Das Glück zwischen den Dünen - Julia Rogasch - E-Book
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Das Glück zwischen den Dünen E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Sophie hat alles, was sie sich wünscht: Einen tollen Job, einen gutaussehenden Verlobten und eine durchgeplante Hochzeit, die vor der Tür steht. Einzig dass die Feier auf Gut Marienlund stattfinden soll, gefällt Sophie gar nicht. Zu viele schlechte Erinnerungen verbindet sie mit dem Ort, wo einst ihre beste Freundin bei einem Reitunfall starb. Und überhaupt kümmert sich ihr Verlobter Philip herzlich wenig um ihre Wünsche. Da passt es ganz gut, dass Sophies leicht verschrobene Tante Änne sie zu einem Urlaub auf Sylt einlädt. Schon nach wenigen Tagen auf der Insel fragt Sophie sich, ob sie dieses perfekte Leben mit Philip wirklich will. Dann trifft sie auch noch Klemens wieder, ihren ehemaligen besten Kumpel von Marienlund. Und plötzlich zweifelt Sophie nicht mehr nur an der Hochzeit, sondern an allem, was ihr Leben bisher ausmachte…

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Das Glück zwischen den Dünen

JULIA ROGASCH, geboren 1983, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Inspiriert vom Leben als Mama mit Job sowie ihrer großen Leidenschaft für Sylt und emotionale Romane, griff sie vor einigen Jahren ihren Kindheitstraum vom Schreiben wieder auf, und das erste Buch entstand. Es folgten weitere Sylt-Romane über die Liebe, das Glück, Schicksal, Familie und Freundschaft.

Sophie hat alles, was sie sich wünscht: Einen tollen Job, einen gutaussehenden Verlobten und eine durchgeplante Hochzeit, die vor der Tür steht. Einzig dass die Feier auf Gut Marienlund stattfinden soll, gefällt Sophie gar nicht. Zu viele schlechte Erinnerungen verbindet sie mit dem Ort, wo einst ihre beste Freundin bei einem Reitunfall starb. Und überhaupt kümmert sich ihr Verlobter Philip herzlich wenig um ihre Wünsche. Da passt es ganz gut, dass Sophies leicht verschrobene Tante Änne sie zu einem Urlaub auf Sylt einlädt. Schon nach wenigen Tagen auf der Insel fragt Sophie sich, ob sie dieses perfekte Leben mit Philip wirklich will. Dann trifft sie auch noch Klemens wieder, ihren ehemaligen besten Kumpel von Marienlund. Und plötzlich zweifelt Sophie nicht mehr nur an der Hochzeit, sondern an allem, was ihr Leben bisher ausmachte… Von Julia Rogasch sind bei Forever erschienen: Honigmilchtage Mit dir am Horizont Das Geheimnis vom Strandhaus Der kleine Laden am Strand Das kleine Haus in den Dünen Das Glück zwischen den Dünen

Julia Rogasch

Das Glück zwischen den Dünen

Ein Sylt-Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2020 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat E-Book powered by pepyrus.com ISBN 978-3-95818-553-1

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Epilog

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

Widmung

Meinen Herzensmenschen.Meinen wundervollen Lesern.All jenen, die an ihre Träume glauben.Dir, denn mein Traum lebt durch dich.

1. Kapitel

»Und hier haben wir die Marshmallow-Herzen und dazu die Bonbons mit ihren Initialen.« Stolz breitete sie die pastellfarbenen Tüten mit Süßigkeiten darin vor mir aus. »Die personalisierten Candy-Tüten im Vintage-Look lege ich auf jedem Teller aus. Dazu ein Kärtchen mit einem Wunsch an das Brautpaar, welcher gemeinsam mit den weißen Tauben gen Himmel flattern wird.«

Die Hochzeitsplanerin Madita von Leveste strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während sie mir mit vor Begeisterung piepsiger Stimme ihre Ideen für unseren großen Tag präsentierte. Philip hatte recht behalten, dass sie sich selbst übertraf in ihrem Engagement, diesen Tag für uns zum schönsten in unserem Leben zu machen.

Ich griff nach einem der Tütchen, in dem kleine Kostbarkeiten wie personalisierte Schokoladentafeln und Hochzeitsmandeln zusammengestellt waren. »Wunderschön«, staunte ich gedehnt. Glücklicherweise bemerkte Frau von Leveste nicht, wie gespielt meine Begeisterung war. Zu sehr war sie darin vertieft, ihre Ideen zu präsentieren.

Philip saß ebenso im Café, jedoch an einem anderen Tisch. Er hatte parallel einen Termin mit dem Pianisten, der am weißen Flügel für die passende Musik sorgen sollte. Wir trafen uns in Philips Lieblingscafé. Es lag ganz in der Nähe seines Büros. Philip war in der Immobilienbranche tätig. Sein Unternehmen lief derzeit recht erfolgreich, und er hatte sich weit über Hamburg hinaus einen Namen gemacht. Auch seine Geschäftsfreunde würden Teil unserer Hochzeitsgesellschaft sein.

Philip malte sich unsere Hochzeitsfeier bereits in schillernden Farben aus. Sie war von sanfter Klaviermusik untermalt und mit den zufriedenen Gesichtern unserer Gäste garniert. Alle, die auf unserer Gästeliste standen, hatten Rang und Namen in Hamburg. Es würde ein sommerlicher Tag Ende August sein, und die Sonne würde über den weiten Feldern rund um den Gutshof herum mit dem Lächeln der feinen Ladys um die Wette strahlen. Die historischen Gebäude von Marienlundgeschmückt, als würde mindestens das britische Prinzenpaar heiraten. Überall auf dem gepflegten Rasen der Parkanlage um das Haus standen Stühle und Tische, die mit weißen Hussen verziert waren. Von einer eigens aufgebauten Tanzfläche klang Musik, untermalt von angeregtem Stimmengewirr aus Gesprächen, in denen man über das leichte Leben, die Wirtschaft oder Politik lamentierte. Ich schwebte in einem Traum aus Seide und Perlen über das Parkett. Mein gut aussehender Ehemann im feinen Zwirn hielt mich im Arm, und ab diesem Tag wurde aus Sophie Mohn Sophie von Hohentau.

Ich seufzte bei dieser Vorstellung und kam mir vor, als gehörte ich nicht in dieses Bild.

Ich würde bald im alten Gutshaus Marienlund meinem Mann das Jawort geben. Meine Eltern und Philip konnten sich kaum einen prachtvolleren Start in unsere Ehe vorstellen als eine Feier auf dem Gut von Philips Eltern. Wir würden die Tradition fortführen, nach der schon Philips Eltern und deren Eltern sich dort vermählt hatten. Perfekter konnte es kaum laufen in Philips Augen und aller anderen Menschen um mich herum. Ich wartete demnach jeden Tag darauf, dass auch bei mir die Euphorie einsetzte. Es war nach außen hin alles so perfekt mit mir und Philip. Manchmal machte ich mir selbst zum Vorwurf, dass ich nicht mit derselben Begeisterung an die Planung heranging wie mein Ehemann in spe. Aber es war leider nicht das pure Glücksgefühl, mit dem ich an meine Hochzeit dachte. Vor allem die Location für diesen Tag bereitete mir Bauchweh. Der Ort, an den ich zu meiner Hochzeit zurückkommen würde, war der, an dem ich mit meiner besten Freundin Nele die unbeschwerteste Zeit meines Lebens verbrachte. Bis zu dem Tag, an dem der schreckliche Unfall geschah und mir das Schicksal meine Freundin für immer nahm. Sie fehlte mir so oft, und gerade jetzt, wo wir über Trauzeugen nachdachten, fiel mir stärker denn je auf, dass ich nie wieder einem Menschen begegnet war, der ihre Lücke füllen konnte. Wobei ich mir sicher war, Nele hätte niemals gutheißen können, dass ich Philip heiratete. Sie hatte nie verstanden, was ich an ihm fand. Als Nele noch lebte, war es nur eine Schwärmerei meinerseits für den attraktiven Sohn der Gutshofbesitzerfamilie von Hohentau. Wir wurden erst nach Neles Tod ein Paar. Oft ging mir durch den Kopf, dass Nele ihre alte Freundin Sophie sicher in mir nicht mehr wiedererkennen könnte, würde sie mir heute gegenüberstehen. So viel hatte sich verändert seit ihrem Tod. Und ich war längst nicht mehr dieselbe. Die Menschen, die in dieser Zeit und bis heute für mich da waren, waren Philip und seine Clique. Wir unternahmen Reisen, gingen essen, ins Kino oder besuchten verschiedene Ausstellungen. In der Zeit nach Neles Tod halfen sie und unsere Unternehmungen mir, mit dem Verlust meiner Freundin umzugehen. Zumindest lenkten sie mich ab, sobald ich nachdenklich wurde. Das hatte in den letzten vier Jahren, die seitdem vergangen waren, gut funktioniert. Je näher nun unsere Hochzeit rückte, desto mehr begann ich jedoch zu grübeln.

In letzter Zeit hatte meine Tante Änne manchmal Andeutungen gemacht, dass sie spürte, was in mir vorging.

»Liebes, eine Verlobung ist keine Einbahnstraße«, hatte sie dann mit ihrer so angenehm rauchigen Stimme gesagt. Meinen irritierten Blick hatte sie mit einem Schmunzeln quittiert, das auch ohne Worte so viel aussagte. »Ich sehe eine wunderschöne Braut und die tollste und intelligenteste Frau von Hohentau, die es je gegeben hat. Aber ich möchte auch, dass sie die glücklichste sein wird.« Ihre Worte hallten in meinem Kopf nach, während ich vage die Fiepsstimme der Hochzeitsplanerin wahrnahm.

Ich seufzte, denn genau in diesem Moment kam meine Trauzeugin herein, Philips Schwester Alexia.

»Lexi, grüß dich! Setz dich doch – wir werfen grad einen ersten Blick auf die Gastgeschenke und die Deko.« Ich rang mir ein Lächeln ab, in der Hoffnung, dass auch sie nicht bemerkte, dass meine Gedanken ganz woanders waren als bei der Hochzeitsfeier. Aber für ihr Feingefühl war Alexia nicht gerade bekannt.

»Sophie, nein, wie süß!« Alexias Tonfall war nun so hoch, dass ich fürchtete, das Proseccoglas, das vor ihr stand, würde in tausend Teile zerspringen.

»Mir gefällt das alles auch ganz gut«, sagte ich.

»Es gefällt dir alles ganz gut?« Empört stemmte Alexia die Hände in die Hüften. »Ein bisschen mehr Begeisterung bitte! Es ist ein Traum!« Verzückt drehte sie ein Tütchen in ihren Händen, als handelte es sich um den Heiligen Gral, als Philip zu uns an den Tisch kam. »Lexi, schön, dass du da bist. Danke noch mal für deinen Tipp! Der Kontakt zu dem Pianisten – grandios! Wir haben alles besprochen. Sogar eine LED-Fotoshow auf dem Flügel wird mit eingebaut. Wir werden Bilder zeigen von unserer Seychellenreise und den Malediven. Ich bin mir sicher, das wird einen Supereffekt haben.«

»Wow! Das ist so großartig«, freute sich Alexia. Ich lächelte schief.

Sosehr ich mich eigentlich auf diesen Tag freuen sollte, war ich heute dieser ganzen Euphorie mit all den Ohs und Ahs müde. Mir war eher danach, die Seele baumeln zu lassen und mal wieder richtig durchzuatmen. Es gab noch einen Punkt auf der To-do-Liste, den ich prima damit verbinden konnte.

»Bei euch ist die Gestaltung unseres großen Tages in den besten Händen«, schmeichelte ich dem begeisterten Planer-Dreamteam. »Wäre es in Ordnung, wenn ich den Part mit dem Gutshof übernehme? Ich würde gerne hinfahren und mir vorab noch mal alles anschauen. Der Termin mit den Pächtern steht ja, aber ich denke, es wird niemand was dagegen haben, wenn ich vorher schon einmal einen kleinen Spaziergang mache, oder?«

»Wenn du meinst. Es wird kein Problem sein, dass du dich umschaust. Ich wollte gleich noch mal ins Büro. Lexi, wirst du alles Weitere mit Frau von Leveste klären?«, fragte Philip seine Schwester.

Die beiden Frauen, die auch privat befreundet waren, ließen sich das nicht zweimal sagen und steckten gleich die Köpfe zusammen, nicht ohne ein weiteres Glas Prosecco zu ordern.

Ich stand auf, drückte meinem Freund einen Kuss auf die Wange und verabschiedete mich.

Als ich in mein Auto gestiegen war, rief ich meine Tante Änne an, um sie zu fragen, ob sie Lust habe, mitzukommen auf den Gutshof. Während ich mich im Spiegel anschaute, massierte ich meine Wangen. Mir war, als wären sie vollkommen verkrampft vom vielen Grinsen. Mir ging durch den Kopf, dass das sicher nicht so gewirkt hätte, wenn mein Lachen echt gewesen wäre.

»Aber selbstverständlich, Kleines! Eine Reise in die Vergangenheit – das ist genau nach meinem Geschmack. Und Marienlund habe ich immer geliebt«, freute sich Änne. Änne hatte uns manchmal in den Urlaub auf den Gutshof gebracht, wenn meine Eltern keine Zeit hatten, Nele und mich dorthin zu fahren. Wir liebten diese Fahrten. Änne war ein Mensch, der so viel zu erzählen hatte und so liebenswert skurril war, dass es eine Freude war, mit ihr Zeit zu verbringen. Sie machte aus jeder Autofahrt ein Event. Sei es der Zwischenstopp bei einem ihrer unzähligen Bekannten oder ein spontaner Abstecher zum See, in den wir kurzerhand sprangen, bevor es weiterging in Richtung Ziel. Sie selbst hatte keine Kinder, sodass ich wie ein Tochterersatz war für sie. Sie war es auch, die akzeptiert hatte, dass ich niemals wieder auf ein Pferd gestiegen war, seit der furchtbare Reitunfall meine Freundin Nele aus dem Leben gerissen hatte.

Während meine Eltern bedauerten, dass meine Karriere als erfolgreiche Springreiterin ein jähes Ende nahm, noch bevor sie wirklich begonnen hatte, fuhr Änne mit mir zu den Pferden und setzte sich neben mich ins Gras. Wir saßen manchmal stundenlang so da und schauten den Tieren zu, wie sie friedlich auf der Weide standen. Änne erkannte, dass die Pferde mir noch immer etwas bedeuteten. Aber auch wenn mir die Gesellschaft der edlen Tiere guttat, unvorstellbar war für mich der Gedanke, jemals wieder zu reiten. Die Bilder des Unfalls geisterten damals durch meinen Kopf wie unliebsame Verwandte, die zu einem gehörten und immer wieder aufkreuzten, ohne dass man es verhindern konnte. Sie jagten mich in meinen Albträumen, und wenn ich irgendwo Reitern auf ihren Pferden begegnete, krampfte sich mein Herz zusammen.

Aber Philip und seinen Freunden war es gelungen, mein Augenmerk auf andere Dinge im Leben zu richten und mich abzulenken von den traurigen Bildern.

Auf dem Weg zu Änne dachte ich daran, dass dieser Ort den sprichwörtlich schönsten Tag in meinem Leben trüben würde, war es doch der Gutshof, auf dem Nele und ich so viele unbeschwerte Stunden verbracht hatten. Bis hier das bisher schlimmste Ereignis meines Lebens stattfinden sollte und die schönen Erinnerungen daran zerschlug. Wenn ich ehrlich war, war für mich an diesem Ort kein Platz für Glück. Aber der Hof gehörte Philips Familie. Seit Jahren wurde ein Teil des Hofes für derlei Events genutzt, und schon lange bevor wir entschieden zu heiraten, stand für Philip und seine Familie fest, dass dies der optimale Ort sein würde, ein rauschendes Fest zu gestalten, sollte es so weit sein. So wie es seit Generationen schon zelebriert und nie infrage gestellt wurde.

Weil ich wusste, wie wichtig das Philips Familie war, sah ich keinen Weg, der daran vorbeiführte. Vielleicht würde es mir helfen, nachMarienlund erstmalig seit Neles Unfall zurückzukehren, noch bevor hier die Feier stattfinden würde.

Änne winkte schon von Weitem und war auch ohne ihr Winken wie immer kaum zu übersehen. Ihre roten Haare hatte sie unter einem überdimensionalen Hut zu bändigen versucht, was ihr mehr schlecht als recht gelungen war. Die Lippen waren knallrot geschminkt. Auf den Augenlidern trug sie lilafarbenen Lidschatten. Sie sah aus wie ein exotischer Vogel in ihrem Kleid aus orangefarbenem Stoff.

Auf hochhackigen Schuhen tippelte sie zur Beifahrerseite und ließ sich schwungvoll auf den Sitz fallen. Mit ihr waberte ein Duft von Jasmin in mein Auto, der mich benebelte. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, sondern öffnete nur das Fenster einen Spaltbreit.

»Auf geht’s!« Änne strahlte und schien sich zu freuen auf unseren kleinen Ausflug.

»Geht’s dir denn gut, Liebes?« Änne sah mich von der Seite an, und ich spürte, dass ihr Blick skeptisch war.

»Alles okay.« Konzentriert schaute ich auf die Straße, um das Zögerliche in meiner Antwort zu überspielen.

»Auch wenn wir jetzt nach Marienlund fahren?«

Ich schluckte. »Es war ja meine Idee«, antwortete ich knapp, wusste aber, worauf sie hinauswollte.

»Dort eure Hochzeit zu feiern, war aber nicht deine Idee, hab ich recht?« Fragend schaute sie mich an. Ich nickte und presste angestrengt die Lippen aufeinander.

»Nele lauert sicher hinter jeder Ecke«, brachte Änne auf den Punkt, was auch mir längst schon durch den Kopf ging.

»Du hast recht, Änne. Die Sorge habe ich natürlich auch. Aber Philip möchte unbedingt da feiern.« Ich hob die Schultern.

»Na dann.« Änne war, wie Nele auch, kein Fan von Philip. Ihr gefiel seine Art nicht. Außerdem war er ihr gegenüber bisher wenig freundlich aufgetreten, weil auch seine Sympathie für den Paradiesvogel unserer Familie sich in Grenzen hielt, sodass diese Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Es ist ja wichtig, dass der Herr des Hauses zufrieden ist mit der Location. Wen stört es da schon, wenn die Braut am schönsten Tag ihres Lebens leise ins Kissen weint.«

»Änne!« Entrüstet schüttelte ich den Kopf.

»Ich sag ja nur, wie’s ist.« Änne verschränkte beleidigt die Arme.

»Dafür bist du bekannt«, stellte ich versöhnlich lächelnd fest.

2. Kapitel

Eingebettet in die malerische Landschaft der hügeligen Umgebung, lag am Ende einer Allee das Gut Marienlund.

Wir fuhren die von alten Eichen gesäumte Straße entlang, die direkt auf den Gutshof zuführte. Mit jedem Baum, den wir passierten, zog sich das Band um mein Herz fester zusammen. Jede Erinnerung an diesen Weg schmerzte, und schon nach wenigen Metern musste ich Änne recht geben, dass es keine gute Entscheidung war, hier zu feiern. Je näher wir dem Haupthaus kamen, desto mehr kleinere Häuser, die früher als Wohnhäuser für die Angestellten gedient hatten, säumten den Weg. Heute waren die gelb gestrichenen Gebäude liebevoll restauriert und in einem bemerkenswert gepflegten Zustand. Ein Hotel war rund um den Gutshof herum entstanden. Hier würden bald die Hochzeitsgäste wohnen.

Hatten wir uns eben noch locker unterhalten, verstummte ich mehr und mehr.

Änne legte beruhigend ihre Hand auf meine, und ich lächelte dankbar.

»Schön, dass du mitgekommen bist, Änne.«

»Aber selbstverständlich! Ich lass doch meinen Schatz nicht allein.«

Nach einem großen Tor fuhren wir durch den weitläufigen Park über einen weißen Kiesweg auf das Haupthaus zu. Die Reifen des Autos knirschten. Das Geräusch klang wie aus einer Filmszene, in der ein Gutsherr auf seinem Anwesen in Cornwall vorfährt.

Das Gutshaus lag mit seinem geschwungenen dunklen Walmdach prachtvoll inmitten der alten Stallungen. Der beigefarbene Ton des verputzten Backsteingebäudes harmonierte mit den Fensterrahmen in hellem Weiß. Eine kreisrund angelegte Auffahrt, die von Buchsbäumen gesäumt war, führte direkt zum Haupteingang.

Als wir vorfuhren, kam ein weiteres Auto, ein dunkelgrüner Kombi, aus Richtung eines der Nebengebäude und verließ das Grundstück. Wir sahen den Wagen nur noch im Rückspiegel.

Ich stellte mein Auto ab, stieg aus und öffnete Änne die Tür der Beifahrerseite.

»Es hat sich kaum verändert. Imposant wie eh und je«, staunte Änne. »Warum habe ich bloß nie einen reichen Gutsbesitzer kennengelernt?« Änne seufzte. »Wahrscheinlich weil’s die nicht in nett gibt«, stellte sie mit einem spitzen Unterton fest, und ich schloss kopfschüttelnd die Tür hinter meiner Tante.

»Marienlund hat in der Tat nichts von seinem Charme verloren«, stimmte ich ihr zu und kommentierte dabei ihre unterschwellige Spitze gegenüber meinem Verlobten bewusst nicht.

Änne war nie verheiratet gewesen. Sie sagte oft scherzhaft, dass der Mann, der es mit ihr ertragen konnte, wohl noch geboren werden müsste. Sie hatte sich damit arrangiert, obwohl sie insgeheim immer von einer Hochzeit träumte, wie sie mir einmal anvertraut hatte. Lange Jahre waren Pferde neben ihrem Unternehmen für Kosmetik ihr Lebensinhalt. Die Gesundheit ließ es jedoch nicht zu, dass sie weiterhin ritt. Ich erinnerte mich aber gut daran, dass auch sie sich damals noch manchmal in den Sattel geschwungen hatte, wenn sie uns hier auf den Hof gebracht hatte.

»Fehlt dir das Reiten eigentlich gar nicht?«, fragte Änne mich in diesem Moment, als könnte sie meine Gedanken lesen.

Ich überlegte, was ich antworten sollte. Das Reiten fehlte mir. Was ich aber noch viel mehr vermisste, waren die Momente mit Nele, die ich beim Reiten erlebt hatte.

»Viel mehr fehlt mir Nele«, gab ich zu.

»Das glaube ich dir. Aber du wirst niemals ganz ohne sie sein.« Änne lächelte, sie klopfte sich in Höhe ihres Herzens auf die Brust, und ihr Blick ging in die Ferne.

»Was dieser Junge wohl macht, mit dem ihr da immer unterwegs wart. Hast du eigentlich jemals wieder etwas von ihm gehört?«

»Leider nicht, nein.« Ich schüttelte den Kopf.

Auf Marienlund immer dabei gewesen war auch Klemens. Er war der Sohn des Gutshofpächters, und gleich in unserem ersten Urlaub hatten wir uns angefreundet. Die Zeit, in der wir Marienlund zu dritt unsicher machten, würde ich nie vergessen und immer tief in meinem Herzen tragen. Auch wenn ich sie heute am liebsten verdrängte und darin verschloss. Ich hatte in den Monaten nach Neles Tod oft darüber nachgedacht, warum Klemens nicht mehr versucht hatte, Kontakt zu mir aufzunehmen. Irgendwann hatte ich es aber einfach akzeptiert. Nele hatte mir, kurz bevor sie starb, anvertraut, dass sie unsterblich in Klemens verliebt sei, sich aber nicht traute, ihm das zu sagen. Wir schmiedeten Pläne, wie Klemens und Nele zusammenkommen könnten, und kicherten so manche Nacht über kleine Gesten und Hinweise, die der Angebetete jedoch komplett überging und nicht wahrzunehmen schien.

Philip und seine Clique hatten wir während der Urlaube auf Marienlund ebenso kennengelernt. Sie machten dort in einem der Gästehäuser auch in der Zeit Urlaub, in der Nele und ich zuletzt gemeinsam da waren. Wir liefen uns oft über den Weg. Ein Paar wurden wir jedoch erst nach Neles Tod.

Ich erinnerte mich, dass ich Klemens bei Neles Beerdigung zuletzt gesehen hatte. Er stand ganz allein am Eingang der Kirche. Ich war mit Philip da. Als ich mich kurz von Philip verabschiedet hatte, um nach der Trauerfeier Ausschau nach Klemens zu halten, hatte ich ihn nicht mehr gefunden. Auf meine Nachrichten reagierte er nicht. Kurze Zeit nach dem Unfall ging das Gerücht herum, er habe etwas mit dem Tod von Nele zu tun. Verdächtig war in den Augen der Leute aus Philips Clique, dass Klemens seitdem untergetaucht war. Man sagte, man habe ihn gesehen, als das Unglück geschah. Aufgeklärt wurde der Unfallhergang aber nie. Weil ich bei dem Unfall kurzzeitig das Bewusstsein verlor und damit auch die Erinnerung an Details verschwammen, konnte ich selbst im Nachhinein nicht sagen, wie genau der Unfall geschehen war. Ich hatte jedoch nicht daran geglaubt, dass Klemens damit in Verbindung stand, war unser Freund doch immer so bedacht im Umgang mit Pferden. Seine Rufnummer war irgendwann nicht mehr erreichbar, und als ich seine Eltern, die Pächter des Gutshauses, ansprach, sagten diese nur, ihr Sohn sei aus beruflichen Gründen weggezogen. Er brauche Abstand von Marienlund und Zeit, diese schlimmen Ereignisse zu verarbeiten. Er wünsche keinen Kontakt und habe ein neues Leben begonnen, fernab von hier.

Das verstand ich, schließlich ging es mir selbst genauso. Ich hoffte noch einige Zeit, unsere Wege würden sich irgendwann noch einmal kreuzen. Aber leider sahen wir uns dann nie wieder, und mein Leben mit Philip hatte mich die vielen Erinnerungen an Klemens und die Zeit mit ihm und Nele in den Hintergrund drängen lassen.

»War er nicht der Sohn der Pächter?« Änne ließ nicht locker.

»Ja. Sie haben mir damals erzählt, er sei von hier weggezogen, kurz nach Neles Tod. Mehr weiß ich aber nicht.«

»Von hier wegzugehen, ist ein großer Schritt. Hoffentlich hat er das nie bereut.« Änne zwinkerte.

Ich zuckte die Schultern. »Wer weiß das schon. Ich finde es auch traumhaft schön hier. Ich wäre hier nicht weggegangen, glaube ich.«

»Na ja, mit Familie von Hohentau als Verpächter. Vielleicht überdenkt man das dann doch noch mal und wandert sicherheitshalber gleich nach Afrika aus. Da kann der Abstand kaum groß genug sein«, frotzelte Änne.

»Du lässt aber auch kein gutes Haar an Philips Familie.« Mit strengem Blick sah ich meine Tante an.

»Du weißt, wirklich getäuscht hat mich meine Menschenkenntnis nur selten. Und manche Enttäuschung blieb mir auch erspart.« Mit diesen Worten tippelte sie die geschwungene Treppe zur Eingangstür hinauf.

Ich hätte am liebsten entgegnet, dass man das leicht behaupten konnte, wenn man sich im Leben, so wie Änne, nie fest an einen Menschen gebunden hatte. Dass man da nicht enttäuscht wurde, lag auf der Hand. Ich sagte aber weiter nichts dazu.

Mein Herz schlug aufgeregt, als wir zur Klingel traten. Auf dem Schild stand ein Name, der mir nichts sagte. Nach kurzem Warten öffnete eine hübsche Frau. Ihre blonden Haare hatte sie gekonnt hochgesteckt, die hellblaue Bluse steckte in einer braunen Reithose. Ich schätzte die Frau auf Ende dreißig. Sie war rund zehn Jahre älter als ich.

»Herzlich willkommen auf Marienlund! Mein Name ist Tine von Pagenau. Entschuldigen Sie mein Outfit, aber ich komme gerade aus dem Stall.« Ihr Lächeln entblößte eine Reihe perfekter Zähne, und ihre blauen Augen strahlten um die Wette mit dem hellblauen Himmel.

»Oh, kein Problem. Entschuldigen Sie bitte diesen Überfall. Wir möchten gar nicht lange stören. Mein Name ist Sophie Mohn, und wir würden nur gerne einen Blick auf das Gelände werfen, bevor wir in die konkretere Planung gehen. Mein Verlobter Philip von Hohentau und ich planen, in acht Wochen hier zu heiraten. Wir wollten nur Bescheid sagen, dass wir hier in der nächsten Stunde ein wenig um die Häuser streichen. Nicht, dass Sie sich wundern.« Ich lächelte.

»Dann sind Sie die Braut?« Ihre Augen strahlten noch ein wenig mehr, was ich vorher gar nicht für möglich gehalten hätte.

»Ja, die bin ich.«

Tine von Pagenau machte eine einladende Handbewegung. »Möchten Sie nicht auf einen Kaffee hereinkommen?«

Änne schüttelte energisch den Kopf und legte bestimmt den Arm um mich.

»Wir wollen wirklich keine Umstände machen.« Ihr Lächeln wirkte verkrampft. Sicher witterte sie, dass der Name von Hohentau für das Extraquäntchen Freundlichkeit sorgte. So ein Verhalten war meiner Tante von jeher ein Dorn im Auge.

»Sie wissen ja jetzt Bescheid, dass wir hier nur einmal eine Runde drehen, und dann sind wir auch schon wieder verschwunden. Wir sind also keine Einbrecher oder neugierige Touristen.« Änne grinste breit.

Die Dame machte einen irritierten Eindruck, nickte jedoch und lächelte.

»Selbstverständlich. Schauen Sie sich in aller Ruhe um. Und wenn dann doch noch Fragen sind, können Sie gerne jederzeit auf mich zukommen. Klingeln Sie einfach. Ich bin im Büro.«

»Herzlichen Dank für das Angebot«, sagte ich höflich. »Aber eine Frage hätte ich noch. Das Ehepaar Brinkmeyer, wo finde ich die Leute?« Der Gesichtsausdruck, der eben noch so fröhlich war, trübte sich.

»Das tut mir sehr leid, der ehemalige Pächter Herr Brinkmeyer ist vor einigen Wochen verstorben. Seiner Frau geht es nicht gut. Ihr Sohn hat sie gerade vor wenigen Minuten abgeholt und mit zu sich nach Hause genommen. Er will sich dort um sie kümmern. So wie ich es verstanden habe, soll sie dann langfristig bei ihm wohnen.«

Ich war erschrocken. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Das tut mir sehr leid. Das wusste ich nicht. So alt kann Herr Brinkmeyer ja auch noch nicht gewesen sein?«

Die Dame schüttelte betroffen den Kopf. »Keine fünfundsechzig Jahre alt«, bestätigte sie meine Vermutung.

Ich wurde traurig. Die Brinkmeyers hätte ich gerne wiedergetroffen. Unter diesen Umständen fühlte es sich erst recht vollkommen verändert an, wieder hier zu sein.

»Die arme Frau Brinkmeyer. Wie gut, dass sie ihren Sohn hat. Ein Ortswechsel wird ihr vielleicht helfen. Hier wird sie ja alles an ihren Mann erinnern.«

Ich dachte daran, was dieser Ort mit mir machte. Selbst mich erinnerte Marienlund ja an jeder Ecke an Nele. Wie würde es erst Klemens’ Mutter gehen. Ich sah Klemens vor mir und überlegte, wie er wohl heute lebte. Aus Luxus und der feinen Gesellschaft hatte er sich nie viel gemacht. Er liebte die Pferde und das Leben um den Gutshof herum. Er war eher der Typ Landwirt und belächelte Nele und mich manchmal. Wenn wir über die neusten Kleidungstrends quatschten, rollte er nur mit den Augen und wirkte dabei sehr lässig in seiner abgewetzten Jeans, Turnschuhen und weißem T-Shirt. Als stünde er über den Dingen, die die teils piekfeine Gesellschaft um Marienlund herum beschäftigten. Ich war mir sicher, dass er nicht wie ich im Dschungel einer Großstadt gelandet war. Er gehörte aufs Land zu seinen Pferden.

»Wissen Sie, was Klemens Brinkmeyer macht?«, fragte ich die Dame.

»Er betreibt eine kleine Reitschule. Er ist schon vor einigen Jahren von hier weggegangen mit einer, wie ich finde, sehr schönen Idee. Er bietet Reitferien an für behinderte und kranke Kinder sowie Geschwister von pflegebedürftigen Kindern.« Frau von Pagenaus Blick war bewundernd, und auch mir wurde warm ums Herz bei dieser Vorstellung.

»Wie toll!« Ich bedauerte in diesem Moment stärker denn je, den Kontakt zu Klemens verloren zu haben.

Im Haus klingelte ein Telefon.

»Wenn Sie mich bitte entschuldigen – ich bin aber bis heute Abend hier, wenn Sie wiederkommen, weil sich Fragen ergeben haben.«

Wir bedankten uns und gingen vor das Haus.

»Schade, dass die Brinkmeyers nicht mehr hier leben. Aber toll, was Frau von Pagenau über Klemens erzählt hat, oder?« Ich war begeistert.

Änne nickte. »Scheint ein feiner Kerl zu sein. Schade, dass eure Wege sich getrennt haben.«

»Ja. Das habe ich auch gerade gedacht«, stimmte ich ihr zu.

»Lass uns hier mal eine Runde spazieren gehen«, schlug sie dann vor. »Ich kann es kaum erwarten, mir alles anzuschauen.« Änne hakte sich schwungvoll bei mir unter, und gemeinsam gingen wir an den zu Appartements umfunktionierten Stallungen vorbei in Richtung des Parks. Sorgfältig geschnittene Buchsbäume säumten die Vorgärten, und jedes Haus trug einen besonderen Namen.

»Ludwigshof, Kokendeele – man weiß gar nicht, welches der Häuschen am schönsten ist«, schwärmte Änne.

Wir traten um das letzte der Nebenhäuser herum und standen vor dem großen Park, der das Anwesen umgab. In meiner Erinnerung bestand er aus vielen kleinen geheimen Winkeln, in denen wir uns hervorragend verstecken konnten, um zu reden, ohne dass es jemand mitbekam. Heute erschien alles in einem anderen Licht, war überschaubarer und klarer strukturiert, hatte aber kaum etwas von seinem Zauber verloren.

Ich schloss für einen Moment die Augen und versetzte mich zurück in die Zeit, in der ich hier mit Nele stundenlang saß und quatschte, bevor wir in den Pferdesattel wechselten und auf langen Ausritten ununterbrochen weiterredeten.

Ich seufzte. Änne bemerkte das, zog mich sanft am Ärmel und ging mit mir zu einer Bank. Wir setzten uns und schauten über die sattgrüne Rasenfläche, auf der einige Vögel herumhüpften und nach etwas Essbarem suchten. In der Ferne hörte man das Wiehern eines Pferdes, hier und da das Poltern einer Schubkarre oder das Klappern einer Stalltür.

»Sie scheinen grad auszumisten. Ich weiß noch, wie Nele und ich das manchmal von hier aus hörten und dann losgerannt sind, weil der gut aussehende Klemens beim Misten half.« Ich lächelte versonnen.

»Und dann habt ihr euch ins Stroh verkrümelt oder wie?« Änne hob fragend eine Augenbraue. Ich knuffte sie in die Seite. »Änne!« Ich zwinkerte. Meine Gedanken gingen für ein paar Sekunden zu Nele. Ich erinnerte mich gut, wie verliebt sie in Klemens war und sich so sehr gewünscht hatte, es sich mit ihm im Stroh gemütlich zu machen.

»Das ist genug an Information«, erklärte Änne und hob abwehrend die Hand. Wir lachten beide.

Der Anblick des Parks war überwältigend. Ich musste Philips Familie recht geben, dass es kaum einen schöneren Ort geben würde für eine Hochzeit. Wären da nicht diese Geschichte mit Nele und die Tatsache, dass sich Vorfreude irgendwie anders anfühlte.

»Schau mal, da hinten werden die Tische aufgebaut, auf denen das Buffet steht. Etwas weiter Richtung Haus stehen dann die Tische für die Gäste. Philip hat vor, sie so aufzustellen, dass wir in der Nähe des offenen Scheunentors sitzen. Dort wird der Pianist alles aufbauen, und wir werden später die ehemalige Scheune in eine Tanzfläche umfunktionieren. So kann jeder zwischendurch immer mal wieder am Tisch Platz nehmen. Philip meint, für die Gespräche wäre es klasse, wenn die Wege von der Tanzfläche zu den Tischen nicht allzu lang sind. So kann man ein paar Worte wechseln, und die Stimmung wirkt locker.«

»Mhm«, kommentierte Änne meine Ausführungen nüchtern.

»Keine gute Idee?« Überrascht schaute ich sie an.

»Doch, nett.« Änne verzog keine Miene.

»Was ist los mit dir? Du wirkst ganz nachdenklich.« Ich musterte meine Tante skeptisch.

»Ich höre dir zu.« Änne hatte die Augen geschlossen.

»Und was sagst du dazu?«

»Was du beschreibst, klingt, als ob da was fehlt.«

»Und was?« Ich war irritiert.

»Deine Handschrift«, sagte sie dann.

»Was soll das denn heißen?«

»Philip hier, Philip da. Liebes, wo bleibst du in dem Ganzen?« Ännes Blick war nun ernst und verunsicherte mich.

»Aber ich freue mich ja auch. Schließlich ist das ein Ort, den ich immer sehr geliebt habe. Ich habe schon das Gefühl, dass meine Handschrift hier deutlich wird«, rechtfertigte ich unsere Planung halb vor mir, halb vor Änne. Ich war mir selbst nicht ganz sicher, ob Änne nicht sogar recht hatte.

»Na dann.« Änne sagte nichts weiter, bedachte mich nur mit einem vielsagenden Blick, und auch ich zog es vor zu schweigen.

Nach einiger Zeit gingen wir hinüber zum Restaurant, welches auch für das Catering sorgen würde. Die kleine Schlossküche hatte ein Fünfgängemenü vorgeschlagen, welches Alexia und Philip bereits probegegessen und für gut befunden hatten.

Heute wollten Änne und ich das Dessert vorab testen. Die Idee war Änne auf der Fahrt gekommen.

»Guten Tag, Frau Mohn«, begrüßte uns ein freundlicher Kellner. Offenbar hatte Frau von Pagenau ihn informiert, dass wir auf dem Gut waren und sicher auch in der Schlossküche vorbeischauen würden.

»Herr von Hohentau hat ja bereits eine Auswahl getroffen. Wir werden Ihnen ein Pannacotta an frischen Früchten sowie Créme Brulée an Vanilleeis-Herzen zur Auswahl servieren.«

Während ich mir bereits den Mund leckte, rollte Änne mit den Augen.

Man reichte uns ein Glas Prosecco, um uns in diesem Zuge auch zu zeigen, welche Sorte Philip ausgesucht hatte. Als wir beide Köstlichkeiten serviert bekamen, war ich begeistert. Änne stocherte jedoch widerwillig in ihrem Pannacotta herum, während sie Ausschau hielt nach dem Kellner.

»Sagen Sie, was steht denn seitens der Schlossküche noch zur Auswahl für das Dessert?« Der Blick des Kellners war irritiert.

»Wir haben darüber hinaus ein Mousse au Chocolat, sowie Vanillecréme-Törtchen«, antwortete er schließlich.

»Dann bringen Sie doch bitte von beidem etwas, danke!« Jetzt war Ännes Blick deutlich zufriedener.

»Hat’s dir nicht geschmeckt?« Eigentlich hatte ich nur darauf gewartet, dass meine Tante zu einem Seitenhieb gegen Philip ansetzte.

»Doch«, sagte diese mit einem breiten Grinsen. »Aber wer sagt, dass nicht die anderen Gerichte noch besser schmecken?« Selbstsicher streckte Änne den Rücken durch.

»Okay, wie du meinst. Ich denke aber, Philip –«, setzte ich an, als Änne mich unterbrach.

»Philip, Philip, Philip! Wie war das mit deiner Handschrift? Dann sagst du ihm einfach, dass die Mousse oder das Törtchen sehr viel besser schmeckt und du dich dafür entschieden hast. Muss doch nicht alles von ihm abgesegnet sein.«

Ich nickte wenig überzeugt. Ich kannte Philip und war mir sicher, er sah es nur äußerst ungern, wenn man ihm in etwas hineinredete. Aber Änne hatte ja recht. Es war absolut lächerlich, dass er immer alles entschied.

Der Kellner kam, und schon beim ersten Bissen des Vanillecréme-Törtchens war mir klar, dass dies das Dessert werden sollte anstelle von Pannacotta und Co. Auch die Mousse au Chocolat war ausgezeichnet. Diese beiden Köstlichkeiten zur Auswahl wären perfekt für unser Menü. Ännes genießerischer Gesichtsausdruck sagte dasselbe, und kurzerhand änderte Änne die Bestellung beim Kellner in diese zwei Desserts um. Ännes Blick untersagte mir jegliche Widerworte.

Weiter ging es mit Ännes Kritik am Prosecco. Änne schlug vor, dass ein Hugo viel besser passen würde und ein paar Himbeeren im Hugo als Aperitif die ganze Sache abrunden würden. Sie bestellte mir ein Glas dieses Getränks, und ich musste ihr zustimmen. Es schmeckte köstlich. Ännes aufmunternder Blick bestätigte mich darin, den Kellner zu bitten, die Bestellung auch in diesen Punkten zu ändern.

Ein wenig beunruhigt verließ ich mit Änne an meiner Seite das Restaurant wieder.

»Änne, du schaffst mich«, erklärte ich und wischte mir theatralisch den Schweiß von der Stirn.

»Du mich auch, wenn du nicht ein einziges Mal das tust, was du dir wünschst, sondern immer nur das, was dein Göttergatte dir vorgibt.«

Betreten schwieg ich. Änne hatte recht. Besonders souverän trat ich in den letzten Jahren nicht auf, wenn es darum ging, meine eigenen Wünsche durchzusetzen.

Philip und ich lebten in einer perfekt durchgestylten Wohnung in Hamburg HafenCity. Die Einrichtung war luxuriös. Ein Designerstück reihte sich an das andere. Jedes Detail war durchdacht und sorgfältig ausgewählt. Jedoch nicht von mir, sondern von Philip.

Wir gingen gemeinsam zum Golfen, weil ich mein Hobby seinem angepasst hatte. Schließlich traf man dort die wichtigen Leute und hatte immer ein Thema, mit dem es sich in so manchen Small Talk einsteigen ließ. Wir aßen regelmäßig in Hamburgs angesagtestem Steakhaus, während ich ja eigentlich vor Jahren schon beschlossen hatte, vegetarisch zu leben.

Und unsere Hochzeit fand nun bald auf dem Gutshof statt, der Philips Eltern gehörte. Einfach weil seit Generationen die Hochzeiten seiner Familienmitglieder hier zelebriert wurden. Marienlund war aber ein Ort, mit dem ich so viele emotionale Momente verband, dass mir, wenn ich ehrlich war, eigentlich klar war, dass dies nie mehr der Platz sein konnte, an dem ich einen der schönsten Tage meines Lebens verbringen würde. Marienlund würde für immer der Ort sein, der für die große Lücke in meinem Leben stand, die der Verlust meiner besten Freundin hinterlassen hatte.

Änne hatte schon recht, dass sich alle Entscheidungen in meiner Lebensgestaltung an Philips orientierten. Auch wenn es banal erschien, das an einem Dessert und einem Aperitif festzumachen.

Als wir wieder ein paar Schritte ums Haus gegangen waren, kam uns eine Reiterin auf einem Schimmel entgegen.

Wir blieben stehen, um das Pferd ungestört passieren zu lassen. Die Reiterin bedankte sich mit einem Lächeln. In diesem Moment erschrak das Pferd vor einem auffliegenden Vogel und sprang mit einem großen Satz zur Seite. Mir blieb beinahe mein Herz stehen.

Mit einem Mal sah ich die Bilder, wie Nele sich eben noch lachend zu mir umgedreht hatte. Nele wollte mir etwas erzählen, und ich konnte es kaum abwarten, zu erfahren, was das war. Wir quatschten, lachten, und während unsere Pferde locker den Weg vom Gut herunter entlangschritten, vergaßen wir wie jedes Mal Raum und Zeit. Mit einem Mal scheute Goliath, auf dem Nele saß, und stieg auf die Hinterbeine. Nele hielt sich wacker, klemmte die Beine fest an den Pferdebauch und lehnte sich geistesgegenwärtig nach vorne. Ich ritt hinter ihr, und auch Bella, mein Pferd, scheute. Mir gelang es weit weniger gut, die Balance zu halten, und ich flog seitlich am Pferdehals entlang und knallte unsanft auf den Wegesrand.

Ich sah, wie Goliath riesengroß neben mir auf den Hinterbeinen stand, Nele wie angegossen auf seinem Rücken, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor und zur Seite stürzte. Ich sah Nele unter dem großen Tier, Goliath, wie er verzweifelt versuchte, auf die Beine zu kommen und Nele dabei immer tiefer unter sich begrub. Als es mir unter höllischen Schmerzen, gelang aufzustehen, griff ich nach Goliaths Zügel. Er war gerade im Begriff loszustürmen, was ihm seine Verletzungen erschwerten. Neles Fuß hing im Bügel. Eilig befreite ich ihn daraus, ließ das Tier los und kümmerte mich um meine Freundin. Sie lag regungslos da, das Gesicht vollkommen blutverschmiert. Alle Schmerzen, die ich verspürte, waren wie taub mit einem Mal. Als schaute ich einen furchtbaren Film, hörte ich meinen lauten Schrei, spürte, wie die Tränen mein Gesicht überfluteten, und fühlte, wie ein Teil in mir starb, als Nele nicht mehr reagierte. Ich bekam noch schemenhaft mit, dass irgendjemand zu Hilfe kam, als es um mich herum dunkel und verschwommen wurde. Mein Bewusstsein erlangte ich erst wieder zurück, als ich im Krankenhaus war.

Meine Atmung beschleunigte bei dieser Erinnerung, und instinktiv fasste ich mir ans Herz. Beklemmung und Panik machten sich in mir breit, und ich merkte, wie erste Schweißperlen sich ihren Weg über meine Stirn bahnten.

Änne sah mich aus kugelrunden Augen an und schob mich zu einer nahe gelegenen Mauer. Dort setzte ich mich und atmete erst einmal tief durch.

»Fideli!« Änne sprach mich mit dem Namen an, den sie als Kind immer für mich hatte. »Geht es dir nicht gut? Du siehst aus wie eine Leiche. Ich hab ja geahnt, dass das eine Schnapsidee war, diesen Ort auszusuchen für eure Feier.«

Ännes Gesichtsausdruck schwankte zwischen besorgt und wütend.

»Geht schon wieder«, erwiderte ich matt.

»Das sieht man! Kalkweiß bist du. Ich glaube, es ist besser, wir fahren nach Hause. Soll doch dein Göttergatte sich um alles kümmern. Das tut er ja eh so gerne.«

Ich war zu schwach, dazu etwas zu sagen, sondern stand auf und fand mich auf wackeligen Beinen wieder. Matt nickte ich, und Arm in Arm gingen wir wieder zu meinem Auto.

Als wir gerade einsteigen wollten, kam Frau von Pagenau noch einmal vor die Tür.

»Sie fahren schon wieder? Haben Sie denn auch einen der köstlichen Kuchen in der Schlossküche probiert?«

»Die Schlossküche ist ganz zauberhaft. Wir haben noch einmal neue Desserts bestimmt. Es war sensationell lecker, herzlichen Dank! Meiner Nichte geht es nur nicht so gut. Wir machen uns erst einmal wieder auf den Heimweg. Bis bald!« Änne lächelte zum Abschied und hob die Hand zum Gruß.

»Dann alles Gute für Sie – gute Besserung. Und wenn Sie Fragen oder Wünsche haben, melden Sie sich gerne.«

»Das machen wir, vielen Dank«, verabschiedete auch ich mich.

»Soll ich fahren?«, fragte Änne. Ich schüttelte den Kopf.

»Geht wirklich wieder. Ich bin ein wenig geschafft, wenn ich ehrlich bin. Auch von den Eindrücken hier.« Ich schaute noch einmal zurück auf das imposante Gutshaus.

Wir passierten das Tor und fuhren die Allee entlang Richtung Hamburg zurück. Von hier aus waren es nur rund fünfzig Kilometer, bis wir wieder zu Hause waren.

Änne und ich waren rund zwanzig Kilometer gefahren, als Änne plötzlich sagte, ich solle bei der nächsten Ausfahrt abfahren. Sie habe Hunger und würde gerne noch eine Kleinigkeit essen. »Am liebsten wäre mir eine zünftige deutsche Küche. Das Dessert war ja nur was für den hohlen Zahn«, befand sie. Ich schmunzelte und freute mich auf ein Essen mit Änne.

Ich fuhr ab von der Landstraße und war erstaunt, dass wir genau vor einem Gasthof ankamen.

»Passt ja wunderbar! Hatte ich also richtig in Erinnerung, dass ich hier mal haltgemacht hatte.« Zufrieden grinste Änne. »Lass uns mal reinschauen, ob wir hier noch was bekommen.« Mit diesen Worten stieg sie aus, und ich fand mich kurze Zeit später in einem ursprünglich und rustikal eingerichteten Raum wieder. Massive Holztische und schwere Bänke mit gemütlichen Kissen darauf wirkten einladend. Es roch nach Bratkartoffeln und frischem Brot, und auch mein Appetit war geweckt.

»Eine gute Idee, Änne.« Ich rollte genießerisch mit den Augen. Unser Essen schmeckte vorzüglich, und ich fühlte mich richtig wohl. »Kennst du dieses Gasthaus?«

Änne nickte. »Ich war manchmal hier, nachdem ich euch auf Marienlund abgeliefert hatte. Hier hat es immer sehr lecker geschmeckt. Tut dir auch mal gut, so eine ganz bodenständige Küche«, stellte Änne fest.

»Wie meinst du das?«

»Na, Philip schleift dich von einem Sushi-Restaurant ins nächste, wahlweise auch in sein Lieblings-Steakhaus. Da muss erst deine alte Tante kommen, damit du mal wieder in den Genuss guter deutscher Küche kommst.« Änne schmunzelte.

»Ja, da ist was dran. Und mir schmeckt es so viel besser, wenn ich ehrlich bin«, gab ich zu. Ich betrachtete Änne, wie sie dasaß. Vom Outfit her passte sie kaum in diese Umgebung. Sie wirkte ein wenig wie ein Paradiesvogel am Nordpol. Ihr zufriedener Gesichtsausdruck jedoch besagte, dass dieses Lokal genau nach ihrem Geschmack war.

»Liebes, Marienlund erinnert auch mich an eine ganz besondere Zeit. Ich habe deiner Freundin Nele an ihrem Grab versprochen, dass ich immer auf dich aufpasse. Solange ich lebe, nehme ich diesen Auftrag sehr ernst.« Sie hob den Zeigefinger, und das wirkte beinahe komisch. Ännes Blick jedoch war eindringlich und ging mir direkt ins Herz. Während meine Eltern meistens mit ihrer Firma beschäftigt waren, war Änne immer die, die für mich da war, wenn ich Probleme hatte. Seit Neles Tod kreiste sie um mich wie ein Satellit, und ich war ihr dankbar dafür. Bei keinem anderen Menschen würde ich es zulassen, dass er so nah an mich herankam. Aber Änne durfte das. Sie hakte nach, gab immer erst Ruhe, wenn sie eine Antwort erhalten hatte, die ehrlich war. Änne war zwölf Jahre älter als meine Mutter. Nie war das ein Thema gewesen. Aber derzeit spielte sie häufiger auf ihr Alter an.

Ich nickte zaghaft. »Ich weiß, Änne. Das machst du auch ganz hervorragend.« Ich lächelte schief.

»Du machst es mir aber nicht besonders leicht, mein Herz.« Ihr Blick war mahnend. »Auch wenn ich bei diesem Thema nicht mitreden kann. Ich spüre, dass du mit dieser Hochzeit gerade sehenden Auges in ein Leben rennst, das nicht deins ist. Noch, Fideli, ist Zeit, umzudrehen.« Ihr Blick war unnachgiebig, und ich wich ihm unsicher aus.

»Aber Philip und ich, wir lieben uns doch.« Meine Stimme klang dünn.

»Ist das so?«

»Was sonst? Ich heirate doch nicht einfach nur so!« Ich schwankte zwischen Ärger und Verzweiflung. Fühlte mich unangenehm in die Ecke gedrängt von meinen eigenen Emotionen. Ich hatte ja selbst in letzter Zeit oft Zweifel, ob mir dieses ganze Drumherum, das Philip so unendlich wichtig war, irgendwann die Luft zum Atmen nehmen würde. Aber war das nicht normal, dass man diese Panik bekam, wenn man heiratete?

»Wie auch immer es weitergeht, du sollst bitte nur wissen, dass ich für dich da bin, komme, was wolle!« Um Ännes warme Augen zeichneten sich liebevolle Lachfältchen ab.

»Danke«, sagte ich nur. Sie streckte ihre Hand aus, und ich legte meine in ihre, die sie fest umschloss. »Das weiß ich.«

Wir bezahlten, standen auf und fuhren weiter Richtung Hamburg.

»Ich wünschte, auf mich hätte auch jemand mal so ein Auge gehabt«, sagte Änne plötzlich, als wir wieder rollten. Erstaunt sah ich sie kurz von der Seite an, bevor ich wieder auf die Straße blickte.

»Wie meinst du das? Du sagst doch immer, dein Leben sei wunderbar, und du bist zufrieden, so wie es ist.«

»Schon, aber ein Mal, da hab ich nicht auf mein Herz gehört. Nicht selten habe ich darüber nachgedacht, was wohl passiert wäre, wenn ich das doch getan hätte und nicht so stolz gewesen wäre.« Ännes Blick ging wehmütig über die Felder, die neben der Autobahn lagen. »Aber dann dachte ich wieder, dass alles im Leben aus einem bestimmten Grund geschieht und seine Zeit hat.«

»Ging es dabei um einen Mann?« Änne hatte nie davon erzählt, dass sie mit einem Mann zusammengelebt hatte, wohl aber, dass sie sich immer gewünscht hatte, einmal zu heiraten.

Jetzt jedoch nickte sie. »Es ist noch gar nicht lange her. Ein Urlaub auf Sylt. Ich hatte da ein Seminar zum Thema Achtsamkeit. Als ich nicht mehr gearbeitet hab, hat mich das brennend interessiert. Rufus war auch in dem Seminar. Als einziger Mann.« Änne lächelte verträumt. »Und weißt du, was er da gesucht hat?«

Amüsiert schüttelte ich den Kopf. »Neue Erkenntnisse über das Leben im Hier und Jetzt nehme ich an?«

»Ja, vielleicht.« Änne lachte ebenso. »Das Seminar war eine Auflage. Er musste daran teilnehmen, wenn er das Erbe seiner Mutter antreten wollte. Verrückt, oder?«

Ich prustete los. »Das ist in der Tat verrückt.«

»Ich fand die Vorstellung absolut skurril, aber irgendwie war mir seine alte Dame sofort sympathisch. Er beschrieb sie mal als spirituell angehauchten Paradiesvogel.«

»Ach!« Ich musste grinsen, und Änne hob entschuldigend die Schultern.

»Schräg war ja immer auch schon meine Richtung. Er sah wohl einige Parallelen zwischen seiner Mutter und mir.« Änne zwinkerte.

»Obwohl mir bis heute die Tatsache suspekt vorkommt, dass ein Mann mit mir schäkerte, den ich an seine Mutter erinnerte.« Sie rollte mit den Augen und machte eine kurze Pause, in der sie versonnen in die Ferne schaute. »Jedenfalls wirkte er wie fehl am Platz in diesem Kurs, den außer ihm ausschließlich Frauen besuchten. Er sah gut aus, alle Kursteilnehmerinnen schmachteten ihn an. Erst recht, als er die Geschichte mit dem Erbe erzählte. Das beinhaltete nämlich auch ein Haus auf Sylt. Und wer hätte das nicht gerne? Mir war das egal, denn wenn ich eines besaß, dann eigenes Geld.« Beiläufig zuckte Änne die Schultern, und ich musste schmunzeln, als sie dies sagte. »Wir kamen ins Gespräch und gingen nach unseren Treffen mal einen Kaffee trinken. Daraus wurde eine tägliche Verabredung und lange Abende am Strand. Es war eine wunderschöne Zeit.« Ännes Stimme bekam einen sanften Klang, als sie davon erzählte.

»Bis mit einem Mal die Rede davon war, dass es eine Frau gab in seinem Leben.« Sie stieß höhnisch Luft durch die Lippen. »Da war’s leider bald vorbei mit uns.«

»Wie schade. Und er hat nicht darüber nachgedacht, mit dir zusammen zu sein?«, fragte ich.

Änne zuckte die Achseln. »Gesagt hat er das, aber gleich darauf kam die Nachricht, dass er sie nicht verlassen kann. Das übliche Gerede halt. Und ich habe wirklich gedacht, er hätte ein großes Herz. Ich habe ihm auch keine Gelegenheit mehr gegeben, dass wir noch mal redeten. Ich war zu stolz. Hab der Kursleiterin verboten, meine Daten herauszugeben, und nach meiner Abreise habe ich nie wieder was von ihm gehört. Wahrscheinlich gehörte es auch zum Erbe, dass er sich nicht von seiner Frau trennen durfte, sonst gibt’s kein Geld oder so.« Änne zwinkerte. »Nun ist es aber auch egal. Sollte einfach nicht sein, und das hatte vielleicht einen Grund.«

»Bist du denn noch mal auf Sylt gewesen nach diesem Urlaub? Wann war das denn?«, erkundigte ich mich.

»Das ist noch gar nicht so lange her«, gab Änne zu. »Vor fünf Jahren war das.«

»Und du hast mir nie was davon erzählt?« Jetzt war ich enttäuscht.

»Es war vorbei, noch ehe es wirklich begonnen hat. Es war o. k. für mich, nicht der Rede wert, dachte ich damals. Und außerdem hattest du kurz darauf dann ganz andere Sorgen, mein Schatz.« Sie strich mir sanft über den Arm.

»Aber heute denkst du noch an ihn?«

Änne wiegte den Kopf hin und her. »Vielleicht manchmal ein kleines bisschen.« Auf ihren Wangen erkannte ich einen zarten Rotschimmer.

»Wo kam er denn her?«

»Aus Hannover. Er sprach aber davon, dass er nach Sylt ziehen wollte. Darum ging es auch in seinem Erbe. Seine Mutter hatte ihm das Haus auf Sylt vermacht, wenn er denn ihre Bedingungen erfüllen konnte. Sie muss eine sehr interessante Persönlichkeit gewesen sein.« Änne lachte, und auch ich schmunzelte.

»Ja, und ich denke halt oft, dass mein Herz mir irgendwas sagen wollte, als ich ihn nicht vergessen konnte. Aber ich habe es überhört. Und das hab ich nun heute davon. Jetzt bin ich eine alte Schachtel und allein.«

»Ach Mensch, Änne! Das klingt nun aber so traurig – ich bin ja da! Ganz allein bist du nicht.«

»Klar, ich meine ja nur. Man darf sein Herz nicht zum Schweigen verdonnern. Nicht aus falschem Stolz und auch nicht aus Mutlosigkeit. Es wird einen dann nie so recht in Ruhe lassen. Davon bin ich überzeugt. Und ich will vermeiden, dass du, mein Schatz, denselben Fehler machst.«

»Du denkst also noch immer an ihn?« Fragend schaute ich Änne an, deren Gesichtszüge einen weichen Zug bekamen. Ganz zaghaft hob sie die Schultern.

»Fideli, ich bin alt. Aber ich hadere nicht damit. Alles im Leben geschieht aus einem bestimmten Grund und ergibt am Ende einen Sinn. Dieser Gedanke erleichtert mir vieles.«