Winterträume in der kleinen Manufaktur am Meer - Julia Rogasch - E-Book
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Winterträume in der kleinen Manufaktur am Meer E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Winterwunder sind auf Sylt zum Greifen nah Alea hat ihr Leben im Griff – zumindest bis ihre Tante so schwer stürzt, dass Alea Hals über Kopf auf das winterliche Sylt reisen muss, um ihr zu helfen. Aleas Beziehung überlebt das nicht, aber für Herzschmerz bleibt keine Zeit: Mit der kleinen Kerzenmanufaktur hat sie alle Hände voll zu tun, und dazu kommt noch der Hundewelpe, den ihre Tante adoptiert hat! Zum Glück hilft Felix, der Nachbar, wo er kann. Zwischen den funkelnden Dünenlichtern im Laden und der eiskalten Nordseebrise ist Herzklopfen vorprogrammiert. Doch Alea befallen Zweifel: Kann sie Felix wirklich vertrauen? Brennende Kerzen und heiße Herzen in der kleinen Manufaktur Ein Roman für alle, die sich eine Kerze anzünden und nach Sylt träumen wollen: Wollsocken anziehen, Kekse bereitstellen, Tee aufgießen – und dann mit Alea und Felix die frische Nordseebrise genießen! 

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Winterträume in der kleinen Manufaktur am Meer

Die Autorin

JULIA ROGASCH, geboren 1983, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Daneben ist die Nordseeinsel Sylt die Heimat ihres Herzens und Inspiration für ihre Bücher. Schon als Kind schrieb sie erste Geschichten. Beruflich ging sie zunächst andere Wege, lernte nach dem Abitur Drogistin und verkaufte Autos für ein Autohaus, für das sie heute im Marketing arbeitet. Inspiriert vom Leben als Mama mit Job und ihrer großen Leidenschaft für Sylt und emotionale Romane, griff sie ihren Kindheitstraum vom Schreiben auf, und das erste Buch entstand. Es folgten weitere Sylt-Romane über die Liebe, das Glück, Schicksal, Familie und Freundschaft.

Von Julia Rogasch sind in unserem Hause außerdem erschienen: Winterzauber in der kleinen Teestube am MeerDer kleine Wintermarkt am Meer

Julia Rogasch

Winterträume in der kleinen Manufaktur am Meer

Ein Sylt-Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Oktober 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorenfoto: © PrivatE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-3041-9

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Heiße Getränke und gemütlicher Kerzenschein für die kalte Jahreszeit

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für Greta. Unsere Beste.

Kapitel 1

Alea schlenderte durch den liebevoll eingerichteten kleinen Laden in der Hamburger Innenstadt, den sie eben erst entdeckt hatte. Draußen in den Straßen funkelte bereits die Weihnachtsbeleuchtung gegen das düstere Regenwetter an, während hier drin ruhige Farben und schlichte Gemütlichkeit im skandinavischen Stil vorherrschten. Die Vasen und Windlichter, handgefertigten Kissen und Patchwork-Decken strahlten so viel Behaglichkeit aus, dass Alea sich sofort wohlfühlte. Nur eine Sache fiel ihr negativ auf: Es gab kaum echte Kerzen.

Sofort musste sie an Martje denken. Für einen Moment schloss sie die Augen und träumte sich in die warme Stube ihrer Tante Martje und deren zauberhafte Kerzenmanufaktur Dünenglanz in Braderup auf Sylt. Rief sich die herrlichen Aromen in Erinnerung. Martjes Kerzen dufteten nach Glück für die Seele, und sie sahen auch so aus.

Alea befand sich gedanklich sofort wieder in ihrer Kindheit, hörte ihr gemeinsames Lachen und verspürte die innere Ruhe und die prickelnden Glücksgefühle, die diese Erinnerungen in ihr auslösten.

Schon früh hatte Martje Alea in die Kunst der Kerzenherstellung von Hand eingeweiht. Sie hatte ihr beigebracht, wie die verschiedenen Düfte auf die menschlichen Sinne wirkten, wie sie ineinandergriffen und sich ergänzten und wie man sie verarbeitete und optimal kombinierte. Und schnell hatte Alea selbst Duftkreationen gezaubert, die so harmonisch und fein abgestimmt wirkten, als stünde jahrelange Recherche dahinter. Ihr gelang es, immer den perfekten Moment abzupassen, um die ätherischen Öle oder Parfüms dem Wachs hinzuzufügen, sodass sie sich bestmöglich entfalten konnten.

»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, riss eine freundliche Stimme mit einem sympathischen dänischen Akzent Alea aus ihren Gedanken. Eine Verkäuferin blickte sie sorgenvoll an, als Alea die Augen öffnete, doch sie lächelte ihr beruhigend zu.

»Es sieht einfach alles so wunderschön aus«, bemerkte Alea. »Da bin ich in Erinnerungen versunken.«

»Gefällt Ihnen der Hygge-Stil?« Die Frau lächelte, als Alea nickte.

»Sehr! Aber warum gibt es keine Kerzen?«, sprach Alea ihre Überlegungen aus.

»Das ist wohl gerade ein Trend. Natürlich muss man sich mit den elektrischen Lichtern weniger Gedanken machen und kann sie beruhigt brennen lassen. Aber wenn Sie mich fragen, darf man die Sicherheit nicht an erste Stelle setzen, sonst verpasst man so viel Schönes. Also um Ihre Frage vollständig zu beantworten: Ich bin momentan noch in Verhandlung mit Händlern und habe noch nicht den geeigneten Lieferanten gefunden. Ich arbeite mit vielen zauberhaften Kleinunternehmen zusammen. Da weiß man dann wenigstens, was in den Produkten enthalten ist.«

»Das klingt wunderbar, da wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Suche und den Verhandlungen. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen«, versicherte Alea, während sie das Kerzenglas zur Kasse trug, das sie als Weihnachtsgeschenk für Martje ausgesucht hatte. Die Frau lächelte und reichte ihr zusätzlich zu ihrer Tüte ein Kärtchen mit dem Namen des Ladens und den wichtigsten Kontaktdaten sowie Öffnungszeiten.

»Das freut mich. Sie sind jederzeit herzlich willkommen.«

Alea griff nach beidem und trat mit einem letzten Gruß hinaus auf die vom Regen feuchte Straße. Sie hatte nur noch zehn Minuten, bis sie sich mit ihrem Freund Christopher zum Mittagessen treffen wollte, und musste sich beeilen.

In diesem Moment spürte sie, wie ihr Handy in der Jackentasche vibrierte. Hastig ließ sie das Visitenkärtchen in die Tüte hineingleiten und zog das Smartphone hervor. Auf dem Display leuchtete eine Nummer mit Sylter Vorwahl auf. Doch es war nicht die ihrer Tante Martje, schließlich hatte sie diese eingespeichert, und somit wäre ihr Name zu lesen gewesen.

Irritiert nahm sie den Anruf entgegen.

»Nordseeklinik Westerland, Sylt«, meldete sich eine Stimme am anderen Ende und ließ Alea das Blut in den Adern gefrieren. »Sie sind der Notfallkontakt von Martje Christiansen. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Frau Christiansen eben bei uns eingeliefert wurde. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Sie ist stabil, doch wir müssen sie vorerst zur Beobachtung hierbehalten.«

Die Frau am anderen Ende sprach so schnell, dass Alea gar nicht in die Verlegenheit kam, antworten zu müssen. Der Schreck lähmte sie und ließ sie nicht mehr klar denken.

Martje war Aleas engste Bezugsperson. Die Schwester ihrer Mutter hatte selbst keine Kinder. Aber sie war Aleas Patentante, und während Aleas Eltern sowohl privat als auch beruflich in ihrem Job als Handelsvertreter für Stoffe gerne und viel gereist waren, hatte Alea in ihrer Kindheit viel Zeit bei Martje verbracht. Die Zeit auf Sylt war wunderschön gewesen und hatte Alea unvergessliche Momente und Erinnerungen beschert.

Martje hatte sie stets mit Herzenswärme empfangen und sich trotz ihrer Arbeit immer Zeit für ihre Nichte genommen. In dieser vertrauten Atmosphäre war es Alea leichtgefallen, mit ihrer Tante über all ihre Geheimnisse, Träume und so manche Liebe zu sprechen. Sie standen sich sehr nah, und die Nachricht ihres Unfalls traf Alea völlig unvorbereitet, obwohl sie natürlich wusste, dass Martje sie als Notfallkontakt angegeben hatte. Ihr Magen krampfte, und ihr war speiübel.

»Ein Spaziergänger hat Frau Christiansen am Watt vor Braderup gefunden. Sie hatte einen Kreislaufzusammenbruch und ist infolgedessen gestürzt. Dabei hat sie sich den Arm gebrochen und ist mit dem Kopf aufgeschlagen. Ihr kleiner Hund hat tapfer neben ihr ausgeharrt und durch aufgeregtes Bellen auf sich aufmerksam gemacht. Nur deshalb hat der Spaziergänger einen Umweg genommen, Frau Christiansen entdeckt und sofort einen Krankenwagen gerufen.«

Alea zitterte. Angst um ihre geliebte Tante, gemischt mit Erleichterung darüber, dass Martje nun in guten Händen war, überwältigte sie. Dass ihre so vitale Martje einen solchen Schuss vor den Bug erhalten hatte, erschütterte sie.

Ein unbedachter Tritt, ein unvorsichtiger Moment, eine achtlose Sekunde konnte alles verändern. Auch wenn Martje offenbar Glück gehabt hatte, stellte die Situation ihr Leben auf den Kopf.

»Sie wird sich schonen müssen und sollte dringend einen Gang zurückschalten. Außerdem muss noch untersucht werden, was die Ursache für den Sturz gewesen ist«, erklärte die Dame weiter. Alea bedankte sich für die Information und versprach, sich später noch einmal zu melden.

Völlig kopflos hastete sie weiter in Richtung des Restaurants, wo sie sich mit Christopher treffen wollte. Eine feste Umarmung, ein paar tröstende Worte und Zuversicht. Das war, was sie jetzt von ihrem Freund brauchte. Die Zuversicht, die Martje ihr sonst immer gab.

Nur bei ihrer Tante auf Sylt hatte Alea in ihrer Kindheit ein Gefühl von Heimat empfunden. Bei ihr hatte sie sich sicher gefühlt, denn auch wenn sie ihre Eltern vermisst hatte, hatte sie viel zu lange deren berufliche Höhen und Tiefen miterleben müssen. Die Reisen, die Rastlosigkeit, die fehlende Beständigkeit aufgrund des wechselhaften Erfolges, das Risiko und schließlich das Scheitern, den schweren Kampf zurück nach oben. Sie hatten jegliches Familienleben für ihren Erfolg hintangestellt, hatten ihrer Tochter nicht den Halt und die Geborgenheit geben können, die sie sich so sehr gewünscht hatte.

Und obwohl Alea das Handwerk liebte, sich hatte ausleben können beim Kreieren neuer Kerzenkunstwerke bei Martje in der Manufaktur, hatte sie entschieden, dass ihr Leben anders verlaufen sollte. Dass sie Sicherheit wollte, eine Familie, einen Ort, den sie als ihren festen Rückzugsort sah. Wichtig war ihr auch ein regelmäßiges Einkommen, mit dem sie kalkulieren konnte, nicht das Risiko der Selbstständigkeit.

Und dann hatte sie Christopher kennengelernt. Sie teilten den Wunsch nach finanzieller Planbarkeit und dem Wissen, abgesichert zu sein. In ihm hatte sie den Menschen gefunden, der ihr diese Sicherheit geben konnte. Finanziell, aber vor allem menschlich.

Sie würden gemeinsam in Bayern ein neues Zuhause finden. Zwar hatte ihre Beziehung einige beschwerliche Monate überstehen müssen, in denen sie sich phasenweise weit voneinander entfernt hatten. Aber dann hatte sie, als sei es ein Wink des Schicksals, das Angebot von Christophers Eltern erreicht, dass er im Familienunternehmen in die Führungsriege aufsteigen sollte. Alea, die bisher in der Buchhaltung der Niederlassung des Unternehmens in Hamburg arbeitete, wo sie auch Christopher kennengelernt hatte, würde einen Posten im Hauptsitz in München bekommen. So würden sie sich keine Sorgen machen müssen und getrost nach Süddeutschland gehen können.

Sie hatten entschieden, das Angebot als neue Chance für ihre Beziehung anzunehmen und in die Heimatstadt seiner Eltern zu ziehen.

Jetzt war Ende November. Zum Jahresende wollten sie bereits ihre Zelte in Hamburg abbrechen. Alea war aufgeregt, wenn sie an die nächsten Wochen dachte. Würde sie den Anforderungen gerecht werden, denen sie sich als Frau an der Seite des Juniorchefs stellen musste?

Immer wieder überkam Alea neben Vorfreude und Neugier auch ein Anflug von Panik. Ihr Leben würde sich verändern. Doch jetzt musste sie erst einmal an Martje denken.

In Aleas Kopf rotierten die Gedanken, und sie verfluchte, dass sie nicht sofort ins Auto steigen und auf direktem Wege nach Sylt fahren konnte. Dann stoppte sie das Gedankenkarussell, indem sie sich selbst zwang, durchzuatmen. Ihr Atem kam zur Ruhe, was sie auch innerlich besänftigte.

Sie überlegte, warum sie eigentlich nicht gleich zu Martje starten konnte. Es war ein Notfall. Kein Job, keine Verpflichtungen und kein anstehendes Weihnachtsfest bei den Schwiegereltern in spe sollten sie davon abhalten, ihrer geliebten Tante nun zur Seite zu stehen.

Die Kerzenmanufaktur Dünenglanz war Martjes Lebensinhalt. Die Option, ein Plan könnte schiefgehen und das Glück sie verlassen, die zog sie nicht einmal in Betracht. Für Martje hatte es in allen Fragen nur Plan A gegeben: ihre geliebte Kerzenmanufaktur. Doch jetzt lag sie im Krankenhaus und würde vorerst keine Kerzen mehr gießen können. Jetzt war es an Alea, sich um sie zu kümmern.

Als sie sich zu Christopher an den Tisch setzte – zehn Minuten zu spät –, spürte Alea bereits seinen Unmut.

»Wo warst du denn so lange? Ich habe uns schon einmal etwas zu essen und Getränke bestellt«, begrüßte er sie. Sie mochte nicht, wenn er das tat, aber heute war es ihr egal.

»Tut mir leid. Martje hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Ich habe eben einen Anruf bekommen.« Jetzt endlich sah er Alea wirklich an, stand auf und nahm sie liebevoll in den Arm. Das tat gut. Sie ließ sich einen Moment in die Umarmung fallen und schmiegte sich an ihn, bis sie von der Bedienung unterbrochen wurden, die die Getränke brachte.

Seine Reaktion gab Alea Hoffnung, dass er Verständnis aufbrachte für ihre Entscheidung, nach Sylt zu reisen.

»Und jetzt? Hat sie irgendwelche Hilfe?«, hakte er nach, als sie sich am Tisch gegenübersaßen.

»Ich werde hinfahren, sehen, wie es ihr geht und wie es weitergehen soll, bis sie wieder ganz fit ist«, verkündete Alea und war beinahe erleichtert über die abermalige Unterbrechung, als der Salat gebracht wurde, den Christopher als Vorspeise bestellt hatte. Kurz herrschte Schweigen, dann sah Christopher sie an, und sein Blick war nun alles andere als liebevoll und fürsorglich.

»Und wie darf ich mir das vorstellen? Wann wirst du wieder hier sein?« Er war entsetzt. Nervös griff er nach seinem Handy und drehte es, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, in den Händen. Das tat er immer, wenn er sich aufregte. Als er sah, wie Alea ihn dabei beobachtete, legte er es beiseite. Zwischen seinen Augenbrauen entstand eine tiefe Furche.

»Das kann ich noch nicht sagen«, stellte Alea schulterzuckend fest. »Sobald Martjes Zustand stabil ist und ich abstimmen konnte, was aus dem Laden und dem Hund wird, mache ich mich auf den Weg zurück nach Hamburg.«

Skeptisch stocherte Christopher jetzt mit der Gabel in seinem Salat. Die Lippen aufeinandergepresst, die Stirn in Falten gelegt, blickte er auf den Teller. Alea sah es in seinem Kopf arbeiten.

»Alea, es ist mir sehr wichtig, dass wir Weihnachten dieses Jahr bei meinen Eltern verbringen. Mein Vater ist noch immer jeden Tag im Unternehmen. Auch sein Bruder wird da sein, der, wie du weißt, eine große Rolle im Unternehmen spielt. Auch für mich. Er wird mir alles zeigen, was ich für meinen Start wissen muss. Es ist unerlässlich, dass wir uns gut verstehen.«

»Ich wüsste nicht, warum das nicht so sein sollte. Was hat das mit Martje zu tun?«, fragte Alea.

»Dass du nach ihr schauen willst – okay. Ich hoffe nur, du kannst alles in ein paar Tagen regeln, zumal sie sicherlich einige Wochen nicht wird arbeiten können.« Er machte eine Pause. Alea schluckte, Christopher fuhr fort. »Nun könnte es problematisch werden, dass sie nie jemanden in die Abläufe in der Manufaktur eingearbeitet hat. Nur eins muss dir auch klar sein: Du kannst langfristig vor Ort nichts für sie tun. Die Manufaktur wird zunächst schließen müssen. Und für den Hund wird sich eine Lösung finden.«

Alea presste die Lippen aufeinander. Was er sagte, war ihr auch schon durch den Kopf gegangen, aber es ärgerte sie trotzdem. Würde die Manufaktur länger geschlossen bleiben müssen, würde jedoch auch Martjes Einkommen einbrechen. Sicher hatte sie etwas angespart. Aber Alea glaubte nicht, dass das dauerhaft reichen würde. Martje war nie verheiratet gewesen. Auf der Insel hatte sie viele Freunde. Alea hoffte, in ihnen Unterstützung zu finden, wenn sie wieder abreisen musste. Doch sie wusste selbst, dass diese Hoffnung auf sehr wackeligen Füßen stand, denn das garantierte noch keine Lösung für die Manufaktur.

Was Christopher zur kleinen Nala sagte, ließ Alea unkommentiert. Im Zweifel würde sie den Welpen so lange zu sich nehmen, bis es ihrer Tante wieder gut ging. Das sprach sie aber lieber nicht aus.

»Ich bin mir sicher, die Ärzte geben ihr Bestes, damit Martje wieder auf die Beine kommt«, beruhigte Alea mehr sich selbst als ihren Freund und nickte bekräftigend.

Christopher schienen ihre Worte nicht zu überzeugen.

Schweigend aßen sie ihre Vorspeise. Alea hatte den Eindruck, in Christopher brodelte es. Eine Bedienung räumte die leeren Teller ab, und Alea griff nach Christophers Hand. Er saß ihr gegenüber und hielt sein Glas fest umklammert. Die Anspannung war ihm anzusehen, und er erwiderte ihre Berührung kaum.

»Soll ich mitkommen? Vielleicht kann ich dir vor Ort helfen, alles zu regeln, und wir sind schneller wieder zurück?« Er presste die Worte hervor, so als müsse er ihr das höflichkeitshalber anbieten.

Alea schluckte. Das Wort »regeln« fiel ihr zu oft. Einerseits freute sie sich über das Angebot, andererseits klang darin auch ein gewisser Eigennutz mit. Er wollte das Problem möglichst schnell beseitigt wissen und hatte die Hoffnung, dass das schneller ging, wenn er sich darum kümmerte. Doch ihre Tante war kein Problem. Nein, auf diese Reise wollte sie sich lieber allein machen.

»Das ist nicht nötig, danke dir.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, sein Blick war kühl. Bei allem Verständnis für seine Bedenken gegenüber ihrer Entscheidung stieg auch Ärger darüber in Alea auf, dass er so egoistisch war. Er wusste, dass Martje für sie wie eine Mutter war.

»Chris, du weißt, wie wichtig mir Martje ist. Ich muss zu ihr und sie sehen. Nur dann kann ich beruhigt zu deinen Eltern fahren«, sagte sie deshalb. »Stell dir vor, es wäre deine Mutter, die im Krankenhaus liegt.«

»Das ist was anderes«, sagte er schroff.

»Nein, das finde ich nicht.« Ihre Stimme klang entschlossen, und sie konnte ihren Ärger über seine Aussage nicht mehr ganz unterdrücken. »Und das weißt du ganz genau, Chris.«

»Wie du meinst«, entgegnete er kühl.

»Warum hast du so ein Problem damit, dass ich fahre?«

»Ich kenne Martje. Sie wird dir ins Gewissen reden, und wenn sie jetzt einen Grund hat, dich auch nur wenige Tage länger auf Sylt zu halten, um unsere Pläne hinauszuzögern, wird sie es versuchen. Wahrscheinlich wartet sie nur darauf, dich vor den nächsten Schritten in eine Zukunft als Paar zu warnen und sie dir auszureden. In ihrer Welt dreht sich doch alles nur um sie. Sie hat schließlich nie über gemeinsame Lebensentscheidungen mit einem anderen Menschen nachdenken müssen. Sie ist weltfremd, eine Träumerin, Alea.«

Alea war entsetzt. »Daher weht der Wind also.« Einen Moment lang starrte Alea ihren Freund fassungslos an. Dann hatte sie die Sprache wiedergefunden. »Gerade habe ich das Gefühl, dass du hier der Einzige bist, der nur an sich denkt. Ich finde deine Überlegungen vollkommen paranoid.« Verständnislos schüttelte Alea den Kopf. »Sie will doch nur, dass ich glücklich bin«, sagte sie, woraufhin er nur müde die Schultern zuckte.

Alea fragte sich in diesem Moment, in dem sie so viel Wut gegenüber ihrem Freund spürte, ob die Bedenken, die Christopher Martje unterstellte, womöglich auch die seinen waren.

War Alea mit der Entscheidung, nach München zu ziehen, vielleicht gar nicht so glücklich? Redete sie sich das selbst nur ein, weil es wie der einzige Weg schien, ihre Beziehung zu retten, und Christopher hatte dieses Gefühl ganz im Gegensatz zu ihr selbst bereits gespürt?

Dieser Gedanke lähmte jeden weiteren und rief Bilder der letzten Monate hervor, in denen es so viel Streit gegeben hatte zwischen ihr und Christopher.

»Wenn du solche Angst hast, dass Martje mit ihren Versuchen, mich vom Umzug abzuhalten, Erfolg haben könnte, dann soll es vielleicht wirklich so sein, dass ich ausgerechnet jetzt auf Sylt gebraucht werde, Christopher«, zischte sie und war selbst erschrocken, wie ernst sie das meinte.

Sie verbrachten das Essen in weiterhin unterkühlter Stimmung, und Alea ließ den größten Teil ihrer Bestellung zurückgehen. Sie hatte keinen Hunger mehr.

Dass Christopher sich so wenig verständnisvoll und nahezu boshaft zeigte, kränkte sie.

»Ich muss noch mal ins Büro. Wird spät heute«, erklärte er, nachdem er bezahlt hatte und sie das Restaurant verlassen hatten. Er küsste sie flüchtig auf die Wange und war schon halb im Gehen.

»Ich werde heute noch fahren«, sagte Alea. »Musst mich nicht nach Hause bringen. Ich nehme die Bahn.« Es konnte ihr, erst recht nach diesem ernüchternden Gespräch, nicht mehr schnell genug gehen, auf Sylt anzukommen. Christopher hielt kurz in seiner Bewegung inne und sah sie an, ohne dass sie den Ausdruck auf seinem Gesicht deuten konnte.

»Okay.« Die Stille, die plötzlich zwischen ihnen herrschte, war erdrückend und voller ungesagter Vorwürfe. »Wie du meinst. Dann eine gute Fahrt.« Er umarmte Alea mit einer erzwungenen Bewegung. Es fühlte sich für sie an, als träfen zwei Eisskulpturen aufeinander. Über ihre Haut zog ein Frösteln.

Alea drehte sich um und ging nach Hause, dankbar, dass sie sich vorhin für die Bahn entschieden und nun noch etwas Zeit hatte, bevor sie ins Auto steigen und sich auf den Verkehr konzentrieren musste. Tränen standen in ihren Augenwinkeln. Zu viele Emotionen sprudelten gerade in ihr hoch wie in einem übervollen Gefäß, in das jemand eine Brausetablette geworfen hatte.

Sie horchte in sich hinein, und es fühlte sich so richtig an, diese Entscheidung für Martje getroffen zu haben, dass sie sich nicht länger über Christophers Reaktion ärgern wollte. Endlich hatte sie wieder eine gemeinsame Perspektive für ihre Beziehung gesehen. Jetzt warf sie das Gefühl nach diesem Gespräch wieder deutlich zurück. Aber der Auslöser ihres Streits war Aleas Sorge um ihre Tante, und ob diese angebracht war, das stand für sie nicht zur Debatte.

Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, straffte die Schultern und konzentrierte sich auf die Vorfreude auf ein paar Tage auf Sylt.

Zu Hause angekommen, zog sie ihren Koffer aus der Ecke neben dem Kleiderschrank hervor. Noch ehe sie weiter über das Gespräch mit Christopher nachgrübeln konnte, legte sie Kleidung für ein paar Tage hinein. Dann suchte sie im Bad alles zusammen. Sie verstaute vorsichtig ihr Geschenk für Martje und schloss den Koffer. Anschließend hievte sie ihn das Treppenhaus hinunter und in den Kofferraum ihres Autos. Sie koppelte das Handy mit den Lautsprechern des Wagens und öffnete eine Playlist, bevor sie den Motor startete und sich auf den Weg Richtung Autobahn machte.

Mit dem Klang ihrer Lieblingslieder und jedem Kilometer, den sie hinter sich ließ, fühlte es sich leichter an, nach Sylt zu fahren. Trotz aller Sorge um ihre Tante war da auch Zuversicht. So beunruhigend es war, dass es Martje nicht gut ging. Mehr, als in ihrer Nähe zu sein und jederzeit für sie, die Manufaktur und Nala da zu sein, konnte sie gerade nicht tun, und genau das würde sie, solange Martje sie brauchte.

Sie war stolz, ihr Vorhaben durchgesetzt zu haben, ungeachtet des heftigen Gegenwindes. Vielmehr hatte sie diesen schroffen Unmut ihres Freundes für sich zu einem Rückenwind gedreht, der sie erst recht in ihrer Entscheidung bestärkt hatte. Das Unverständnis darüber, dass Christopher es ihr mit seiner eingeschnappten Art zusätzlich schwer machen wollte, wuchs.

Sie hatte zugestimmt, seine Zukunftspläne mitzutragen, nach München zu gehen und dort im Familienunternehmen zu arbeiten. Jetzt war er an der Reihe, einen Schritt auf sie zuzugehen, fand sie.

Vom Autozug aus rief sie noch einmal im Krankenhaus an. Man sagte ihr, dass derzeit noch einige Untersuchungen nach der notwendigen Operation des gebrochenen Armes anstanden, Martje am Abend aber Besuch empfangen könnte, weil die Operation gut verlaufen war.

Alea lehnte sich im Autositz zurück und ließ die Weite auf sich wirken. Das Grau des Himmels vermischte sich mit dem des Meeres zu einer stahlgrauen Ton-in-Ton-Komposition. Anders als in Hamburg, wo sich oft drückend graue Regentage aneinanderreihten und einen zu verschlucken drohten, schien eine Schlechtwetterlage hier am Meer selten lange anzuhalten. Zwischen Wolken, die sich beinahe bedrohlich über das Wasser legten, blitzte hin und wieder die Sonne durch und ließ die kleinen Wellenberge auf dem Wasser wie Diamanten glitzern.

Weiter entfernt sah Alea, dass sich eine dunkelgraue Regenwolke soeben über dem Norden der Insel entlud. Die parallel auftretenden Sonnenstrahlen sorgten für einen farbenprächtigen Regenbogen, der sich von List bis zur Mitte der Insel erstreckte.

»Am Ende des Regenbogens wartet ja bekanntlich ein Schatz«, flüsterte Alea und überlegte, dass Martjes Haus sich etwa dort befinden könnte, wo dieses Naturschauspiel den Boden zu berühren schien.

Schon der Anblick der Insel aus der Ferne sorgte bei Alea dafür, dass sie ein Gefühl von Heimkommen verspürte. Sylt würde immer wie ein Zuhause für sie sein, dafür hatte Martje all die Jahre mit ihrer Wärme und Herzlichkeit gesorgt.

Die Insel mit ihrem herben Charme, der Natur und dem ständigen Wechselspiel aus Regen, Sonne und Wind empfand Alea als einmalig. Auch und gerade im Winter liebte sie die Insel, auf der Gemütlichkeit einen hohen Stellenwert hatte. Dennoch war es diesmal anders hierherzureisen.

Die kribbelnde Euphorie, die sie sonst auf den letzten Metern bis zum Verlassen des Autozuges empfand, war heute nicht da. Mit der Ankunft auf Sylt war auch die Situation greifbarer geworden und der Kloß in ihrem Magen schwerer. Die Angst um Martje ließ ihr Herz krampfen.

Die schwierige Entscheidung, was mit der Manufaktur geschehen würde. Die Überlegung, ob Martje sich in nächster Zeit weiterhin um Haus und Hund würde kümmern können. Und eine undefinierbare, schwelende Angst, dass sich ihre Tante durch diesen Vorfall verändert haben könnte, etwas von ihrer positiven Einstellung und ihrer Lebensfreude einbüßen würde, weil sie erfahren hatte, wie schnell das Leben einem einen Strich durch die Rechnung machen konnte.

Der Regenbogen leuchtete zart, aber wunderschön in all seinen Farben und gab Alea plötzlich wieder neue Hoffnung. Martje hatte sich schließlich noch nie unterkriegen lassen, wieso sollte sie jetzt damit anfangen?

Kapitel 2

Alea fuhr vom Autozug und lenkte den Wagen direkt in Richtung Braderup. Die Schwester hatte ihr zugesagt, dass sie ausnahmsweise nach achtzehn Uhr noch zum Krankenhaus kommen durfte. So konnte sie Martje nach der Operation so viel Zeit wie möglich lassen, um sich etwas zu erholen, sie aber dennoch kurz sehen.

Nur wenige Meter hinter Martjes Haus begann das Watt.

Neben der Kerzenmanufaktur betrieb Martje eine kleine Pension mit nur zwei Zimmern. Die Lage war einmalig schön und bot jegliche Möglichkeiten. Wenn man die Ruhe suchte, kam man dort voll auf seine Kosten. Wollte man zum rauschenden Klang der tosenden Wellen spazieren gehen, war man per Fahrrad oder Auto innerhalb weniger Minuten auf der Westseite der Insel in Wenningstedt oder Kampen, wo sich weite Strände am offenen Meer befanden.

Die unvergleichliche Natur, endlose Spaziergänge – all das besaß für Alea schon immer eine Zauberkraft, mit der dieser Ort ihre Akkus auflud. Das schicke Leben in Kampen, die teuren Boutiquen und feinen Restaurants hingegen brauchte Alea nicht. Die waren nie ihre Welt gewesen.

Auch Martje machte sich nichts daraus und konnte diesem ganzen Schickimicki-Kram, wie sie es nannte, nichts abgewinnen.

Alea kam vor Martjes Haus an. Nervös parkte sie ein, hob ihren Koffer aus dem Auto und blieb einen Moment lang auf dem mit Natursteinen gepflasterten Weg stehen, der zur Manufaktur führte.

Das Friesenhaus war schon jetzt liebevoll weihnachtlich geschmückt. Grüne Tannenkränze mit roten Schleifen zierten die Fensterläden, eine Girlande war über der rot gestrichenen Eingangstür mit den zwei kleinen ovalen Fenstern angebracht. Die Kerzenwerkstatt mit angeschlossenem Laden befand sich im Erdgeschoss, direkt daneben. Rechts und links neben der Tür war jeweils ein Eisenfenster mit Rundbogen eingelassen. Martje hatte darin abends flackernde Windlichter stehen.

Die Fassade aus rotem Backstein wirkte warm und stand für Alea für ein Gefühl von Heimat und Heimeligkeit. Dieses Mauerwerk unter dem atmosphärischen Reetdach hatte etwas von einem Zuhause aus einem Märchenland.

Ein von Martje handgeschriebener Zettel hing im Fensterglas der Ladentür.

Bin sofort zurück! Machen Sie es sich doch solange auf der Bank gemütlich, stand da. Alea seufzte. Sie schaute zur weißen Holzbank, die neben der Einfahrt stand. Darauf lagen einladend zwei große Outdoor-Sitzkissen, ein Geschenk von Alea an Martje. Neben der Bank stand ein großes, weihnachtlich dekoriertes Windlicht. Sie sah Martje vor sich, wie sie hier, den Hund auf dem Schoß, den Blick auf ihre Manufaktur gerichtet, ein paar Momente der Ruhe genoss. Sie wünschte sich nichts mehr, als dass Martje dort ganz bald wieder sitzen würde.

Alea besaß einen Schlüssel zum Haus und schloss die Tür auf. Als Erstes würde sie einen Blick in die Manufaktur werfen. Den Koffer ließ sie einfach solange draußen stehen. Sofort empfing sie der Duft aus Aromen von Vanille über Rosen und eine sanfte Zitrusnote bis hin zu Zimt und Anis – ein zarter Vorgeschmack auf die Weihnachtszeit. Alea sog ihn tief ein, wie ein wohltuendes Elixier.

Sie betrat den Raum und war sofort angekommen. Knarzend quittierte der Boden jeden ihrer Schritte, als Alea durch den Verkaufsraum lief. Liebevoll arrangierte Kerzen in verschiedensten Formen, Farben und Duftrichtungen waren fein säuberlich in weißen Regalen aufgestellt. Sie waren mit handgeschriebenen Schildern versehen, die nicht nur die klangvollen Namen wie Heimatliebe, Winterwunder oder Weihnachtslicht verkündeten, sondern auch mehr über ihre Inhaltsstoffe, ihren Duft und dessen Wirkung erzählten. Zusätzlich enthielten sie Tipps zum Gebrauch der Kerzen. So zum Beispiel, dass der Docht nach Gebrauch gekürzt werden sollte, um die Brenndauer zu verlängern und Ruß zu vermeiden. Flammen sollte man eher ersticken, als sie auszupusten. Außerdem pries Martje darauf ihre neuste Erfindung an, hölzerne Dochte, die beim Abbrennen für ein angenehmes Knistern sorgten und deshalb auch den liebevollen Namen Knisterdocht trugen. Sie schufen in jedem Wohnzimmer eine Atmosphäre, wie sie sonst nur ein Kamin herbeizaubern konnte.

Zusätzlich gab es eine Auswahl an passenden Kerzenständern oder Windlichtern für jede Kerzenform und -größe. Damit Untergründe durch große Hitze keinen Schaden nahmen, bot Martje handgefertigte Untersetzer in Herzformen und maritimen Motiven an.

Alea bewunderte eine weiße Holzbank, die mitten im Laden stand und als Präsentationsfläche für Weihnachtsartikel genutzt wurde. Weiße, grüne und rote Adventskerzen, versehen mit vierundzwanzig Ziffern, die mit Abbrennen der Kerze schmolzen, sowie einige Blechdosen voller Kerzen in Form von Muscheln und kleinen Weihnachtsbäumen fielen Alea auf.

Am Verkaufstresen stapelten sich mehrere Unterlagen und kleine Körbe mit Teelichtern darin. Martje verwendete hier Glas als umweltfreundliches Behältnis für die Lichter anstelle der Aluminiumhüllen. Dazu verschiedene Nachfüllvarianten. Diese goss sie in Silikonformen und bot sie ohne Gefäß drum herum an. In Körben, die mit feinem Papier ausgelegt waren, waren sie einsortiert und wurden zum Verkauf angeboten. Alea lächelte. Sie liebte besonders die Lichter, die nach dem Abbrennen liebevolle Botschaften preisgaben, die Martje in die Kerzen eingearbeitet hatte. Jedes für sich war eine Überraschung. Nur ihre Tante wusste, welches herzliche Wort sich am Ende zeigte.

Neben der Kasse lag Martjes rosafarbene Brille, die sie während der Arbeit oft an einem Band um den Hals trug und nur bei Bedarf aufsetzte. Es wirkte, als sei sie nur eben unterwegs und käme jeden Moment zurück.

Im Regal hinter dem Tresen lagerten einige verpackte Geschenke mit Namenskärtchen daran. Es waren Bestellungen, die noch abgeholt werden mussten. Aleas Blick ging zur Werkstatt. Dort standen zwei Muschelformen, in die bereits das cremefarbene Wachs gegossen und der Docht gesteckt worden war. Sicher hatte Martje sie gerade aushärten lassen wollen, als sie zu ihrem Spaziergang aufgebrochen war. Alea seufzte.

Die Manufaktur so zu sehen schmerzte sie. Schnell griff sie nach einem leeren Blatt Papier und verfasste eine Notiz. Leider vorübergehend geschlossen. Im Notfall: Darunter schrieb sie ihre Handynummer. Sie ging zur Tür, nahm den Zettel von Martje ab und hängte den neuen auf.

Dann trat sie hinaus, zog die Tür hinter sich zu und schloss sie wieder ab. Sie nutzte nicht die Verbindungstür vom Laden zum Hausflur, sondern ging außen herum zur Eingangstür der Wohnung und der Pension auf der Seite des Hauses. Auf dem Weg nahm sie ihren Koffer mit.

Um die Haustür hatte Martje ebenso eine Girlande aus Tannengrün, geschmückt mit roten Schleifen, angebracht. Zwischen Haustür und Giebelspitze befand sich ein größeres und darüber noch ein kleines Fenster. Das größere führte bei Errichtung des Hauses wohl zum Speicher auf dem Dachboden. Heute lag dort Martjes Schlafzimmer. Direkt unter der Giebelspitze, hinter einem kugelrunden kleinen Guckloch-Fenster und nur erreichbar über eine steile Holztreppe auf den Kriechboden, war früher Aleas Zimmer gewesen. Alea hatte den Raum unterm Dach seit ihrer Kindheit geliebt. Direkt am Fenster hatte ihr Bett gestanden, sodass sie von dort aus einen fantastischen Blick gehabt hatte. Das Traumzimmer hatte sie es genannt. Dieser Ort war urgemütlich. Das kleine Fenster ließ nur ein wenig Licht in den behaglichen Raum unterm Reetdach und gab dem Zimmer eine einmalige Atmosphäre.

Aus dem Briefkasten neben der Tür ragten bereits ein paar Briefe und Prospekte heraus. Alea leerte ihn. Eine handschriftliche Nachricht auf einem losen Zettel fiel ihr auf.

Nala ist erst einmal bei mir (nebenan). Keine Sorge, sie hat in meinem Hund Karl beste Gesellschaft. Er tröstet sie, wenn sie Heimweh hat, und teilt schon Körbchen und Napf mit der charmanten jungen Dame. Felix. Eine eher rudimentäre Skizze eines Hundes war danebengezeichnet.

Alea schmunzelte. Die Art der Mitteilung gefiel ihr und zeigte, dass Nala in liebevollen Händen war. Unter dem Text stand eine Handynummer, dazu der Name Felix Asmussen.

In einem von Martjes Nachbarhäusern lebte also ein Felix. Eine Adresse stand nicht dabei. Wenn sie erfahren wollte, wo genau Nala war, müsste sie diesen Mann anrufen.

Zuerst würde sie aber zu Martje ins Krankenhaus fahren. Sie wollte mit ihr sprechen, bevor sie weitere Schritte unternahm.

Sie schrieb Christopher eine Nachricht, dass sie gut angekommen war.

Schön. Allerdings ändert das nichts daran, dass ich mir deutlich die Frage stelle, ob wir auf dem richtigen Weg sind,

kam zurück. Alea stockte und wählte seine Nummer. »Christopher?«

»Ja?«, klang es abweisend.

»Was soll das heißen?«

»Das solltest du dir denken können. Nach all den Streits der letzten Monate dachte ich, dass unsere Beziehung nun oberste Priorität hat, wenn wir das wieder hinbekommen wollen. Das scheine nur ich so zu sehen.«

»Moment, meinst du, ich habe mir ausgesucht, dass Martje der Unfall geschieht?« Aleas Puls war innerhalb von Sekunden hochgeschossen.

Christopher schwieg, was Alea beinahe zur Weißglut brachte. »Keine Antwort also? Hallo?« Schweigen. Alea nahm dies ernüchtert zur Kenntnis. »Okay. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Du ja offenbar auch nicht.«

»Nein.« Christophers Antwort machte sie sprachlos.

»Tschüss«, war das Einzige, was sie noch hervorbrachte. Dann legte sie auf. Sie musste dringend zum Meer!

Noch hatte sie die warme Jacke und die Boots an, sodass sie direkt starten konnte.

Alea zog noch eine Mütze und einen Schal aus der Seitentasche des Koffers, den sie zunächst in den Hausflur gestellt hatte, und lief los.

Die Stille am Watt auf der um diese Zeit bestimmt kaum besuchten Seite der Insel versprach ihr ein paar Momente für sich, in denen sie ihre aufgebrachten Gedanken sortieren und sich für die nächsten Tage sammeln konnte.

Die unvergleichlich schöne Wohnstraße entlang lief Alea Richtung Watt. Hier wechselten sich riesige Grundstücke, auf denen selbst die imposanten Luxusvillen beinahe verloren wirkten, mit kleinen alten reetgedeckten Häusern von Insulanern ab.

Imposante Friesenwälle säumten die Grundstücke. Die Hecken waren jetzt im Winter kahl, sodass man hier und da die Häuser sehen konnte. Einige Wälle waren jedoch mit der Kriechkiefer bepflanzt, die auch zu dieser Jahreszeit den perfekten Sichtschutz wie auch eine Barriere dem Wind gegenüber bot. Die Pflanzen waren mittlerweile zu riesigen, ineinander übergehenden Kugeln angewachsen. Sicher waren sie schon einige Jahre alt und ebenso von nahezu unbezahlbarem Wert, wie vieles in diesem außergewöhnlichen Ort.

Von manchen Häusern konnte Alea deshalb nur das Reetdach und die kleinen Gaubenfenster im Obergeschoss sehen. Es wirkte, als duckten sich diese Häuser vor neugierigen Besucherblicken weg und kuschelten sich in einen Garten aus Kiefern und Heckenrosen.

Vereinzelt entdeckte man auf Sylt noch sogenannte Rundgiebel, wie ihn das Nachbarhaus von Martje hatte. Sie legten sich wie ein kleines Dach direkt über die Haustüren. Eine Bauart, die selten geworden war.

Alea erinnerte sich daran, dass der illegale Abriss eines solchen Hauses vor einiger Zeit auf Sylt für Furore gesorgt hatte. Sie hatte mit Martje darüber gesprochen, weil ihre Tante so glücklich darüber war, dass ihr Nachbarhaus, trotz einer Modernisierung in den letzten Jahren durch die neuen Besitzer, die Alea noch nicht kannte, nach wie vor die Ursprünglichkeit friesischer Bauweise verkörperte.

Alea betrachtete die Häuser, die viele kleine Besonderheiten hatten. Friesengiebel mit historischen Jahreszahlen über der Tür und Holzverzierungen. Es gab Scheunentore, ursprünglich, alt, heute als großer Fensterladen genutzt, hinter dem sich eine gigantische Glasscheibe verbarg, die einen großartigen Weitblick über die Heidelandschaft zwischen Braderup und Kampen sowie das Wattenmeer bot. Alea konnte sich kaum sattsehen an dem Anblick und träumte sich in eins dieser Häuser.

Es war ruhig um diese Zeit, nahezu gespenstisch. Aber das war eine Momentaufnahme dieser Tage. Je näher es auf Weihnachten zuging, desto mehr Feiertagsgäste würden für ein paar Tage hier einziehen. Alea stellte sich vor, dass Familienmitglieder zusammenkamen, die sich sonst selten sahen, sich in den großen alten Häusern versammelten und gemeinsame Zeit verbrachten. Das war etwas, das ihr fehlte. Familienzeit. Würde sie das in Christophers Familie finden? Sie hatte so sehr darauf gehofft, es sich so sehr gewünscht, aber inzwischen keimten Zweifel in ihr.

Am Ende der Straße erreichte Alea einen Pfad, der zu einem traumhaften kleinen Strandabschnitt auf der Wattseite führte. Hier war, auch wenn Flut herrschte, das Meer ruhig und rollte in leichten, leise rauschenden Wellen an Land. Über Bohlenwege gelangte man in die Braderuper Heide und auch hinunter ans Wasser.

Bereits jetzt hatte Alea das Gefühl, dass die Luft ihrer Atmung guttat. Die Sylter Luft reinigt von innen und stellt die Abwehrkräfte neu auf, sagte Martje immer. Besonders am Meer könne der Mensch das Meersalz und die Mineralien aus dem Wasser dank der Feuchtigkeit der Luft besonders gut aufnehmen. Scharfe Winde, ein Auf und Ab der Temperaturen und die hohe Sonneneinstrahlung forderten den Körper heraus und stärkten ihn.

Alea lächelte, als sie daran dachte, und trat auf den Steg, drehte sich langsam einmal um sich selbst. Sie genoss den Blick über die Braderuper Heide, schaute auf die Rückseite der Häuser in direkter Wattlage, weiter bis ans Wasser. Wie Alea vermutet hatte, war es hier menschenleer. Sie fand sich allein inmitten der wunderschönen Natur aus Heide, vereinzelten sturmschiefen Kiefern und stetig sanft säuselndem Wind wieder. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch die Wolkendecke kämpften, untermalten die besondere Atmosphäre.

Sie lief den Weg hinunter bis zum schmalen Sandstrand.

Am Wasser angekommen, atmete sie tief durch und schloss für einige Sekunden die Augen. Wie eine wohltuende Melodie klang das Rauschen der Wellen mit dem Wind an ihr Ohr.

Alea wollte gerade losgehen und einige Meter am Wasser entlanglaufen, als ein dumpfes Geräusch aus Richtung des Holzstegs sie aufhorchen ließ. Sie schnellte herum und sah, dass dort jemand gestürzt war. Sofort musste sie wieder an Martje denken. Kurzerhand machte sie kehrt und lief eilig hinauf, um dem Mann zu helfen. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie hinter ihm einen Hund.

»Ist alles in Ordnung?«, rief sie gegen den Wind und war erleichtert, als der Typ einen Daumen emporreckte. Sie erwiderte diese Geste, ging aber dennoch weiter auf ihn zu.

»Danke, geht schon wieder«, erklärte er, als sie vor ihm stand, er sich den Sand von der Kleidung klopfte und die Wollmütze richtete. Verdutzt schaute er sich um. »Ich hab einen Moment nicht hingeguckt, und dann war es schon zu spät.« Er machte einen ernsthaft erschrockenen Eindruck und sah dabei sympathisch verwirrt aus. »Dabei dachte ich immer, ich kenne hier jeden Dünengrashalm und könnte die Stege auch mit verbundenen Augen entlanglaufen.« Bedauernd hob er die Schultern. In der Hand hielt er, fest umklammert, eine Hundeleine. Auf den nächsten Blick erkannte Alea sogar mehrere. Erst jetzt sah sie auch den zweiten Hund. Hinter einem Stein, der neben dem Bohlenweg lag, lugte am Ende der einen Leine eine zweite kleine Hundenase hervor.

Der Mann klopfte dem hellbraunen Hund neben sich tätschelnd den Rücken, kniete sich dann hin und sprach mit sanfter Stimme zu dem zweiten Tier, das sich offensichtlich vor Schreck versteckt hatte.

»Hey Süße, entschuldige! Alles ist gut, du kannst wieder rauskommen! Ich passe jetzt besser auf, versprochen!« Gerührt davon, wie er mit dem Tier redete, lächelte Alea. In diesem Moment tapste ein kleiner Mischlingswelpe, geduckt, aber schwanzwedelnd, hinter dem Stein hervor. Die glänzenden Locken an den für den kleinen Hund viel zu lang wirkenden Ohren ließen ohne Frage einen Cockerspaniel erkennen. Verblüfft ging Aleas Blick zu dem Hund, dann wieder zu dem Mann und zurück.

»Nala?«

»Sie kennen den Hund?« Jetzt war er es, der überrascht aussah. Er blickte Alea direkt in die Augen, und dabei fiel ihr etwas auf, was sie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte: Er hatte zwei verschiedenfarbige Augen. Das eine Auge war blau, das andere grün.

Als er fragend die Brauen hob, merkte Alea, dass sie gar nicht geantwortet hatte. »Nein, also ja, bisher nur vom Foto. Aber mit ihrem kleinen herzförmigen Muster auf dem Rücken ist sie bestimmt einmalig.« Ihr ging durch den Kopf, dass auch dieser Mann mit den unterschiedlichen Augenfarben etwas Einmaliges hatte. »Dann sind Sie Felix?«

»Der bin ich, ganz genau. Und das ist Karl, mein Hund.« Er deutete auf den braunen, etwa kniehohen Terrier-Mix. »Sozusagen jetzt der coole Onkel von Nala. Aber bitte lass uns doch Du sagen.«

»Gerne, ich bin Alea! Was für ein toller Onkel. Ich bin Martjes Nichte. Sie ist sozusagen meine coole Tante.« Alea lächelte. »Ich habe deine Nachricht im Briefkasten von Martje gefunden und hätte dich jetzt auch bald angerufen, wollte mich nur mal kurz durchpusten lassen und dann mit Martje sprechen«, stellte Alea sich vor.

»Das gibt’s ja nicht!« Er hatte die erschrockene Nala auf den Arm genommen und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Und ich schreibe noch, dass Nala bei uns gut aufgehoben ist. Das machte wohl grad nicht unbedingt den Eindruck«, stellte er zerknirscht fest.

»So ein Sturz kann passieren«, bemerkte Alea. »Ich bin nur froh, dass dir dabei nichts passiert ist.«

Er lachte, und Alea fielen die charmanten Fältchen um seine Augen auf, die davon zeugten, wie gern er das tat. Sie gaben ihm etwas Unbeschwertes. Mürrische Leute bekamen keine Lachfältchen. Martje hatte sie auch. Als Kind hatte Alea sie immer Martjes Sonnenstrahlen im Gesicht genannt.

Kurz dachte sie an Christopher. Bei ihm hatte sie in den letzten Wochen oft bemerkt, dass statt der Lachfältchen die Sorgenfalte auf seiner Stirn sich immer mehr ausprägte. Er war eher der nachdenkliche, analysierende Typ. Außerdem hatten auch ihn die kräftezehrenden Monate voller Streitigkeiten in ihrer Beziehung gefordert.

»Und dir tut wirklich nichts weh?«, erkundigte Alea sich.

»Nein, alles bestens. Jetzt steht einem Spaziergang am Meer nichts mehr im Wege.«

»Die beiden freuen sich schon«, stellte Alea mit Blick auf den aufgeregten Hund mit dem Namen Karl fest. »Was ist Karl für eine Rasse?«

»Ein Jagdterrier-Jack-Russell-Mix«, erklärte Felix.

»Ein hübscher Kerl«, lobte Alea und streichelte den Hund, der dankbar mit der Rute wedelte.

»Das hört er gern, ja«, stimmte Felix lachend zu. »Aber ich habe deinen Weg unterbrochen. Kommst du noch mal mit runter zum Wasser?«

Zögerlich schaute Alea über den Strand. Sie verspürte ein schlechtes Gewissen Christopher gegenüber. Sie konnte doch nicht mit einem wildfremden Typen nach der erstbesten Begegnung am Meer entlangspazieren. Auch wenn er den Hund ihrer Tante bei sich hatte, kam es ihr nicht richtig vor. Deshalb hielt Alea es für besser, zunächst den Rückzug anzutreten.

»Nein, für den Moment habe ich genug Seeluft geschnuppert und bin schon spät dran. Wenn ich mich jetzt nicht auf den Weg mache, lassen sie mich nicht mehr zu Martje. Aber es freut mich, dass wir uns zufällig getroffen haben. Ich hätte mich wegen Nala wie gesagt sowieso gemeldet. Wir müssen ja schauen, wie es weitergeht mit Martje.«

»Also sie kann gerne erst mal bei uns bleiben. Wir freuen uns, und ich glaube, wenn ich nicht gerade über meine eigenen Füße stolpere, fühlt sich die kleine Dame auch bei uns ziemlich wohl.« Er grinste schief.

»Davon bin ich überzeugt! Das ist superlieb, danke.« Alea lächelte. »Außerdem hat sie sich ja auch als ganz hervorragender Rettungshund erwiesen, für den Fall der Fälle.«

Einen Moment behielt er sich sein Grinsen noch, bevor seine Miene sorgenvoller wurde. »Wie geht es denn Martje?«

Alea hob unsicher die Schultern. »Das kann ich noch gar nicht sagen. Zuletzt habe ich vom Autozug aus mit dem Krankenhaus telefoniert. Sie sagten, es stünden einige Untersuchungen an, rund um die Operation des Armes, die heute Nachmittag stattfand, dann könnte ich zu ihr. Noch weiß ich nicht, was das Ergebnis davon war.«

»Richte ihr doch bitte ganz liebe Grüße aus und sag ihr, sie soll sich wegen Nala überhaupt nicht stressen.«

»Danke! Das wird sie sehr beruhigen.«

»Eben! Ich kenne sie doch.«

»Das stimmt. Woher kennt ihr euch denn eigentlich?«

»Ich wohne nebenan. Zeitweise zumindest. Das Haus gehört meinem Vater. Es ist unser Ferienhaus, das wir immer mal wieder nutzen. Ich am liebsten zu dieser Zeit, wenn es noch ruhig ist und man wenig Trubel begegnet.«

»Ach, dann seid ihr die neuen Nachbarn, die das wunderschöne alte Friesenhaus renoviert haben – Martje hat mir davon erzählt. Wie schön. Und das mit dem Trubel verstehe ich. Da müssen wir uns bisher zeitlich immer verpasst haben.«

»Ganz genau die! Und schade, dass es bisher nie geklappt hat.« Er lächelte, und Alea wich seinem Blick aus und streichelte Karl.

»Aber sicher hast du so kurz vor Weihnachten auch andere Pläne, als Hundesitter zu spielen, oder?«, hakte Alea nach.

»Ehrlich gesagt, nein«, war seine offenherzige Antwort. »Weil ich dieses Jahr mindestens bis über die Festtage sowieso hier auf Sylt bleiben will, habe ich sofort zugesagt, als es darum ging, wer den Welpen an sich nimmt. Das passt mir wirklich.« Er nickte bekräftigend und streichelte dem Hund liebevoll über das Fell. Nala, noch immer auf seinem Arm und sichtlich beruhigt, hatte die Augen geschlossen und schien die Streicheleinheit zu genießen.

»Martje ist sicher sehr dankbar für deinen Einsatz. Ich würde mich noch mal bei dir melden, wenn ich bei ihr war, okay? Da ich ein paar Tage in Martjes Haus wohnen werde, laufen wir uns da bestimmt sowieso über den Weg.«

»Das würde mich sehr freuen, Alea. Bis bald!« Noch einmal lächelte er, mit unzähligen Lachfältchen um seine zweifarbigen Augen, und ging dann den Bohlenweg entlang hinunter zum Strand. Auf dem letzten Treppenabsatz angekommen, ließ er Nala wieder frei laufen.

Als Alea sich gerade umgedreht hatte, um auch weiterzugehen, hörte sie ihn rufen.

»Heile angekommen!« Er deutete mit beiden Händen auf sich selbst, lachte, und Alea erwiderte sein Lachen, während sie einen Daumen emporreckte und dann noch einmal winkte.

Auf dem Weg zurück zu Martjes Haus schwankte sie zwischen einem vergnügten Grinsen über das nette Zusammentreffen und einem sorgenvollen Magengrummeln wegen Martje. Und obwohl sie diesen Felix ja gar nicht wirklich kannte, gab ihr diese kurze Begegnung ein gutes Gefühl. Nala war bei ihm ganz bestimmt gut aufgehoben.

Aber das war es nicht nur. Dieser Typ war ihr unheimlich sympathisch. Die Art, wie er über sich selbst lachte, gefiel ihr, und sie spürte, dass sie sich insgeheim bereits auf ein Wiedersehen mit dem Mann mit den verschiedenfarbigen Augen freute.

An Martjes Haus angekommen, ging sie noch einmal in die Manufaktur und holte die Brille ihrer Tante. Dann brachte sie ihren Koffer ins Wohnzimmer. Sie würde Martje fragen, ob die Gästezimmer aktuell vermietet waren oder ob sie in einem davon unterkommen konnte. Gerade war aber auf jeden Fall niemand dort, wie sie an den Schlüsseln erkannte, die allesamt am Schlüsselbrett hingen. Auch im Terminkalender, der darunter lag, war kein Eintrag. So, wie es aussah, hatte sich schon länger kein Gast mehr in der Pension eingebucht. Alea wollte mit Martje klären, ob jemand anreisen würde und sie noch etwas vorbereiten oder dem Gast absagen müsste.

Sie ging in Martjes Schlafzimmer und packte ein paar Kleidungsstücke in eine Tasche. Aus dem Badezimmer nahm sie noch einige Hygieneartikel mit und legte Hausschuhe und ein gemütliches Wolljäckchen dazu. Außerdem steckte sie ein Foto von Nala ein, welches sie bei Martje auf dem Nachttisch fand.

Dann stieg Alea ins Auto und machte sich auf den Weg zum Krankenhaus.

Kapitel 3

Die kahlen Wände des Krankenhausflurs wirkten auf Alea wie ein Tunnel, der ihre Gedanken nur auf Martjes Gesundheit lenkte. Während ihr der Geruch nach Desinfektionsmittel beißend und kalt in die Nase zog und sie Menschen begegnete, die Betten vor sich herschoben, in denen Kranke lagen, wuchs das mulmige Gefühl in ihrem Bauch.

Sie wollte sich nicht vorstellen, dass Martje ernsthaft angeschlagen und womöglich auch erst einmal auf ständige Hilfe angewiesen war. Das passte so gar nicht zu ihrer umtriebigen Tante, die wie ein Wirbelwind durch ihr Leben rauschte und sich kaum durch etwas bremsen und erst recht ungern helfen ließ.

Alea hoffte, dass sich auch dieses Mal Martjes volle Energie entfalten und sie wieder auf die Beine bringen würde. Ihre Eigenschaften könnten zu einer schnelleren Genesung führen. Nichts anderes durfte sein.

Als Alea die Tür mit der Nummer acht erreichte, hielt sie einen Moment inne. Sie holte tief Luft und versuchte, ihren rasenden Puls zu beruhigen, was ihr nur schwer gelang.

Zaghaft klopfte sie an. Genau in dem Moment wurde die Tür von innen geöffnet. Alea zuckte erschrocken zusammen, als sie in das verzweifelte Gesicht einer Krankenpflegerin blickte.

»Hallo«, begrüßte sie Alea mit einem verkrampften Lächeln, sichtlich darum bemüht, sich ihren Unmut nicht anmerken zu lassen.

»Guten Tag, Alea Groneberg mein Name«, erwiderte Alea und lugte an der großen, kräftigen Frau vorbei. »Ich möchte zu Martje Christiansen«, fuhr sie fort, woraufhin die Frau ihr einen vielsagenden Blick schenkte und mit dem Kopf schräg hinter sich deutete. Alea wusste sofort, was Sache war. Zu gut kannte sie Martjes Sturheit, die manchmal ihr riesengroßes, gutmütiges Herz verbarg.

»Dann hatten wir telefoniert. Moin. Vielleicht können Sie sie überzeugen, dass sie wenigstens heute lieber im Bett bleiben sollte.« Matt hob sie die Schultern. »Ich kann sie ja nicht zwingen.« Sie verzog die Mundwinkel. »Ich bin jetzt die Böse.« Dann legte sie halb die Hand vor den Mund. »Am Ende aber die, die sie irgendwann vom Boden auflesen muss, wenn sie sich doch überschätzt hat. Und die sich den Rüffel vom Chef anhören darf, warum sie nicht aufgepasst hat.« Nun war ihr Blick fast beleidigt. »Dabei bin ich ja auch interessiert daran, dass sie möglichst bald wieder ihre Kerzenmanufaktur eröffnen kann. Darum bin ich doch so streng mit ihr.« Jetzt lächelte sie sogar, und ihre Mimik war liebevoll und verriet ihre eigentlich herzliche Art hinter der energischen Fassade und der Frustration.

»Ich spreche noch mal mit meiner Tante«, sicherte Alea der Frau zu, und ein Anflug von Skepsis und Dankbarkeit zog über deren Gesicht. Dann schob sie sich, nach einem letzten resignierten Blick auf Martje, an Alea vorbei und bog in ein anderes Zimmer ein.

»Liebes?« Erleichtert stellte Alea fest, dass ihre Patentante wie immer klang. Sie freute sich, sie zu sehen.

»Martje! Was machst du denn für Sachen? Ich habe mich so erschrocken!«

Alea ging auf das Bett zu, auf dessen Kante Martje thronte, als sei nie etwas gewesen. Sie war bunt und fröhlich gekleidet, hatte die kurzen grauen Haare ordentlich frisiert und wirkte, als sei sie gerade im Aufbruch. Einzig das Pflaster auf ihrer Stirn und der Gips um den linken Arm deuteten auf den Zwischenfall hin, der sie ins Krankenhaus gebracht hatte.

»Jetzt fang du auch noch an«, murmelte sie.

»Martje!« Alea deutete durch den Raum. »Ich gehe davon aus, dass es schon einen Grund gibt, warum du hier bist, hab ich recht?«

»Der eine sagt so, der andere sagt so«, kam es prompt. Sie zeigte auf die Tür. »Der Feldwebel da eben will mich am liebsten für immer ans Bett fesseln«, zischte sie und schüttelte theatralisch den Kopf.

Alea musste schmunzeln. »Hey«, sagte sie deeskalierend und legte Martje den Arm um die Schultern. »Du weißt selbst, dass das nicht stimmt und dass sie das nicht macht, um dich zu quälen. Im Gegenteil.«

Martje musterte Alea skeptisch. »Bist du jetzt auf meiner Seite oder auf der dieser Schwarzmaler im weißen Gewand hier im Hause?« Alea antwortete nicht, sondern schaute Martje nur mit schief gelegtem Kopf an und strich ihr über den Rücken. »Schön, dass du da bist, Liebes!« Ehrliche Freude sprühte aus Martjes Blick.

»Ich muss doch wissen, was los ist. Und ich hab dir ja versprochen, dass ich immer da bin, wenn du mich brauchst.«

»Das weiß ich, mein Schatz.« Sorgenvoll schaute sie sie an. »Was sagt denn dein Christopher dazu, dass du ihn allein lässt? Oder ist er auch da?«

Alea schüttelte den Kopf und hob matt die Schultern. »Nein, ist er nicht.«

»Und er ist auch not amused über den Hilferuf der schrulligen Tante von der Insel, hab ich recht?« Martje blickte besorgt.

»Milde formuliert, trifft es das wohl ganz gut, ja.«

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich hätte nie verlangt, dass du alles stehen und liegen lässt für mich.«

»Alles gut, Martje.« Alea lächelte. »Ich will hier sein.«

»Meine Gästezimmer sind aktuell übrigens beide frei«, erklärte Martje. »Da kannst du also schlafen und für die Zeit wohnen, in der du hier bist.«

»Prima! Das freut mich. Reisen denn noch Gäste an? Dann kümmere ich mich darum.«

Martje winkte ab. »Da musst du dir keine Gedanken machen. Wenn überhaupt, wird ein Zimmer erst kurz vor Weihnachten benötigt. Da bin ich ja längst wieder da.« Verschmitzt grinste Martje. »Aber ich denke eher, dieses Jahr kommt gar keiner mehr. Ich hab das ein wenig heruntergefahren derzeit.« Sie lächelte. »Mit Nala und der Manufaktur habe ich so viel um die Ohren.«

»Verstehe.«

»Wie geht es denn meinem Hundekind?«

»Hervorragend!« Alea strahlte. Als sie an Felix dachte, formten ihre Lippen ein zartes Lächeln. Unter Martjes wissendem Blick meinte Alea zu spüren, wie sie rot wurde.

»Das habe ich nicht anders erwartet. Der junge Mann von nebenan ist ein Goldschatz«, erklärte Martje. »Ich habe sofort gewusst, dass meine Kleine gut bei ihm aufgehoben ist.«

»Ich war kurz am Strand, da habe ich ihn getroffen, wie er mit den beiden Hunden spazieren gegangen ist. Das wirkte sehr harmonisch.« Alea dachte an den Sturz von Felix und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Alles klar?« Martje schaute Alea an, doch diese drehte sich weg. Sie erinnerte sich an das Foto und zog es aus der Tasche.

»Natürlich. Ich musste nur an eine Situation denken. Hat nichts mit Nala zu tun. Hier, ein Foto deiner Süßen! Felix lässt jedenfalls ausrichten, dass sein Karl deine Nala liebevoll aufgenommen hat und bereits Körbchen und Futter mit ihr teilt.« Bestätigend nickte Alea.

»Felix ist ein Schatz«, wiederholte Martje, lächelte dankbar und strich liebevoll über das Foto. »Die zwei sind sozusagen mein Rettungsteam.«

Verblüfft schaute Alea ihre Tante an. »Was hat denn Felix damit zu tun?«

»Er ging mit Karl spazieren, als meine kleine Nala Alarm geschlagen hat. Weil Felix dann schnell Hilfe holte, landete ich wohl rechtzeitig hier, bevor mir die Zehen abgefroren sind.«

»Ach.« Alea war erstaunt, und dieser Felix wuchs innerhalb von Sekunden noch einmal mehr in ihrem Ansehen. »Er war das? Davon hat er gar nichts gesagt. Ein Schutzengel offenbar! Wegen Nala musst du dir jedenfalls gar keine Sorgen machen. Ich werde schauen, wie es mit mir und dem Tagesgeschäft in der Manufaktur so klappt und wieweit ich den Nachbarn mit Nala nach ein paar Tagen entlasten kann.«

»Danke dir.« Martje schaute nachdenklich. »Mir ist es schon etwas unangenehm, Nala wie selbstverständlich bei Felix zu lassen. Irgendwann wird er auch wieder abreisen. Ich weiß gar nicht – er ist schon länger hier. Offenbar allein. Sein Vater hat mal erwähnt, er habe eine Freundin. Die ist aber nicht dabei, soweit ich weiß. Da wird er sicher demnächst zurückfahren wollen.«

»Hm.« Arglos zuckte Alea mit den Schultern.

»Wäre es für dich in Ordnung, das mit ihm einmal zu besprechen? Sonst muss ich mich um eine andere Lösung kümmern.«

»Klar. Ich habe ihm schon gesagt, dass ich mich noch einmal melde, wenn ich bei dir war. Ich kläre das mit Felix.« Alea spürte schon beim Gedanken daran ein zartes Flimmern im Bauch, das sie tunlichst im Keim ersticken sollte. Er hatte eine Freundin – und sie Christopher. Auch wenn sie gerade nicht davon sprechen konnte, glücklich vergeben zu sein. Sie schluckte. »Meinst du nicht, es wäre besser für dich, wenn du deine Beine einmal hochlegst?«, fragte Alea.

»Wieso?« Martje tat beiläufig.

»Martje!«

»Nein, wirklich. So dramatisch, wie die alle das hier darstellen, ist es gar nicht. Mir geht es wieder gut. Das war nur ein kleiner Aussetzer. Dass das gleich in so einem ollen Bruch enden muss, ist natürlich ärgerlich. Vielleicht hab ich einfach nicht richtig geguckt. Wenn man alt wird, ist das halt so!« Sie zuckte beiläufig die Schultern.

»Schon, aber es war ein großes Glück, dass Nala da war.«

Martjes Gesichtsausdruck wurde weich. »Sie war sowieso mein großes Glück in den letzten Wochen. So war ich nie mehr allein in meinem Lädchen. Sie fehlt mir hier sehr! Aber ich hoffe, ich muss nicht so lange hier sein.«

»So lange, wie es sein muss, meine Liebe. Wirklich! Ich brauche dich noch! Nala braucht dich, und auch die Insel kann auf gar keinen Fall auf dich verzichten. Und jetzt erklär mir doch bitte noch einmal genau, was eigentlich passiert ist und was sie hier noch mit dir vorhaben. Gibt es außer dem gebrochenen Arm schon erste Diagnosen? Die Schwester hat am Telefon nur gesagt, es müsse noch einiges abgecheckt werden.«

»Ach.« Martje lächelte matt und zog die Augenbrauen hoch.

»Nein, nichts ach!«, beharrte Alea.

»Also verzichten muss in meinen Augen niemand auf mich. Wenn es nach mir ginge, wäre ich längst wieder in meinem Geschäft und zöge Kerzen.«

»Ich weiß. Das wäre mir auch am liebsten. Erst mal müssen wir nun aber schauen, dass du wieder richtig fit bist. Und bitte, sei nicht so hart mit den Pflegerinnen hier, und mach ab und zu das, wozu sie dir raten. Für alles andere bin ich jetzt da, und du musst dir keine Sorgen machen.«

»Du kannst auch nicht ewig hierbleiben. Sicher ruft dein Job. Und vor allem dein Freund! Der wird dich nicht lange entbehren wollen.«

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