DIE SIEBTE SÄULE (Project 3) - Alex Lukeman - E-Book + Hörbuch

DIE SIEBTE SÄULE (Project 3) E-Book und Hörbuch

Alex Lukeman

3,0

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Ein terroristischer Fanatiker mit Visionen, die ihm befehlen, die Apokalypse und damit das Ende aller Tage herbeizuführen … Eine uralte Bruderschaft von Assassinen, seit Jahrhunderten verschwunden, kehrt zurück … Ein LKW mit einer grauenvollen Waffe verlässt den Sudan, durchquert die gesetzlosen Bergregionen Algeriens, auf dem Weg zu einem unbekannten Ziel … Das PROJECT schickt Nick Carter und Selena Connor in die brennenden Wüsten Westafrikas, in die Slums von San Diego und in die bitterkalten Berge des Hindukusch, bevor ihre finale Konfrontation mit dem Feind über das Schicksal der westlichen Welt entscheidet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 299

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:8 Std. 14 min

Sprecher:Michael Schrodt

Bewertungen
3,0 (2 Bewertungen)
0
1
0
1
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE SIEBTE SÄULE

Alex Lukeman

Copyright © 2013 by Alex Lukeman

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors. (Dieses Werk ist Fiktion.) Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE SEVENTH PILLAR Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Mark Tell Weber

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-397-8

Folge dem LUZIFER Verlag auf Facebook

Für weitere spannende Bücher besuchen Sie bitte 

unsere Verlagsseite unter luzifer-verlag.de

Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf deinem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn du uns dies per Mail an [email protected] meldest und das Problem kurz schilderst. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um dein Anliegen und senden dir kostenlos einen korrigierten Titel.

Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche dir keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

DIE SIEBTE SÄULE
Impressum
Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Teil II
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Teil III
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72

Teil I

Afrika

Kapitel 1

Zwölf stand reglos da, unsichtbar in einer Welt in stummem Grau. Der dichte Londoner Nebel umgab ihn wie das Flüstern aus einem Grab. Der Nebel roch nach alten, unreinen Dingen, denn der verseuchte Flusslauf der Themse war nicht weit entfernt. Sein Körper vibrierte vor unbändiger Energie. Jeder Tropfen Feuchtigkeit auf seiner Haut war fiebrige Erwartung, jedes Geräusch erschien ihm zehnmal so laut. Er hörte die sich nähernden Schritte. Ein Mann mit einem dunklen Mantel und Hut war gleich einem Gespenst aus dem grauen Vorhang des Nebels getreten. Ein Regenschirm schwang locker an seiner Seite. Zwei Leibwächter gingen wie gewöhnlich direkt hinter ihm. Dieser Mann war niemals allein unterwegs. Der Attentäter zog einen uralten Dolch aus seinem Ärmel, als der Mann an ihm vorbeischritt. Er trat aus den Nebelschwaden und stieß die Klinge tief in die Mulde direkt an der Schädelbasis seines Zielobjekts, wandte sich mit geübter Leichtigkeit um und brach der ersten Wache das Genick. Ein blitzschneller Schlag auf den Kehlkopf schickte den zweiten auf die Knie, ein toter Mann, der noch zu atmen versuchte. Zwölf bückte sich und wischte mit dem teuren Mantel des Toten das Blut von seinem Dolch. Er nahm einen kleinen Gegenstand aus der Tasche und platzierte ihn bei der Leiche. Dieser trug eine ungewöhnliche Inschrift.

Die Inschrift wies den Weg, führte aber ins Nichts. Es sollte jene verwirren, die nach ihm suchen würden. Verwirrung war gut. Der Attentäter verschmolz wieder mit dem stillen Nebel. Sein Meister würde zufrieden sein.

Kapitel 2

Hätte Nick Carter eine Erinnerung gebraucht, wie sehr sich in den letzten Wochen alles verändert hatte, hätte er nur auf sein Mobiltelefon schauen müssen. Es war schwarz, glänzend und hatte eine Unmenge Knöpfe. Es gab eine Direktwahltaste für das Weiße Haus, für den Siebten Stock in Langley, für den Direktor der NSA, für den Generalstab, für die DIA und noch ein halbes Dutzend mehr, deren Bedeutung er noch gar nicht kannte. Wenigstens ist es nicht rot, dachte er bei sich. Das Telefon war Teil seines neuen Jobs als Co-Direktor von PROJECT. Dazu gab es noch ein neues Büro mit einem großen Flat-Screen-Monitor an der Wand, einem braunen Ledersessel und dickem Teppichboden. Es gab auch einen eindrucksvollen Schreibtisch mit einem verschlüsselten Computersystem, das mit den Cray-Hauptrechnern im Keller vernetzt war. Außerdem gab es zwei Fenster. Das eine zeigte hinaus auf die Eingangshalle. Das andere gewährte ihm einen Ausblick auf den Bürobereich bis hinüber zu Stephanie Willits Zimmer. Stephanie leitete zurzeit das Tagesgeschäft von PROJECT. Nick kümmerte sich um den Außendienst, war verantwortlich für Taktik und Strategie. Dafür begab er sich an Orte, an die kein Mensch freiwillig gehen würde, der noch bei Verstand war.

Gemeinsam gingen sie die Tagesberichte der großen Geheimdienste durch, die für den Präsidenten bestimmt waren. Manchmal mussten sie darauf hinweisen, dass der Kaiser nackt war, womit sie sich innerhalb der Gemeinde der US-Geheimdienste unbeliebt machten. Nick stand auf, um sich an der chromglänzenden Maschine eine Tasse starken Kaffee einzuschenken. Er ging an seinen Tisch zurück, wo ein dicker Umschlag geduldig auf ihn wartete. Steph hatte ihn mit erhobenen Brauen überreicht, als er hereingekommen war. Die gehobenen Augenbrauen bedeuteten für gewöhnlich, dass sein Tag kompliziert werden konnte. Er nippte an seinem Kaffee, öffnete den Umschlag und nahm den Inhalt heraus. Dokumente und Fotos. Die erste Aufnahme zeigte einen Mann, der auf dem nassen Pflaster lag. Seine blauen Augen waren offen und leer. Eine Blutlache hatte sich unter seinem Kopf ausgebreitet. Carter legte das Foto zur Seite und begann zu lesen. Der Tote war Sir Edward Hillary-Smythe, der britische Außenminister. Ein mächtiger Mann, ein Falke, ein Verfechter von harten Sanktionen gegen den Iran, und wenn nötig, auch für einen Einsatz des Militärs gegen das Regime in Teheran. Das Einzige, was hätte schlimmer sein können, wäre ein Anschlag auf die Königin selbst gewesen. Sir Edward war eine sehr bekannte und kontroverse Persönlichkeit gewesen, ein möglicher Nachfolger für den Mann in 10 Downing Street. Stephanie kam in sein Büro.

»Ich wette zehn zu eins, dass wir noch vor Mittag einen Anruf von Rice bekommen.«

James Rice war der Präsident der Vereinigten Staaten. Die Wahlen standen vor der Tür. Es war noch nicht einmal Weihnachten, aber die politische Rhetorik bekam bereits harte Untertöne.

»Ich nehme keine Wetten an, Steph. Außerdem ist es ein Problem der Briten. Der MI-5 ist ziemlich gut.«

»Nicht gut genug, um seinen Tod zu verhindern.«

»Warum lief er überhaupt draußen im Nebel herum?«

»Sir Edward liebte seine Abendspaziergänge.«

»Hat niemand etwas mitgekriegt?«

»Warst du schon mal im dicken Londoner Nebel?« Stephanie setzte sich in einen der braunen Ledersessel. »Schon zwei Blocks entfernt würdest du nicht mehr hören, dass eine Bombe hochgeht. Außerdem hat der Mörder ein Messer benutzt. Machte keinen Lärm. Schaltete gleichzeitig zwei Agenten vom MI-5 aus.«

»Ein Profi.«

»Genau. Rein, raus, ein Attentat, schnell und schmutzig.«

»Weiß jemand, wer dahinterstecken könnte? Hat sich jemand zu dem Attentat bekannt?«

»Ja und nein.« Steph war Mitte dreißig. Das dunkle Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Sie bevorzugte große Goldohrringe und trug ein goldenes Armband um ihr linkes Handgelenk. Sie hatte volle Lippen, breite Wangenknochen und dunkle Schatten unter dunklen Augen. Wenn man sie ansah, dachte man unweigerlich an Kakao und Kekse und an ein warmes Bett in einer kalten Nacht. Man hätte meinen können, dass sie mehrmals die Woche mit einer Familienkutsche zum nächsten Spielplatz fuhr. Aber da läge man falsch. Auf dem Schießstand setzte sie auf dreißig Meter alle dreizehn Schuss ins Schwarze, in unter dreißig Sekunden. Sie war ein Genie am Computer und konnte jede Firewall der Welt hacken. Sie war verheiratet gewesen und mittlerweile geschieden. Sie lebte allein in ihrem Washingtoner Apartment. Gemeinsam mit Nick leitete Stephanie eine der geheimsten Anti-Terror-Einheiten der Welt. Carter hatte keine Ahnung, was sie so trieb, wenn sie nach Hause ging. Aber das musste er auch nicht. Er vertraute ihr, das war genug.

Carter starrte auf das Bild des Toten und fühlte Ärger auf sich zukommen. Er nahm ein weiteres Foto aus dem Stapel, auf dem etwas mit einer ungewöhnlichen Inschrift zu sehen war. »Was ist das?«

»Der Mörder hinterließ es bei dem Toten.«

»Eine Nachricht?«

»Scheint so.«

»Irgendein Schriftzug. Selena sollte sich das mal ansehen.«

»Sie ist unten im Computerraum. Ich schick‘ ihr eine Nachricht.«

Selena war ein phänomenales Sprachtalent. Wenn irgendjemand die Inschrift entschlüsseln konnte, dann war sie diese Person. Ein paar Minuten später sah er zu, wie sie durch die Tür hereinspazierte. Sie bewegte sich auf eine Art und Weise, die ihn an eine Kreuzung zwischen einer Tänzerin und einer geschmeidigen Raubkatze erinnerte, graziös und gefährlich schön. Sie war knapp eins-siebzig, ein wenig kleiner als Nick. Sie hatte hohe Wangenknochen und einen natürlichen Schönheitsfleck über der Oberlippe. Ihre Augen hatten eine ungewöhnliche Violettfärbung. Ihr Haar war rotblond. Sie trug ein maßgeschneidertes graues Kostüm und eine lavendelfarbene Bluse, die zur ihrer Augenfarbe passte. Ansonsten hatte sie nur eine schmale goldene Uhr am linken Handgelenk und trug einfache Ohrringe. Nicht jedem gelang es, eine Glock 10mm in einem Schnellziehholster wie ein Modeaccessoire aussehen zu lassen, aber Selena bekam auch das hin. Wenn Leute draußen auf der Straße sie zusammen sahen, waren sie zunächst verwirrt. Niemand hätte Nick auf den ersten Blick als gutaussehend bezeichnet. Kantig vielleicht. Ungeschliffen. Zäh, mit stechenden grauen Augen, die ständig in Bewegung zu sein schienen. Frauen sagten von ihm, dass er nicht übel aussah, vielleicht ein wenig furchteinflößend. Jemand, den man im Auge behalten sollte. Aber niemals gutaussehend. Selena war in einer ganz anderen Liga. Sie war eine beinahe perfekte Schönheit.

»Was ist los?« Sie setzte sich neben Stephanie.

»Jemand hat heute Morgen den britischen Außenminister ermordet und das hier zurückgelassen. Ergibt das für dich einen Sinn?« Er reichte ihr das Foto.

Sie studierte es. »Es bedeutet: Mohammed und Ali. Die Schrift ist Arabisch. Es ist ein sogenanntes Ambigramm, ein kalligrafisches Vexierbild mit verschiedenen möglichen Bedeutungen.«

»Was bedeutet das da?«

»Es ist ein schiitisches Ambigramm. Eine seiner Bedeutungen ist, dass Ali Mohammeds rechtmäßiger Nachfolger ist, der von Allah und Mohammed dazu bestimmt wurde, die muslimische Glaubensgemeinschaft anzuführen.«

»Und?«

»Ali war Mohammeds Cousin. Nach dessen Tod trat er seine Nachfolge an, weil das seine göttliche Bestimmung war. Sunnitische Muslime aber glauben, dass Abu Bakr Mohammeds rechtmäßiger Nachfolger sein müsse. Die Schiiten behaupten, dass Abu Bakr nur ein Opportunist war, der die Macht an sich reißen wollte. Die islamische Welt befindet sich seit diesem Zeitpunkt ständig im Krieg.« Sie runzelte die Stirn. »Ich habe es schon einmal gesehen, kann mich nur nicht erinnern, wo. Aber es fällt mir sicher wieder ein.«

Carter rieb sich sein Ohrläppchen. »Wenn du an Schiiten und Terrorismus denkst, dann meinst du sicher Teheran. Sir Edward war ein Hardliner, wenn es um den Iran ging. Vielleicht steckt der iranische Geheimdienst dahinter.«

»Das wäre ein wenig voreilig.« Selena glättete eine Falte in ihrem Rock. »Ich frage mich, warum er ermordet wurde.«

»Wenn wir herausfinden, wer es war, dann wissen wir auch, warum.« Er wechselte das Thema. »Steph, hast du schon etwas von Ronnie und Lamont gehört?«

»Vor zwei Stunden. Bisher alles Routine. Sie sollten sich bald wieder bei uns melden.«

Kapitel 3

Unter der gnadenlosen Sonne Afrikas hockten Ronnie Peete und Lamont Cameron in einem mitgenommenen, blauen Toyota Pick-up. Die Temperatur lag über 40 Grad im Schatten und die Türgriffe waren heiß genug, um sich daran die Finger zu verbrennen. Ronnie schien die Hitze nichts auszumachen, doch über Lamonts braune Züge rann der Schweiß. Das Rinnsal folgte der Linie aus Narbengewebe, die quer über sein Auge und seinen Nasenrücken reichte, und tropfte auf seinen sandfarbenen Burnus. Es sah zu seinem Partner hinüber. »Wie kommt es, dass du nicht schwitzt?«

»Das ist doch nicht heiß. Du solltest mal eine Schwitzhütte ausprobieren. Da drin ist es heiß.«

Ronnie war ein Navajo und in einem Reservat aufgewachsen, bevor er zu den Marines ging. Er war bei der Aufklärung gewesen, in derselben Einheit wie Nick. »Eine Schwitzhüttenzeremonie geht über drei Tage«, erklärte er. »Klar, wir konnten dann und wann rausgehen und uns abkühlen.«

»Kennst du auch eine Schattenzeremonie?«

Ronnie grinste.

Lamont hob sein Fernglas. »Da tut sich was.« Er konzentrierte sich auf einen niedrigen, zweistöckigen Betonbau mit Flachdach, der von einem mit Stacheldraht gekrönten Drahtzaun umgeben war. Er sah kahl, schmutzig und langweilig aus. Lamont gab das Fernglas weiter. »Sie laden etwas in den Lastwagen.«

Der Lastwagen war gestern aufgetaucht, zusammen mit einem Kerl mit weißem Vollbart und grünem Turban, der sich mit bewaffneten Wachen umgab. Lamont hatte drei schnelle Fotos gemacht und sie an Stephanie geschickt. Der Laster sah aus wie viele tausend andere Lastwagen in Afrika. Man nutzte sie, um so ziemlich alles zu transportieren, von Ziegen bis zu Soldaten. Er hatte keine besonderen Kennzeichen, aber die Nummernschilder stammten aus dem Sudan. Da sie sich direkt außerhalb von Khartoum befanden, war das keine große Überraschung. Fünf bärtige Männer mit AK-47-Sturmgewehren standen in der Nähe und wirkten angespannt. Zwei weitere hoben einen olivfarbenen Metallcontainer von der Größe einer Seekiste zu jemandem im Inneren des Lastwagens hinauf. Zwei weiße Toyota Pick-ups mit fest montierten Degtjarjov-MGs warteten in der Nähe. Die russischen Waffen waren in diesem Teil der Welt ziemlich populär. Das Gebäude ähnelte einer der Chemiefabriken, die das US-Militär hier vor Jahren bombardiert hatte. Dort wurde damals VX produziert, ein tödliches Nervengas, das aus Pestiziden synthetisiert wurde. Die ausgebombte Ruine war in Khartoum zu einer Touristenattraktion geworden. Vielleicht produzierte wieder irgendjemand VX. Deshalb brieten Ronnie und Lamont jetzt in der afrikanischen Sonne: Um herauszufinden, ob etwas an der Sache dran war.

»Sie gehen sehr behutsam mit dieser Kiste um. Als würden sie rohe Eier transportieren.« Ronnie justierte sein Fernglas. Das Sonnenlicht reflektierte von den Linsen und tanzte über die Frontscheibe. Ronnie fluchte lautlos. Jemand zeigte in ihre Richtung. Bei den Pick-ups entstand hektische Aktivität. »Scheiße, wir sind aufgeflogen. Zeit zu verschwinden.«

Lamont startete den Motor. Er wendete, fädelte auf die Straße nach Khartoum ein und trat das Gaspedal durch. Ronnie wandte sich um und sah, dass die bewaffneten Pick-ups ihnen folgten. Ihr Toyota raste durch die Ausläufer von Khartoum. Die Verfolger näherten sich und die Schützen an den MGs eröffneten das Feuer. Kaum, dass die ersten Schüsse fielen, rannten die Anwohner in Deckung und die breite Straße leerte sich. Jeder im Sudan kannte das Geräusch von Gewehrfeuer.

Lamont und Ronnie duckten sich. Das Heckfenster explodierte in einem Hagel aus Glassplittern. Kugeln durchlöcherten die Frontscheibe, ließen den Staub um sie herum hochspritzen und schlugen in die weißgekalkten Wände der umliegenden Gebäude ein. Ein paar Geschosse prallten vom Kabinendach ab. Es klang, als schlüge jemand mit einem Hammer auf den Stahl. Hinten auf der Ladefläche, unter einer Segeltuchplane, lag ein Granatwerfer. Aber da hinten nützte er ihnen nichts. Ronnie stieß seine Tür auf. »Ich schnapp' mir den Granatwerfer.« Er kletterte nach draußen und hielt sich am Dachrahmen fest, wo eben noch das Heckfenster gewesen war. Glassplitter schnitten in seine Handfläche. Er fluchte, schwang ein Bein über die Ladekante und rollte sich auf die Ladefläche. Er kroch zu dem Granatwerfer und schlug die Plane beiseite. Sie wurde vom Fahrtwind erfasst und landete auf der Straße hinter ihnen. Er öffnete die Transportkiste, holte das lange Abschussrohr heraus und lud die erste Granate.

Einer der Schützen zielte auf ihre Hinterreifen. Sie zerplatzten mit hörbarem Knall und verwandelten sich in verbogene Felgen und zerfetztes Gummi. Lamont rang mit der Lenkung des Pick-ups. Ronnie kam hoch, kniete sich hin und feuerte. Die Granate zog eine Rauchspur hinter sich her. Er spürte den heißen Wind der Schüsse, die ihn verfehlten und die Kabine trafen. Lamont schrie auf. Das vordere der sie verfolgenden Fahrzeuge verschwand in einem Feuerball. Der zweite Pick-up passierte das brennende Wrack. Das charakteristische Hämmern des russischen MGs hallte von den umliegenden Hauswänden wider. Ronnies zweite Granate zerfetzte den Pick-up, nachdem sie dessen Frontscheibe durchschlagen hatte. Der Wagen wurde von der Straße gehoben, kippte um und explodierte dann. Ihr eigener Wagen geriet ins Schleudern, rammte seitlich eines der Gebäude und schrammte an der Außenwand entlang, bis er schließlich zum Stehen kam.

Ronnie sprang von der Ladefläche, öffnete die Fahrertür und zog Lamont hinter dem Lenkrad hervor. Seine Schutzweste hatte zwei der Kugeln aufgehalten. Eine dritte hatte seinen Arm getroffen. Blut durchtränkte seinen Burnus. Seine braunen Züge hatten jetzt die Farbe von dünnem Milchkaffee und waren schmerzverzerrt. Er drückte den verletzten Arm gegen seinen Körper. Dünne Flammen züngelten unter der Motorhaube ihres Pick-ups hervor. Jetzt, wo die Schießerei vorbei war, kamen die Anwohner wieder aus ihren Häusern und Geschäften.

Lamont hatte die Hautfarbe eines Äthiopiers, aber blaue Augen. Ronnie hatte indianische Züge. Sie trugen einheimische Kopfbedeckungen, Umhänge und hatten Bärte. Sie gingen nicht als Sudanesen durch, aber niemand würde sie für Amerikaner halten. Ronnie zog seine Pistole, um unnütze Diskussionen zu vermeiden. Niemand sprach sie an. Sie rannten die Straße hinunter und verschwanden in einem Labyrinth aus Hinterhöfen und schmalen Gassen, das sich zwischen den Häuserzeilen erstreckte. Hinter ihnen ging der Wagen in Flammen auf und schickte eine schwarze Rauchsäule in den wolkenlosen Himmel.

Ronnie hielt in einer menschenleeren Seitenstraße an. Ein dünner Strahl Sonnenlicht fiel zwischen den schmutzfarbenen Wänden herab. Er schnitt Lamonts Ärmel auf. Über dem Ellbogen zeigte sich ein gesplitterter Knochen, wo die Kugel den Arm durchschlagen hatte.

»Wie schlimm sieht's aus?« Lamonts Stimme war ganz rau vor Schmerz.

»Nicht gut. Muss die Blutung stoppen. Das wird wehtun.« Ronnie schnitt Streifen aus seinem Burnus und verband die Wunde. Er improvisierte eine Schlinge. Lamont biss die Zähne zusammen. Ronnie behielt die Straße im Auge und drückte eine der Tasten an seinem Telefon. Der Anruf konnte zwar abgehört werden, aber ohne den richtigen Chip am anderen Ende konnte man nichts verstehen.

Es entstand eine kurze Verzögerung, als der Anruf über den Satelliten weitergeleitet wurde. Stephanie antwortete. »Ja, Ronnie?«

»Wir haben ein Problem. Wurden von zwei Fahrzeugen verfolgt. Haben uns um sie gekümmert, aber unser Wagen ist im Eimer. Lamont hat eine Kugel abbekommen. Ich bin nur leicht verletzt.« Er sah auf seine blutige Hand hinunter. »Holt uns hier raus. Lamont muss sofort in ein Krankenhaus.«

»Geht zum sicheren Haus. Wir evakuieren euch von dort.«

»Sie haben etwas auf einen Siebeneinhalbtonner geladen. Wir haben den Laster letzte Nacht verwanzt.«

»Wir werden sie orten. Ruft wieder an, wenn ihr in Sicherheit seid.«

»Geht klar.« Ronnie legte das Telefon beiseite.

Kapitel 4

Am folgenden Tag trafen sich Nick und Selena mit Stephanie in ihrem Büro. Ronnie und Lamont befanden sich mittlerweile auf einem Flugzeugträger der US-Navy, zweihundert Meilen vor der Küste. Wegen der Evakuierung aus Khartoum schuldeten sie der CIA jetzt einen Gefallen. Das PROJECT hatte kein Personal rund um den Globus. Langley schon. Zu Nicks großer Überraschung hatten sie kooperiert. Carter war erleichtert, dass sich sein Team jetzt in Sicherheit befand, aber er wusste auch, dass Langley eine Gegenleistung fordern würde.

Es gab eine neue Entwicklung, aber sie war nicht gut. Stephanie brachte sie auf den neuesten Stand. »Senator Randolph wurde ermordet. Drei Agenten des Secret Service befanden sich bei ihm. Auch sie sind tot, ebenso seine Frau und ihr Hund. Sie fanden ein Symbol bei seiner Leiche, das dem von London glich. Der Präsident hat mich angerufen und erwartet Antworten.«

Randolph war einer der führenden Gegenkandidaten von Präsident Rice in den kommenden Wahlen gewesen. Er hatte sich für eine vorbeugende Militärintervention im Iran ausgesprochen und gegen jeden anderen, der sich Nuklearwaffen verschaffen wollte. Also hatte gerade jemand einen Anschlag auf den Mann verübt, der der nächste Präsident der USA hätte werden können. Nick sprach nur aus, was sie alle bereits wussten: »Es ist wahrscheinlich, dass man wegen des Symbols eine Verbindung zu den Schiiten erwarten würde. Randolph wollte harte Sanktionen gegen Teheran. Genau wie der britische Außenminister. Jeder wird annehmen, dass der Iran hinter den Attentaten steckt.«

»Vielleicht entspricht das ja der Wahrheit.« Stephanie trommelte mit den Fingern auf ihren Schenkel.

»Das ergibt doch keinen Sinn, Steph. Warum sollten die Iraner ihre Beteiligung öffentlich bekanntgeben? Das ist doch gar nicht ihr Stil.«

»Die öffentliche Meinung wird das für uns entscheiden. Das ist Sache der Politik, das weißt du genau. Man sucht nach einem Schuldigen. Wenn erst jemand die Verbindung herstellt, könnte das Krieg bedeuten.«

»Ich glaube nicht, dass es Teheran war«, sagte Selena. Sie hielt das Foto des Symbols hoch. »Ich habe mich daran erinnert, wo ich es schon einmal gesehen habe. Kaum zu glauben, dass es jetzt wieder auftaucht.«

»Was meinst du damit?« Carter war ungeduldig.

»Es ist das Zeichen des Geheimbundes der Hashashin. Davon leitet sich das Wort Assassine ab. Sie waren eine schiitische Sekte, die vor siebenhundert Jahren einfach verschwand.«

»Waren das die Typen, die Haschisch rauchten und dann dachten, sie wären schon im Paradies?«

»Genau.«

»Lass mich raten«, sagte Nick. »Sie kamen aus dem Iran.«

»Wieder richtig. Nur hieß er da noch Persien. Sie hatten eine Festung im Nordwesten des heutigen Iran, an einem Ort namens Alamut. Diese Festung steht noch immer, wurde aber im 13. Jahrhundert von den Mongolen erobert.«

»Was geschah mit ihnen? Du hast gesagt, sie seien einfach verschwunden.«

»Sie glaubten an eine Herrschaftsfolge geheimer Imame und durchliefen einen Prozess, den sie selbst Auflösung nannten. Sie gingen in den Untergrund, bis ihre Imame sie wieder zum Kampf riefen. Aber das sollte angeblich erst geschehen, wenn Gott ihnen ein Zeichen schickt.«

»Und was für eine Art Zeichen wäre das?«

»Da müsste ich raten. Ich nehme an, sie werden es wissen, wenn sie es sehen.«

»Vielleicht haben sie ihr Zeichen bereits erhalten. Vielleicht sind sie wieder da.«

»Du denkst, dass es diesen Kult immer noch gibt?«, fragte Steph.

»Es ist ihr Symbol«, antwortete Selena achselzuckend. »Und der Dolch war ihre bevorzugte Waffe, auch wenn sie hin und wieder Gift einsetzten. Sie wurden von frühester Kindheit an in jeder Art des Tötens ausgebildet. Stell sie dir als muslimische Ninjas vor, dann bekommst du den richtigen Eindruck. Sie waren Fanatiker, eine kleine, isolierte Sekte innerhalb der Schiiten. Sie glaubten, dass sie der einzig richtigen Interpretation von Mohammeds Lehren folgten.«

»Wie viele von ihnen gab es?«

»Das weiß niemand.«

Carter rieb seine pochenden Schläfen.

»Sie können unmöglich noch existieren«, sagte Stephanie. »Ich denke da an die Lehren von Sherlock Holmes.«

»Das hier ist kein Spielfilm, Steph.«

»Sei kein Idiot, Nick. Holmes sagte, dass wenn alle denkbaren Möglichkeiten eliminiert wurden, nur das Unmögliche übrig bleibt. Oder so ähnlich. Wenn es wirklich diese Assassinen sind, dann existieren sie in der modernen Welt, obwohl jeder das für unmöglich halten würde.«

»Wenn sie noch existieren und sich jahrhundertelang versteckt haben, dann sind sie darin vermutlich ziemlich gut. Wie sollen wir sie finden?«

Selena runzelte die Stirn. »Wir brauchen mehr Informationen. Und ich weiß, wo wir anfangen könnten.«

»Wo?«

»In Mali.«

»Mali? Was gibt es denn in Mali?«

»Das Ahmed-Baba-Institut. Es ist eine Bibliothek in Timbuktu, die eine Sammlung von Schriften in arabischer Sprache besitzt, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Wenn du etwas über die muslimische Geschichte im Mittelalter wissen willst, dann ist das die Quelle.«

Nick kannte diese Begeisterung. Grundlagenforschung an vergessenen Schriften, das war jahrelang ihr Steckenpferd gewesen. Es hatte ihr einen respektablen Ruf in der akademischen Welt verschafft.

»Du willst also nach Timbuktu?«

»Wenn es überhaupt historische Referenzen darüber gibt, was mit den Hashashin geschah, dann ist das der Ort, an dem sie zu finden sind. Sonst findest du überall nur die gängige Geschichtsschreibung und die hilft uns nicht weiter.«

Stephanie schnippte eine Fluse von ihrem dunklen Kostüm. Nick konnte sich noch gut erinnern, wie sie früher in bunten Sportklamotten zur Arbeit erschienen war. Jetzt gab sie sich geschäftsmäßig.

Selena war noch nicht fertig. »Steph, ich brauche eine Forschungsgenehmigung. Die sind sehr zurückhaltend, wenn es um den Zugang zu uralten Handschriften geht. Aber mit meiner Vita sollte es nicht allzu schwierig werden. Vor zwei Jahren hielt ich bei einer internationalen Konferenz einen Vortrag über islamische Geschichte und arabische Sprachen. Ich wurde bereits für die nächste Konferenz als Rednerin eingeladen. Ich könnte meine wahre Identität nutzen und vorgeben, für den Vortrag zu recherchieren.«

Stephanie machte sich Notizen. »Das lässt sich arrangieren.«

»Sie kann doch nicht allein gehen, Steph. Ich begleite sie. Wir haben Militärberater in Mali und die Regierung ist uns freundlich gesonnen. Wir können unsere Waffen mit dem Diplomatengepäck ins Land bringen.«

»Verdammt, Nick. Du bist jetzt einer der Direktoren. Du solltest nicht einfach losziehen, wo du erschossen oder gekidnappt werden könntest. Außerdem werden jetzt alle Geheimdienste der Welt nach diesen Kerlen suchen. Die werden sie schon finden.«

»Die anderen Dienste haben aber keine Selena. Es ist eine taktische Entscheidung, und die liegt in meiner Verantwortung. Sie hat noch nicht genug Erfahrung im Außeneinsatz, um allein zu gehen. Ronnie und Lamont sind aus dem Rennen. Also bleibe nur ich.«

Selena winkte ab. »Entschuldige mal. Ich sitze hier direkt vor dir.« Ihr Gesicht war zornesrot. »Denkst du etwa, ich kann nicht auf mich selbst aufpassen?«

»Darum geht es nicht. Du bist eine Anfängerin. Es wäre dein erster Einsatz in Afrika. Betrachte es als Teil deiner Ausbildung.« Selena musterte ihn und nickte dann kurz. Er wusste, dass die Sache noch nicht ausgestanden war.

»Nick …«

»Ich gehe mit ihr, Steph.«

Stephanie seufzte. Sie wusste, dass es hoffnungslos war, wenn Nick sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. »In der muslimischen Welt bist du bekannt wie ein bunter Hund. Du brauchst eine glaubwürdige Tarnung, eine andere Identität.«

Das stimmte. Nach Jerusalem war er mit Sicherheit das bevorzugte Ziel eines jeden Fanatikers. »Wir denken uns etwas aus«, sagte er knapp.

Kapitel 5

Carter und Selena verließen das PROJECT und fuhren zurück in die Innenstadt. Sie hatten einen neuen Mercedes bekommen, um den zu ersetzen, den die Chinesen zusammengeschossen hatten. Ein Coupe. Schnell, burgunderrot, beinahe die Farbe von Blut. Innen hatte der Wagen eine Lederausstattung, komfortabel und warm. Draußen hatte es zu schneien begonnen. Das Wispern der Wischerblätter und das leise Hintergrundgeräusch der Klimaanlage konnten Selenas ohrenbetäubendes Schweigen nicht übertönen. Nick behielt diese Erkenntnis für sich. Als sie schließlich etwas sagte, klang ihre Stimme angespannt. »Warum glaubst du, dass ich nicht selbst auf mich aufpassen kann?«

»Das denke ich gar nicht.«

»Doch, tust du. Du hast mich da drinnen als Anfängerin bezeichnet.«

»Weil du noch ganz am Anfang stehst. Afrika ist ein einziges Chaos. Dort kann praktisch alles passieren. Du weißt nicht, wie es ist, dort draußen als Agent zu operieren. Du musst davon ausgehen, dass jeder dich umbringen will.«

»In Tibet haben sie sich redlich bemüht.«

»Das war etwas anderes. Ronnie und ich haben Erfahrung mit verdeckten Operationen und es war diese Art von Mission. Genau wie Argentinien. Da hast du dich gut geschlagen, sehr gut sogar. Aber Undercover-Ermittlungen sind etwas anderes. Damit hast du noch keine Erfahrungen.«

»Du vergisst, dass meine Forschungen mich immer wieder an gefährliche Orte führten, ohne dass ich dabei verletzt wurde. Auch nach Afrika.«

»Hör mal, da draußen kannst du niemandem vertrauen. Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass die Dinge so sind, wie sie scheinen. Du musst immer auf der Hut sein. Du musst alles mit anderen Augen sehen, auf eine verborgene Geste oder ein falsches Wort achten. Auf ein verborgenes Messer. Du musst immer davon ausgehen, dass jemand dir auf den Fersen ist, selbst wenn alles ruhig aussieht.«

»Es ist doch nur eine Bibliothek.«

»Eine Bibliothek in einem muslimischen Land voller Terroristen, in der wir nach Hinweisen über eine Gruppe terroristischer Attentäter suchen wollen. Wenn es dort etwas zu finden gibt, dann wissen die es auch. Denkst du, dass sie einen solchen Ort nicht im Auge behalten? Du musst mit so etwas rechnen, denn wenn du es nicht tust, könntest du draufgehen.«

Selena wurde wütend. Nick erkannte die Vorzeichen. »Warum denkst du, dass ich darauf nicht von allein gekommen wäre?«

Carter spürte, wie seine eigenen Züge sich verhärteten, wie sein Blutdruck stieg. »Verdammt, Selena, darum geht es doch gar nicht. Wie ich schon sagte, es ist das erste Mal für dich. Du denkst, du weißt alles, aber das tust du eben nicht.«

»Doch nur ein dummes Weibchen, nicht wahr?«

»Verdammt nochmal …«

Sie waren nur noch ein paar Blocks von Nicks Apartment in D.C. entfernt. Selena bremste energisch und brachte den Wagen zum Stehen. »Ich denke, von hier aus findest du allein nach Hause.«

Nick stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu. Selena raste mit durchdrehenden Reifen in einer Wolke aus Schnee und Tauwasser davon. Der Pförtner sah nur einmal hoch, als Nick hereinkam und steckte den Kopf dann wieder in seine Zeitung. Nick grummelte vor sich hin, während der Aufzug nach oben fuhr. Er schloss die Wohnungstür auf und ging auf direktem Weg zur Bar. Dort schenkte er sich einen doppelten Irish Whisky ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Er stellte sich ans Fenster, sah ins Schneetreiben hinaus und wartete darauf, dass der Whisky seine Arbeit tat.

Was zum Teufel war nur mit den Frauen los? Es war doch ganz einfach. Er wusste, was er tat und sie eben nicht. Warum konnte sie das nicht einsehen? Er wollte ihr doch nur helfen und sie nicht kritisieren. Er musste ihr das irgendwie klarmachen, bevor sie nach Mali gingen. Es war immer schwierig, das Geschäftliche und das Private auseinanderzuhalten. Als ihr Boss konnte er nicht zulassen, dass sie seine Anweisungen ignorierte. Es konnte ihre ganze Mission scheitern lassen. Und als ihr Liebhaber war er einfach nur angefressen. Er schenkte sich noch einen Whisky ein, dachte darüber nach, etwas zu essen, aber sein Magen war wie zugeschnürt. Er stand auf und machte die Musik an. Miles Davis. Er mochte Davis und Coltrane, Horace Silver und John Desmond.

Carter lehnte sich in seinem Sessel zurück und nippte an dem Whisky. Verdammt, er war nicht mal nahe dran, die Frauen in seinem Leben zu verstehen. Außer Megan. Megan war anders. Aber Megan war tot. Er sah auf das Bild, das vor ein paar Monaten von seiner Mutter, seiner Schwester Shelley und ihm gemacht worden war. Seine Mutter blickte abwesend und seine Schwester sah aus, als habe sie etwas Falsches gegessen. Er musste an seine Mutter denken. Sie hatte Alzheimer und es ging schnell mit ihr bergab. Vor ein paar Wochen hatte er einen schlimmen Streit mit Shelley und ihrem Arschloch von Ehemann gehabt. Sie wollten sie in ein Heim stecken und ihr Haus verkaufen. Bestes Bauland in Palo Alto. Sie konnten es gar nicht erwarten, an das Geld zu kommen, doch ohne ihn ging das nicht. Stattdessen hatten sie einer Vollzeitpflegekraft vor Ort zustimmen müssen. Carter konnte es sich jetzt leisten. Wenigstens hatte Shelley aufgehört, ihn wegen seiner Arbeit zu löchern. Jetzt, wo sie wusste, dass er nicht nur irgendein Sesselfurzer in Washington war. Nach Jerusalem war es unmöglich gewesen, sie weiter im Dunkeln zu lassen. Sie wusste nicht genau, was er tat, aber Schreibtischtäter tauchten nicht auf CNN auf, trugen Waffen und sprachen mit dem Präsidenten. Doch Waffen hin oder her, sie verteidigte weiterhin ihren Vater. Und sie spielte sich Nick gegenüber immer noch als große Schwester auf. Sie war eine Nervensäge. Er wünschte, sie hätten ein besseres Verhältnis. Noch so ein Frauenproblem. Carter war es leid, darüber nachzudenken.

Er stand auf, öffnete den Kühlschrank, fand Reste vom Chinesen und aß sie, ohne sie aufzuwärmen. Er schenkte sich noch einen Whisky ein, sank in seinen Sessel und versuchte etwas zu lesen. Die Worte verschwammen vor seinen Augen. Zum Teufel mit allem. Er war seit drei Uhr morgens auf den Beinen. Er zog sich aus und legte sich ins Bett … und träumte den Traum.

Das Echo der Rotorengeräusche hallt von der anderen Seite des Tals wider. Das Dorf ist wieder da, dieselbe staubige Ansammlung armseliger Hütten. Es ist heiß im gleißenden Sonnenlicht Afghanistans, das durch die scharfkantige Hügelkette fällt, die es umgibt. Eine einzelne, unbefestigte Straße führt hindurch. Wie gewohnt springt er aus dem Helikopter und rennt die Straße hinunter. Wie gewöhnlich hat er das M4 im Anschlag, seine Marines sind direkt hinter ihm. Die Hütten reihen sich auf beiden Seiten der Straße auf. Zu seiner Linken ist ein Marktplatz, einfache Stände mit Stoffwänden. Über dem Stand des Metzgers ballt sich eine Wolke von Fliegen. Dann steht er mitten auf dem Marktplatz. Er kann seinen eigenen Schweiß riechen, den Geruch der Furcht darin. Er hält sich von den Stoffwänden fern. Irgendwo schreit ein Kleinkind. Die Straße ist verlassen. Auf den Dächern erscheinen Männer und beginnen auf ihn zu schießen. Die Marktstände verwandeln sich in flammende Trümmer, Mörtel und Steinsplitter regnen von den umstehenden Gebäuden. Ein Kleinkind läuft auf ihn zu, ruft etwas von Allah. Es hat eine Granate. Carter zögert. Der Junge hebt seinen Arm und wirft, als Nick auf ihn schießt. Der Schädel des Jungen verschwindet in einer Fontäne aus Blut und Knochen. Die Granate fliegt wie in Zeitlupe durch die Luft … dann wird alles grellweiß …

Carter erwachte schreiend und schweißnass. Die Granatsplitter haben Narben auf seinem Körper hinterlassen. Und in seinem Verstand haben sie unsichtbare Narben hinterlassen, die man nicht so einfach erkennen konnte. Die Flashbacks kamen nicht mehr so oft wie früher, außer wenn er schlief. Er stand auf und wankte nackt ins Bad. Er duschte, rasierte sich, zog sich an und machte Kaffee.

Er hasste diesen Traum. Er hasste es, dieses Kind getötet zu haben. Es half nicht, sich einzureden, dass es nur Selbstverteidigung gewesen war und dass im Krieg schlimme Dinge geschahen. Es brachte nichts, wenn er sich einredete, dass er keine Wahl gehabt hatte. Carter war nicht gläubig. Er glaubte nicht daran, dass er für die Taten in seinem Leben Trost in den Worten von Menschen finden konnte, selbst wenn diese angeblich von Gott gesegnet waren. Das war doch genau das, was auch die Jihadisten glaubten. Und was kam dabei heraus? So etwas wie Erlösung gab es nicht, außer man fand sie in sich selbst. Wenn sie auch in ihm steckte, dann hatte er sie noch nicht gefunden. In der Zwischenzeit versuchte er, jene Menschen aufzuhalten, die Kinder mit Granaten in der Hand losschickten. Einen Terroristen nach dem anderen. Vielleicht lag darin seine Erlösung. Er wartete auf den Morgen. Sein Telefon klingelte.

»Ja?«

»Ich bin's.«

Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Wo bist du?«

»Im Hotel.« Selena hatte noch immer eine Hotelsuite im Mayflower. Keiner von ihnen war jetzt schon bereit, für immer zusammenzuziehen. Vielleicht würden sie das auch nie.

»Tut mir leid wegen vorhin«, sagte sie. »Ich glaube, ich bin zurzeit ziemlich unter Druck.«

»Ich versuche nicht, dir vorzuschreiben, wie du dein Leben führen solltest.«

»Ich weiß.«

»Ich mache mir Sorgen um dich. Ich will nicht, dass du draufgehst. Vielleicht nehme ich dich zu hart ran.«

»Ist das eine Entschuldigung? Wir wussten doch, dass es dazu kommen würde. Ist nicht das erste Mal. Ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Und ich weiß auch, dass ich noch viel lernen muss. Ich bin nicht dumm.«

»Du bist alles andere als dumm.«

»Dann behandle mich auch so.«

»Du musst …« Er verstummte und begann von Neuem. »Es ist wichtig, dass du es nicht in die falsche Kehle bekommst, wenn ich dir eine Anweisung erteile. Ich mache das jetzt schon eine ganze Weile. Ich muss dich wie jeden anderen Neuling behandeln. Daran ändert auch nicht, dass wir uns verliebt haben.«

»Was soll das heißen, Nick? Sind wir jetzt verliebt, weil wir miteinander schlafen?«

»Ich denke schon.«

»Vielleicht ist es mehr als das.« Sie legte auf.

Kapitel 6