Herzklopfen im kleinen Bonbonladen am Meer - Julia Rogasch - E-Book

Herzklopfen im kleinen Bonbonladen am Meer E-Book

Julia Rogasch

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Beschreibung

Seewind und Süßes – die Herzklopfsaison auf Sylt beginnt! Nach einer herben Enttäuschung wünscht sich Marla nichts sehnlicher, als auf ihrer Lieblingsinsel Sylt neu anzufangen – und dafür gibt es keinen besseren Ort als das Zuckerhüs! Der kleine Bonbonladen und seine Besitzerin wachsen Marla schnell ans Herz, und so geht sie der älteren Frau gerne zur Hand und kommt auch deren charmantem Enkel Peer immer näher. Doch dann erfährt Marla: Das Zuckerhüs soll verkauft werden. Peers Oma kann den Laden nicht mehr allein führen, und Peer selbst ist an Hamburg gebunden. Plötzlich steht alles auf dem Spiel – vor allem Marlas Herz … Für alle, die sich auf die Insel träumen wollen – Herzklopfen und Sand zwischen den Zehen inklusive! Ein romantisch-herzlicher Sommerroman voll atmosphärischer Sylt-Beschreibungen und traumhaft schöner Momente. 

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Herzklopfen im kleinen Bonbonladen am Meer

JULIA ROGASCH, geboren 1983, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Inspiriert vom Leben als Mama mit Job sowie ihrer großen Leidenschaft für Sylt und emotionale Romane, griff sie vor einigen Jahren ihren Kindheitstraum vom Schreiben wieder auf, und das erste Buch entstand. Es folgten weitere Sylt-Romane über die Liebe, das Glück, Schicksal, Familie und Freundschaft.

Nach einer herben Enttäuschung wünscht sich Marla nichts sehnlicher, als auf ihrer Lieblingsinsel Sylt neu anzufangen – und dafür gibt es keinen besseren Ort als das Zuckerhüs! Der kleine Bonbonladen und seine Besitzerin wachsen Marla schnell ans Herz, und so geht sie der älteren Frau gerne zur Hand und kommt auch deren charmantem Enkel Peer immer näher. Doch dann erfährt Marla: Das Zuckerhüs soll verkauft werden. Peers Oma kann den Laden nicht mehr allein führen, und Peer selbst ist an Hamburg gebunden. Plötzlich steht alles auf dem Spiel – vor allem Marlas Herz …

Julia Rogasch

Herzklopfen im kleinen Bonbonladen am Meer

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage April 2024© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Autorenfoto: © Privat

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ISBN978-3-8437-3135-5

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

Epilog

Dank

Leseprobe: Das kleine Haus in den Dünen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Meinen Herzensmenschen.Meinen wundervollen Leserinnen und Lesern.All denen, die an ihre Träume glauben.Dir, denn mein Traum lebt durch dich.

Prolog

Ein letzter Gang durch die Reihen weiß getünchter Regale meines geliebten Ladens. Er blieb heute geschlossen. Es war so leise. So ungewohnt still. Ich dachte an den Klang der zarten Türglocke, die jeden Besucher freundlich in Empfang nahm, und fühlte die Wärme des Sonnenlichts, welches den gesamten Vormittag über den Verkaufsraum so wunderbar leicht und hell in goldenes Licht tauchte. Meine Fingerspitzen wanderten über das weiche Holz des Verkaufstresens. Ein wehmütiger Blick durch die große Schaufensterfront, hin zum Café, wo man bereits erste Tische gedeckt hatte. Das so vertraute Bild des Kuchenlieferanten und der Blumenfrau, die morgens immer frische Waren lieferten und auf einen kleinen Klönschnack noch eine Tasse Espresso in der Sonne genossen, bevor es zum nächsten Kunden ging.

Manchmal war ich schnell hinübergelaufen, um auch einen frischen Strauß zu ergattern, den ich mir in den Laden stellte. Mein Blick fiel auf die Ecke des Tresens, wo sonst die Blumen standen. Die Cafébesitzerin hatte mir heute früh eine ihrer Tassen zum Abschied geschenkt, die nun den Platz der Blumenvase einnahm. Als Erinnerung daran, wie auch ich jeden Tag bei ihr meinen Kaffee genossen hatte, an unseren täglichen Plausch zwischendurch. Dann hatten wir uns schnell voneinander verabschiedet, bevor es zu sentimental wurde. Gerade sah ich sie, wie sie andere Stammkunden begrüßte, als ihr Blick in meine Richtung ging. Sie hob die Hand, zog die Mundwinkel nach unten und fächelte sich direkt symbolisch die Tränen weg. Ich tat es ihr gleich, und wir lächelten. Ihr Lächeln war bedauernd herzlich. Ich würde sie vermissen, hoffte, auf Sylt ebenso liebenswerten Menschen zu begegnen.

Mein Blick wanderte über die geschwungenen Holzregale an der Wand, wo bisher Kerzen und Vasen, Bücher und Geschenkartikel gestanden hatten, die ich dort liebevoll arrangiert hatte. Ich erinnerte mich daran, wie meine Mutter und ich die Bretter angebracht hatten. Wir hatten trotz kräftezehrender Arbeit so viel gelacht. Handwerklich waren wir topfit und schafften alles. Ich war so stolz. Mein erster eigener Laden. So viele erste Erfahrungen und besondere Begegnungen. So viele durchwachte Nächte, Arbeit und das unbezahlbare Gefühl, das zu tun, was ich liebte. Die Angebotstafeln trugen meine Handschrift.

Vom im Vintage-Look gebeizten Regal über die handgeschriebenen Schilder bis hin zu den Körben und Holzkisten für Ware, die ich immer wieder so gerne arrangiert hatte, übergab ich heute mit Herzklopfen mein bisheriges Lebenswerk an die neue Eigentümerin.

Ich seufzte, übermannt von meinen Emotionen, spürte aber gleichzeitig eine unbändige Vorfreude auf all das, was uns auf Sylt erwarten würde. Es würde sich lohnen, für unseren Traum das, was mir hier so sehr ans Herz gewachsen war, aufzugeben, um auf Sylt neu zu beginnen. Die Tür öffnete sich, das Glöckchen läutete, und das hoffnungsvoll nervöse Gesicht der neuen Eigentümerin und ihr Leuchten in den Augen bestätigten mir, dass ich das Richtige tat. Hier in meinen Spuren begann nun der Traum einer anderen Frau, während ich neue Wege ging.

Mich wunderte, dass mein Freund Johann noch immer nicht hier war. Eigentlich hatte er dabei sein wollen in diesem so bewegenden Moment, dem ersten Schritt in unsere neue Zukunft. Offenbar war irgendwas dazwischengekommen, denn ich erreichte ihn nicht.

1.

Das Licht an diesem Sommermorgen fiel zart flimmernd in das gemütliche Wohnzimmer der Wohnung meines Freundes im Hamburger Treppenviertel. Ich klappte den letzten Karton zu, schrieb groß »Erinnerungen« darauf und schob ihn zu den anderen. So viele Abschiede. Auch der von dieser wunderschönen Wohnung fiel mir nicht leicht. Die Schatten der Bäume neben dem Haus tanzten auf dem alten Parkett, welches knarzend jeden meiner Schritte beantwortete, als ich zum Balkon ging. Ich öffnete die Tür, und der leichte, cremefarbene Vorhang hob sich, vom Luftstoß erfasst. Die Vögel zwitscherten idyllisch, und die Blätter eines Ahorns wehten im Wind. Es sah aus, als winkten sie mir zum Abschied. Ich war unter der Woche selten um diese Zeit hier, weil ich sonst vormittags immer im Laden stand. Die sommerliche Atmosphäre der Ruhe mit diesem wunderschönen Ausblick über Blankenese täuschte eine freundliche Sorglosigkeit vor. Dabei ging es mir alles andere als gut. Denn all meine Gedanken drehten sich um die Frage, was mit Johann geschehen war. Auch zwei Tage nach der Übergabe meines Ladens, wo ich vergeblich auf ihn gewartet hatte, hatte ich nichts von ihm gehört. Dabei sollte es bald für uns losgehen nach Sylt.

Mein Puls raste, als ich zum gefühlt hundertsten Mal seine Nummer wählte.

»Derzeit bin ich leider nicht persönlich zu erreichen. Hinterlassen Sie gerne eine Nachricht, und ich melde mich. Danke.« Die fröhlich-lockere Ansage auf Johanns Anrufbeantworter machte mich wahnsinnig. Obwohl ich bereits zigmal aufs Band gesprochen hatte, hatte er nicht zurückgerufen. Mehrfach hatte ich ihm geschrieben. Die Nachrichten waren bei ihm angekommen, und er hatte sie gelesen. Eine Antwort kam nicht. Entweder hatte er kalte Füße bekommen und war untergetaucht, oder aber es war ihm etwas Schlimmes passiert.

»Johann, es reicht mir langsam«, wetterte ich mit zorniger Stimme nach dem Piepton auf das Band. »Ich fasse es nicht, dass du mich mit dem ganzen Stress jetzt hier einfach so allein lässt. Solltest du dich nicht heute noch bei mir melden, gehe ich davon aus, dass die Sache für dich eine Nummer zu groß war und du dich feige aus dem Staub machst. Wie widerlich dein Verhalten ist. Erst recht, wo du meine Geschichte kennst.« Schäumend vor Wut legte ich auf.

In den letzten Stunden hatte ich wie ferngesteuert weiterhin unseren Umzug vorbereitet, als liefe alles wie geplant. Ich stand völlig neben mir. Als wollte ich nicht wahrhaben, dass irgendwas gründlich schieflief. Vielleicht, weil ich nicht fassen konnte, dass auch mir das geschah, was ich Jahre zuvor aus nächster Nähe miterlebt hatte.

Auf meiner Suche nach einigen Unterlagen, die ich noch benötigte, war ich auf die Erinnerungskiste gestoßen, aus der ich ein Notizbuch herausgenommen hatte.

Mein lieber Schatz,

kleines Wunder,

ein Traum wird wahr: dein Papa, du und ich auf unserer Insel. Ich bin so voller Vorfreude und kann es kaum erwarten, die Augen deines Papas zu sehen, wenn er von dir erfährt. Die Nachricht von deiner Ankunft ist das schönste Geburtstagsgeschenk für mich. Wie schade, dass dein Papa nicht bei mir sein kann. Von dir muss er unbedingt persönlich erfahren. Und welcher Tag eignet sich besser als sein Geburtstag? Morgen werde ich es ihm erzählen.

Happy birthday to me! Wir feiern heute das Leben und die Liebe – nur wir zwei. Von nun an für immer zusammen, ich liebe dich unendlich, deine Mama.

Die Worte, die auf der ersten Seite des rosafarbenen Notizbuches standen, ließen sich mein Herz schmerzhaft zusammenziehen. Meine Mutter hatte am Tag, an dem sie von meiner Ankunft erfuhr, ein Tagebuch für mich begonnen. Der Eintrag am 31. August vor dreiunddreißig Jahren, ihrem Geburtstag, blieb der einzige in diesem Büchlein. Wenige Monate, bevor ich zur Welt kam und sie nach Sylt gehen wollten. Die Insel ihrer Träume, die Insel großen Kummers. Träume, denn sie lernte dort meinen Vater kennen, zu dem sie an die Nordsee ziehen wollte. Kummer, denn mein Vater tauchte einfach ab, verschwand, noch bevor wir eine Familie wurden. Doch obwohl das die Insel für immer mit einem dunklen Schleier aus Enttäuschung und Traurigkeit überschattete, verlor sie für uns nie ihren Zauber und ihre große Anziehungskraft.

Und jetzt? Jetzt war, auf dem Wege zu einem Leben auf Sylt, auch meine Planung zwischen großen Träumen und ratlosem Kummer in Seenot geraten, und mein Glück und all meine Herzenswünsche drohten über Bord zu gehen. Schiffbruch, so kurz vorm Ziel. Mein Traum vom eigenen Laden auf Sylt war so nah, da schien mein Freund es sich anders überlegt zu haben und ließ verzweifelte Ratlosigkeit bei mir zurück.

In dem unvollendeten Tagebuch lag auch ein Foto meiner Mutter. Ich strich sanft über das matte Papier. Es war unscharf, leicht vergilbt, aber dennoch so voller Glück. Der kugelrunde Babybauch, auf dem stolz ihre Hände ruhten.

»Ach, Mamilein. Du wunderschöner, starker Mensch«, flüsterte ich. Rund um mein Herz breitete sich eine große Wärme aus. Meine Mutter war auf dem Bild schon hochschwanger. Zu diesem Zeitpunkt längst verlassen worden von meinem Vater. Alleingelassen mit mir, dem winzig kleinen und gleichzeitig riesengroßen Abenteuer, welches sie stolz unter ihrem gebrochenen Herzen trug. Und dennoch strahlte sie, und aus dem Lächeln in ihren Augen sprühte so viel Vorfreude und Liebe. Eine hübsche junge Frau. Mit meisterlicher Würde verbarg sie hinter der strahlenden Fassade ihre geplatzten Träume von einem Leben auf Sylt mit ihrer großen Liebe, dem Vater ihres Wunschkindes. Sie verstand es, die von nun an für immer bleibende Enttäuschung darüber, dass mein Vater einfach gegangen war, hinter ihrem Lachen zu verstecken.

Er verschwand, ohne Erklärung, ob es ihm zu viel geworden war, der Gedanke an ein Kind ihm Angst machte, es jemand anderen gab in seinem Leben oder er sie einfach nie wirklich geliebt hatte. Er blieb für mich ohne Gesicht. Es gab keine Bilder. Das hatte meine Mutter so entschieden. Vielleicht war es besser so, leichter für meine Mutter, die es schwer genug hatte. Ohne Großeltern oder familiäre Unterstützung war sie rund um die Uhr gefordert gewesen.

»Du wohntest direkt unter meinem Herzen und hast alle Scherben eingesammelt, mein Schatz. Dann tat es mir weniger weh«, hatte sie oft gesagt, wenn ich sie fragte, wie sie all das ausgehalten und geschafft hatte. Dabei hatte sie dankbar gelächelt.

Schon vor meiner Geburt war klar, dass wir ein Team waren. Unzertrennlich, uns gegenseitig unerschütterlichen Halt gebend. Sie machte für mich weiter, ließ den Kopf nicht hängen. Und ich gab ihr die Kraft, weil sie wusste, wofür sie durchhielt und nicht aufgab. All das war lange her.

Gerade schwebte sie endlich wieder auf Wolke sieben, war verliebt wie ein Teenager. Sie bereiste mit ihrer neuen Liebe die Welt. Mit einem geliehenen Camper ging es per Fähre über die Meere bis ans andere Ende der Erde und zurück. Es war, als könne sie endlich dort anknüpfen, wo es kurz vor meiner Geburt vorbei gewesen war. Nur noch freier. Nicht mehr der Plan vom Leben auf dem Campingplatz auf Sylt war das Ziel, sondern die ganze Welt. Sie hatte den Menschen gefunden, mit dem sie ihren Lebensweg von nun an gemeinsam gehen wollte und der ähnliche Träume hatte. Sie wollten ihre Wohnung in Hamburg behalten und von dort aus die Welt bereisen. Erst ein paar Wochen waren sie zusammen. Ich hatte ihn noch nicht kennenlernen dürfen, weil sie seitdem ständig in der Weltgeschichte unterwegs waren. Sobald sie wieder in Deutschland waren, wollte sie uns einander vorstellen.

Das Verrückte war, dass sie diesem Mann ausgerechnet auf Sylt begegnet war. Die Insel, die wir so liebten und auf der wir etliche Urlaube verbracht hatten, hatte ihr doch noch das Glück geschenkt.

Ihre große Syltliebe hatte sie an mich weitergegeben. Und doch schien sich vor allem der Syltfluch gerade in meinem Leben fortzusetzen. Ich hatte meine Mutter, nachdem sie mit unserem Herzensort wieder so viel Positives verbinden durfte, damit überraschen wollen, dass mein Freund Johann und ich ihren Traum von damals in die Tat umsetzen und nach Sylt ziehen wollten. Es ging nur noch darum, vor Ort den Vertrag für unser kleines Lädchen mit angeschlossener Wohnung zu unterschreiben. Erst wenn alles sicher in trockenen Tüchern war, hatte ich ihr davon erzählen wollen. Nicht, dass irgendwas schiefging und bei ihr alte Wunden aufriss. Aber aktuell würde ich ihr nur von meinen Sorgen berichten können, die wie ihre eigenen vor dreiunddreißig Jahren klangen. Mein Freund war wie vom Erdboden verschluckt.

Ich schob das Notizbuch mit dem Foto in den Karton mit den Erinnerungen zurück und packte die Mappe mit Familien-Unterlagen und Dokumenten für unser Projekt ein. Jetzt hatte ich alles, was wir benötigten, zusammen. Fehlte nur noch mein Freund.

Ich griff erneut zum Handy, um seine Eltern und seine Freunde anzurufen. Erst hatte ich damit noch gewartet, aber jetzt wollte ich sie fragen, ob sie eine Ahnung hatten, was mit ihrem Sohn und Freund los war. Was, wenn ich ihm unrecht tat und er einen Unfall gehabt hatte?

Wenige Minuten später war ich jedoch genauso klug wie vorher, nur dass ich endgültig wütend war. Wenn es auch nur scherzhaft gemeint war, warfen sie mir indirekt vor, Johann zu sehr unter Druck gesetzt zu haben mit meinen Plänen für unseren »Kramsladen«, die vor allem seine Eltern sowieso nicht unterstützten. Als sie mutmaßten, er habe Panik bekommen, wie er das finanzielle Risiko auffangen sollte, falls unser Konzept schiefging, hatte ich die Gespräche beendet. Tränen der Enttäuschung rannen mir jetzt die Wangen hinunter, weil ich mir genau diese Gedanken auch schon gemacht hatte. Ohne es zu wissen, hatten sie den Finger genau in die Wunde gelegt.

Dabei hatte vor allem doch ich meine Existenz aufgegeben, um diesen Traum umzusetzen. Unseren gemeinsamen Traum. Auch wenn nicht allzu viel Geld dabei herumgekommen war, als ich meinen Laden verkaufte – es war ein allererstes Startkapital für eine Ladenmiete und -ausstattung. Auf Sylt würde das Ladenlokal nur gemietet sein. Mein bisheriges Geschäft hatte ich vom Erbe meiner Großeltern, von dem meine Mutter einen Teil für mich zurückgelegt hatte, angezahlt, den Rest finanziert. In der Region, am Rande von Hamburg, in einem der kleinen Vororte, wo auch die Wohnung meiner Mutter lag, war so was bezahlbar. Ich konnte gut davon leben und liebte die Arbeit darin.

Von einem Laden auf Sylt erhofften wir uns ebenso diese Freude und dabei noch viel mehr Erfolg. Es klang für uns fantastisch. Oder waren all das nur meine Träume, und ich hatte mich getäuscht, hatte nicht gesehen, dass es überhaupt kein »wir« gab? Hatte ich Johann mit meinen Wünschen überfahren und nicht bemerkt, wie wenig es die seinen waren?

Die Vorstellung, meinen Laden womöglich umsonst aufgegeben zu haben und nun ohne Perspektive dazustehen, schnürte mir beinahe die Luft ab.

Ich trat auf den Balkon von Johanns Wohnung, mit dem wundervollen Blick über Blankenese, und sog die laue Sommerluft tief ein. Für den Moment tat das gut, konnte mein Gedankenkarussell aber nicht stoppen. Mir ging durch den Kopf, dass Johanns derzeitiges Verhalten dazu passen würde, dass er so sehr darauf gedrängt hatte, seinen Job nicht zu kündigen. Als habe er sich insgeheim bis zuletzt diese Hintertür offen gehalten, um jetzt dadurch zu verschwinden.

Er hatte mir das nur ganz anders verkauft. Er wollte seinen Beruf in der ersten Zeit als Back-up behalten, falls unser Vorhaben floppte. Also hatten wir vereinbart, dass ich zunächst im Laden stehen würde, während er weiterhin seine Termine absolvierte und parallel den Aufbau des Ladens unterstützte, wann immer ich ihn brauchte. Unsere finanzielle Sicherheit für die ersten Monate, bis alles anlaufen würde, wäre damit gewährleistet, schließlich verdiente Johann in seinem Job als Projektberater für Inneneinrichtung gut. Weil sein Gebiet sich auf Schleswig-Holstein beschränkte, waren all seine Kunden auch von der Insel aus erreichbar. Ich fand das vorausschauend und umsichtig von ihm. Schätzte seine Weitsicht. Jeder brachte seinen Anteil mit ein. Wir waren schließlich ein Team. Auch wenn ich finanziell längst nicht so viel beisteuern konnte, so würde ich zu jeder Zeit all meine Arbeitskraft und mein Herzblut in unseren Traum stecken.

Der Plan, dass ich alles ganz allein startete, war jedoch zu keiner Zeit eine Option gewesen. Weder emotional noch finanziell. Mein Magen krampfte zusammen.

Ich griff nach meiner Sonnenbrille, die meine vom Weinen roten Augen verstecken sollte, steckte mein Handy ein und verließ die Wohnung. Ich musste raus ans Wasser. Laufen, den Kopf freibekommen und überlegen, was ich nun tun würde. Ein Weg an der sonnigen Elbe tat mir immer gut. Sommer-Sonnengefühle, die wieder Leichtigkeit in mein Herz zaubern würden. Darauf hoffte ich auch jetzt.

Mit schnellen Schritten ging ich die Treppenstufen hinunter Richtung Elbstrand. Malerisch lagen die einzigartigen Häuser am Hang, wie eingelassen in ihren Standort. Als gehörten sie ganz genau an dieses Fleckchen Erde. Jede Schräge, jede Tür war auf die unebene Basis angepasst, die die Häuser hier im Hamburger Treppenviertel hatten. Johann hatte großes Glück, hier eine Wohnung bewohnen zu dürfen, die seiner Familie gehörte. Nach unserem Auszug wollten seine Eltern sie vermieten, aber vielleicht fiel ihm der Abschied von hier plötzlich doch zu schwer.

Man lebte hier beinahe dörflich und dennoch nah an der großen Stadt. Hügelig, mit einem fantastischen Blick, dabei nah am Wasser, wo wuchtige Elbkähne mit dröhnenden Sirenen entlangschipperten und maritimes Flair und den Duft nach der weiten Welt mit sich brachten. So schnupperte auch meine Mutter, wann immer sie uns besuchte, die Luft von Abenteuer und Ferne. Die Wohnung, in der sie lebte, war nicht weit entfernt, und wir sahen uns oft.

Ich dachte an ein Lied, das davon erzählte, dass jemand die Papiere, ein wenig Geld und sonst nicht viel bei sich hatte und darüber nachdachte, einfach wegzugehen an einen anderen Ort. Irgendwohin, wo es schön war und die Sorgen weit weg. Womöglich hatte mein Freund dies umgesetzt. Wo auch immer er nun war.

Doch wo würde ich hingehen? Blankenese liebte ich. Nichts aber kam für mich an den Ort heran, der mein Herzensort war. Meine Lieblingsinsel Sylt. Umgeben vom einerseits stürmischen und andererseits beruhigend sanften Meer, zwischen Stränden voller Natur, Weite und Ursprünglichkeit, empfing Sylt mich, seit ich denken konnte, mit einer rauen Herzlichkeit, die unvergleichlich war. Das ruhige Watt mit seiner Stille, die einen wie eine heile Welt aus dem Bilderbuch umarmte. Die bewegte Seite zur offenen See, die auch mal aufbrausende Wellen und tosenden Wind mit sich brachte, sich aber dennoch nicht weniger malerisch präsentierte als die Wattseite.

Hier waren die Träume entstanden, in denen meine Mutter sich ihr Leben ausgemalt hatte. Und trotz der Enttäuschung über die Trennung von meinem Vater, die auch ich stets gespürt hatte, wenn wir da gewesen waren, hatte auch mein Herz dort ein Zuhause gefunden. Hier war ich als Kind barfuß am Strand gelaufen und hatte Muscheln und Seeglas gesammelt. Ich hatte Krebse in die Hand genommen, Quallen gerettet und wieder ins Meer geworfen. Ehrfürchtig hatte ich mit meiner Mutter den Kutterfahrten mit Fang beigewohnt und mich zwischen Schaudern und Faszination ob der gefangenen Meeresbewohner, vom Seestern über die Garnele bis hin zum riesigen Krebs, an sie gekuschelt. Ihr im Wind flatterndes, buntes Cape über uns beide gelegt, fühlte ich mich geborgen. Gestrandete Robben hatte ich immer nur von Weitem beobachtet, um sie bloß nicht zu verängstigen oder ihre Muttertiere auf Abstand zu halten.

Ich war am Abend im leichten Sommerkleid vom obersten Punkt der Holztreppe bis hin zum Meeresrand gerannt, als könne ich die untergehende Sonne im letzten Moment noch einfangen und umarmen. Meine Mutter kam lächelnd hinterher, setzte sich in einen der Strandkörbe mit Blick aufs Meer, und wir genossen das leckerste Picknick, das ich mir vorstellen konnte. Und das, obwohl es aus trockenen Brötchen und Saft bestand. Aneinandergekuschelt und stark, beide ergriffen von der Schönheit am Himmel über der Nordsee.

Am Ufer der Elbe angekommen, wo auch ein kleiner Strand lag, atmete ich durch. Einige Hundert Meter entfernt sah ich ein Schiff. Aus der Ferne hörte ich das Hupen eines mächtigen Signalhorns. Ein Geräusch, das für mich Heimat bedeutete und doch so viele Geschichten von der weiten Welt erzählte, nach der auch meine Mutter sich so sehnte. Ich sah uns am Wasser sitzen und träumen.

Ich blieb einen Moment lang stehen, schaute dem Schiff zu, wie es immer größer zu werden schien, je näher es kam, und ließ den Blick schweifen über die glitzernde Wasseroberfläche, auf der die Sonnenstrahlen wie Tausende kleiner Funkelkristalle tanzten. Es sah aus, als seien Sonnenspäne vom Himmel in den Fluss gerieselt. Sie tauchten ihn in goldfarben schimmerndes Licht.

Sand unter den Füßen und einen leichten Wind im Haar, für mich so wertvolle Gefühle, die ich an Sylt so schätzte, die fand ich auch hier. Etliche Spaziergänger waren unterwegs und genossen wie ich dieses Kleinod in der Nähe der trubeligen Großstadt. Obwohl es sehr warm war und überall Leute auf Handtüchern in der Sonne lagen, war hier niemand im Wasser. Das war an dieser Stelle aufgrund der immensen Strömungen, die der rege Schiffsverkehr noch verstärkte, zu gefährlich.

Aber allein schon am Wasser zu sein und den Blick, die Luft und die Weite zu genießen tat gut.

Ich dachte an die Abende im Sommer, an denen Johann und ich abends noch die Terrassen der Restaurants hier an der Straße am Elbstrand besuchten und uns für anstrengende Arbeitstage gerne mit einem leckeren Essen belohnten.

Wut kroch erneut in mir hoch, gemischt mit unsicherer Sorge, dass ihm doch etwas passiert war. Wahrscheinlicher aber schien mir mittlerweile, er wollte wirklich untertauchen und sich still und leise aus dem Staub machen. So, wie manche Menschen es taten, wenn etwas ernst wurde. Mein Herz krampfte zusammen, weil ich wieder an meinen Vater denken musste.

Sosehr ich meine Mutter gerade brauchte, weil sie es war, die sich am besten in mich hineinversetzen könnte, so ungern wollte ich sie anrufen. Noch wollte ich an das Wunder glauben, sie bald mit einem Leben auf Sylt zu überraschen.

Ich fühlte mich hilflos und wusste nicht, was ich tun sollte, um herauszufinden, was los war. Zu Hause war er jetzt länger nicht mehr gewesen. Während ich alles gepackt hatte, stand von ihm noch etliches umher, was längst in Kartons hätte sein sollen. Ich fragte mich, wo er war. Er musste ja auch irgendwo schlafen. Er hatte keine Tasche dabei, seine Kosmetik stand im Bad seiner Wohnung. Er hatte sich eigentlich Urlaub genommen, weil wir diesen für den Umzug brauchten. Ein mulmiges Gefühl kroch drückend in mir hoch.

In wenigen Tagen hatten wir den Termin für den Mietvertrag auf Sylt. Der Makler hatte uns bereits alles geschickt, und die Tickets für den Autozug waren schon gebucht.

Alles in mir sträubte sich gegen den Gedanken, dass unser Plan nicht wahr werden sollte. Hatte Johann etwa wirklich kurz vor der Ziellinie Angst bekommen und sich umentschieden? Aber warum war er nicht ehrlich zu mir? Wie konnte er mir das antun, nachdem ich so viel für diesen Traum aufgegeben hatte? All meine Ersparnisse der letzten Jahre und das, was nach dem Verkauf und der Ablöse bei der Bank für mich übrig geblieben war, wollte ich in den Laden auf Sylt stecken. Nachts war ich seit seinem Verschwinden in die Wohnung meiner Mutter gezogen. Es hatte mich erdrückt, allein in seiner Wohnung zu warten. Die Wohnung, die meine Mutter von ihren Eltern nach dem Tod meiner Oma geerbt hatte, war schon immer so etwas wie der Fels in der Brandung für sie und auch für mich. Ich hatte meine Großeltern gar nicht mehr kennengelernt und mir immer so sehr eine Oma gewünscht. Die Wohnung verband ich mit ihnen. Womöglich würde ich hier nun wieder auf Dauer einziehen und mich auf Jobsuche begeben können. Nur gab es da ja nun auch diesen Mann, mit dem meine Mutter sie jetzt nutzen wollte. Panik kroch in mir hoch, und alles drehte sich.

Kurzerhand legte ich mich mit dem Blick in den Himmel in den Sand. Wolken flogen vorbei, zeichneten Bilder, die sich immer wieder veränderten. Die Formationen beruhigten mich. Es fühlte sich ein bisschen an wie zu schweben. Schon als Kind hatte ich mich in den Sand gelegt und zum Himmel geschaut. Der Wind ließ es wirken, als fliege man durch die Wolken, dabei waren sie es, die sich am Himmel bewegten, und man selbst war in Wirklichkeit geerdeter denn je. Manchmal erkannte ich Figuren im Wolkenspiel, Herzen und Tiere, Fabelwesen und Formen. Vor allem auf Sylt machte das Spaß, denn dort beschleunigte der Wind den Flug der Fantasiegebilde am Himmel noch mehr.

Ich setzte mich wieder auf und rief meine Freundin Insa an. Sie lebte auf Sylt und betrieb dort einen Haus-Service. Ihr Unternehmen hatte sich darauf spezialisiert, die Sylt-Aufenthalte ihrer zumeist wohlhabenden Klienten so angenehm wie möglich zu gestalten. Vom Füllen des Kühlschranks vor Anreise oder der Entgegennahme des bereits vorab gesendeten Gepäcks, über Reservierungen vor Ort bis hin zu regelmäßigen Kontrollen des Anwesens, wenn gerade niemand da war, bot sie jeglichen Service. Insas Kunden konnten sich sicher sein, dass bei der Ankunft bereits ein duftender Strauß ihrer Lieblingsblumen auf dem Tisch stand und auch der Termin mit dem Personal Trainer am nächsten Morgen längst gebucht war. Insa hatte stets ein waches Auge auf die Refugien ihrer Auftraggeber und sorgte für ein wenig Leben in den Häusern, schaute nach dem Rechten oder koordinierte Handwerker- und Gärtnerarbeiten. Ich ging so weit, zu behaupten, dass Insa für einige Menschen, die ein Anwesen auf Sylt besaßen, eine der wichtigsten Personen der Insel war. Und sie ging voll in ihrem Job auf und liebte ihre Arbeit.

Dass ich bald immer in ihrer Nähe sein sollte, war auch für mich eins der größten Geschenke, die unsere Entscheidung für einen Umzug nach Sylt mit sich gebracht hatte.

»Moin, Marla! Wie geht es dir? Hat sich dein Liebster nun endlich wieder gemeldet? Wolltet ihr nicht schon übermorgen hier sein?«

»Hey, Insa«, begrüßte ich sie müde. »Ja, eigentlich hatten wir das vor.«

»Er hat sich nicht gemeldet?«, kam es entsetzt. »Noch immer nicht?« Nun überschlug sich Insas Stimme beinahe.

»Noch immer nicht, leider.«

»Ist ihm was passiert?«

»Ich denke nicht. Bei mir hat niemand angerufen. Und seine Mutter hat auch keine Idee, was los sein könnte, und macht nur mir Vorwürfe. Außerdem liest er seine Nachrichten – er antwortet nur nicht.«

»Ach, Mensch, Liebes! Entweder, es gibt irgendeine Erklärung für Johanns Verschwinden, und er taucht wieder auf, oder eure Pläne fallen ins Wasser. Und wenn das seine Art ist, das einzuleiten, sorry, aber dann lohnt sich keine einzige Träne für ihn.«

Ich seufzte und murmelte irgendwas zwischen Zustimmung und Verzweiflung.

»Aber eigentlich gibt es nur eine Lösung: Pack deine Koffer, komm nach Sylt und schau, was passiert. Was hast du zu verlieren?«

»Viel hält mich hier in Hamburg gerade nicht, das stimmt«, sagte ich.

»Du hast den Vorteil, dass deine weltallerbeste Freundin vor Ort ist und dir schon jetzt verspricht, dass sie immer ein Bett für dich freihält!«

»Danke, Insa! Das weiß ich sehr zu schätzen.« Ich seufzte. »Aber wo soll ich langfristig wohnen und arbeiten? Ich muss ja schauen, dass ich mich von dem Geld für meinen Laden dann erst mal über Wasser halte. Du weißt selbst, dass in erster Linie Johanns Geld und sein regelmäßiges Einkommen unsere Sicherheit waren. Ich hab vor allem meine ganze Arbeitskraft investieren wollen. Bezahlbarer Wohnraum auf Sylt ist schwer zu finden. Was, wenn Johann echt verschollen bleibt? Was soll ich dann auf Sylt starten? Ich hab einfach Angst, dass der Degener-Fluch sich gerade fortsetzt. Erst das Drama mit meiner Mama und meinem abtrünnigen Dad. Nun Johanns Verschwinden. Vielleicht sollten wir Degeners uns Sylt einfach aus dem Kopf schlagen – jedenfalls als festen Wohnort.«

»Liebes, nun mal nicht so schwarzmalerisch, bitte. Außerdem ist das ja nur die halbe Wahrheit. Sagtest du nicht, die neue Liebe deiner Mutter, die für mich eher wie die ganz große Liebe klingt, hat sie auf Sylt getroffen? Könnte es nicht auch sein, dass sich das für dich wiederholt, und auch du findest deinen Mr Right hier oben?«

Ich lachte matt. »Du Träumerin.«

»Nee, ganz ehrlich! Warum nicht? Worauf wartest du? Darauf, dass dein Freund wieder einen klaren Kopf bekommt? Sorry, ja! Aber dann kann er sich direkt ins Auto setzen und hinterherkommen. Seine Aktion ist schon bis hierher an Dreistigkeit kaum zu überbieten, wie ich finde. Kalte Füße zu bekommen und seine Meinung zu ändern ist keine Schande. Man kann über alles reden. Aber einfach zu verschwinden und sich nicht mehr zu melden, das geht einfach gar nicht! Soll er doch sehen, wo er bleibt, wenn du hier deinen Traum lebst und am Ende sogar hier auf Mr Right triffst. Er hatte seine Chance.«

»Insa«, sagte ich matt lachend. »Mein Traum ist es aber nicht, mutterseelenallein einen Neustart auf Sylt zu wagen. Mr Right hin oder her. Angenommen, ich unterzeichne den Mietvertrag wie geplant. Dann stehe ich mit meinen Kosten und all der Verantwortung allein da. Das packe ich nicht, Insa!«

»Was willst du in Hamburg ohne Job mit ’nem Freund, der untergetaucht ist, immer vor Augen, dass du deinen ersten großen Traum gerade aufgegeben hast, nur um am nächsten zu scheitern? Dann doch lieber hier bei mir sein, und wir suchen hier dein Glück. Es wäre doch gelacht, wenn du deine Zukunft von den Launen deines Freundes abhängig machen würdest. Das hat er offenbar nicht verdient.«

»Du hast recht.« Mit einem Mal verwandelten Insas Worte meine Verzweiflung in eine unbändige Energie. »Ich komme zu dir.« Mein Herz pochte aufgeregt.

Insa jubelte. »Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen!« Sie lachte.

Als wir aufgelegt hatten, wuchs meine Nervosität sekündlich, aber endlich hatte ich wieder Auftrieb. Ich wusste, was zu tun war. Das Zimmer, welches ich mit Johann rund um den Termin bewohnen wollte, würde ich absagen. Das Geld konnte ich mir sparen. Solange ich nicht wusste, wie es weiterging, musste ich haushalten mit meinen Talern. Zunächst konnte ich bei Insa wohnen. Sollte Johann doch auftauchen, würden wir spontan noch eine Pension suchen. Ich rief im Hotel an. Auch wenn es Johann war, der im Zweifel dafür die Rechnung erhalten würde, dass wir nicht angereist waren, erschien es mir nur fair dem Hotel gegenüber. 

Der Anruf endete allerdings mit einem weiteren Schlag in die Magengrube und einer Peinlichkeit für mich: Johann hatte nämlich gar keine Übernachtung auf unsere Namen gebucht. Ich war entsetzt über diese Information, und in meinem Kopf fügte sich ein hässliches Puzzle zu einem immer vollständigeren, scheußlichen Bild. Offenbar hatte er sein Abtauchen längst geplant. Umso richtiger fühlte es sich an, jetzt zu Insa zu fahren.

Meine Koffer waren schnell gepackt. Das, was ich direkt zu Beginn mitnehmen wollte, hatte ich ja bereits weitestgehend zusammengestellt. Weil für die nächsten Wochen sommerliches Wetter angesagt war, verzichtete ich auf dicke Jacken und Wollpullover. Einzig zwei Capes, die ich mir abends überwerfen könnte, sowie eine dünne Daunenjacke hatte ich dabei.

Der Rest war sowieso schon in Kartons und Kisten verpackt, bereit zur Abholung in wenigen Wochen. Alle Möbel, die wir nicht mitnehmen würden, wollten wir für einen guten Zweck spenden. Das waren die meisten. Eine Abholung durch eine Wohltätigkeitsorganisation war längst vereinbart. Zu dem Termin wollten Johanns Eltern anwesend sein und für uns die Übergabe machen.

Ich blickte mich in der Wohnung um, aus der wir in den nächsten Tagen gemeinsam hatten ausziehen wollen. Noch immer konnte ich es kaum fassen, dass ich nun schon jetzt und allein Abschied nehmen würde. Alle Unterlagen, die wir für den Termin mit dem Makler vor Ort benötigten, hatte ich bereits in meine Tasche gepackt. Dann schaute ich noch einmal durch die Räume. Tatsächlich sah es nicht danach aus, als wollten wir ausziehen. Vielmehr wirkte es, als ob nur ich hier alles vorbereitet hatte, um die Wohnung zu verlassen. Fast wie bei einer Trennung, bei der der eine Part seine Sachen packte und ging. Von Johann stand noch so viel an dem Platz, wo es immer schon gestanden hatte. War das, was ich da gerade realisierte, das, was nun passierte? Johann blieb hier, ich ging?

Ich seufzte, zog den Reißverschluss des Koffers zu und trug ihn zur Wohnungstür.

Ein Blick aufs Handy zeigte weiterhin keinen Anruf oder eine Nachricht von Johann. Ernüchtert zog ich die Tür mit dem Schloss, das ich durch meinen Fingerabdruck hatte öffnen können, hinter mir zu, ging zum Auto und verstaute mein Gepäck im Kofferraum. Ich schaute an der Fassade des weißen Hauses empor, blickte über die malerischen Gebäude, die sich teilweise wie Puppenhäuser in die Umgebung schmiegten, stieg ins Auto und fuhr los. Irgendwas fühlte sich heute anders an, als ich die Straße entlangfuhr. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber dieser Schritt, vielleicht ein erster kleiner Abschied von unseren Plänen, kam mir vor, als sei ich danach ein wenig leichter. Wie befreit von der Schwere, die mich während der letzten Tage des Wartens auf Johann erdrückt hatte.

Auf der Fahrt rief meine Mutter an. Sie sprudelte nur so über vor lauter Fröhlichkeit bei ihren Erzählungen über ihre Urlaubsreise. Ich freute mich für sie. Viele Jahre hatte sie keinen neuen Partner gefunden. Immer mal hatte es jemanden gegeben, nie jedoch klang es so wie jetzt. Sie war bis über beide Ohren verliebt. Ich war wirklich gespannt, den Mann bald auch einmal kennenzulernen. Es war besonders, was diese Liebe mit meiner Mutter machte.

Ich selbst verschwieg weiterhin, wohin ich unterwegs war. Da meine Mutter allerdings auch schon wieder auf dem Sprung war, fiel ihr das gar nicht auf, stellte ich mit einer gewissen Erleichterung fest.

2.

Die Autobahn war voll. Die Sommerferien hatten in einigen Bundesländern begonnen, was deutlich zu spüren war. Bis unters Dach voll gepackte Fahrzeuge schoben sich in Blechschlangen gen Norden. Die Strecke von der Autobahnabfahrt bis zur Verladestation zog sich ewig hin. Weil ich im letzten Dorf vor Niebüll ungeduldig wurde, hatte ich einen besonders langsamen Fahrer vor mir irgendwann überholt, mit dem Erfolg, mit dieser Aktion direkt in einen mobilen Blitzer zu rauschen. Und das, obwohl ich wusste, dass diese Strecke fürs Blitzen bekannt war. Auch direkt am Zug staute sich der Verkehr. Ich war genervt, auch wenn meine Ungeduld natürlich nichts an der Situation änderte.

Und dann kam endlich eine Nachricht von Johann, die mich vor Wut beinahe platzen ließ. Es war keine Entschuldigung und nicht die Versicherung, dass alles gut war und schier unerfindliche Umstände dazu geführt hatten, dass er sich nicht gemeldet hatte, er jetzt aber sofort mit dem Packen beginnen und nachkommen würde. Ja, ich musste zugeben, dass ein Teil von mir noch immer auf diese Antwort gehofft hatte. Nein. Er schrieb, er wolle mir nur sagen, dass es ihm gut gehe – na immerhin lag er nirgendwo im Krankenhaus oder war verschleppt worden. Leider seien die Dinge anders gekommen, und er brauche eine Auszeit.

Ich lachte hysterisch und rief ihn an. Erstaunlicherweise ging er diesmal sogar ans Handy.

»Eine Auszeit?« Meine Stimme klang grell. Diese Formulierung war die Höhe. Hätte er vorher darum gebeten, mit mir geredet, wäre es zwar auch ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt gewesen für eine Auszeit. Diese sich aber zuerst zu nehmen, um dann nach Tagen rückwirkend die Erklärung dafür zu liefern, war widerlich. »Ich fasse es nicht, Johann, und finde keine Worte dafür, wie ich mich gerade fühle.«

»Ich weiß, dass das unglücklich gelaufen ist«, stammelte er.

»Unglücklich? Ja, ein wenig.« Ich presste die Worte hervor.

»Ich dachte mir, es ist vielleicht besser, wenn du für einige Zeit die Wohnung von deiner Mutter und dir wieder nutzt«, schlug er vor, und mir blieb weiterhin die Sprache weg.

»Keine Sorge, Johann. In deiner Wohnung wirst du mich bis auf Weiteres nicht antreffen. Und wo ich meine Zeit verbringe, da mach dir in deiner Auszeit mal so gar keine Gedanken. So weit, das zu organisieren, war ich bereits vor dieser infantilen Nachricht. Es wäre nett, wenn du meine bereits gepackten Kartons dann einfach wie geplant dem Umzugsunternehmen übergeben könntest. Ich kläre dann mit der Firma, an welche Adresse sie geliefert werden sollen. Tschüss.« Ich legte auf, ohne eine weitere Antwort abzuwarten.

Wenigstens war es vor diesem Hintergrund erst recht die beste Entscheidung, zu Insa gefahren zu sein. Sogar die Wohnung meiner Mutter wäre mir in diesem Moment von der Entfernung her nicht weit genug von Johann weg gewesen. Noch dazu, weil ich dort allein gewesen wäre. Dennoch machten sich neben der Wut große Verzweiflung und Enttäuschung breit.

In dieses Gefühlswirrwarr hinein klingelte mein Handy. Es war der Makler, der sich von mir den Termin bestätigen lassen wollte. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt und versuchte, ihn zu vertrösten, bat ihn um noch ein wenig Geduld. Ich würde mich am kommenden Tag im Laufe des Vormittags melden, versprach ich. Darauf ließ er sich erst einmal ein. Auch wenn ich gerade keine Chance sah, allein alles wie geplant in die Wege zu leiten, wollte ich meinen Traum noch nicht vorschnell begraben.

Ich stieg aus, um mir in dem Shop an der Verladerampe einen Kaffee zu holen. Leider vergaß ich dabei, dass neben der Autotür ein Betonklotz als Begrenzung der Spur in den Boden eingelassen war. Ein dumpfer Ton erinnerte mich unsanft daran, als meine Tür dagegenstieß. Sofort inspizierte ich die Stelle: Ein kleines Stück Lack war abgesplittert. Ich fluchte, gab Johann die Schuld dafür, dass ich so fahrig war und eilte mit eingezogenem Kopf in den kleinen Laden.

Druck stieg in mir auf, als sich eine ältere Dame unhöflich vordrängelte und ein Kind ausgerechnet hinter mir in der Schlange zum Bezahlen den Wutausbruch seines Lebens bekam. Als dann der Coffee to go, den ich mir geholt hatte, beim Einsteigen ins Auto kippte, woraufhin mir der Schaum des Milchkaffees über die Hand, in meinen Ausschnitt und in meinen Ärmel schwappte, kochte ich innerlich. Wenigstens wurde endlich grünes Licht für die Auffahrt auf den Zug angezeigt. Ich tupfte die Schaumreste unbeholfen weg, als es auch schon losging. Hektisch lenkte ich mein Auto, steuerte die Auffahrt an und merkte zu spät, dass mein Außenspiegel dem Geländer gefährlich nahe kam. Ein knarzendes Geräusch wies mich darauf hin, dass der Abstand offensichtlich zu gering gewesen war. Statt erneut in eine Schimpf­tirade auszubrechen, konzentrierte ich mich aufs Atmen, bevor womöglich sonst noch mehr Unfälle geschehen würden.

Zwei Kratzer am Auto innerhalb von zehn Minuten – großartige Leistung!

Dankbar, dass ich auf das obere Deck gelotst worden war, versuchte ich, mich einfach nur auf den schönen Ausblick zu freuen, und fuhr hinter einem schwarzen Kombi her. Ich war ohne Touchieren der Seiten recht weit bis nach vorne durchgefahren. Hinter mir schob sich eine lange Schlange anderer Autos auf den Zug. Ich schaute auf den Wagen vor mir – ebenfalls ein Hamburger, wie mir das Kennzeichen mitteilte. Als dieser plötzlich vollkommen unerwartet stehen blieb, wäre es beinahe zum dritten Unfall gekommen. Nur eine Vollbremsung meinerseits verhinderte, dass ich ihm direkt ins Heck rauschte. Ein umsichtiger Hintermann sorgte dafür, dass auch mein Auto unversehrt blieb. Ich sah dem Fahrer seinen Schreck jedoch deutlich an, als ich in den Rückspiegel blickte.

Es verging eine Zeit, in der ich abwartend auf das Auto vor mir starrte. Ich fixierte den Aufdruck auf der Heckklappe. Peer Petersen, IT-Beratung. Darunter eine Handynummer. Ob ich ihn mal anrufen sollte, um zu fragen, was los war? Die Nervosität wuchs, ich spürte förmlich die ungeduldig fragenden Blicke des Fahrers hinter mir, der sich bereits hektisch reckte, um zu sehen, warum es nicht weiterging. Angespannt trommelte ich mit den Fingern aufs Lenkrad. Der Mann hinterm Steuer des Fahrzeugs vor mir schien zu telefonieren. Irgendwann legte er das Handy beiseite, hob ein Kind vom Sitz auf der Rückbank nach vorne ins Auto und nahm es auf den Schoß. Dann kletterte es auf den Beifahrersitz. Kurz wartete ich, ob er sich wieder in Bewegung setzte, aber nichts dergleichen geschah.

Stattdessen öffnete sich ein Schiebedach, und der Mann schaute heraus. Weil es auf dem Zug so eng war, konnte man nicht die Autotür öffnen oder gar aussteigen. Ich reckte mangels Schiebedach in meinem Wagen den Kopf seitlich aus dem Fenster.

»Moin«, sagte er völlig entspannt.

»Moin.« Ich musste mich bemühen, ihn nicht direkt anzublaffen, warum er nicht weiterfuhr, schließlich konnte ich deutlich sehen, dass die Lücke zu seinem Vordermann sich immer mehr vergrößerte. Meine eher ungünstig verklemmte Körperhaltung machte es mir jedoch schwer, selbstbewusst aufzutreten, so sauer ich auch war.

»Sorry, leider tut sich nichts mehr. Der Motor hat plötzlich gestottert und ist dann ausgegangen, und das war’s.« Er hob bedauernd die Schultern und klopfte aufs Fahrzeugdach. »Ein denkbar schlechter Ort für ein streikendes Auto. Ich weiß.«

Na super, auch das noch. Er trödelte nicht, er war liegen geblieben.

»Und nun?«

»Ich fürchte, es muss jemand schauen, was mit dem Wagen ist. Es tut mir sehr leid. Aber die paar Plätze vor mir bleiben nun einfach leer. Ich hab grad mit dem Bahnpersonal telefoniert. Der Zug kann plangemäß starten. Allerdings wird die Abfahrt vom Zug in Westerland sich verzögern. Es sei denn, Sie und der Rest der Leute rollen rückwärts wieder herunter oder schieben mich vom Zug.« Er machte ein zerknirschtes Gesicht.

»Na, da beginnt doch der Urlaub ganz wundervoll«, erkannte ich.

»Es tut mir sehr leid. Vielleicht kriegen sie es schnell wieder in den Griff.«

»Mhm. Dann hoffen wir das mal. Können Sie ja nichts für.«

»Ich schlage vor, solange genießen wir die wundervolle Aussicht und denken positiv.«

Ich grinste sarkastisch. »Ein toller Plan. Danke! Eine wirklich fantastische Aussicht!« Ich deutete über das Gelände des unspektakulär farblosen Verladebahnhofs von Niebüll, der allenfalls Hinterhof-Charme hatte, lachte ironisch und lehnte mich wieder in meinen Sitz zurück.

»Gleich wird es schön, versprochen«, hörte ich ihn noch rufen. Er hatte ja recht, aber dennoch war ich sauer. Auf jeden, auf alles!

»Ach, Mensch. So ein blöder Mist«, schimpfte ich und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Meine Handfläche schmerzte. »Scheiße! Das hat mir gerade noch gefehlt.« Ertappt zuckte ich zusammen. Offenbar hatte ich zu laut gemotzt.

»Bitte seien Sie mir nicht böse. Vielleicht darf ich Sie als Entschuldigung auf einen Kaffee einladen?« Er rief die Worte, während er noch immer den Kopf durch das Schiebedach streckte, und ich schaute wieder aus dem Fenster.

»Danke, aber das Wichtigste wäre mir, hier schnell wieder runterzukommen.«

»Mir doch auch«, gab er zu. Neben ihm kam ein blonder Haarschopf zum Vorschein. »Und dieser kleinen Dame erst.« Eine Kinderhand winkte neben dem Blondschopf. Bemüht rang ich mir ein freundliches Lächeln ab. Ich war mir sicher, es wirkte dennoch gequält, was mir unangenehm war, aber zu mehr war ich heute nicht fähig. Das niedliche Kind konnte ja nun erst recht nichts dafür, dass der Wagen seines Vaters hier alles blockierte. Ich rollte die Augen und zog den Kopf zurück.

»Wie dreist muss man sein. Fährt mit seiner Tochter nach Sylt und gräbt erst mal die nächstbeste Frau auf dem Autozug an«, murmelte ich und schüttelte den Kopf.

Ich ließ mich erschöpft in den Autositz sinken und schloss die Augen. Noch nicht einmal angekommen, stresste mich dieser Aufenthalt schon. Ich zweifelte daran, ob die Idee, hierherzukommen, so gut gewesen war. Meine Laune war unterirdisch, eine Aussicht auf Besserung nicht in Sicht. Doch dann dachte ich daran, dass nicht nur Insa auf Sylt auf mich warten würde, sondern die Insel an sich mit all ihrer Zauberkraft und Magie. So oft hatte sich ein Aufenthalt hier an der Nordsee angefühlt, als lade ich alle Akkus wieder auf. Und selten hatte ich das so nötig gebraucht wie jetzt gerade.

Der Zug setzte sich in Bewegung und ruckelte sanft in Richtung Sylt. Mit jedem Kilometer, den ich meiner Herzensinsel näher kam, beruhigte ich mich wieder. Diese tiefenentspannte Art des Fahrers des Autos vor mir hatte mich im ersten Moment zwar beinahe endgültig zur Weißglut gebracht, mir andererseits aber auch gefallen. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr spürte ich, wie sehr mich das in meiner Wut besänftigt hatte.

Ich musste einfach Ruhe bewahren, auch wenn es bei der Ankunft in Westerland nicht gleich weitergehen würde. Es war nicht zu ändern, auch nicht durch ärgerliches Toben. Und wenn ich ehrlich war, bestand doch auch gar kein Grund zur Eile. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, und daran würde auch ein möglichst schnelles Verlassen des Zuges nichts ändern.

Also folgte ich dem Rat des entspannten Peer Petersen und schaute auf die Schäfchenwolken am blauen Himmel, sah das Wasser, welches im Sonnenlicht glitzerte und das hier, mitten auf dem Hindenburgdamm, wirkte, als umgebe es mich unendlich weit in beide Richtungen. Der Zug schaukelte, über das Wasser flogen einige Möwen, und die Aussicht auf Insa, Spaziergänge am Meer, leckeres Essen und bis in die Nacht auf Insas gemütlicher Terrasse zu sitzen und zu quatschen, ließ mich sanft lächeln. Zwar piksten da noch immer die Bauchschmerzen, wenn ich an den Termin mit dem Makler dachte und an die Situation rund um Johann. Aber ich hoffte darauf, dass sich bald ein Sinn zeigen würde, warum das gerade alles geschah.

Auf der Suche nach einem Brillenputztuch entdeckte ich in der Autotür ein Prospekt. Wir hatten uns bei einem dänischen Lieferanten informiert, der unser Lädchen auf Sylt mit seinen Produkten beliefern wollte. Ich schlug das Heft wehmütig auf. Wunderschöne kleine Geschenkideen, von handgemachter Seife über selbst gezogene Kerzen bis zu Artikeln aus Treibholz war alles dabei. Das Sortiment war angelehnt an den dänischen Stil. Farblich waren die Produkte in hellen Beige- und Grautönen perfekt abgestimmt auf die Inneneinrichtung unseres Ladens, die wir in pastellfarbenen Tönen geplant hatten.

Der Wunsch danach, auf Sylt etwas Eigenes aufzubauen, war so groß, dass gleichzeitig nun die Angst, dass alles platzen könnte, übermächtig wurde und mich beinahe durchdrehen ließ. Einfach, weil die Fallhöhe so hoch war, nachdem mein Traum endlich greifbar gewesen war. Ich musste jetzt überlegen, wie es für mich weitergehen könnte, und hoffte, den Termin mit dem Makler bis dahin hinauszuzögern.

Mein Pulsschlag wurde schneller, als es auf Westerland zuging. Ich sah, wie mein Vordermann sich immer mal umdrehte, als wolle er checken, wie die Laune hinter ihm im Fahrzeug war. Ich verbarg meine Sorgenfalte zwischen den Augen hinter einer überdimensionalen Sonnenbrille. Der Typ tat mir irgendwie auch leid. Ich stellte mir vor, in seiner Situation zu sein, und fand es schrecklich unangenehm. Außer mir und dem Fahrer hinter mir ahnte ja vermutlich noch niemand, dass wir womöglich noch einige Zeit länger auf dem Zug bleiben müssten als erwartet. Wahrscheinlich würde gleich ein wildes Hupkonzert ertönen, oder das Zugpersonal war schlau genug, rechtzeitig eine Ansage zu tätigen, die die Passagiere über das Dilemma informierte.

Doch stattdessen bahnten sich, kurz nachdem wir in den Bahnhof eingefahren waren, zwei Männer in Warnwesten den Weg zum liegen gebliebenen Auto. Einer der beiden kam nach einem kurzen Wortwechsel mit meinem Vordermann auf mich zu, während der andere die Motorhaube des Fahrzeugs öffnete und dahinter verschwand. Ich hörte schon, wie ein paar Fahrzeuge hinter mir das Hupen einsetzte.

»Wir haben hier vorne eine Panne. Ein Mechaniker wird sich das Problem ansehen, und wir hoffen, dass es sich nur um wenige Minuten handeln wird, bis es hier wieder vorangeht. Bevor wir Sie alle rückwärts vom Zug lotsen oder Sie schieben helfen müssen, probieren wir erst einmal, das Auto wieder in Gang zu bringen.«

»Danke«, sagte ich matt. Der arme Mann wirkte bemüht und ebenso angespannt. Ich war mir sicher, er tat sein Bestes. Er lief weiter die Autos entlang, setzte offenbar auf persönliche Ansprache zur Deeskalation. Offenbar erfolgreich, denn das Hupen verstummte.

Ich schrieb Insa eine Nachricht, was hier los war und dass es später werden würde. Zur Überbrückung aß ich alle Snacks, die ich mir für die Fahrt eingepackt hatte. Die vorwiegend zuckerhaltigen Leckereien hoben meine Laune und besänftigten meine Nerven. Trotzdem kam mir die Zeit endlos vor, bis am Auto vor mir endlich die Motorhaube geschlossen wurde und der Mechaniker einige Schritte zurücktrat, dem Fahrer andeutete, den Motor zu starten, und sich dann erleichtert durch das verschwitzte Haar fuhr.

Doch dann rollten wir endlich alle vom Zug. Auch ich erreichte ohne weitere Karambolagen die Straße. Die Ampel an der Kreuzung, an der man Richtung Keitum fahren konnte, wechselte auf Rot. Der Typ aus dem Wagen vor mir stieg aus dem Auto und kam an mein Fenster. In der Hand hielt er ein kleines Glas. Kurz legte ich meinen Schal hektisch über die Stelle, an der sich Kaffee über mich ergossen hatte. Es gelang mir nur ansatzweise, da war er schon da.

»Darf ich mich nun noch einmal in aller Ruhe vorstellen, und ohne dass Sie sich den Hals verrenken müssen? Ich bin Peer, hi. Meine Tochter Levke sitzt im Auto.« Er deutete hinter sich und wirkte mit einem Mal ganz schüchtern, was bei seiner sonst sehr großen und kräftigen Statur sympathisch menschlich wirkte. »Sie gab mir den Tipp, Ihnen als kleine Entschuldigung ein Glas ihrer Lieblingsbonbons zu schenken. Die sind das beste Geschenk, sagt Levke. Und sie ist sicher, dass Sie danach eigentlich gar nicht mehr böse sein können.« Er streckte mir seine Hand mit dem Gläschen voll bunter Bonbons und einem rosafarbenen Aufkleber entgegen. »Danke für Ihre Geduld. Es tut mir aufrichtig leid, Ihre Nerven strapaziert zu haben. Die Anreise nach Sylt soll ja eigentlich etwas Schönes sein.« Hilflos zuckte er die Schultern.

Ich blickte gerührt vom Glas in Richtung des Autos, wo eine kleine Kinderhand winkte, und wieder zu Peer.

»Oh, das ist sehr lieb, Peer! Ich bin Marla. Danke auch an Levke. Und es ist alles okay. Kannst du ja nichts für, dass dein Auto schlappgemacht hat.« Ich fand die Geste wirklich süß und ging, weil er mir so sympathisch war und locker wirkte, wie selbstverständlich zum Du über. »Richte das Levke bitte auch aus. Ich freue mich sehr!«

»Schön. Original Sylter Bonbons. Handgemacht von meiner Großmutter in ihrem Bonbonladen ganz in der Nähe.« Er deutete in Richtung Keitum.

»Oh, wow!« Ich drehte das Glas in meinen Händen. »Da werde ich auf jeden Fall einmal vorbeischauen.«

Mittlerweile hatte hinter uns bereits wieder ein Auto gehupt, was ihn aber wenig interessierte. »Das würde uns freuen! Das Zuckerhüs ist unbedingt einen Besuch wert.« Er lächelte, und seine Mimik war so sympathisch, dass mir kurz ganz warm ums Herz wurde. »Ich muss dann mal wieder los. Levke kann es kaum erwarten, endlich die Uroma zu treffen.« Er hob entschuldigend die Handflächen. »Wir sehen uns dann in der Bonbonmanufaktur!« Wieder war da dieses Lächeln.

»Bestimmt. Und alles Gute mit dem Auto!«

»Danke!« Er lachte, drehte sich um und winkte noch einmal über die Schulter. Mit lässigen Schritten ging er zurück zur Fahrertür, ignorierte dabei das mahnende Hupen eines genervten Sportwagen-Fahrers, der schon auf dem Zug hinter mir gestanden hatte, winkte auch dem noch einmal zu und kletterte ins Auto, um vollkommen tiefenentspannt loszufahren. Ich schaffte es gerade noch, ihm zu folgen, bevor die Ampel offenbar schon wieder auf Rot sprang. Ich ahnte, dass der aufgebrachte Fahrer hinter mir mittlerweile vor Wut schäumte.

Durch die Heckscheibe von Peers Wagen sah ich, dass das Kind sich zu mir umdrehte und seinem Vater dann auf die Schulter klopfte, und ich musste schmunzeln.

Ich entschied, erst einmal zu dem Laden zu fahren, den wir mieten wollten. So viele Stunden in den letzten Wochen hatte ich mich in Gedanken bereits damit beschäftigt, wie wir ihn einrichten würden und wie alles aussehen könnte. Bisher kannte ich ihn nur von Fotos und Videos, aber jetzt wollte ich mir wenigstens von außen einmal ein echtes Bild machen.

Peer bog ebenso Richtung Keitum ab, ich folgte ihm.

Mit der Ankunft auf der Insel und jedem Atemzug, mit dem ich die Seeluft einsog, die durch das geöffnete Autofenster strömte, wurde mein Körper geflutet von einer Welle aus Endorphinen und Motivation. Auch eine neue Art der Zuversicht breitete sich aus, denn ich hatte das Gefühl, dass es nicht nur diese eine Tür gab, durch die ich hier gehen könnte. Sollten wirklich all unsere Pläne platzen, so war die Insel es dennoch wert, neue Pläne zu schmieden, die eine Zukunft hier generierten, auch wenn es kompliziert und steinig werden würde – ich würde es schaffen!

Durch meinen Lieblingsort Keitum hindurch fuhr ich weiter hinter Peer her, bis dieser ins Ortsinnere abbog, während ich noch ein wenig weiterfahren musste, weil ich nach Archsum wollte. Hier lag das Ladenlokal mit angeschlossener Wohnung.

Mein Blick fiel auf das Bonbonglas, welches ich in die Mittelkonsole gestellt hatte.

Irgendwie kam mir das Logo bekannt vor. Dabei war ich mir sicher, noch nie in dem Laden auf Sylt gewesen zu sein. Vielleicht war ich schon einmal dort vorbeispaziert, fragte mich aber gerade, wie es sein konnte, dass ich dann nicht auch hineingegangen war. Wahrscheinlicher war, dass ich nur in irgendeinem Supermarkt mal ein Produkt aus dem Laden gesehen hatte.

Weiter über die Landstraße, die sich durch die grünen Wiesen schlängelte, fuhr ich gen Archsum. Die Sonne stand am Himmel, der blau und mit wenigen weißen Schäfchenwolken versehen über den Feldern lag. Ich kam in Archsum an und bestaunte die malerischen Anwesen, die hier lagen. Ich mochte diesen Ort, in dem viele Bauernhöfe und alte Friesenhäuser standen. In einer Kurve mitten im Ort befand sich das Objekt meiner Begierde.

Mein Auto konnte ich direkt vor dem Ladenlokal abstellen. Hier kennzeichneten Parkplatzschilder, dass diese Plätze zum Geschäft gehörten. Ich stieg aus, ging zum Schaufenster und blickte hinein. Im Innern des Hauses war es aufgeräumt und hell.

Weiter ging ich zur Haustür und schaute an der weiß gestrichenen Fassade entlang nach oben bis zum Schieferdach, unter dem sich die Wohnung befand. Die Fotos, die der Makler uns geschickt hatte, hatten gezeigt, dass sie nicht modern und eher einfach ausgestattet war. Für uns waren jedoch die Lage und die unmittelbare Nähe zu unserem Geschäft am wichtigsten gewesen. Die Wohnung wollten wir uns dann so schön machen wie irgendwie möglich.

Von außen gefiel mir das Haus gut. Es war nichts Besonderes, keins der außergewöhnlich schönen Reetdachhäuser, sondern eher schlicht und normal. Aber das war in Ordnung für mich. Alles andere hier war unbezahlbar.

Vor allem die Möglichkeit, vor dem Laden zu parken und durch die zentrale Lage mitten im Ort an der Hauptstraße auch Laufkundschaft zu gewinnen, gefiel mir gut. Ich konnte mir alles wunderbar vorstellen. Ich sah die Regale mit bunten Artikeln verschiedenster Art, roch den Duft der Kerzen, die das Sortiment abrundeten, und hörte Stimmengewirr und zufriedene Gespräche im Laden. Vor dem Haus würden wir eine Holzbank aufstellen, sodass dort der wartende Partner ein angenehmes Plätzchen finden würde. Da direkt nebenan eine Eisdiele war, würde sich das ganz wunderbar ergänzen.

Noch hing ein Schild zu vermieten im Fenster. Bis es zur Unterschrift gekommen war, wollte der Makler auf Nummer sicher gehen, was ich verstand. Vor allem, wenn ich mir den Stand der Dinge innerhalb meiner Beziehung so anschaute. Im Kopf hatte ich in den letzten Stunden schon mehrmals durchgerechnet, wie ich auch allein das Projekt stemmen könnte, war aber immer wieder an dem finanziellen Aufwand gescheitert.

Das Konzept schien mir eher wackelig und wenig attraktiv. Das, in dem mein offenbar sehr wankelmütiger Freund neben mir die Hauptrolle spielte, war jedoch auch nicht wirklich die Option, auf die ich bauen konnte und wollte.

Mit einem Mal drängten sich all die ernüchternden Wahrheiten wieder in den Vordergrund, und mir kam es vor, als habe jemand mich aus meinem Tagtraum geweckt und einfach rigoros den Stecker gezogen. Ich fragte mich, was ich hier eigentlich tat, seufzte und machte mich auf den Weg zu Insa. Sie wohnte in Morsum, einem Ort, der ganz in der Nähe von Archsum lag.

Insa war sechs Jahre älter als ich. Ich hatte sie vor vielen Jahren in Hamburg kennengelernt. Wir hatten beide an einem Workshop für DIY-Projekte teilgenommen. Während Insa nur so sprudelte vor Ideen, was man alles herstellen konnte, ihr dabei aber die nötige Handwerkskunstfertigkeit fehlte, konnten meine bastlerischen Fähigkeiten zwar überzeugen, allerdings stand ich den angebotenen Materialien oft rat- und kreativlos gegenüber. Kurzerhand hatten wir uns zusammengetan und gemeinsam wunderschöne Traumfänger, Kerzenhalter und Schlüsselanhänger gefertigt. Wir hatten uns so gut verstanden, dass wir auch den Abend gemeinsam verbrachten und in eine Bar gingen.

Das war mittlerweile über zehn Jahre her, noch ehe ich Johann kennengelernt hatte. Ich hatte sie häufig auf Sylt besucht, und sie war immer mal in Hamburg gewesen. Unsere Freundschaft wurde schnell zur besten, die ich je hatte. Wir waren zwar in vielen Dingen sehr verschieden, aber unsere Werte waren dieselben. Da, wo die eine haderte und Schwierigkeiten hatte, ergänzte die andere durch genau die fehlenden Eigenschaften. Insa sagte immer, wir seien wie Yin und Yang. Und sie hatte recht.

Ohne Insa wäre ich nur halb. Erst wenn wir zusammen waren, konnte ein Ganzes entstehen. Da änderte auch die bisherige Entfernung nichts dran. Wenn ich Kummer hatte oder Insa, waren wir immer füreinander da und verstanden ohne Worte, was die andere gerade brauchte. Das bedeutete manchmal, dass man sich gegenseitig aus dem Loch zog und voranschubste, wenn man sich selbst nicht daraus befreien konnte. Aber ebenso half es eben auch, einfach nur nebeneinanderzusitzen und zu schweigen. Egal welchen Kummer man gerade aushielt, man fühlte sich niemals allein.

3.

»Marla!« Ich hatte Insa übers Telefon mitgeteilt, dass ich in wenigen Minuten da sein würde, und so nahm sie mich bereits vor dem Haus in Empfang. Fröhlich lief sie auf mich zu und breitete die Arme aus. Ihr knallpinker Sommerschal flatterte im Wind. Die hellblonden Haare hatte sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. Ein lässiges Maxikleid in Orange umspielte ihre zierliche Figur, und die Füße in Flip-Flops untermalten den Beach-Look.

»Insa, wie sehr ich mich freue, bei dir zu sein«, sagte ich und ließ mich in ihre offenen Arme fallen. Wir drückten uns gegenseitig, und ich spürte sofort die wohltuende Wärme der Gegenwart meiner Freundin. Ihr dezenter Duft nach Rosen, der in ihrem Parfüm enthalten war, war mir vertraut und bedeutete Urlaub für mich.

»Bist du am Laden vorbeigefahren?« Insa schaute mich mit besorgtem Blick an.

Sie kannte mich gut. »Ja. Er gefällt mir weiterhin super«, gestand ich.