Das Squirrel - Luise Rinser - E-Book

Das Squirrel E-Book

Luise Rinser

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Beschreibung

»Ich will euch erzählen, was zwei Kinder erlebt haben. Nicht irgendwo weit weg, sondern in unserer Zeit und in unserem Land. Ganz normale Kinder, nicht besonders gut in der Schule, faul sogar, weil sie das, was sie lernen sollten, gar nicht interessierte ...« Luise Rinser erzählt ein poetisches Märchen zu einem höchst aktuellen Thema: von den Gefahren, die unsere natürliche Umwelt bedrohen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 110

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Luise Rinser

Das Squirrel

 

 

Über dieses Buch

 

 

»Ich will euch erzählen, was zwei Kinder erlebt haben. Nicht irgendwo weit weg, sondern in unserer Zeit und in unserem Land. Ganz normale Kinder, nicht besonders gut in der Schule, faul sogar, weil sie das, was sie lernen sollten, gar nicht interessierte ...«

 

Luise Rinser erzählt ein poetisches Märchen zu einem höchst aktuellen Thema: von den Gefahren, die unsere natürliche Umwelt bedrohen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

In alten Zeiten glaubten [...]

In alten Zeiten glaubten die Menschen daran, daß es allerlei Naturgeister gebe, zum Beispiel Zwerge in Berghöhlen, Nixen in Flüssen und Seen, und Nymphen, die in Bäumen wohnen, und Faune, die in den Wäldern hausen. Natürlich glauben wir heute dies alles nicht mehr. Wir lächeln darüber. Ist ja alles nur Fantasie. Gibts ja gar nicht. Wenn es so was gäbe, müßte man es ja sehen können. Fotografieren oder filmen müßte man es können. Beweisen müßte man es.

So denkt ihr.

Aber wenns ganz anders wäre? Wenn es das alles wirklich gäbe? Wenn wir nur nicht mehr die richtigen Augen und Ohren dafür hätten?

Ich will euch erzählen, was zwei Kinder erlebt haben, nicht vor dreitausend Jahren und nicht irgendwo weit weg, sondern in unserer Zeit und in unserm Land. Ganz normale Kinder, nicht besonders gut in der Schule, faul sogar, weil sie das, was sie lernen sollten, gar nicht interessierte. Was war es denn, wofür sie sich interessierten? Das waren Pflanzen und Tiere.

Die beiden waren Geschwister, Sonja und Simon; zu Beginn der Geschichte war Sonja neun Jahre und Simon zehn. Jetzt sind sie zwanzig Jahre älter und sind Lehrer an einer Hochschule für Gartenbau, wo man alles glaubt und tut, was sie einmal von ihrem Freund gelernt haben. Wer war dieser Freund?

Ja, wer war das.

Zuerst einmal war es eine Stimme, weiter nichts, genau gesagt: die Kinder hörten jemand weinen, auf eine besondere Art, ganz leise, so daß sie zuerst dachten, es sei ein verwundetes Kätzchen. Die Stimme kam von oben, aus dem Wipfel eines Birnbaums in ihrem Garten. Aber da war kein Kätzchen. Da war niemand. Nur dieses Stimmchen. Aber das war da. Nicht zu überhören. Nicht zu leugnen. Irgendwer mußte doch da oben sein, der weinte.

»He du«, rief Sonja in den Baum hinauf, »wer bist du, warum weinst du? Komm doch herunter, wir tun dir nichts Böses.«

Da kam das Weinen den Stamm herunter und war schließlich unten auf dem Boden. Aber zu sehen war nichts. Die Sache war ein wenig unheimlich, aber die Kinder hatten keine Angst. Das, was da weinte, war nichts zum Erschrecken.

Sonja sagte: »Wer bist du? Kannst du weinen, so kannst du vielleicht auch reden. Warum weinst du?«

Die Stimme, eine leise sanfte Stimme, sagte deutlich: »Weil man meinen Baum umhauen will.«

»Deinen Baum?«

»Er ist meine Wohnung.«

»Und wer will den Baum umhauen?«

»Euer Vater.«

»Aber geh, der schlägt doch unsern Birnbaum nicht um. Wir lieben ihn doch so sehr.«

»Doch, ich habs gehört, wie er sagte: Der Baum muß weg, der stört, der nimmt dem Haus zuviel Licht weg, mein Sprechzimmer wird zu dunkel.«

»Hat er das gesagt?«

In diesem Augenblick ging die Haustür auf und der Vater kam heraus.

»Vater«, riefen die Kinder, »ist es wahr: willst du unsern Birnbaum umhauen lassen?«

Der Vater war richtig bestürzt. »Wie kommt ihr denn darauf?«

»Sag: ist es wahr oder nicht? Hast du zu jemand gesagt: der Baum muß weg, der stört, der nimmt dem Haus zu viel Licht weg?«

»Nein, ich habs zu niemand gesagt, Ehrenwort.«

»Aber?«

»Also, ich will die Wahrheit sagen: ich habs gedacht!«

»Gedacht hast dus? Aber zu keinem Menschen gesagt?«

»So ist es.«

»Aber jemand hats gehört, Vater!«

»Wie kann jemand hören, was niemand sagt? Könnt ihr Gedanken hören?«

Er lachte, aber die Kinder lachten nicht mit, denn jetzt hörten sie wieder das leise Weinen.

»Horch!« sagten sie, aber der Vater hörte nichts.

»Sonderbar«, sagten die Kinder.

Der Vater schüttelte den Kopf und ging ins Haus. Er war Arzt, und zwar ein Nervenarzt. Ihm schien die Sache schließlich nicht so ganz sonderbar, denn das gab es: daß Leute die Gedanken andrer hören konnten. Und er hatte wirklich gedacht: Der Baum muß weg.

Er nahm sich vor, die Kinder genau zu beobachten. Am nächsten Tag dachte er fest: Der Baum darf bleiben.

Er war neugierig, ob die Kinder auch diesen Gedanken hörten. Die Kinder waren im Garten, und wieder hörten sie die leise Stimme:

»Glaubt ihm nicht, er tut so, als ließe er den Baum stehen, aber er will ihn doch umhauen.«

Sie liefen zu ihrem Vater, der gerade in seine Klinik fahren wollte und schon im Auto saß.

»Vater, du darfst den Baum nicht umhauen! Du darfst uns nicht anlügen. Du denkst ja doch ans Fällen. Bitte, laß den Baum leben!«

»Also gut«, sagte der Vater, »er darf leben. Aber ihr beiden, ihr werdet mir ein bißchen unheimlich.«

»Versprich uns, daß der Baum bleiben darf!«

»Ich verspreche es. Ehrenwort.«

Als die Kinder zum Baum kamen, rief das Stimmchen. »Gut, gut! Jetzt hält er sein Versprechen und ich darf hier wohnen bleiben. Zum Dank werde ich euch vieles sagen über Pflanzen und Tiere.«

Da sahen die Kinder zum ersten Mal so etwas wie einen hellen Schatten, der den Baumstamm hinaufglitt und zwischen den Ästen verschwand.

Aber was war das, was sie da gesehen hatten?

Es verging eine Woche, es vergingen zwei Wochen, und die Kinder sahen nichts mehr und hörten auch die Stimme nicht mehr. Aber so oft sie am Birnbaum vorbeigingen, raschelte etwas im Laub oder klopfte etwas an den Stamm oder ließ Ästchen fallen gerade auf den Kopf der Kinder.

Eines Tages wurde Simon ungeduldig und er rief: »Du da droben, du hast uns versprochen, daß du uns etwas sagst über Pflanzen und Tiere. Hältst du so dein Versprechen? Unser Vater hält das seine. Und du?«

Da fiel ihm ein kleines grünes Birnchen geradewegs auf die Nase, und etwas oben im Baum lachte, und das klang, wie wenn jemand auf einer kleinen siebentönigen Bambusflöte die Tonleiter rasch von unten nach oben bläst. Es klang lustig und ein bißchen frech.

Simon warf das Birnchen zurück in den Baum, und es kam wieder herunter, dieses Mal auf Sonjas Nase. Das Ding da oben im Baum wollte offenbar spielen. Es mußte ein Kind sein, ein unsichtbares freilich.

Simon sagte: »Ich klettere mal hinauf und fangs.«

Aber da rief das Stimmchen: »Nicht auf diesen Ast, der bricht, der ist morsch. Bleib unten! Ich komm lieber hinunter.«

Da glitt etwas vom Baum herunter, und dann konnten sie spüren und auch hören, daß es unten ankam und sich hinsetzte, ein paar Meter von ihnen entfernt.

»Seht ihr mich?« fragte es. Aber die Kinder sahen nichts.

»Macht die Augen zu«, rief das Wesen, das deutlich da saß, aber nicht zu sehen war.

Sie taten es. Da sahen sie es! Mit geschlossenen Augen, aber ganz deutlich.

Aber was?

Als sie es hernach beschreiben wollten, konnten sie es nicht. War es eine Art Hase oder ein großes Eichhörnchen oder ein Kind in einem Pelz-Anzug als Waldtier verkleidet? Von allem etwas und doch etwas ganz anderes. Es hatte ein silberschimmerndes Fell, das haselnußbraun war, wenn der Wind es aufplusterte. Es hatte einen Schweif wie ein Eichhörnchen, ganz unzweifelhaft, und Haarbüschel über den Ohren. Aber das Gesicht war menschlich. Kein Kindergesicht, doch wars auch nicht alt. Man konnte einfach nicht sagen, ob es jung oder alt war oder beides zugleich.

Aber das sonderbarste war, daß es an den Hinterfüßen kleine Hufe hatte wie ein Böcklein, doch versteckte es sie beim Sitzen, indem es den buschigen Schweif darüberlegte. Die Vorderfüße aber waren richtige Händchen, nur hatten sie lange Nägel.

»Was für ein hübsches Tier!« sagte Simon.

»Ich bin kein Tier«, sagte das Wesen, »und überhaupt: Ihr könnt mich ja doch gar nicht wirklich sehen mit euern Augen!«

Die Kinder öffneten die Augen: da war nichts.

»Jetzt hast dus beleidigt«, sagte Sonja; »es will kein Tier sein«.

»Aber«, sagte Simon, »es ist doch kein Mensch. Ein Kind mit Schwanz und Hufen, das gibt es doch nicht.«

»Es gibts aber!« sagte Sonja. »Wir habens doch gesehen.«

»Gesehen? Wir hatten doch die Augen geschlossen. Und das Wesen sagte doch, wir können es nicht sehen. Vielleicht haben wirs geträumt oder wir haben Fieber.«

Sonja sagte: »Alle beide zu gleicher Zeit? Nein, meine Stirn ist ganz kühl, die deine auch. Kein Fieber also.«

»Dann haben wir bloß so fantasiert«, sagte Simon.

Da fiel wieder etwas vom Baum, eine ganze Menge rasch hintereinander: Ästchen und welke Blätter und unreife Birnchen; ein richtiger Hagel.

»Also«, sagte Sonja, »das ist keine Fantasie, das ist was Wirkliches.«

»Ach, lassen wir das«, sagte Simon, »das ist doch nur Spinnerei, so oder so. Mich ärgert nur, daß das Ding sein Versprechen nicht hält. Das ist doch nicht schön.«

Da hörten sie vom Baum herunter: »Wenn ihr nicht noch einmal sagt oder denkt, daß ich ein Tier bin, komme ich hinunter, aber heute nicht. Ein andres Mal.«

»Ehrenwort?« rief Simon, aber es kam keine Antwort.

»Na schön«, sagte Sonja. »Wir müssens abwarten.«

»Aber«, sagte Simon, »wir sagen niemand was davon. Abgemacht?«

»Abgemacht. Sie würden uns doch nicht glauben.«

Danach regnete es drei Tage in Strömen, und die Kinder kamen nicht in den Garten. Sie schauten aus dem Fenster. Wo das Ding jetzt wohl ist, ob es einen Unterschlupf hat, ob es ihm nichts ausmacht, wenn es naß wird? Vögel und Hasen sind auch im Regen unterwegs.

»Aber das sind Tiere, Simon! Und es ist kein Tier! Was es wohl ist?«

Drei Tage Regen, und dann kam der Wind und trocknete die Erde ganz rasch, und dann schien die Sonne, und die Kinder liefen in den Garten. Die Mutter hatte ihnen gesagt, sie sollten den Löwenzahn aus dem Rasen stechen, weil er da nicht hingehört und mit seiner Blattrosette das Gras darunter erstickt und überallhin Flugsamen streut. Das war eine lästige Arbeit, und die Kinder sahen auch nicht ein, warum der schönblühende Löwenzahn heraus mußte; hernach blieben schwarze Löcher im Boden, bei denen erst langsam das Gras nachwuchs. Aber was halfs: die Mutter hatte befohlen.

Als Sonja den ersten Stich mit dem Spaten machte, schrie etwas auf.

Simon fragte: »Hast du dir weh getan?«

Sonja sagte: »Mir nicht. Ich hab ja auch gar nicht geschrien. Aber was dann?«

»Eine Maus vielleicht?«

Da sagte jemand leise, aber ganz deutlich: »Es war der Löwenzahn; du hast ihm eine Wurzel abgeschnitten!«

In diesem Augenblick sahen sie das Wesen wieder und diesmal mit offenen Augen. Kein Zweifel: da saß es ganz ordentlich und sehr hübsch auf seinen Hinterbeinen, den Schweif über die kleinen Hufe gebreitet. Aber so wirklich es da saß, so machte es doch den Eindruck, als sei es nicht so ganz wirklich. Nämlich: es war wie aus einem andern Stoff gemacht, aus etwas Leichterem. Das Pelzchen konnte auch ein Flaumfederkleid sein. Fast konnte man meinen, daß es gar kein Gewicht hatte und daß es fliegen könnte, wenn es wollte.

»Wie hübsch du bist!« sagte Sonja.

Das Wesen sagte: »Das kannst du gar nicht wissen, weil du mich nicht sehen kannst, du hast ja die Augen offen.«

»Doch«, sagten Sonja und Simon, »wir können dich sehen!«

»Nein! Ihr seid Menschen, und Menschen können mich nicht sehen mit offenen Augen.«

»Aber ich sehe dich doch«, sagte Sonja; »du hast ein silbern und braunes Fell und …«

»Und was noch?«

»Einen buschigen Schweif und kleine Hufe«, sagte Simon.

Vielleicht hätte er das nicht sagen sollen. Das Wesen sprang entsetzt zurück und verschwand in einem Gesträuch.

»Jetzt hast du es wieder beleidigt« sagte Sonja.

»Also, wenn es immer so leicht beleidigt ist, weiß man ja gar nicht, was man sagen soll und was nicht.«

In diesem Augenblick bewegte sich der Strauch, der kleine braunsilberne Kopf tauchte wieder auf und die Stimme fragte: »Könnt ihr mich wirklich sehen? Das glaub ich nicht. Was tu ich jetzt?«

»Du schnupperst an einem Blatt wie ein Häschen.«

»Und jetzt?«

»Du kratzt dich am Kopf.«

»Und jetzt?«

»Jetzt kommst du ganz zum Vorschein.«

»Und jetzt?«

»Jetzt drehst du dich um dich selber. Du kannst ja tanzen! Und so hübsch! Komm doch näher! Tanz mit uns!«

Aber das war wieder etwas, was das Wesen verscheuchte. Weg war es.

»Und der Löwenzahn?« fragte Sonja ins Leere hinein. »Wie kann man ihn ausstechen, wenn er vor Schmerzen schreit?«

Da kam ein Stimmchen von oben aus dem Baum: »Nicht ausstechen, bitte. Der Löwenzahn ist nützlich. Euer Rasen braucht ihn.«

»Aber alle Leute stechen ihn aus!«

»Alle Leute sind dumm. Sie wissen nicht, daß der Löwenzahn sagt, was dem Gartenboden fehlt. Wo er wächst, da muß er tief aus der Erde heraus etwas holen, was der Rasen braucht und nicht hat. Darum hat er so lange starke Wurzeln. Und du stichst sie ihm ab!«

»Ich habs ja nicht besser gewußt. Aber was holen die Wurzeln denn heraus?«

»Wie das in eurer Sprache heißt, weiß ich nicht. Es ist eine Art Salz.«

»Aber wenn man den Löwenzahn einfach wachsen läßt, haben wir bald nichts anderes mehr im Garten.«