PROJECT Band 1-3 (Bundle) - Alex Lukeman - E-Book

PROJECT Band 1-3 (Bundle) E-Book

Alex Lukeman

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Beschreibung

Jetzt die ersten 3 Bände dieser spannenden Serie in einem Bundle zum kleinen Preis! Band 1: Weisser Jade Band 2: Die Lanze Band 3: Die siebte Säule Vor dem Hintergrund eines internationalen Machtspiels spannt PROJECT: WEISSER JADE ein Netz aus Täuschung und Mord um den Globus. Nick Carter, ehemaliger Aufklärungs-Marine, dessen Vergangenheit ihm unzählige körperliche und seelische Narben bescherte, arbeitet für das PROJECT, eine geheime Einheit zur Bekämpfung des Terrorismus, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Selena Connor, eine gutaussehende, starke und fähige Sprachwissenschaftlerin, findet sich plötzlich inmitten seiner gefährlichen und gnadenlosen Welt wieder, als ihr wohlhabender Onkel von jemandem auf grausame Weise ermordet wird, der auf der Suche nach einem altertümlichen Buch über das Elixier der Unsterblichkeit ist. Nick wird beauftragt, Selena zu beschützen und ihr bei der Wiederbeschaffung des verschwundenen Textes zu helfen. Es ist der Beginn eines Abenteuers auf Leben und Tod, das von San Francisco bis nach Peking und von Washington bis in die geheimen Kammern in Tibet reicht. Jemand möchte in China die Macht an sich reißen und plant einen Angriff auf Amerika – und Nick und Selena stehen dabei mitten in der Schusslinie. Internationale Intrigen, Terroranschläge und die Bedrohung eines atomaren Krieges bilden den Kern dieses rasanten Thrillers, dem ersten Teil der Reihe um Nick, Selena und dem PROJECT.

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WEISSER JADE

Project – Band 1

Alex Lukeman

© Copyright 2011 by Alex Lukeman

http://www.alexlukeman.com

Impressum

Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-670-2

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Danksagung

Meine Frau, Gayle, die frühe Entwürfe gelesen und wirklich gute Anmerkungen gemacht hat und mir immer und immer wieder zuhören musste; Frank Macchi, ehemals beim San Francisco Police Department, der mir vom BART-Luftschacht am Ende des Ferry-Building-Landungsstegs und auch über die chinesischen Triaden in der Bay Area erzählt hat; Greg Skein, ehemaliger Army Ranger; Glenn Frazier, ein Vietnam Veteran und Nachbar, der immer wieder nach dem nächsten Buch fragt.

Emma Sweeney in New York verwendete viel ihrer wertvollen Zeit, um sich das Buch anzusehen, und machte exzellente Anmerkungen, die mir halfen, ein besserer Schriftsteller zu werden.

Da sind noch andere. Danke, an euch alle.

Inhaltsverzeichnis

WEISSER JADE
Danksagung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
DIE LANZE
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Epilog
Anmerkungen des Autors
DIE SIEBTE SÄULE
Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Teil II
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Teil III
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Über den Autor

Kapitel 1

Der Traum zersprang in rote und schwarze Scherben, wie ein fehlerhaftes Kaleidoskop. William Connor setzte sich auf, schnappte nach Luft und wartete darauf, dass sich sein Herzschlag wieder beruhigte. Die grünen Ziffern auf der Uhr neben seinem Bett zeigten halb drei Uhr morgens.

Irgendetwas stimmte nicht.

Hatte er den Alarm eingeschaltet?

Nach kurzem Zögern stieg er aus dem Bett und warf sich einen Bademantel über. Er näherte sich der Treppe seines Hauses in San Francisco. Unten ergoss sich das gelbe Licht einer Schreibtischlampe in einer Pfütze über den polierten Holzfußboden. Der Rest des Raumes war in Dunkelheit getaucht.

Sein alternder Körper protestierte, als er die Treppe hinunterstieg. Er drehte sich in Richtung des Kastens mit der Alarmanlage, als plötzlich ein großer Mann aus dem Schatten trat und ihm den Weg versperrte. Connors Herz setzte einen Schlag aus und verfiel in unregelmäßiges Pochen.

»Hey! Was tun Sie hier?«

Starke Arme ergriffen Connor von hinten und drückten ihn in den Stuhl an seinem Tisch. Jemand fesselte ihn mit Klebeband. Sein Bademantel verrutschte und entblößte dabei seine blassen Genitalien. Er war absolut hilflos.

»Geht es um Geld? Ich habe Geld. Sagen Sie mir, was Sie wollen.«

Der große Mann stand bedrohlich über Connor. Er roch unangenehm nach Testosteron und kaltem Schweiß.

»Genau, Geld. Und ich will das Buch.«

»Welches Buch?«

Der Mann schlug Connor wie beiläufig ins Gesicht.

»Das Buch. Das aus Bhutan.«

Connor schmeckte Blut. »Das ist nicht hier!«

»Dann wirst du mir sagen, wo es ist. Aber zuerst das Geld. Ich will die Kontonummern und Zugangsdaten.«

William Connor war ein reicher Mann. Zugang zu diesen Konten gewährte die Kontrolle über mehrere hundert Millionen Dollar.

»Wer sind Sie?«

»Dein schlimmster Albtraum. Sag mir, was ich wissen will, oder ich tue dir weh.«

Wie nebenbei griff sich der Mann eine zerbrechliche, antike Porzellanvase und betrachtete das exquisite Design aus Blumen und Vögeln. Die zarte Glasur leuchtete im gedämpften Licht. Er lächelte.

Es gab nur zwei Dinge, die William Connor wirklich liebte. Zum einen seine Nichte Selena, und zum anderen die Freude an alten und schönen Dingen.

»Bitte seien Sie vorsichtig damit«, sagte er, »sie ist sehr alt.«

Der Mann schaute auf die fragile Vase und lächelte erneut. Er hielt sie in seiner riesigen Hand vor Connor und zerdrückte sie zu Staub. Connor spürte, wie sich seine Brust zusammenzog.

»Wenn ich eine Frage stelle und keine Antwort bekomme, tue ich dir weh. Verstehst du das?«

»Ja.«

»Die Kontodaten.«

»Die habe ich nicht hier. Das ist alles in meinem Büro.«

Der Mann seufzte. Er ging in die Küche. Connor konnte hören, wie er die Schubladen durchwühlte. Er kam mit einer kleinen Gartenschere mit rotem Griff zurück, die Connor für seine Rosenbüsche verwendete.

Er griff sich die linke Hand des alten Mannes, presste die Klingen zusammen, schnitt den kleinen Finger ab.

Connor schrie auf.

Der Mann bohrte die Spitze der Schere in den Knochen unter Connors linkes Auge. Wieder schrie Connor vor Schmerz. Blut lief seine Wange hinunter.

»Der Nebel draußen ist dicht. Das Haus ist solide. Niemand wird dich schreien hören. Dein rechtes Auge ist als nächstes dran.«

Die Blase des alten Mannes entleerte sich in seinen Bademantel und auf den Stuhl. Hinter ihm lachte jemand.

»Ich sage es! Ich sage es! Tun Sie mir nicht mehr weh!« Die Zahlen platzten nur so aus ihm heraus. Ein plötzlicher Schmerz breitete sich in Connors linkem Arm aus, stechend und unvermittelt wie ein aufblühender Feuerblitz. Er hielt inne und versuchte zu Atem zu kommen.

»Wo ist das Buch?«, brüllte der Mann.

Schmerz explodierte in Connors Brust und sein Sichtfeld verschwamm. Das letzte, was er sah, war das furchteinflößende, wütende Gesicht seines Mörders.

Kapitel 2

Nicholas Carters Gedanken kreisten nicht um die Granate, sondern um die Temperaturanzeige seines gemieteten Ford, die im roten Bereich verankert war. Er fuhr auf den Parkplatz von PROJECT und stieg aus, in die Hitze. Dampf kochte unter der Motorhaube und eine grüne Pfütze breitete sich unter dem Auto aus. Sein Kopf fühlte sich an, als sei er in Eisen gehüllt. Er wünschte, er wäre noch in seiner Hütte in Kalifornien, anstatt in Virginia mit seinen Schuhen am Asphalt zu kleben.

Carter sah sich um. Die anderen Autos waren leer. Er überquerte den Parkplatz und ging zu dem Gebäude, in dem sich PROJECT befand. Eines wie hunderte in der Gegend. Bei flüchtiger Betrachtung unterschied es sich lediglich durch eine beeindruckende Ansammlung von Antennen auf dem Dach.

Carter passierte den Sicherheitsbereich, ignorierte den Fahrstuhl und ging zur Treppe. Vorbei an den Computern, den Back-up-Generatoren und der Kommunikationszentrale im zweiten, sowie den Analysten im dritten Stock, verließ er das Treppenhaus im vierten und letzten Stockwerk und ging zum Büro von Direktor Harker. An der Tür legte er seine Hand auf den biometrischen Scanner und trat ein.

Elizabeth Harker sah von ihrem Schreibtisch auf. Sie war schmächtig, hatte milchweiße Haut, kleine, spitze Ohren und rabenschwarzes Haar. Ihre großen, grünen Augen glichen denen einer Katze. Sie sah aus wie eine in Schwarz und Weiß gekleidete Elfe, allerdings eine, mit der man sich lieber nicht anlegen sollte.

Auf ihrem Schreibtisch befand sich ein Aktenordner mit seinem Namen, ein silberner Stift, der einmal Roosevelt gehört hatte, und ein Bild der brennenden Twin Towers. Das Bild diente ihr als Erinnerung daran, was ihr Auftrag war.

»Nehmen Sie Platz.« Harker öffnete die Akte.

Er setzte sich und wartete.

»Der Psychiater sagt, Sie sind wieder bereit für den Einsatz. Stimmt das?«

»Mir geht es gut.«

»Keine Flashbacks mehr?«

»Nein.«

Seit drei Monaten schon nicht mehr. Er hatte die Pillen vom Doktor weggeworfen. Sie hatten alles zu einer schmalen Monotonie reduziert und ihm das Gefühl gegeben, als würde er in einem verblassenden Schwarz-Weiß-Foto leben. Er glaubte nicht, dass Harker von den Träumen erfahren müsste.

Harker nickte, machte eine Notiz in der Akte und verstaute sie dann in einer Schublade.

Ein großer, flacher Monitor war an einer Wand des Büros angebracht. Harker tat irgendetwas an ihrem Schreibtisch und das Bild eines älteren Mannes erschien auf dem Schirm. Seine Augen waren blau. Er sah aus wie jemand, den man gerne zum Großvater hätte.

»Das ist William Connor. Er war ein sehr reicher Mann. Außerdem war er ein Freund des Präsidenten.«

»War?«

»Jemand hat ihn gefoltert, bis er an einem Herzschlag gestorben ist. Man hat ihm einen seiner Finger mit einer Gartenschere abgeschnitten. Danach transferierte man Geld von seinen Konten und verwüsteten seine Wohnung.«

Eine elektrische Spannung zog in Carters Schultern. Einem alten Mann einen Finger abzuschneiden, machte es zu etwas Persönlichem, etwas, woran er sich festhalten konnte. Es war besser, wenn es persönlich war. Das half, ihn zu motivieren. Für Gott und Vaterland reichte ihm irgendwie nicht mehr wirklich, nicht seit Afghanistan. Nicht seit Südamerika.

»Das ist kaltherzig. Wie viel Geld?«

»So etwa vierhundert Millionen.«

»Warum mischen wir uns da ein? Das ist doch eher ein Fall für das FBI oder das Schatzamt.«

»Wir haben letzte Woche eine verschlüsselte Satellitenübertragung der chinesischen Botschaft in San Francisco abgefangen. Ein Colonel des chinesischen Militärnachrichtendienstes namens Wu gibt vor, ein offizieller Handelsvertreter zu sein. Er rief seinen Boss, General Yang an, das ist der Chef ihres Militärnachrichtendienstes. Wu berichtete ihm von einem alten Buch, das Connor in Bhutan gefunden hatte. Yang befahl ihm, sowohl das Buch als auch das Geld von Connor zu besorgen. Das Geld wanderte auf ein Konto von Yang auf Macao.«

»Chinesischer Militärnachrichtendienst? Warum sollten die so was Dummes tun? Das ergibt doch keinen Sinn. Was steht denn in dem Buch?«

»Das wissen wir nicht. Connor hatte eine Nichte, die das vielleicht weiß. Ich möchte sie dazu befragen. Doktor Connor kommt heute noch zu uns.«

»Doktor?«

»Sie hat in orientalischen und in altertümlichen Sprachen promoviert. Sie ist eine der Top-Experten des Landes.«

Carter versuchte sich eine promovierte Experten-Nichte vorzustellen. Jemand mit akademischem Aussehen. Möglicherweise in einem schlabbrigen, erdfarbenen Anzug, mit großer Brille und grauen Haaren, so um die fünfzig.

Harker sagte: »Das FBI hat Wu unter routinemäßiger Überwachung. Ich habe ein Foto angefordert, und sie haben eines rübergeschickt. Mein Bauchgefühl sagt allerdings, dass sie noch irgendetwas zurückhalten.«

Nick reagierte nicht.

»Zeke Jordan ist der Verbindungsmann. Sie kennen ihn. Sprechen Sie mit ihm und sehen Sie zu, was Sie herausfinden können.«

Eine Stimme erklang aus der Gegensprechanlage auf Harkers Schreibtisch.

»Frau Direktor, Doktor Connor ist hier.«

»Bringen Sie sie herauf.«

Während sie warteten, dachte Carter über sein Auto nach und entschied sich dafür, Triple A anzurufen und mit dem Abschleppwagen zurückzufahren.

Kapitel 3

Selena Connor sah nicht wie eine etwa fünfzigjährige, grauhaarige Professorin aus. Es war aber nicht ihr Aussehen, welches Nicks Aufmerksamkeit auf sich zog, auch wenn das bereits genügt hätte. Es war die Art, wie sie den Raum betrat, kontrolliert, voller Energie, mit der Anmut einer Athletin. Sie war in ihren Dreißigern. Ihr Haar war kurz und rötlich-blond, das Gesicht sonnengebräunt. Sie hatte hohe Wangenknochen und violette Augen. Über ihrer Lippe befand sich ein kleines Muttermal.

Sie trug weder einen schlabbrigen Anzug, noch eine große Brille, sondern eine glatte Seidenjacke und Hose, sowie eine blasse Bluse, die das Violett ihrer Augen aufgriff. In der linken Hand trug sie eine Computertasche aus schwarzem Leder.

Nick stand auf und Harker stellte ihn vor. Sie setzten sich.

»Was haben Sie da?«, fragte Harker.

»Den Laptop meines Onkels. Er hat ihn vorher nie bei mir gelassen. Ich habe ihn mir nicht angesehen, aber ich dachte, Sie würden das eventuell wollen.« Ihre Stimme war beherrscht, auf ihrem Gesicht zeichneten sich Spuren von Anspannung ab.

Hat sich im Griff, dachte Nick.

»Doktor Connor …«, begann Elizabeth Harker.

»Bitte nennen Sie mich Selena.«

»Selena. Die Leute, die Ihren Onkel getötet haben, waren auf der Suche nach einem Buch, das er in Bhutan aufgetrieben hat. Wir müssen wissen, worum es darin geht.«

Selena warf Harker einen fragenden Blick zu. Wieso wusste sie von dem Buch?

»Es ist nicht mehr da. Ich weiß nicht, wo es ist. Ich habe zwar nicht alles gelesen, aber es ist die Kopie eines uralten Textes über Unsterblichkeit, überwiegend in Sanskrit verfasst. Bücher dieser Art sind selten, aber dieses ist einzigartig. Was sich darin befindet, ist eigentlich unmöglich.«

»Unmöglich?« Harker tippte sich mit dem Stift gegen ihre Lippe.

»Ein Teil davon wurde in Linearschrift A verfasst. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich würde es niemals glauben. Linearschrift A ist eine von zwei Schriftsprachen des minoischen Imperiums so etwa 1600 vor unserer Zeit. Es existieren keine in Linearschrift A verfassten Bücher und es sollte auch absolut nichts Minoisches in der Himalaja-Region zu finden sein.«

»Sind Sie sicher, dass das Buch nicht mehr da ist?«

»Mein Onkel bewahrte es auf seinem Schreibtisch auf, aber dort ist es nun nicht mehr. Er wollte es auf seinen Computer scannen.«

»Also könnte es auf dem Laptop sein, welchen Sie mitgebracht haben.«

»Könnte sein.«

Harker begann, mit ihrem Stift auf den Tisch zu tippen. »Das Geld von den Konten Ihres Onkels ging nach China.«

»China? Ein Teil des Buches befasst sich mit dem ersten chinesischen Kaiser, Qin Huang.«

»Kaiser Huang?«, fragte Nick. »Der mit den Soldaten und den Pferden?«

»Ja. Huang platzierte eine Armee von Terrakotta-Soldaten und Pferden vor seinem Grab. Chinesische Bauern haben es '74 gefunden. Es ist eine große Touristenattraktion.« Selena strich sich ein paar Haare aus der Stirn. »Das Buch beschrieb Huangs Suche nach Unsterblichkeit. Er war davon besessen. Außerdem wiederholte es alte Geschichten von Schätzen in seinem Grab. Jeder weiß, wo es ist, aber es wurde nie ausgegraben.«

Harker berichtete Selena von dem abgefangenen Gespräch.

»Dann wissen Sie also, wer das getan hat! Können Sie ihn nicht verhaften, diesen … Colonel, oder was auch immer er sein mag?«

»Wir haben keine stichhaltigen Beweise. Außerdem besitzt er diplomatische Immunität.«

Nicks Ohr begann zu jucken. Seit seiner Kindheit juckte es, wenn Dinge kompliziert wurden, ein persönliches Frühwarnsystem. Manchmal war es allerdings auch einfach nur ein Juckreiz. Er kratzte sich.

Harker legte ihren Stift aus der Hand. »Vielleicht ist ja etwas auf dem Laptop, schauen wir doch mal nach.«

Selena reichte ihr die Tasche. Harker packte den Computer aus und schloss ihn an einem Port an ihrem Schreibtisch an. Das Display des Monitors an der Wand schaltete sich ein. Der Bildschirm war mit Ordner-Icons gefüllt.

»Viele Dateien.« Sie klickte auf eine mit dem Label ›Peking‹. Die Datei war eine Liste von Kontonummern in der chinesischen Hauptstadt.

»Das könnte helfen, das Geld zu verfolgen. Ich sehe nichts über ein Buch.«

Selena sagte: »Sieht aus wie Finanzdaten, beschriftet nach Lage, wie die Bahamas oder die Kaimaninseln, oder nach Branche und Stadt. Da ist eine Datei ›Li Shan‹. Das ist die Grabstätte des Kaisers. Öffnen Sie die.«

Die Datei war ein Angebotsentwurf für die Ausgrabung der Grabkammer des ersten Kaisers mit Zeitplan und detaillierter Kostenauflistung. Über das Buch war nichts darin zu finden.

»Es gibt eine Datei mit meinem Namen«, sagte Selena erstaunt.

»Schauen wir sie uns mal an.«

Es war ein Brief von William Connor an seine Nichte, geschrieben eine Woche vor seinem Tod.

Meine liebste Selena, du weißt, wie ich Klischees hasse. Bitte verzeih mir, dass ich nun doch auf eines zurückgreife. Um es einfach zu machen: Solltest du diesen Brief lesen, dann ist mir etwas zugestoßen. Ich erwäge dies nicht mit Leichtigkeit, meine Liebe, aber das Leben zwingt uns manchmal unangenehme Eventualitäten auf. Ich hinterlasse diese Nachricht und meinen Computer bei dir in der Hoffnung, dass du sie nie lesen wirst.

Ich glaube, dass ich von Agenten der chinesischen Regierung beobachtet werde, wegen des Buches, das ich in Bhutan gefunden habe. Meine Übersetzung ist unvollständig, aber es scheint historische Unstimmigkeiten bezüglich des Todes und der Beerdigung des ersten Kaisers zu geben, und diese stehen in Zusammenhang mit einem vermeintlichen Elixier des ewigen Lebens.

Ich habe ein Angebot für eine mögliche Ausgrabung der Grabstätte des ersten Kaisers in Li Shan vorbereitet. Vor einer Woche habe ich mich mit einem chinesischen Konsulatsbeamten Namens Wu Chen getroffen, um das Erlangen einer Erlaubnis zu besprechen, solch ein wichtiges Projekt zu finanzieren und daran teilzuhaben. Wu bot mir an, für mich den Kontakt mit den richtigen Leuten in Peking herzustellen.

Im Verlauf unseres Treffens sprach ich über das Buch. Nicht lange danach fiel mir ein großer, recht bedrohlich aussehender chinesischer Mann auf, der mich in einem meiner Stammrestaurants beobachtete. Dann bemerkte ich denselben Mann auch an anderen Orten, zu anderen Zeiten. Vielleicht hat das nichts mit Wu zu tun, aber das scheint mir ein zu großer Zufall zu sein.

Ich fühle mich bedroht. Daher schreibe ich dir diesen Brief, auch wenn es sich dabei möglicherweise nur um das törichte Verhalten eines alten Mannes handelt.

Ich habe das Buch an einem sicheren Ort verstaut. Sollte es einen Hinweis auf das Geheimnis der Unsterblichkeit oder den Schlüssel zu den Schätzen des Kaisers beinhalten, dann ist es gefährlich, es zu besitzen.

Erinnerst du dich an unsere gemeinsamen Sommer an der alten Mine, als du ein Kind warst? Das geheime Versteck, wo du deine kostbarsten Besitztümer verborgen hast? Dort findest du das Buch.

Meine liebe Selena, solltest du dies tatsächlich lesen, bitte sei dir gewiss, du warst immer ein Quell der Freude und des Vergnügens für diesen, deinen alten Onkel.

Mit all meiner Liebe, Onkel William

Sie lasen den Brief erneut. Selena saß starr auf ihrem Stuhl. Nick beobachtete sie. Es war eine alte Angewohnheit. Beobachten. Es verriet ihm Dinge. In diesem Moment verriet es ihm, dass Selena sehr angespannt war. Ihrem Onkel sehr nah, dachte er, aber sie ließ niemanden sehen, wie sie sich wirklich fühlte.

Er wusste, wie das war.

»Wissen Sie, wovon er da gesprochen hat? Der Ort, an dem er das Buch versteckte?«, fragte Harker.

Selenas Stimme war kontrolliert, neutral. »Meine Familie hat 1850 in Kalifornien Gold gefunden. Es gibt ein Haus an der alten Mine. Vor dem Haus steht ein Erzwagen voller Steine. Als Kind habe ich Dinge unter den Steinen versteckt. Da muss er das Buch verstaut haben. Ich bin überrascht, dass er es nicht in eines seiner Schließfächer getan hat.«

»Es sind keine Schlüssel für Schließfächer aufgetaucht.« Harker drehte ihren Stift zwischen den Fingern.

»Er hatte mindesten drei.«

»Das FBI hat sein Büro und seine Wohnung durchsucht. Wir werden dort mal nachfragen.«

»Wenn sie die Schlüssel haben, dann wissen sie, was in den Schließfächern ist.« Nick schaute Harker an. »Ich werde Jordan fragen, wenn ich mit ihm spreche.«

»Tun Sie das. Danach möchte ich, dass Sie mit Doktor Connor nach Kalifornien gehen und das Buch holen. Ist das in Ordnung für Sie, Selena?«

»Alles, was irgendwie hilft.«

»Wozu wollen Sie mich dabeihaben?«, fragte Nick.

»Die haben das Buch nicht bekommen. Wenn sie glauben, Selena hat es, könnten sie versuchen, sich an ihr zu vergreifen. Ich möchte, dass Sie ein Auge auf sie haben.« Harker schaute auf ihre Uhr und wendete sich an Selena. »Es ist zu spät, um heute noch einen Flug zu bekommen. Wir werden einen für morgen buchen. Welcher Flughafen, Selena?«

»Sacramento. Die Mine ist nur eine Stunde von dort entfernt.«

»Wir werden für ein Auto sorgen.«

»Wir können meins nehmen. Es ist bereits dort«, sagte Nick. Er war aus Sacramento abgeflogen. Sein Truck stand auf dem Parkplatz des Flughafens.

»Gut. Setzen Sie sich mit Jordan in Verbindung, bevor Sie gehen. Rufen Sie mich an, wenn Sie das Buch gefunden haben. Wir durchsuchen inzwischen den Rest der Dateien.«

»Was soll ich Jordan sagen?«

Harker tippte mit ihrem Stift auf den Tisch. »Berichten Sie ihm von den Konten. Das Buch behalten wir vorerst für uns. Es gibt keinen Grund für das FBI, davon wissen zu müssen.«

Kapitel 4

Etwas früher am selben Tag saß Colonel Wu in einer abgeschiedenen Sitzecke aus rotem Leder im Happy Family Restaurant in San Francisco.

Gedämpfte Geräusche drangen von der Straße nach oben. Der einzige andere Kunde war ein alter Mann, der am gegenüberliegenden Ende des Raumes saß und eine Zeitung las. Der Geruch von Reis, Schweinefleisch und Nudeln vermischte sich mit dem leisen Gespräch der Kellner, die sich in einer Ecke drängten. Wu nippte an seinem Tee. Er nahm eine hellrote Nelke aus der Vase auf dem Tisch und drehte sie in seinen Händen. Er dachte über sein Gespräch mit dem General nach.

»Erzählen Sie mir von diesem Buch.«

Yangs feuchte Stimme hallte durch die Satellitenverbindung.

»Der Amerikaner hat es in Bhutan aufgetrieben. Das Buch befasst sich mit dem ersten Kaiser. Es ist ein medizinischer Text mit einer Formel für einen Trank der Unsterblichkeit. Darum habe ich Sie kontaktiert.«

Der General war immer an allem interessiert, was mit dem ersten Kaiser und seiner Suche nach Unsterblichkeit zu tun hatte. Wu musste General Yang bei Laune halten.

»Wie ist der Name des Buchs?«

»Der Amerikaner sagte, die Übersetzung wäre Der Goldene Garuda.«

Wu hörte ein scharfes Einatmen. Als Yang wieder sprach, war seine Stimme beherrscht. Wu spürte seine Aufregung.

»Ich habe einen Auftrag für Sie.«

»Sir.«

»Ich benötige dieses Buch. Beschaffen Sie es und bringen Sie es mir.« Es gab eine Pause. Wu wartete. »Der Amerikaner ist reich?«

»Ja, Sir. Er hat ein großes Vermögen.«

»Beschaffen Sie sich Zugang zu seinen Konten. Transferieren Sie die Gelder zu den Kontonummern, die ich nach diesem Gespräch sende.«

»Ja, Sir. Gibt es irgendwelche Einschränkungen?«

»Nutzen Sie alle erforderlichen Mittel. Stellen Sie sicher, dass es hinterher keine Komplikationen gibt.«

»Ja, Sir.«

»Informieren Sie mich, wenn Sie Erfolg hatten.«

Wu spielte mit der Blüte und trank seinen Tee. Das Buch war nicht in Connors Haus. Die Nichte musste wissen, wo es ist. Seine Agenten würden sie zur Befragung zu ihm bringen.

Wu dachte daran, sie zu verhören. Er fühlte eine beginnende Erektion. Er würde sie ausziehen und nackt fesseln. Das verunsicherte Gefangene immer, vor allem die Frauen. Choy konnte sie befragen, aber manchmal schoss sein Sergeant übers Ziel hinaus und beschädigte das Subjekt zu sehr, noch bevor Wu erfahren konnte, was er wissen musste. Nein, er würde es selbst erledigen.

Die Wassertechnik war effektiv, aber zeitraubend, wenn das Subjekt stur war. Wu bevorzugte Schweißbrenner und Zange. Oder Messer, die Sorte, die man in jeder Küche finden würde. Einfache Werkzeuge waren immer am besten.

Er griff nach seinem Tee und warf einen Blick nach unten. Die zerpflückten Blütenblätter bildeten ein delikates Muster auf der zerkratzten Tischplatte. Er wischte sie mit der Hand beiseite. Sie fielen wie Blutstropfen in einem roten Regen zu Boden.

Das Ertönen der grünen Jade-Wohlstandssymbole über der Tür des Restaurants kündete die Ankunft seines Sergeants an.

Choy Gangs Haut hatte die Farbe der mongolischen Wüste an einem Winterabend, was seine gemischte Herkunft verriet. Er war riesig und wog über 250 Pfund. Sein Kopf war groß und saß wie eine Melone mit zerknitterten Ohren auf seinen massiven Schultern. Seine Hände waren breite Keulen, die Knöchel vernarbt und knubbelig.

Choys fleischiges Gesicht war von Aknenarben entstellt. Seine Augen waren klein und standen eng zusammen, waren mandelförmig und von eigenartig goldener Farbe. Ein glänzendes blaues Hemd spannte sich straff über seinem massigen Brustkorb und seinen Armen. Darüber trug er eine locker sitzende braune Jacke.

In der Volksbefreiungsarmee hatte Choy ein Zuhause gefunden, in Colonel Wu einen Meister.

Choy warf einen verächtlichen Blick auf den älteren Gast am anderen Ende des Raumes. Er zwängte sich an den Tisch. Einer der Kellner goss ihm Tee ein. Wu bestellte in schnell ausgestoßenem Mandarin etwas zu essen.

Als der Kellner gegangen war, sagte Wu: »Sie hatten keine Probleme, die Informationen für Connors Konten zu erlangen?«

»Nein, Sir. Er widersetzte sich zwar anfangs, aber es brauchte nicht viel, um ihn davon zu überzeugen, mir die Nummern zu geben.«

Choy dachte daran, wie der alte Mann geschrien hatte, als sein Finger abgeschnitten wurde. Er lächelte, wobei er die Lücken zwischen seinen vergilbten Zähnen entblößte.

»Sie sind sicher, dass das Buch nicht in Connors Haus war?«

»Ja, Sir. Ich bin mir sicher, es war nicht da. Sein Herz versagte zu früh, bevor er verraten konnte, wo es ist.«

»Das ist bedauerlich. Aber Sie haben gute Arbeit geleistet. Nun habe ich einen weiteren Auftrag für Sie.«

Wu beobachtete, wie Choy sich aufrichtete. Er ist wie ein guter Hund, dachte Wu. Gib ihm etwas Neues und Interessantes zu tun, und er ist glücklich.

»Der Amerikaner besaß ein Haus, drei oder vier Stunden von hier entfernt. Nehmen Sie ein paar Männer mit und suchen Sie morgen nach dem Buch. Benutzen Sie ein Fahrzeug aus dem schwarzen Pool.«

Der schwarze Pool war ein kleiner Fuhrpark, der nicht mit dem chinesischen Konsulat in Verbindung gebracht werden konnte.

Wu holte einen Umschlag aus seiner Jacke und schob ihn über den Tisch zu Choy. »Geld und ein Führerschein. Eine Wegbeschreibung ist auch dabei.«

Choy steckte den Umschlag in seine Jackentasche, als der Kellner mit dampfenden Tellern zurückkam.

»Sergeant«, sagte Wu, »genießen Sie diese köstlichen Dim Sum. Sie sind so köstlich, wie bei uns in der Heimat.«

Am anderen Ende des Raumes nahm der alte chinesische Mann einen letzten Schluck von seinem kalten Tee. Er faltete seine Zeitung zusammen und stand auf. Dann schlurfte er zur Kasse, um zu bezahlen, und stieg vorsichtig die steile Treppe hinunter. Seine Vorgesetzten würden zufrieden sein, wenn sie von dem Treffen erfuhren, welches er gerade belauscht hatte.

Kapitel 5

Nicholas Carter und Selena Connor standen in der Hitze des Parkplatzes. Alle geparkten Autos waren noch leer. Nick steckte sein Telefon ein. Zweieinhalb Stunden, bis Triple A ihn hier einsammeln könnte.

»Können Sie mich in die Stadt mitnehmen? Mein Mietwagen ist hinüber.« Er deutete auf die Sauerei unter seinem Wagen.

»Natürlich. Ich parke gleich dort drüben.«

Ein neuer Mercedes CL600 glänzte im Licht des späten Nachmittags. Zwölf Zylinder und über 500 PS. Ein schnelles Luxus-Auto. Ein Auto für leidenschaftliche Fahrer. Ein Geld-Auto. Nicht viele Frauen fuhren Autos mit so einer Power. Es sagte etwas über sie aus. Nick holte seine Tasche aus dem Mietwagen und stieg ein.

»Schicker Wagen.«

»Ich habe ihn erst seit ein paar Wochen.«

Sie startete und fuhr vom Parkplatz.

»Wo sind Sie untergebracht?«, fragte er.

»Im Mayflower Renaissance. Ich bleibe immer dort, wenn ich in Washington bin, und lasse das Auto dort, wenn ich nicht in der Stadt bin.«

»Das ist nicht weit von mir. Wo wohnen Sie, wenn Sie nicht in D.C. sind?«

»San Francisco. Ich habe ein Loft in North Beach.«

Sie fuhren auf die Interstate. Im Wagen war es still, bis auf das Flüstern der Klimaanlage. Nick entspannte sich im Ledersitz.

Sie fuhren etwas über 70 Mph. Selena blickte in den Rückspiegel und wechselte die Spur. Ein BMW 740 mit getönten Scheiben überholte und scherte knapp vor ihnen ein.

»Idiot!«, stieß sie leise hervor. Im Seitenspiegel sah Nick einen schwarzen Suburban hinter ihnen aufschließen. Sein Ohr begann zu jucken.

Sie gelangten an eine Baustelle. Die rechte Spur des Highways wurde durch schwere Betonbarrieren begrenzt, die dicht an dicht lagen. Orangefarbene Schilder wiesen auf doppelte Strafen und auf Bauarbeiter hin.

Der Suburban rammte sie und drängte sie an den Beton. Der Wagen prallte in einem Funkenregen von der Barriere ab und schlingerte zurück auf die Fahrbahn. Vor ihnen blockierte sie der BMW. Selena kämpfte um die Kontrolle des Wagens. Der Suburban setzte sich links neben sie und drängte sie erneut gegen die Barriere.

Der vordere rechte Kotflügel und die Motorhaube gaben nach. Etwas flog über das Dach. Funken strömten an Nicks Fenster vorbei. Der Mercedes glitt unter dem Getöse von kreischendem Stahl an dem Beton entlang.

Andere Autos versuchten unter wildem Gehupe auszuweichen.

Nick zog seine .45er. Selenas Augen verengten sich.

»Einen Moment«, sagte sie, stieg auf die Bremse, und die großen Bremsscheiben des Mercedes ergriffen die Räder. Nick war nicht darauf vorbereitet. Der Sicherheitsgurt stoppte seinen Kopf kurz vor dem Armaturenbrett. Der Suburban schoss links an ihnen vorbei, schrammte dabei am Wagen entlang und nahm den Spiegel mit. Selena schaltete runter. Sie trat das Gaspedal durch und die 500 PS erwachten zum Leben. Sie kreuzte den Verkehr bis in die äußere Spur.

Sie schossen an dem SUV und dem BMW vorbei. Der Wagen füllte sich mit dem geschmeidigen Knurren des Motors und dem Klang von Asphalt unter den Reifen.

Der Tacho kletterte über 90. Selena schlängelte sich durch den Verkehr und streifte einen roten Honda. Er schlitterte über den Highway und blieb kopfüber auf dem Rasen zwischen den Fahrbahnen liegen. Im Seitenspiegel erblickte Nick einen grauen Sedan in einen alten Pick-up voller Möbel prallen. Truhen und Stühle ergossen sich über die Fahrbahn.

Eine Viertelmeile vor ihnen wurde durch einen blinkenden gelben Pfeil auf der Ladefläche eines LKWs und eine Kette von orange-weißen Fässern der Verkehr von drei auf zwei Spuren geleitet. Gleich würde es verdammt eng werden. Rechts strömte der Beton vorbei. Eine verschwommene, stille Welle aus Grau außerhalb seines Fensters.

Mist, dachte Nick. Er beruhigte sich, senkte seinen Puls, machte sich bereit, für was auch immer kommen mochte. Die Waffe ruhte auf seinem Schenkel. Er hatte keine Kontrolle. Nick schaute zu Selena. Sie hielt das Lenkrad, ihr Gesicht entschlossen, absorbiert von Verkehr und Straße. Der Tacho hing auf hundert.

Eine lange, breite Lücke in der Betonbarriere tat sich zu ihrer Rechten auf und führte auf einen Stellplatz voller ordentlich aufgereihter Ausrüstung und Materialstapel. Selena wurde langsamer, schaltete runter, zog die Handbremse und riss das Steuer herum. Das Heck schlitterte qualmend unter dem Geheule von brennendem Gummi nach links. In einer flüssigen Bewegung löste sie die Bremse und zentrierte das Steuer. Der Mercedes schoss durch die Lücke, flog über den Rand der Straße hinaus und landete hart auf dem Schotter.

Die Vorderreifen platzten. Der Wagen trudelte und schwenkte seitlich aus, versprühte dabei in einem weiten Bogen Schotter und Erde. Sie schlitterten über den Platz. Der Wagen kam abrupt gegen eine Wand aus Stahlbeton zu stehen. Dampf quoll unter der verbogenen Motorhaube hervor.

Der BMW und der Suburban kamen auf dem Highway zu stehen. Zwei Männer sprangen mit gezogenen Waffen aus den Autos, zwei weitere folgten ihnen.

Nick drückte Selena runter in ihren Sitz und feuerte zweimal auf die Windschutzscheibe. Die Schüsse im Inneren des Wagens machten ihn fast taub. Das Glas glich einem Spinnennetz. Er feuerte erneut. Ein großer Teil der Scheibe flog hinaus. Er schoss auf den ersten Mann aus dem BMW und verfehlte ihn. Er schoss noch einmal, und der Mann wirbelte mit weit gespreizten Armen nach hinten.

Dem zweiten Mann schoss Nick in die Brust, dann wandte er sich den anderen zu. Er duckte sich. Die beiden aus dem Suburban eröffneten mit ihren Pistolen das Feuer. Die Autoscheiben verschwanden in einem Regen aus umherfliegendem Glas. Kugeln schlugen in die Seite des Wagens ein.

Etwas streifte sein Ohr. Selena duckte sich tief hinter das Lenkrad, ihre Hände über die Ohren gepresst. Er gab drei weitere Schüsse über ihren Kopf hinweg ab. Ein dritter Mann brach zusammen und fiel mit dem Gesicht voran zu Boden. Der Vierte rannte zurück hinter den Suburban. Nick erkannte einen hinter das Lenkrad gekauerten Fahrer und schoss auf ihn.

Der BMW schoss mit hoher Geschwindigkeit davon. Der letzte Mann zerrte den Körper des Fahrers hinter dem Lenkrad des SUV hervor. Er kletterte in den Wagen und fuhr mit qualmenden Reifen davon. Nick feuerte noch den Rest seines Magazins hinterher.

Für ein oder zwei Sekunden fuhr der Suburban weiter geradeaus. Dann zog er in einem unmöglichen Winkel nach rechts und kippte um. Er schlitterte über den Boden, versprühte Funken und hinterließ Metall, Glas und Chrom, bis er liegenblieb. Mit einem lauten Zischen brachen Flammen hervor.

Der BMW war verschwunden.

»Sind Sie in Ordnung?« Nicks Worte klangen flach und weit weg. Seine Ohren klingelten von den Pistolenschüssen.

»Was? Ja, ich bin ok, glaube ich.« Sie setzte sich auf, wischte sich Glas aus den Haaren und sah ihn an. »Sie bluten.«

Der brennende Suburban war eine wilde, rote Schönheit. Eine schwarze Rauchwolke stieg zum Himmel empor, welcher von Wolken übersät war, die sich im Licht der untergehenden Sonne rosa und golden färbten. Nick spürte, wie Blut auf die Seite seines Hemdes tropfte.

Er wollte in den Rückspiegel schauen, aber der war nicht mehr da.

Auf dem Highway stiegen Menschen aus ihren Autos. Nick entfernte das leere Magazin aus der .45er, führte ein neues ein und zog den Schlitten zurück.

Seine Tür war blockiert.

»Können Sie Ihre Tür öffnen?«

Selena drückte kräftig gegen die Tür und unter dem stöhnenden Klang von verbogenem Metall öffnete sie sich. Sie stieg aus. Er rutschte über die Sitze und stellte sich neben sie.

»Warten Sie hier.« Der Rauch des brennenden Suburban wehte um ihn herum. Es roch nach verbranntem Gummi und geröstetem Fleisch. Nick spürte, wie seine Gedanken zurück nach Afghanistan wanderten und versuchte die Erinnerung zu verdrängen.

Er ging vorsichtig auf die bewegungslos am Boden liegenden Körper zu; geduckt, mit kleinen Schritten und die .45er in beiden Händen vor sich ausgestreckt. Er stupste den ersten Körper mit dem Fuß an. Eine Pistole lag auf dem Boden, eine Beretta, wie es aussah. Er trat sie zur Seite.

Der dicke Stahl und das Leder des Mercedes sowie schlechtes Schießen hatten die 9mm-Patronen weitestgehend vom Eindringen in das Wageninnere abgehalten. Etwas mit mehr Durchschlagskraft, und er wäre tot, dachte er. Selena wäre tot.

Leere asiatische Augen starrten ihn an. Nick überprüfte die restlichen Leichen, eine nach der anderen. Seine .45er hatte schweren Schaden verursacht. Keine atmete mehr. Sie sahen alle asiatisch aus. Er vermutete, für den Fahrer, der im SUV kochte, würde das auch zutreffen.

Er verstaute die Pistole in seinem Schulterholster und ging zurück zu Selena.

»Was wollten die?« Sie war blass unter ihrer Bräune.

»Die wollten Sie. Ich glaube nicht, dass sie mit Schwierigkeiten gerechnet hatten.«

Selena hatte die Arme um sich geschlungen. Er fragte sich, ob sie ohnmächtig werden würde. Dann nahm ihr Gesicht einen harten, verärgerten Ausdruck an.

»Gottverflucht, wir sind in Amerika und nicht im verdammten Afghanistan! So was sollte hier nicht passieren. Das war ein neues Auto. Sehen Sie es sich an!«

Sie überraschte ihn, die Ausdrucksweise. Er hatte sie nicht für eine Person gehalten, die so fluchen würde. Er sah sich das Auto an.

Ihr hundertfünfzigtausend Dollar Mercedes hatte einen Totalschaden. Die Front war zerbeult und nach rechts verzogen. Die Reifen waren Spinnennetze aus zerfetztem Gummi und Metall. Auf der Fahrerseite war eine lange, tiefe Furche. Alle Fenster waren zerstört. Der Boden um das Fahrzeug waren übersäht mit winzigen Glassplittern, die aufwendige Lackierung von Einschüssen durchlöchert. Eine Lache aus Frostschutzmittel und Öl breitete sich unter dem Wrack aus.

»Eventuell deckt das ja die Versicherung«, sagte er. »Ich muss mal telefonieren.«

Sie sah ihn an, als wäre er verrückt. Sie schüttelte den Kopf.

Ein Hubschrauber kreiste über ihnen und filmte für die Abendnachrichten, um die Gier nach Gewalt zu befriedigen. Sirenen heulten in der Ferne. Nick holte sein Telefon aus der Tasche und rief Direktor Harker an. Sie würde ihnen schneller aus den Klauen der Gesetzeshüter helfen als es Erklärungen könnten.

Zumindest waren seine Kopfschmerzen verschwunden.

Kapitel 6

Die Anweisung kam durch. Zwei Stunden später ließ die Polizei sie gehen. Die Direktorin schickte ein Auto, und sie fuhren wortlos rüber zum Mayflower.

»Ich brauche einen Drink.«, sagte Selena. »Gleich hier im Hotel.«

Nicks Jacke und Hemd waren mit Blut beschmiert, sein Ohr verbunden, da eine Kugel den größten Teil seines Ohrläppchens weggeschossen hatte. Er deutete auf seine ruinierte Jacke.

»Glauben Sie, ich werde reingelassen? Könnte die Gäste erschrecken.«

»Sie werden reingelassen, Sie gehören zu mir.« Selena stand unter Strom.

Sie gingen hinein. Leute drehten sich um, schauten und sahen schnell wieder weg. Sie schritten durch die Lobby, gingen in die Bar und setzten sich an einen Tisch hinten im Raum.

Der Kellner kam zu ihnen. Er schien Nicks blutige Erscheinung nicht wahrzunehmen.

»Guten Abend, Art.«

»Guten Abend, Doktor Connor.«

»Für mich einen Long Island Ice Tea mit dem Premium.«

»Und Sie, Sir?«

»Einen doppelten Jameson, pur, Soda extra.«

Er notierte es sich und ging. Sie warteten auf ihre Drinks, die kurze Zeit später serviert wurden.

Selena leerte ein Drittel ihres Drinks und stellte das Glas auf den Tisch.

Nick sagte: »Ich wollte Sie irgendwo zum Essen einladen. Vielleicht ein anderes Mal.«

»Man hat gerade versucht, uns umzubringen, und Sie denken ans Abendessen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Essen muss man trotzdem. Sind Sie in Ordnung?«

Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas. »Besser.«

»Noch einen?«

»Ja.«

Nick winkte nach dem Kellner.

Als er kam, sagte sie: »Art, können Sie uns ein paar Calamari und eine Käseplatte bringen, vielleicht noch etwas Brot und Öl dazu, und ein paar von diesen kleinen Würstchen? Und noch eine Runde.«

Nick griff zu seiner Brieftasche.

»Lassen Sie mich das machen.« Sie berührte seine Hand. »Bitte. Lassen Sie mich. Wenn Sie nicht bei mir gewesen wären, würde ich jetzt nicht hier sitzen.«

Das stimmte. Er steckte seine Brieftasche wieder weg.

»Wo haben Sie gelernt, so zu fahren?«, fragte er.

»Ich habe einen Kurs belegt, falls ich es mal brauchen sollte. Mein Onkel war vermögend, das machte mich zu einem potenziellen Opfer. Ich dachte, irgendwann müsste ich vielleicht mal schnell wegkommen.«

»Sie hatten recht. Warum gingen die Airbags nicht auf?«

»Ich habe sie deaktiviert. Es gibt einen Schalter bei den Armaturen.« Sie leerte ihr Glas. »Ich hätte nie gedacht, dass irgendwer auf mich schießen würde.«

»Sie haben nicht getroffen, das ist das Wichtigste. Harker platziert heute Nacht eine Wache vor Ihrem Zimmer.«

Selena spielte mit ihrem Strohhalm. »Haben Sie immer diese Waffe dabei?«

»Ja. Schießen Sie?«

»Ich habe eine Ladysmith, aber ich trage sie nicht bei mir. Ich hatte nie das Gefühl, sie zu brauchen. Jetzt aber schon. Ich bin ein guter Schütze.« Sie nahm den Strohhalm aus ihrem Glas und verdrehte ihn in ihren Händen. »Ich komme nicht darüber hinweg, wie schnell alles ging. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Menschen sind vorhin gestorben.«

»Besser die als wir.«

»Möglicherweise wollten die nur Geld. Das hätte ich ihnen geben können.«

»Das denke ich nicht. Ich glaube, irgendwer will dieses Buch. Es wäre gar nicht gut gewesen, wenn die Sie zu fassen bekommen hätten.«

»Denken Sie, die wissen von dem Haus, wo wir hinwollen?«

»Vermutlich nicht. Sie wissen nicht, dass das Buch in Kalifornien ist, und sie denken, Sie sind hier in D.C. Es sollte also okay sein.«

Nick war sich nicht sicher, ob es okay sein würde, aber es gab auch nichts, was er deswegen tun konnte, außer seine Augen offen zu halten.

Art brachte das Essen und eine weitere Runde Drinks.

»Wie sind Sie an Harker geraten?«, fragte Selena.

»Sie rekrutierte mich, als ich aus Afghanistan zurückkam. Ein Freund stellte uns vor.«

»Wie war es da drüben?«

Die Erinnerungen setzten ein. Er wollte das nicht. »Es war verrückt.« Er griff nach seinem Glas und wechselte das Thema. »Harker sagte, Sie seien eine Sprach-Expertin?«

»Dialekte und alte Sprachen. Ich halte Vorlesungen, bin Beraterin für die NSA. Ich bin viel in Washington.« Sie nippte an ihrem Drink. »Ihre Direktorin scheint recht aufgeweckt zu sein.«

»Es gibt nicht viel, was sie nicht mitbekommt.«

»In welchem Zweig der Army waren Sie?«

»Marine Recon, dreizehn Jahre.«

Es gab eine unangenehme Pause. Nick nahm sich ein Stück Brot.

»Haben Sie Familie hier in der Gegend?«, fragte sie.

»Nein. Meine Mutter lebt in Kalifornien. Sie hat Alzheimer. Meine Schwester ist zwei Jahre älter als ich. Wir sind selten einer Meinung. Mein Vater ist tot.«

Irgendetwas an Selena machte es einfach, das auszusprechen.

»Mein Vater war ein Trinker. Er hat meine Mutter und mich regelmäßig verprügelt. Er war einer der Gründe für mich, zu den Marines zu gehen, um etwas gegen Menschen wie ihn zu tun. Menschen, die Furcht verbreiteten, um ihre Ziele zu erreichen. Ich dachte, die Truppe würde mir die Chance geben, etwas zu verändern. Es klappte allerdings nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.« Nick schaute auf die glänzenden Flaschen hinter der Bar und dachte dabei an seinen Vater. »Und was ist mit Ihnen?«, fragte er.

Etwas zog über ihr Gesicht. Ein Moment der Dunkelheit. »Meine Eltern und mein Bruder starben, als ich zehn war. Onkel William hat mich aufgezogen. Es gibt sonst niemanden mehr.«

Sie legte einen halb gegessenen Snack zurück auf ihren Teller. »Wie können wir diese Leute stoppen, die uns verfolgt haben?«

»Mit Harkers Unterstützung werden wir sie kriegen. Es könnte allerdings einige Zeit dauern.«

»Ich möchte helfen.«

»Wir müssen wissen, was in dem Buch steht, und warum sie es haben wollen. Vielleicht könnten Sie es übersetzen.«

»Das Sanskrit ist kein Problem. Bei Linearschrift A können alle nur raten.«

Nick schaute auf seine Uhr. »Ich muss einen Anruf tätigen. Vielen Dank für die Drinks.«

»Gern geschehen.«

»Hier kommt Ihr Bodyguard.« Er deutete auf einen großen Mann, der die Bar betrat. »Harker wird morgen früh einen Wagen schicken. Wollen Sie, dass ich Sie zu Ihrem Zimmer bringe?«

»Nein, nicht nötig.«

Er nahm ein Taxi vor dem Hotel und dachte an Selena, wie sie auf einem von Patronenhülsen und Leichen bedeckten Highway in einem plötzlichen Kriegsgebiet stand. Sie hätte in Hysterie verfallen können. Stattdessen war sie verärgert wegen ihres Autos.

Er mochte sie.

Kapitel 7

General Yang Siyu schaute hinaus auf die Einöde von Chinas Lop-Nur-Nuklear-Testgebiet. Die Wüste waberte im Schmelzofen der mongolischen Sonne. Yang stand breitbeinig und mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. Der gehärtete Betonbau roch nach abgestandenem Stress und dem trockenen Duft von Elektrizität. Gestelle voller Instrumente füllten den langen Raum. Reihen fluoreszierender Lichter reflektierten sich in elektronischen Geräten. Ein kalter Kontrast zur brennenden Sonne draußen.

Ein dünner, herber, verärgert aussehender Mann stand neben Yangs gedrungener Figur. Die Falten in seiner makellosen Uniform waren genauso hart wie die harschen Konturen seines Gesichts. Generalleutnant Lu Cheng kommandierte die Raketenbasis in Luoyang, wo Chinas Langstrecken-Interkontinentalraketen auf den Westen zielten. Lu schaute auf die Uhr an der Wand.

»Zwei Minuten. Dieser Sprengkopf wird unsere Reichweite und gleichzeitig unsere Zerstörungskraft erhöhen.«

»Wenn der Test positiv verläuft.« Yangs Stimme war feucht, kehlig.

»Deng hat mir versichert, es wird gut gehen.«

Deng Bingwen war der oberste Forschungswissenschaftler in Chinas Nuklearwaffenprogramm. Als Absolvent des amerikanischen MIT wurde er als Kostbarkeit unter der wissenschaftlichen Elite der Volksrepublik angesehen, wenn auch immer etwas suspekt wegen seiner amerikanischen Bildung.

Die Kostbarkeit in Person kam zu den beiden Generälen gelaufen. Deng war eine Maus von einem Mann. Klein, das spärliche Haar von der gewölbten Stirn zurückgekämmt. Eine große Brille mit dicken Plastikrändern saß schief auf seiner Nase. Er trug einen weißen, zwei Nummern zu großen Laborkittel am gebeugten Körper, was ihn noch kleiner aussehen ließ. Er nickte Yang nervös zu, fast schon wie eine Verbeugung, und lächelte, um sein Gefühl des Unbehagens zu verbergen.

Er sieht wie einer dieser kleinen Hunde aus, dachte Yang. Ein Pekinese unter einem weißen Zelt.

»Dreißig Sekunden, General. Ich denke, Sie werden mit dem Ergebnis zufrieden sein.«

Die Männer sahen zu, als der Countdown null erreichte. In der Ferne markierten drei weiße Rauchsäulen den unterirdischen Stollen, in dem der Sprengkopf detonieren würde. Ein tiefes Dröhnen vibrierte durch den dicken Beton unter ihren Füßen. Die Erde explodierte in einem schwarzen, turmhohen Geysir. Die Druckwelle breitete sich in einem weiten Ring aus. Eine kochende Wolke aus aufgewühltem Sand und Staub, die über den Wüstenboden raste.

Lu Cheng lächelte.

Deng schaute auf die Instrumente, die jedes Detail der Explosion aufzeichneten.

»Sogar besser, als erhofft. 8,2 Megatonnen. Mehr als fünfzig Prozent Leistungssteigerung.«

Deng schaute erneut auf die Messwerte.

»Etwas schmutzig. Wir werden von der IAEO zu hören bekommen.«

»Sollen sie doch mit ihren Zeigefingern wedeln und wie Hühner gackern«, sagte Lu. »Es gibt nichts, was sie tun könnten. Wie schnell können wir mit der Produktion beginnen?«

»Da ist die Frage der Ressourcen«, sagte Deng. »Wenn wir eine hochwertige Quelle an Erz hätten und mehr Zentrifugen, dann könnten wir fünfzig dieser Sprengköpfe pro Jahr produzieren, sogar hundert. Unter den momentanen Bedingungen vielleicht acht oder zehn.«

Chinas gesamtes strategisches Arsenal bestand aus lediglich 300 Raketen von unterschiedlicher Sprengkraft und keine davon trug eine Sprengladung von über fünf Megatonnen. Lus Grinsen wurde breiter bei dem Gedanken an hundert mächtige, neue Raketen pro Jahr.

Yang meldete sich zu Wort. »Beginnen Sie umgehend mit der Produktion. Formulieren Sie zwei Pläne. Einen basierend auf den aktuell zur Verfügung stehenden Ressourcen, und einen basierend auf den Anforderungen der höheren Produktion, den etwa 100 Sprengköpfen, die Sie erwähnten.«

»Aber wir haben keine Ressourcen für so viele«, protestierte Deng.

»Das ist nicht Ihr Problem. Bereiten Sie den Plan vor, ansonsten könnten Sie demnächst an einer ganz anderen Art von Projekt arbeiten, verstanden?«

Yangs Augen funkelten unter dem roten Stern auf seinem hohen, grünen Militärhut. Deng schaute auf Yangs raues, krötenhaftes Gesicht. Der General war kein Mann, dem man etwas verwehrte.

Dieser neue nukleare Dämon war kleiner, leichter und zerstörerischer. Der Ausdruck auf den Gesichtern von Yang und Lu zeigte ihr Verlangen nach mehr davon – viel mehr. Es gab nur einen Grund dafür. Nur aggressives militärisches Verhalten erforderte eine große Anzahl an Raketen.

Deng dachte an seine Zeit in Freiheit, als Student in Amerika, bevor dieser Wahnsinn der Nuklearwaffen ihn gefangen genommen hatte. In China wurde Männern wie ihm die Karriere diktiert. Deng hatte seine Gefühle bezüglich der Herstellung von Massenvernichtungswaffen rationalisiert, indem er sich einredete, Chinas Nukleararsenal sei von rein defensiver Natur.

Beim Anblick von Yang und Lu hatte er eine beängstigende Vorahnung für die Zukunft. Dengs Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken, aber er erahnte mehr von Yangs Plänen, als der General vermutete. Deng war nicht ohne eigene Informationsquellen, das war überlebenswichtig in einer so heiklen Position wie der seinen.

»VERSTANDEN?«

Yang brüllte ihm ins Gesicht und hinterließ dabei kleine Spuckeflecken auf Dengs Brille. Deng war schockiert. Er verbeugte sich zweimal nervös.

»Ja, natürlich General, zwei Pläne, wie Sie vorgeschlagen haben.«

Yang knurrte: »Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Er wandte sich Lu zu. »Ich muss zurück nach Peking. Begleiten Sie mich.«

Lu nickte und die Generäle drehten sich jäh und ohne einen weiteren Blick auf Deng um, und gingen hinaus. Er starrte ihnen nach und verspürte heiße Schamesröte. Alle im Raum waren plötzlich von ihren Instrumenten und Aufzeichnungen absorbiert. Keiner sah ihn an, aber sie hatten alle seine Demütigung beobachten können. Er hatte sein Gesicht verloren.

Yang verhält sich, als glaube er, er könne die Ressourcen für eine höhere Produktion auftreiben, dachte Deng. Und dann? Mehr Befehle, mehr Bomben, mehr Drohungen. Sie haben keinen Respekt und auch keine Ehre. Ich könnte genauso gut Hundekot unter ihren Stiefeln sein.

Er marschierte in sein Büro und schloss die Tür. Die Wut in ihm wuchs. Genug war genug. Er setzte sich an seinen Computer. In ihm kochte es. Er öffnete sein Email-Programm und sendete eine kurze, unverfängliche Nachricht an eine Adresse, von der er nie geglaubt hätte, sie zu benutzen.

Auf der Straße, die von der Anlage wegführte, saßen Yang und Lu auf dem Rücksitz ihres Gefährts. Die Salzebene des alten Seegrunds von Lop Nur rauschte verschwommen an ihnen vorbei und sie hinterließen eine lange Spur aus braunem Staub.

Lu trommelte mit seinen Fingern auf der Armlehne. »Wir brauchen mehr Sprengköpfe.«

»Werden wir haben«, sagte Yang. »Wenn ich den Befehl gebe, werden Zentrifugen innerhalb von sechs Monaten fertig sein. Das Einzige, was bleibt, ist das Erz zu finden.«

»Sie sind sich sicher, dass das Erzlager existiert?«

»Relativ sicher, ja. Wir suchen bereits danach und werden es bestimmt bald haben. In der Zwischenzeit treiben wir unsere Pläne voran.«

»Ich mache mir Sorgen um Chen. Wir brauchen die Eisenbahn.«

»Lassen Sie Chen meine Sorge sein. Bis jetzt hat er alles gemacht, was wir von ihm verlangt haben. Natürlich wird er am Ende nicht unbedingt bekommen, was er sich erhofft.«

»Was will er denn?«

»Präsident sein.«

Lu lachte, ohne auch nur einen Anflug von Heiterkeit. »Präsident! Er macht sich was vor, wie immer.« Lu hielt inne, nieste wegen des Staubes. »Was sind Ihre Gedanken zu Deng?«

»Er sollte nicht aus den Augen gelassen werden, aber ich habe ihn bereits unter vollständiger Überwachung. In der Zwischenzeit treibt er die Produktion voran. Für so einen kleinen Mann baut er große Bomben, und sie werden immer besser.«

»Ja. Eines Tages werden wir vielleicht sehen, wie gut sie funktionieren.«

»Der Westen ist schwach. Sie haben keinen politischen Willen. Wenn wir die Kontrolle haben, werden sie sich nicht trauen, auch nur irgendetwas zu unternehmen. Nur die Bedrohung allein wird schon ausreichen. Dann wird China seinen rechtmäßigen Platz einnehmen.«

Lu nickte zustimmend. Die zwei Männer saßen gedankenverloren im Auto, während es über die Schotterstraße schoss. Beide dachten auf ihre eigene Weise an ein neues China, welches die Welt dominierte.

Kapitel 8

Der Sicherheitsmann starrte Nick an, als er durch die Tür trat.

»Alles klar, Mister Carter?«

»Mir geht es gut, nur ein Unfall.«

Nick stieg die zehn Stockwerke hinauf, bis zu seiner Etage. Er mochte Fahrstühle nicht besonders, nicht mehr seit Kabul. Er ging in sein Apartment, in das Badezimmer, und schaute in den Spiegel. Die Kugel hatte sein linkes Ohrläppchen abgeschossen. Es würde seinem Aussehen nicht sonderlich zuträglich sein, wenn der Verband wieder ab war. Eine Frau hatte ihm mal gesagt, dass er auf eine kernige Art gut aussehend war. Das Kernige konnte er nachvollziehen, bei dem Rest war er sich nicht so sicher. Es kümmerte ihn aber auch nicht sonderlich.

Er goss einen Whiskey ein, warf seine Jacke auf die Couch und legte das Schulterholster ab. Er musste Jordan anrufen. Er dachte über das FBI nach und wie es Dinge meist recht verdeckt hielt. Vermutlich würde er dort nicht viel Hilfe bekommen, aber Jordan war eigentlich ein ziemlich guter Kerl.

»Jordan.«

»Zeke, Nick Carter hier.«

»Nick, ich habe dich in den Abendnachrichten gesehen. Was war denn da los?«

Jordans Stimme war tief und lebendig. Er war ein großer Mann, kohlrabenschwarz, eine Anomalie für einen Agenten, ohne Angst, seine Meinung zu äußern. Nick fragte sich, wie er es so lange in der starren Kultur des FBI ausgehalten hatte. Er hatte es trotz allem bis zur Außenstelle in Washington gebracht.

»Ich war mit William Connors Nichte unterwegs. Zwei Fahrzeuge voller chinesischer Schlägertypen versuchten, sie zu ergreifen.«

»Du musst eine große Überraschung für sie gewesen sein.« Es gab eine Pause. »Was kann ich für dich tun?«

»Du bist unser Kontaktmann beim FBI für Connors Mord. Habt ihr irgendetwas finden können, von dem wir noch nichts wissen?«

»Lustig, dasselbe wollte ich dich auch fragen.«

»Ihr wisst, dass es Wu war, der Connor zum Ziel erklärt hat?«

»Ja.«

»Wir haben einen Computer von Connor und hatten gehofft, er würde uns ein paar Hinweise geben. Alles was wir haben, sind Geschäftsberichte, Finanzinfos und der Entwurf eines Angebots für Arbeit in China.«

»Was für eine Arbeit?«

»Eine archäologische Ausgrabung. Connor wollte sie finanzieren und im Gegenzug die Erlaubnis erhalten, sie durchzuführen.«

»Kannst du mir die Finanzinfos zukommen lassen?«

»Gleich morgen früh. Ich wollte fragen, ob ihr irgendwas in Connors Büro gefunden habt.«

»Nicht viel. Nur die Dinge, die man erwarten würde. Jede Menge Finanzunterlagen.«

»Irgendwelche Schlüssel? Von Schließfächern?«

»Ein paar Schlüssel haben wir gefunden.«

»Und?«

»Wir haben Durchsuchungsbefehle für die Fächer bekommen, aber es war nichts Hilfreiches darin. Etwas antiker Schmuck, Diamanten, Saphire, Goldmünzen, Inhaberschuldverschreibungen, diese Art von Dingen. Lediglich die kleinen Schätze eines durchschnittlichen Milliardärs.«

»Höre ich da einen Anflug von verurteilendem Neid?«

»Nö, jeder sollte ein wenig zur Seite gelegt haben für schlechte Zeiten.«

»Zeke. Wenn da irgendwas vor sich geht, von dem wir nichts wissen, dann könnte es helfen, wenn ihr damit herausrückt. Über Wu.«

Stille. Dann: »Inoffiziell?«

»Ja.«

»Als Harker nach Wu gefragt hatte, überschnitt sich das mit einer laufenden Ermittlung. Du weißt von der chinesischen kriminellen Unterwelt hier in den Staaten? Die Triade? Auch bekannt als die schwarze Gesellschaft?«

»Ich weiß, dass die Mafia im Vergleich zu denen wie eine Kindergartengruppe wirkt.«

»Ja, der Eid der Triade lässt den Schweigekodex der Mafia wie eine Radiotalkshow erscheinen. Sie planen etwas, und Wu steckt da mit drin.«

»Wu hat sich mindestens dreimal mit ihnen getroffen. Er ist ohne Zweifel in den Mord von Connor verwickelt, und du sagst, chinesische Gangster haben versucht, seine Nichte zu ergreifen. Scheint mir mehr als nur ein Zufall zu sein.«

»Von der Triade wussten wir nichts.« Nick machte eine Pause. »Eventuell haben wir eine Spur. Ich werde ihr nachgehen.«

»Es gibt immer eine Spur, früher oder später. Kannst du mich wissen lassen, was du herausfindest?«

»Ja, wenn Harker nichts dagegen hat. Inoffiziell vielleicht.«

»Okay. Lass uns in Kontakt bleiben. Schön, mit dir gesprochen zu haben.«

»Gleichfalls.« Nick beendete die Verbindung.

Er ging das Gespräch in Gedanken noch einmal durch. Das FBI hatte Harker nichts mitgeteilt, als sie nach deren Akten über Wu gefragt hatte. Jetzt wusste er, dass es eine Verbindung zwischen der Triade und Colonel Wu und somit auch General Yang gab.

Sollte das Buch morgen in Connors Landhaus sein, dann würde es vielleicht ein paar Antworten geben. Er fiel ins Bett und schlief ein.

Er träumte.

Sie kommen tief und schnell über die Klippe, das unnachgiebige, harte Trommeln der Rotoren wird von den Talwänden reflektiert.

Die Siedlung ist eine miserable Ansammlung von staubverwehten, niedrigen Gebäuden mit flachen Dächern, die in einer trostlosen Mulde, umgeben von scharfkantigen, braunen Hügeln, in der Sonne braten. Eine breite Lehmstraße verläuft durch die Mitte. Sie springen aus dem Hubschrauber und landen auf der Straße. Rechts sind niedrige Häuser, links der Markt. Ein Flickenteppich aus baufälligen Ständen und Wänden aus aufgehängtem Stoff. Eine Wolke von Fliegen umschwärmt Dinge, die in der freien Luft am Stand eines Metzgers hängen.

Er führt sein Team am Markt vorbei; nah genug an den Gebäuden, um sich in einen Eingang zu ducken, weit genug von ihnen entfernt, um nicht durch die Wand von einer Kugel getroffen zu werden.

Er hört ein Baby schreien. Die Straße ist verlassen. Wo sind sie alle?

Ein Dutzend bärtiger Figuren erheben sich auf den Dächern und beginnen, mit ihren AKs zu feuern. Die Marktstände um ihn herum zerbersten in einem Feuersturm aus Splittern, Putz und Steinen, die aus den umliegenden Hauswänden brechen.

Er geht in Deckung. Ein Kind rennt auf ihn zu, ruft dabei etwas über Allah. Nick schaut und zögert – eine Sekunde zu lang. Der Junge reißt seinen Arm zurück und schleudert die Granate, als Nick ihn erschießt. Er spürt den Rückstoß des M4, eins, zwei, drei.

Die erste Kugel trifft die Brust des Jungen, die zweite seine Kehle, die dritte sein Gesicht. Der Kopf des Kindes zerplatzt in einer roten Fontäne aus Blut und Knochen. Die Granate gleitet in Zeitlupe durch die Luft… alles wird weiß …

Er erwachte schreiend und in seine schweißgetränkten Laken verheddert.

Er stand auf, machte Kaffee und gab einen doppelten Jameson hinein. Wenn er den Traum hatte, brauchte er gar nicht erst wieder ins Bett gehen.

Als er zu den Marines kam, war er voller Tatendrang gewesen. Naiv. Bereit, die Welt zu verändern. Aber all die namenlosen und bedeutungslosen Landschaften aus Verlust und Tod hatten ihn verändert. Die Welt blieb, wie sie war.

Dieses Kind in Afghanistan konnte nicht älter als elf oder zwölf gewesen sein. Alt genug, um einen Ball – oder eine Granate – ordentlich weit zu werfen. Jung genug, um den Bullshit zu glauben, darüber, was Gott von ihm erwartete, um sich genau dahin zu begeben, wo Nick ihn töten musste.

Das Kind und die Granate lauerten ständig in seinem Hinterkopf. Nick wusste, er hätte nichts anderes tun können, aber das half nicht. Es war ein weiterer Tod in einem chaotischen Krieg gewesen, der nicht zu gewinnen war, in einem korrupten und brutalen Land.

Für Harker zu arbeiten, gab ihm eine Möglichkeit, dem Ganzen eine Art Bedeutung zu verleihen. Es war etwas Persönliches. Eine Möglichkeit, die Art von Menschen zu stoppen, die dieses Kind gegen ihn gesandt hatten. Menschen, die glaubten, es sei eine wirklich gute Idee, Granaten in die Hände von Kindern zu geben. Menschen, die glaubten, was auch immer sie wollten, sei der einzig richtige Weg für alle anderen. Menschen, die glaubten, dass es rechtschaffen war, alle, die nicht mit ihnen einer Meinung waren, zu töten. Menschen, die glaubten, Gott würde das gutheißen.

Nick war sich verdammt sicher: Gott hatte diesem Kind nicht gesagt, was es tun sollte.

Er wartete auf den Sonnenaufgang.

Kapitel 9

Sonnenlicht schien auf die noch regennassen Straßen. In den Pfützen spiegelten sich der strahlend blaue Himmel und verstreute weiße Wolken. Die Hitzewelle war gebrochen. Der Smog war über Nacht weggeweht und die Stadt roch frisch und sauber.

Ein schwarzer Ford Crown Victoria mit schlichten Reifen und Regierungskennzeichen hielt neben Nick, der vor seinem Wohnhaus wartete. Auf dem Fahrersitz saß ein Mann in knallrotem Hawaiihemd, das mit weißen Blumen bedruckt war. Eine weite, cremefarbene Jacke wölbte sich über der Glock in seinem Holster. Er trug eine Panoramasonnenbrille und einen Porkpie Hut. Er sah aus, als käme er grade vom Set von CSI Miami.

Ronnie Peete war ein Vollblut-Navajo, in einem Reservat geboren. Seine Hautfarbe war ein helles, rötliches Braun. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften und verschlafene braune Augen, die einen Falken oder einen Scharfschützen auf tausend Meter orten konnten. Ronnie war ein Gunnery Sergeant in Nicks Aufklärungseinheit gewesen. Nick hielt ihn für den besten Marine, den er je gekannt hatte. Außerdem war er ein Freund.

»Wie geht es dem Ohr?«, fragte Ronnie durch das geöffnete Fenster.

»Juckt wie Hölle.«

Nick kletterte auf den Rücksitz. Sie fuhren los. Ronnie drehte sich um.

»Es gab ein paar großartige Bilder in den Nachrichten gestern Nacht. Leichen und Wracks auf dem Highway, du mit Blut bedeckt. Wie kommt es, dass du den ganzen Spaß hast?«

»Glück, vermutlich. Hat Harker schon was rausgefunden?«

»Nein. Nicht einer mit einem Ausweis. Die Angreifer waren vermutlich chinesisch. Geht vielleicht um das Buch? Wäre sonst ein zu großer Zufall.«

»Genau, was ich dachte.«

»Sie hat mich gebeten, mit zum Flughafen zu fahren. Für alle Fälle.«