DIE AKTE NOSTRADAMUS (Project 6) - Alex Lukeman - E-Book + Hörbuch

DIE AKTE NOSTRADAMUS (Project 6) E-Book und Hörbuch

Alex Lukeman

4,0

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Beschreibung

Verschollene Reliquien, mystische Schätze und geheimnisvolle Artefakte – begeben Sie sich zusammen mit der streng geheimen Regierungsorganisation PROJECT auf die weltumspannende Jagd nach den letzten Rätseln der Menschheit. Als ein Pariser Antiquar auf ein verschollen geglaubtes Manuskript mit Prophezeiungen des Nostradamus stößt und wenig später ermordet wird, werden Nick Carter, Selena Connor und das restliche PROJECT-Team auf die Jagd nach einem der größten Rätsel der Menschheit geschickt. Könnten Nostradamus' Verse den Aufbewahrungsort der legendären Bundeslade beschreiben? Die Spuren führen ins Heilige Land, auf die Fährte der geheimnisvollen Tempelritter und zu einer Geheimgesellschaft, die nicht weniger als einen neuen Kreuzzug in den Mittleren Osten plant … "Alex Lukeman schreibt mit einem sicheren Gespür für filmische Atmosphäre. Seine fesselnden Romane mit ihren griffigen Plots sind einfach absolute Hits." - MCSFilm Review Team

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Seitenzahl: 321

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Zeit:8 Std. 56 min

Sprecher:Michael Schrodt

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Die Akte Nostradamus

Project – Band 6

Alex Lukeman

Copyright © 2016 by Alex Lukeman

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors. (Dieses Werk ist Fiktion.) Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE NOSTRADAMUS FILE Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-532-3

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Die Akte Nostradamus
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Danksagungen
Über den Autor

Kapitel 1

Dieser Teil von Paris hatte sich seit der Französischen Revolution kaum verändert. Gesichtslose Mietshäuser gluckten auf beiden Seiten der Straße. Ein schmaler Strom aus Schmutzwasser floss den Kanal entlang, der sich in die Mitte der uralten Straße gegraben hatte. Nick Carters Sohlen hallten flach und hart über die gleichen Pflastersteine, über die auch schon die Pferdewagen mit den Opfern für die Guillotine gerumpelt waren. Neben ihm lief Selena Connor.

Selena trug sportliche Kleidung, die sie in einem der Designerläden gekauft hatte. Modedesigner lebten dafür, Kleidungsstücke für Frauen genau wie sie zu entwerfen. Sie war die Art von Frau, die einem sofort auffiel, mit dem dazu nötigen Körper und der Eleganz. Eine Sonnenbrille verbarg ihre veilchenblauen Augen. Ihr rotblondes Haar und ihre athletische Anmut trugen dazu bei, dass man sich an jeder Ecke nach ihr umdrehte.

Nick war mit einem grauen Sportsakko bekleidet, das Selena in einem Schaufenster erspäht hatte. Es war oft nicht leicht, etwas für seine breiten Schultern zu finden, aber dieses hatte ihm sofort gepasst, direkt von der Stange. Es passt zu deinen Augen, hatte sie gesagt. Seine Augen waren grau, mit goldenen Tupfern darin, von daher hatte sie wohl recht. Er hatte es gekauft, um ihr einen Gefallen zu tun, denn ihr gefiel es. Aber insgeheim gefiel es auch ihm. Der europäische Schnitt des Jacketts und die schwarzen Stoppeln des Halbtagesbartes an seinem Kinn ließen ihn wie einen Einheimischen aussehen.

Sie kamen an einem Schaufenster vorbei, in dem eine ledergebundene Ausgabe der gesammelten Werke Voltaires auf einem Bett aus verblichenem roten Stoff ausgestellt war.

»Wir sind da«, sagte sie.

Der Laden sah aus, als wäre er zur gleichen Zeit eröffnet worden, als Maria Antoinette ihrem Volk empfahl, doch Kuchen zu essen, wenn sie kein Brot mehr hatten. Er besaß eine blau angestrichene hölzerne Ladentür und alte eiserne Türangeln. In dem staubigen Schaufenster hing ein mit Blattgold beschriftetes Schild.

Jean-Paul Bertrand, le Propriétaire

Livres Rares et Curieux

Selena griff nach dem Klingelzug und hielt inne.

»Das ist seltsam«, sagte sie.

»Was ist seltsam?«

»Die Tür ist offen«, erwiderte sie. »Das ist eigenartig.«

Und das war sie tatsächlich, etwa fünf Zentimeter breit.

»Jean-Paul sagte, wir sollen läuten, dann würde er uns hereinlassen. Er hält die Tür verschlossen. Man kommt nur hinein, wenn man einen Termin hat.«

Sie schob die Tür vollständig auf und betrat den Laden.

»Jean-Paul?«, rief Selena mit lauter, deutlicher Stimme.

Niemand antwortete.

Der vordere Ladenraum war verlassen. Regale voller Bücher säumten die Wände. Ein antiker Lesetisch aus Eichenholz mit geschnitzten Tischbeinen dominierte den vorderen Bereich des Ladens, in der Nähe des Fensters. Es roch nach alten Büchern, Staub und Papier. Im hinteren Bereich befand sich eine verzinkte Ladentheke. Dahinter war ein Vorhang aus Glasperlen vor einem Durchgang in die Hinterräume des Ladens zu sehen.

»Jean-Paul?«, rief Selena noch einmal. »Hallo? Ich bin es, Selena.«

Nicks Ohr begann zu jucken. »Hier stimmt etwas nicht«, sagte er. Er zog an seinem vernarbten Ohr. Ohne nachzudenken, griff er nach seiner Pistole. Aber sie war nicht da. Sie waren im Urlaub. Keine Waffen.

»Er ist ein alter Mann«, sagte sie, »und er hört nicht mehr so gut. Wahrscheinlich ist er im Hinterzimmer.«

Selena lief um die Ladentheke herum und teilte mit den Händen den Perlenvorhang. Der Gang dahinter war schmal, dunkel und kurz. Vom anderen Ende fiel Licht herein. Sie schritt den Gang entlang und schob einen weiteren Vorhang zur Seite. Nick stieß gegen Selena, als diese unverhofft stehenblieb.

Selenas Freund lag mit dem Rücken auf dem Boden, mit offenem Mund. Seine Zähne waren mit den Jahren von Nikotin und Kaffee gelb verfärbt. Seine Augen standen offen und starrten an die Decke. Blut bedeckte sein weißes Hemd und war zudem über die Wände verspritzt. Bücher und Dokumente lagen auf dem Boden verstreut. Der Raum stank nach Tod.

»Jean-Paul«, sagte Selena. Sie wurde blass, wollte auf ihn zueilen.

Nick aber hielt sie mit einer Hand auf ihrer Schulter zurück. »Es wäre besser, ihn nicht anzurühren.« Er trat zu der Leiche.

»Sieh dir das an.«

Sie kam zu ihm und sah auf den Boden hinab. Buchstaben und eine Zahl waren mit Blut auf ihn geschrieben worden.

»Ergibt das für dich einen Sinn?«, fragte Nick.

EX 25

»Nein. Wer sollte so etwas tun? Ich glaube nicht, dass er auch nur einen einzigen Feind auf der Welt hatte.«

»Einen zumindest schon.«

Nick deutete auf das Durcheinander. Der Raum war von jemandem durchsucht worden, der nicht vorhatte, danach wieder aufzuräumen.

»Wer immer ihn getötet hat, war auf der Suche nach etwas.«

»Er besaß einige wertvolle Erstausgaben. Es muss ein Raubüberfall gewesen sein.«

»Für ein lausiges Buch ist das übertrieben, selbst für eines, das viel Geld wert ist. Dafür hätten sie einen alten Mann wie ihn nicht gleich umbringen müssen. So etwas macht mich wütend.«

»Er klang angespannt, als ich mit ihm telefonierte. Und er bestand darauf, dass ich ihn noch heute treffe.«

»Davon hast du mir nichts erzählt.«

Sie sah auf den Leichnam ihres Freundes hinunter. »Ich hatte mir nichts weiter dabei gedacht.« Sie biss sich auf die Lippe.

»Tut mir leid, Selena.«

»Was jetzt?«

»Wir rufen die Polizei. Und dann rufe ich Harker an. Ich hab keine Lust, die Nacht in einem französischen Gefängnis zu verbringen.«

Direktorin Elizabeth Harker war ihre Vorgesetzte. Sie leitete das PROJECT und verfügte über die nötigen Mittel, ihnen die französische Polizei vom Hals zu halten. Der Einfluss des Präsidenten, dem sie unterstand, tat sein Übriges.

Vier Stunden später entließ sie die Polizei in ihr Hotel. Sie logierten im Stadtteil Le Marais am rechten Ufer der Seine, in einem der typisch europäischen Hotels, in denen man beim Verlassen seinen Schlüssel am Hoteltresen abgab und deren Empfangspersonal immer überaus höflich war. Es war ein freundlicher Ort, nicht zuletzt auch deswegen, weil Selena Französisch wie ihre Muttersprache beherrschte.

»Bonjour, Madame«, empfing sie der Empfangschef. »Für Sie wurde etwas abgegeben.«

Unter dem Tresen holte er ein Paket hervor. Es war in einfachem braunem Packpapier eingewickelt und an Selena adressiert. Eine Absenderadresse fehlte.

»Es wurde von einem Boten gebracht. Heute Nachmittag, während Ihrer Abwesenheit.« Er reichte es ihr zusammen mit dem Zimmerschlüssel.

»Merci.«

Sie warf einen Blick auf die Adresse auf dem Paket. »Es ist von Jean-Paul«, erklärte sie Nick. »Ich erkenne seine Handschrift wieder.«

Das Hotel besaß noch einen dieser alten Käfigaufzüge. Im Schneckentempo krochen sie darin in ihre Etage hinauf.

Ihr Hotelzimmer war groß und blickte von einem schmalen Balkon auf eine ruhige Straße hinaus. Es verfügte über ein eigenes Bad, eine Kommode, einen Fernseher, ein großes Doppelbett mit einer gemusterten Steppdecke und zwei gemütlichen Sesseln. Nick ließen sich in einen davon sinken. Selena kam aus dem Badezimmer und setzte sich aufs Bett.

»Ich frage mich, was das ist?«

»Wieso öffnen wir es nicht und finden es heraus?«

»Klugscheißer.« Sie warf ihm einen Blick zu und riss das Papier ab.

»Es ist ein Aktenordner.«

Sie zog den Ordner heraus, der mit einer roten Schnur zugebunden war, und löste den Knoten. Darin befand sich ein Manuskript, vergilbt und spröde und mit schwarzer Tinte eng beschrieben.

Selena betrachtete die erste Seite. Nick hörte, wie sie die Luft einsog.

»Das glaube ich nicht.« In ihrer Stimme lag Begeisterung. »Dieses Manuskript wurde von Nostradamus geschrieben. Ich glaube, es handelt sich dabei um die verlorenen Quatrains.«

»Nostradamus? Dieser Prophet?«

»Ja.«

»Und was bitte sind die verlorenen Quatrains?«

»Nostradamus veröffentlichte seine Weissagungen in Gruppen von jeweils einhundert Versen, den sogenannten Centurien. Jede diese Vorhersagen bestand aus einem Vierzeiler.«

»Einem Quatrain.«

Sie nickte. »Die siebte Centurie ist unvollständig. Darin fehlen achtundfünfzig Quatrains. Niemand hat sie je zu Gesicht bekommen. Dieses Manuskript ist eine absolute Rarität.«

»Selten genug, um dafür zu töten?«

»Oh ja. Es gibt Sammler, die alles dafür geben würden. Und nicht nur das. Ich glaube, Nostradamus hat diese Zeilen selbst verfasst. Ein von Nostradamus handgeschriebenes Manuskript dürfte sehr viel wert sein – die verlorenen Quatrains in seiner eigenen Handschrift aber wären unbezahlbar.«

»Dann hat Bertrands Mörder wohl danach gesucht«, sagte Nick. »Wieso hat er es dir geschickt?«

»Ich kenne ihn, seit ich ein Kind bin. Er und mein Onkel waren eng befreundet.«

»Vielleicht sollte es ein Geschenk sein.«

»Nein. Wenn es ein Geschenk wäre, hätte er es mir persönlich gegeben. Ich denke, er wollte es aus seinem Laden haben.« Sie schwieg für einen Moment. »Wer immer ihn ermordet hat, wird weiter danach suchen. Sofern sie wissen, dass er es an mich schickte.«

»Wir sollten es in die Botschaft bringen und als Diplomatenpost nach Hause schicken.«

»Du willst es behalten?«

»Willst du herausfinden, wer deinen Freud umgebracht hat? Es wird einen Grund dafür geben, warum er es dir geschickt hat. Und diesen finden wir vielleicht erst dann heraus, wenn du es gelesen hast.«

»Man liest Nostradamus Weissagungen nicht einfach nur. Er fürchtete die Inquisition. Deshalb benutzte er Wortspiele, schrieb seine Verse in Griechisch, Lateinisch und Provenzalisch. Alles ist aus gutem Grund schwer verständlich gehalten.«

»Kannst du es entschlüsseln?«

Selena galt als eine Autorität in der Übersetzung alter Texte und Sprachen, und das weltweit.

»Möglicherweise. Aber wenn wir es behalten, halten wir damit Beweismittel zurück.«

»Und wenn wir es nicht behalten, wird die französische Polizei uns nicht gehen lassen. Cops sind von Natur aus misstrauisch. Sie werden annehmen, dass wir ihn getötet haben, um das Manuskript an uns zu bringen.«

Selena sah aus dem Fenster. »Du hast recht. Bringen wir es zur Botschaft.«

Sie legte das Manuskript in den Ordner und diesen in die Schachtel zurück. Dann klemmte sie sich die Schachtel unter den Arm. Gemeinsam liefen sie nach unten, gaben ihren Zimmerschlüssel ab und verließen das Hotel. Sie liefen die Straße hinunter, um sich ein Taxi zu rufen.

Plötzlich schoss etwas aus der Gasse zu ihrer Rechten auf sie zu. Ein Mann ging auf sie los. In seiner Hand hielt er ein Messer, das in der Nachmittagssonne funkelte. Nick wehrte den Stoß mit seinem Arm ab, eine Bewegung, die ihm nach all den Jahren der Übung und des Trainings in Fleisch und Blut übergegangen war. Die Klinge drang durch sein neues Jackett und schnitt in seinen Arm. Nick ließ einen Ellbogenhieb gegen den Schädel des Mannes folgen, der dessen Arm betäubte. Dann formte er die Finger seiner anderen Hand zu einer Art Speer und trieb diese tief ins Zwerchfell des Mannes. Der Angreifer krümmte sich und Nick packte ihn mit beiden Händen am Hinterkopf und rammte ihm gleichzeitig sein Knie ins Gesicht. Der Mann sackte zu Boden. Blut schoss ihm aus der Nase. Das Messer fiel klappernd auf den Gehsteig.

Ein zweiter Mann versuchte Selena das Paket zu entreißen. Sie ließ es los, drehte sich jedoch gleichzeitig herum und setzte zu einem Tritt aus der Hüfte an. Ihr Fuß landete seitlich in der Brust des Mannes. Seine Rippen gaben ein dumpfes, knirschendes Geräusch von sich. Er schrie vor Schmerz auf und fiel zu Boden. Sie trat ihm gegen den Kopf, und dann hörte er auch auf zu schreien.

Nick rieb sich den Ellbogen und sah auf die beiden hinunter. Einer der Männer war bewusstlos, der andere wand sich stöhnend auf dem Gehweg. Der gesamte Kampf hatte weniger als zwanzig Sekunden gedauert. Von der anderen Straßenseite starrte ein älteres Paar zu ihnen herüber.

Selena machte ein angestrengtes Gesicht. Sie atmete schwer, presste die Luft zwischen ihren halb geöffneten Lippen hervor. Dann fiel ihr Blick auf Nicks Arm.

»Du blutest«, sagte sie.

Dunkles Blut sickerte durch den Riss in seinem Ärmel.

»Das ist nur ein Kratzer.«

Selena beugte sich nach unten und hob die Schachtel mit der Nostradamus-Akte auf. Nick blickte die Straße entlang. Dort bildete sich bereits eine kleine Traube von Menschen.

»Wir sollten von hier verschwinden«, sagte er, »bevor die Cops auftauchen.«

Kapitel 2

Das neue Hauptquartier des PROJECTS befand sich in bester ländlicher Lage auf dreihundert Quadratmetern im Bezirk Fairfax, Virginia, unweit der Hauptstadt Washington.

Ein dreieinhalb Meter hoher Maschendrahtzaun um das gesamte Gelände sorgte dafür, Tiere und Neugierige fernzuhalten. Die eigentlichen Sicherheitsmaßnahmen aber waren automatisiert und unsichtbar. Das Hauptgebäude sah wie ein Wohnhaus aus. Mit seiner von Säulen getragenen Veranda, der weißen Fassade und dem grünen, schrägen Schindeldach erinnerte es entfernt an den Kolonialstil. Künstliche grün angestrichene Fensterläden akzentuierten die Fenster.

Eine breite, gepflasterte Auffahrt führte von dem Zufahrtstor mit Wachhäuschen zu dem Haus hinauf. Gegenüber des Hauses stand ein flacher Betonbau mit Rolltoren. Es war leer und wartete noch auf eine Bestimmung. Die Auffahrt endete an einem betonierten Hubschrauberlandeplatz, der mit einem großen gelben Kreis markiert war. Washington und das Weiße Haus waren mit dem Hubschrauber in nur wenigen Minuten zu erreichen.

Während des Kalten Krieges war das Anwesen ein Startplatz für Nike-Raketen gewesen, mit drei 450-Quadratmeter großen unterirdischen Munitionslagern aus Beton und Stahl. Zwei der Munitionslager waren aufgeschüttet und landschaftlich gestaltet worden, sodass nur noch ein paar Lüftungsrohre, die aus dem Rasen ragten, von ihrer Existenz kündeten. Das Wohnhaus befand sich direkt über dem dritten Lager.

Der Vorbesitzer hatte das Munitionslager unter dem Haus in eine zweite Notfall-Behausung umgebaut. Diese besaß eine Küche, ein Bad, Schlafzimmer, einen Swimmingpool und eine unabhängige Stromversorgung. Der Wohnbereich diente als Operationszentrum. Das zweite unterirdische Lager beherbergte die Cray-Computer des PROJECTS und die gesamte Kommunikationseinrichtung. Im dritten Lager waren ein Trainingsraum, eine Waffenkammer und ein Schießstand untergebracht. Der Zutritt zu den unteren Bereichen erfolgte über eine Wendeltreppe im Wohnhaus. Und der Werkzeugschuppen im Blumengarten vor dem Haus verbarg einen Notausgang aus dem unterirdischen Bereich.

Selena und Nick waren direkt vom Flughafen aus hierhergekommen. Selena saß am Steuer ihres burgunderroten Mercedes. Nick musterte das Haus, als sie die Einfahrt passierten. Nachdem das alte Hauptquartier zerstört worden war, hatte Harker einen sichereren Standort für sie gesucht.

»Daran werde ich mich erst noch gewöhnen müssen«, sagte er. »Als Harker meinte, wir sollten in den Untergrund verschwinden, dachte ich nicht, dass sie es wortwörtlich meint.«

»Aber du musst zugeben, dass die Tarnung perfekt ist. Lamont liebt den Pool. Und ich auch.« Lamont Cameron, der nach seinem Dienst bei den Navy Seals rekrutiert worden war, war Teil ihres Teams.

Sie parkte vor dem Haus. Gemeinsam betraten sie die Stufen, die zu der Veranda hinaufführten. Eine Kamera über ihren Köpfen folgte ihnen. An der Tür befanden sich ein biometrisches Lesegerät und ein Gesichtserkennungsscanner. Selena legte ihren Daumen auf das Lesegerät und beugte sich an den Scanner heran. Die Tür öffnete sich mit einem geölten Flüstern, als sich die Schließriegel zurückzogen.

Das neue Büro von Direktorin Elizabeth Harker befand sich am anderen Ende des Erdgeschosses. Elizabeth saß an ihrem Schreibtisch und blickte durch eine breite Front aus Verandatüren in einen großen Blumengarten hinaus. Die Fenster sahen wir gewöhnliche Fenster aus, aber selbst Geschosse mit 50mm-Kaliber hätten Schwierigkeiten damit, sie zu durchschlagen. Elizabeth hatte beschlossen, das Risiko einzugehen. In ihrem alten Gebäude hatte sie jahrelang ohne Fenster auskommen müssen.

Harker war eine kleine Frau. Sie trug ihr gewohntes Outfit aus einem schwarzen Kostüm und einer blütenweißen Bluse. Ihre Haut war milchweiß, und die smaragdgrünen Ohrringe griffen die Farbe ihrer Augen auf. Ihr Haar war tiefschwarz, mit grauen und weißen Strähnen. Eine gekräuselte Narbe verlief an der Stelle über ihrem linken Auge, wo die Kugel eines Attentäters sie nur knapp verfehlt hatte.

Für Nick war sie die kompetenteste Frau, die er je kennengelernt hatte. Ihr Aussehen und ihre geringe Körpergröße gab ihren Mitmenschen hin und wieder den Eindruck, dass sie leicht zu manipulieren wäre. Doch für gewöhnlich dauerte es nicht lange, bis sie sich dieses Irrtums bewusst wurden. Denn mit Elizabeth Harker war nicht zu spaßen.

Ein großer Flachbildschirm nahm den größten Teil der Bürozimmerwand ein. In der Nähe des Schreibtischs waren eine Ledercouch und drei Sessel angeordnet. Auf Harkers Schreibtisch befanden sich die Nostradamus-Akte, ein Stift nebst Notizblock und ein Bild ihres Vaters in einem silbernen Rahmen. Das Foto hatte die Aufnahme der Twin Towers am elften September ersetzt, welches zusammen mit der gesamten restlichen Einrichtung am Tag des Angriffs auf ihr altes Hauptquartier zerstört worden war.

Elizabeth schöpfte Kraft aus der Aufnahme ihres Vaters. Er hatte die praktische Angewohnheit besessen, jedem Problem mit einem Zitat oder einer ruhigen Unterhaltung auf den Grund zu gehen. Der Richter war vor Jahren schon gestorben, aber noch immer suchte sie in Gedanken seinen Rat, wenn sie wichtige Entscheidungen treffen musste.

Sie sah auf, als Nick und Selena eintraten. »Die Franzosen sind nicht besonders glücklich«, sagte sie. Harker verschwendete nie ein Wort.

Die beiden ließen sich auf der Couch nieder.

»Ebenfalls Hallo«, sagte Nick. »Wo drückt denen denn der Schuh?«

»Abgesehen von dem Umstand, dass Sie zwei ihrer Staatsbürger ins Krankenhaus geschickt haben und verschwunden sind, meinen Sie?«

»Ich hielt es für das Beste, das Land zu verlassen.«

»Sie können von Glück sagen, dass die beiden Männer, die Sie angriffen, auf der Fahndungsliste von Interpol standen. Was die Franzosen aber verstimmt hat, war, dass Bertrand an dem Nachmittag, als er ermordet wurde, noch ein Paket in Ihr Hotel schicken ließ. Sie würden gern wissen, was sich darin befand.«

Elizabeth nahm ihren neuen Stift zur Hand. Ihr silberner Kugelschreiber war zusammen mit allem anderen in dem alten Büro verlorengegangen. Sie hatte ihn durch einen Montblanc ersetzt, schwarz und mit der für die Marke typischen Kappe. Sie begann mit ihm auf die harte hölzerne Tischplatte zu klopfen.

»Wie es aussieht, pflegte Selenas Freund ein paar fragwürdige Kontakte.«

»Welche Kontakte sollen das sein?«, fragte Selena.

»In Europa gibt es einen Schwarzmarkt für seltene Bücher. Interpol hatte Bertrand in diesem Zusammenhang im Visier.«

»Ich glaube nicht, dass Jean-Paul auf dem Schwarzmarkt handelte«, sagte Selena. »Er war ein ehrbarer Mann. Seine Bücher besaßen ihre Provenienz. Seine Kontakte waren allesamt seriös.«

»Nicht alle. Die Polizei hat seine Telefongespräche überprüft. An dem Morgen seiner Ermordung bekam er einen Anruf von jemanden, der mit der Unione Corse in Verbindung steht.«

»Unione Corse? Was ist das?«, fragte Nick.

»Die französische Mafia. Sie operieren hauptsächlich auf Korsika und in Marseille, betreiben Rauschgifthandel, Kunstdiebstahl, Prostitution und Geldwäsche im großen Stil. Die Männer, die hinter Ihnen her waren, waren Gangster. Mitglieder der Mafia. Das kann kein Zufall sein.«

»Sie glauben also, dass die Unione Corse Jean-Paul umgebracht hat?«

»Ja. Ich sagte den Franzosen, dass ich mit Ihnen sprechen werde. Aber ich verriet ihnen nicht, dass wir das hier haben.« Sie tippte mit ihrem Finger auf die Nostradamus-Akte. »Haben Sie herausfinden können, was Bertrand uns mit den Zeichen auf dem Boden sagen wollte?«

Selena strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus der Stirn. »Nein. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«

Harker schob die Akte über den Tisch. »Übersetzen Sie das. Vielleicht sind wir dann schlauer.«

»Ich kann sie übersetzen, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass ich es auch verstehe. Nicht bei Nostradamus.«

»Arbeiten Sie mit Stephanie zusammen. Nehmen Sie die Computer zu Hilfe, um die Sache zu beschleunigen.«

Stephanie Willits war Harkers Stellvertreterin und das Computergenie des PROJECTS. In einem der alten unterirdischen Munitionslager waren eine Reihe von Cray-Computern untergebracht, deren Rechenpower es mit Langley aufnehmen konnte.

Harker legte ihren Stift ab und sah Selena an. »Sie haben den Angriff in Paris überstanden. Sind Sie fit genug, um wieder in den aktiven Einsatz zu wechseln?«

Im Jahr zuvor war Selena schwer verwundet worden. Eine Kugel hatte ihr Rückgrat gestreift und sie beinahe getötet. Für eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde sie für den Rest ihres Lebens an einen Rollstuhl gefesselt sein. Seither war sie nicht wieder im Einsatz gewesen.

Selena holte tief Luft. Sie wusste, dass dieser Moment kommen würde.

»Ich muss noch etwas vorsichtig sein, aber ja, ich bin wieder einsatzfähig.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja.«

Harker nickte. »Gut. Konzentrieren Sie sich aber zuerst auf die Übersetzung.«

»Ich würde die Akte gern mit nach Hause nehmen. Ich denke, ich kann das meiste davon übertragen, bevor ich Stephanies Hilfe brauche.«

»In Ordnung. Nick, Sie bleiben bei Selena, falls es noch mal jemandem einfallen sollte, das Manuskript an sich zu bringen. Betrachten Sie sich als überbezahlten Leibwächter.«

Er grinste Selena an und strich sich über einen eingebildeten Schnurrbart. »Und wie ich deinen Leib bewachen werde«, sagte er mit tiefer Stimme.

»Idiot«, antwortete sie.

Kapitel 3

Marcel Sarti saß auf der Terrasse seiner Hangvilla vor Marseille, genoss einen Pastis und beobachtete eine Jacht, die mit vollen Segeln über das glitzernde blaue Wasser des Golfe du Lion glitt. Der Chef der Unione Corse war guter Laune. Es war ein wundervoller Tag, einer jener Tage im Süden Frankreichs, an denen einfach alles neu und erreichbar schien. Der Lakritzgeschmack des Drinks erzeugte eine angenehme Wärme auf seiner Zunge.

Auf dem grünen Rasen unterhalb waren die Vorbereitungen für den sechzehnten Geburtstag seiner Tochter in vollem Gange. Ein großes Zelt war aufgestellt worden, die Tische platziert und der Partyservice schon bei der Arbeit. Auch die Bar stand bereits. Marcel erwartete zweihundert Gäste. Eine Einladung zu dieser Feier war mehr als eine Ehre, es war ein unausgesprochener Befehl. Es war unklug, Marcel Sarti zu beleidigen und die Einladung auszuschlagen. Sechs Bürgermeister der Arondissements der Stadt und mehrere Mitglieder des Stadtrates würden anwesend sein. Der Polizeichef wurde erwartet. Und natürlich würde auch der CEO des Grand Port of Marseille zugegen sein. Ein reibungsloser Ablauf an Frankreichs belebtestem Hafen war essenziell für den Drogenhandel, der einen Grundpfeiler von Marcel Sartis Imperium bildete.

Wenn es einen ärgerlichen Gedanken gab, der Sartis Tag trübte, dann war es sein Versagen, in Paris das Manuskript sicherzustellen. Marcel wusste nicht, wer ihn damit beauftragt hatte, das Buch zu beschaffen. Der Auftrag war über einen Mittelsmann zustande gekommen, einen Amerikaner, mit dem er schon in der Vergangenheit zu tun gehabt hatte.

Die Zielpersonen hatten sich als mehr als nur Touristen entpuppt, was die Dinge verkomplizierte. Einer seiner Kontakte bei der Polizei hatte herausbekommen, dass die Frau eine ehemalige Beraterin der NSA war und nun für den amerikanischen Geheimdienst arbeitete. Ebenso der Mann, der sie begleitet hatte.

Das Letzte, wonach Sarti der Sinn stand, war, der NSA oder CIA an den Karren zu fahren. Dieses Buch zu bekommen war gefährlicher, als es der Mühe wert war. Er hatte den Auftrag aufgekündigt und das Geld auf das Schweizer Konto zurücktransferiert, abzüglich einer angemessenen Entschädigung für den Verlust seiner Männer. Er wollte mit dieser Sache nichts mehr zu tun haben. Als Sarti den Amerikaner über seine Entscheidung informiert hatte, war dieser ausfällig geworden – etwas, das sich nur ein Narr mit Marcel erlauben würde.

Er trank seinen Pastis aus und stand auf. Nach der Party würde er darüber befinden, wie er mit dem Amerikaner verfahren sollte.

Kapitel 4

Indian Island bestand aus etwas mehr als zwei schroffen Quadratkilometern aus Felsen und Bäumen, fünfzehn Motorbootminuten von der Küste Maines entfernt. Eine tiefe Bucht an der Leeseite bildete einen kleinen, natürlichen Hafen. Vom felsigen Ufer aus führte ein langgezogenes Pier ins Wasser. Eine weiße Motorjacht in der Form des Pfeils eines Jägers lag in dem Hafen vor Anker.

Das Haupthaus war ein dreistöckiges Gebäude aus Holz, im Jahre 1851 mit Profiten aus dem Sklavenhandel errichtet. Eine breite Empore verlief um das zweite Stockwerk. Das Dach war mit einem Witwensteg gekrönt. Ein gepflegter Rasen fiel von dem Haus grün und nahezu perfekt zu der Anlegestelle hinab. An den Seiten säumten Beete mit leuchtenden Blumen und ein halbes Dutzend Bäume den Rasen, die noch Setzlinge gewesen waren, als die Pilgerväter in Plymouth Rock landeten.

Die Insel bot ein sicheres Umfeld für spezielle Ereignisse der herrschenden Klasse Amerikas. Ein solches stand kurz bevor, das jährliche Treffen der Cask-and-Swords-Gesellschaft. Ein Großteil der Mitglieder würde anwesend sein. Sie würden ihre Ehefrauen, Verlobten oder ihre Geliebten mitbringen. Es würde gutes Essen geben, gute Gespräche und gute Spirituosen. Und es galt, wichtige Entscheidungen zu treffen.

Es war ein perfekter Junimorgen. Der Partyservice hatte auf dem Rasen so gut wie alles vorbereitet. Ein großes Zelt funkelte grellweiß im Morgenlicht. Die Grills rauchten bereits. Im Inneren des Hauses saßen drei Männer an einem Tisch in der Bibliothek. Durch das Fenster der Bibliothek konnten sie die Jacht in der Bucht sanft auf den Wellen wippen sehen.

Die drei Männer hatten sich getroffen, um weiter darüber zu debattieren, wie sich ihr Plan, einen Krieg im Mittleren Osten auszulösen, in die Tat umsetzen ließ.

Die Insel gehörte Phillip Harrison III. Er war ein drahtiger Mann Mitte sechzig. Er trug ein weiches, sportliches Hemd mit geöffnetem Kragen, eine aufgebügelte hellbraune Hose und bequeme Slipper. Sein Gesicht besaß die typischen Züge eines alten Neuengländers, ein Gesicht, dem jede Spur von Humor fehlte und wie man es von den Porträts kolonialer Geistlicher und wohlhabender Händler aus dem 18. Jahrhundert kannte – hager und ernst. Harrison hatte graue Haare, haselnussbraune Augen und Hände mit langen, schmalen Fingern. Seiner Familie gehörte ein Großteil des amerikanischen Vermögens, und das bereits seit den frühen Tagen der Republik. Er besaß die größte private Investmentbank des Landes. Unter einer Summe von fünf Millionen Dollar konnte dort niemand ein Konto eröffnen. Harrison hielt das für eine vergleichsweise geringe Summe.

Oft dachte Harrison, dass er sich im 18. oder 19. Jahrhundert wohler gefühlt hätte, als sich Führungspersönlichkeiten für ihre Handlungen noch einzig und allein vor Gott verantworten mussten. Harrison glaubte an Gott. Er glaubte daran, dass Gott ihn in diese Welt geschickt hatte, um reich zu werden und diesen Reichtum dafür zu nutzen, den wahren christlichen Glauben zu verbreiten. Er glaubte daran, dass Gott ihn auf eine Mission ausgesandt hatte, um das Heilige Land und den Mittleren Osten der Kontrolle des Islams zu entreißen. Dies war der vorrangigste Antrieb in seinem Leben. Und es war der Grund, weshalb sich die drei Männer hier zusammengefunden hatten, auch wenn jeder von ihnen unterschiedliche Gründe besaß, dieses Ziel zu erreichen.

Der zweite Herr in der Runde war Stephen Boyd. Boyd war ein Mann mit einem rundlichen Gesicht und einem ebenso rundlichen Bauch. Seine Gesichtszüge wiesen erste Anzeichen für seinen körperlichen Verfall auf. Seine Lippen waren aufgedunsen, beinahe blau, was auf Verdauungsprobleme hindeutete, die ihn in Gesellschaft oft in Verlegenheit brachten. Boyds Familie war eine der dominanten Kräfte im Ölgeschäft gewesen, seit dem Beginn der Industrie in Pennsylvania. Die CIA hatte ihn direkt von der Uni abgeworben. Derzeit galt er als inaktiv, jedoch eine tiefgehende Quelle für jegliche Informationen. Nirgendwo existierten öffentliche Aufzeichnungen darüber, dass es überhaupt je Beziehungen zwischen ihm und Langley gegeben hatte. So war es ihm auch am liebsten.

Arthur Croft, dem dritten Mann, gehörte die Jacht am Ende des Piers. Croft betrieb ein internationales Konsortium von Rüstungsfirmen. Man konnte sich jede beliebige Waffe auf der Welt herauspicken, und die Chancen standen gut, dass sie von einer der Firmen innerhalb seines Konsortiums hergestellt worden war. Er besaß das Aussehen eines Raubvogels, mit schwarzen Augen, die unter dichten Augenbrauen funkelten. Auf einen gewissen Typ von Frauen wirkte er damit attraktiv. Für Croft war Krieg gut fürs Geschäft, egal, in welchem Teil der Welt er sich abspielte. Er war immer auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern, und ein großer regionaler Konflikt war die beste Geschäftsgelegenheit von allen. Der Konflikt, den sie gerade planten, würde ansehnliche Profite abwerfen.

Alle drei waren Mitglieder der Cask and Swords, einer Geheimgesellschaft, die sich in den Anfangstagen der Universität gebildet hatte. Jede Nation in der Geschichte besaß eine herrschende Kaste, die sich auf Vermögen, Beziehungen und Macht gründete. In Amerika gehörten viele dieser Kaste zu der Cask and Swords, darunter frühere und derzeitige Präsidenten, Kabinettsmitglieder, Gouverneure, Militärführer, Senatoren und Kongressabgeordnete. Der finanzielle Kurs des Landes befand sich derzeit ganz in der Hand von Cask-and-Swords-Mitgliedern.

Machtausübung und die Anhäufung von Vermögen bedurften stets der Opfer der Massen. Gewöhnliche Menschen hatten das nie verstanden, Harrison und die anderen aber schon. Alle drei Männer hielten es für ihr Geburtsrecht, das Schicksal der Nation zu formen und zu herrschen.

Sie beließen es bei Smalltalk, solange ein Diener ein leichtes Mittagessen und Getränke servierte. Harrison wartete, bis der Mann den Raum verlassen hatte.

»Der Versuch, das Nostradamus-Manuskript zu beschaffen, schlug fehl«, begann er.

»Wen hatten Sie mit der Beschaffung betraut?«, wollte Croft wissen.

»Marcel Sarti. Den Paten der Unione Corse.«

»Ich hätte Ihnen jemand besseren empfehlen können. Die französische Mafia ist unzuverlässig. Sie sind viel zu grob.«

»Das macht jetzt keinen Unterschied mehr. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass Sarti mich enttäuscht hat. Er besaß sogar die Arroganz, einen Teil des Honorars einzubehalten, und das, obwohl er scheiterte. Offenbar wähnt er sich in Kontrolle.«

»Was beabsichtigen Sie jetzt zu tun?«, fragte Boyd.

»Mit Sarti?« Harrison sah auf seine Uhr, eine goldene Patek-Phillipe. »Er wird uns bald schon keine Schwierigkeiten mehr machen. Das Manuskript bereitet mir größere Sorgen. Bertrand schickte es einer Frau, die für das PROJECT arbeitet.«

»Ah, die Lieblings-Geheimdienst-Einheit des Präsidenten.«

»Ja. Sie war mit Bertrand befreundet und zufällig in Paris. Bertrand schickte es ihr, kurz bevor er starb. Sie ist ausgebildete Kampfsportlerin. Als Sartis Schergen es ihr abzunehmen versuchten, beförderte sie die Männer in ein französisches Krankenhaus.«

»Glauben Sie, dass sie weiß, was sich in der Akte befindet?«

»Noch nicht.« Harrison nippte an seinem Weißwein aus einem seiner italienischen Weinberge. »Aber sie ist eine Sprachenexpertin. Sie wird in der Lage sein, es zu übersetzen. Dann wird sie es ihrer Vorgesetzten vorlegen. Das verkompliziert die Dinge.«

»Was werden sie Ihrer Meinung nach tun?«

»Ich vermute, dass sie der Spur der Quatrains folgen werden. Das gleiche, was wir beabsichtigen.«

»Und was, wenn sie finden, wonach wir suchen?«

»Es könnte für uns von Nutzen sein.«

»Das alles kann sich genauso gut als Zeitverschwendung herausstellen«, sagte Croft. »Ich denke, wir sollten mit dem Alternativplan fortfahren.«

»Wir müssen Geduld haben«, sagte Harrison. »Es ist über 3000 Jahre her. Ein wenig länger können wir noch warten.«

»Die Wahl in Israel rückt immer näher und Weisner liegt in den Umfrageergebnissen immer noch hinten.«

»Wie ich bereits sagte, Arthur, gedulden Sie sich. Auf die eine oder andere Art wird sich eine Möglichkeit bieten. Wenn eine andere Herangehensweise erforderlich werden sollte, werden wir dieser folgen. Alles ist bereit. Es wäre jedoch sehr viel besser, wenn alles so ausgeht, wie wir es uns erhoffen. Die Entdeckung wird Weisner in Israel zu einem Volkshelden machen. Seine Wahl wird damit sichergestellt sein. Und der Rest wird sich ergeben.«

Boyd trank einen Schluck Wasser. »Die EPA macht mir schon wieder Schwierigkeiten. Präsident Rice nimmt die Gesetze viel zu ernst.«

»Wenn der Krieg erst einmal begonnen hat, wird es keine Probleme mehr mit der EPA geben. Rice wird auf das Öl angewiesen sein«, antwortete Harrison.

Die Männer begannen zu essen.

Kapitel 5

Marcel Sarti trat aus seinem Lieblingsrestaurant in das abendliche Marseille hinaus, zündete sich eine Gitane an und seufzte zufrieden. Blauer Rauch stieg in trägen Spiralen von seiner Zigarette in die Luft auf. Von hier aus würde sich Marcel in einen seiner Clubs begeben, wo es Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen gegeben hatte. Sarti mochte keine Unregelmäßigkeiten. Er war dahintergekommen, wer dafür verantwortlich war, und beabsichtigte nun, eine anschauliche Botschaft an alle zu senden, die ebenfalls auf kreative buchhalterische Ideen kommen sollten. Doch im Moment genoss er einfach nur die Nachtluft und die Erinnerung an eine ausgezeichnete Mahlzeit. Die bevorstehende Unannehmlichkeit würde noch etwas warten müssen. Neben Sartis schwarzem Mercedes wartete ein Leibwächter an der geöffneten Wagentür.

Etwas weiter die Straße hinunter saßen zwei Männer auf einem dunkelblauen BMW-Motorrad. Der Motor der Maschine ratterte leise vor sich hin. Der Sozius verbarg eine MAC-10-Maschinenpistole unter seiner Jacke. Beide Männer trugen schwarze Motorradhelme mit getönten Visieren. Der Mann am Lenker hieß Eric, der andere Mann mit der Waffe Peter.

Sie sahen zu, wie Sarti aus dem Restaurant kam und sich seine Zigarette anzündete.

»Da ist er.«

Peter zog die Maschinenpistole unter seiner Jacke hervor. Eric legte einen Gang ein und fuhr aus der Parklücke.

Sarti spähte zu dem Motorrad, als dieses auf der Höhe des Mercedes angelangte. Peter hob die Waffe und feuerte eine lange Salve ab. Die Schüsse zerrissen die Stille der Nacht. Ein grellrotes Muster erschien auf Sartis elegantem gelbem Seidenhemd. Die Zigarette glitt ihm aus den Fingern. Er fiel vornüber auf den Gehsteig.

Der Leibwächter schoss, während das Motorrad vorbeipreschte. Die Schüsse hallten von den umstehenden Appartementhäusern wider. Das Motorrad geriet ins Schlingern. Peter grunzte und feuerte eine zweite Salve ab. Der Leibwächter taumelte und fiel. Eric stieg aufs Gas und das Motorrad donnerte davon.

Eine halbe Stunde später parkte die Maschine in einer Mietgarage am Stadtrand. Der Raum wurde nur von einer einzelnen, mit Fliegendreck übersäten Glühbirne erhellt, die von der Decke hing. Peter lag auf dem ölverschmierten Betonboden. Seine Jacke war blutgetränkt. Die Kugel hatte ihn tief an der Seite erwischt, aber er hatte es geschafft, sich auf dem Motorrad zu halten, bis sie die Garage erreichten. Jetzt aber befand er sich in einem Schockzustand und war kaum noch bei Bewusstsein. Sein Gesicht wirkte verkniffen und bleich im schwachen Licht der Lampe. Unter ihm breitete sich langsam eine Blutlache aus. Eric zog ein Handy hervor und wählte eine Nummer.

»Ist erledigt«, meldete er. »Aber es gab Schwierigkeiten.«

»Welche Schwierigkeiten?«

»Peter ist schwer verwundet. Er muss ins Krankenhaus.«

»Das geht nicht.«

»Ich weiß.«

»Du weißt, was zu tun ist. Kehre in die Botschaft zurück.« Der Anruf endete.

Eric schaltete sein Telefon ab und kniete sich neben den Mann am Boden. Zu dumm. Er hatte gerade angefangen, ihn zu mögen.

»Tut mir leid«, sagte er mit leiser Stimme.

Silbern blitzte ein Messer in seiner Hand auf. Er trieb es unter dem Brustbein in den Körper und drehte es herum. Blut schoss aus Peters Mund. Fassungslos riss dieser die Augen auf. Sein Körper versteifte sich, dann sank er kraftlos zurück. Der Gestank von Ausscheidungen füllte den Raum.

Eric stand auf. Er wischte das Messer an Peters Shirt ab und steckte es in seine Tasche zurück. Er verließ die Garage durch die Seitentür und lief zu einem Wagen, der in der Nähe parkte. In sechs oder sieben Stunden würde er in Paris sein. Wenn die Polizei das Motorrad und die Leiche fand, würde er bereits außer Landes sein. Die Behörden würden annehmen, dass Sartis Tod Teil eines Machtkampfes innerhalb der Unione Corse gewesen war, und dass man den anderen Mann umgebracht hatte, um ihn damit zum Schweigen zu bringen.

Was das anbelangte, würden sie recht haben, aber sie würden nicht auch nur im Entferntesten ahnen, was der wahre Grund hinter der Attacke in dieser Nacht war.

Kapitel 6

Auf dem Arbeitstisch in Selenas luxuriöser Eigentumswohnung lagen ausgebreitet die Seiten des Nostradamus-Manuskripts. Nick verbrachte viel Zeit hier, hatte sein eigenes Appartement aber behalten. Jedes Mal, wenn er erwog, bei ihr einzuziehen, hielt ihn etwas zurück. Selena hatte ihn nicht weiter gedrängt. Vielleicht, weil sie Angst davor hatte, was danach passieren würde, oder weil sie genauso vorsichtig war wie er. Er wusste es nicht, und sie hatten auch noch nicht darüber gesprochen.

In letzter Zeit hatte es den Anschein, als hätte sich etwas zwischen ihnen verändert. Als hätten sie sich voneinander entfernt. Er konnte nicht genau sagen, was genau es war. Nur so ein Gefühl. Manchmal beschlich ihn das Gefühl, dass die Beziehung zu ihr diesem Gummiball an einem Holzschläger glich, der davonhüpfte und wieder zurückgezogen wurde.

Er betrachtete die Manuskriptseiten auf dem Tisch. Ihretwegen hatte jemand versucht, auf offener Straße in Paris ein Messer in ihn hineinzurammen. Und Selenas Freund hatte sein Leben für sie gelassen. Was machte sie so wertvoll, dass man dafür sogar mordete?

»Glaubst du, dass Nostradamus wirklich in die Zukunft sehen konnte?«

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Darüber streiten sich die Gelehrten, seit die Prophezeiungen 1555 veröffentlicht wurden. Ein paar seiner Verse scheinen sich auf reale Begebenheiten zu beziehen. Diese beiden zum Beispiel.«

Sie las aus ihren Notizen vor.

Eine Insel in der neuen Welt birgt Gefahren

Der junge Adler steht vor dem Bären

Donnergrollen über den Wassern

Schatten unterhalb des Meeres, grimmiger noch als Drachen

»Und?«, fragte Nick.

»Der Bär symbolisiert Russland, auch damals schon. Ich denke, es beschreibt die Kubakrise von 1962. Der Adler und der Bär könnten für Amerika und Russland stehen. Donnergrollen über den Wassern könnten Jets sein. Und die Schatten unterhalb des Meeres könnten sich auf U-Boote beziehen.«

»Du glaubst, er hat ein Ereignis vorhergesagt, dass 400 Jahre in der Zukunft lag?«

»Möglich ist es. Er sah auch den Aufstieg und Fall Hitlers und der Nazis voraus. Wenn er bei Hitler richtig lag, wieso dann nicht auch bei Kuba und den Russen?«

»Vielleicht. Du sagtest zwei Verse. Wie lautet der andere?«