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Wolf Wondratschek

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Beschreibung

Damals war Chuck, wie ihn sein Publikum liebte, ein junger Kerl, in dessen Zimmer ein Jahrzehnt lang eine ganze Generation ein- und ausging. Gegen Morgen, wenn er allein war, schrieb er Sachen wie: »In Rom hab ich dir unter den Rock gegriffen/ in dieser Nacht wurden zweitausend Katzen geboren.« Seine Gedichte wurden berühmt, was ihm eine Zeitlang gefiel. Einunddreißig Jahre später wird Chuck (statt der zweitausend römischen Katzen) ein Sohn geboren. Und da beginnt die Geschichte, die Wondratschek erzählt. Der Einzelgänger, der Vater wird. Der Vater, der einem Kind sein Vertrauen, seine Liebe und seine Freundschaft schenkt. Kein leichtes Spiel. Jeder, der Vater ist, weiß: »Tu, was du willst! Eine bessere Gelegenheit, Fehler zu machen, gibt es nicht.«

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Das Geschenk

Der Autor

Wolf Wondratschek wuchs in Karlsruhe auf. Von 1962 bis 1967 studierte er Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie an den Universitäten in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Seit 1967 lebte er als freier Schriftsteller zunächst in München. In den Jahren 1970 und 1971 lehrte er als Gastdozent an der University of Warwick, Ende der 1980er-Jahre unternahm er ausgedehnte Reisen unter anderem in die USA und nach Mexiko. Er lebt seit 1996 in Wien.

Das Buch

Damals war Chuck, wie ihn sein Publikum liebte, ein junger Kerl, in dessen Zimmer ein Jahrzehnt lang eine ganze Generation ein- und ausging. Gegen Morgen, wenn er allein war, schrieb er Sachen wie: »In Rom hab ich dir unter den Rock gegriffen/ in dieser Nacht wurden zweitausend Katzen geboren.« Seine Gedichte wurden berühmt, was ihm eine Zeitlang gefiel.

Einunddreißig Jahre später wird Chuck (statt der zweitausend römischen Katzen) ein Sohn geboren. Und da beginnt die Geschichte, die Wondratschek erzählt. Der Einzelgänger, der Vater wird. Der Vater, der einem Kind sein Vertrauen, seine Liebe und seine Freundschaft schenkt.

Kein leichtes Spiel. Jeder, der Vater ist, weiß: »Tu, was du willst! Eine bessere Gelegenheit, Fehler zu machen, gibt es nicht.«

Wolf Wondratschek

Das Geschenk

Ullstein

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© Wolf Wondratschek (2023)Neuausgabe der unter dem Titel Das Geschenk im Jahr 2011 erschienenen Textsammlung© dieser Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Alle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: brian barth, berlinAutorenbild: © PrivatE-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-8437-2904-8

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Warum Gefühle zeigen?

Sizilianischer Sonntag

Nachweise

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Warum Gefühle zeigen?

Widmung

Für R. K.

Motto

»Sie sind das einzige Mädchen, das ich seit langer Zeit gesehen habe, das tatsächlich wie etwas Blühendes aussieht.«

F. Scott Fitzgerald

Warum Gefühle zeigen?

Chuck geht die Straße runterund wenn er jemand trifft, sagt er automatisch:Gut geht’s mir, ja ausgezeichnet, tausendprozentig,glaub’s mir!Und dann Sprüche wie:Ja, wir telefonieren, gut, okayNein, ich weiß noch nicht, ob ich heut ins Kino geh!Chuck trifft halb München,setzt sich ins Capri,starrt gleich aufs erste nackte Knieund der erste Gedanke ist:Bleib sitzen, bis sie wieder Weihnachtsbäume verkaufenoder bis dir ungemütlich wirdund die Füße in den Turnschuhen anfangen zu schwitzenoder bis ein Mädchen vorbeigehtmit dem Kleid mit den Flugzeugen drauf, aus denenPalmen wachsen,und daß ihr der Wind über die Schenkel weht –zu welchen Träumen gibt das Anlaß?

»… weißt du, die hat viel Phantasie, viel Erfahrung,aber in Wirklichkeit?« und wie die Sprüche heißen ausdem geschminktenTotenkopf der Eitelkeit.Du machst esDu bist esDu verstehst esChuck beobachtet, wie sie gehtwie alle anständigen Frauen, die sich eines Tagesin Gedanken in die Toilette einschließen,um ein paar der miesesten Angewohnheiten einesfremden Mannes zu genießen,und wieder tönt es irgendwoDu machst esDu bist esDu verstehst esDer Mann dürfte keinen Namen haben,müßte erfolgreich seinund könnte eigentlich nur aus dem Luftschacht da obenkommen.Da geht sie, Hemmungen hätte sie keine,Lippenstift-Jäckchen,das Gesicht so weiß wie die Knochen von Papa,so unsichtbar wie Unterwäsche auf der Wäscheleine,verliebt in den Gedanken ihrer völligen Versklavung,zerfressen von Vitaminpillen,um etwas jünger auszusehen.Da geht sie,Chuck könnte ihr die Juwelen, die sie schmücken,einzeln ins Hautinnere drücken.Oder sieht er das alles etwas zu kraß?Vor allem wenn er zu Hause sitzt in seinem Zimmer,zwischen den Mädchen mit dem aufgemaltenHoffnungsschimmer,zwischen den Freunden, die erzählen, daß sie, um nicht durchzudrehen,nicht mehr aus dem Haus gehen –Chuck, der sein Kind liebt, das nie zur Welt kommen wird.1

Einunddreißig Jahre später …

Chuck war pleite, und auf der hohen Kante hatte er auch nichts, aber Sorgen machte er sich deshalb nicht. Es war ihm egal. Es war ihm das Geld, das er nicht hatte, so egal wie das Geld, wenn es hereinkam. Aber es rächte sich. Geld spürt, wenn man es nicht mag.

Cus d’Amato, ein berühmter alter Boxtrainer, ein Mann, der viele Weltmeister hatte kommen und gehen sehen, war Gott dankbar, daß er nie auch nur annähernd soviel verdient hatte wie einige von denen, die, als sie zu ihm kamen, jung und mutig und stark waren und irgendwann, wenn sie Glück hatten, Champions wurden und Geld verdienten, viel Geld, die aber, als sie dann reich waren, nicht mehr die Kerle waren, die er als halbe Kinder auf der Straße aufgelesen, in sein Haus geholt, durchgefüttert, trainiert und wie ein Vater geliebt hatte.2 Er wußte, wovon er sprach, wenn er von Geld sprach; das Geld hatte sie verrückt gemacht, die vielen Frauen, die dicken Autos, die sie fuhren, die Drogen, der Alkohol, bis sie schließlich wirklich verrückt waren, nur noch verrückt, krank und arm und verrückt. Sie hatten überlebt, hatten ihrer Mama ein Haus mit achtzehn Zimmern gekauft (und bar bezahlt), und jetzt wollten sie, wovon sie schon als kleine Kriminelle geträumt hatten, wie verrückt leben, als gäbe es kein Morgen. Es war nicht das Boxen, die harten Schläge, denen man, weil man sie nicht kommen sieht, nicht ausweichen kann. Es waren nicht die Siege, um die man sie betrogen hatte, es war das Geld, die Scheine, ganze Bündel davon, die ihnen ihre maßgeschneiderten Anzüge ausbeulten. Sie hatten es bei sich, wie Hafenarbeiter ihren Lohn einstecken, einfach so, in der Hosentasche. Es war hartverdientes Geld. Und es war zum Vergnügen da, zum In-die-Luft-Werfen. Und dort blieb es hängen! Es löste sich in Luft auf. Die Luft stank vor Geld. Und dann wurde es dunkel. Geld war ein Gegner, härter als alle, gegen die sie im Ring gekämpft hatten. Geld, hatte d’Amato gesagt, ist nur zu einem gut, daß man es von einem Zug aus Fremden zuwirft.

Was ganz das war, was Chuck dachte. Es ging weiter. Es hörte nicht auf. Nichts hörte auf, nicht plötzlich. Es gab immer eine Chance zu reagieren, und noch eine. Er kannte das. Und keinem erzählte er es lieber als seinem Sohn. Wichtiger als Geld war die Ruhe dessen, der keines hat.

Sein Sohn suchte gerade den Tisch nach einem Wurfgeschoß ab, um die Fliege zu treffen, die eine undichte Stelle in der Fensterscheibe vermutete und sie deshalb in immer neuen Attacken danach absuchte, bevor sie aufgab und zur Decke hinauf abdrehte. Die angebrochene Tafel Schokolade, die herumlag, interessierte ihn nicht, nur das Stanniolpapier, von dem er eine Ecke abriß und, ein Auge immer der Flugbahn der Fliege folgend, zu einem Kügelchen zusammenrollte.

Geld verdirbt einem die Armut, sagte Chuck und meinte es so. Es muß etwas bleiben, was man nicht hat und nicht leicht bekommen kann, nicht zu seinen Bedingungen. Geld kostet was. Geld hat Hunger. Es ist eine Bestie. Es frißt dich auf. Es frißt, was es kriegt, deinen Verstand, dein Herz, deine Seele. Was bleibt, ist nichts, nur Angst, nackte Angst. Und was tut ein Mensch, der Angst hat? Er bewaffnet sich. Und mit was? Mit Geld! Er wollte wissen, ob sein Sohn darüber schon einmal nachgedacht habe, über Geld, über das, was Geld will, was es bedeutet, was es einem wert war. Man sagt, daß Geld Sicherheit bedeutet. Kann sein. Fragt sich nur, und ich frage das jetzt dich, wie abgesichert willst du leben? Wieviel Sicherheit ist sicher?

Der Junge wirkte bedrückt. Was Geld wert war? Was man, wenn man sie hätte, mit einer Million anfinge, meinte er das? Was war das, ein Verhör? Gab es, vorausgesetzt, man hatte Lust, sich darüber Gedanken zu machen, eine Antwort? Und welchen Sinn hätte sie? Es würde der Antwort, falls er eine hätte, nur die nächste Frage folgen, und noch eine. Oder nicht? Oder etwa nicht?

Nachgedacht, fragte er, warum? Was war damit? Was sollte damit sein? Was gingen ihn die Vor- oder Nachteile einer Sache an, die ihn nichts anging? Und außerdem, sah sein Vater nicht, mit was er beschäftigt war, daß es nur eine Frage der Zeit sein konnte, wann sich die Fliege auf dem Tisch niederlassen würde? Er brachte also besser schon mal seine Munition in Stellung.

Warum? Weil es dein Leben kosten kann, mein Sohn, darum!

Soweit er seinen Vater einschätzen konnte, war das seine Art, sich in seine Erziehung einzumischen. Er hatte immer solche Ideen, große Ideen. Und immer war man, wenn man sich darauf einließ, der Dumme. Man ging also besser in Deckung.

Was für ein Leben?

Deines. Damit niemand kommt und es stiehlt! Oder kauft! Damit es dir gehört, allein dir, und nicht eines Tages einem anderen, einer Firma, einem Konzern, einer Regierung! Deshalb! Du wirst herausfinden müssen, was das ist, Geld, was dich daran interessiert.

Sein Sohn saß wie erstarrt da, zusammengekrümmt und auf Augenhöhe mit der Tischkante, bereit zu feuern – was für Chuck kein Grund war, verärgert oder enttäuscht zu sein. Er wußte, daß Kinder das können, zuhören und nicht zuhören, beides gleichzeitig; er selbst hatte das perfekt beherrscht. Man muß nicht, um zu verstehen, still sitzen. Das Gedächtnis funktioniert so nicht. An was sich jemand erinnert, hat mit anderen Qualitäten zu tun als der Autorität von Argumenten. Es ist, was hängenbleibt, der Klang einer Stimme, ihr Echo in den mit Vertrauen angefüllten Wärmespeichern des Herzens. Es geht nichts verloren, was einer sagt. Dagegen kam auch die Fliege nicht an, der im Moment, wie es schien, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Kindes galt.

Zugegeben, als Chuck so jung war wie sein Sohn jetzt, hatte er über alles, nur nicht über Geld nachgedacht. Warum auch. Waren Eltern da, war Geld da, und was brauchte man schon außer einem bißchen Taschengeld. Man war mit allem möglichen (und natürlich viel Wichtigerem) beschäftigt, dem eigenen Körper vor allem und was man damit, mehr oder weniger heimlich, alles anstellen konnte, beschäftigt mit der Bande, mit der man sich traf, mit den harmlosen kleinen Angebereien untereinander, und wie man, wie in seinem Fall, aufhörte, den Komparsen für die abzugeben, die in den Hauptrollen vorneweg rennen; vor allem war man allein schon damit ausgelastet, keinen Mist zu bauen, nicht in Anwesenheit der zwei, drei Mädchen, auf die es ankam – ein Thema, das man besser gar nicht erwähnte, kam es doch darauf an, dieses Interesse sogar sich selbst gegenüber herunterzuspielen. Und dann, ach Gott, beschäftigt mit allem, was einem sonst noch so durch den Kopf ging: dem Wunsch, die Schule zu schmeißen, wie man eine Sache, egal welche, richtig oder falsch einfädelte, wie schwer es war, den Anfang einer Spur zu finden, der man folgen wollte.

Sich in seinem Kind wiedererkennen? Was sollen Ähnlichkeiten enthüllen? Den genetischen Code? Was davon verrät uns ein Schicksal? Man könnte sich auf dem Bett ausstrecken und Stunden mit der Suche nach Antworten zubringen. Gab es Anhaltspunkte, die Chuck hätten Aufschluß geben können, welche verborgenen Talente in seinem Sohn schlummerten? Was für Träume wird er träumen und welche wann begraben? Kein Interesse an Zinnsoldaten – hatte das was zu bedeuten? Schaute unter Teppiche – auf der Suche nach was? Seine auffallende Ungeschicklichkeit, Bälle, die man ihm zuwarf, zu fangen, überhaupt seine geringe Begeisterung für jede Art von Ballspielen, wovon er sich nie erholen sollte, und auch dass er später für Fußballspiele nie etwas übrighatte, Indiz für was? Und seine ewig frierenden Hände? War die Begabung, glücklich sein zu können, ein Glücksfall?

Im Hochsommer war ihm sein Sohn mit Strickmütze und einem dicken und viel zu weiten Pullover gegenübergesessen – und jetzt, in den ersten kühlen Herbsttagen, kam er angeradelt, in kurzen Hosen, mit nichts an als einem T-Shirt, auf dessen Vorderseite, schon etwas verwaschen, Hamlet ist tot zu lesen war.

Warum ist er tot?

Wer?

Hamlet.