Winterträume in der kleinen Pension am Meer - Julia Rogasch - E-Book

Winterträume in der kleinen Pension am Meer E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Eisglitzern über den Wellen – Traumwinter auf Sylt Das »Meerglück« ist Claras ganzer Stolz: Gemeinsam mit ihrer Mutter führt sie die kleine Pension und den angrenzenden Laden. Doch um die Finanzen steht es schlecht – da helfen auch die Stammgäste rund um Weihnachten nicht. Verkaufen will Clara die kleine Pension und den Laden aber auf keinen Fall, denn für sie zählt der Charakter des Familienbetriebs, den ihr Vater so geliebt hat. Als Severin sich einbucht, knistert es sofort zwischen den beiden und Clara spürt eine besondere Verbindung. Bis sie in seinem Zimmer die Visitenkarte eines ihrer größten Konkurrenten entdeckt. Hat sie sich in Severin getäuscht? Wer sich nach einem Kurzurlaub für die Seele sehnt, ist hier richtig: So romantisch und gemütlich ist der Winter nirgendwo sonst!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Winterträume in der kleinen Pension am Meer

JULIA ROGASCH, geboren 1983, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Daneben ist die Nordseeinsel Sylt die Heimat ihres Herzens und Inspiration für ihre Bücher. Inspiriert vom Leben als Mama mit Job und ihrer großen Leidenschaft für Sylt und emotionale Romane griff sie ihren Kindheitstraum vom Schreiben auf, und das erste Buch entstand. Es folgten weitere Sylt-Romane über die Liebe, das Glück, Schicksal, Familie und Freundschaft.

Von Julia Rogasch sind in unserem Hause außerdem erschienen:

Winterzauber in der kleinen Teestube am MeerDer kleine Wintermarkt am MeerWinterträume in der kleinen Manufaktur am MeerHerzklopfen im kleinen Bonbonladen am MeerWintertee im kleinen Büchercafé am MeerFrühlingsgefühle im kleinen Bonbonladen am Meer

Eisglitzern über den Wellen – ein Traumwinterauf SyltDas »Meerglück« ist Claras ganzer Stolz: Gemeinsam mit ihrer Mutter führt sie die kleine Pension und den angrenzenden Laden. Doch um die Finanzen steht es schlecht – da helfen auch die Stammgäste rund um Weihnachten nicht. Trotzdem will Clara den Familienbetrieb auf keinen Fall verkaufen, denn für ihren Vater gab es nichts Schöneres, als Gäste in der Pension zu empfangen. Als Severin sich bei ihnen einbucht, spürt Clara sofort eine besondere Verbindung zu ihm, und die beiden kommen sich näher. Bis Clara in seinem Zimmer die Visitenkarte eines ihrer größten Konkurrenten entdeckt. Hat sie sich in Severin getäuscht?

Julia Rogasch

Winterträume in der kleinen Pension am Meer

Ein Sylt-Roman

Ullstein

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1

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Epilog

Danksagung

Leseprobe      Sommerliebe im kleinen Eisladen am Meer

Kapitel 1

Leseprobe: Winterträume in der kleinen Manufaktur am Meer

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

1

Die Holzdielen unter meinen Füßen knarzten, und jeder Schritt durch den Frühstücksraum unserer Pension Meerglück fühlte sich so vertraut an. Das zarte Flackern, mit dem das Winterlicht des eisklaren Morgens durch die Sprossenfenster fiel, vorbei an den knorrigen Ästen des Apfelbaumes im Garten. Der Duft des frischen Tees in der Mischung Wintertraum, die bei unseren Pensionsgästen besonders beliebt war und deren Zusammensetzung meine Mutter Alma und ich geheim hielten, so, wie es mein Vater bis zu seinem Tod getan hatte. Nur unsere Familie kannte sie. Die Atmosphäre hier mit all ihren Gerüchen, Geräuschen und Lichtern erzählte Geschichten von früher und von Heimat.

Ich atmete die Stille am Morgen, die hier herrschte, bevor die ersten Gäste sich am kleinen, aber ausgesuchten Buffet bedienen würden. Noch schlief die Welt und erwachte erst langsam, begleitet von milchigem Sonnenlicht hinter zarten Winterwolken. Noch warme Brötchen, die nach Urlaub und Genuss dufteten, standen neben hausgemachter Marmelade, einer Auswahl an Käse und Wurst sowie Joghurt, Quark und frischen Früchten. In dieser Zeit, in der es auf Weihnachten zuging, boten wir immer auch winterliche Köstlichkeiten an. Unser Angebot erstreckte sich von gebackenen Vanillewaffeln mit einem Hauch Zimt über Christstollen bis hin zu selbst gemachtem Spekulatius-Aufstrich. Heute waren es die frischen Waffeln, die den Morgen begleiten sollten und die ich bereits im herzförmigen Waffeleisen gebacken hatte. Ihr Duft zog mir in die Nase und umwehte mich mit einem Hauch von Weihnachtsgefühl, was mich zufrieden lächeln ließ. Für einen Moment blendete ich aus, dass die Stille vor allem deshalb so präsent war, weil wir leider kaum Gäste hatten.

Mein Lächeln wurde jäh gedämpft, als mein Blick auf meine Mutter Alma fiel, die soeben die Tür zum Laden aufgeschlossen hatte, der unserer Pension angeschlossen war und in den ich von hier aus schauen konnte. Ihre Haltung war geknickt. Die Schultern hingen, die Miene war ernst. Sie drehte das Schild an der Tür von »Wir sind morgen wieder für Sie da« auf »Her(t)zlich willkommen« um. Eine Anspielung auf unseren Nachnamen »Hertz«, mit der wir gerne die Kunden und Gäste begrüßten.

Meine Mutter, die sich um den Laden kümmerte, während ich den Betrieb in der Pension aufrechterhielt, wirkte heute wieder einmal besonders nachdenklich. Die Hand kurz zum Gruß gehoben, fast halbherzig, als die Besitzerin der benachbarten Galerie ebenso in ihr Geschäft ging. Der Blick meiner Mutter schaute wie an ihr vorbei, als hoffe sie, dass sie keine Unterhaltung suche, das Lächeln um die Lippen schien zerbrechlich. Obwohl ich versucht hatte, ihr nach dem Gespräch mit unserem Bankberater vom Vortag wieder Mut zuzusprechen, wusste ich, dass seine Worte in ihr arbeiteten.

»Frau Hertz, Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, Kaufangeboten gegenüber offen zu sein.« Unsere finanzielle Lage war schwierig, und eine Immobilie wie unsere, auf Sylt, der Urlaubsinsel der Schönen und Reichen, war ein Vermögen wert. Nur half uns dieses Vermögen nicht viel, wenn es in Stein und Reet verwandelt am Rand der Dünen stand, statt auf unserem Konto zu liegen.

Ich seufzte. »Wir schaffen das«, sagte ich zu mir selbst und straffte instinktiv die Schultern, atmete tief durch und schloss die Augen. Wir würden das Erbe meines Vaters weiterführen. Wir würden nicht verkaufen!

»Moin, Clara«, klang es in diesem Moment, und unser Stammgast Heide trat in den Raum.

»Heide, Moin«, begrüßte ich die ältere Dame, die beim Anblick des Frühstücks die Hände aneinanderlegte und freudig lächelte.

Heide, die zwar um ihr genaues Alter ein Geheimnis machte, von der ich aber wusste, dass ihr geliebter Mann vor zwanzig Jahren starb, als sie beide bereits ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert hatten, hatte immer etwas von einer Grande Dame, wenn sie auftrat. Schlohweißes Haar, dicht und perfekt frisiert, strahlend hellblaue Augen und jederzeit elegant gekleidet, machte sie immer etwas her und sah umwerfend aus. Sie verbrachte seit Jahren die Zeit vor Weihnachten hier bei uns auf Sylt. Wie ein Fels in der Brandung war sie immer da, so auch jetzt, während wir sonst aktuell so wenig Gäste in Empfang nehmen durften. Ich freute mich, dass sie dieses Jahr sogar über die Festtage blieb. So oft hatte sie in den letzten Jahren ihrem Ärger über ihre Kinder und Enkel bei uns Luft gemacht. Während Heide an Heiligabend und den Feiertagen meist allein zu Hause gewesen war und niemand auf die Idee gekommen war, sie zu sich einzuladen, hatte man sich zwischen den Jahren die Klinke in die Hand gegeben für schnelle Pflichtbesuche, denen die Wärme und Herzlichkeit fehlten. Allein zu sein war für Heide kein Problem. Das war es auch, was sie hier auf Sylt so genoss. Die Ruhe und Beschaulichkeit. Aber so sehr sie sich anfangs noch gefreut hatte, die Kinder zu sehen, war ihr irgendwann klar geworden, dass diese Besuche aus Berechnung und weniger aus echtem Interesse geschahen.

Mit einem schelmischen Glitzern ihrer jung gebliebenen Augen hatte sie uns deshalb erklärt, dass sie dieses Jahr erstmalig einfach nicht da sein würde.

»Da werden die lieben Erbschleicherlein aber ein langes Gesicht machen«, mutmaßte sie und lachte. »Hier fühle ich mich wohl, bin unter herzlichen Menschen. Warum soll ich mich also länger zu Hause rumärgern?«, hatte sie gesagt.

Und wir waren einfach froh, sie bei uns zu haben.

Jetzt drehte Heide sich strahlend einmal um die eigene Achse und schaute mich anerkennend an. »Was sieht das wieder fantastisch aus? Und wie es duftet! Ein Traum!«

»Das freut mich sehr, liebe Heide.« Mein Blick ging nach draußen, wo vor dem weißen Sprossenfenster zwar die Sonne schien, ich aber ahnte, dass der Wind, der durch die Spitzen der Kiefern rauschte und sie hin und her wogen ließ, eisig kalt war. »Ein heißer Tee gegen die Kälte draußen ist doch genau das Richtige, oder? Heute habe ich außerdem frische Waffeln gemacht. Und auch ein knuspriges Brötchen mit frischer Marmelade passt wunderbar dazu.«

»Hervorragend«, freute sich Heide. »Dafür liebe ich diesen Ort so sehr – weil ich es hier bei euch so gut habe. Da sollen mir die Mädels nicht immer wieder mit ihren Schönwetter-Sonneninseln kommen.« Sie winkte ab.

»Zum Glück! Ohne dich wäre der Winter hier nur halb so schön.«

Sie lachte leise. Ich wusste, dass Heides Freundinnen, ihre »Mädels«, die Winterzeit oft in südlichen Gefilden verbrachten, und staunte so manchen eisigen Winter, dass Heide das nie überzeugt hatte, auch eher die Wärme zu suchen.

»Na hör mal, schwitzen kann ich doch im Sommer! Im Winter muss es draußen eisig sein, damit man es sich nach einem langen Strandspaziergang so richtig gemütlich machen kann.«

Während ich zu dem Tisch ging, an dem Heide immer saß, um ihr den Stuhl zurechtzurücken, rieb ich mir theatralisch die Arme.

»Ach, gegen so ein wenig Wärme hätte ich auch nichts einzuwenden. Die Sonne ist ja wenigstens da, aber wirklich viel Kraft hat sie leider nicht mehr um diese Zeit hier im hohen Norden. Da erscheint mir der sonnige Süden schon verlockend, wenn ich ehrlich bin. Aber umso mehr freue ich mich, dass du so gerne bei uns bist, Heide.«

»Mein Mädchen«, sagte sie. »Ich bin in meinem Leben so viel gereist. Das reicht. Sylt ist mein zweites Zuhause, und was soll ich denn noch in der Weltgeschichte? Hier ist es schön, hier fühle ich mich wohl. Ein gutes Buch, ein heißer Tee, dazu ein nettes Pläuschchen. Außerdem die vertraute Umgebung, der Wind vor der Tür und ich in einem warmen Zimmer mit Aussicht auf ein kuscheliges Bett, das ich zu jeder mir angenehmen Zeit aufsuchen kann – das sind die Glücksmomente, wie ich sie mittlerweile zu schätzen weiß.«

»Ich wünschte, viel mehr Leute würden das Familiäre wieder schätzen. Diese Atmosphäre ganz ohne viel Schnickschnack. Das Kleine, Individuelle und Gemütliche. Wie ich finde die perfekte Umgebung, um diese besondere Zeit zu genießen«, stellte ich fest, während Heide Platz nahm. Ich machte eine ausschweifende Handbewegung durch den ansonsten leeren Raum. »Du siehst, hier ist, was die Anzahl der Gäste angeht, deutlich Luft nach oben. Das ist seit Monaten so. Nur unsere Weihnachts- und Jahreswechsel-Stammgäste halten uns treu die Stange. Zum Glück. Wir bauen auf die kommenden Tage, wenn hoffentlich die Insel noch voller wird und auch noch einige kurzfristige Buchungen hinzukommen. Leider hält sich die Nachfrage für das neue Jahr derzeit nämlich auch noch deutlich in Grenzen. Wir haben weniger Reservierungen denn je. Damit starten wir mit einer düsteren Perspektive in die nächste Zeit.«

Bedauernd presste Heide die Lippen aufeinander. »Ich wünsche dir und der lieben Alma so sehr, dass die Buchungen wieder anziehen, Clara. Und mir selbst wünsche ich es auch, wenn ich ehrlich bin. Nirgendwo ist es so schön wie bei euch.«

Sanft legte ich Heide die Hand auf die Schulter und strich ihr über die feine Seidenbluse. Normalerweise unterhielt ich mich nicht mit den Gästen über unsere wirtschaftliche Schieflage. Aber mit Heide war das etwas anderes. Sie war wie ein Familienmitglied für uns, und wir konnten der aufrichtigen Frau alles anvertrauen. Sie konnte sich ausrechnen, dass, so sehr wir unsere weihnachtlichen Stammgäste schätzten, das leider auf lange Sicht nicht ausreichte, um das Meerglück aufrechtzuerhalten.

»Danke, Heide. Jetzt aber erst mal ein leckeres Frühstück für dich. Soll ich dir vom Buffet alles so wie immer zusammenstellen?«, erkundigte ich mich betont munter, um die Stimmung wieder zu heben.

Heide nickte. »Bestens, herzlichen Dank.«

Dann widmete sie sich zufrieden ihrer Zeitung.

2

Den Vormittag über hatte ich mit verschiedenen Rechnungen und dem Schriftverkehr für die Pension gut zu tun. Auch wenn wenig los war, mangelte es nie an bürokratischen Arbeiten, die zu erledigen waren. Die Zeit rannte, und ehe ich michs versah, war es Mittag.

Unser LadenSchönerleimit handgefertigten Wohnaccessoires, der der Pension angeschlossen war, hatte über die Mittagszeit zwei Stunden geschlossen. Wir boten in unserer Pension aktuell nur das Frühstück an, weshalb die Zeit rund um die Mittagszeit auch für mich oft eine kleine Pause barg. Meistens verabredeten meine Mutter und ich uns, um eine Kleinigkeit zu essen und ein paar Meter zu gehen.

Mit meinem Jack-Russell-Mix Paul läutete ich heute die Mittagspause ein und betrat die Wohnküche, die meine Mutter und ich uns teilten. Ich wollte es mir dringend mit einer Tasse Tee gemütlich machen. Auf dem Herd köchelte eine würzig duftende Hackfleisch-Lauch-Suppe, die wir schon am Vorabend zubereitet hatten und die meine Mutter jetzt erwärmte.

»Hmm, ich habe den Eindruck, sie wird mit jeder Stunde besser, so köstlich duftet das«, schwärmte ich, und meine Mutter, die gerade den Holzlöffel zum Umrühren der dampfenden Köstlichkeit ansetzte, lächelte.

»Papas Lieblingsessen. Er hat das auch immer so ähnlich gesagt«, erklärte sie, und ich erkannte Wehmut in ihrem Blick. Sanft legte ich den Arm um sie, drückte sie an mich und lehnte meinen Kopf an ihre Schulter.

»Er sitzt in Gedanken mit uns am Tisch«, sagte ich und ließ den Blick ans Kopfende des Ecktisches wandern, dorthin, wo immer sein Platz gewesen war. Noch immer setzten meine Mutter und ich uns auf die Plätze neben seinem. Nie hatten wir das verändert. Wir bewahrten ihm seinen Platz in unserer Runde. So, wie er es sich immer gewünscht hatte, wenn wir zu seinen Lebzeiten manchmal darüber gesprochen hatten, wie es mal sein wird, wenn einer von uns nicht mehr bei uns sein konnte. Nie hatten wir das Thema von uns aus begonnen. Er war es gewesen, der kurz vor seinem Tod häufiger damit angefangen hatte, was mir heute wie der Hauch einer bitteren Vorahnung vorkam.

»Setz dich mal schon hin«, bat meine Mutter mich, und ich nahm Platz, als sie mir schon einen dampfenden Teller servierte. Dazu stellte sie einen Korb mit frischem Brot auf den Tisch und setzte sich zu mir.

»Guten Appetit«, wünschten wir uns zeitgleich und ließen uns die kräftig gewürzte, cremige Suppe auf der Zunge zergehen.

Auch wenn draußen die Sonne schien, zeigte uns das Klappern der Fensterläden deutlich, dass der Wind, der um unser Reetdachhaus zog, weiterhin scharf und eiskalt war.

»Bei diesem Wetter ist so eine heiße Suppe genau das Richtige«, stellte ich fest, und meine Mutter stimmte mir zu. »Wärmt Leib und Seele. Das tut immer gut.«

Nach dem Essen griff ich in die Schale mit Obst, die auf dem Küchentisch stand, um eine Mandarine zu essen. Der Duft, den ich unweigerlich mit der Weihnachtszeit verband, erfüllte schon nach wenigen Sekunden den Raum und betankte mich mit vorfreudigem Glück.

»Ich kann es kaum erwarten, dass Weihnachten wird«, erklärte ich und erntete einen verwunderten Blick meiner Mutter.

»Wie süß. Und das, obwohl diese Zeit auch immer mit viel Arbeit verbunden ist?«, hakte sie nach.

»Das stimmt. Das ist sie. Aber mit schöner Arbeit, wie ich finde. Es macht so viel Freude, unseren Gästen um Weihnachten herum hier eine gute Zeit zu bereiten. Ich finde, es ist eine große Ehre, wenn Familien oder einzelne Personen diese Tage, die doch immer etwas Magisches haben, hier bei uns und auf dieser doch winterlich schroffen, häufig recht unwirtlichen Insel erleben möchten.«

»Das hast du schön gesagt«, sagte meine Mutter und lächelte. »Und wenn wir ehrlich sind, tun sie alle auch uns immer gut, die Leute. So sind wir jederzeit gut beschäftigt und kommen weniger dazu, Papa und unsere gemeinsamen Weihnachtsfeste zu vermissen.«

Ich presste die Lippen aufeinander und spürte, wie mein Bauch krampfte bei den Worten, die so treffend zusammenfassten, was ich fühlte, wenn ich an Weihnachten dachte. Es stimmte, was meine Mutter sagte, denn ich empfand nicht nur Freude auf das Festliche und all das Drumherum. Es war die Aussicht darauf, die Gesellschaft unserer Gäste als Geschenk zu betrachten, das mir helfen würde, die dunklen, langen Tage des Winters rund um Weihnachten zu überstehen, ohne allzu traurig zu sein darüber, dass mein Papa uns in diesen Tagen besonders fehlte. Denn ich wusste, dass das erste Weihnachtsfest ohne meinen Papa emotional hart für uns werden würde.

»Es dürften nur ruhig noch ein paar mehr Leute sein, die sich hier einmieten«, stellte ich fest und hob die Augenbrauen. »Vor allem nach Weihnachten.«

»Ach, wo du es gerade sagst. Heute hat sich bei mir im Laden jemand nach einem Tipp für eine Unterkunft erkundigt. Ich habe ihm geraten, direkt bei dir vorbeizuschauen, und ihm gesagt, dass wir gerade noch freie Zimmer haben. War er da?«

Fragend hob ich die Schultern. »Nein, ich denke nicht. Jedenfalls habe ich ihn nicht getroffen.«

»Wie schade.« Ein verschmitztes Grinsen zuckte um die Lippen meiner Mutter. »Ich bin mir sicher, du könntest dich an ihn erinnern.« Geheimnisvoll hielt sie die Hand halb vor den Mund. »Er war genau dein Typ«, flüsterte sie.

»Ach, Mama!« Empört schüttelte ich den Kopf. »Ich brauche gerade nur dich und meinen Paul.« Lächelnd klopfte ich den Rücken meines Hundes, der vor mir unter dem Tisch saß und außerhalb seines Sichtbereiches eine kleine Leckerei vermutete. »Und unseren Laden und die Pension.«

»Ich weiß es ja, mein Schatz. Aber dennoch kann es mir doch auffallen, wenn jemand Interessantes ausgerechnet in den Laden stolpert und passenderweise nach einer Unterkunft sucht.«

»Selbstverständlich, Mama. Aber keine Sorge. Ich halte die Augen auf, und wenn ich jemandem begegne, der mein Interesse weckt, darfst du dir sicher sein, dass du es als Erste erfährst.«

»Das werde ich sowieso am Leuchten in deinen Augen erkennen.« Sie kicherte wie ein junges Mädchen, und ich freute mich über den Anblick meiner Mutter. So oft hatte ich sie in letzter Zeit traurig erlebt, vor allem, weil die Pension seit dem Spätsommer bis jetzt so schlecht ausgelastet und gebucht war.

Auch schon vorher hatte es einige schwierige Phasen gegeben, als meine Mutter festgestellt hatte, dass sie es in der Hauptsaison nicht mehr allein schaffte, sich um die Aufgaben in der Pension zu kümmern. Es war ihr körperlich alles zu viel geworden. Also hatten wir getauscht. Ich hatte das Putzen der Zimmer, das Bettenmachen und die Bewirtung der Gäste sowie die Organisation des Lagers übernommen, während sie sich um den Laden kümmerte. Es war ihr nicht leichtgefallen, sich das einzugestehen, doch ich war froh, dass ich sie mit der Betreuung des Ladens nicht ganz aufs Abstellgleis schicken musste. Schließlich war es der Laden, der uns derzeit über Wasser hielt. Er lief auch in der Nebensaison außergewöhnlich gut.

Nach den arbeitsreichen Sommermonaten war unser Lager beinahe leer und so hatten wir aus der Not der kaum ausgelasteten Pension eine Tugend gemacht und ich die freie Zeit genutzt, um in unserer kleinen Manufaktur neue Produkte zu fertigen, damit wir genug vorrätig hatten, wenn die trubeligeren Zeiten wieder losgingen.

Obwohl ich auch unsere Pension liebte und vor allem wusste, wie wichtig es meiner Mutter war, dass sie im Sinne meines Vaters fortgeführt wurde, war die Produktion in der Manufaktur das, wofür mein Herz schlug. Deshalb nutzte ich jede freie Stunde, um Kerzenständer und Windlichter aus Ton zu gestalten, die auf meiner Drehscheibe selbst gefertigte Keramik zu bemalen und zu brennen sowie Raumdüfte zu kreieren, die, ganz nach Wunsch der Kunden, Sylt-Flair verströmten oder einen Hauch von Weihnachten durch den Raum schickten. Vor allem die Raumdüfte waren es, die bei den Kunden jetzt in der kalten Jahreszeit besonders gut ankamen. Wir stellten immer eine aktuelle Kreation auch in unserem Laden auf, was nicht selten zum Kauf animierte und für zufriedene Stimmung sorgte. Die Kunden sagten manchmal, dass sie dieses Gefühl, das sie mit Sylt verbanden, mit dem Kauf der Düfte mit nach Hause nehmen konnten, was mich besonders freute.

Ich hatte mir darüber hinaus in den letzten Wochen noch etwas ganz Neues für unseren Laden überlegt. Ich fertigte eine eigene kleine Reihe an Schmuck und Lesezeichen aus Perlen und Muscheln an. Eine überschaubare Auswahl handgefertigter Ohrringe, Perlenarmbänder und Ringe, die wir im Kassenbereich unseres Ladens ausstellten und die bisher, trotz der wenigen Gäste auf der Insel und insbesondere in unseremMeerglückauch oder gerade im trüben Herbst, guten Absatz fanden.

Die Lesezeichen lagen außerdem in den örtlichen Buchhandlungen aus, wo sie als kleines Mitbringsel an der Kasse erworben werden konnten und damit als Werbung für unseren Laden dienten.

Zusätzlich bestand seit Kurzem eine Kooperation mit Cleo, die seit einiger Zeit als Hochzeitsplanerin auf der Insel arbeitete und nun regelmäßig eine höhere Stückzahl meiner Schmuckstücke abnahm, indem sie sie als Gastgeschenke für die Feiern, als Accessoire für Junggesellinnenabschiede oder sogar für den Brautschmuck bei ihren Kunden ins Spiel brachte.

Zu einer weiteren schönen Idee hatte Cleo mich inspiriert. Seit Neuestem boten wir Workshops an, in denen wahlweise Raumdüfte kreiert, Kerzen gegossen, Keramik bemalt oder eben Perlenarmbänder geknüpft werden konnten.

Auch das waren sehr beliebte Aktionen für Junggesellinnenabschiede, die immer häufiger aus viel mehr als Party, Alkohol und Strippern bestanden. Es ging darum, einen gemeinsamen Tag zu verbringen, gemeinsame Erinnerungen zu schaffen und diese gleichzeitig festzuhalten, um sie jederzeit wieder Revue passieren zu lassen.

Zusammen mit Cleo hatten wir außerdem ein neues Konzept entwickelt. Immer häufiger bekam sie auch Anfragen von Gruppen vom Festland, die hier ein ganzes Wochenende verbringen wollten. Wir boten also nun ein Gesamtpaket aus Workshop, Übernachtung und Verpflegung zu Vorteilspreisen an und stellten auf Wunsch auch kleine Geschenkkörbchen zusammen.

Ich seufzte. Ja, wir setzten sowohl im LadenSchönerleials auch in der Pension auf Individualität und Persönlichkeit, und tief in meinem Herzen glomm immer die Hoffnung, dass dieser Weg sich am Ende durchsetzen und wir dafür belohnt werden würden.

»Mir ist es einfach nur wichtig, mein Schatz, dass die Geschichte mit Hagen dich nicht für immer so sehr belastet, dass du einer neuen Liebe in deinem Leben keinen Platz mehr gibst. Das ist er nicht wert«, unterbrach meine Mutter meine Grübeleien. Ihr sanft liebevoller Blick traf mich, und ich legte meine Hand auf die meiner Mutter.

»Keine Sorge. Nur weil ich einmal von einem Mann bitter belogen und ausgenutzt wurde, habe ich nicht der gesamten Männerwelt abgeschworen. Das musste ich auch Papa damals versprechen.« Wir lachten leise, und ich dachte daran, wie ich, zurück mit zwei großen Koffern und leerem Konto im Elternhaus, meinem Vater auf genau dieser Bank hier in der Küche unter Tränen gestanden hatte, dass meine große Liebe sich als großer Flop herausgestellt hatte. Hagen hatte mich emotional und finanziell beinahe in den Ruin getrieben. Nicht nur mein eigenes Erspartes hatte ich durch ihn und seine Liebe aufs Spiel gesetzt und verloren, sondern auch das Geld, das meine Eltern mir für meinen Start in meinen Beruf mit auf den Weg gegeben hatten, war meiner Naivität und Verliebtheit zum Opfer gefallen. Doch meine Eltern hatten mich mit offenen Armen wieder zu Hause aufgenommen. Sie waren zu keiner Zeit vorwurfsvoll gewesen, sondern hatten mir bedingungslos Halt gegeben. Ohne meinen Vater, der mich, gemeinsam mit meiner Mutter, auffing und mir hier auf Sylt mit dem Einstieg in die Pension und dem Ausbau einer kleinen Wohnung in einem Teil meines Elternhauses wieder eine Perspektive geboten hatte, wäre ich heute längst nicht wieder so glücklich. Ich hatte weitergemacht, war mit meinem Hund Paul hier, in meiner alten Heimat, wieder angekommen und hatte einen Neustart gewagt, den ich bisher noch keinen Tag bereut hatte.

In diesem neuen Leben spielte nicht nur Hagen keine Rolle mehr, sondern bisher auch kein anderer Mann. Zu sehr lag mein Fokus nun auf der Pension, dem Laden und allem, was mein Vater uns hinterlassen hatte. Das alles gab mir Sicherheit, und nichts brauchte ich mehr, denn auch, wenn ich das vor meiner Mutter nicht zugab, fiel es mir seit Hagen schwer, einem Menschen wieder so zu vertrauen.

»Ich weiß, mein Schatz. Aber ich weiß auch, dass du, genau wie dein Vater, ein stiller Kämpfer bist.«

Irritiert hob ich die Augenbrauen. Konnte sie Gedanken lesen?

»Nun, ihr macht viel mit euch allein aus, seid oft so stark, wenn ihr längst schon um Hilfe fragen solltet. Ich sehe deine Grübelei. Und ich weiß, die Tränen weinst du nicht hier, bei mir, sondern im Stillen, wenn du wieder mal nicht schlafen kannst.« Meine Mutter hatte nun ihre warmen, weichen Hände um meine gelegt, und ich strich sanft mit den Daumen darüber, ohne ihr zu antworten.

»Aber ich bin da, mein Liebes. Immer. Denk nicht, dass du mich schonen musst. Dann hätte ich nie Mutter werden dürfen.« Sie lächelte.

»Es ist alles gut, wie es ist, Mama«, erwiderte ich, ohne einzugestehen, dass sie recht damit hatte, dass ich im Stillen weinte und vieles mit mir selbst ausmachen wollte, um sie zu schonen. »Paul reicht mir grad als Mann im Hause.«

»Verständlich. Er ist ja auch ein Schatz. Ein wundervoller Zuhörer, immer zum Kuscheln bereit und ohne jede Widerworte. Hüpft und freut sich kringelig, wenn ihr euch nach nur wenigen Minuten Abwesenheit wiederseht. Was wünscht frau sich mehr?« Wir lachten.

3

»Moin«, begrüßte ich am nächsten Morgen, kurz nachdem Heide den Frühstücksraum verlassen hatte, einen Mann, der eingetreten war. Noch bevor er antworten konnte, rannte Paul stürmisch schwanzwedelnd auf ihn zu, um sich Streicheleinheiten abzuholen– mit Erfolg. Der Mann ging in die Knie und kraulte Paul zwischen den Ohren. Ich musste schmunzeln. So verhielt sich mein kleiner Terrier selten. Aber jetzt genoss er in vollen Zügen.

»Moin«, erklang schließlich die Antwort, als der Gast sich aufrichtete. Der Koffer, der neben ihm stand, sprach dafür, dass er nach einer Unterkunft suchte.

»Da scheint jemand Sie aber direkt ins Herz geschlossen zu haben«, sagte ich lachend und deutete auf meinen Hund. »Normalerweise bleibt er ganz entspannt in seinem Körbchen liegen, egal wer hereinkommt.«

Der Mann erwiderte mein Lächeln und schaute mich an. Mein Blick blieb am Hellblau seiner Augen hängen, was sich auf außergewöhnliche Weise von seinem sonst eher dunklen Typ – den dunkelbraunen Haaren, den fast schwarzen Augenbrauen und Wimpern – abhob. Noch ehe er es aussprach, ahnte ich, dass er derjenige war, von dem meine Mutter gesprochen hatte. Tatsächlich war dieser Typ Mann rein optisch genau mein Fall, auch wenn ich diesen Gedanken derzeit denkbar weit von mir wies.

»Severin Westphal«, stellte er sich vor. »Ich freue mich.«

»Herzlich willkommen, Clara Hertz. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich war gestern im Laden nebenan bei Ihrer Mutter. Sie riet mir, mich in Sachen Zimmersuche doch einmal bei Ihnen zu melden. Für eine Nacht hatte ich ein Zimmer in einer Pension in Wenningstedt. Aber dort hat es mir längst nicht so gut gefallen wie hier. Daher wollte ich mein Glück versuchen und mich erkundigen, ob hier noch ein Bett für mich frei ist?«

Der sanft raue Klang seiner Stimme und dieser Blick aus seinen eisblauen Augen waren mir sofort sympathisch. Ich merkte, wie ich ihn eine Sekunde zu lange anschaute, ohne zu antworten. Schnell nickte ich deshalb. Wie mir selbst auffiel, viel zu energisch.

Geschäftig blätterte ich in unserem Buch, in dem wir die Reservierungen eintrugen. Dass das nicht die souveränste Idee war, wurde mir bewusst, als sein Blick über die leeren Spalten glitt.

»Sie dürfen sich das schönste Zimmer aussuchen. Gerne zeige ich sie Ihnen«, rettete ich die Situation, indem ich keinen Hehl daraus machte, dass wir noch ausreichend Kapazitäten hatten.

»Ich bin mir sicher, dass alle Zimmer hier ganz wunderbar sind«, behauptete er.

»Jedes auf seine Weise«, stimmte ich ihm zu, und das war nicht nur ein blöder Marketingspruch. Ich liebte jedes unserer Zimmer und fand, dass man sich darin absolut wohlfühlen konnte. »Wünschen Sie sich eher einen Blick in Richtung Meer im ersten Stock mit Balkon oder zum Garten hin mit eigener Terrasse?«

»Klingt beides charmant. Aber zu dieser Zeit gerne die Variante zum Wasser hin. Im Sommer komme ich dann auf das Erdgeschoss mit Terrasse zurück, wenn man sich länger als fünf Minuten sitzend draußen aufhalten kann.« Sein Lächeln war umwerfend, und ich ertappte mich dabei, wie ich mich freute, dass er bereits in Erwägung zog, wiederzukommen.

Schnell griff ich nach einem Schlüssel und deutete ihm an, mit mir zu kommen.

»Haben Sie denn schon gefrühstückt?«, fragte ich, während er mir die Treppe hinauf in den ersten Stock folgte. Paul sprang uns hinterher.

»Dem Duft nach zu urteilen, verpasse ich etwas, wenn ich jetzt Ja sage«, antwortete er.

»Es sind noch frische Brötchen da, und Kaffee setze ich direkt noch mal auf. Oder Tee. Ganz wie Sie es wünschen. Draußen verpassen Sie jedenfalls gerade wenig, wenn ich mir das Wetter so anschaue.« Durch das Fenster im Flur sahen wir, dass der Wind, mittlerweile begleitet von ergiebigem Regen, die Äste der Bäume bog. Klackernd wie Hagelkörner prasselten die Tropfen an die Fensterscheiben.

»Dann nehme ich das Angebot sehr gerne an.«

»Waren Sie schon öfter um diese Jahreszeit hier?«

»Nein, bisher noch zu keiner Zeit. Ich bin zum allerersten Mal auf Sylt, muss ich gestehen.« Mit einem vielsagenden Blick nach draußen fuhr er fort: »Ich hatte es mir hier im Winter so gemütlich vorgestellt.«

»Das ist es auch. Wenn man die richtige Unterkunft hat. Und die haben Sie ja nun.« Ich grinste. »Das Wetter wechselt hier so schnell. Das bleibt nie lange so. Machen Sie sich keine Sorgen. Und für Tipps gegen den Winter-Blues hier stehen meine Mutter und ich jederzeit zur Verfügung.«

»Okay. Ich nehme Sie beim Wort. Bestimmt komme ich darauf zurück.«

An der Zimmertür angekommen, schloss ich auf und bat ihn herein, bevor ich meinem Jack Russell ein Zeichen gab, Platz zu machen.

»Paul wartet selbstverständlich draußen«, erklärte ich, woraufhin er abwinkte.

»Ich liebe Hunde. Von mir aus kann er gerne mitkommen.«

»Okay, da hast du Glück, kleiner Mann«, sagte ich an Paul gewandt und löste das Kommando wieder auf, um ihn in den Raum zu lassen, bevor ich die Tür hinter uns wieder schloss.

Warmer Holzboden in heller Optik empfing uns im lichtdurchfluteten Raum, an dessen gegenüberliegender Seite eine große Glastür auf den Balkon führte, den wir im vorletzten Jahr angebaut hatten. Es war immer ein Wunsch meines Vaters gewesen, auch in den Zimmern im ersten Stock die Möglichkeit zu schaffen, Zeit im Freien zu verbringen, ohne die Gemütlichkeit der Pension verlassen zu müssen. Leider hatte er es nicht mehr selbst umsetzen können. Meine Mutter und ich hatten alles darangesetzt, das Bauvorhaben nach seinem Tod so schnell wie möglich wahr werden zu lassen.

Wir hatten uns für gläserne Brüstungen entschieden, die unauffällig in das Reetdach eingearbeitet waren, um weder das Bild des Hauses noch den Blick auf das Meer zu stören. Eindrucksvoll inmitten der Kampener Dünen gelegen, war uns das besonders wichtig gewesen. Zum Glück hatten wir damals noch nicht geahnt, vor welchen wirtschaftlichen Herausforderungen wir heute standen, sonst hätten wir das Geld für diese Investition wohl eher gespart.

»Ich öffne einmal die Tür, damit Sie einen Eindruck bekommen vom Rauschen des Meeres, das man von hier aus hören kann. Sie müssen nur am Plätschern des Regens vorbeihorchen.« Wir lachten.

Staunend trat er hinter mir her zur Balkontür und stand plötzlich ganz dicht neben mir.

»Wow!« Er lächelte. Das Rauschen klang von Westen her zu uns. Es war für mich beeindruckend und gleichzeitig beruhigend vertraut. Trotz des Regens und des schneidenden Windes, der uns auch hier unter dem Schutz des Reetdaches umwehte, war die Meeresstimmung hörbar.

»Wenn man sich den Regen ein wenig wegdenkt, ist es traumhaft«, erkannte ich.

»Das Wetter wechselt hier so schnell«, bemerkte er. »Das bleibt nie lange so. Machen Sie sich keine Sorgen.«

Wir mussten beide lachen, als er meine gut gemeinten Worte von eben wiederholte, denen man beim Anblick der dunkelgrauen Wolken und des wirklich unangenehm kalten Windes kaum Glauben schenken konnte.

»Versprochen«, fügte ich hinzu und nickte wie zur Bestätigung. »Trotzdem sperren wir die Kälte jetzt erst einmal wieder aus, würde ich vorschlagen. Sylt soll es sich mit Ihnen ja nicht direkt verscherzen.«

»Rundherum könnte es wettertechnisch ein wenig charmanter sein, ja. Aber das Meeresrauschen ist wirklich sensationell«, freute er sich und drehte sich um. Ein großes Bett stand an einem zweiten Fenster im Raum. Davor der Tisch und ein kleines Sofa, das, wie das Bett auch, den Blick auf einen Fernseher bot.

Ein Mini-Kühlschrank befand sich neben der Tür zum Bad mit Dusche. Auf dem Bett lag eine flauschige Daunendecke mit dickem Kissen, am Rückenteil waren zusätzliche Kissen drapiert. Das Bett stand so, dass man beim Aufwachen direkt den Ausblick vom Balkon genießen konnte. Alles war klein, aber modern, gepflegt und mit viel Liebe ausgestattet. Maritime Details, die wir teils selbst hergestellt, teils gekauft hatten, rundeten das Urlaubsgefühl ab, das schon allein durch den Blick aus den Fenstern entstand. Mein Highlight war der weiß gestrichene Rettungsring mit dem Schriftzug »Meerglück« darauf, der die Wand zierte.

»Sehr gemütlich das Zimmer. Ich bin begeistert. Da kann das Wetter noch so gruselig sein, hier kann man sich nur wohlfühlen. Wie Sie gesagt haben. Perfekt!«

»Das freut mich sehr. Wie lange werden Sie denn hier sein?«, fragte ich.

»Wenn Sie so lange Platz für mich haben, würde ich gerne die Festtage hier verbringen«, erklärte er, und ich staunte, schließlich waren es noch fast drei Wochen bis dahin.

»Das ist kein Problem.«

»Das nenne ich Glück. Meerglück sozusagen.« Er hob die Handflächen. »Dann lassen Sie uns doch alle Formalitäten klären, und ich ziehe ein.«

»Wunderbar.« Ich reichte ihm den Schlüssel. »Tragen Sie ganz entspannt Ihre Sachen rein, bringen alles schon aufs Zimmer und schauen Sie im Anschluss einfach noch mal bei mir vorbei, damit wir das mit der Kurkarte und den persönlichen Daten erledigen können.«

»Danke. So machen wir das. Ich hole mal alles aus meinem Auto. Kann ich den Wagen vor dem Haus stehen lassen?«

»Genau. Da sind einige Parkplätze, die zu uns gehören. Da können Sie parken. Und zum Frühstück: Darf es ein Kaffee sein?«

»Danke, sehr gerne.« Er griff nach dem Schlüssel, und als sich unsere Hände kurz berührten, trafen sich auch unsere Blicke. Ich erkannte Dankbarkeit in seinem und ein gewisses Interesse, das ich nachempfinden konnte. Ich bedauerte fast, dass wir uns nicht länger hier in seinem neuen Zuhause auf Zeit unterhielten. Ich hätte gerne noch mehr über den Mann erfahren. Andererseits war ich mir sicher, dass sich dazu in den nächsten Tagen noch Gelegenheit ergeben würde.

Ich lief, dicht gefolgt von Paul, die Treppe wieder hinunter und hörte, wie Severin mir hinterher und zur Tür hinausging.

Ich machte mich daran, Heides Tisch abzuräumen und im Frühstücksraum alles so vorzubereiten, dass die Gäste sich dort wieder wohlfühlen und an saubere, frisch gedeckte Tische zurückkehren konnten, auch wenn das, abgesehen von unserem neuen Gast, erst am nächsten Morgen wieder so weit war.

Paul rollte sich in seinem Körbchen unter dem Empfangs­tresen zu einem kleinen Schläfchen zusammen, während ich den Kaffee aufsetzte und den Großteil der verderblichen Lebensmittel aus dem Kühlbuffet bis zum nächsten Morgen wieder in den Kühlschrank packte. Für Severin Westphal hatte ich noch ein paar Brötchen stehen lassen und richtete eine Frühstücksplatte mit einer kleinen Auswahl unserer verschiedenen Sorten Aufschnitt her, die ich ihm frisch aus der Kühlung servieren würde, sobald wir alles andere erledigt hatten.

Ich schloss zufrieden die Küchentür hinter mir, gefolgt von einer Brise Kaffeeduft, und lief zu dem kleinen Empfangstresen neben der Eingangstür. Im Flur, der zum Frühstücksraum führte, hatte ich ein Bücherregal installiert, wo ich Bücher zum Mitnehmen, Tauschen oder direkt zum Lesen im Zimmer hineingestellt hatte. Momentan war es recht leer, ich müsste also mal wieder Ausschau nach gebrauchten Büchern halten, mit denen ich es aufstocken konnte. Es freute mich, dass das Angebot gut angenommen wurde. Wenn wir mehr Gäste hatten als jetzt, funktionierte das System fast von selbst. Bücher verschwanden und wurden durch neue ersetzt, die ausgelesen nicht mehr mit nach Hause transportiert werden sollten. Nicht selten profitierte auch ich davon, wenn interessante Titel auftauchten, die ich mir selbst zum Lesen herausnahm.

Außerdem hatten wir in einem kleinen Nebenraum eine Leseecke mit Kachelofen eingerichtet, wo es sich auch die Gäste gemütlich machen konnten. Hier lag ein Gästebuch aus, in dem sie uns und sich gegenseitig kleine persönliche Notizen zukommen lassen konnten und das auch rege genutzt wurde. Ich liebte dieses dicke alte Buch, das schon seit Jahrzehnten die Gedanken der Reisenden aufnahm und behielt. Es begleitete das Meerglück schon über Generationen hinweg. Mir fiel auf, dass es zugeklappt war, und ich schlug es wieder auf, damit es einladender wirkte. Dabei öffnete sich zunächst eine Seite, deren Datum weit zurücklag. Mit meinem Vater hatte ich früher häufig darin geblättert und in vergangenen Zeiten geschwelgt. Manchmal fand sich ein Gruß zum Abschied von der Insel, hin und wieder ein Foto oder auch Fragen oder Tipps von Gästen, auf die ein weiterer Gast reagiert hatte.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seit seinem Tod nicht mehr darin geblättert hatte. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, und doch spürte ich in diesem Moment, wie sehr mein Vater mir dabei fehlte. Und plötzlich war ich überzeugt, dass mein Unterbewusstsein mich vor dieser Situation geschützt hatte, bis ich innerlich bereit dafür war, mich den Erinnerungen zu stellen.

Mein Vater hatte oft kleine Geschichten zu den einzelnen Einträgen erzählen können, zu den Menschen und den Zeiten, in denen sie hier gewesen waren. Er war einer der kommunikativsten Menschen gewesen, die ich kannte, und wusste zu jedem seiner Gäste etwas zu berichten.

Mein Blick fiel auf eine Seite, auf die ich beim Blättern bisher noch nie gestoßen war. Ein Foto klebte darauf. Es zeigte eine junge, blonde Frau, die strahlend in die Kamera lächelte, während sie auf dem weißen Holzgeländer saß, das früher die Westerländer Promenade gesäumt hatte. Interessiert las ich die Widmung unter dem Foto:

Was für eine kurze, intensive Zeit, für die ich immer dankbar sein werde, und an die ich mich mein Leben lang erinnern werde. Für meine Liebe. Solange die Wellen uns tragen. Wohin auch immer. Und wenn wir uns hinter ihnen verstecken vor der Welt. Hier war ich sicher, nur nicht vor der Liebe. Fjella

»Wie schön und wie traurig zugleich. Was für ein seltener Name«, flüsterte ich und schlug das Buch auf der letzten beschriebenen Seite auf und legte einen Stift dazu. Ich wünschte, mein Vater könnte mir mehr über die Frau oder das Pärchen sagen, von denen diese Notiz erzählte. Ich überlegte, wie die Geschichte hinter der Widmung sein konnte, und stellte mir vor, dass diese Frau und ihr Liebhaber unserMeerglückals geheimen Liebesort genutzt hatten. Ein Schmunzeln zog über meine Lippen bei dem Gedanken, aus welch unterschiedlichen Gründen die Gäste unsere Pension schätzten.

Halb wehmütig, halb verzückt seufzte ich und trat in mein Büro, um dort auf Severin Westphal zu warten.

Ich ertappte mich dabei, wie ich einen Blick in den Spiegel warf, der neben der Tür hing. Ich schenkte meinem Spiegelbild ein Lächeln, weil es mir gefiel, wie zartrosa meine Wangen leuchteten und wie das Strahlen meiner Augen wirkte.

Während ich mich betrachtete, überlegte ich, ob mir das so auffiel, weil ich es so lange nicht in meinen Augen gesehen hatte, oder ob es anders war als sonst. Hatte die Erinnerung an meinen Vater mich so aufgebaut? Ich wusste es nicht. Es schien jedoch nicht nur mir aufzufallen, wie ich merkte, als sich ein Arm um meine Schulter legte und meine Mutter neben mir stand. »Du hübsche Frau. Du siehst so glücklich aus heute«, stellte sie fest und drückte ihren Kopf an meine Schulter. »Wie schön«, fügte sie hinzu.

»Danke, Mama.« Ich lächelte.

»Hast du kurz einen Blick auf die Ladentür? Ich hab meinen Tee in der Küche vergessen und will nur rasch die Kanne holen«, erklärte sie, und ich nickte.

Sie flitzte in die Küche und kam schon kurz darauf mit der Kanne Tee zurück.

»Niemand zu sehen«, erklärte ich und deutete in Richtung der Ladentür, als Severin Westphal die Treppe herunterkam.

»Oh, hallo«, freute sich meine Mutter und strahlte nun auch übers ganze Gesicht.

»Hallo. Wie Sie sehen, bin ich Ihrem Tipp gefolgt. Zum Glück.«

Dann schaute meine Mutter mich wieder an. »Perfekt. Es freut mich, dass es Ihnen hier gefällt. Aber wie könnte es auch nicht. Die Zimmer sind allesamt auf ihre Weise besonders.«

»Dem kann ich nur zustimmen, auch wenn ich bisher erst eins kenne.«

»Mama, da wird dein Typ verlangt«, sagte ich und zeigte zum Fenster hinaus, wo eine Dame auf die Ladentür zuging. Sie würde gleich niemanden im Laden entdecken.

»Oh, ich muss mich entschuldigen«, erklärte sie und schenkte mir ein vielsagendes Lächeln.

»Dann lassen Sie uns doch kurz den Schriftkram erledigen«, schlug ich an meinen Gast gewandt vor, und Severin Westphal nickte.

»Sie haben an Heiligabend Geburtstag?«, erkannte ich, als ich seine Daten aufnahm.

»Leider, ja. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber früher fand ich das ziemlich ätzend. Nie mal eine Feier nach dem eigenen Geschmack, immer die ganze Familie zu Hause, ob man darauf Lust hatte oder nicht.« Er rollte theatralisch mit den Augen. »Und die Kumpels hatten ja alle dasselbe Familien-Programm.« Nun zuckte er die Schultern.

»Dann wird das in diesem Jahr ja aber mal anders. Wenn ich das richtig verstanden habe, können Sie hier auf der Insel alles vollkommen nach Ihrem Geschmack gestalten, weil hier keinerlei Verpflichtungen auf Sie warten?«, überlegte ich.

Er hob wie als Zeichen der Zustimmung den Zeigefinger. »Das ist in diesem Jahr mein persönliches Geschenk an mich selbst. Und ich kann es vielleicht zum ersten Mal kaum erwarten, Geburtstag zu haben. Absolute Ruhe, ohne all den Feiertagsstress. Nichts ist so wie immer. Niemand weiß von diesem Datum. Außer Ihnen.« Er legte zum Scherz den Finger auf die Lippen, als Zeichen, dass ich das Geheimnis für mich behalten sollte. Ich erwiderte die Geste für verschlossene Lippen, und wir lachten.

»Wunderbar! Dann steht dem vollkommen anderen Heiligabend nichts mehr im Wege«, freute er sich.

Ich schaute ihn an und nickte, doch gleichzeitig dachte ich, wie sehr ich selbst mir wünschte, dass dieser Heiligabend so wäre wie immer. Dass ich mit meinen Eltern gemeinsam am kleinen Weihnachtsbaum sitzen könnte, wir Kartoffelsalat mit Würstchen essen und uns auf die nächsten gemeinsamen Tage freuen würden.

Jetzt, wo mein Vater nicht mehr lebte, würde Heiligabend nicht mehr dasselbe sein. Schon die Adventszeit hatte ein Stück ihrer Magie eingebüßt. Wir waren nicht mehr komplett, und auch, wenn er im Herzen immer bei uns sein würde, fehlte ein Stück zur perfekten Weihnachtsstimmung. Auch wenn ich Weihnachten noch immer liebte. Hier zehrte ich bis heute von warmen Erinnerungen. Unser letztes gemeinsames Weihnachtsfest war besonders schön gewesen, weil all unsere Stammgäste bei uns gewesen waren und wir wie eine große Familie gemeinsam gefeiert hatten. Es waren diese Abschiede, die man gar nicht als solche erkannte, wenn man einen Augenblick genoss. Dass dieser zum letzten Mal so stattfand, das ahnte man nicht. Aber während ich darüber traurig war, dachte ich gleichzeitig, dass es vielleicht gut war, dass man die meisten letzten Momente im Leben komplett ohne Randnotiz und Vorwarnung erlebte und sie nur so in vollen Zügen, ganz im Glück und ohne Wehmut genießen konnte.

Severin Westphal lachte.

»Ich zähle auf Sie.« Ein verschwörerisches Grinsen folgte, und ich war kurz irritiert. »Also auf Sie und Ihr Meerglück, wo ich vollkommen undercover ein Jahr älter werden kann, meine ich«, half er mir auf die Sprünge, nachdem ich gedanklich abgeschweift war.

»Ach so, keine Sorge, ich werde niemandem davon erzählen und auch nicht mit Wunderkerzen und Gesang aufwarten. Sie können diesem Tag uneingeschränkt mit Vorfreude entgegenblicken.«

Er atmete gespielt erleichtert auf. »Aber ich bin nicht nur deswegen hier. Ich will auch die Zeit bis dahin hier genießen und freue mich auf die winterliche Insel«, fuhr er fort.

»Die Insel hat definitiv auch zu dieser Zeit ihren ganz eigenen Charme. Und das sehe nicht nur ich so. Einige Gäste kommen sogar jedes Jahr nur für die Festtage und über den Jahreswechsel hierher.« Ich lächelte.

»Wohnen Sie auch hier direkt im Gebäude?«, erkundigte er sich, und ich nickte.

»Meine Mutter und ich bewohnen jede eine kleine Wohnung in dem Teil des Hauses, in dem auch die Pension liegt. Das Haus und die Pension sind schon seit Generationen mit dem Namen Hertz verbunden. Und vor vielen Jahren kam dann das Ladenlokal im Anbau dazu und vervollständigte unser kleines, aber feines Familienunternehmen.«

»Wie schön. Und den Laden schmeißt Ihre Mutter, während Sie hier die Pension verantworten?«

»Ja und nein. Im Moment haben wir es so aufgeteilt, weil es von der Arbeitsteilung so besser funktioniert. Seit dem Tod meines Vaters, der sich vorrangig um die Pension gekümmert hat, habe ich versucht, diese Lücke zu füllen und kümmere mich darum, dass hier alles läuft, während meine Mutter im Laden steht. Rein körperlich ist diese Aufteilung im Moment am sinnvollsten. Mein Herzensprojekt wird allerdings immer der Laden bleiben.«

»Toll, wenn eine Familie so am selben Strang zieht«, stellte er anerkennend fest. »Und es tut mir leid wegen Ihres Vaters. Das muss ein schwerer Schlag gewesen sein. Für das Unternehmen, aber besonders auch emotional für Sie persönlich.«

»Danke, ja, es ist noch immer nicht leicht. Aber man wächst mit solch einem Unternehmen auf, und es fühlt sich selbstverständlich an, dass man mit anpackt, wenn Not am Mann ist«, erklärte ich. »Trotzdem habe ich mir für eine Weile auf dem Festland die Hörner abgestoßen und neue Erfahrungen anderswo gesammelt.«

»Aber Sie sind offenbar wieder hierher zurückgekommen«, bemerkte er, und ich nickte. Fast ging mir unsere Unterhaltung zu weit, so vertraut sprachen wir miteinander. Dass ich wieder hier auf Sylt war, war schließlich nicht allein meinem Sinn fürs Familienerbe geschuldet und nicht nur aus Liebe zur Insel heraus entstanden, doch darüber würde ich mit diesem fremden Mann ganz sicher nicht sprechen. Deshalb versuchte ich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

»Sie sind ja privat hier, oder?« Ich hatte die Frage schon gestellt, da fiel mir ein, dass das in seinem Fall ja überhaupt keine Rolle spielte. »Entschuldigen Sie, das ist völlig egal. Sie bleiben ja eh länger.«

Kurz zögerte er, und ich meinte, es hinter seiner Stirn arbeiten zu sehen.

»Macht das einen Unterschied für meinen Aufenthalt, ob ich privat oder beruflich da bin?«, fragte er.

»Nur, was die Kurabgabe angeht.« Ich schaute ihn an. »Wenn Sie nicht länger als zwei Tage hier sind und das beruflich, dann zahlen Sie keine Kurabgabe. Es ist eine meiner Standardfragen, wenn die Leute einchecken.« Ich war ein wenig konfus und schob daher diese Entschuldigung hinterher.