auf den Strauß in meiner Hand.

»Hallo, Mama«, sagte ich und reichte ihr den Blumenstrauß. »Passend zu deinem Rosen-Bouquet.« Ich lächelte, und sie steckte ihre Nase in die orangefarbenen Blüten, schloss die Augen und sog den Duft tief ein.

»Danke! Da freue ich mich aber – wie lieb.« Sie umarmte mich mit einem Arm erneut.

»Papa steht schon am Herd. Du hast doch sicher Hunger, oder? Wir haben ein kleines Abendbrot zubereitet«, erklärte sie, und in dem Moment überkam mich eine Wehmut, dass dieses abendliche Hereinschneien bei meinen Eltern mir auf Sylt sehr fehlen würde.

»Super! Ich habe Bärenhunger«, freute ich mich und folgte ihr ins Haus.

»Meine Kleine«, rief mein Vater, legte den Kochlöffel beiseite und trat auf mich zu. Stark und groß nahm er mich in den Arm, und ich erwiderte den sanften Druck seiner so vertrauten Umarmung. Ich kuschelte mich an seinen weichen Kaschmirpullover, den er, in unterschiedlichen Farben, nahezu immer trug.

»Schön, wieder hier zu sein«, sagte ich. »Ich komme ja doch kaum raus, wenn ich tagein, tagaus so vor mich hin arbeite«, gab ich zu, und meine Mutter nickte betrübt.

Sie reichte mir ein Glas eines alkoholfreien Aperitifs. Einen solchen tranken wir immer, wenn ich zum Essen vorbeikam, und ich genoss diese Tradition.

»Das denken wir uns auch manchmal, Liebes«, erklärte meine Mutter und senkte den Blick. Sie schaute auf das Glas in ihren Händen.

»Macht euch keine Sorgen«, sagte ich beruhigend. »Ich kümmere mich gut um mich.«

»Sicher?« Der Blick meiner Mutter verriet Skepsis. »In letzter Zeit machst du uns keinen guten Eindruck, Liebes. Du arbeitest immer nur, verlässt das Haus manchmal nur zum Einkaufen. Das sollte nicht so sein, auch wenn wir verstehen, warum das so ist.« Wissend nickte sie. »Uns geht es manchmal nicht anders. Aber immerhin sind wir zu zweit, und wenn ich nach Hause komme und dein Papa mich in den Arm nimmt, dann verfliegt all der Ärger plötzlich wieder. Und glaub mir, manchmal bringen mich die unpassenden Kommentare und bohrenden Blicke der Leute dermaßen auf 180. Ich weiß nicht, wie das manchmal ohne deinen Papa ausgegangen wäre.« Sie schüttelte den Kopf, schenkte ihrem Mann einen zärtlichen Blick, und ich lächelte. Das, was sie verband, das wünschte ich mir für mein Leben so sehr, und ich hatte geglaubt, es in Tim gefunden zu haben. Es schmerzte immer wieder, dass ich mich getäuscht hatte.

»Die Löwenmama, die kennt da nämlich nichts, wenn jemand meint, ihr Junges anzugreifen.« Bestätigend nickte mein Vater und legte den Arm um meine Mutter. »Sie würde sich auch gegen das gesamte Dorf stellen, wenn es darum geht, dich zu beschützen.«

»Das weiß ich, ihr Lieben. Das wird hoffentlich nicht nötig sein.« Ich lächelte schief. »Aber dass ich mich hier nicht mehr wohlfühle, das kann ich vor euch wohl tatsächlich kaum verbergen.« Bedauernd hob ich die Schultern und hielt sie angezogen. »Sosehr ich mir wünschte, es wäre anders.«

Verständnisvoll nickte meine Mutter und strich mir über den Rücken.

»Glaub mir, unser größter Wunsch wäre, dich wieder strahlen zu sehen. So wie damals, als du Herzensbuch eröffnet hast.«

Ich presste die Lippen aufeinander und schaute in das besorgte Gesicht meiner Mutter. Ich erkannte eine Mischung aus mütterlicher Fürsorge und mahnender Aufforderung in ihrer Miene. »Wir stehen immer hinter dir, mein Schatz. Und bitte denk auch nicht, dass du unseretwegen hierbleiben musst. Wir besuchen dich überall auf der Welt.« Als hätten sie dem Gespräch mit meiner Freundin gelauscht, holten sie mich mit ihren Worten genau dort ab, wo ich gedanklich schon die ganzen letzten Tage gewesen war.

»Ich bin so gerne in eurer Nähe, das wisst ihr ja.«

»Uns geht es nicht anders. Aber was hilft uns ein trauriges Kind, welches jeden Sonntag hier zum Mittag aufschlägt oder kurz mal auf einen Kaffee vorbeischaut, wenn wir doch gleichzeitig sehen, dass dieser Ort es nicht mehr glücklich macht?«

Meine Gedanken gingen zu Annilen und dem Buch, das ich eben gekauft hatte, diesem ersten Schritt, den ich damit gegangen war. Obwohl ich mir alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf hatte gehen lassen wollen, fühlte es sich so richtig an, mit meinen Eltern über das zu sprechen, was meine Freundin auf Sylt plante.

»Setzt euch doch erst mal an den Tisch«, forderte mein Vater auf. »Das Essen ist gleich fertig. Brot und gegrilltes Hähnchenfleisch stehen auf dem Tisch. Ich serviere dann gleich die Suppe.«

Wir gingen ins Esszimmer, wo meine Mutter den Tisch noch spätherbstlich dekoriert hatte. Passend zur Kürbissuppe, die mein Vater dem Duft nach gezaubert hatte, hatte sie mehrere Zierkürbis-Variationen drapiert, das Geschirr und die Gläser waren in Orange und Ocker gehalten. Ein Herbstkranz aus grünem Moos und roten Hagebutten, in dessen Mitte eine Kerze flackerte, rundete die Dekoration ab und schaffte Atmosphäre.

»Dies soll offiziell unser letztes Herbstessen sein, bevor der Winter anklopft«, erklärte meine Mutter und machte eine ausschweifende Handbewegung.

»Es ist so gemütlich bei euch. Ihr und unser Zuhause – das sind die schönsten Gründe, hierzubleiben.« Ich lächelte nachdenklich.

»Das hier wird immer dein Zuhause bleiben, da sei dir sicher. Aber so wie du sprichst, klingt es auffällig. Höre ich da heraus, dass du darüber nachdenkst, woanders hinzugehen? Oder irre ich mich?«

»Nein, Mama. Du kennst mich einfach zu gut«, gab ich zu.

In dem Moment kam auch mein Papa ins Esszimmer, in der Hand eine dampfende Schüssel köstlicher Suppe.

»Wie immer könnt ihr nach Belieben Hähnchen dazutun, ordentlich Ingwer, so wie ihr es gerne habt, ist natürlich längst drin«, freute er sich stolz, und ich konnte es kaum erwarten, dieses wunderbar herbstliche Gericht zu genießen.

Ich ließ den cremig-scharfen Geschmack auf meiner Zunge wirken und schloss genießerisch die Augen. »Es ist so lecker, Papa. Vielen herzlichen Dank!«

Während meine Mutter noch arbeitete, hatte mein Vater es sich im Ruhestand zur Aufgabe gemacht, ihr jeden Mittag ein Essen zuzubereiten, und dabei erstaunliche Fähigkeiten entwickelt. Er lächelte stolz.

»Das freut mich, mein Schatz. Aber nun erzähl mal, was in deinem Kopf so vorgeht. Gab es Ärger im Job, dass du darüber nachdenkst, was anderes zu machen?«

»Ach, ein wenig Ärger gab es von Anfang an. Aber nie so, dass ich deswegen direkt die Flinte ins Korn werfen würde. Vielmehr kam eins zum anderen. Der Job macht mir einfach keinen Spaß, ich muss mich jeden Tag dazu zwingen, und seit ein paar Tagen habe ich mir viele Gedanken gemacht. In letzter Zeit ist jede noch so kleine Kritik, jede Diskussion mit meinem Chef wie der sprichwörtliche stete Tropfen, der den Stein höhlt.«

Meine Eltern schauten mich schweigend an. Ihr Blick war mitfühlend erwartungsvoll.

»Ich habe mit Anni telefoniert, und sie hat eine Idee, ein Projekt, das sie gern umsetzen möchte. Es war wie ein Zeichen, dass sie mir ausgerechnet jetzt davon erzählt hat, und sie sagt, dass sie mich dabeihaben möchte.«

Interessiert hob meine Mutter die Augenbrauen. Sie mochte Annilen sehr, und wann immer meine Eltern auf Sylt waren, statteten sie ihrem wundervollen Café einen Besuch ab.

Ich stellte meinen Eltern vor, was Anni mir zu dem Büchercafé rund um die Festtage und für die Winterzeit erklärt hatte. Währenddessen beobachtete ich die beiden ganz genau. Ich sah ihnen an, dass es ihnen nicht leichtfallen würde, wenn ich wegzöge. Doch genauso erkannte ich die Hoffnung, die Annis Vorschlag in ihnen hervorrief, und die Freude darüber, dass ich es tatsächlich in Erwägung zu ziehen schien.

»Liebes, bei deiner Anni wärst du in den besten Händen. Du könntest dich endlich wieder wirklich mit Büchern beschäftigen, ohne an all das Schreckliche denken zu müssen, was passiert ist. Anni ist herzensgut. Sie würde dich in deiner Leidenschaft unterstützen und dir Aufwind geben. Und all das vor der Kulisse der winterlichen Nordseeinsel, für die unser aller Herz seit Jahren schon schlägt.« Meine Mutter hob die Handflächen. »Meinst du, wir würden dir davon abraten?«

»Nun, ich wäre so weit weg von euch«, murmelte ich.

Meine Mutter winkte ab. »Dann kommen wir, sooft es geht, zu dir! Nichts lieber als das. Oder, mein Schatz?« Sie schaute meinen Vater an, der bestätigend nickte, während sie fortfuhr: »Bald bin auch ich im Ruhestand, dann sind wir flexibler denn je.«

»Allerdings gebe ich dann hier meinen Job auf«, erklärte ich, und diese Aussage sorgte für nachdenkliches Schweigen.

»Ich glaube, dass sich auf Sylt neue Türen auftun können. Selbst wenn das Projekt von Anni nach der ersten Versuchsphase nicht weitergehen sollte – wovon ich erst mal gar nicht ausgehen würde, denn das Konzept ist fantastisch –, dann findest du was anderes. Auch dort vor Ort, wenn du dich mit Anni wohlfühlst. Oder du startest hier neu durch.«

»Meinst du?« Nachdenklich drehte ich mein Glas in den Händen.

»Ja, mein Schatz. Auch wenn mir natürlich klar ist, was du mit Sylt verbindest und dass das nicht nur positiv ist. Das wird sich nicht ganz löschen lassen.« Meine Mutter presste betrübt die Lippen aufeinander, und ich nickte. »Aber du hast die Chance, neue Erinnerungen und Assoziationen zu schaffen und die alten vielleicht irgendwann zu überdecken.«

»Wie wäre es denn mit einer Unterkunft?«, fragte mein Vater, der von jeher schon deutlich mehr auf Sicherheit bedacht war als meine Mutter, die sich eher von Begeisterung hinreißen ließ. »Deine Wohnung können wir als Back-up ja so oder so erst mal behalten, so kannst du jederzeit zurückkommen, ohne den Druck im Rücken zu spüren. Und wenn du weißt, wie es in Zukunft weitergeht, können wir sie vermieten.«

»Anni hat auch dafür bereits eine Lösung«, erklärte ich, und meine Mutter klatschte begeistert in die Hände.

»Na, du scheinst es ja kaum erwarten zu können, Mamilein«, murrte ich.

»Ach, rede doch nicht! Ich erkenne nur gerade die Chance darauf, meine Tochter wieder glücklich zu sehen. Was wäre ich für eine Mutter, wenn ich mich darüber nicht von Herzen freuen würde?«

»Ihr findet die Idee also gut?«, fragte ich unsicher.

»Ich verstehe, dass es ein Schritt ist für dich, dafür den Job zu kündigen. Aber wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass es doch eher eine Beschäftigung ist, die dich vom Grübeln ablenkt und dir gleichzeitig die Möglichkeit und die Rechtfertigung gibt, nicht allzu viel unterwegs sein zu müssen, als etwas, das dich inspiriert und motiviert.«

Ertappt schluckte ich, kam aber nicht drum herum, der Erkenntnis meines Vaters zuzustimmen. »Womöglich hast du recht, ja.«

»Genau das hast du gebraucht. Eine Zeit lang. Das finde ich vollkommen in Ordnung und nicht verwerflich. Du hattest schließlich einen nicht unerheblichen Schicksalsschlag zu verkraften und musstest dein Leben erst mal neu sortieren. Aber ich glaube, dass du jetzt einen Zeitpunkt erreicht hast, wo es für dich hier nicht mehr passt. Und wenn du das erkannt hast, solltest du dich nicht dagegen sträuben.«

Ich schaute meinen Vater an und nickte. »Danke, Papa.«

Meine Mutter griff nach meiner Hand. »Du sollst bitte wissen, dass wir jederzeit hinter dir stehen. Du bist nicht allein, mein Kind, was immer du auch planst. Und im Zweifel steht die Tür hier immer offen für dich.«

Gerührt löffelte ich weiter die köstliche Kürbissuppe, und mit dem schmackhaften Essen, welches von innen wärmte, umfing mich bei den lieben Worten meiner Mutter ein nicht weniger wohliges Gefühl der Geborgenheit. Es kam mir vor wie ein weiches Polster, auf das ich zu jeder Zeit fallen konnte, wenn ich strauchelte oder gar komplett abstürzte.

»Ich bin so froh, dass ich euch hab. Egal, wo es mich hintreibt in der nächsten Zeit.« Ich stand auf und umarmte meine Eltern nacheinander.

Wir sprachen noch viel an diesem Abend. Überlegten, wie es für mich auf Sylt werden könnte. Ich erzählte meinen Eltern, dass ich endlich wieder eine Buchhandlung betreten hatte, welche Überwindung es mich erst gekostet hatte und wie befreiend es letztendlich gewesen war.

So lange war es mir wie ein schier unerträglicher und unvorstellbarer Schritt erschienen. Und nun war es das erste Mal, dass ich eines dieser Bücher, die ich früher so geliebt hatte, lesen wollte und noch dazu sogar persönlich in einer Buchhandlung gekauft hatte.