Der kleine Wintermarkt am Meer - Julia Rogasch - E-Book
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Der kleine Wintermarkt am Meer E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Zwischen Herzklopfen und Heißer Schokolade gibt es ein Winterweihnachtswunder auf Sylt Kein Geld, kein Job, kein Mann – Weihnachtsstimmung will sich bei Josi dieses Jahr so gar nicht einstellen. Zum Glück bittet ihre Freundin Linnea sie, nach Sylt zu kommen, um ihr mit dem Wintermarkt zu helfen! Josi kann es kaum erwarten, Heißgetränke in dem kleinen Foodtruck zu verkaufen. Der muss allerdings erst einmal restauriert werden. Unterstützung erhält Josi dabei von Erik. Zwischen den Weihnachtsgirlanden kommen die beiden sich bald näher – doch da beginnt Linnea, sich immer mehr zurückzuziehen ... Ist ein Weihnachtswunder noch möglich? *** Sehnen Sie sich nach einem Weihnachtsinselwunder? Nach "Winterzauber in den kleinen Teestube am Meer" der neue Winter-Sylt-Roman von Julia Rogasch: Träumen Sie sich auf die schönste Nordsee-Insel und genießen Sie romantische Stunden. 

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Der kleine Wintermarkt am Meer

Die Autorin

JULIA ROGASCH, geboren 1983, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Daneben ist die Nordseeinsel Sylt die Heimat ihres Herzens und Inspiration für ihre Bücher. Schon als Kind schrieb sie erste Geschichten. Beruflich ging sie zunächst andere Wege, lernte nach dem Abitur Drogistin und verkaufte Autos für ein Autohaus, für das sie heute im Marketing arbeitet. Inspiriert vom Leben als Mama mit Job, und ihrer großen Leidenschaft für Sylt und emotionale Romane, griff sie ihren Kindheitstraum vom Schreiben auf und das erste Buch entstand. Es folgten weitere Sylt-Romane über die Liebe, das Glück, Schicksal, Familie und Freundschaft.

Julia Rogasch

Der kleine Wintermarkt am Meer

Ein Sylt-Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Oktober 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorenfoto: © PrivatE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-2624-5

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1. Josephine

2. Erik

3. Josephine

4. Erik

5. Josephine

6. Erik

7. Josephine

8. Erik

9. Josephine

10. Erik

11. Josephine

12. Erik

13. Josephine

14. Erik

15. Josephine

16. Erik

17. Josephine

18. Erik

19. Josephine

20. Erik

21. Josephine

22. Erik

23. Josephine

24. Erik

Epilog

Danksagungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Meinen Herzensmenschen.Meinen wundervollen Lesern.All jenen, die an ihre Träume glauben.Dir, denn mein Traum lebt durch dich.

Prolog

Das Schiff schwankte sanft im Takt der Wellen, während die Urne zu Wasser gelassen wurde. Und trotz der Schwere, die sich in diesen Minuten in meiner Brust ausbreitete, war da viel Wärme.

Ich sah zu dem Silberstreifen, der sich am dunstigen Himmel seinen Weg bahnte. Mit einem leisen Seufzen dachte ich daran, wie oft meine Oma betont hatte, dass sie nicht wollte, dass ich tieftraurig war, wenn sie nicht mehr da wäre, um mich in den Arm zu nehmen und zu trösten.

Stattdessen musste ich ihr versprechen, dass ich lachen würde, wenn ich an sie dachte. Ich sollte ihre Geschichten weitererzählen, unsere Erlebnisse mit anderen teilen und die vielen glücklichen Momente die dunklen Wolken aus Traurigkeit beiseiteschieben lassen.

Sie hatte sich gewünscht, dass ich den Platz zwischen uns für sie freihalten würde, als sei sie bei uns.

Sie sagte das damals in ihrer so unbeschwerten Art. Immer war es ihr Hauptziel, dass es ihren Lieben gut ging und sie keine Sorgen hatten. Vor allem aber wollte sie nicht der Grund für meine Tränen sein.

All das war mir so weit weg erschienen, und ich hatte ihr das Versprechen leichtfertig gegeben. Auch wenn ich natürlich sofort daran gezweifelt hatte, dass ich es würde halten können. Ich verdrängte damals, dass jederzeit der Moment kommen konnte, an dem ich so stark sein musste, wie sie es immer für uns gewesen war.

Und als der Tag dann da war, zog er wie ein schweres Gewitter über mein Leben. Es gelang mir nicht, die Stärke zu zeigen, die sie sich von mir gewünscht hat.

Eines verstand ich jedoch in diesem Moment: Es würde nie mehr so sein, wie es war. Zum ersten Mal im Leben spürte ich eine gewisse Endgültigkeit, und ein Gedanke hatte mich seitdem nicht mehr losgelassen: Auch wenn es manchmal schwer ist, so muss man Chancen doch nutzen, wenn sie sich ergeben.

Es fiel mir so unendlich schwer, meine geliebte Oma hier am Meer zu verabschieden. So oft hatte sie davon gesprochen, Weihnachten nach Sylt reisen zu wollen. Ihren Herzensort, ihre Lieblingsinsel noch mal wiederzusehen. Warum, fragte ich mich jetzt ohne Unterlass, hatten wir die Reise nicht einfach gemacht? Wo­rauf hatten wir gewartet? Nie wieder würde ich etwas, das mir wirklich wichtig war, auf die lange Bank schieben. Das versprach ich meiner Oma nun, während ich mich auf die Reling stützte und das Gesicht in den kühlen Wind hielt. Tränen rannen über meine Wangen, und ich schaute ihnen nach, wie sie ins Meer tropften und zwischen den rosafarbenen Blütenblättern versanken. Der Anblick gab mir eine gewisse Ruhe. Als wolle meine Oma mir sagen, dass alles gut sei und ich mir keine Sorgen machen müsse. Sie war keine unglückliche Frau gewesen, hatte nicht mit verpassten Chancen gehadert. Wenn ich ihr schon die Reise nach Sylt nicht mehr ermöglicht hatte, hatte sie hier, in der Nordsee, doch ihre letzte Ruhe gefunden. Wenigstens diesen allerletzten Wunsch der Seebestattung hatte ich ihr erfüllt, und dieses Gefühl war tröstlich.

»Auch wenn wir Weihnachten nicht gemeinsam hier feiern … Jetzt sind wir immer irgendwie zusammen am Meer, Omi«, flüsterte ich in den Wind, als der Kloß in meinem Hals schon wieder jeden Atemzug erstickte. Dann spülten meine Tränen alle weiteren Worte fort.

1. Josephine

»Josi? Sag nicht, du hast mich vergessen? Was ist mit unserem Kaffee im Auszeit?«, klang Daniels Stimme vorwurfsvoll aus dem Handy, und ich schlug mir entsetzt eine Hand gegen die Stirn. Im Hintergrund hörte ich Tellerklappern und Stimmengewirr.

»Oh nein! Das tut mir furchtbar leid!« Mein Blick schweifte durch das Wohnzimmer, das einer chaotischen Werkstatt glich. Seit meiner Kündigung in der Catering-Agentur bestand meine Hauptbeschäftigung darin, dass ich stundenlang darin versank, alte Möbelstücke aufzubereiten. Darüber hatte ich die Verabredung mit meinem Bruder tatsächlich vollkommen vergessen. Leise erinnerte ich mich jetzt daran, dass er gefragt hatte, ob wir uns auf einen Kaffee verabreden wollten, um die Weihnachtsplanung zu besprechen. Seine Frau hatte heute andere Pläne. Obwohl mir gar nicht nach Weihnachten zumute war, hatte ich zugesagt. Denn so musste ich wenigstens nur mit ihm darüber reden, und die Begegnung mit meiner nervigen Schwägerin Felicitas blieb mir erspart. Ich überlegte, wie ich schnellstmöglich noch dort ankommen sollte, und fuhr die Strecke in Gedanken ab.

»Bestell dir doch einen Kaffee, und ich mache mich sofort auf den Weg«, bot ich versöhnlich an.

»Alles klar«, sagte er. Skeptisch schaute ich an mir herunter. Mein Outfit aus Jogginghose und Oversize-Shirt voller Farbkleckse eignete sich kaum für einen Cafébesuch. Kurz hatte ich gehofft, dass er keine Lust haben würde, auf mich zu warten. Das würde mir einiges an Hektik ersparen. Aber die Festtage rückten näher und damit auch deren Planung und Felicitas’ große Stunde.

Seufzend raffte ich mich auf, um mir schnell etwas anderes anzuziehen. Auf dem Weg ins Bad strich ich im Vorbeigehen über eine Kommode. Ich hatte ein Faible für alte Möbelstücke und in den letzten Wochen schon einige Flohmarktfundstücke in meiner Wohnung zu neuem Leben erweckt. Im Gehen warf ich einen Blick über die Schulter zurück in mein Wohnzimmer, das ich auch als Büro für meine Homeoffice-Tage in der Catering-Agentur genutzt hatte. Davon war nichts mehr zu erkennen. Hier stapelten sich jetzt Farbeimer, Werkzeuge und verschiedene Materialien, die ich für die Restauration alter Möbel benötigte. Ein Hobby, das mich abschalten ließ zwischen Grübelei und Bewerbungsstress. Ich war nicht glücklich in meinem Job in der Catering-Agentur gewesen, wo ich für die Planung der kulinarischen Begleitung von Events zuständig gewesen war. Ich wollte mitten im Geschehen und unter Leuten sein, lieber selbst bei den Veranstaltungen die Gäste betreuen, als immer alles nur theoretisch zu organisieren. Menüs oder Snacks für Events zu konzipieren machte mir Spaß. Aber die Freude auf den Gesichtern der Menschen war das eigentlich Reizvolle. Ich wünschte mir, hautnah zu erleben, was gut ankam und woran wir bei unserem Angebot noch feilen mussten. In letzter Zeit war mir bewusst geworden, wie weit ich mich von meinem Wunsch entfernt hatte, weil ich nur noch am Laptop saß. Mit einem Anflug von Mut hatte ich den Job bei dem angesehenen Caterer also an den Nagel gehängt.

Meine Wohnung lag in einem Hamburger Altbau. Sie war nicht groß, aber für eine Person ausreichend. Nur den Hobbyraum, den ich mir schon immer gewünscht hatte, gab sie nicht her. Nun, wo ich ohne Job war, würde es mit der Miete nur noch eine Zeit lang gut gehen. Dann müsste ich mich eher noch verkleinern. Aber so weit wollte ich jetzt noch nicht denken. Es war nicht das erste Mal in den letzten Jahren, dass ich mich über eine gewisse Durststrecke hangeln musste. Ich würde das schon irgendwie meistern. Meine Oma hatte immer gesagt, dass das Leben einen erst herausforderte, bevor es einen belohnte. Darauf vertraute ich auch jetzt.

Missmutig warf ich einen Blick aus dem Fenster. Es war November und schon richtig kalt. Ich zog einen dicken Daunenmantel an, schlüpfte in gefütterte Boots und eilte zur Bahn. Durch den Feierabendverkehr in der Hamburger City würde ich mit dem Auto ewig brauchen.

In der Stadt hatte man schon damit begonnen, die imposante Weihnachtsbeleuchtung zu installieren. Normalerweise liebte ich die Vorweihnachtszeit, denn ich war ein großer Weihnachtsfan. Früher war dies für mich immer ein wunderschönes Fest. Den diesjährigen Feierlichkeiten blickte ich jedoch mit Bauchweh entgegen.

Meine Hand fuhr automatisch zu der Kette, die ich um den Hals trug. Es war die, die meine Oma täglich getragen hatte, bevor sie vor wenigen Monaten verstorben war. Der herzförmige Rosenquarz, eingefasst in Silber, war mein ganzer Stolz. Wann immer mein Blick auf das Schmuckstück fiel, sah ich meine Oma vor mir in ihrem dunkelblauen Kleid, wie sie strahlend unter unserem Weihnachtsbaum saß.

In meinem Kopf hallten die Worte nach, die sie mir bei unserer letzten Weihnachtsfeier zugeraunt hatte: »Liebes, den Quatsch hier hast du zum letzten Mal mit veranstaltet. Und ich auch. Das musst du mir versprechen. Nächstes Jahr machen wir was Außergewöhnliches.« Sie hatte gekichert wie ein kleines Mädchen, und ihre Augen hatten gefunkelt. Keine von uns hatte zu dem Zeitpunkt geahnt, dass das ihr letztes Weihnachten war. Ich hatte mir vorgestellt, endlich mit ihr nach Sylt zu reisen. Ich seufzte. Weihnachten auf Sylt. Das wäre ihr Traum gewesen. Nun war es zu spät. Auch ich war davon, nicht nur finanziell, meilenweit entfernt. Statt auf Sylt saß ich in meinem zur Werkstatt umfunktionierten Wohnzimmer und blies Trübsal. Selbst Weihnachten machte keinen Spaß mehr.

Felicitas, die Frau meines Bruders, hatte alles Besinnliche in meiner Familie zunichtegemacht. Seit sie die Feiertagsplanungen übernommen hatte, gruselte ich mich regelrecht davor. Meine Eltern verreisten in diesem Jahr über die Festtage sogar. Das schmerzte doppelt. Felicitas und mein Bruder hatten meinen Eltern die Reise nämlich zu ihrem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag, der auf den 23. Dezember fiel, geschenkt. Nicht, dass ich ihnen die Reise nicht von Herzen gönnte! Nach dem Tod meiner Oma, der meine Mama viel Kraft gekostet hatte, würde ihnen diese Auszeit guttun. Aber es fühlte sich an, als ob meine Eltern mich mit dem Weihnachtsfest bei meiner Schwägerin im Stich ließen. Schließlich konnten sie dieses ach so großzügige Geschenk ja unmöglich ablehnen. Von meiner Mutter hatte ich die Liebe zu den Feiertagen geerbt, und sie war es auch, die diese früher besonders besinnlich gestaltet hatte. Gerade in diesem Jahr hätte ich meine Eltern gebraucht, selbst mit ihnen an meiner Seite hätte ich meine Oma furchtbar vermisst. Am liebsten wäre ich direkt mit ihnen verreist, aber mir war selbst klar, dass ich dabei das fünfte Rad am Wagen gewesen wäre.

So aber würde ich ganz allein neben dem Bilderbuchpaar am durchgestylten Festtagstisch sitzen, der so gar nichts mit meiner Vorstellung von Weihnachten gemein haben würde. Eigentlich hatte ich vor, schon aus Prinzip, deshalb einfach allein zu feiern: ohne Familie, ohne Job, ohne Mann – ich hatte nicht einmal ein Haustier. Seufzend schüttelte ich den Kopf. Ich hatte aktuell wirklich keine gute Phase, und jetzt würde dieses Jahr ohne meine geliebte Oma und ohne Vorfreude auf Weihnachten enden. Und nun musste ich mir auch noch jedes fürchterlich durchgeplante Detail der sterilen Weihnachtsplanung anhören. Schrecklich.

Ich stieg in einiger Entfernung vom Café aus der Bahn aus, sprang in einen Bus, der mich zur Alster brachte, und ging das letzte Stück zu Fuß. Dabei kam ich an einem Fahrzeug vorbei, aus dem eine junge Frau Heißgetränke verkaufte. Dick eingemummelt in einen bunten Wollschal und Pudelmütze stand sie hinter dem Tresen des liebevoll dekorierten Wagens, von dem aus sie einen traumhaften Blick auf die Alster hatte. Sie kam allerdings wohl kaum dazu, den zu bestaunen, so viel, wie sie zu tun hatte. Das sorgfältig mit Kreide gemalte Schild vor dem Wagen versprach Getränke mit wohlklingenden Namen wie Winterzauberpunsch oder Weihnachtsbratapfel. Richtig gemütlich konnte es in dem Wagen nicht sein – der Wind, der von der Alster kam, war schneidend. Wahrscheinlich musste die Verkäuferin sich selbst auch immer mal wieder mit einem Heißgetränk aufwärmen.

Für einen Moment ruhte mein Blick auf den dankbaren Spaziergängern, die mit klammen Fingern einige Münzen aus ihren Portemonnaies klaubten und dann ihre Hände um die wärmenden Becher legten. Sie setzten mit zufriedenen Gesichtern ihren Weg fort, und ich stellte mir vor, dass ein warmer Kakao im Bauch einen romantischen Spaziergang an der Alster auf ganz hervorragende Art abrunden würde.

In meiner Fantasie liefen hier Liebespaare bei einem ihrer ersten Treffen nebeneinanderher, schüchtern, noch unsicher, immer darauf bedacht, nichts Falsches zu sagen, und interessiert daran, mehr voneinander zu erfahren …

In meine Träumerei vertieft erreichte ich das Café, in dem mein Bruder Daniel bereits an einem Tisch saß und mir zuwinkte. Gerade verabschiedete er eine Frau, die nach ihrer Tasche griff, sich mit einem zerstreuten Lächeln an mir vorbeischob und das Café verließ.

Er stand auf, umarmte mich kurz, und ich nahm ihm gegenüber Platz.

»Hey, Josi.«

»Hi. Entschuldige bitte, dass ich so spät bin.« Ich musterte Daniel. Er wirkte blasser als sonst. »Geht’s dir gut?«

»Alles gut. Ja, ja. Ich habe gerade zufällig noch eine Freundin getroffen, und wir haben ein bisschen gequatscht. Sie ist gerade erst gegangen.« Er deutete mit einer fahrigen Handbewegung in Richtung Tür.

»Na, das passt ja.« Ich lächelte, und als die Bedienung kam, bestellte ich mir einen Kakao mit Sahne. Der Wagen an der Alster hatte mich auf die Idee gebracht, und nach dem Fußmarsch im eisigen Wind war mir nach etwas Warmem zumute. »Du hättest sie aber nicht meinetwegen wegscheuchen müssen«, sagte ich.

»Was? Nein, nein! Sie musste los.« Er lächelte schief. Dann klappte er seinen Terminplaner auf.

Ich unterdrückte ein Seufzen.

»Feli hat sich für Weihnachten etwas ganz Besonderes überlegt und mich gebeten, dich schon mal in unsere Pläne einzuweihen.«

»Schau an«, sagte ich gespielt überrascht, was mein Bruder mit einem mahnenden Blick quittierte.

»Schau nicht so. Ich freue mich doch«, log ich, und mit einer Kopfbewegung in seine Richtung tat ich so, als könne ich kaum erwarten, was er zu berichten hatte.

Er öffnete auf seinem Tablet eine Powerpoint-Präsentation mit dem Titel Feiertage. Ich griff mir verzweifelt an die Stirn und massierte mir das Entsetzen über den Aufwand, den er betrieb, aus dem Gesicht. Dann ergoss sich ein Redestrom, der mit »Wir stellen uns das ganz wunderbar vor« begann und aus dem ich nur Stichworte wie »Heiligabend«, »Essen«, »zauberhaft« und »Gänsebrust«, »Champagner«, »entzückende Dessertvariationen« und »grandiose Menüabfolge« wahrnahm. Erst am Ende hörte ich wirklich wieder zu.

»Und es ist doch besonders schön, so als Familie, alle zusammen. Wenn Mama und Papa schon nicht dabei sein können in diesem Jahr. Aber die haben es ja sicher auch herrlich.« Daniel grinste albern. »Deshalb haben wir uns überlegt, dass wir mit Felis Familie feiern: Wir lassen uns dieses Jahr mal so richtig verwöhnen und verbringen die Feiertage mit ihnen. Feli hat jeden Tag ein anderes Menü zusammengestellt, das wir uns liefern lassen. Wir müssen uns um nichts kümmern.«

Mir war ganz schwindelig, und ich konnte Daniel kaum noch folgen. Deshalb nickte ich nur stumm.

»Na wundervoll«, brachte ich hervor, allerdings erst nach einer ganzen Weile, in der ich stumpf auf die Fotos ausgefallener Menüs auf Daniels Tablet gestarrt hatte und seinem erwartungsvollen Blick ausgewichen war. Er zückte sein Handy, und schon nach wenigen Sekunden ploppte auf meinem Display eine der bunten Darstellungen auf. Daniel war das Gegenteil von mir. Während ich privat meistens alles auf mich zukommen ließ, war Daniel ein Mensch, der nichts dem Zufall überließ.

»Da hast du gleich alles.« Stolz lächelte er.

Ich öffnete das, was er da via Bluetooth mit mir geteilt hatte, und rang mir ein Lächeln ab.

»Alles klar. Wie nett!«, sagte ich mit einem leisen Seufzen. Alles sah teuer und, wenn ich ehrlich war, überhaupt nicht nach meinem Geschmack aus. Nicht eines der Gerichte wirkte, als wäre ich davon nach dem dritten Gang satt. Hungern an Weihnachten, dachte ich und unterdrückte ein erneutes Seufzen.

Mein Verdacht bestätigte sich prompt. Während Daniel sprach, glühten seine Wangen. Meine taten es ihnen nach kurzer Zeit nach: Ich hörte Beträge für Speisen, die ich in den vergangenen Jahren beim Essengehen nicht in einem ganzen Monat ausgegeben hatte. Hier würde ich sie an einem Abend verspeisen. Und am Ende zu allem Überfluss hungrig sein!

»Josi, es ist mir in diesem Jahr ganz besonders wichtig, dass es schön wird«, sagte er, und in seinem Blick lag seltsam viel Nachdruck. »Du bist natürlich eingeladen.« Sein Lächeln war so gönnerhaft, dass ich mir ganz klein vorkam. Ich wusste, dass er es lieb meinte, und trotzdem widerstrebte mir alles an der Situation.

»Aha«, erwiderte ich und gab mir keine Mühe, den wertenden Unterton zu unterdrücken. »Mir hätten auch Kartoffelsalat und Würstchen gereicht«, fügte ich trocken hinzu.

»Du weißt doch, wie viel Wert Feli darauf legt. Wenn sie zufrieden ist, bin ich es auch.« Er strahlte und scrollte die Präsentation weiter hinunter. Stolz deutete er auf eine Seite. Das Foto eines gigantischen Tannenbaumes erschien. »Was sagst du dazu?«

Fassungslos starrte ich dieses Luxusobjekt an. Mir fehlten die Worte, um zu beschreiben, was ich sah.

»Ein künstlicher Weihnachtsbaum mit per App gesteuerter Lichtershow!« Daniel hatte meine Sprachlosigkeit erkannt. »Feli hat da diesen angesagten Designer ausfindig gemacht. Der dekoriert jeden Baum ganz individuell, je nach Wunsch.«

Ich verdrehte die Augen. »Ganz ehrlich, Daniel, es tut mir leid – ich weiß, ihr habt euch Mühe gegeben, aber nichts daran entspricht dem, wie ich gerne feiern würde.« Ich traf seinen Blick und holte tief Luft. »Ein Designer-Tannenbaum? Ist das euer Ernst?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich danke dir für die großzügige Einladung, aber ehrlich gesagt würde ich lieber über Weihnachten einfach wegfahren. Irgendwohin. Allein.«

Entsetzt starrte mein Bruder mich an. »Wie bist du eigentlich heute drauf?«

2. Erik

»Moin, Erik! Was führt dich zu mir?«

Linnea hob den Blick vom Spülbecken, trocknete sich freundlich lächelnd die Hände ab, kam dann zu mir und nahm mich in Empfang. Sie hatte in allem, was sie tat, eine gewisse Anmut. Die Haltung immer kerzengerade, die dunkelbraunen Haare locker, aber gekonnt zusammengesteckt, ein immerwährendes Strahlen in ihren aufmerksamen, dunklen Augen. Linneas Gang, wenn sie sich in ihrem Café bewegte, glich eher einem Schweben. Das liebevoll dekorierte Friesenstübchen befand sich, schon seit ich denken konnte, in dem reetgedeckten Friesenhaus in Keitum. Früher wurde es von Johann, Linneas Vater, betrieben.

Linnea hatte das Café vor einigen Jahren übernommen, und ich hatte den Eindruck, es lief in den letzten Monaten besser denn je. Auch heute war nahezu jeder Tisch besetzt. Das Café war bei Urlaubern und Einheimischen beliebt. Der Duft von frisch gebackenen Waffeln und Kaffee unterstrich die behagliche Wohlfühlatmosphäre im Raum. Ein dunkelgrüner Kachelofen gab eine wohlige Wärme ab, die dem rauen Novemberwetter trotzte.

Ich rieb mir die Hände, die der schneidende Wind und der Nieselregen eiskalt hatten werden lassen.

»Moin, Linnea«, reagierte ich ein wenig verzögert. »Ich sehe, es ist viel zu tun. Ich will auch gar nicht lange stören.«

»Alles gut! Anne ist ja auch noch da.« Linnea deutete auf die Tür zur Backstube.

Ich lehnte mich an den Tresen. »Sag mal … Du weißt ja, dass ich in diesem Jahr den Sylter Wintermarkt organisiere. Und in der Runde unserer Aussteller fehlt eigentlich nur noch dein zauberhaftes Café, damit der Weihnachtsmarkt unter Garantie ein voller Erfolg wird!«

Linnea winkte ab und lachte. »Charmeur!« Sie legte den Kopf schief und verzog den Mund zu einem angedeuteten Lächeln. »Einen Pharisäer zum Aufwärmen?«, bot sie an, ohne auf meine Frage einzugehen. »Oder lieber die Heiße Liebe?« Linnea hob anzüglich eine Augenbraue, und wir beide mussten lachen.

»Also, ich möchte deiner Liebe nur ungern einen Korb geben. Aber ich muss ja einen klaren Kopf behalten. Am liebsten hätte ich einen Kaffee Crema.«

»Ich habe schon verstanden«, gab Linnea zurück. »Gerne auch das«, sagte sie und fügte dann mit einem Zwinkern hinzu: »Wenn ich dir trotzdem eine Empfehlung geben darf, solltest du dazu ein Stück Friesentorte probieren. Frisch gebacken!«

»Da sage ich nicht Nein.«

Ich setzte mich an einen freien Tisch.

Kurz darauf trat Linnea mit Kaffee und dem Kuchen auf einem Tablett an meinen Tisch. Sie setzte sich.

»Und, was sagst du zu der Idee, dass das Friesenstübchen mit dabei ist beim Wintermarkt?« Erwartungsvoll blickte ich sie an.

Zögernd sagte sie: »Erik, du weißt, ich schätze dein Engagement sehr. Und der Wintermarktist eine wirklich wunderbare Sache. Mein Papa hat ihn geliebt. Urlauber und Insulaner lieben ihn. Und ich auch.«

»Aber?« Wenn Linnea nicht ausdrücklich zusagte, wusste ich, dass das ein Nein war. Ihr ausweichender Blick unterstrich meine Vermutung.

Linnea machte eine ausschweifende Handbewegung. »Du siehst, was hier los ist. Es ist unheimlich viel zu tun. Und das wird erfreulicherweise nicht weniger, je näher es auf die Festtage zugeht. Anne und ich stemmen das Alltagsgeschäft hier ganz gut, aber darüber hinaus geht einfach nichts. Für den Markt müsste ja immer mindestens eine von uns weg sein.« Sie zuckte bedauernd mit den Schultern. »Dafür ist kein Personal da, Erik.« Betrübt senkte sie den Blick. »Ich hätte mich viel eher um Unterstützung gekümmert, wenn ich geahnt hätte, wie gut hier in diesem Jahr zu tun ist. Aber jetzt auf die Schnelle jemand Zuverlässigen zu finden … die Zeit habe ich einfach nicht. Wäre Papa noch am Leben, wäre er sofort dabei.« Linnea wischte über die Tischplatte. Gedankenverloren zupfte sie den Strauß Trockenblumen zurecht, der auf dem Tisch arrangiert war: Er bestand aus einigen getrockneten Baumwollzweigen, deren Blüten wie kleine zart-weiche Schneebälle aussahen und zusammen mit etwas Pampasgras Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlten, wie jedes Detail hier im Friesenstübchen.

Leise fuhr sie fort: »Er kannte Gott und die Welt, so ein Stand auf dem Markt war immer genau sein Ding.« Ihr Blick war wehmütig, als er durch den Raum ging und dann an der Teekannensammlung des Vaters hängen blieb. In so vielen Details trug das Friesenstübchen noch immer Johanns Handschrift. »Dadurch, dass ich hier in den letzten Jahren viel investiert habe, habe ich zunächst keine weiteren Leute eingestellt. Ich wollte erst mal schauen, wie sich das Ganze entwickelt.« Sie schaute hoch, und ich lächelte, als ein Strahlen über ihr Gesicht zog, während sie fast schon entschuldigend hinzufügte: »Ich konnte ja nicht ahnen, dass es so fantastisch laufen würde.«

Ich nickte. »Dein Papa wäre sehr stolz auf dich, Linnea.« Ich legte meine Hand auf ihre, weil ich merkte, wie nah ihr noch immer jedes Gespräch über ihren Vater ging.

»Danke dir. Lieb, dass du das sagst.« Wir waren uns schon lange vertraut, sie gehörte zu meinem engsten Freundeskreis. Ich hoffte, ihr mit meiner Berührung Trost zu vermitteln, bis ich sah, wie es in Linneas Augen schimmerte. Sanft streichelte ich über ihren Handrücken. Sie quittierte meine Geste mit einem dankbaren Lächeln, zog ihre Hand dann aber zaghaft zurück. Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht wollte, dass jemand hier im Café diese Intimität fehldeutete. Es konnte ja keiner wissen, dass wir nur Freunde waren. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte es auch niemanden zu interessieren gehabt. Dennoch respektierte ich ihren Wunsch nach Distanz.

Linnea sah nun traurig aus, und sie tat mir leid. Ich hatte ihren Vater gerngehabt. Wir hatten ihn alle sehr gemocht und waren noch immer bestürzt über seinen viel zu frühen Tod vor etwa fünf Jahren. Linnea, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht konkret vorgehabt hatte, das Café zu übernehmen, schlug sich großartig.

»Klar, dass das Café Vorrang hat«, sagte ich deshalb mit einem beruhigenden Lächeln. »Aber ich wollte keinesfalls versäumt haben, dich zu fragen.«

Dankbar erwiderte Linnea mein Lächeln. »Danke, Erik. Das ist lieb. Und es freut mich auch wirklich.«

»Ganz stark, was du hier auf die Beine stellst. Vergiss vor lauter Arbeit nicht, dir auch hier und da mal kräftig auf die Schulter zu klopfen.«

»Ach.« Sie machte eine abwertende Handbewegung. »Ich führe das fort, was mein Papa aufgebaut hat.« Sie senkte den Blick. »Aber auch wenn ich es anfangs kaum geglaubt hätte und meinem Vater gegenüber wohl niemals zugegeben hätte«, sie lachte, was ein wenig bitter klang, und machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: »Tatsächlich macht es mir mittlerweile auch einfach richtig, richtig viel Spaß.« Sie hob die Augenbrauen und wirkte einen Moment überrascht davon. Doch dann zog ein Schatten über ihr Gesicht. »Und manchmal tut mir das fast ein wenig leid.«

Irritiert blickte ich sie an. »Wie meinst du das?« Während ich sie musterte, fielen mir die tiefen Schatten unter ihren Augen auf.

»Nun, mein Papa hätte sich sicher gefreut, wenn er sehen würde, dass es mir heute doch Freude macht, hier im Café zu stehen. Und ich bockige Ziege hab ihm früher immer das Gefühl gegeben, ich wolle das hier alles nicht.« Zerknirscht presste sie die Lippen aufeinander. »Das war nicht besonders fair von mir.«

»Sei nicht so streng mit dir! Du warst jung und kanntest bisher nur Sylt. Ich finde nicht, dass es so abwegig ist, dass man erst mal infrage stellt, ob man, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach den elterlichen Betrieb und damit ’ne Menge Verantwortung übernimmt«, widersprach ich. »Andere Menschen machen erst mal ’ne Weltreise, gründen eine Familie oder so.«

»Das sagst ausgerechnet du?«, fragte sie und schaute mich skeptisch an.

»Ich bin vielleicht nicht das beste Beispiel dafür«, gab ich lachend zu. »Aber ich bin ja auch eine Zeit lang woanders unterwegs gewesen und habe dann entschieden, dass nichts an Sylt herankommt.« Entschuldigend hob ich die Handflächen. Linnea wusste genau, dass ich dankbar war, dass ich in den Betrieb meiner Familie hatte einsteigen können. Seit ich ein Kind gewesen war, hatte das für mich festgestanden: Es passte einfach zu mir. Eine Zeit lang hatte ich gerne in Österreich gelebt, doch meine Sehnsucht nach Meer, Strand und Weite war zu stark gewesen. Nie hatte es mich lange irgendwo weit entfernt von meiner Heimatinsel gehalten.

Einen Moment lang hingen wir beide unseren Gedanken nach. Dann erhob sich Linnea. »Danke, Erik. Das tat gut. Auch wenn ich keine positiven Nachrichten für dich hatte. Ich muss mal weitermachen, wir quatschen hier schon viel zu lange«, sagte sie, umarmte mich kurz und wirbelte wieder in Richtung Tresen.

Lachend rief ich ihr nach: »Also sollte sich doch noch eine gute Zauberfee finden, die womöglich die ein oder andere Schicht im Friesenstübchen übernimmt, sag mir bitte unbedingt Bescheid! Ich halte euch den besten Platz auf dem Markt frei, versprochen.«

»Das mache ich! Dann wären wir auf jeden Fall dabei!«, antwortete sie grinsend. »Aber sollte sich dieses Fabelwesen nicht in mein Café verirren, muss ich wohl oder übel bei meiner Absage bleiben und dir und dem Wintermarkt schweren Herzens einen Korb geben.«

»Ich glaube ja erst mal noch an die Zauberfee …«, murmelte ich, und sie hob einen Daumen.

Ich aß meinen Kuchen, trank den Kaffee und machte mich wieder auf den Weg in unser Restaurant. Wir würden in wenigen Stunden die ersten Gäste begrüßen, und es galt, noch einiges vorzubereiten.

Auf dem Weg dorthin machte ich noch einen Abstecher zum Platz, wo der Wintermarkt stattfinden sollte. Wir hatten gemeinsam mit einem Keitumer Hotel eine Fläche unweit einiger historischer Reetdachhäuser ausgesucht, die am Rande des Ortes lag. So war sie an der einen Seite durch die Häuser begrenzt und gab zur anderen den Blick auf das Watt frei. Umfriedet von kleinen Holzhütten, aus denen selbst gemachte Köstlichkeiten verkauft werden sollten, neben verschiedenen handgemachten Artikeln von Handwerkskunst über Spielzeuge bis hin zu Bonbons, Waffeln oder Heißgetränken, würden Besucher hier alles finden, was das Herz begehrte. Während ich mir alles bildlich vorstellte, meinte ich schon, den Duft von Plätzchen und Punsch in der Luft zu riechen, und konnte es kaum erwarten. Doch bis es so weit war, lag noch ein Weg vor uns. Auch wenn die Planung viel Arbeit bedeutete, machte es mir Spaß. Mir gefiel, wie alle auf ihre Art etwas beisteuern konnten. Das gab dem Markt einerseits etwas Einzigartiges und schuf gleichzeitig ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, welches ich sehr genoss. Sowohl Urlauber als auch Insulaner sollten sich auf unserem Markt wohlfühlen.

Unser Restaurant hatte einen Stand, an dem wir verschiedenste Gerichte anbieten wollten, wie zum Beispiel Lachs vom Grill neben Schmalzkuchen und Fingerfood-Variationen. Auch unsere beliebte Currywurst würden wir wieder bereitstellen.

Ein Kollege hatte einen Stand, der Burger frisch zubereiten wollte, ein weiterer Crêpes. Es gab eine Märchenerzählerin, die alte friesische Geschichten für Kinder aufbereiten würde in einer eigens dafür mit Sand, Decken und Stroh ausgestatteten Hütte. Am letzten Tag würden die Auszubildenden des Restaurants und des Hotels mit den Kindern Lebkuchenhäuser basteln. Dafür hatte das Hotel die Räume in Aussicht gestellt, das unmittelbar an den Platz des Wintermarktes angrenzte: Dort war es warm, und der Platz und die Küche boten sich dafür an. Einer bereits aufgebauten Holzhütte würde ein Kollege, der eine Bar in Keitum betrieb, zu Glanz verhelfen: Er wollte dort Weine verkosten und verkaufen. Auch eine besonders bei Kindern beliebte Hütte mit Bonbons und anderen handgefertigten Süßigkeiten war angedacht.

Tief atmete ich ein und blickte mich um: Noch wirkte es so leer, aber schon bald war es so weit, und der Platz würde leuchten und vor lauter Menschen nur so wimmeln. Überall wären bunte Farben und tanzende Lichter zu sehen, die sich in strahlenden Kinderaugen spiegeln würden. Schon bei dem Gedanken daran schlug mein Herz höher. Ich liebte den Weihnachtsmarkt.

Was allerdings noch fehlte, war ein Stand für Winterpunsch, Kakao und andere Heißgetränke. Da hatte ich auf Linneas Café gehofft. Zwar gab es etliche andere Cafés auf der Insel, auf die ich ausweichen konnte, das Friesenstübchen war allerdings meine erste Wahl gewesen.

In Gedanken an den Weihnachtsmarkt versunken, hatte ich die letzten Meter zum Restaurant zurückgelegt, wo wir gut zu tun hatten und der Abend wie im Flug verging. Seit ich neben dem Alltag im Restaurant noch den Wintermarkt organisierte, waren meine Tage lang, und ich fiel abends immer todmüde ins Bett. Auch heute sehnte ich mich danach, die Beine hochzulegen und zu schlafen. Ich war dankbar, als der letzte Gast sich zufrieden verabschiedete und ich mit einigen Kollegen Gastraum und Küche aufräumte und den Tag in meiner Wohnung neben unserem Restaurant ausklingen lassen konnte.

Obwohl ich fix und fertig war, kam ich heute jedoch nicht zur Ruhe. Ich dachte an meinen Freund Niklas, den ich vor ein paar Jahren bei meinem Aufenthalt in Österreich kennengelernt hatte und der morgen gemeinsam mit seinem Sohn hier ankommen würde. Obwohl ich versucht hatte, ihn zu überreden, mitsamt seinem Foodtruck umzuziehen – das hätte auch das Problem mit dem Wintermarkt gelöst –, hatte er sich entschieden, den riesigen Wagen vor Ort zu verkaufen, weil ihm ein ausgezeichnetes Angebot unterbreitet worden war. Ich freute mich einfach darauf, ihn bald in der Nähe zu haben – zumal er in der alten Einliegerwohnung meiner Großeltern unterkommen würde.

Weil ich zu aufgedreht zum Schlafen war, machte ich mir noch mal einen Tee und setzte mich ans Fenster. Meine Gedanken wanderten zu Linnea und dem, was sie gesagt hatte. Dass die Arbeit im Café ihr heute mehr Freude bereitete, als sie erwartet hatte. Sie wirkte zufrieden. Sie war eine strahlende junge Frau und betrieb ein gut gehendes Café auf einer Insel, auf der viele Leute gerne Urlaub machten. Sie konnte sich wirklich glücklich schätzen. Auch ich liebte mein Leben hier auf Sylt, war zufrieden im Restaurant und mit meiner Tätigkeit, in meinem Alltag zwischen dem Meer und dem Inselflair. Dennoch fehlte mir manchmal etwas, wenn ich abends nach Hause kam. Zeit mit einem Menschen, mit dem man nicht über die Arbeit redete, sondern über gemeinsame Pläne, den nächsten Urlaub, den Traum von einer Familie oder sonst etwas, was man sich so vorstellte außerhalb des Berufs. Oder mit dem man sich freuen konnte über den Erfolg und mit dem man das Glück teilen könnte. Ob es Linnea wohl ähnlich ging? Wir beide wirkten, als gebe es nur unsere Berufe. Das Thema Liebe klammerten Linnea und ich in unserer Freundschaft aus, weil wir uns beide schon die Finger verbrannt hatten. Auch wenn es bei mir diese Momente gab, in denen ich mich einsam fühlte, überspielte ich sie, mimte zu jeder Zeit den strahlenden Restaurantleiter.

Es hatte in meinem Leben allerdings seit meiner letzten enttäuschten Liebe nie wieder einen Menschen gegeben, mit dem ich an eine Zukunft dachte. Der Schmerz darüber, sich auf eine Frau einzulassen, die mit einem Mal mit einem erschütternden Paukenschlag und bitteren Enttäuschungen wieder aus meinem Leben verschwand, saß zu tief. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass ich besser damit fuhr, eine Beziehung nicht mehr allzu nah an mich heranzulassen. Ich wollte mich vor allem auf die eine Person verlassen, auf die ich uneingeschränkt zählen konnte – auf mich selbst. So verbittert das klang, mir ging es besser damit, mich auf mein Unternehmen und den beruflichen Erfolg zu konzentrieren. Aber ich war damit oft nicht ehrlich zu meinem Herzen, was ich mit dieser Entscheidung zum Schweigen brachte. Denn es sehnte sich ebenso nach Wärme, Liebe und dem Gedanken an ein Zuhause. Und danach, seine Freude zu teilen. Ich freute mich, dass bald ein Freund auf die Insel kommen würde, und auf die Gespräche mit ihm.

Ich seufzte und drehte mich immer wieder von der einen Seite auf die andere. Nur langsam breitete sich dann doch eine Schwere in mir aus, die sich anfühlte, als wachse sie aus trüben Gedanken heraus und zöge dann in jeden Teil meines Körpers, um mich immer wieder kurz einschlafen zu lassen. Bis ich ganz wegdämmerte, verging über eine Stunde.

3. Josephine

»Ernsthaft?« Die Stimme meines Bruders überschlug sich fast. »Du willst Weihnachten also ohne uns feiern? Allein?«

»Und wenn?« Ich bemühte mich um eine entspannte Mimik. Die Stimmung zwischen uns war schlagartig auf den Gefrierpunkt gefallen. »Wenn dir meine Anwesenheit so wichtig ist …«, setzte ich an, bereit zurückzurudern, da unterbrach er mich aber schon.

»Darum geht’s ja gar nicht«, motzte er.

»Ach so! Na dann.«

»Weihnachten ist was Besonderes. Da muss man es sich auch mal gut gehen lassen. Freu dich doch mal! Wir machen es uns doch schön! Feli gibt sich solche Mühe!«

»Ich weiß.« Bedauernd hob ich die Schultern. »Es ist ja auch nicht deine Schuld, dass Felicitas und ich vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von einem gelungenen Weihnachtsfest haben. Wenn wir als Familie wenigstens komplett wären, wäre es noch mal anders. Warum habt ihr Mama und Papa ausgerechnet jetzt in den Urlaub geschickt? Mit ihnen wäre es okay für mich! Dann würde ich mich auch freuen!«

»Was soll das denn, Josi? Die Reise war ein Geschenk zur Silberhochzeit! Das ist was ganz anderes. Warum bist du so seltsam heute?« Er schüttelte mit zusammengezogenen Augenbrauen den Kopf. Dabei sah er mich mit einem Blick an, mit dem man auch schauderhafte Insekten anstarrte.

»Stell dir vor, ich empfinde die Feste mit deiner werten Gattin und ihrer Verwandtschaft schon lange als extrem seltsam.« Ich setzte das Wort »seltsam« dabei mit den Fingern in Anführungszeichen. »Du hast doch grad gesagt, es geht dir nicht um meine Anwesenheit. Dann reg dich doch nicht auf! Ich weiß doch euren ganzen Firlefanz da gar nicht zu schätzen.« Kopfschüttelnd scrollte ich durch seine Menü-Fotos, die mich tatsächlich nicht begeistern konnten. Erst recht nicht in Gesellschaft von Felicitas und ihrer bornierten Familie.

»Du findest Weihnachten mit uns also schon lange scheiße?«

Ich meinte, die Einstichstellen seiner Blicke spüren zu können, so stechend wie sie waren.

»Das hast du gesagt.« Ich musste ja nicht zugeben, dass ich es gedacht hatte.

»Weißt du was? Mach doch, was du willst, und wenn du dieses Jahr am Nordpol feierst! Wir haben es gut gemeint. Wenn das der Dank ist. Tschüss.« Mit diesen Worten riss er sein Portemonnaie aus der Hosentasche und knallte den Betrag für unsere Getränke zuzüglich Trinkgeld auf den Tisch. Bevor ich reagieren konnte, stob mein Bruder von seinem Stuhl auf, griff nach seiner Jacke, warf mir dabei noch einen letzten bitterbösen Blick zu und verließ das Café. Für einen Moment wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

Ich saß noch in meiner Schockstarre fest, als mein Handy mich aufschreckte. Es war meine beste Freundin Linnea, die gerade zur richtigen Zeit anrief.

Wir hatten uns vor fünf Jahren auf Sylt kennengelernt, als ich in einem Urlaub versuchte, meinen Herzschmerz nach einer enttäuschenden Beziehung zu vergessen. Linneas Törtchen im Friesenstübchen waren meine Seelentröster gewesen. Sie hatte damals gerade nach dem Tod ihres Vaters sein Café in Keitum auf Sylt übernommen. Manchmal verabredeten wir uns nach Feierabend auf ein Getränk und gingen in eine Bar. Gemeinsam tanzten wir jede Trübseligkeit aus unseren Herzen. Die Tatsache, dass wir gerade ziemlich gebeutelt waren vom Leben, verband uns zu diesem Zeitpunkt.

»Liebes, dich schickt der Himmel«, begrüßte ich sie. Ich gab der Bedienung ein Zeichen und verließ das Café. Ungern wollte ich neugierige Gäste, die durch den Abgang meines Bruders auf mich aufmerksam geworden waren, weiterhin daran teilhaben lassen, was in meiner Familie schieflief.

»Hi, Josi, das hört sich nicht so gut an. Was ist los bei dir?«

Ich seufzte auf, als die sanfte Stimme meiner Freundin aus dem Telefon drang.

»Warum kannst du eigentlich nicht hier in Hamburg ein Café haben? Dann würde ich gerade einfach schnell bei dir vorbeikommen, und es würde mir gleich so viel besser gehen«, maulte ich wehleidig, während ich mich langsam zurück in Richtung Alster bewegte.

»Komm doch nach Sylt, oder hält dich irgendwas davon ab?«, schlug Linnea gut gelaunt vor.

»Also Urlaub habe ich mehr, als mir lieb ist. Nur die Urlaubskasse, die legt wohl wieder mal ihr Veto ein.«

»Verstehe. Aber dazu habe ich mir was überlegt.«

Ich horchte auf. »Jetzt wird’s interessant!«

»Im Café ist die Hölle los. Das Vorweihnachtsgeschäft hat hier einfach schon im November begonnen, und Anne und ich wissen kaum noch, wo uns der Kopf steht.«

»Wie toll«, freute ich mich. »Das klingt doch großartig!«

»Absolut«, stimmte Linnea zu. »Allerdings stoßen wir an unsere Grenzen. Und gestern war dann auch noch mein Freund Erik hier und fragte, ob wir uns mit dem Friesenstübchen am Sylter Wintermarkt beteiligen wollen. Das ist hier ein wunderschöner Weihnachtsmarkt in Keitum. Wirklich liebevoll gemacht und ein echtes Highlight in der Winterzeit auf Sylt. Unser Café würde dort wunderbar hinpassen, meint Erik, und da hat er absolut recht. Er organisiert den Markt, und er ist unheimlich engagiert. Ich habe ihm ganz ungern abgesagt. Aber wir haben im Moment einfach kein Personal dafür. Mein Papa wäre sofort dabei gewesen. Er hat den Wintermarkt geliebt. Es wäre mir eine Herzensangelegenheit.« Sie machte eine Pause, bevor sie weitersprach. »Gestern Abend habe ich dann überlegt, wie ich doch noch eine Lösung finden könnte, daran teilzunehmen. Erik schrieb noch, dass man auch nur für das Wochenende einen Stand mieten könnte. Da kam mir nachts eine Idee. Du bist doch so ein großer Weihnachtsfan.«

»Eigentlich schon, ja«, gebe ich zu. Auch wenn meine Schwägerin alles tat, damit ich diese Liebe zu Weihnachten langsam, aber sicher verlor.

»Und du hast doch von diesen anstrengenden Festtagen mit deiner Sippe erzählt, die ihr da Jahr für Jahr in der Villa deines Bruders zelebriert und die deine Weihnachtsliebe regelmäßig dämmen.«

»Mmh.«

»Sind nicht deine Eltern auch in diesem Jahr verreist?«

»Ganz genau! Das macht es besonders trostlos – allein inmitten der schicken Familie meiner Schwägerin. Da kommt so richtig Freude auf!«

Linnea lachte sanft. »Deshalb wollte ich dich eigentlich fragen, ob du vielleicht einen Ausweg brauchst? Ich dachte an das Wochenende direkt vor Weihnachten für den Markt, sodass du einfach über die Festtage bleiben könntest. Und du machst mal was ganz anderes über die Feiertage, packst deine Koffer und kommst nach Sylt. Wenn du Lust hättest, die ganze Zeit hier zu sein – umso besser! Dann bleib doch gleich länger! Vielleicht kannst du den Stand machen und springst hier und da auch noch im Café ein. Ich würde dich natürlich bezahlen, und wohnen kannst du auch bei mir. Und du musst dir in diesem Jahr einmal nicht das doofe Gequatsche deiner Verwandtschaft anhören.«

»Linnea, du bist ein Engel!« Ich jubelte vor Freude. Passender konnte ein Anruf kaum kommen. In diesem Moment fiel mein Blick auf den Wagen mit den Heißgetränken, an dem ich vorhin schon vorbeigekommen war. Ein freundliches Lächeln der Verkäuferin traf mich. Es kam mir in diesem Moment vor wie ein Zeichen.

Ich blieb stehen und suchte in meiner Tasche nach meinem Portemonnaie.

»Und du meine Zauberfee!«

Ich lachte. »Deine Zauberfee? Interessanter Name!«

»Erkläre ich dir, wenn du hier bist.«

»Alles klar! Jedenfalls bin ich so was von dabei! Mein Koffer ist so gut wie gepackt!«

Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus. »Ich freue mich wahnsinnig, Josi!«

Derlei Gefühlsausbrüche war ich von meiner Freundin gar nicht gewohnt. Ihr schien dieser Markt wirklich viel zu bedeuten.

Linnea zögerte einen Moment. »Allerdings stehst du nun vor der Schwierigkeit, deiner Familie zu verklickern, dass sie Weihnachten auf deine Anwesenheit verzichten muss.«

»Das habe ich meinem Bruder eben zufälligerweise schon angedeutet.«

»Oh je!« Linnea erkannte die Dramatik hinter dieser Situation.

»Ja, kam nicht besonders gut an, wie du dir denken kannst. Aber ich hab mich eben so über diese ganzen Weihnachtspläne geärgert, dass ich ihm gesagt habe, ich würde am liebsten die Feiertage allein verbringen statt zwischen Kaviar und Schampus in seiner Villa. Er hat daraufhin wutschnaubend das Café verlassen.«

»Na, da passt mein Anruf ja wirklich perfekt.«

»Das kannst du wohl sagen. Linnea – das ist der beste Plan überhaupt! Ich bin quasi schon auf dem Autozug! Ich kann nicht sagen, wie sehr ich mich freue!«

»Und ich mich erst!«

Wir legten auf, und ich hätte vor Freude Luftsprünge vollführen können, so glücklich machte mich unser Telefonat.

»Einen Winterzauberpunsch ohne Alkohol to go, bitte«, bestellte ich bei der jungen Frau aus dem Heißgetränkewagen.

»Sehr gerne. Sie haben ja gute Laune! Die ist ja direkt ansteckend!«

»Ich habe gerade einen so wundervollen Anruf bekommen. Manchmal passt es einfach perfekt. Stellen Sie sich vor, ich werde bald nach Sylt fahren und dort auf einem Weihnachtsmarkt arbeiten.« Ich deutete auf den Wagen. »Wahrscheinlich werden wir ganz ähnliche Dinge wie Sie anbieten. Oh, ich freue mich so!«

»Na, das klingt ja wirklich toll! Da freue ich mich für Sie mit. Und auf Sylt – das macht meinem Standort hier in der Tat Konkurrenz. Da würde ich gerne tauschen.« Sie lachte.

»Es ist bestimmt bitterkalt hier am Wasser, oder?« Mitfühlend schaute ich sie an.

»Oh, ja, das stimmt.« Die Frau nickte zustimmend. »Aber das wird auf Sylt wohl ähnlich sein. Wenn nicht noch ’n Ticken frischer. Ich kann Ihnen nur raten, sich wirklich dick anzuziehen. Zwiebellook hat sich noch immer bewährt.« Sie deutete auf ihre Jacke, unter der ich eine weitere erkennen konnte.

»Was ist Ihr Lieblingsgetränk?«, fragte ich sie.

»Heiße Milch mit Honig«, kam es prompt. Sie deutete auf ein Schild, auf dem die Honigmilch angepriesen wurde.

»Oh, wie toll! Die hat mir meine Oma immer gemacht!« Selbst die Honigmilch kam mir vor wie ein Zeichen. »Darf ich Sie darauf einladen?«, fragte ich sie. »Zum Aufwärmen?«

»Oh, wie lieb!« Sie lachte und wirkte überrascht. »Gerne, vielen Dank!« Sie griff nach den Zutaten und bereitete sich eine Milch zu. Ich reichte ihr das Geld.

»Ihr wunderschöner Wagen ist mir schon auf dem Hinweg aufgefallen. Und auf dem Rückweg erreicht mich genau hier diese Nachricht zum Weihnachtsmarkt. Das klingt doch nach Schicksal, oder?«

»Absolut! Danke. Freut mich, dass er Ihnen gefällt. Ich habe mir einen Traum erfüllt damit. Ich wünsche Ihnen auf Sylt so viel Freude, wie ich sie hier habe.«

»Danke!«

»Sehr gerne, danke Ihnen! Lassen Sie es sich schmecken und eine gute Zeit auf Sylt«, wünschte sie und hob zum Gruß ihren Becher.

Voller Vorfreude ging ich weiter zum Bus. Kurz stellte ich den Becher auf eine Mauer am Wasser und sandte Linnea ein Foto, die sofort ein Foto aus dem Fenster ihres Cafés als Antwort zurückschickte. Meine Reise auf das winterliche Sylt konnte beginnen.

Selten hatte ich eine Fahrt nach Sylt mit dermaßen gemischten Gefühlen angetreten. Immer wieder nagten Gewissensbisse an mir. Auch wenn es sich richtig anfühlte, war es nicht so leicht, eingefahrene Bahnen zu verlassen. Ich hatte meinem Bruder mitgeteilt, dass Weihnachten tatsächlich in diesem Jahr ohne mich stattfinden würde. Kurz hatte ich ihm von Linneas Angebot berichtet und klargemacht, dass ich nicht mehr umzustimmen war. Ich hatte gehofft, dass er womöglich doch Verständnis für meinen Aufbruch nach Sylt haben würde, zumal ich hier einer Arbeit nachging, die mir weiterhin den Lebensunterhalt sicherte. Seine Reaktion, wutschnaubend das Telefonat zu beenden, sprach nicht dafür. Irgendwann hatte meine Mutter, mit meinem Vater im Hintergrund, mich angerufen und auf die Mailbox gesprochen. Sie konnten mir zwar nicht wirklich vorwerfen, dass ich Weihnachten ebenso die Biege machte, waren aber enttäuscht, dass sie von einem Streit wegen Weihnachten erfahren mussten. Dennoch begrüßten sie, dass ich auf Sylt arbeiten wollte, und wirkten weitaus entspannter als mein Bruder.

Als ich jedoch endlich auf dem oberen Deck des Autozugs stand und von Weitem die ersten Dünen der Insel entdeckte, waren alle Sorgen vergessen. Mit jedem Meter, den der Koloss aus Stahl rappelnd und polternd zurücklegte, fühlte es sich besser an, hier zu sein. Ich öffnete mein Autofenster einen Spaltbreit und spürte sofort den salzigen Film auf meinen Lippen, den die eiskalte Luft hinterließ.

»Herrlich«, flüsterte ich und schloss die Augen. Ich lehnte mich im Autositz zurück und ließ mich vom Geschaukel des Zuges hin und her wiegen. Rechts und links traf das Wasser in sanften Wellen glitzernd an den Hindenburgdamm, und in der Ferne zeichneten sich bald schon die ersten Häuser und der weiße Strand ab.

»Sylt, du bist so schön! Ich freue mich so, dich wiederzusehen«, schwärmte ich und griff nach meiner Kette. Es war die erste Reise auf die Insel seit der Seebestattung meiner Oma. Damals hatte ich Linnea gar nicht besucht, weil wir sofort wieder nach Hamburg gefahren waren. »Und dich nehme ich überall mit hin, Omi«, flüsterte ich. Ich war so in den Moment vertieft, dass ich zusammenzuckte, als eine Nachricht auf meinem Handy einging.

Ich hoffe, ich kann schon bald den ersten Kaffee oder Tee mit dir genießen?, schrieb Linnea, und ich sendete als Antwort ein Selfie vor dem Hintergrund des funkelnden Wattenmeers. Es kam ein begeistertes Emoji mit Sternchenaugen als Antwort zurück.

Vorbei an Keitum, dem Ort, in dem Linneas Friesenstübchen lag, rumpelte der Zug über Tinnum weiter Richtung Endstation Westerland, wo die Autos ihn wieder verließen. Es staute sich ein wenig, bevor ich rechts abbog, um direkt zu Linnea zu fahren. Hier stresste ein Stau mich nicht. Ich war mit dem Erreichen der Insel sofort entschleunigt.

Mit seinen malerischen Kapitänshäusern und verwunschenen Gassen verzauberte mich Keitum bei jedem Besuch aufs Neue. Man könnte meinen, dass man einen Ort, den man schon so oft besucht hatte, irgendwann in- und auswendig kennen würde. Auf fast magische Art gelang es diesem ursprünglichen Friesendorf jedoch, mir jedes Mal mindestens zwei, drei neue Ecken zu zeigen, die ich vorher nie gesehen hatte. Ich konnte es kaum erwarten, zu erfahren, welche es diesmal sein würden, zumal ich zum ersten Mal nicht nur für einen Urlaub, sondern für längere Zeit hier wäre.

Außerdem reiste ich sonst immer im Frühjahr, Sommer oder im Herbst hierher. Noch nie hatte ich Sylt in den Wintermonaten besucht. Die Vorstellung einer tief verschneiten Winter-Wunderlandschaft entsprach wohl eher dem romantischen Bild einiger Werbeprospekte. Der Winter auf Sylt war vermutlich eher eine Herausforderung, die den wahren Inselfan von den Schönwettertouristen unterscheiden würde. Denn nicht jeder war dafür gemacht, sich der eiskalten Brise zu stellen, womöglich noch mit Regen garniert, der wie feine Nadeln die eh schon tiefgefrorene Gesichtshaut beim Strandspaziergang piesacken würde. Aber ich wollte mich dem stellen. Ich war entschlossen, mich im Gegenzug dafür mit wohlig wärmenden Stunden an Linneas Kamin zu belohnen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Ich würde mich einfach für jeden Spaziergang am Winterstrand so dick einmummeln, dass mir so ein kräftiger norddeutscher Wintersturm nicht das Geringste anhaben konnte. Auch dichter Seenebel, der sich wie ein Mantel aus Kälte um mich legen würde, schreckte mich nicht ab. Viel zu groß war die Vorfreude auf all die Besonderheiten, die mir die winterliche Nordseeinsel bieten würde.

Allem voran war ich ja auch zum Arbeiten hergekommen, und wenn ich Linnea richtig verstanden hatte, würde es gar nicht allzu viel Gelegenheit geben, mich über das Wetter zu beschweren, so viel gab es zu tun.

Ich kam in Keitum an und war erstaunt, wie gut besucht der kleine Ort auch um diese Jahreszeit war. In dicke Jacken eingehüllt flanierten die Leute am Straßenrand entlang und schauten in die Läden, die die Straße säumten. Als Autofahrer musste man langsam fahren, damit man niemanden in Gefahr brachte.

Das Friesenstübchen war sicherlich voll um diese Uhrzeit. Wenn diese Urlauber alle bis zu den Adventswochenenden auf der Insel bleiben würden, stand jetzt schon fest, dass auch der Wintermarktein voller Erfolg werden würde. Verständlich, dass Linnea Inte­resse daran hatte, dass auch ihr Café partizipierte. Umso schöner, dass ich ihr damit einen Gefallen tat, wenn ich in der Zeit aushalf.

Wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen, lenkte ich mein Auto in die Straße, in der das Friesenstübchen lag. Linneas Zuhause und gleichzeitig ihr Café würde ich wohl sogar mit verschlossenen Augen finden. Das gemütliche, reetgedeckte Friesenhaus war ein Herzensort für mich.

Ich parkte das Auto, nahm meinen Koffer und die Tasche und trat in die Stube ein, in der es verführerisch nach süßem Kuchenteig und Kaffeearoma duftete.

Hinter dem Tresen, wo verschiedene Torten ausgestellt waren, bei denen man vom Verdacht beschlichen wurde, sie seien künstlich, so prachtvoll wirkten sie, entdeckte ich Linnea. Sie sah gut aus, frisch und strahlend, mit leuchtenden Wangen. Ihr volles, dunkles Haar hatte sie zu einem dicken Zopf zusammengefasst. Ihr hellblaues Kleid umspielte locker ihre beneidenswerte Figur, die ich nie hätte halten können, würde ich ein Café wie ihres führen.

Als sie mich sah, stellte sie das Tablett ab, das sie gerade in der Hand gehalten hatte, und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich ließ Koffer und Tasche neben mich fallen und eilte ihr entgegen.

»Josi«, rief sie. »Wie schön, dich zu sehen! Ich freue mich so, dass du da bist!«

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