DAS KREML-KOMPLOTT (Project 11) - Alex Lukeman - E-Book

DAS KREML-KOMPLOTT (Project 11) E-Book

Alex Lukeman

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Beschreibung

Verschollene Reliquien, mystische Schätze und geheimnisvolle Artefakte – begeben Sie sich zusammen mit der streng geheimen Regierungsorganisation PROJECT auf die weltumspannende Jagd nach den letzten Rätseln der Menschheit. Ein Putsch im Kreml bringt alte Hardliner an die Macht, die fest entschlossen sind, ehemalige Staaten der untergegangenen Sowjetunion zurückzuerobern. Direktorin Elizabeth Harker schickt das PROJECT-Team in den Balkan, wo der von Russland unterstützte Präsident Mazedoniens versucht, einen Volksaufstand zu unterdrücken. Es scheint, als würde Russland versuchen, seinen Einfluss nach Mitteleuropa auszudehnen. Aber die Wahrheit ist noch viel gefährlicher … Nick, Selena und ihr Team geraten in einen heimtückischen Plan, der die Welt an den Rand eines Atomkriegs treiben könnte. Wer finanziert Moskaus militärisches Abenteuer, und warum? Und wird das Team einen Weg finden, die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland zu entschärfen, bevor es zu spät ist? ★★★★★ »Alex Lukeman schreibt mit einem sicheren Gespür für filmische Atmosphäre. Seine fesselnden Romane mit ihren griffigen Plots sind einfach absolute Hits.« - MCSFilm Review Team

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Das Kreml-Komplott

Project – Band 11

Alex Lukeman

Copyright © 2019 by Alex Lukeman

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors. (Dieses Werk ist Fiktion.) Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE RUSSIAN DECEPTION Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-755-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Das Kreml-Komplott
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Anmerkungen
Danksagung
Über den Autor

Kapitel 1

Dichtes Schneegestöber wirbelte um die drei Männer herum, die den Platz vor dem kuppelförmigen Senatsgebäude des Kremls überquerten. Zwei von ihnen trugen die charakteristischen grauen Mäntel und weit nach oben ragende Mützen der Generäle der russischen Armee. Die dritte Person war ein schlanker Zivilist, bekleidet mit einem dunklen Überzieher und einem Fedora, der neben den beiden stämmigen Männern regelrecht winzig wirkte. Der Schnee wechselte sich mit Eisregen ab, dem kalten Atem eines weiteren harten russischen Winters. Die Fußabdrücke der drei Männer waren die einzigen Spuren in dem ansonsten blütenweißen Schnee, der den Platz bedeckte. Es war bereits spät, und die Nacht wurde von Flutscheinwerfern erhellt, die sich durch den fallenden Schnee bohrten und die mit Kolonnaden versehene Front des Senatsgebäudes erhellten.

Hier, im Allerheiligsten des russischen Machtzentrums, waren bei jedem Wetter Wachen postiert. Sie nahmen ruckartig Haltung an, als sich das Trio ihnen näherte, und beeilten sich dann, die großen Türen zu öffnen, die in das Gebäude führten. Die drei Männer liefen ins Warme und warteten dann, bis sich die Türen wieder hinter ihnen geschlossen hatten. Der riesige Empfangssaal war verlassen. Um diese Zeit des Abends war niemand mehr hier.

Generaloberst Jewgeni Kusnezow stapfte den Schnee von seinen hohen, glänzenden Stiefeln. Beide Generäle öffneten ihre schweren Mäntel. Jeder von ihnen trug eine Makarov-PMM-Pistole in einem glänzenden, schwarzen Lederholster.

»Bringen wir es hinter uns.« Kusnezows Stimme klang rau vom jahrelangen Genuss billigen Tabaks und Wodkas.

»Vielleicht kommt er ja noch zur Vernunft«, sagte der Zivilist.

Kusnezow schnaubte verächtlich. »Das glauben Sie doch selbst nicht, Wladimir.«

Wladimir Orlow knöpfte seinen Mantel auf und wischte sich den Schnee von den Schultern. Danach nahm er seinen Hut ab und schlug damit gegen seine Hosenbeine. Orlows blondes Haar war licht und über seinen ovalen Schädel gekämmt. Er hatte eine Nase wie ein Messer und schmale, zusammengepresste Lippen. Seine Augen waren von einem kalten Blau, so kalt wie die sibirische Steppe.

»Haben Sie die Papiere?«, fragte Orlow.

»Ich habe sie hier.«

General Pjotr Krupin zog einen flachen Lederordner unter seinem Mantel hervor. Er war der Befehlshaber des westlichen Militärdistrikts, zu dem auch Moskau gehörte. Ein Großteil der russischen Armee unterstand seinen Befehlen.

»Ich glaube nicht, dass er sie unterschreiben wird«, sagte Orlow. »Aber wir werden ihm die Chance geben. Es liegt jetzt an ihm, wie die Dinge ablaufen werden. Was ist mit Vysotskys Männern?«

Krupin sah auf die Uhr. »Eine Zaslon-Einheit wird in genau acht Minuten eintreffen.«

»Gut. Wie immer sich Gorowsky entscheidet, wird Auswirkungen auf ihre Rolle in der Sache haben.«

In einem anderen Teil des Gebäudes, nicht weit von dem Ort entfernt, an dem die drei Männer sich unterhielten, saß der Präsident der Russischen Förderation, Leonid Gorowsky, zurückgelehnt in dem Ledersessel hinter seinem Schreibtisch und betrachtete den Schnee, der vor seinem Bürofenster umherwirbelte. Gorowsky war ein dicker, unansehnlicher Mann, ein Rückschritt zu den Tagen, in denen russische Politiker alles andere als telegen gewesen waren. Menschen, die ihm das erste Mal begegneten, fühlten sich bei ihm an Nikita Chruschtschow erinnert, der ebenfalls aus bäuerlichen Verhältnissen stammte. Gorowsky sah wie jemand aus, der sich in einer Arbeiterkneipe wohlgefühlt hätte und einem eher eine Flasche über den Kopf gezogen als einen Drink ausgegeben hätte.

Aber wie bei so vielen Dingen in Russland trog der Anschein. Zwar war es richtig, dass Gorowsky nicht vor brutaler Gewalt zurückschreckte, um das zu bekommen, was er wollte, aber es war ein Fehler, ihn einfach nur als einen weiteren mächtigen Tyrannen abzutun. Das grobschlächtige Äußere des Präsidenten verbarg einen verschlagenen und berechnenden Verstand mit einer realistischen Einschätzung globaler Politik und den anhaltenden Machtspielchen zwischen den führenden Nationen. Russlands enormes Atomwaffenarsenal sicherte ihm einen festen Platz in diesem Spiel, aber das musste nicht bedeuten, dass ihm das Spiel auch gefiel. In diesem Moment widmete er sich einem Misston in seinem Verstand, den er nicht länger ignorieren konnte.

Mit den Bestrebungen des Westens, den Einflussbereich der NATO auszuweiten, hatte ein neuer Kalter Krieg begonnen. Dieser war mit den Ereignissen in der Ukraine eskaliert. Nun war die Temperatur der internationalen Beziehungen weit unter Gorowskys Komfortzone abgekühlt.

Die westliche Position verfestigte sich. Gorowsky wusste, dass der amerikanische Präsident James Rice nicht vor dem Einsatz militärischer Macht zurückschrecken würde. Bis jetzt war Rice sehr vorsichtig gewesen, aber er stand unter extremem Druck, die weitere russische Ausweitung aggressiv zu beantworten. Die Hardliner im Pentagon und im Kongress wollten einen Krieg, etwas, mit dem sich die Koffer des industriell-militärischen Komplexes füllen ließen, der die Kontrolle über die amerikanische Regierung gewonnen hatte.

Gorowsky hatte seine eigenen Probleme mit Hardlinern. Er hatte die Unterstützung des Militärs und der Oligarchen über das Versprechen erlangt, Russlands Ehre und Respekt in der Welt wiederherzustellen. Bis jetzt war das gut gegangen, auch wenn die Sanktionen des Westens sich langsam schmerzlich bemerkbar machten. Der Rubel hatte gelitten, aber es gab bereits Pläne, einen neuen Standard einer Weltwährung zu etablieren, der Russlands Wirtschaft neuen Schub verleihen würde. Die Häfen der Krim waren gesichert, eine der Achillesfersen Russlands. Bald schon würde sich auch der gesamte Osten der Ukraine unter russischer Kontrolle befinden. Die Annexion der Krim war ein befriedigender Auftakt gewesen. Das Problem bestand nur darin, dass die Geier unter ihm mehr wollten. Sie sahen die NATO als zahnlosen Tiger an und waren der Ansicht, dass man einen Großteil der ehemaligen Sowjetunion wieder unter seine Fittiche zurückholen müsse, notfalls mit Gewalt. Sie glaubten, Amerika sei von den verlorenen Kriegen im Irak und in Afghanistan geschwächt worden.

In gewisser Weise sympathisierte Gorowsky mit diesen Ansichten. Das amerikanische Militär war überfordert. Ihre Wirtschaft stand am Rand des Zusammenbruchs, angetrieben von der Gier der Bänker und ihrer europäischen Günstlinge. Und politisch gesehen war Amerika tief gespalten. Nach der Meinung der Hardliner konnte sich Washington keinen weiteren Krieg bei einer Expansion Russlands leisten. Sie glaubten, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen war, um Russlands Dominanz in Osteuropa zu beanspruchen, angefangen mit der Ukraine.

Der gesamten Ukraine.

Aber Gorowsky wusste es besser. Eine Invasion der Ukraine würde einen Krieg mit Amerika bedeuten, einen Krieg, der schnell atomar werden könnte. Einen Krieg, den keine Seite gewinnen würde. Das Problem aber war, dass Gorowskys Generäle die Überzeugung hegten, einen solchen Krieg gewinnen zu können. Sie waren dem gleichen Mythos aufgesessen, der auch Hitler und Napoleon vernichtet hatte, dem Mythos der Unverwundbarkeit. Gorowsky wusste, dass es auf der Gegenseite im Pentagon Generäle gab, die den gleichen Illusionen nachhingen. Und es nahm selten ein gutes Ende, wenn Mythen mit der Realität kollidierten.

Vor seiner Bürotür vernahm er Stimmen. Er sah auf die Uhr. Zu spät für das Tagesgeschäft. Das Unbehagen, das schon den ganzen Tag über an ihm genagt hatte, wuchs zu einem Gefühl der Beunruhigung heran.

Gorowsky war nicht durch Naivität bis an die Spitze der Macht Russlands gelangt. Er war ein Überlebenstyp. Er zog eine seiner Schreibtischschubladen auf. Sie enthielt eine Pistole, die gleiche Makarov, die er getragen hatte, als er noch ein Agent des ehemaligen KGBs gewesen war.

Die Tür öffnete sich, und es schien, als hätte sein Verstand die gleichen Personen herbeigerufen, an die er eben noch gedacht hatte – jene Männer, die den Krieg wollten. General Kusnezow und General Krupin stritten schon seit Wochen für einen großangelegten Militäreinsatz. Der Anblick seines Premierministers mit dem schwarzen Fedora auf dem Kopf bestätigte zudem Gorowskys Vermutungen, dass Orlow hinter seinem Rücken gegen ihn intrigierte.

»Wladimir. Meine Herren Generäle. Gibt es eine militärische Krise? Anders kann ich mir Ihre Anwesenheit zu dieser Stunde nicht erklären.«

Krupin zog die lederne Akte hervor, die er mitgebracht hatte, und legte sie auf Gorowskys Schreibtisch ab.

»Sie sollten das lesen, bevor wir weiterreden.«

Gorowsky bemerkte den Mangel an Respekt und sah Orlow an. Kalte blaue Augen starrten zurück, ausdruckslos und stumpf wie die einer Schlange. Gorowsky öffnete die Akte und überflog das einzige Dokument darin. Dann sah er zu den drei Männern auf und nahm eine Zigarette aus der silbernen Kiste, die einst Zar Nikolaus gehörte. Er griff in die Schublade mit der Pistole und entnahm ihr eine Schachtel Streichhölzer. Der Inhalt der Schublade war von dort, wo die drei Männer standen, nicht einsehbar. Gorowsky zündete sich die Zigarette an und zog den Aschenbecher zu sich heran. Die Streichhölzer legte er in die Schublade zurück. Seine Hand beließ er in der Schublade und schloss sie um die Pistole.

»Das ist eine Rücktrittserklärung«, sagte er. »Erwarten Sie wirklich, dass ich das unterzeichne?«

»Das wäre das Beste, Leonid.«

Orlows Stimme klang ruhig und überzeugend, wie er immer sprach, wenn er jemanden dazu überreden wollte, etwas zu tun, was er wollte.

»Sie haben das Vertrauen des Militärs und der Oligarchen verloren. Ihre Vorsicht beginnt, wie Angst zu wirken, und Angst ist etwas, das wir von unseren Feinden nicht zeigen dürfen.«

»Meine Vorsicht ist reine Vernunft. Wir sind noch nicht bereit für ein weiteres militärisches Abenteuer. Wir brauchen mindestens noch zwei Jahre.«

»Niemand ist gewillt, noch weitere zwei Jahre zu warten«, sagte Krupin. »In zwei Jahren werden die Amerikaner die NATO soweit gestärkt haben, dass wir sie nicht mehr bezwingen können. Dann werden sie eine ernsthafte Bedrohung darstellen. In diesem Moment verhandelt Washington bereits um Raketenstellungen im Balkan. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie die Rodina mit ihren Waffen einkreisen.«

Gorowsky schüttelte den Kopf wie ein Lehrer, der einen vorlauten Schüler maßregelt.

»Sie sind Narren, wenn Sie glauben, wir könnten es mit den Amerikanern aufnehmen. Denken Sie an ihre Geschichte. Japan hatte die gleiche Idee, aus beinahe denselben Gründen. Sie hielten die Vereinigten Staaten für schwach, uneins und nicht gewillt, einen Krieg zu führen. Sie wissen, wie das ausging.«

»Wir sind nicht Japan, und wir haben nicht mehr das Jahr 1941«, erwiderte Orlow. »Es wäre das Beste, wenn Sie das Dokument unterschreiben und sich in Würde auf Ihren Landsitz zurückziehen. Gehen Sie, Leonid. Genießen Sie Ihre Datsche am Schwarzen Meer.«

»Oder?«

Gorowsky spürte das kalte Metall der Makarov in seiner Hand.

»Oder wir werden für Ihren Rücktritt sorgen. Vielleicht aus gesundheitlichen Gründen. Wirklich schade, von Ihren Herzproblemen erfahren zu müssen.«

»Meinem Herz geht es blendend«, sagte Gorowsky, »aber Ihrem nicht mehr lange.«

Er zog die Pistole aus der Schublade. Krupin hatte Gorowskys Hand beobachtet. Mit einer verschwommenen Bewegung hatte er seine eigene Pistole aus dem Holster gerissen. Er feuerte, als Gorowsky die Makarov erhob. Die Kugel traf den Präsidenten in die Schulter. Gorowskys Waffe feuerte, während er in den Sessel sank, und Kusnezow schrie vor Schmerz auf. Orlow zog eine Pistole unter seinem Mantel hervor und gab drei schnelle Schüsse auf Gorowsky ab, bevor dieser sich erholen konnte.

Blut quoll aus Gorowskys Mund und er sank vornüber auf den Teppich. Er zuckte noch kurz, dann blieb er regungslos liegen. Der schwache Geruch von Kordit triftete durch den Raum.

Kusnezow umklammerte seinen Oberarm. Dunkles Blut sickerte durch seine Finger.

»Wie schlimm ist es?«, fragte Krupin.

»Nicht schlimm. Nur eine oberflächliche Verletzung.«

Von draußen war Tumult zu hören. Vier finster aussehende Männer in Zivilkleidung stürmten in das Büro. Ihre Kleidung vermochte nicht über ihre Bürstenhaarschnitte und ihre militärische Art hinwegzutäuschen. Sie gehörten zu Zaslon, jener geheimen Spetsnaz-Einheit, die von General Alexei Vysotsky befehligt wurde, einem der Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes. Vysotsky hatte zusammen mit Orlow in den Tagen des KGBs gedient.

Der Anführer der vier Männer sah zuerst auf die Leiche des russischen Präsidenten hinunter, dann zu Orlow. Mit Gorowskys Tod war nun Orlow der amtierende Präsident der Russischen Föderation und oberster Befehlshaber der russischen Streitkräfte. Er salutierte.

»Kapitän Ilja Jeschow, Herr Präsident. Wie lauten Ihre Befehle?«

»Präsident Gorowsky erlitt unverhoffte Blutungen und einen Herzinfarkt.«

Orlow warf Jeschow einen prüfenden Blick zu. »Sein überraschender Tod bedarf einiger Diskretion, wenn Sie verstehen?«

»Natürlich.«

»Sie werden hiermit mit sofortiger Wirkung zum Major befördert. Bitte sorgen Sie dafür, dass unser ehemaliger Präsident für ein Staatsbegräbnis vorbereitet wird. Und jemand soll den Teppich ersetzen.«

»Jawohl.«

Jeschow salutierte erneut und bellte dann ein paar knappe Befehle. Die anderen drei Männer trennten das blutbefleckte Stück Teppich ab und wickelten Gorowskys Leiche darin ein.

Orlow sah dabei zu, wie sie den ehemaligen Präsidenten danach aus dem Raum trugen und lächelte.

Das Spiel hatte begonnen.

Kapitel 2

Die Sonne ging über der Insel Kauai unter. Leuchtend orangefarbene Sonnenstrahlen und sich auftürmende, golden angestrahlte dunkle Kumuluswolken zierten den Horizont. Zwei Personen saßen auf der Veranda des Hotels, welches sich die beiden für ihre Flitterwochen ausgesucht hatten, betrachteten den Ozean und nippten an ihren Piña coladas.

Der Mann war muskulös und in Form. Er besaß kurz geschnittenes, schwarzes Haar und graue Augen, denen nichts um ihn herum zu entgehen schien. Sein Körper war mit unzähligen Narben bedeckt, Erinnerungen an Wunden, die er sich an fremden und gefährlichen Orten zugezogen hatte.

Die Frau sah beinahe atemberaubend aus. Selena Connor trug einen knappen lavendelfarbenen Bikini, der das Violett ihrer Augen unterstrich und ihre straffe Muskulatur offenbarte, die sich unter den Kurven verbarg, die für gewöhnlich die Blicke anderer Menschen auf sich zogen.

»So lässt es sich leben«, sagte Nick Carter. »Wir sollten das öfter machen.«

»Wir könnten uns eine Ferienwohnung kaufen und sie so oft wir wollen besuchen.«

»Aber dann müssten wir uns die Drinks selber machen. Ich habe es lieber, wenn ich sie gemacht bekomme. Wo wir gerade davon sprechen …«

Er hob für den Kellner zwei Finger. Noch zwei davon.

Selena nahm eine Tube Sonnencreme aus ihrer Strandtasche und begann, sich an den Armen und im Gesicht einzureiben.

»Ich habe heute etwas viel Sonne abbekommen.«

»Steht dir aber. Bringt das Rot in deinem Haar zur Geltung.«

»Stehst du auf Rothaarige?«

»Hört sich nach einer Fangfrage an«, antwortete Nick. »Nein, nur bei dir.«

»Richtige Antwort.«

Die Drinks kamen. Nick nahm das Stück Orange vom Rand des Glases und biss hinein.

»Auch etwas, das ich an den Inseln mag: Das Obst ist immer frisch, und die Drinks sind gut.«

»Wir sind erst seit vier Tagen hier und ich fange gerade erst an, mich zu entspannen«, sagte Selena.

»Uns bleiben noch zehn Tage, bevor wir zurückfliegen müssen. Ich kann mich nicht mehr entsinnen, wann ich das letzte Mal so lange Urlaub hatte.«

»Sprich nicht davon, das bringt nur Unglück.«

»Bist du etwa abergläubisch?«

»Ich möchte nur ungern das Schicksal herausfordern.«

»Glaubst du, es gibt so etwas wie Schicksal?«

»Ich weiß nicht, vielleicht. Wenn es so etwas gibt, muss es noch etwas mit uns vorhaben, sonst wären wir in dem Wagen gewesen, als er in die Luft flog.«

Selena sprach über den weißen Rolls-Royce, der sie eigentlich nach der Hochzeitszeremonie von der Kirche hätte wegbringen sollen. Er war in einer Explosion verschwunden, die die funkelnde Limousine in einen Haufen Schrott verwandelt, die Eichentüren der Kirche mit Schrapnellsplittern übersät und die Buntglasfenster hatte zersplittern lassen. Nur Nicks siebter Sinn hatte sie gerettet.

»Die Verantwortlichen dafür würde ich zu gern in die Finger kriegen«, sagte sie. Ihre Stimme verriet ihre Verärgerung.

Nick nahm einen großen Schluck von seinem Drink. »Bislang gibt es nichts, womit sich die Attentäter identifizieren ließen. Die Spurensicherung arbeitet noch daran.«

»Da war diese Karte auf dem Paket.«

Nick nickte. »Ich konnte nur zwei Worte darauf erkennen. ›Für meine …‹. Der Rest war unter der Schleife verborgen.«

»Was könnte das bedeuten? Jemand wollte, dass wir es lesen.«

»Klar, kurz bevor sie uns in die Luft gesprengt hätten. Aber wir werden es nie erfahren, es sei denn, wir kommen dahinter, von wem das Paket stammt.«

Nicks abhörsicheres Telefon lag auf dem Glastisch. Es vibrierte in kurzen, wiederkehrenden Intervallen, die das Handy über die Glasplatte tanzen ließen. Er nahm es zur Hand und sah auf das Display.

»Es ist Harker.«

»Geh‹ nicht ran.«

»Du weißt, dass ich rangehen muss.«

Das Handy vibrierte wieder.

»Ich sagte dir doch, du sollst das Schicksal nicht herausfordern.«

Nick nahm den Anruf an. »Direktorin?«

Sechstausend Meilen weit entfernt in Virginia saß Elizabeth Harker in ihrem Büro des PROJECT-Hauptquartiers und verfolgte eine Sondersendung auf CNN über das Staatsbegräbnis des ehemaligen Präsidenten der Russischen Föderation.

»Nick, ich tue das nur sehr ungern, aber ich brauche Sie und Selena hier.«

»Wir haben noch zehn Tage. Wenn nicht gerade der dritte Weltkrieg auszubrechen droht, habe ich es nicht sonderlich eilig, hier wegzugehen. Was gibt es denn so Dringendes?«

»Haben Sie die Nachrichten verfolgt?«

»Überhaupt nicht. Das ist der Sinn eines Urlaubs. Außerdem sind es unsere Flitterwochen. Ich habe Besseres zu tun.«

Er zwinkerte Selena zu. Sie unterdrückte ein Lachen.

»Gorowsky ist tot.«

»Der russische Präsident? Das ist kein großer Verlust. Er hatte ziemlich viel Ärger verursacht. Vielleicht treffen die Russen ja eine bessere Wahl.«

»Ich fürchte nicht«, sagte Harker. »Sein Tod befördert Wladimir Orlow auf den Präsidentenstuhl.«

»Und?«

Elizabeth seufzte. »Laut offiziellen Meldungen aus Moskau starb Gorowsky an einem Herzinfarkt. Langley verfügt aber über einen Undercover-Agenten in den höchsten Kreisen des russischen Militärs. Er erzählt eine andere Geschichte.«

»Ich denke, ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, sagte Nick. »Sie werden mir gleich erzählen, dass er keines natürlichen Todes starb.«

»Es stimmt, dass er an Herzversagen starb«, antwortete Elizabeth. »Aber das ist nicht ungewöhnlich, wenn man vier oder fünf Kugeln in die Brust bekommt.«

»Sie glauben also, es war ein Putsch.«

»Ja. Sie können das nicht wissen, aber Gorowsky hat über inoffizielle Kanäle Verhandlungen mit der Ukraine geführt, um die Lage zu entschärfen und im Gegenzug für eine Rücknahme der westlichen Sanktionen zu sorgen.«

»Aber irgendwer war von dieser Idee nicht sonderlich angetan.«

»Die Hardliner wünschen sich das alte Sowjetreich zurück«, erklärte Elizabeth. »Eine Entspannungspolitik mit dem Westen steht nicht auf ihrer Agenda. Die neue Ära wird nicht unbedingt kommunistisch werden, aber Stalin hätten die Ziele gefallen. Orlow ist ein Ultranationalist, und er ist gnadenlos. Und er besitzt den Rückhalt der beiden großen Machtfaktoren, der Oligarchen und des Militärs.«

»Ich verstehe trotzdem nicht, wieso Sie uns so schnell zurück brauchen. Es wird einige Zeit dauern, bis Orlow alles an sich gerissen und jeden für seine Pläne auf Linie gebracht hat.«

»Präsident Rice hat für morgen früh ein Treffen einberufen, um die Auswirkungen dieser Geschehnisse zu besprechen. Ich muss in der Lage sein können, ihm zu versprechen, dass wir einsatzbereit sind, sobald er es für nötig erachtet. Und das kann ich nicht, solange Sie irgendwo an einem Strand auf Hawaii liegen.«

»Vielleicht nicht sofort, aber wir sind doch ohnehin nicht weit entfernt«, antwortete Nick. »Hier starten rund um die Uhr Flugzeuge. Wir sollten keine Probleme haben, einen Rückflug zu bekommen, wenn es sein muss. Wir brauchen diese Auszeit, Direktorin. Und wenn Sie uns einsatzbereit haben wollen, müssen Sie uns Zeit geben, uns zu erholen. Das haben wir uns verdient.«

Nick sah zu Selena und hielt seine Hand mit gekreuzten Fingern in die Höhe.

»Drei Tage«, sagte Elizabeth, »dann bewegen Sie Ihren Hintern wieder hierher. Und wenn ich Sie vorher brauchen sollte, besteigen Sie ohne zu zögern das nächste Flugzeug, verstanden?«

»Direktorin …«

»Drei Tage, Nick.« Sie beendete den Anruf.

»Was hat sie gesagt?«

»Sie hat uns noch drei Tage gegeben. Besser als gar nichts. Am liebsten hätte sie uns sofort zurückbeordert.«

Selena leerte ihren Drink.

»Wollen wir noch einen bestellen?«

Nick betrachtete seine frischgebackene Braut und fragte sich, wie es ihm gelungen war, so lange seine Gefühle für sie zu unterdrücken. Nach Megans Tod hätte er nie gedacht, noch einmal eine Frau so nahe an sich heranzulassen. Aber Selena hatte sein Herz erobert.

»Wieso sehen wir nicht nach, ob das Zimmermädchen Schokolade auf die Kissen gelegt hat?«, schlug Nick vor.

Kapitel 3

General Alexei Iwanowitsch Vysotsky, stellvertretender Leiter des SVR, des russischen Auslandsgeheimdienstes, stand vor dem Schreibtisch des kleinen Mannes, der nun die unermesslichen Ressourcen der Russischen Föderation kontrollierte. Der Schreibtisch war das moderne Symbol der Macht in Russland, das Äquivalent zum Thron des Zaren. Er war aus dem feinsten Holz gefertigt und mit Intarsien aus ukrainischem Malachit versehen, eine Ironie, die Wladimir Orlow nicht entgangen war.

Die Dinge hatten sich in der kurzen Zeit, seit Gorowsky seinen Platz hinter eben diesem Schreibtisch räumen musste, rasch geändert. Der blutbefleckte Teppich war ersetzt worden. Man musste schon explizit und sehr genau danach suchen, um die Stelle zu finden, an denen er repariert worden war. Der Geruch von Schießpulver war längst verflogen. Orlow hatte sich eine Klausel in der russischen Verfassung zunutze gemacht, die ihm die rechtmäßige Autorität verlieh, den Ausnahmezustand auszurufen. Alle Macht lag nun in seinen Händen.

Orlow gab sich keinen Illusionen hin, diese Macht ohne die Unterstützung jener Gruppen aufrechterhalten zu können, die sie in seine Hände gegeben hatten. Der SVR spielte eine Schlüsselrolle für seine Zukunftspläne. General Vysotsky hatte sich während des Putsches als loyal erwiesen. Aber Loyalität war etwas, das in Russland schnell wechseln konnte. Es bedurfte einiger Sorgfalt, sie sich zu sichern. Niemand wusste das besser als Orlow.

Orlow erhob sich und deutete auf zwei elegante, gepolsterte Sessel, die in einer Ecke bei einem niedrigen Tisch standen, auf dem sich ein dampfender Samowar und ein Teeservice befanden.

»Trinken Sie einen Tee mit mir, General?«

Vysotsky hätte ein großes Glas Wodka bevorzugt, aber er wusste es besser, um danach zu verlangen. Orlow war bekannt dafür, die russische Schwäche für Wodka zu missbilligen.

»Danke, Herr Präsident.«

Die beiden Männer setzten sich.

»Noch trage ich diesen Titel nicht«, sagte Orlow, »aber das werde ich, nachdem ich die Wahlen anberaumt habe. Aber das wird noch eine Weile dauern.«

»Natürlich, Genosse Orlow.«

»Unter vier Augen dürfen Sie mich Wladimir nennen. Und darf ich Sie Alexei nennen?«

Er lächelte, doch das Lächeln gelangte nicht bis in seine blauen Augen.

Die Augen sind der Spiegel des Herzens, dachte Vysotsky, während er ihn ansah. Aber wenn an diesem alten Sprichwort etwas dran war, dann enthielt Orlows Herz nichts weiter als kalte Berechnung.

»Natürlich, Wladimir. Ich fühle mich geehrt.«

Orlow gab etwas Tee in beide Tassen und füllte sie mit dem heißen Wasser aus dem Samowar auf. Dann reichte er eine der Tassen Vysotsky.

»Ich weiß die Effizienz zu schätzen, die du an den Tag gelegt hast.« Es gab keinen Grund, genauer zu erwähnen, was Orlow damit meinte. »Verrate mir eines … was hält Wischinski von der ganzen Sache?«

Boris Wischinski war der gegenwärtige Leiter des SVR.

Zwei Minuten in Gegenwart dieses Mannes, und schon befinde ich mich in gefährlichen Gewässern, dachte Vysotsky. Was soll ich antworten? Wonach forscht er?

Es erinnerte ihn an die alten Tage, als er noch ein junger Agent im KGB gewesen war. Damals konnte ein falscher Schritt Jahre in einem Gulag bedeuten, oder eine Kugel in den Hinterkopf, auf dem Platz vor der Lubjanka. Die Lubjanka war zum Hauptquartier des FSB umfunktioniert worden, Russlands Inlandsgeheimdienst. Nun wurden die Schüsse in Lefertovo abgegeben. Für die Männer und Frauen, die sie empfingen, machte das keinen Unterschied.

Vysotsky war ein alter Hase in diesem Spiel. Das Geheimnis bestand darin, so wenig wie möglich zu sagen, bis man herausgefunden hatte, woher der Wind wehte.

»General Wischinski ist gewissenhaft, so wie immer«, antwortete Vysotsky. »Er hat nichts Wichtiges über den Wechsel verlauten lassen.«

»Ich werde dich zum obersten stellvertretenden Leiter des Sluschba wneschnei raswedki ernennen«, sagte Orlow.

Das war ein gewaltiger Karrieresprung. Vysotsky verbarg seine Überraschung. »Das ist überaus großzügig, Wladimir. Vielen Dank.«

»Ich möchte, dass du mich über die Aktivitäten unserer Gegner im Westen auf dem Laufenden hältst. Außerdem über alles, was dir in etwas unmittelbarerer Nähe ungewöhnlich vorkommt.«

Ich habe verstanden, dachte Vysotsky. Er hat Wischinski bereits im Visier.

»Ich verstehe, Wladimir.«

»Gut, gut.« Orlow tätschelte Vysotskys Hand. Alexei bemerkte dabei, dass seine Fingernägel fein manikürt und sogar mit einem klaren Nagellack verziert waren. »Jetzt muss ich eine Botschaft an den amerikanischen Präsidenten verfassen.«

Orlow stand auf. Vysotsky folgte seinem Beispiel.

Nachdem er den Raum verlassen hatte, spürte Vysotsky den ersten Rausch der Befriedigung. Orlow war wie ein Wolf in der Steppe, gefährlich, wenn er hungrig war, aber kaum eine Bedrohung, wenn sein Bauch voll war und man ihn nicht provozierte. Den Wolf zu füttern, hatte ihn dem innersten Kreis der Macht näher gebracht.

Er beabsichtigte, eines Tages selbst hinter diesem Schreibtisch zu sitzen. Aber im Moment würde es genügen, in seiner Nähe zu sein.

Kapitel 4

Das Team versammelte sich in Elizabeths Büro im Hauptquartier des PROJECTS. Elizabeth war vom ersten Tag an die Leiterin der Organisation gewesen. Präsident Rice hatte ihr freie Hand gegeben, ihr Personal selbst zusammenzustellen, und versorgte sie mit den notwendigen Ressourcen, um das zu erreichen, was man von der Gruppe erwartete. Das PROJECT ähnelte keiner anderen Geheimdienstagentur in Washington. Es verfügte über beinahe unbeschränkte Mittel und war vonseiten des Kongresses unangreifbar. Kaum jemand im Kongress oder der Regierung wusste überhaupt, was das PROJECT war oder was es tat. So mochte es Elizabeth am liebsten.

Sie trug beinahe immer einen maßgeschneiderten schwarzen Hosenanzug mit weißer Bluse, und auch dieser Tag bildete keine Ausnahme. Das Einzige, was sie variierte, war die Brosche, die sie über ihrer linken Brust trug. Dieses Mal handelte es sich um eine abstrakte Form aus Gold und Smaragden. Die Smaragde verstärkten das tiefe, leuchtende Grün ihrer Augen. Elizabeth war eine kleine Frau. Manch einer unterschätzte sie aufgrund ihrer Körpergröße, aber für gewöhnlich wurde ihnen dieser Fehler schnell bewusst.

Elizabeths Schreibtisch stand gegenüber der Couch, auf der nun Nick, Ronnie Peete und Selena saßen.

Ronnie hielt ein Hawaiihemd in der Hand, das Nick in einem Second-Hand-Laden auf Kauai gekauft hatte. Es war in Pastellfarben gehalten, eine dezente Mischung aus Bambusgrün und Sand.

»Danke, Nick.«

»Gern geschehen, Amigo.«

»Das ist ein Tori Richards, etwa um 1970 herum«, sagte Ronnie zufrieden. »Ich denke, ich habe irgendwo ein ähnliches mit dem gleichen Muster, aber anderen Farben.«

Ronnie war in einem Navajo-Reservat in Arizona aufgewachsen. Er besaß breite Schultern und schmale Hüften, typisch für Navajo-Indianer. Sein Gesicht war breit und kräftig und seine Haut von einem rötlichen Braun. Er war das klassische Abbild einer Figur aus Erzählungen über den alten amerikanischen Westen. Er hatte als Gunnery Sergeant im Marine Corp gedient. Wer sich damit auskannte, wusste, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte. Die meisten Menschen fanden dies aber für gewöhnlich erst zu spät heraus.

Ronnie hatte über zweihundert Hawaiihemden in seinem Kleiderschrank hängen. Sie meisten davon waren knallbunte Souvenirs für Touristen, die kein anständiger Hawaiianer freiwillig tragen würde, aber Ronnie machte das nichts aus. Er liebte die Farben und den Einfallsreichtum der Künstler. Sein Lieblingshemd zeigte an Elvis erinnernde Surfer, die ihn Cadillacs mit riesigen Heckflossen über den Sand flogen.

Die Hemden waren ideal für die Schwüle des Sommers an der Ostküste. Eines der Dinge, die Ronnie an den kalten Monaten hasste, war, dass er in diesen nicht mit seinen kurzärmeligen Hemden herumlaufen konnte. Heute hatte er eine warme Jacke, ein blaues Hemd und Hosen gewählt. Er trug nie eine Krawatte, wenn es nicht unbedingt erforderlich war.

Ronnie spähte zu der Terrasse und dem Blumengarten vor Harkers Büro. Das Grün des Sommers war verschwunden, und das trübe Braun der frühen Novembertage hatte das Zepter übernommen. Er hielt noch einmal das Hemd in die Höhe.

»Wenn wir das nächste Mal an einen wärmeren Ort reisen, werde ich es anziehen«, sagte er.

»Das könnte eine Weile dauern.« Elizabeth sah auf ihre Uhr. »Wo ist Lamont? Er verspätet sich.«

»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Nick.

In diesem Moment betrat Lamont Cameron das Büro und setzte sich neben Selena und Nick. Lamont schien sich nie zu verändern. Er war noch genauso muskulös und drahtig wie an dem Tag, als Nick ihn das erste Mal getroffen hatte, als Nicks Marine-Recon-Einheit eine gemeinsame Mission mit den Navy SEALS im Persischen Golf absolvierte. Lamont war etwas kleiner als Nick, etwa so groß wie Selena. Er trug eine kleine Narbe im Gesicht, die sich von einer Stelle über seinem rechten Auge quer über seinen Nasenrücken zog, die Folge eines Schrapnells, welches ihn im Irak getroffen hatte. Die Narbe hob sich wie ein pinkfarbener Wurm von seiner ansonsten kaffeebraunen Haut ab. Lamont besaß blaue Augen, ein Vermächtnis seiner äthiopischen Vorfahren.

»Entschuldigen Sie, Direktorin. Mein Wecker klingelte nicht.«

»Wo ist Stephanie?«, erkundigte sich Selena.

»Sie hat einen Arzttermin. Sie sollte bald hier sein«, sagte Elizabeth.

Stephanie Willis war Harkers Stellvertreterin.

»Kommen wir zum Geschäftlichen.« Elizabeth tippte auf eine Taste ihrer Computertastatur. Ein großer Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand zeigte eine Satellitenaufnahme des Balkans.

»Der Balkan?«, fragte Nick.

»Mazedonien, um genau zu sein.« Elizabeth drückte eine weitere Taste, woraufhin Mazedonien ins Zentrum des Bildschirms rückte.

Das Land war ein Binnenstaat, umgeben von Serbien im Norden, Bulgarien im Osten, Griechenland im Süden und Albanien im Westen. Damit befand es sich in der Mitte eines der wundesten Punkte der Welt. Die Gegend war von unzähligen Kriegen in der Geschichte verwüstet worden.

»Ich dachte, Mazedonien würde zu Griechenland gehören«, sagte Lamont.

»Das tat es bis 1913 auch. Dann wurde es zwischen Serbien, Bulgarien und Griechenland aufgeteilt. Es gibt in Griechenland immer noch eine Gegend namens Mazedonien, aber das hat nichts mit dem Land zu tun. Dieses Land hat eine komplizierte und blutige Vergangenheit. Es war Teil von Titos Jugoslawien und verfügt über einen großen slawischen Bevölkerungsanteil. 1991 erklärte das Land seine Unabhängigkeit. Seither befindet es sich im Herzen des Balkankonflikts.«

»Sind sie denn nicht Teil der NATO?«, fragte Nick.

»Nein. Griechenland hat ihre Aufnahme jedes Mal verhindert. Die mazedonische Regierung ist Moskau zugetan. Sie beziehen den größten Teil ihrer militärischen Lieferungen aus Russland.«

»Sieh an«, sagte Lamont. »Ein Verbündeter Moskaus im Herzen von Europa.«

»Lässt einen stutzig werden, nicht wahr?«, sagte Ronnie.

»Mazedonien hat ständig Probleme mit Albanien«, erklärte Elizabeth. »Das Land wird hauptsächlich von europäischen und russisch-orthodoxen Christen bevölkert. Albaniens größte Bevölkerungsgruppe hingegen sind Muslime. Es gibt radikale albanische Islamisten, die Mazedonien in ein größeres Albanien aufnehmen wollen. Manchmal eskalieren diese Auseinandersetzungen. In 2001 wäre es beinahe zu einem Krieg gekommen, der zu einer blutigen Wiederholung dessen hätte werden können, was damals ins Bosnien geschah. Die NATO konnte das Schlimmste verhindern, aber seither schwelt der Konflikt.«

»Ist immer das Gleiche«, sagte Lamont. »Ich frage mich, ob dieser ganze Scheiß irgendwann einmal aufhört.«

»In unserem Leben nicht mehr«, sagte Nick.

»Das kannst du nicht wissen, Nick«, widersprach ihm Selena. »Sei nicht immer so ein Pessimist.«

»Der radikale Islam setzt die ganze Welt in Brand, und es scheint niemand zu geben, der das Feuer in naher Zukunft austreten wird.«

»Genau das meinte ich – du bist ein Pessimist.«

Elizabeth tippte mit ihrem Stift auf ihren Schreibtisch. »Heben wir uns diese Diskussion doch für ein andermal auf, in Ordnung? Wollen Sie wissen, wieso Mazedonien auf meinem Monitor erschienen ist?«

Harkers Stimme klang entspannt, aber Nick konnte bereits die Warnsignale sehen. Wenn Elizabeth wütend wurde, färbten sich die Spitzen ihrer elfenartigen Ohren rot. Diese hoben sich dann stark von ihrer ansonsten milchig-weißen Haut ab. Zusammen mit ihren grünen Augen und schwarzem Haar verliehen ihr die rotglühenden Ohren ein feenartiges Aussehen, das eine drohende Explosion ankündigte.

»Sorry, Direktorin.«

»In Ordnung. Fahren wir fort. Vor zwei Tagen gab es einen Zwischenfall in einer Stadt namens Kumanovo. Sie liegt im Norden Mazedoniens, etwa zwanzig Kilometer von der Hauptstadt Skopje entfernt. Albanische Rebellen lieferten sich eine Schießerei mit der mazedonischen Polizei. Kumanovo ist hauptsächlich muslimisch, die Polizei hingegen hauptsächlich christlich. Auf beiden Seiten gab es Todesopfer zu beklagen.«

Nick kratzte sich am Ohr. »Klingt erst einmal nicht ungewöhnlich, angesichts der ethnischen und religiösen Spannungen dort.«

»Da würde ich Ihnen zustimmen, wenn es in der letzten Woche nicht erstzunehmende Straßenproteste in Skopje gegen die korrupte Regierung gegeben hätte. Aufgrund der Proteste mussten bereits der Innenminister und der Leiter des Geheimdienstes zurücktreten. Das ist ein schlechtes Zeichen für die derzeitige Regierung. Die Proteste weiten sich mit jedem weiteren Tag aus und die Demonstranten fordern den Rücktritt des Präsidenten. Es scheint, als würde dort eine echte Revolution brodeln, ähnlich den Ereignissen in Ägypten.«

»Skopje ist die Hauptstadt?«, erkundigte sich Lamont.

Elizabeth nickte. »Ja. Der Präsident Mazedoniens ist Apostol Mitreski. Mitreski gibt westlichen Manipulationsversuchen die Schuld an den Protesten. Moskau hat diese Anschuldigungen schnell aufgegriffen und man hört bereits gewisse Stimmen in Russland, die von slawischer Bruderschaft und gemeinsamen Wurzeln sprechen. In den russischen Zeitungen finden sich bereits die gleiche Propaganda und Rhetorik wie zu Zeiten der serbischen Kriege. Die offizielle Haltung ist die, dass diese Proteste den Versuch des Westens darstellen, eine freundliche Regierung zu destabilisieren und stattdessen ein nach Kiewer Vorbild der Russischen Föderation feindliches Regime zu installieren. Eines, welches Russlands Sicherheit gefährden könnte.«

»Wäre ja nicht das erste Mal, dass wir so etwas versuchen«, warf Lamont ein.

»Tatsächlich versuchen wir auch hier wieder so etwas«, sagte Elizabeth. »Der Präsident ist der Ansicht, dass die Proteste eine gute Gelegenheit bieten, unsere Position im Balkan zu stärken. Das Pentagon will neue Raketenabschussanlagen in der Region stationieren, die als Erstes auf einen möglichen russischen Angriff reagieren sollen.«

»Das alte Lied«, stöhnte Ronnie.

»Was hat das Ganze mit den Protesten zu tun?«, wollte Selena wissen.

»Wenn Mitreski durch eine landesweite Revolution aus dem Amt gedrängt würde, wäre ein neuer Präsident unseren Zielen gegenüber womöglich aufgeschlossen.«

»Lassen Sie mich raten«, sagte Nick. »Wir haben da schon jemanden im Sinn.«

»Das haben wir.«

»Ich hasse Politik«, murmelte Ronnie.

»Direktorin, wollen Sie damit andeuten, dass die Russen recht haben?«, fragte Nick. »Dass wir eine Revolution forcieren, um uns einen Vorteil gegenüber Moskau zu verschaffen?«

»Die Mazedonier haben von sich aus mit den Protesten begonnen. Wir haben nicht damit angefangen, aber wir werden es ganz sicher beenden.«

»Also sind wir daran interessiert, eine Revolution zu unterstützen«, stellte Nick fest.

»Die Mazedonier werden ohne Mitreski besser dran sein. Er ist korrupt bis ins Mark. Er und seine Spießgesellen haben die Wirtschaft des Landes auf Kosten der Bevölkerung über Jahre hinweg ausgebeutet. Das ist der eigentliche Grund für die Proteste, zusammen mit der Wut über die albanischen Übergriffe. Die Menschen sind der Ansicht, dass die Politik zu wenig zu ihrem Schutz unternimmt. Moskau ist nicht wirklich glücklich mit Mitreski, aber er ist ihnen allemal lieber als jemand mit einer pro-westlichen Einstellung.«

»Gibt es Einschätzungen, was passieren würde, wenn Mitreski aus dem Amt gedrängt wird?«

»Keine besonders guten. Und da kommen Sie ins Spiel. Rice will, dass wir uns vor Ort in Mazedonien umsehen und herausfinden, was dort vor sich geht.«

»Das ist eine Aufgabe für Langley. Agentenkram. Sie wissen schon, verdeckte Ermittlungen und so. Ist das nicht normalerweise deren Spezialgebiet?«

»Normalerweise schon. Aber es gibt ein Problem mit Langley.«

»Wie immer«, murrte Lamont.

»Es ist das gleiche Problem wie auf unserer letzten Mission. Es gibt da eine undichte Stelle beim CIA, wahrscheinlich ein Spitzel. Jede Geheimoperation dort würde das Risiko in sich bergen, sofort an die Medien durchzusickern. Und das wäre noch ein Glücksfall. Denn im schlimmsten Falle würden unsere Agenten enttarnt und vielleicht sogar getötet werden. Die CIA ist derzeit gelähmt, was ernsthafte Geheimdienstoperationen anbelangt. Präsident Rice hält uns daher für die beste Alternative.«

»Kommt er dann auch rüber und rettet uns den Arsch, falls etwas schieflaufen sollte?«

»Sie kennen die Antwort darauf, Nick. Diese Einheit existiert offiziell nicht. Aber ich werde Ihnen so viel Rückendeckung geben, wie ich kann.«

»Ich schätze, es dürfte wenig ändern, wenn ich zu Protokoll gebe, dass das eigentlich nicht unsere Aufgabe ist, oder?«

»Nein, das würde es nicht.«

»Was genau ist dann unsere Mission?«

»Die Opposition hat sich mehr oder weniger zu einer Bewegung namens ›11. Oktober‹ zusammengefunden.«

»Elfter Oktober?«

»Der elfte Oktober ist ein mazedonischer Nationalfeiertag, der ›Tag der Revolution‹. Das Datum verweist auf den Beginn der Aufstände mazedonischer Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Ich möchte, dass Sie und Selena sich nach Mazedonien begeben und herausfinden, was dort vor sich geht. Sie werden sich als Reporter und Teil der internationalen Presse ausgeben. Sprechen Sie mit den Leuten und finden Sie heraus, wer nach Meinung der Einheimischen das Land übernehmen sollte, wenn Mitreski zurücktreten muss. Versuchen Sie, herauszufinden, wie die Mazedonier zur NATO und den Russen stehen. Identifizieren Sie konkurrierende Fraktionen, sofern es diese geben sollte. Und finden Sie heraus, was nach Ansicht der Mazedonier gegen die Albaner unternommen werden sollte.«

»Das kann ich Ihnen gleich sagen«, meldete sich Lamont. »Falls die Mazedonier so wie alle anderen auf dem Balkan ticken, dürfte ihre Haltung gegenüber den Albanern wohl am ehesten dem Motto ›legt sie alle um, Gott wird sie sortieren‹ entsprechen.«

»Wie sieht es mit Waffen aus?«, erkundigte sich Nick. Die Bewaffnung war stets eines der ersten Dinge, die ihm zu Beginn einer jeden neuen Mission in den Sinn kamen.

»Sie werden sie nicht brauchen. Sie sind Pressevertreter, schon vergessen? Reporter tragen keine Waffen bei sich. Wenn man Sie kontrollieren und Waffen bei Ihnen finden sollte, könnte das Ihren Besuch in Mazedonien erheblich verlängern.«

»Direktorin …«

»Wenn Sie in Schwierigkeiten geraten sollten, werden Sie improvisieren müssen. Und wenn die Lage wirklich eskalieren sollte, dann fliehen Sie in die Botschaft. Das ist kein Kampfeinsatz, sondern eine Aufklärungsmission.«

»Wenn Sie uns schon nackt dort hineinschicken wollen, dann hätte ich gern Ronnie und Lamont dabei. Wenn es brenzlig werden sollte, zählt jeder Mann.«

»Ich sehe keinen Grund, weshalb sie mitkommen sollten.«

»Machen Sie Witze? Wir sprechen hier von tausenden aufgebrachten Menschen. Und nicht alle werden aus dem gleichen Grund wütend sein. Einige werden das derzeitige Regime unterstützen. Es wird zahllose Zusammenstöße geben, und wir sind mittendrin.«

Elizabeth dachte darüber nach. »In Ordnung, dann wird das gesamte Team eingesetzt. Aber versuchen Sie, keinen Ärger zu machen.«

Nick hob die Hand und kratzte sich am Ohr. Ronnie beobachtete ihn dabei und seufzte.

Kapitel 5

Der Flughafen von Skopje war nach Alexander dem Großen benannt worden, ein weiterer Zankapfel in den anhaltenden Streitereien zwischen der Republik Mazedonien und Griechenland. Das Terminal war modern, sauber und in vielerlei Hinsicht sehr weit von Virginia entfernt.

Sie waren von Washington nach London und von London nach Wien geflogen. In Wien hatten sie einen Flug der Austrian Airlines bestiegen, der sie nach Skopje brachte. Einschließlich aller Zwischenstopps, Flughafentransfers und Verspätungen waren sie einen gesamten Tag unterwegs gewesen. Nick hatte sich mit dem Gedanken getröstet, dass die Sitze in einem Linienflug weitaus komfortabler waren als mit sechzig Kilogramm Kampfgepäck im Bauch einer C-130 zu hocken.

Sie mieteten sich einen VW Passat bei Inter Car Rental. Selena wollte eigentlich einen Mercedes haben, aber Nick wies darauf hin, dass man sie für Reporter halten sollte. Ein Mercedes war viel zu auffällig und luxuriös. Die meisten anderen Mietwagen waren untermotorisiert und klein, der VW aber besaß genug Stauraum und genügend Leistung, wenn auch nicht mehrere hundert Pferdestärken, wie Selena sie bevorzugt hätte.