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Mit Anfang 50 haben Sie schon viel erlebt, beruflich, wie privat. Sie haben viel Fachwissen und Menschenkenntnis. Sie sind Führungskraft und etabliert, sind rundum anerkannt. Nur eines ist neu. Die Kündigung, direkt am ersten Tag nach ihrem Urlaub, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie denken um. Sie sind wieder zurück auf Start. Sie bewerben sich. Sie sind der Kandidat, einer von vielen. Und Sie merken, Sie sind zu alt für den Arbeitsmarkt. Ihre Erfahrung und Ihr Wissen zählen nicht. Auch nicht, dass Sie den Job beherrschen und alle gewünschten Voraussetzungen erfüllen. Denn Sie sind in der Deadzone 50 plus. Das politi-mediale Gerede von dem so wichtigen hochqualifizierten, älteren Arbeitnehmer ist blanker Unfug. Da hilft kein AGG und keine Rente mit 67. Erleben Sie mit mir den Bewerbungsprozess aus Sicht des erfahrenen Bewerbers, mit allen Ups und Downs, mit kleinen Geschichten, mit Menschlichkeiten und Menscheleien, mit Episoden zum Schmunzeln und zum Kopfschütteln. Es geht um alles, was den Bewerber trifft, von der Suche nach geeigneten Stellenausschreibungen bis zum Bewerbungsgespräch, von seriösen Personalberatern bis zu windigen Personalvermittlern, alles, was man erleben kann, was ich 400 Tage erlebt habe. Jedem, der an einem Insider-Bericht über den deutschen Arbeitsmarkt Interesse hat, wird dieses Buch Kurzweil bereiten.
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Seitenzahl: 241
Veröffentlichungsjahr: 2017
Dr. Max. S. Justice
Deutscher Arbeitsmarkt Inside
© 2017 Dr. Max. S. Justice
Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg
ISBN
Paperback: 978-3-7439-8402-8
Hardcover: 978-3-7439-8403-5
e-Book: 978-3-7439-8404-2
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Ein Sprichwort sagt: „Wer eine Reise macht, der hat was zu erzählen!“
Das ist wahr. Das hat jeder schon erlebt, wahrscheinlich oft und hoffentlich überwiegen die positiven Erlebnisse, über die man sich später noch freuen kann.
Ich war nach 2 Wochen Urlaub an einem Montagmorgen in die Firma gekommen und hatte meine Kündigung erhalten. Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel, denn es hatte vorher keine dunklen Wolken oder gar Donnergrollen gegeben.
Es hatte ein paar Tage gedauert, bis mir dies in seiner ganzen Tragweite überhaupt bewusst geworden war. Es wurde immer klarer. Ich hatte durch diese überraschende Kündigung eine Reise zu einem neuen Job gewonnen. Ich wünsche niemand, und schon gar nicht unverdienterweise, diesen sehr speziellen Reise-Hauptgewinn, von dem man nicht zurücktreten kann, auch wenn es viel zu erzählen gibt.
Bereits wenige Tage danach begann ich, mir Notizen zu machen, wollte ein Buch über alles schreiben, die alte Firma, den Widerstand gegen meine Kündigung und die Suche nach einer neuen Firma. Die Idee wurde beim Schreiben und mit der Zeit größer und letztendlich sind es zwei Bücher geworden. So lässt sich alles besser lesen.
Die Abenteuer-Reise, über die ich hier als Insider berichte, ist ein Trip zu Fuß durch die deutsche ArbeitsmarktLandschaft, quasi als Backpacker, mit einem Rucksack voller Wissen und Erfahrung, den man in meinem Alter hat. Aus der Perspektive eines Fußgängers sieht man mehr und klarer, viel mehr Details dieser ArbeitsmarktLandschaft, als bei schneller Fahrt.
Ich denke, es ist interessant, zum Teil amüsant, ernüchternd, aber auch nützlich meinen Weg, den schwierigen Bewerber-Weg, den eines älteren, gestandenen Arbeitssuchenden in Gedanken beim Lesen mitzugehen.
Ganz offensichtlich stimmen das Arbeitsmarktverhalten und die gesetzlichen Rahmenbedingungen inklusive des zurzeit gültigen Renteneintrittsalters nicht überein.
Auch das so oft propagierte Setzen auf Erfahrung, auf wertvolle, ältere Mitarbeiter bleibt im Bereich der Worte und wird nicht zu Taten, zu Aktionen am Arbeitsmarkt.
Für das ebenso häufig strapazierte Arbeitgeber-Gejammer über Fach- und Führungskräftemangel scheint dies genauso zu gelten.
Sie sind mit 53 im Niemandsland des Arbeitsmarktes, in einer Todeszone 50 plus.
Noch vor wenigen Jahren haben die Unternehmen zusammen mit der Politik und den Gewerkschaften die Alten mit 57 Jahren in den mehr oder weniger komfortablen Ruhestand entsorgt und das Renteneintrittsalter war 65. Der zu gehende Weg wäre damit nicht so weit gewesen, aber immer noch zu lang.
Nur das war eh nicht mein Weg, nicht das gewünschte Ziel. Ich wollte nicht aufhören. Ich wollte was tun. Ich wollte ein anderes Werk oder Unternehmen leiten, denn in dieser Position hatte es mich erwischt, nach bald 14 Jahren in der Firma.
Ich war ergebnisverantwortlicher Werkleiter mit mehreren hundert Mitarbeitern, einem neunstelligen Jahresumsatz und dem besten Standort des ganzen multinationalen Unternehmens. Darauf waren meine Mitarbeiter und ich zu Recht stolz. Und das war es, was ich allerbest konnte und sehr erfolgreich viele Jahre zusammen mit meinen Mitarbeitern gemacht hatte.
In der vorliegenden Form beschreibt dieses Buch den Bewerbungsprozess aus Sicht des Bewerbers, mit allen Ups und Downs, mit kleinen Geschichten, mit Menschlichkeiten und Menscheleien. Es geht um alles, was den Bewerber trifft, von der Suche nach geeigneten Stellenausschreibungen bis zum Bewerbungsgespräch, von seriösen Personalberatern bis zu windigen Personalvermittlern, alles, was man erleben kann, was ich 400 Tage erlebt habe.
Enthalten ist auch die Agentur für Arbeit, bei der man sich spätestens 3 Monate vor Ablauf seiner Kündigungsfrist zunächst arbeitssuchend melden muss, will man ohne Verzögerung, im Notfall, Arbeitslosengeld 1 ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit erhalten.
Um den Prozess in seinem Verlauf gut nachvollziehen zu können, ist eine an ein Tagebuch angelehnte Chronologie gewählt, so wie in jedem vernünftigen Bericht über eine Reise. Jede Bewerbung hat eine laufende Nummer, die die chronologische Reihenfolge markiert. Dabei ist jede meiner zahlreichen und unterschiedlichen Bewerbungen zu Ende berichtet und der jeweilige Status mit angegeben. So lässt sich der Inhalt flüssig lesen. Einzelne Bewerbungen, die keine neuen Nuancen des Arbeitsmarktes mehr beinhalteten, habe ich bewusst weggelassen.
Sämtliche Geschichten aus und über die alte Firma, ihre Manager, das energie- und nervenzehrendes Hick Hack rund um die Kündigungsschutzklage mit Anwälten, Richtern, verlogenen Schriftsätzen, gefälschten Dokumenten und anderen Merkwürdigkeiten ist nicht Inhalt dieses Buches. Dies ist in dem Buch „Manager Attentat“ berichtet.
Viel Spaß.
Nach dem Kündigungs-Schock vom letzten Montag, der spontan meine im Urlaub aufgebaute Energie zertrümmert hatte, gingen nun der Prozess und die viele Arbeit los, um die es in diesem Buch geht. Die große Aufgabe hieß, einen neuen Job, eine neue Position, also einen Job für eine Führungskraft, eben einen neuen Arbeitgeber zu finden.
Meine Bewerbungsunterlagen waren auf Stand. Ich hatte in den letzten Jahren hier und da versucht aus meiner Firma wegzukommen, weg von den selbstgefälligen VorManagern, die paradoxerweise alles taten, um meinem deutschen Standort zu schaden. Es gab eine Datei mit meinem Lebenslauf, eine mit meinen Zeugnissen und ein Grundgerüst mit meinem Anschreiben, das jeweils auf die spezifische Ausschreibung individualisiert wurde.
Bevor dies irgendwohin geschickt werden konnte, brauchte ich eine Adresse dafür, die Adresse von einem suchenden Unternehmen, beziehungsweise heute in den meisten Fällen die von einem Personalberater, der mit dieser Suche als Dienstleister beauftragt war.
Jedes Stellengesuch beschreibt den gewünschten Kandidaten, die Hard Skills und die Soft Skills, wie es heute heißt. Bei Führungspositionen sind die Erfahrungen, das erreichte Hierarchielevel, Branchenkenntnisse, Führungsspanne, Budget- oder Umsatzverantwortung und natürlich die Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung. Nicht zuletzt, und wo spielt Geld keine Rolle, müssen die Gehaltsvorstellungen des Unternehmens zu denen des Bewerbers passen.
Dies sind die Dinge im Vorfeld.
Die Stellengesuche sind qualitativ besser oder schlechter, das heißt strukturiert und informativ oder verwaschen und unklar. Dennoch heißt es bei jedem, das Formulierte präzise Wort für Wort zu lesen, es sehr ernst zu nehmen und mit dem eigenen Werdegang abzugleichen. Sicher ist, dass der suchende Personalberater oder das Unternehmen selbst eine weit umfangreichere Wunschliste für seinen Idealkandidaten hat, als es dem Bewerber in dem Gesuch mitgeteilt wird.
Seit dem August 2006 gilt in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das AGG, eine gute Sache, von der Idee her. Für den Bewerbungsprozess ist es oftmals eine Erschwernis. Wenn vor den Zeiten des AGG explizit ein Wunschkandidat im Alter von 35 bis 45 Jahren gesucht wurde, ist das heute immer noch so. Es steht nur nicht mehr klar und deutlich in der Ausschreibung, da es rechtlich nicht mehr zulässig ist.
Ich habe in meinem Leben eine große Anzahl von Bewerbungsgesprächen auf beiden Seiten des Tisches erlebt, als Bewerber und als Interviewer für das suchende Unternehmen. Der Lebenslauf und die Zeugnisse sind die Eintrittskarten in das Bewerbungsgespräch. Bekommen sie eine Einladung zu einem Gespräch, haben sie meist bereits eine zwei- oder dreistellige Anzahl anderer Bewerber auf dieselbe Stelle aus dem Rennen geschlagen. Passt es dann zwischenmenschlich nicht, wird es nicht weitergehen auf dem Weg in ein neues Unternehmen und es heißt für den Bewerber zurück auf Start.
Und so bitter dies aus Bewerbersicht auch klingen mag, ist dies richtig so. Denn wenn es zwischenmenschlich nicht funktioniert, wird nie eine optimale Leistung dabei rauskommen können.
Unternehmen bestehen aus Menschen, die in den Unternehmen Mitarbeiter heißen. Unternehmen sind wirtschaftliche Zweckgemeinschaften. Von der erzielten Wertschöpfung leben die Mitarbeiter, deren Angehörige und der Staat über die Steuerabgaben. So funktioniert unsere Gesellschaft.
Einen Großteil seiner wachen Lebenszeit verbringt insbesondere eine Führungskraft in dem Unternehmen. Also, wenn es zwischenmenschlich nicht passt, treten sie keine neue Stelle an, egal auf welchem Level und in welchem Job.
Ich arbeite mittlerweile seit einigen Jahren als selbständiger Berater und Trainer. Und diese Empfehlung kann ich nur jedem ans Herz legen.
Zurück zum Start, dem Suchen von passenden Stellen. Erfüllt man mindestens 90 %, besser 100 % der explizit genannten Anforderungen, entscheidet man sich, eine Bewerbung auf die Reise zu schicken. Damit beginnt im Kopf das Nachdenken über die Stelle, die Konsequenzen für das eigene Leben, das der Partnerin, wenn zum Beispiel der Dienstsitz 500 km entfernt liegt.
Es kommen einem Gedanken und Erlebnisse in den Kopf. Man setzt sich mit möglichen Fragen eines eventuellen Vorstellungsgespräches auseinander, denkt an Dinge, die man dort platzieren möchte oder, wenn eine Bewerbung konkreter wird, was man in der Firma als erstes tun möchte.
Manchmal geht es mit einer Bewerbung schnell, manchmal zieht es sich über Monate und von manchen Bewerbungen hören oder lesen sie einfach nichts mehr. Sie können sich selbst fragen, wo ihre Unterlagen und ihre personenbezogenen Daten geblieben bzw. hingekommen sind. Nur eine Antwort bekommen sie nicht.
Und hier beginnt die Geschichte, mit meinen Bewerbungen und den vielen Facetten, den Details, den Puzzle Teilen des deutschen Arbeitsmarktes für die so hochgelobten hochqualifizierten und wichtigen älteren Arbeitnehmer.
Über 2,5 Stunden netto sichtete ich Stellenanzeigen im Internet und filterte 6 Ausschreibungen zur weiteren Bearbeitung heraus.
Bewerbung 1: Erster Stadtrat im Wirtschafts- und Umweltdezernat der Stadt Hannover
Auf Zureden von meiner Madame hatte ich mich heute fristgerecht auf die Stelle des ersten Stadtrates der Stadt Hannover beworben. Sie hatte mir auch eine passende Mail-Adresse der Stadt besorgt, denn die stand in der Anzeige nicht mit dabei.
Es war sicherlich für jemand ohne Parteibuch ein recht hoffnungsloses Unterfangen, hier als möglicher Kandidat überhaupt bemerkt zu werden.
Die Schwerpunkte lagen im Bereich Wirtschaft und Umwelt, breites Grundwissen und interkulturelle Kompetenz waren erwünscht. Das war gut, das konnte ich bieten. Außerdem kannte ich aus meiner zwanzigjährigen Industriezeit in Hannover viele Behördenmitarbeiter und auch die Leiter. Über das Arbeitstempo konnte man philosophieren, fachlich waren die meist Herren durchaus im Thema.
Interkulturelle Kompetenz, ja, hatte ich, seit 20 Jahren, überwiegend europäisch, ich hatte viele Kontakte, regelmäßige europäische Meetings, kannte den einen oder anderen nationalen Unterschied, ja, da sah ich mich, auch da hatte ich die gewünschte Erfahrung.
Und es erinnerte mich an was. Im Werk hatte ich einen Ausländeranteil von rund einem Drittel, also ein Drittel Mitarbeiter mit Migrationshintergrund oder -geschichte, damit mich auch moderne politische Menschen verstehen, die nicht in der Industrie arbeiten. Die Nationalitäten waren östlich, südlich und südöstlich.
Einen Nachmittag kam der Betriebsratsvorsitzende zu mir und machte meine Bürotür von innen zu, nachdem ich ihm bestätigt hatte, für ihn Zeit zu haben. Er legte mir einen kleinen Zeitungsschnippel hin, kaum so groß wie eine Spielkarte. Vermutlich war das Ding mit der Schere aus der Bild Zeitung ausgeschnitten worden, die sich im Werk großer Beliebtheit erfreute und die einzige Zeitung war, die es in der Kantine zu kaufen gab.
Es war ein Hetzartikel gegen Tunesier. Ich war entsetzt, dass so ein ausländerfeindlicher Mist, oder heißt es heute Menschen-mit-Migrationshintergrund-feindlicher Mist, in Deutschland gedruckt werden durfte. Inhaltlich waren alle tunesischen Männer darauf aus, den deutschen Sozialstaat auszuplündern, die vielen Frauen dieser Männer Huren und die Kinder wurden systematisch zum Klauen trainiert, ganz herrlich.
Irgendjemand aus der Frühschicht hatte dieses inhaltsschwere Druckwerk seiner Ablösung zur Spätschicht an den Arbeitsplatz geklebt, echte Kollegenliebe. Der tunesische Mitarbeiter wurde dadurch gleich zum Wochenbeginn seiner Spätschicht-Woche Montag, 14.00 Uhr, hübsch begrüßt. Der Mann ging natürlich zum Betriebsrat, fragte, wie er sich verhalten solle.
Mir war der Mann seit vielen Jahren bekannt, ein ganz ruhiger Typ, nie auffällig, blitzblanke Personalakte und immer eine Topproduktionsleistung, wenn er an der Produktionslinie arbeitete. Aus diesem Grund kannte ich ihn. Wie der Betriebsrat ergänzte, hatte er keine Kontakte in der Firma, war eher ein Einzelgänger.
Wir sprachen den Fall durch. So was gab es in diesem Werk nicht und hatte es vorher in dieser Ausprägung auch noch nie gegeben. Da waren wir uns sehr einig.
Ich entschied, am kommenden Mittwochmittag alle Mitarbeiter der Früh- und Spätschicht aus diesem Bereich des Werkes im großen Pausenraum spontan zusammen bitten zu lassen, die entsprechenden Führungskräfte und den Betriebsratsvorsitzenden mit dazu. Morgen saß ich wieder bis nachmittags in einer Video Konferenz, hatte keine Zeit und ich wollte diesen Murx selber klären und ihn nicht weiterdelegieren.
Ich las an diesem Mittwoch das Geschreibsel laut vor, es waren ca. 70 Mitarbeiter anwesend. Ich merkte wie mir dabei ein Schauer über den Rücken lief, denn so was auch noch zu hören, verstärkt die Wirkung. Ich hatte den Eindruck, vielen Mitarbeitern ging es ähnlich wie mir.
Drei Sekunden Pause nach dem Vorlesen, um das Ganze einwirken zu lassen.
Dann machte ich mit Power weiter. Das ist Mobbing, das ist kein dummer Jungen-Streich, das hat arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Täter und wer von Ihnen möchte seine eigene Nationalität in so einer Art und Weise diskriminiert sehen?
Der Täter hatte nicht den Mut aus der Anonymität aufzutauchen und ich entschuldigte mich an seiner Stelle bei dem guten Mann für diesen Skandal. Ich hatte den Täter nie erwischt, aber es gab nie wieder ausländerfeindliches Verhalten in meinem Werk.
Diese Geschichte kennen die Leser meines Buches „Manager Attentat“ schon im zeitlichen Kontext. Es fielen mir noch weitere Erlebnisse ein, bei denen die kulturelle Herkunft beziehungsweise das Umfeld relevant waren.
Zuerst eine Begebenheit aus meinem ehemaligen deutschen Werk. Es ging um Fehlzeiten, ein ewig junges Thema, überall. Das wichtigste bei dieser Thematik, unter Umständen auch Problematik, war oder ist, zunächst zu verstehen, wodurch die individuellen Fehlzeiten entstehen. Diese simple Erkenntnis galt auch schon, bevor ich mit einem betrieblichen Gesundheitsmanagement mit der Mannschaft gestartet hatte.
Mein grundsätzlicher Ansatz, den die Mitarbeiter kannten, war und ist krank ist krank, da ein Misstrauensansatz, das heißt, die machen Urlaub auf gelben Schein, für mich kein Führungsansatz sein kann oder sollte.
Dennoch war es hochinteressant, zusammen mit dem Personalreferenten, mit von uns definierten Filterkriterien das SAP HR Modul zu bemühen und sich Arbeitstage, Urlaubstage und krankheitsbedingte Fehlzeiten über mehrere Jahre für einzelne Mitarbeiter anzuschauen.
Um juristisch gegen einen Mitarbeiter aufgrund von Fehlzeiten vorzugehen, müssen schon in 3 aufeinanderfolgenden Jahren jeweils mehr als 30 Fehltage zu Buche stehen. Wie gesagt, dies war nicht der Ansatz, und wie sich bei der Arbeit herausstellte, gab es am ganzen Standort nur einen Mitarbeiter, der diese juristisch definierten Kriterien erfüllte.
Der Mann war vorher bereits bekannt und wurde dementsprechend betreut.
In der Größenordnung von 20 Fehltagen, also juristisch kerngesund und unantastbar, gab es doch eine gewisse Verdichtung.
In Summe 20 Fehltage pro Jahr, 4 Wochen krank, jedes Jahr wieder, weder der Betriebsratsvorsitzende, der in meinem Alter war, noch der jüngere Personalreferent und ich sowieso nicht, konnten uns erinnern, je so viel krank gewesen zu sein. Gemeinsam wollten wir herausfinden, ob es betriebliche Gründe dafür gab. Alles andere durften wir bei mehr als 4 anwesenden Augen sowieso nicht fragen.
Besonders freuten wir uns auf die Mitarbeiter, die offensichtlich immer wieder saisonal gesundheitlich nicht auf der Höhe waren, Frühjahr und Herbst je 2 Wochen krank, über Jahre. Die Krankheiten rahmten sozusagen den Sommer- und Weihnachtsurlaub geradezu ein, wenn man es denn so sehen wollte. Als Mediziner hätte ich das natürlich sofort erklären können, das Verhalten, sorry die Indikationen, dieser juristisch Kerngesunden.
36 Mitarbeiter-Interviews zog ich zusammen mit dem Betriebsratsvorsitzenden, dem für den Mitarbeiter verantwortlichen Abteilungsleiter und dem Personalreferenten durch. Ein Marathon, aber das Thema war es wert, obwohl wir keine Fehltage-Problematik hatten.
Niemand der Mitarbeiter sah betriebliche Gründe für seine Fehlzeiten. Dies war gut zu hören, war aber keineswegs überraschend bei dem Aufwand, den wir in Sachen Health und Safety, Gesundheit und Arbeitssicherheit, betrieben und bei dem Führungsstil, den wir lebten.
Bittersüß schmunzele ich immer noch über die rausgeplapperte Äußerung eines deutschen Mittdreißigers zu seinen 20 Tagen pro Jahr, die doch nicht viel seien. Der junge Mann hatte seinen natürlich vom Arbeitgeber voll bezahlten Zusatz-Urlaub offensichtlich sehr gut genutzt, geradewegs einen Bildungsurlaub daraus gestaltet, denn er wusste, dass er juristisch kerngesund war. Er wusste Bescheid. Doof, dieser Verplapperer. Wir waren sicher, hier die erste nicht mitgefilmte Wunderheilung bewirkt zu haben, zumal alle Gesprächspartner aus der Belegschaft gleich den Folgetermin mit auf den Weg bekamen.
Echt mieser kam das Statement eines türkischen Mitarbeiters, Anfang 40, rüber, der zu seinen 20 Tagen pro Jahr formulierte, er werde älter, ein bisschen Blutdruck, ein bisschen Rücken und so weiter. Achtung, so ein Mann zieht die Moral der Mannschaft runter, eine Aufgabe für den Betriebsrat und dann den Schichtmeister, um den Mann wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Fazit, denn es geht bei diesem Exkurs in meine Firmenvergangenheit um interkulturelle Kompetenz, die deutschen Mitarbeiter waren offen, erzählten freiwillig Dinge, die sie nicht hätten berichten müssen, waren teilweise wirklich gequält von gesundheitlichen Einschränkungen. Das Positive war, dass wir hier oftmals Maßnahmen zur Verbesserung ihrer individuellen Arbeitssituation definieren konnten.
Der deutsche Betriebsratsvorsitzende war mit einer Türkin verheiratet, was die Belegschaft natürlich wusste. Dennoch, es gab von den türkischen Mitarbeitern keine Offenheit in unseren Gesprächen, nichts, keine Information. Das war sehr schade, so konnten wir nicht helfen. Wir konnten nur die Frühjahrs- und Herbst-Kranken besonders im Auge behalten. Da waren die deutschen Mitarbeiter schon weiter.
Ja, Fehlzeiten, Krankenquoten, natürlich wurden diese monatlich aus allen europäischen Standorten in meiner Firmenwelt an das für Europa verantwortliche Management berichtet. Aus den regelmäßig durchgeführten WerkleiterTreffen wusste ich um die Dinge, die die nackten Zahlen nicht ausdrückten. Auch hier gab es gewaltige interkulturelle Unterschiede.
Polen sah trotz einer 40 Stunden Woche und 24-7, das meint rund um die Uhr Betrieb inklusive Samstagen und Sonntagen, gut aus. Die Mannschaft des polnischen Werkes war im Mittel über 10 Jahre jünger und die Arbeitnehmer, die zu viel krank waren, wurden kurzfristig getauscht, wie mein polnischer Werkleiterkollege zu gern stolz berichtete.
Meine ernst gemeinte Empfehlung für den Bildungsurlaub eines deutschen Arbeitnehmers ist, sich die europäischen Rechte von Arbeitnehmern berichten bzw. vortragen zu lassen, um zu erkennen, wo seine Vorteile in Deutschland liegen. Auch als jemand auf der Arbeitgeber-Seite sehe ich das als eine Stärke von Deutschland. Und dies sollten insbesondere die Arbeitnehmer ebenso sehen.
Polen ist zwar in der EU, als Nehmerland, denn sonst wären sie nicht dabei, aber in puncto Arbeitskultur so weit zurück.
Der Höhepunkt der polnischen Besonderheiten war noch ein anderer. Jedes Jahr fand ein vorweihnachtliches Management-Meeting statt, wo alle Manager aus Europa und Asien zusammenkamen. Ebenfalls Usus war in diesem Meeting eine Preisverleihung für das sicherste Werk, die von unserem Präsidenten, unserem Europa Chef, persönlich vorgenommen wurde. Der Preis ging nach Polen, alljährlich. Es gab keine Arbeitsunfälle in diesem Werk, nichts, seit Jahren, denn es wurden keine Unfälle berichtet. Wenn etwas unerwünscht war, ließ man es weg.
Und das war doch schön. Weder der Europa Chef, noch das Topmanagement in den USA wollten wissen, wie das über Jahre gehen konnte, wenn hunderte von Menschen rund um die Uhr an laufenden Maschinen Metall und anderes verarbeiten. Hauptsache die geforderten Ergebnisse, was sage ich, die Targets, waren erreicht, excellent, outstanding und so weiter. Es gab keine Fragen, alle freuten sich, wollten die Wahrheit nicht wissen und keine Kommission ging dem hochwahrscheinlichen Statistik-Tuning hinterher.
Und für Insider sei an dieser Stelle noch ergänzt, dass die Weiterentwicklung des grundsätzlich positiven Zero Accident Approaches nur die permanent steigende Anzahl von Wunderheilungen oder vielleicht auch MitarbeiterVerjüngungen pro Million Arbeitsstunden sein kann. Wir wollen uns doch challengen.
In Südeuropa war es anders gewesen. Mir hatte der im süditalienischen Werk praktizierte Ansatz gefallen, die Mitarbeiter, alle Mitarbeiter, über vereinbarte Kennzahlen finanziell einzubinden. Produktionsleistung, Ausschussraten, Krankenquoten und so weiter, dafür gab es Gruppenprämien, alle erreichten etwas, mehr oder weniger. Ein Beispiel für deutsche Gewerkschaftler, oder?
In Spanien war die Arbeitsatmosphäre im Werk, genauso wie in Italien, deutlich relaxter. Das Werk lag in NordostSpanien, also in Katalonien. Das ist den Menschen hier sehr wichtig, denn sie sind Katalanen, nicht Spanier, mit allen sprachlichen Besonderheiten. Und für Katalanen ist es wichtiger Barcelona gewinnt, als das es die spanische Fußball-nationalmannschaft tut.
Die Südeuropäer waren zumindest nach den offiziellen Berichten quasi nicht krank. Hier hatte ich weniger Zweifel gehegt, als bei den gefälschten polnischen Zahlen und vielleicht können wir in Deutschland etwas davon lernen, ohne unsere Produktivität einzubüßen.
Zurück zu der Bewerbung, der ersten.
Interkulturelle Kompetenz, ich hatte an Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturkreise gedacht. Dies waren einige reale Beispiele.
Die Ausschreibung lautete:
„Die Landeshauptstadt Hannover möchte den Anteil der Beschäftigten mit interkultureller Kompetenz in den nächsten Jahren erhöhen und daher insbesondere Personen mit Migrationshintergrund ermuntern, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben.“
Ach so, interkulturelle Kompetenz ging bei mir gar nicht, konnte ich gar nicht haben, da ich Deutscher bin und schon immer war, von Geburt an, so wie ein Mensch jeder anderen Nationalität auch. Würde es helfen in Nordrhein Westfalen geboren zu sein, in einem anderen Bundesland? Das war ich. Konnte ich dadurch meine Chancen steigern, gleiche Eignung vorausgesetzt, natürlich?!
Als Nicht-Jurist war dies für mich ein klarer Verstoß gegen das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Deutsche werden diskriminiert. Das gibt es nur in Deutschland.
Politik, Politiker aller Parteien, Presse und Juristerei befruchten sich in Deutschland in den letzten Jahren immer wieder gegenseitig, auf wessen Initiative auch immer, zu absurden Diskussionen, Beschlüssen, Berichten und Urteilen über Kruzifixe, Kopftücher, Beschneidung oder auch eine Leitkultur, wie irreal und völlig unnütz.
Und so viele werden auch noch von Steuergeldern bezahlt.
Ich bewarb mich trotzdem.
Ganz modern, wie immer, per Mail und beigefügten Dateien, mit Lebenslauf und Zeugnissen, nachdem Madame mir die entsprechende Mail Adresse raustelefoniert hatte.
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister W.,
ich beglückwünsche Sie zu der schönen Stadt und Region Hannover und wünsche Ihnen vorab die richtigen Strategien für die bevorstehenden Landtagswahlen.
Ich lebe seit nunmehr 33 Jahren hier und habe eine hohe Affinität zur Region und ihren Menschen entwickelt. Auch dies stärkt meine Motivation, mich hiermit auf die Position des Ersten Stadtrates im Wirtschafts- und Umweltdezernat zu bewerben.
…Die von mir geleitete Restrukturierung des Werkes in den 90iger Jahren war der Grundstein zur dauerhaften Sicherung und dem Zuwachs an Arbeitsplätzen am Standort…
…habe ich die ergebnisverantwortliche Leitung des weltweit größten Werkes in Hannover mit seiner Zeit 450 Mitarbeitern übernommen…
…unter meiner team- und ergebnisorientierten Führung ist das deutsche Werk zum ertragsstärksten im Unternehmen geworden…
…hat sich eine partnerschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und der IG Metall als ein entscheidender Schlüssel erwiesen...
…globales Business in einem amerikanischen, international agierenden Unternehmen…
…enge Kooperation mit europäischen und amerikanischen Kollegen…
…Wünsche und Bedürfnisse unserer deutschen, europäischen und multinationalen Kunden sind mir aus zahlreichen Besuchen und langjährigen Kontakten vertraut…
…mein persönlicher Führungsstil orientiert sich an der Maxime der maximalen Freiheit für den einzelnen Mitarbeiter unter klarer Ausrichtung auf die gemeinsamen Ziele…
…offene Kommunikation „auf Augenhöhe“ ist in meinem Verantwortungsbereich gelebte Unternehmenskultur...
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich die Zeit für einen potentiellen Quereinsteiger und seine Ideen nähmen und wir uns kennenlernen. Mit meiner Persönlichkeit, meinem Engagement, meiner umfangreichen Berufserfahrung aus verschiedenen Branchen und meiner Kenntnis über Menschen unterschiedlicher Kulturen will ich im Sinne von Hannover etwas bewegen.
Ich setze absolute Vertraulichkeit dieser Informationen voraus und freue mich auf ein intensives persönliches Gespräch.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Max. S. Justice“
Und ich meinte und meine das alles sehr ernst.
Würde nicht ein gestandener Wirtschaftsmann der öffentlichen Verwaltung mal so richtig gut tun?
Und zwar ein Wirtschaftsmann, der mit seinen Mitarbeitern arbeitete, in Lärm und Hitze, und nicht aus dem Umfeld von auf 18° Celsius klimatisierten Vorstandsbüros kommt. Da ist nur die Monopoly-Spieler-Wirtschaft zu Hause, die denkt, alles in Excel abbilden zu können.
Ich hatte den noch amtierenden Ersten Stadtrat, ein studierter Bauingenieur, vor Jahren persönlich kennengelernt. Bevor er diese Position übernommen hatte, war er in der Beratung tätig gewesen, nicht in der freien Wirtschaft. Ich schmunzele heute noch über eine seinerseits freundlich gemeinte Bemerkung, dass er über Fördermittel verfügen und uns als Firma unterstützen würde, wenn wir mal 50 Wissenschaftler für die Entwicklungsabteilung einstellen wollten.
50 studierte Leute, je nach Alter und Karrierelevel, 5 Millionen Euro Personalkosten, Fixkosten, hübsche Idee, vielleicht für Siemens oder Volkswagen, aber nicht für einen Mittelständler, auch nicht einen konzerngebundenen, der mit seinen Produkten Weltmarktführer war.
Eingangsbestätigung 1, Mittwoch, 17. Oktober
Die Stadt Hannover schickte einen Brief und bestätigte meine Bewerbung.
„Sehr geehrter Herr Dr.-lng. J.,
vielen Dank für lhre Bewerbung um die Stelle der Ersten Stadträtin / des Ersten Stadtrates im Wirtschafts- und Umweltdezernat der Landeshauptstadt Hannover.…
Mit freundlichen Grüßen
Der Oberbürgermeister
im Auftrag
H.“
Wofür es in dem Brief nicht gereicht hatte, war den standardisierten Inhalt an das Geschlecht des Bewerbers anzupassen. Jeder einzelne konnte sich doch entweder nur als Stadträtin oder Stadtrat bewerben.
Absage 1, Samstag, 24. November
Am Freitag, dem 16. November, kam es bereits im Radio. Hannover hatte einen neuen Ersten Stadtrat, falsch, eine neue Erste Stadträtin, eine Dame mit Doppelnamen.
Ja, ich schaute nochmal in die Zeitungsanzeige der Ausschreibung. Ein Drittel des Anzeigentextes beschrieb die besonders gesuchten Kandidaten-Gruppen und nicht die gesuchte Qualifikation.
Es sind für den öffentlichen Dienst eben nicht alle Bewerber gleich, wie wir bereits wissen. Vor dem Absatz mit der interkulturellen Kompetenz, d.h. dem Migrationshintergrund, war folgendes gedruckt:
„Die Stadtverwaltung ist bemüht, den Frauenanteil in Positionen dieser Art zu erhöhen und ist deshalb besonders an der Bewerbung von Frauen mit den genannten Qualifikationen interessiert.
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.“
Den Passus mit den Schwerbehinderten kannte ich noch aus meiner Zeit im öffentlichen Dienst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover, die anderen beiden mit den Frauen und dem Migrationshintergrund waren neuer.
Als deutscher Mann ohne Behinderung bist du bei gleicher Eignung bestenfalls an vierter Stelle. Das stand in der Anzeige, nur verkomplizierter.
Da lädt dich keiner zum Gespräch und da gewinnst du keine Medaille. Der undankbare 4. Platz, so würde der Kommentar in einer Sportsendung lauten.
8 Tage nach der öffentlichen Bekanntgabe der Entscheidung bekam ich von der Stadt Hannover ein AbsageSchreiben, von einer anderen Sachbearbeiterin gezeichnet. Wieder hatte ich mich offensichtlich zweigeschlechtlich beworben.
„Sehr geehrter Herr Dr.-lng. J.,
Sie haben sich um die Stelle der Ersten Stadträtin / des Ersten Stadtrates im Wirtschafts- und Umweltdezernat der Landeshauptstadt Hannover beworben.
lhre Bewerbungsunterlagen geben wir lhnen daher anbei zurück.
Mit freundlichen Grüßen
Der Oberbürgermeister
lm Auftrag
B.“
Der Brief war ansonsten völlig in Ordnung.
„lhre Bewerbungsunterlagen geben wir lhnen daher anbei zurück.“
Dieser vermeintlich harmlose Einschub aus vergangenen Zeiten der Papier-Bewerbungsmappe war wörtlich zu nehmen und der absolute Hammer.
Denn der einseitige Absagebrief war nicht allein geschickt worden, zweimal quer gefaltet, in einem üblichen, kleinen Rechteckumschlag. Nein, es kam ein DIN A4 Umschlag. Und da lag als erste Seite dieser Brief oben auf einem kompletten Ausdruck meiner Bewerbungsunterlagen in Papier in einer Plastikhülle. Diese Hülle hatte wohl schon das eine oder andere Büro der Stadt Hannover gesehen, in den letzten 10 oder 20 Jahren ihres Behördenlebens, denn sie machte einen runtergewohnten, total verbrauchten Eindruck.
Eine Sachbearbeiterin der Stadt oder des Oberbürgermeisters hatte meine neumodische 3-Dateien-Bewerbung in miserabler Qualität ausgedruckt und in eine Hülle getan, damit alles, wie es sich gehört, in Papier weitergereicht werden konnte.
Da freut sich das Umweltdezernats-Bewusstsein.
Jetzt schickte sie diese Loseblattsammlung meines Berufslebens an mich zurück. Unterlagen, die jedem Bewerber maximal peinlich gewesen wäre, absolut respektlos, grauenhaft. Mit etwas Überlegung hätte sie die Seiten durch den Schredder jagen oder in den verschlossenen Container zur Aktenvernichtung entsorgen können.
E-Mail war zu modern, Papier musste sein, und so kocht die öffentliche Verwaltung weiter im eigenen Verschwender-Saft und die Steuerzahler zahlen.
Bewerbung 2: Unternehmensberater
In der F.A.Z. hatte ich letzten Samstag eine kleine Anzeige, 90 mal 50 mm, gefunden:
„Nach einer erfolgreichen lndustriekarriere haben sie Erfahrungen in leitenden Funktionen gesammelt. Sie sind jetzt an einem Punkt, wo sie unternehmerische Freiheit suchen.
Wir sind seit 1990 eine Beratungsgesellschaft mit vielfältigem Know-how und Alleinstellungsmerkmalen in unterschiedlichen Methodiken. Bei uns können Sie als Unternehmensberater ihre Freiheiten ausbauen und verwirklichen. Von uns kommen Organisation, Akquisitions-Know-how, Gesamtmarketing und Koordination. Von Ihnen kommen Umsetzungs-Know-how und Einsatzbereitschaft.“
Die Anzeige hatte mir gefallen. Hier ging es offensichtlich um meine Berufs- und Altersgruppe. Ich schrieb hin:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
fast möchte ich Sie fragen, ob Sie Gedanken lesen können, denn Ihre Anzeige hat mich sehr angesprochen. Ich habe entschieden, mich beruflich neu auszurichten und meine Energie und Expertise als Unternehmensberater für die verschiedenen Kunden einzusetzen. Gern übersende ich Ihnen hiermit meine Bewerbung als Berater. …“
Ich hatte nie etwas von meiner Bewerbung gehört, rein gar nichts. Ich hakte 10 Monate später, Montag, dem 12. August, dieser verschollenen Bewerbung hinterher. Ich wollte sehen, ob denn diesmal eine Antwort kommen würde.
Es kam keine Antwort, gar keine. Meine Unterlagen, meine Daten waren weg oder eben woanders.
Bewerbung 3: Senior Consultant
Eine große Personalberatung suchte für eine andere große Beratungsfirma mit 1200 Mitarbeitern weltweit einen Senior Consultant mit Schwerpunkt Lean Management und Prozessberatung. Die gewünschte Berufserfahrung ließ zumindest erkennen, dass das Senior mehr als 2 bis 3 Jahre Erfahrung sein sollte. Methodenkenntnisse aus dem Toyota Production System, TPS abgekürzt, Lean Management Kenntnisse, Workshop- und Moderationserfahrung, ja, meine Welt, das konnte ich mir auch als Berater vorstellen.
Der zusätzlich ausgelobte Dienstwagen stellte für mich keinen Reiz dar. Da hatte ich in meiner ehemaligen Firma schon drauf verzichtet, um freie Fahrzeug-, Ausstattungs- und Motorwahl zu haben.
4 Tage später kam eine Eingangsbestätigung
„Sehr geehrter Herr Dr. J.,
vielen Dank für die Zusendung Ihrer Bewerbungsunterlagen. Wir freuen uns über Ihr Interesse an der ausgeschriebenen Position.