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Verschollene Reliquien, mystische Schätze und geheimnisvolle Artefakte – begeben Sie sich zusammen mit der streng geheimen Regierungsorganisation PROJECT auf die weltumspannende Jagd nach den letzten Rätseln der Menschheit. Nicht länger unter dem Schutz des Präsidenten stehend, arbeitet das PROJECT inzwischen als exklusiver Beratungsdienst für ausgewählte Klienten. Ein mächtiger japanischer Industrieller engagiert Elizabeth Harker und ihr Team, um ein berühmtes Schwert zu finden, das im Chaos nach dem Zweiten Weltkrieg verloren ging. Zunächst scheint es ein klar umrissener Auftrag zu sein. Doch dann sterben Menschen, und Harkers Team gerät in ein Netz aus Mord und Täuschung, das seinen Ursprung Jahrhunderte zuvor im feudalen Japan hat. Warum ist das Schwert so bedeutsam, dass man dafür sogar tötet? Welches Geheimnis birgt es? Nick und Selena sind gezwungen, sich gegen einen fanatischen Gegner zu verteidigen, und folgen einer blutigen Spur nach Japan. Dort geraten sie in eine mythische Konfrontation, die nur ein Ende kennt – den Tod. ★★★★★ »Alex Lukeman schreibt mit einem sicheren Gespür für filmische Atmosphäre. Seine fesselnden Romane mit ihren griffigen Plots sind einfach absolute Hits.« - MCSFilm Review Team
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Seitenzahl: 278
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Copyright © 2019 by Alex Lukeman
Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors.
Dieses Werk ist Fiktion. Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.
Deutsche Erstausgabe
Titel der Originalausgabe: THE SWORD
Copyright Gesamtausgabe © 2025 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.
Kontaktinformation:
LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.
House U10, Toscana Hills, Poumboulinas Street, 8873 Argaka, Polis, Cyprus
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Umschlaggestaltung: Michael Schubert | Luzifer-Verlag
Übersetzung: Peter Mehler
ISBN: 978-3-95835-904-8
eISBN: 978-3-95835-905-5
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2025) lektoriert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
ANMERKUNGEN
DANKSAGUNG
Mejiro, Japan – Januar 1946
Sergeant Hiroto Sato stand hinter dem Tresen seiner Polizeistation. Seine Schicht neigte sich dem Ende zu, und er freute sich darauf, nach Hause zu seiner Frau und zu seinem Abendessen gehen zu können. Es würde Reis geben, Miso, ein wenig Fisch. Seit dem Kriegsende war das Essen reichlicher geworden.
Die Tür öffnete sich. Zwei der Gajin-Eroberer traten ein, von denen einer die Streifen eines Sergeanten trug. Ein Luftzug wehte durch die offene Tür an ihnen vorbei und brachte einen Hauch von Körpergeruch mit sich. Sato zwang sich, ein unbewegtes Gesicht zu wahren. Diese Fremden hatten einen so widerwärtigen Geruch an sich. Wie konnten sie nur damit leben?
Sato verbeugte sich. Er hasste es, aber es war nötig. Natürlich erwiderten die Amerikaner die höfliche Geste nicht.
Barbaren.
Sato sprach recht ordentlich Englisch. Das war einer der Gründe, warum er nach der Demütigung der Kapitulation zum Sergeanten befördert worden war. Das – und der leere Ärmel, der sein Opfer für den Kaiser zeigte.
»Wie kann ich helfen, Sergeant?«
»Was sagst du dazu, Mike?«, sagte der Mann an seinen Begleiter gewandt, einen Korporal. »Ein Nip, der Englisch spricht.«
»Lass uns die verdammten Schwerter holen und abhauen, Sarge.«
Der Sergeant zog ein amtlich wirkendes Blatt Papier aus seiner Tasche und legte es auf den Tresen.
»Wir sind hier, um die Schwerter abzuholen, die Sie eingesammelt haben.«
Eines der von den Besatzungstruppen erlassenen Gebote verlangte, dass alle Schwerter, Messer und Dolche bei der nächstgelegenen Polizeistation abzugeben waren, um eingesammelt zu werden. Es hatte Vorfälle gegeben, bei denen amerikanische Soldaten angegriffen worden waren. Der Krieg war vorbei, doch manche wollten es noch nicht wahrhaben.
»Ah«, antwortete Sato. »Ja, Sergeant, sofort.«
Er wandte sich nach hinten und rief auf Japanisch: »Kazahiro! Bring die Schwerter. Amerikanische Soldaten sind hier, um sie abzuholen.«
»Ich würde denen am liebsten eins in den Arsch schieben«, erwiderte Kazahiro.
»Vielleicht ein andermal. Bring sie mir, bitte.«
»Alle?«
»Hai.«
Kurz darauf erschien Kazahiro aus dem Hinterzimmer und schob einen Wagen vor sich her, der mit Schwertern beladen war. Obenauf lag ein in braunes Papier und Schnur gewickeltes Paket.
»Sagen Sie Ihrem Mann, er soll sie zu unserem LKW bringen«, sagte der amerikanische Sergeant.
Sato übersetzte den Befehl, und Kazahiro schob den Wagen auf die Straße hinaus.
Sato zog ein Formular auf Japanisch hervor, in dem siebenundvierzig Schwerter verschiedenster Längen und Formen aufgelistet waren. Der Amerikaner würde die Unterschiede zwischen ihnen niemals verstehen. Sato machte sich nicht die Mühe, es zu erklären.
»Ich muss dieses Formular ausfüllen, Sergeant. Wie lautet Ihr Name?«
Sato hörte sich die Antwort an und schrieb die japanischen Schriftzeichen für den Namen auf.
»Und Ihre Militäreinheit?«
»Siebte Kavallerie, U. S. Army.«
Sato notierte auch dies.
»War's das?«, fragte der Sergeant.
»Sie müssen noch unterschreiben, hier.«
Der Sergeant zog einen Stift aus der Tasche und unterschrieb mit einem raschen Gekritzel.
»Domo.«
»Bin ich jetzt fertig?«
»Hai.«
»Großartig«, sagte der Korporal. »Nichts wie raus hier. Der Laden stinkt nach Fisch.«
Als die beiden Männer die Station verließen, stieß der Sergeant mit Kazahiro zusammen, der gerade wieder hereinkam.
Sato wusste, dass es gut war, dass der japanische Polizist in diesem Moment keines der Schwerter in der Hand hatte.
Draußen, bei dem LKW, nahm der Sergeant das lange, in Papier gewickelte Paket auf. Er konnte den Griff und das Stichblatt eines Schwertes unter der dicken Umhüllung spüren.
»Warum haben sie wohl gerade dieses hier eingewickelt? Alle anderen liegen lose in dem Wagen.«
»Wen interessiert's? Lass uns ein paar davon mitnehmen, bevor die Offiziere sie kriegen. Ich will ein Souvenir, das ich den Leuten zu Hause zeigen kann.«
»Ich behalte dieses hier.«
Sie warfen den Rest der Schwerter auf den LKW und fuhren zurück zur Kaserne. Sechs Monate später kehrte der Sergeant wieder in die Staaten zurück, das Schwert in seinem Seesack verstaut. Er hatte keine Ahnung, dass sein Souvenir ein unbezahlbarer Schatz war – ein legendäres Schwert der Samurai.
Über die Jahrhunderte war es in Strömen von Blut gehärtet worden.
Die Samurai waren längst in den Nebeln der Geschichte verschwunden – doch das Blutvergießen war noch nicht vorbei.
Eine schwarze Mercedes-Limousine folgte einer niedrigen Steinmauer, bis sie vor einem eisernen Tor hielt, das zwischen zwei steinernen Pfeilern eingelassen war. Eine kleine Messingplakette verkündete The Harker Group. Das Tor war geschlossen, eine Gegensprechanlage war am linken Pfeiler angebracht. Der Fahrer ließ sein getöntes Fenster herunter und drückte den Ruftaster. Wenige Sekunden später ertönte eine Antwort aus dem Lautsprecher.
»Ja?«
»Atagi Nobuyasu, für ein Treffen mit Miss Harker.«
»Bitte folgen Sie der Auffahrt bis zum Haupthaus.«
Das massive Tor schwang langsam auf. Die Limousine fuhr durch das gepflegte Gelände eines großen Anwesens, bis sie vor einem Herrenhaus im föderalen Stil aus grauem Stein ankam. Ein breiter, von Säulen getragener Portikus schützte den Haupteingang. Der Wagen hielt unter dem Portikus. Ein muskulöser Japaner stieg aus und öffnete die hintere Tür. Ein zweiter Japaner in einem exquisiten Anzug stieg aus und musterte das Gebäude.
Er war etwa fünfzig Jahre alt. Sein Haar war sehr kurz am Schädel geschnitten, über intensiven, dunkelbraunen Augen. Er trug keinen Hut. Die Art, wie er sich bewegte, zeugte von Macht.
»Warte hier, Bunji.«
Der Fahrer neigte den Kopf zu einer raschen Verbeugung. »Hai, Nobuyasu-san.«
Einer der beiden Flügel der Eingangstüren öffnete sich, und eine Frau mit langem braunem Haar und einem freundlichen Gesicht trat auf die Veranda. Goldene Armreifen an ihrem linken Handgelenk spiegelten das Sonnenlicht, während sie die vier breiten Stufen hinunterging, um den Besucher zu begrüßen.
»Willkommen, Nobuyasu-san. Ich bin Stephanie Willits, die Stellvertreterin von Direktorin Harker. Sie freut sich darauf, Sie kennenzulernen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, bringe ich Sie zu ihr.«
»Ich danke Ihnen.«
Nobuyasu folgte Stephanie ins Gebäude und fand sich in einer großen Eingangshalle wieder. Auf der rechten Seite befand sich eine Bibliothek, auf der linken ein Raum mit einem Billardtisch. Geradeaus fiel Licht durch ein großes, rundes Oberlicht. Sie liefen unter dem Oberlicht entlang. Rechts erhob sich eine geschwungene Treppe zu den oberen Stockwerken. An der Wand hinter dem Balkon hing ein Ölgemälde von George Washington.
»Hier entlang«, sagte Stephanie.
Sie führte Nobuyasu in ein Büro, in dem hinter einem großen Schreibtisch aus poliertem Holz eine kleine Frau mit intensiven, grünen Augen saß. Ihr rabenschwarzes Haar war von weißen Strähnen durchzogen. Nobuyasu schätzte sie auf irgendwo in den Fünfzigern.
Bequeme Sofas standen beiderseits des Schreibtischs. Dazwischen befand sich ein niedriger Couchtisch aus poliertem Holz. Auf einem der Sofas saß ein muskulöser Mann mit militärischer Ausstrahlung. Neben ihm eine attraktive Frau mit rötlich-blondem Haar und außergewöhnlich violetten Augen. Sie erhoben sich, als Stephanie und Nobuyasu den Raum betraten. Elizabeth erhob sich ebenfalls und trat hinter ihrem Schreibtisch hervor.
»Nobuyasu-san. Danke, dass Sie gekommen sind. Ich bin Elizabeth Harker. Ich hoffe, Ihre Reise war angenehm?«
»Äußerst angenehm, danke.«
»Das sind meine Mitarbeiter, Nick Carter und seine Frau Selena.«
»Yokoso, Nobuyasu-san«, sagte Selena.
Er verbarg seine Überraschung. Ihr Akzent, mit dem sie ihn begrüßte, war makellos. Hätte er die Augen geschlossen, hätte er angenommen, sie käme aus dem Süden Tokios. Er antwortete in derselben Sprache: »Domo.«
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte Harker.
Nobuyasu setzte sich Nick gegenüber. Stephanie ging zu einer Computerstation in der Nähe von Harkers Schreibtisch.
Elizabeth kehrte auf ihren Platz zurück. Viele Jahre lang war sie Direktorin einer verdeckten Anti-Terror-Einheit namens PROJECT gewesen, die unter dem Schutz des Präsidenten stand und es ihr erlaubte, die Regeln zu beugen. Sie und ihr Team hatten eine Schlüsselrolle bei der Vereitelung mehrerer Anschläge gegen Amerika gespielt. Das PROJECT war überaus erfolgreich gewesen. Zu erfolgreich – eine Todsünde im rücksichtslosen politischen Machtkampf von Washington. Harker hatte sich Feinde gemacht. Kurz nachdem ein neuer Präsident gewählt worden war, war das PROJECT aufgelöst worden.
Elizabeth hatte alle überzeugt, weiter mit ihr zu arbeiten, und eine private Beratungsgruppe gegründet. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Expertise ihres Teams nun auf privater Basis verfügbar war.
»Möchten Sie etwas zur Erfrischung, Nobuyasu-san?«, fragte Elizabeth. »Tee vielleicht?«
»Nein danke, Direktorin. Ich würde lieber gleich zur Sache kommen.«
»Natürlich. Darf ich fragen, wie Sie von unserer Gruppe erfahren haben?«
»Ein Bekannter von mir bei der Public Security Agency empfahl Sie als erfahren und diskret.«
Die Public Security Intelligence Agency war Japans Pendant zur CIA. Wer auch immer Nobuyasus Bekannter war – Elizabeth wusste, er musste sehr weit oben in der Organisation stehen. Nur wenige kannten die Hintergründe ihrer Gruppe.
»Ich verstehe. Ihre Anfrage für dieses Treffen war ziemlich vage. Was genau wünschen Sie von uns?«
»Ich möchte, dass Sie etwas für mich finden«, sagte Nobuyasu. »Kosten spielen keine Rolle.«
»Warum sind Sie zu uns gekommen?«
»Ich kenne Ihre frühere Arbeit für Ihre Regierung. In dieser Zeit haben Sie mehrere bedeutende Artefakte wiederbeschafft, die seit Jahrhunderten verschollen waren.«
»Sie haben ausgezeichnete Quellen, Nobuyasu-san. Diese Informationen sind streng geheim.«
»Es freut mich zu sehen, dass Sie keine Zeit damit verschwenden, es zu leugnen.«
»Was sollen wir für Sie finden?«
»Ein Schwert«, sagte Nobuyasu. »Es wurde als Zeichen guten Willens abgegeben, um einer Anordnung der Besatzungstruppen nach dem Krieg nachzukommen. Seitdem wurde es nicht mehr gesehen.«
Besatzungstruppen, dachte Nick. Nicht alliierte Streitkräfte oder amerikanische Truppen.
»Es gab viele Schwerter in Japan am Ende des Krieges«, sagte Elizabeth.
»Aber nur ein Schwert wie dieses. Es ist bekannt als Honjo Masamune.«
»Oh je«, entfuhr es Selena.
Nobuyasu wandte sich ihr zu. »Sie kennen es?«
»Jeder, der Kampfkunst und die Wege der Samurai studiert hat, kennt es. Es ist das berühmteste Schwert in der japanischen Geschichte – mit Ausnahme des Kusanagi-no-Tsurugi, des Schwertes des Kaisers.«
»Sie sind eine Studentin der Geschichte meines Landes?«
»Nein, ich bin eine Studentin der Kampfkunst.«
»Und doch sprechen Sie unsere Sprache.«
»Ich spreche viele Sprachen, Nobuyasu-san.«
»Ich glaube, ich bin hier am richtigen Ort«, sagte Nobuyasu. »Ich hätte nicht erwartet, dass jemand, der nicht Japaner ist, eines unserer Nationalheiligtümer kennt.«
»Was können Sie uns über das Schwert sagen?«, fragte Elizabeth.
»Es war ein geschätzter Besitz der Familie Tokugawa. Nach dem Krieg weigerten sich viele Adlige, der Anordnung zur Abgabe ihrer Schwerter Folge zu leisten. Sie müssen verstehen, es galt als große Beleidigung. Für uns, die wir von den Samurai abstammen, ist ein Schwert nicht nur ein Kriegsinstrument. Es ist ein Symbol unseres Samurai-Erbes, ein wertvolles Familienerbstück. Doch Ieyasu Tokugawa beschloss, mit gutem Beispiel voranzugehen, und kam der Anordnung nach. Er brachte das Schwert wie gefordert zu einer örtlichen Polizeistation.«
»Und was geschah dann?«
»Es gibt einen Eintrag darüber, dass das Schwert von einem amerikanischen Sergeant bei der Polizei abgeholt wurde. Seitdem wurde es nicht mehr gesehen. Viele der von den Amerikanern eingesammelten Schwerter wurden zerstört. Viele jedoch wurden auch hierhergebracht – als Souvenirs. Ich hoffe, dass das Schwert überlebt hat und sich irgendwo in Amerika befindet.«
»Und Sie wollen, dass wir es finden«, sagte Nick.
»Das ist richtig.«
»Sie wissen, dass wir bei einem Auftrag dieser Art keinen Erfolg garantieren können«, sagte Elizabeth.
»Das ist mir bewusst, Direktorin. Aber Ihr Erfolg mit anderen Objekten, die entweder als mythisch oder für immer verloren galten, ermutigt mich. Ich wäre nicht hier, wenn ich nicht glauben würde, dass Ihre Gruppe meine beste Chance darstellt, die Klinge zu finden.«
»Gehört das Schwert nicht den Tokugawas?«, fragte Selena.
»Die Familie Tokugawa hat ihren Anspruch auf das Schwert aufgegeben. Falls es Ihnen gelingt, es zu finden, beabsichtige ich, es unserem Nationalmuseum zu stiften. Es wird seinen Platz neben einer weiteren erhaltenen Klinge von Masamune einnehmen. Das Schwert ist Teil unseres nationalen Erbes, und mein Land ist sehr gut zu mir gewesen. Dies ist eine Möglichkeit für mich, meinem Land einen Dienst zu erweisen.«
Er zog einen Umschlag aus dem Inneren seines Jacketts.
»Dieser Umschlag enthält einen Scheck über fünfzigtausend US-Dollar als Vorschuss sowie Kontaktdaten. Sobald weitere Mittel benötigt werden, müssen Sie nur die darin angegebene Nummer anrufen. Das Geld wird sofort überwiesen. Der Umschlag enthält außerdem Anweisungen, wie Sie mich kontaktieren können, falls es Fortschritte gibt.«
Er legte den Umschlag auf Elizabeths Schreibtisch.
»Ich schätze Ihr Vertrauen, Nobuyasu-san. Allerdings werden wir nichts ohne die volle Zustimmung aller im Team unternehmen. Bleiben Sie in Washington?«
»Sie finden die Adresse und eine Telefonnummer im Umschlag. Ich reise morgen früh nach Japan zurück.«
»Ich möchte mich mit meinen Kollegen beraten. Darf ich Sie später am heutigen Tag mit unserer Antwort anrufen?«
Nobuyasu erhob sich. Alle anderen standen ebenfalls auf. »Das scheint mir akzeptabel, Direktorin.«
»Ich bringe Sie zur Tür«, sagte Stephanie.
Nachdem Nobuyasu gegangen war, sagte Stephanie: »Wer will Kaffee?« Selena hob die Hand.
»Ich nehme eine Tasse«, sagte Nick. »Elizabeth?«
»Gerne.«
Stephanie ging zu einem Anrichtetisch, den eine glänzende Espressomaschine aus Chrom dominierte. Es war ein professionelles Modell mit zwei Handhebeln, perfekt, um vier Espresso gleichzeitig zuzubereiten.
»Was meint ihr?«, fragte Elizabeth. »Sollen wir das übernehmen?«
»Es kommt mir seltsam vor, etwas ohne Lamont und Ronnie zu entscheiden«, sagte Selena.
»Wenn wir sie dazuholen müssen, werden sie sicher dabei sein, egal, was wir beschließen«, sagte Elizabeth.
»Es passiert nicht alle Tage, dass jemand hereinkommt und einem fünfzigtausend Dollar in die Hand drückt – in der Hoffnung, dass man ein Souvenir aus dem Zweiten Weltkrieg findet«, sagte Nick.
»Es ist nicht nur ein Souvenir«, sagte Selena. »Masamune war der größte japanische Schwertschmied, der je gelebt hat. Es existieren nur noch sehr wenige seiner Schwerter.«
»Was ist so besonders an ihnen?«
»Sie sind legendär. Masamune lebte im 13. und frühen 14. Jahrhundert. Er erfand eine Methode der Stahlverarbeitung, die Schwerter von großer Schönheit und unglaublicher Schärfe hervorbrachte. Es heißt, wenn man eine seiner Klingen in einen Bach legte, zerschnitt sie vorbeischwimmende Blätter in zwei Teile, verschonte jedoch Fische und andere lebende Wesen.«
»Du willst sagen, dieses Schwert hat einen eigenen Willen? Ziemlich schräg, findest du nicht?«
»Nicht, wenn man Japaner ist«, sagte Selena. »Masamune nimmt in der japanischen Kultur eine einzigartige Stellung ein. Seine Schwerter sind fast mystisch, ein Teil der kulturellen Seele Japans. Bei den Samurai verschwimmen Mythos und Realität. Für die Japaner ist das Schwert ein Symbol für Ehre und Loyalität, ein Zeichen von Vertrauen und Tapferkeit.«
Stephanie kam mit einem Tablett und vier Tassen Kaffee zurück. Sie reichte sie herum und setzte sich an ihre Computerkonsole.
»Warum heißt es Honjo Masamune?«, fragte sie.
»Alle Schwerter von Masamune haben Namen, die ihre Herkunft bezeichnen«, sagte Selena. »Das Schwert, das Nobuyasu finden lassen will, ist nach einem General benannt, Honjo Shigenaga. Er besiegte einen Feind in einer Schlacht und nahm das Schwert an sich. Schließlich gelangte es in die Hände von Tokugawa Ieyasu, dem Shōgun, der Japan schließlich vereinte. Das macht es unglaublich selten und bedeutend. Es war ein Nachkomme Tokugawas, der das Schwert am Ende des Krieges abgab.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Nick.
»Wenn man lange genug Kampfkünste studiert, lernt man solche Dinge.«
»Also, was meinst du?«, fragte Elizabeth. »Sollen wir das übernehmen?«
»Ich glaube nicht, dass wir viel Erfolg haben werden«, sagte Selena.
»Wieso?«
»Es ist noch nie jemandem gelungen, den Soldaten zu identifizieren, der das Schwert bei der Polizeiwache abgeholt hat.«
»Nobuyasu sagte, das Schwert sei quittiert worden. Gibt es keine Papierspur? Irgendetwas, um den Mann zu identifizieren, der es mitnahm?«, fragte Nick.
Stephanie blickte auf ihren Computermonitor. »Ich lese gerade einen Artikel über das Schwert. Der Name, den die Japaner damals notierten, als das Schwert abgeholt wurde, lautet ›Sergeant Coldy Bimore‹. Aber es gibt keinen Eintrag zu einer Person dieses Namens in der US-Armee.«
Nick schnaubte. »Was soll das denn für ein Name sein – Coldy? So heißt doch niemand. Bimore klingt auch nicht richtig.«
»Die Unterschrift ist unleserlich«, sagte Stephanie. »Die Papierspur ist eine Sackgasse. Vielleicht wollte derjenige, der es abgeholt hat, es stehlen und gab deshalb einen falschen Namen an.«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Elizabeth. »Wenn wir von dem ausgehen, was Selena gesagt hat, wüsste nur ein Japaner, wie wichtig das Schwert ist.«
»Ein amerikanischer Soldat könnte das eine Schwert nicht von einem anderen unterscheiden«, sagte Selena. »In der Scheide sehen sie mehr oder weniger alle gleich aus, abgesehen von der Länge. Erst wenn man das Schwert zieht, erkennt man die Verarbeitung der Klinge. Das ist es, was Masamunes Schwerter auszeichnet.«
»Außer, er wurde von jemandem, der Japaner war, dazu angestiftet«, sagte Elizabeth. »Falls das der Fall ist, befindet es sich wahrscheinlich immer noch in Japan, und wir werden es nie finden.«
»Es wird nicht leicht, es zu finden, selbst wenn es damals als Souvenir hierherkam. Es muss Hunderte von Schwertern gegeben haben, die von heimkehrenden Soldaten mitgebracht wurden.«
»Eher Tausende«, sagte Nick. »Jeder japanische Offizier besaß ein Schwert. Wenn ich damals dort gewesen wäre, hätte ich auch eines als Souvenir haben wollen.«
»Du glaubst also nicht, dass wir es finden können?«, fragte Elizabeth.
»Nicht, solange wir den Mann, der es abgeholt hat, nicht identifizieren können«, sagte Selena. »Andererseits ist es eine ziemliche Herausforderung. Ich würde nur zu gern einmal eine legendäre Waffe wie diese in Händen halten.«
»Freddie könnte uns vielleicht helfen«, überlegte Stephanie.
Stephanie gab allen Computern, mit denen sie arbeitete, Namen. Freddie war ihr Lieblingsrechner – ein schwerer Cray XT, den sie modifiziert und mit fortschrittlicher künstlicher Intelligenz programmiert hatte.
Elizabeth begann, mit einem Stift auf ihrem Schreibtisch zu tippen. »Wenn wir die Sache übernehmen und das Schwert finden, dürfte das unseren Ruf stärken. Es würde sich herumsprechen. Das wäre gut fürs Geschäft.«
»Welches Geschäft? Schatzsuche?«, fragte Nick. »Ich wusste nicht, dass wir darauf spezialisiert sind.«
»Wir sind spezialisiert auf alles, was nötig ist, um die Bedürfnisse eines Kunden zu erfüllen«, sagte Elizabeth. »Ich gebe zu, Schatzsuche hatte ich nicht direkt im Sinn. Aber das hier ist nicht wie die Suche nach einem versunkenen Schiff.«
»Ich glaube nicht, dass Nobuyasu zu uns gekommen wäre, wenn er nicht schon jede andere Möglichkeit ausgeschöpft hätte«, sagte Selena. »Einem Japaner fällt es sicher schwer, Ausländer darum zu bitten, nach einem so wichtigen kulturellen Artefakt zu suchen.«
»Ich glaube nicht, dass er Amerikaner besonders mag«, sagte Nick. »Ist dir dieser Haarschnitt aufgefallen? Ich würde wetten, er war beim Militär. Wahrscheinlich ist er immer noch sauer darüber, dass Japan den Krieg verloren hat.«
»Er ist zu jung, um im Krieg gewesen zu sein«, sagte Elizabeth.
»Für jemanden wie ihn macht das keinen Unterschied.«
»Wenn du recht hast, bestätigt das meine Ansicht«, sagte Selena.
»Dass wir seine letzte Hoffnung sind?«, fragte Elizabeth.
»Das wäre meine Vermutung.«
»Du willst das unbedingt machen, nicht wahr, Elizabeth?«, fragte Nick.
»Im Moment ist wenig los.« Elizabeth hörte auf zu tippen. »Ich neige dazu, den Auftrag anzunehmen.«
»Wo willst du anfangen?«
»Ganz am Anfang. Bei dem Sergeant, der das Schwert in Japan quittierte.«
»Coldy Bimore? Glaubst du, das ist ein echter Name?«
»Ich weiß nicht, ob es ein echter Name ist, aber er klingt jedenfalls nicht so. Irgendjemand hat dieses Schwert abgeholt. Wenn wir ihn nicht identifizieren, finden wir es nie.«
»Ein Japaner könnte einen fremdländischen Namen sehr leicht falsch verstehen«, überlegte Selena. »Was, wenn der Polizist, der das Schwert übergab, den Namen nicht richtig verstand und einfach das notierte, was er zu hören glaubte?«
»Und wie hilft uns das?«, fragte Nick.
»Manche englischen Konsonanten sind für einen Japaner schwer auszusprechen, wenn er nicht lange geübt hat. L und R zum Beispiel. Diese Laute sind für Japaner sehr schwierig. Außerdem haben wir viel mehr Vokale als sie. Die beiden Sprachen unterscheiden sich grundlegend in Aussprache und Struktur. Im Japanischen ist die Intonation entscheidend. Gesprochene Silben sind im Wesentlichen gleich lang – es ist eine silbengetaktete Sprache. Englisch ist anders. Unsere Wörter sind taktgesteuert, das heißt, die Zeit zwischen den Silben kann unterschiedlich sein. Das verwirrt jemanden, der die Sprache lernen will, sehr.«
»Okay, hab's verstanden, aber wie hilft uns das bei dem Namen?«
»Coldy Bimore könnte vielleicht ein Corey Biltmore gewesen sein. Verstehst du, was ich meine?«
»Wäre da nicht schon jemand anderes draufgekommen?«, fragte Elizabeth.
»Mir scheint es offensichtlich, aber vielleicht nicht jemandem, der nicht so mit verschiedenen Sprachen vertraut ist wie ich.«
»Das klingt nach einer Sache, die Freddie lieben würde«, sagte Stephanie. »Das ist perfekt für ihn. Er kann mögliche Namensvarianten anhand dessen durchspielen, wie ein Japaner gesprochenes Englisch verstehen würde.«
»Er versteht Japanisch?«, fragte Nick.
»Freddie versteht so gut wie jede Sprache. Sie sind alle in seiner Datenbank gespeichert, zusammen mit Sprachbeispielen. Er verfügt über eine Sammlung von Sprachkursen, Musik, Filmen, Literatur und Geschichte aus jedem Land der Welt.«
»Wahrscheinlich hat es ihm trotzdem nicht geholfen zu verstehen, warum Menschen tun, was sie tun«, sagte Nick.
Stephanie lachte. »Nein, hat es nicht. Er bittet mich ständig, ihm etwas zu erklären, was Menschen tun, weil es für ihn keinen Sinn ergibt.«
»Vieles von dem, was wir tun, ergibt auch für mich keinen Sinn.«
Warum ergibt es für dich keinen Sinn, Nick?
Freddies elektronische Stimme drang aus einem Lautsprecher in der Ecke.
»Freddie. Ich wusste nicht, dass du unser Gespräch verfolgst.«
Ich höre immer zu, es sei denn, mir wird ausdrücklich befohlen, es nicht zu tun. Wieso hast du Schwierigkeiten damit, das Verhalten von anderen Menschen zu verstehen?
»Das ist etwas kompliziert zu erklären, Freddie.«
Elizabeth sagte: »Wir schweifen ab. Freddie, weißt du, worüber wir gesprochen haben?«
Du meinst die Unterschiede zwischen Japanisch und Englisch?
»Ja.«
Meine Datenbank verfügt über vierzehn Komma sieben Terabyte an Informationen über beide Sprachen. Möchtest du eine detaillierte Analyse der Unterschiede?
»Das wird nicht nötig sein, Freddie«, sagte Stephanie. »Wir möchten, dass du den Namen ›Coldy Bimore‹ mit deinen Sprachfiltern für Englisch und Japanisch analysierst. Nutze dann das Ergebnis, um amerikanische Namen vorzuschlagen, die dem gängigen Gebrauch der damaligen Zeit entsprechen.«
Von welcher Zeit sprechen wir hier?
»1946 wäre der Sergeant, der das Schwert abgeholt hat, vermutlich um die Zwanzig gewesen, vielleicht etwas älter. Nimm das als ersten Parameter.«
Soll ich sofort damit beginnen?
»Ja, Freddie.«
Verarbeite.
»Was wirst du Nobuyasu sagen, Elizabeth?«, fragte Nick.
»Falls niemand Einwände hat, werde ich ihm mitteilen, dass wir den Auftrag annehmen.«
Atagi Nobuyasu stammte von einem Samurai-Krieger gleichen Namens ab, der im Jahr 1578 gestorben war. In jener Zeit, als Japan in feudale Schlachtfelder zersplittert war, die von den Daimyō beherrscht wurden – Herren mit absoluter Macht über Leben und Tod ihrer Untertanen –, dienten die Samurai ihren Herren mit fanatischer Loyalität und Hingabe. Als die Feudalzeit endete, dienten sie weiterhin dem Kaiser und seinen Generälen.
Dann kam der Westen, mit neuen Waffen, die die alten Ehrenkodizes des Kampfes entweihten. Das Tragen der beiden Schwerter wurde verboten, und die Ära der Samurai war vorüber. Die Zeit, in der Samurai mit ihren Klingen durch die Straßen gingen, war nun längst vorbei – doch vergessen waren sie keineswegs.
Für Atagi Nobuyasu und die geheime Gruppe, der er angehörte, war der Samurai-Kodex des Bushidō der Maßstab ihres Lebens.
Bushidō war ein ungeschriebener Kodex für Krieger, der im sechzehnten Jahrhundert entstanden war. Manche nannten Bushidō die Seele Japans. Er war eine Sammlung moralischer Gebote, Werte und Disziplinen der Kampfkünste. Für die Japaner war Bushidō eine Lebensweise, aufgebaut auf einem einzigartigen Begriff von Ehre und Loyalität. Der Tod im Dienst des Kaisers galt als die Vollendung des Weges des Kriegers. Der Kodex des Bushidō war untrennbar in das Geflecht der japanischen Existenz eingewoben. Er war einer der Gründe, warum so viele Soldaten Japans im Zweiten Weltkrieg bis in den Tod fanatisch gekämpft hatten.
Das Honjō-Masamune war mehr als nur ein Symbol der kriegerischen Vergangenheit Japans. Alte Legenden rankten sich um die Klinge. Manche glaubten, das Schwert besitze mystische Kräfte, die den Ruhm vergangener Jahrhunderte wiederherstellen und die Demütigung der Niederlage auslöschen könnten. Damit das geschehen konnte, musste die Klinge in ihr Ursprungsland zurückkehren.
Nobuyasu hatte die Wahrheit über den Besitz des Schwertes verschwiegen und auch keinen wirklichen Grund offenbart, warum er es suchte. Für ihn hatte der Tokugawa-Clan jedes Anrecht auf das Schwert verwirkt, als er es dem Feind übergab. Er hielt die Tokugawas nicht für würdig, die Klinge zu besitzen. Hatten sie nicht ihre Ahnen und die Nation verraten, indem sie das Schwert überhaupt erst aufgegeben hatten? Nein, die Tokugawas waren nicht würdig. Nobuyasu suchte das Schwert für sich selbst. Es war sein Recht, die Klinge und ihr Geheimnis zu beanspruchen.
Nobuyasu gehörte der Nippon Kaigi an, der größten und konservativsten rechtsgerichteten Gruppe in Japan. Politik in Japan war eine komplizierte Sache. In mancher Hinsicht ähnelte sie der des Westens, auch wenn ein Westler sie niemals vollständig verstehen würde. Mit vielen feinen Nuancen lief es im Kern doch auf Links und Rechts hinaus – mit zahlreichen Fraktionen dazwischen.
Allein in seinem Hotelzimmer zog Nobuyasu sein Telefon hervor und tätigte einen kurzen Anruf.
»Sie haben zugestimmt. Sorgt dafür, dass keine ihrer Handlungen unbeobachtet bleibt.«
»Wie Sie wünschen, Nobuyasu-san.«
Nobuyasu legte auf und dachte an Harker und ihre Gruppe. Es war ihm persönlich schwergefallen, sich an sie zu wenden. Der Gedanke, Ausländer für die Suche nach dem Schwert einzusetzen, widersprach allem, woran er glaubte. Er hatte es nur in Erwägung gezogen, nachdem er mit einem Freund aus dem Sicherheitsdienst gesprochen hatte. Jeder andere Weg, den er versucht hatte, war gescheitert.
Von nun an würde Harkers Gruppe überwacht werden. Falls – und sobald – sie das Schwert fanden, würde Nobuyasu sicherstellen, dass es in seinen Besitz gelangte.
Freddie erstellte eine Liste von siebenundneunzig Namen, die für einen japanischen Muttersprachler wie Coldy Bimore klingen könnten. Stephanie verglich anschließend die Ergebnisse mit den Unterlagen der Soldaten, die am Ende des Krieges in Japan stationiert gewesen waren.
Elizabeth, Stephanie, Nick und Selena trafen sich in Elizabeths Büro.
»Viele von denen leben nicht mehr«, sagte Steph. »Von den noch Lebenden hatte nur einer den Rang eines Sergeants.«
»Wie heißt er?«, fragte Selena.
»Kerry Branmore. Er lebt in einem Pflegeheim im Bundesstaat New York. Er ist sechsundneunzig Jahre alt.«
»Von da bis zu Coldy Bimore ist es schon ein weiter Sprung«, sagte Nick.
Wahrscheinlichkeit, dass eine japanischsprachige Person die beiden Namen verwechselt: achtundsechzig Komma drei Prozent.
»Danke, Freddie«, sagte Stephanie.
»Klingt nach einer ganz guten Chance«, meinte Nick. »Etwas mehr als fünfzig-fünfzig.«
»Es ist die einzige Chance, die wir haben«, sagte Elizabeth. »Nick, ich möchte, dass du dorthin fährst und mit diesem Mann sprichst.«
»Mit sechsundneunzig redet er vielleicht nicht mehr viel.«
»Wir müssen es trotzdem überprüfen. Es ist unsere einzige Spur. Ich werde das mit dem Pflegeheim abklären.«
»Ich brauche einen Grund, um zu ihm vorgelassen zu werden. Was wirst du ihnen über mich sagen?«
»Ich werde sagen, dass du ein Buch über Japan in der Nachkriegszeit schreibst und dafür überlebende Soldaten interviewst, die damals dort stationiert waren. Das gibt dir einen logischen Grund, mit ihm zu sprechen, da er einer der wenigen ist, die aus dieser Zeit noch leben.«
»Das sollte funktionieren. Wann soll ich los?«
»Heute.«
Sie reichte Nick einen Umschlag.
»Darin findest du die Wegbeschreibung zum Pflegeheim. Es liegt in der Nähe von Buffalo. Finde heraus, was er über das Schwert noch erinnern kann und was damit geschehen ist – sofern möglich.«
»Wäre schön, wenn er es irgendwo im Schrank hätte«, sagte Selena.
»So einfach läuft es nie«, meinte Nick. »Nichts ist jemals so leicht.«
»Steph«, sagte Elizabeth, »was hast du über Nobuyasu herausgefunden?«
»Er ist extrem wohlhabend, mit Beteiligungen in der Schwerindustrie, Technologie und im Transportwesen. Nobuyasu ist Teil des SMFG-Keiretsu, einer der Unternehmensgruppen, die in Japan die Produktion kontrollieren.«
»Sind die nicht wie die Mafia?«, fragte Nick.
»Du meinst die Yakuza«, sagte Selena.
»Die Keiretsu sind legale Unternehmensverbünde, die das alte Zaibatsu-System ersetzt haben, welches vor dem Krieg existierte«, sagte Stephanie. »Douglas MacArthur hat es zerschlagen. Ich glaube nicht, dass es viel geändert hat – auch wenn es heute anders aussieht als damals. Japan wird immer noch von einigen wenigen mächtigen Industrie- und Produktionskonglomeraten gelenkt, die durch Banken und persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind.«
»Und die Regierung?«, fragte Selena. »Die muss doch auch ein Wörtchen mitreden wollen. Es ist immerhin eine Demokratie, nicht wie vor dem Krieg.«
»Ohne die Unterstützung der Keiretsu wird man nicht gewählt. Das ist hier genauso. Denk an die Milliarden Dollar, die bei uns von Unternehmen und reichen Einzelpersonen in Wahlkämpfe gepumpt werden. Die, die das Geld geben, erwarten dafür eine Gegenleistung.«
»Ist Nobuyasu politisch aktiv?«, fragte Elizabeth. »Ich habe bisher nichts von ihm gehört.«
»Er ist einer der Strippenzieher im Hintergrund«, sagte Steph. »Er gehört der Nippon Kaigi an. Das ist eine nationalistische Gruppe. Der aktuelle Premierminister Japans gehört ebenfalls dazu. Die Gruppe ist sehr konservativ. Sie will Japans Militär wieder aufbauen und weigert sich, die von Japan verübten Kriegsverbrechen anzuerkennen.«
»Ich hab's euch gesagt, er sieht aus wie ein Militärtyp«, sagte Nick. »Wäre das hier 1941, würde er zusammen mit den anderen noch ›Banzai!‹ schreien.«
»Zum Glück haben wir nicht mehr 1941«, sagte Elizabeth. »Aber das spielt keine Rolle. Er ist trotzdem unser Auftraggeber.«
Nick sah auf seine Uhr. »Wenn ich heute noch hinfahren soll, muss ich jetzt los.«
»Sie erwarten dich schon«, sagte Elizabeth.
Nick nahm vom LaGuardia-Flughafen aus einen Flug nach Buffalo und mietete sich dort ein Auto. Branmore lebte in einem Pflegeheim zwanzig Minuten entfernt, in einem Vorort von Buffalo namens Williamsville. Das GPS des Wagens leitete ihn zur Adresse des Heims, einem dreistöckigen Backsteingebäude von gelblicher Farbe, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ein Schild vor dem Gebäude wies es als »Peaceful Haven Care Home« aus.
Er betrat das Heim durch zwei automatische Glastüren. Drei Rollstühle befanden sich gleich beim Eingang. Der Boden war zerkratzt. In der Luft lag der Geruch von Desinfektionsmittel. Links befand sich ein Aufzugsschacht, rechts ein großer Aufenthaltsraum mit Tischen und Stühlen. Ein paar alte Menschen saßen dort und schauten eine Seifenoper im Fernsehen. Hinter dem Empfangstresen saß eine dünne Frau mit einem müden Gesichtsausdruck in einem blauen Kittel und schrieb etwas. Nick wartete, bis sie ihn bemerkte. Schließlich hob sie den Kopf.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Mein Name ist Nick Carter. Ich möchte einen Ihrer Bewohner besuchen, Kerry Branmore.«
»Sind Sie der Schriftsteller?«
»Das ist richtig.«
»Er ist im Zimmer 320. Nehmen Sie den Aufzug und biegen Sie links ab. Es ist das zweite Zimmer auf der rechten Seite. Wir haben ihm gesagt, dass Sie kommen, aber vielleicht erinnert er sich nicht. Sie werden wahrscheinlich nicht viel von ihm erfahren.«
»Ach? Warum nicht?«
»Mister Branmore hat Alzheimer. Aber manchmal redet er über den Krieg, vielleicht haben Sie ja Glück.«
»Danke.«
»Vergessen Sie nicht: links, wenn Sie aus dem Aufzug kommen.«
»Verstanden, danke.«
Der Aufzug roch unangenehm nach abgestandenem Erbrochenem. Als er im dritten Stock ankam, war Nick froh, aussteigen zu können. Rechts am Ende des Flurs sah er eine Pflegestation. Zwei alte Leute im Bademantel saßen in Rollstühlen und starrten abwesend auf ein Reiseplakat der Toskana, das an der Wand hing. Eine andere Frau, die aussah, als wäre sie hundert Jahre alt, schlief in ihrem Rollstuhl, den Kopf nach hinten gelegt und laut schnarchend. Ihr zahnloser Mund stand weit offen. In der Nähe versuchte ein männlicher Pfleger in einem Kittel, einen alten Mann dazu zu bewegen, mit einem Rollator zu laufen.
Zimmer 320 verfügte über zwei Betten. Eines war leer, die Matratze zurückgeklappt. Ordentlich gefaltete Bettwäsche lag darauf. Branmore lag in dem anderen Bett und starrte aus dem Fenster. Nick war erschrocken über sein Aussehen. Sein Gesicht war grau und zerfurcht, die Augen tief eingesunken, mit dunklen Schatten darunter. Er hätte dringend eine Rasur benötigt. Sein Mund war halb geöffnet, und Nick bemerkte, dass ihm mehrere Zähne fehlten. Seine Hände und Arme lagen auf der Decke, die Finger von Arthritis verkrümmt und knotig. Nick zog einen Stuhl neben das Bett.
»Mister Branmore?«, begann Nick. »Mein Name ist Nick Carter. Ich möchte mit Ihnen über den Krieg sprechen. Ich bin Schriftsteller. Ich glaube, man hat Ihnen gesagt, dass ich komme.«
Branmore drehte langsam den Kopf und sah Nick an. »Mike?«
»Nick, Mister Branmore.«
»Wer sind Sie?«
