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-Deckname: Garrison „Cowboy“ Cassidy
-Zielperson: Winslow Greer
-Mission: Bring den Ski-Champion auf neue Gipfel
-GARRISON
Ruhig und zurückhaltend zu sein, macht es einem gewieften Agenten wie mir leicht, Fälle zu knacken und Feinde auszuschalten – einen niederträchtigen und widerwärtigen Kriminellen nach dem anderen. Aber als ich Winslow begegne, brauche ich alles an Zurückhaltung, um es langsam anzugehen. Ich weiß, wenn ich ihren Verlockungen nachgebe, ist die steile Schussfahrt voller Leidenschaft und Vergnügen unausweichlich.
-WINSLOW
Tod. Das Ende. Mein letztes Hurra. Zumindest dachte ich das. Aber durch ein Wunder entkam ich. Rettete mich selbst. Doch das ist nicht genug. Es ist noch nicht vorbei. Gefahr droht und ich brauche Hilfe. Sicherheit. Geborgenheit. Und es gibt nur einen Mann, dem ich vertraue. Aber kann ich wirklich mein Leben in die Hände eines sexy Cowboys in engen Jeans und mit der gedehnten Sprechweise des Jungen vom Lande legen?
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Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2024
Copyright © 2024, Heather Slade
Alle Rechte vorbehalten.
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Deckname: Cowboy
1. Winslow
2. Cowboy
3. Cowboy
4. Winslow
5. Cowboy
6. Winslow
7. Cowboy
8. Winslow
9. Cowboy
10. Winslow
11. Cowboy
12. Winslow
13. Cowboy
14. Winslow
15. Cowboy
16. Winslow
17. Cowboy
18. Winslow
19. Cowboy
20. Winslow
21. Cowboy
22. Winslow
23. Cowboy
24. Winslow
25. Cowboy
26. Winslow
27. Cowboy
28. Winslow
29. Cowboy
30. Winslow
31. Cowboy
32. Cowboy
33. Thanatos
Mayhem
Über den Autor
Bücher von Heather Slade
Eine Kidnapping-Überlebende. Ein beschützender Agent. Eine finstere Verschwörung.
Als mitten in der Gefahr Liebe erblüht, decken sie eine Wahrheit auf, die perfider ist, als sie sich je vorgestellt hatten.
Die Zeit läuft ihnen davon. Können Cowboy und Winslow einen Killer überlisten, der sich weigert abzulassen?
-GARRISON
Ich hätte nie damit gerechnet, mich bei der Arbeit zu verlieben, besonders nicht in eine Frau, deren Schutz mir übertragen wurde. Aber von dem Augenblick an, in dem ich Winslow sah, wusste ich, dass sie anders war. Sie ist stark, mutig und hat ein Herz aus Gold. Während wir zusammenarbeiten, um das Rätsel hinter ihrem Kidnapping und dem der anderen Opfer zu entwirren, bin ich hin- und hergerissen zwischen meiner Aufgabe und meinen wachsenden Gefühlen für sie. Kann ich sie schützen und diesen Fall lösen, während ich gleichzeitig meinem Herzen folge?
-WINSLOW
Meinem Kidnapper zu entkommen, war nur der Anfang. Jetzt versuche ich, mein Leben wieder zusammenzusetzen, während ich mich zu dem Mann hingezogen fühle, dessen Auftrag es ist, mich zu beschützen. Garrison ist anders als irgendjemand sonst, den ich kenne – freundlich, stark und unerschütterlich in seiner Unterstützung. Während wir uns zunehmend näherkommen, wird mir klar, dass ich mehr tun will, als nur zu überleben; ich will dabei helfen, den anderen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber die Gefahr lauert noch immer und meine Vergangenheit verfolgt mich; kann ich da diese neue Liebe wirklich annehmen und mit ihr die Zukunft, die sie verspricht?
April und Mai waren meine Lieblingsmonate, um in den Adirondack Mountains zu sein – die Gegend, die ich mehr als mein Zuhause ansah, als irgendeine der anderen, in denen meine Eltern Wohnsitze hatten. An den meisten Tagen war es warm und zumindest im April lag noch Schnee auf dem Whiteface Mountain. Es gab jede Menge Frühlingstage, an denen ich ein T-Shirt und leichte Schneehosen trug, um Ski zu fahren, ehe ich es ins Wettkampfteam geschafft hatte. Als es so weit war, bedeutete dies das Ende meiner Tage, auf diese Art zum Vergnügen Ski zu fahren. Das Risiko, sich zu verletzen, war zu groß.
Als der Mai kam, war nicht mehr viel Schnee übrig. Stattdessen begannen die Blumen zu blühen. Bald würden die Seen nicht mehr von einer Eisschicht bedeckt sein, etwas, das normalerweise im späten April passierte, seit ein paar Jahren in Folge geschah das allerdings nicht mehr vor dem ersten Mai.
Das waren die Dinge, die mir durch den Kopf gingen, als ich mein Möglichstes tat, um nicht durchzudrehen. Nie in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich geglaubt, mich einmal in einer solchen Situation wiederzufinden.
Früher hatte ich gedacht, dass meine Großeltern verrückt waren, weil sie nicht nur darauf bestanden, dass meine Eltern Schutzräume in ihre Häuser einbauen ließen, sondern auch darauf, dass meine Geschwister und ich Überlebenstrainings absolvierten, nachdem ich, die Älteste, es in das Olympia-Team geschafft hatte.
Weder mein Vater noch meine Mutter waren schon auf der Welt, als 1972 eine Gruppe von Terroristen das olympische Dorf stürmten, zwei israelische Athleten töteten und neun weitere als Geiseln nahmen. Diese neun starben später ebenfalls, und meine Großeltern erinnerten sich beide daran, als wäre es gestern gewesen.
Hier war ich nun und wandte das Training an, wie ich es mir nie hätte vorstellen können, weil ich von einem Irren gefangen gehalten wurde, der abwechselnd neben mir saß, schluchzte und sich entschuldigte, weil er „gezwungen“ war, mich zu kidnappen. Andere Male drohte er dann, mich zu töten, wenn er fand, dass ich ihn schief angesehen hatte.
Ich nutzte seine reumütigen Zeiten aus, so gut ich konnte während der zwei Tage, seit er mir eine Waffe an den Kopf gehalten hatte, als ich frühmorgens im Skigebiet aus meinem Auto gestiegen war, um an einem Team-Meeting teilzunehmen.
Nachdem er mich gezwungen hatte, in eine Aufbewahrungskiste auf dem Rücksitz seines Autos zu klettern, hatte ich mir eingeprägt, wie er abgebogen war, achtete darauf, in welche Richtung er fuhr und zählte die Sekunden, während er fuhr. Nach ungefähr zehn Minuten Fahrzeit stoppte er, legte mir Handschellen an, stopfte mir einen Lappen in den Mund und band mir die Beine zusammen.
Zusätzlich dazu, mir im Geiste eine Karte davon anzufertigen, wo er mich hinbrachte, gab es noch andere Dinge, die ich mir über den Mann einprägte, wie der Radiosender mit klassischer Musik, den er hörte, und dass er Zigaretten rauchte.
Als wir ankamen, trug er die Aufbewahrungsbox – mit mir darin – eine Treppe hinunter in eine Souterrainwohnung. Er setzte das Behältnis auf dem Boden ab, zog mich heraus und stieß mich auf einen Klappstuhl. Nachdem er meine beiden Beine an den Stuhl festgebunden hatte, ließ er mich ein paar Stunden lang allein.
Mittlerweile verging allerdings kaum eine Stunde, ohne dass er nach mir sah. Vielleicht lag es daran, dass er mich vom Stuhl zu einem Bett übergesiedelt hatte. Auch wenn es noch immer furchtbar unbequem war, besonders wenn mir die Extremitäten einschliefen durch die Hand- und Beinschellen, die meine Bewegungsmöglichkeiten einschränkten, konnte ich wenigstens besser schlafen als vorher, als ich gezwungen war, aufrecht zu sitzen.
„Wir werden heute nicht weggehen. Ich werde dich umbringen, ehe ich zulasse, dass er dich kriegt“, sagte er, als er einen Teller mit Eiern und Toast neben mir auf das Bett stellte. Das schien das einzige Essen zu sein, dass er machen konnte.
Wir würden weggehen? Wohin? Und was meinte er damit, mich umzubringen, damit mich jemand anders nicht kriegen würde? Ich gab mein Bestes, um nicht sichtbar zu reagieren, und achtete darauf, meine Stimme ausgeglichen zu halten. „Wer?“, fragte ich, als ich mich hochdrückte, um zu essen.
„Brock. Er denkt, er ist an der Reihe. Ist er nicht. Du gehörst mir.“
Ich gehörte ihm? Bisher hatte er sich nicht an mir vergangen. Würde er das jetzt tun?
„Danke für die Eier.“ Ich hoffte, wenn ich die Unterhaltung in eine andere Richtung lenkte, würde er nicht entsprechend handeln, was auch immer seine Erklärung bedeutete.
Er blickte sich im Zimmer um, statt mich anzusehen.
„Gibt es irgendetwas, das ich tun kann, um zu helfen?“
Er drehte den Kopf und starrte mich mit großen Augen an. „Was meinst du?“
„Sie kochen mein Essen. Ich könnte sauber machen.“
Er musterte mich eine ganze Zeit lang, aber ich wich seinem Blick nicht aus.
„Du könntest spülen“, antwortete er schließlich.
„Natürlich.“
„Und vielleicht könntest du Mittagessen kochen.“
„Ja. Das kann ich beides machen. Das Abendessen auch, wenn Sie möchten.“
Als ich zu Ende gegessen hatte, nahm er die Schelle vom Bett ab, aber nicht von meinem Fußknöchel. Stattdessen band er beide zusammen. Das bedeutete, dass ich zur Küche schlurfen musste, aber zumindest hatte ich so viel seines Vertrauens gewonnen, dass er es mir erlaubte, das einzige Zimmer zu verlassen, in dem ich abgesehen vom Badezimmer gewesen war.
In meinem Kopf wurden immer wieder Mahnungen aus meinem Überlebenstraining abgespielt. Gewinne das Vertrauen deines Geiselnehmers stand an allererster Stelle, und war die Manipulationsmethode, die Verhandlungsführer der Polizei anwandten.
Eine Sache, die ich nicht geglaubt hatte, als ich sie hörte, war, dass Furcht nicht in einem Maße einsetzen würde, wie man sich das vorstellte. Stattdessen konnte ich nur an meinen Willen zu überleben und die Mechanismen, dies zu erreichen, denken.
Ich hatte nicht nach dem Namen meines Geiselnehmers gefragt, aber auf der Küchenarbeitsplatte lag eine Stromrechnung, die an Craig Ferrone adressiert war. Auch wenn ich nicht sicher sein konnte, dass er das war, prägte ich mir den Namen trotzdem ein.
Wie das Schlafzimmer und das Badezimmer war die Küche aufgeräumt, wenn auch nicht sauber. Zumindest nicht nach den Maßstäben meiner Mutter.
Ich hatte gerade das Geschirr zu Ende abgetrocknet, als Ferrone eine Meldung auf seinem Handy erhielt. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich ihn, als er sie las. Was immer es war, es schien ihn zu schockieren. Er starrte eine ganze Zeit lang blicklos vor sich hin, ehe er mich abrupt ohne ein Wort in das Schlafzimmer zerrte.
Obwohl ich überlegte, ihn zu fragen, ob alles in Ordnung mit ihm war – wieder Teil davon, sein Vertrauen zu gewinnen – sagte mir etwas, dass ihn das aufregen würde.
Ich war enttäuscht, als er mich zu dem Stuhl führte statt zu dem Bett, da Letzteres so viel bequemer war. Allerdings dankte ich ihm, statt mich zu beklagen, als er das Zimmer verließ.
Kurz danach hörte ich ihn auf der anderen Seite der Tür schluchzen.
Es war vier Tage her, seit die private Geheimdienst- und Sicherheitsfirma, für die ich arbeitete, K19 Shadow Operations, einen der unseren aus den Klauen eines Irren gerettet hatte – einem Serienkiller – oder, wie wir mittlerweile annahmen, einem von weiß Gott wie vielen, die den Adirondack State Park terrorisierten.
Vier Tage, seit Wasp mitbekommen hatte, dass der Mann, der ihn gefangen hielt und vorhatte, ihn zu töten, jemanden in einem Telefonat am Handy fragte, ob er ein anderes Opfer „haben“ könnte. Eine Frau, von der wir annahmen, sie könnte die vermisste Olympia-Skifahrerin Winslow Greer sein.
Es war eine volle, verfluchte Woche her, seit sie von dem Parkplatz verschwand, auf den sie gefahren war, um an einem frühen Meeting des Ski-Teams teilzunehmen, und die Uhr tickte schnell. Von dem Zeitstrahl der anderen Opfer des Serienkillers ausgehend, bestand die Möglichkeit, dass sie bereits tot war. Das war allerdings eine Realität, die ich nicht zu akzeptieren bereit war.
Ich betrachtete Winslows Foto, als ich im Bett lag und wusste, dass ich heute Nacht nicht besser schlafen würde als in den Nächten davor. Denen davor? Verdammt, es fühlte sich eher an, als hätte ich das letzte Mal vor Wochen geschlafen.
„Bitte finde mich“, bildete ich mir ein, sie flehen zu hören. „Rette mich.“
Der Himmel wusste, ich würde nahezu alles geben, um dazu in der Lage zu sein. Sogar nachdem es alle anderen aufgegeben hatten, irgendein Lebenszeichen mit den Doppler-Drohnen in den Wäldern rund um den Ort zu finden, wo Wasp gerettet worden war, schickte ich sie wieder rauf. Sie hatten keine gefunden – menschliche oder andere. Es schien, als wäre das Nordufer des Sees verlassen.
Es war nicht allein dabei geblieben, die Drohnen raufzuschicken. Ich hatte darauf bestanden, Teil des Teams zu sein, das von Tür zu Tür gegangen war, um jedes Camp am Canada Lake zu überprüfen. Ich machte mir Notizen von all denen, die leer zu stehen schienen, damit ich nach Arbeitsschluss die Doppler wieder raufschicken konnte, für den unwahrscheinlichen Fall, dass Winslow in einem davon gefangen gehalten wurde. Dabei war auch nichts herausgekommen.
Allzu bald würde das Eis auf dem See genügend tauen, dass wir eine Anzahl von Methoden anwenden könnten, um nach den Opfern zu suchen, deren Leichen – nach dem, was Wasp den Mann hatte sagen hören, der ihn gefangen gehalten hatte – vielleicht in ihn versenkt worden waren.
Ich konnte nicht über die Möglichkeit nachdenken, dass wir Winslows Leiche in dem eisigen Wasser finden würden. Wenn es so käme, würde das bedeuten, ich hatte sie im Stich gelassen.
Warum bedeutete mir dieses eine Opfer mehr als die anderen? Das konnte ich genauso wenig sagen, wie ich den genauen Zeitpunkt bestimmen könnte, an dem die Suche persönlich geworden war. Diese Frau, mit der ich wenig gemeinsam hatte, außer der Tatsache, dass wir beide Sauerstoff einatmeten und ihn in Kohlendioxid umwandelten, war mir unter die Haut gegangen.
„Ich werde dich finden“, sagte ich laut und strich mit der Fingerspitze über ihr Foto. „Das schwöre ich bei meinem Leben.“
Ich legte den Kopf auf mein Kissen und versuchte, den Schlaf mit dem Willen meiner Gedanken herbeizurufen, auch wenn ich wusste, dass er sich nicht einstellen würde.
In wenigen Stunden wurde ich zu einer zweiten Einsatznachbesprechung zu Wasps Rettung erwartet. Normalerweise vermieden wir es, das Meeting für mehr als vierundzwanzig Stunden zu verschieben, und es kam noch seltener vor, zwei davon abzuhalten. Diesmal gab es allerdings mildernde Umstände.
Kurz nachdem Wasp zum Johnstown Memorial Hospital geflogen worden war, Canada Lakes nächstgelegener „großen Stadt“, und während er noch in der Notaufnahme untersucht wurde, hatten Wasp und Swan verkündet, sie würden heiraten, sobald er entlassen wurde.
Sie brachen dann auch tatsächlich am nächsten Morgen auf, um mit dem Auto fünf Stunden lang zu einer kleinen Stadt vor Buffalo zu fahren, wo seine Familie lebte.
Angesichts der laufenden Suche nach Winslow Greer konnte niemand aus unserem Team an der kleinen, schlichten Zeremonie teilnehmen, die es laut Wasp geben würde. Aber wir freuten uns alle für das Paar. Vom ersten Augenblick, als ich Wasp und Swan kennengelernt hatte, war klar gewesen, dass sie füreinander bestimmt waren.
Diese Art Liebe, die ich zwischen ihnen beobachtet hatte, war etwas, was ich selten gesehen und nie selbst erlebt hatte. Ich bezweifelte, dass ich das je würde.
Meine eigene Mama und mein Daddy waren durchaus glücklich, aber ich könnte nicht sagen, dass sie „wahnsinnig verliebt“ waren, wie Wasp und Swan das zu sein schienen. Aus meiner Sicht tolerierten sie sich und hatten gelernt, im selben Haus zu wohnen, während sie unterschiedliche Leben und Interessen außerhalb davon hatten.
Ich gähnte und nahm das Foto von Winslow, das ich auf den Nachttisch gestellt hatte. Ihre Eltern waren auch noch zusammen, heutzutage eine Seltenheit. Sie unterstützten offensichtlich die Ziele und Bestrebungen ihrer Tochter, angesichts dessen, dass es kein preiswertes Vorhaben war, Olympia-Sportlerin zu werden. Nicht dass die Greer-Familie knapp bei Kasse war. Sie besaßen einen Wohnsitz in Lake Placid, der mehrere Millionen Dollar wert war, ebenso wie ein Apartment in New York City im selben Gebäude, in dem John Lennon einst gewohnt hatte.
Auch wenn viele annehmen könnten, Winslow wäre ein verwöhntes, reiches Mädchen, deuteten die Befragungen, die wir in den letzten Tagen durchgeführt hatten, auf etwas anderes hin.
Die meisten beschrieben sie als jemand mit einem „Herzen aus Gold“. Andere erzählten, dass sie in der Saisonpause unermüdlich dafür arbeitete, Geld für Athletinnen und Athleten zu sammeln, die sich ansonsten diese Art von Training nicht leisten könnten, die ihr Sport erforderte – nicht nur für andere Skiläufer, sondern für alle Sportarten. Sie war außerdem eine große Unterstützerin der Special Olympics.
Ich strich noch einmal mit der Fingerspitze über ihr Foto. Die Welt wäre ein dunklerer Ort ohne Winslow Greer darin. Etwas, das ich nicht zulassen würde, wenn ich es verhindern könnte.
Ich drehte das Foto um, als ich ein Klopfen an meiner Schlafzimmertür hörte.
„Komm rein“, sagte ich.
„Ich hab noch Licht bei dir gesehen“, sagte mein gegenwärtiger Mitbewohner, Keaton „Buster“ Franks. Er und ich teilten uns eine Hütte, oder Camp, wie sie in den Adirondacks genannt wurden.
„Was gibt’s?“, fragte ich.
„Kann nicht schlafen.“
„Kann ich versteh’n.“
„Onyx hat eine Nachricht geschickt, dass ein Neuer an Bord kommt. Er hat angefragt, ob er sich bei uns einquartieren kann.“
Montano „Onyx“ Yáñez war der Boss bei K19 Shadow Operations. Was Anführer anging, würde ich dem Mann jederzeit, überallhin in jede Schlacht folgen. So hoch achtete ich ihn.
„Den Platz haben wir“, antwortete ich. „Mir macht es nichts aus, wenn es dich nicht stört.“
„Nee“, mich stört’s nicht.“ Buster sah auf seine Füße.
„Was?“
„Er hat gefragt, ob es zu spät wäre, dass er jetzt herkommt.“
„Ist mir egal.“
Er zog sein Handy heraus und schickte eine Nachricht los. An Onyx nahm ich an.
„Wer ist der Typ? Weißt du das?“, fragte ich.
„Corbin Vaughn, wird auch Spider genannt.“
„Kommt mir nicht bekannt vor.“
„War früher beim FBI, aber noch wichtiger für die Ermittlung ist, dass er ein ehemaliger Skilaufweltmeister ist.“
„Wie soll das helfen? Winslow Greer ist das erste Kidnapping-Opfer, das eine Verbindung zu dem Sport hat.“
„Er wird verdeckt ermitteln, aber ja, das ist nicht der einzige Grund, warum er hinzugezogen wurde. Er hat bei dem FBI-Programm zur Festnahme von Gewalttätern gearbeitet. Offenbar war er maßgeblich an der Ergreifung des Kerls beteiligt, der über neunzig Morde gestanden hat.“
Ich erinnerte mich gut an den Fall. Tatsächlich war es ein Texas Ranger – nicht das FBI – der den Serienkiller mit den meisten Todesopfern in der Geschichte der USA dazu gebracht hatte, mit seiner Flut an Geständnissen zu beginnen. Seine Mordlust hatte dreißig Jahre lang angehalten, und die Todesursache der meisten seiner Opfer war ursprünglich als Überdosis, Unfall oder unbestimmte Ursache eingestuft worden.
Ich konnte mich auch noch daran erinnern, dass dem Fall vor drei Jahren, als sich das alles ereignete, eine junge Spitzenprofilerin zugeteilt wurde. Und obwohl sie zur Verhaftung des Killers beitrug, lief etwas mit ihrem Täterprofil schief und sie kündigte abrupt beim FBI und setzte sich zur Ruhe – im reifen Alter von sechsundzwanzig Jahren. Das war der einzige Grund, warum ich mich überhaupt an sie erinnerte. Außerdem stammte sie wie ich aus Texas.
Ich hatte nichts davon gehört, dass dieser Vaughn bei dem Fall dabei gewesen war, aber das war nichts Ungewöhnliches. An dem Aufspüren eines Serienkillers waren zahllose Agenten beteiligt, so wie das jetzt auch bei uns war. Es suchte nicht nur K19 nach diesem Scheißkerl; das FBI und die CIA hatten dem Fall mehrere Agenten und Geheimagenten zugewiesen.
Auch wenn Letztere die private Sicherheits- und Geheimdienstfirma, für die ich arbeitete, mit vielen Fällen beauftragte, war dieser nicht von der CIA gekommen. Die ersten drei Opferfamilien hatten meinen Auftraggeber engagiert, um bei der Ermittlung zu helfen, als sie das Gefühl hatten, es gab zu wenig Fortschritte.
„Sonst noch was?“, fragte ich, als mir bewusst wurde, dass Buster noch immer in der Tür stand.
„Also, äh, da ist noch eine Sache.“
Auch wenn er mich gerade nervte, war Buster kein übler Kerl, um sich eine Bude zu teilen. Als ehemaliger Marine Raider – der Spezialkräftearm der USMC – war er fast so knallhart wie nur was. Ich hatte mit Sicherheit schon weitaus schlimmere Mitbewohner. Ich hoffte, dieser Spider würde sich nicht eher als einer von denen erweisen, sondern so einer wie Buster sein.
„Also, was ist es?“, fragte ich.
„Äh …“ Buster deutete zu dem Foto von Winslow, das ich mit der Vorderseite nach unten auf den Nachttisch gelegt hatte. „Er und Winslow hatten mal was miteinander. Ich meine, laut Onyx ist das schon lange her.“
Ich zuckte mit den Schultern, als ob mir die Neuigkeit nicht an die Nieren gehen würde.
Als ich Corbin Vaughn am nächsten Morgen zum ersten Mal begegnete, hasste ich ihn augenblicklich.
„Du musst Cowboy sein“, sagte Spider, als er in die Küche kam, in der ich stand und mir Frühstück machte.
„Hey“, murmelte ich vor mich hin. Ich war sowieso kein großer Redner, aber besonders nicht kurz nach dem Aufstehen.
Wenn wir uns nicht zu einer bestimmten Zeit melden sollten, schlief Buster für gewöhnlich länger als ich. Das ermöglichte es mir, morgens einen Moment für mich zu haben, etwas, an das ich mich gewöhnt hatte, als ich auf einer Ranch aufwuchs.
„Ich kann nachher ein paar Lebensmittel besorgen“, sagte Spider, als er sich selbst eine Tasse Kaffee einschenkte.
Obwohl mein erster Impuls war, ihn ein zweites Mal anzugrummeln, entschied ich mich, nett zu sein und mich mehr anzustrengen. „Buster und ich teilen uns, was hier ist. Einer von uns holt mehr, wenn es nötig ist. Unsere Tagesspesen decken unsere Ausgaben.“
„Habt ihr Zucker da?“, fragte er und öffnete den Schrank, in dem wir ihn aufbewahrten. „Schon gut.“ Er holte die Tüte heraus und schüttete mehr Zucker in die eine Tasse, als ich normalerweise an einem ganzen Tag zu mir nahm.
Gesunde Essgewohnheiten waren wohl nichts, worum sich der Typ kümmerte. Auch wenn ich ein Steak so sehr mochte wie jeder andere, versuchte ich, die Menge, die ich in einer Woche aß, zu beschränken. Ansonsten hielt ich meine Eiweißportion bei zweihundertzwanzig Gramm, aß jeden Tag zwei Tassenmaße voll grünes Gemüse und rundete die meisten Mahlzeiten mit Früchten als Nachtisch ab. Natürlich gab es Ausnahmen. Ich mochte mein Bier kalt und meinen Whiskey pur, aber wenn wir einfach nur zu Hause abhingen, brauchte ich nicht jeden Abend in der Woche Alkohol zu trinken.
In der Hoffnung er würde die Küche verlassen, schlug ich drei Eier in eine Pfanne auf und steckte eine Scheibe glutenfreies Brot in den Toaster.
„Morgen“, hörte ich Buster sagen, als ich gerade meine Ohrhörer einstecken wollte.
„Hey“, sagte ich wie vorher bei Spider.
„Ich weiß nicht, wie du Tag für Tag das Gleiche essen kannst. Himmel. Wirst du Eier nicht leid?“ Er verzog angeekelt das Gesicht, als ich ihn über die Schulter ansah.
„Besser als der Mist, den du isst.“
„Es ist nichts Falsches an Frühstücksflocken mit Zuckerguss.“
„Da wären ein paar Länder anderer Meinung.“
Buster lachte. „Ein bisschen Zucker und Salz werden dich nicht umbringen. Genau genommen vielleicht doch.“ Er tätschelte seinen Bauch. „Ich arbeite es mir aber ab.“
„Eines Tages werde ich mit dir gleichziehen.“ Ich ließ meine Eier auf einen Teller gleiten.
„Er ist Mister Gesundheitsbewusst“, murmelte Buster Spider zu. „Ich eher nicht.“
„Ich auch nicht“, gab Spider zurück.
Ich steckte mir die Ohrhörer in der Hoffnung in die Ohren, sie würden den Wink kapieren und die Klappe halten. Taten sie nicht, also nahm ich meine Eier mit raus auf die Terrasse, wo die einzigen Geräusche vom Rascheln neuer Blätter an den Bäumen und den beiden Seetauchern kommen würden, die sich am Canada Lake niedergelassen hatten.
„Wo ist sie?“, sagte ich zu den beiden Vögeln, die ich mittlerweile als meine Morgen- und Abendbesucher betrachtete. Es war nicht das erste Mal, dass ich gefragt hatte. Was, wenn sie antworten könnten, wie sie das in den Zeichentrickfilmen getan hatten, die ich als Kind geguckt hatte? Wenn mir die Geschöpfe des Waldes doch nur berichten könnten, was sie sahen, wohin der oder die Mörder ihre Opfer brachten, und am wichtigsten, wo Winslow war.
Ich rieb mir übers Gesicht und blickte zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Vielleicht würde später am Morgen die Sonne durchbrechen und die Temperatur ansteigen. Obwohl ich schon seit Wochen hier war, hatte ich mich noch immer nicht daran gewöhnt, wie verdammt kalt es war. Vielleicht hätte ich mich nicht so viel über die Hitze von Texas beklagen sollen, für die ich jetzt alles geben würde.
Meine Schultern spannten sich an, als ich die Schiebetür aufgehen hörte, und ich nahm meinen Teller, um hineinzugehen.
„Ranger hat angerufen“, sagte Buster, ehe ich dazu kam aufzustehen. Owen „Ranger“ Messick war der zweite Mann in der Befehlskette unserer Einheit. „Er sagte etwas von Eisschmelze, was vermutlich heißt, dass das Tauchteam nach der Einsatzbesprechung anfangen kann.“
„Das bedeutet, dass der See aufgetaut ist. Was er nicht ist.“ So viel konnte ich beim bloßen Hinsehen erkennen. „Heute wird’s keinen Tauchgang geben. Wahrscheinlich die ganze Woche nicht.“
„Hab ich mir auch schon gedacht. Gehst du rein, wenn es so weit ist?“
Ich rieb mir ein zweites Mal über das Gesicht. „Ja.“
Als Mitglied der Spezialtaktiktruppe der US Air Force wurde ich in der Tauchschule für Kampftaucher der Spezialkräfte der US-Armee in Key West ausgebildet. Das war nur einer der sieben Spezialkurse, die ich absolviert hatte, um das zu werden, was bei der Air Force Rettungsfallschirmspringer genannt wurde. Zusätzlich zu diesen sieben absolvierte ich noch zehn weitere auf der nächsten Stufe der Vorschubaufklärungs-Ausbildung, zu der fünf Wochen Spezialkriegsführungs-Kampftauchen gehörten. Wenn es ums Tauchen ging, zählte man mich zu den Besten der Welt.
Was Busters Frage betraf, ob ich reingehen würde, ganz so einfach würde die Suche nicht werden. Ehe Taucherteams ins Wasser gingen, würde der See zuerst kartografiert, in Quadranten, dann in Unterquadranten aufgeteilt und dann immer weiter unterteilt werden. Danach würden die Unterwassersuchteams mit Seitensichtsonar und Wasserdrohnen beginnen, nach verdächtigen Objekten zu suchen – hauptsächlich Skelettüberresten.
Die Temperatur des Sees mochte die Zeit verlängern, aber sogar mit Gewichten beschwerte Leichen würden nach drei oder vier Tagen an die Oberfläche treiben, wo sie von den Resteverwertern der Natur zerstückelt wurden.
Der andere Faktor wären die Körpermaße der Opfer. Die Leiche einer fettleibigen Person würde bei weitem schneller an die Oberfläche treiben als die einer dünneren Person, angesichts der Menge an Gas, die durch Fett produziert wurde. So oder so, nach ungefähr einer Woche – maximal zwei Wochen – wären nur noch Knochen übrig, die auf den Seegrund sinken würden.
Wenn das Sonar oder die Drohnen auf deren Vorhandensein hinwiesen, würden Tauchteams ins Wasser gehen, um dem weiter nachzugehen. Abhängig davon, was gefunden wurde, und in welcher Tiefe, gab es die Möglichkeit, dass auch autonome Unterwasserfahrzeuge eingesetzt wurden.
Buster zog einen Stuhl heraus und setzte sich. „Selbst wenn du reingehst, könnte es sein, dass du nichts in diesem See findest.“
„Niemand“, murmelte ich vor mich hin.
„Du weißt, was ich meine.“
Er hatte recht. Das wusste ich. Nur hasste ich es, von Opfern als Sachen zu denken.
„Laut Ranger gibt es um die dreitausend Seen in diesem Park.“
Ich hatte eine ähnliche Anzahl gehört, wenn es auch nicht alles Seen waren. Manche waren gerade mal Teiche. Wie dem auch sei, aufgrund der Information, die wir hatten, befanden sich „andere in dem See“. Im Hinblick darauf, dass der Kerl, der Wasp gefangen gehalten hatte, auch gesagt hatte, er würde warten, bis es dunkel war, wie er es „vorher“ gemacht hatte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir mindestens zwei Leichen finden würden. Ich fürchtete allerdings, es würden mehr sein.
Ob eine oder keine dort wären, betete ich, dass wir eine nicht finden würden. Auch wenn ich es nicht erklären könnte, sagte mir mein Bauchgefühl, dass Winslow Greer noch lebte. Das Letzte, was ich wollte, war, dass mir das Gegenteil bewiesen wurde. In jedem Fall würden wir nicht sofort eine endgültige Antwort bekommen. Der Canada Lake umfasste etwas über dreieinhalb Quadratkilometer und war einer der tiefsten Seen in den Adirondacks. Durch den West Lake, der durch einen Zufluss mit ihm verbunden war, kam noch einmal fast ein Quadratkilometer hinzu.
Der in der Nähe liegende Caroga Lake, unterteilt in Ost und West, hatte weitere zwei Quadratkilometer Seegrund, die abzusuchen waren. Wir konnten jeden Tag von heute an, bis die Seen wieder zufroren, auf die Suche verwenden und hätten nicht genügend Zeit, sie alle zu überprüfen.
„Jedenfalls hat Ranger mich gebeten, dir zu sagen, dass Onyx die Einsatznachbesprechung auf nullachthundert verschoben hat.“
Ich sah auf meinem Handy nach der Uhrzeit. Das war in etwas mehr als einer Stunde. „In Ordnung.“ Ich stand auf und trug mein Frühstücksgeschirr hinein.
Der Hauptraum war voll und die Laune war finster, als Buster, Spider und ich in die Kommandozentrale kamen, die auf der Seite des Sees gegenüber von unserem Camp in einer Forstdienstlodge eingerichtet worden war.
„Auf wen warten wir?“, hörte ich Onyx Ranger fragen, seinen Stellvertreter.
„Auf Wasp und Swan. Ach, und auf Admiral, aber ich habe eine Nachricht bekommen, dass er auf Doc und Merrigans Ankunft am Flugplatz warten würde, damit er sie herfahren könnte.“
„An welchem?“, fragte Onyx.
„Johnstown.“
Da der Flugplatz nur für private Flugzeuge einer beschränkten Größe war, hieß das, sie würden mit einem der kleineren Flugzeuge von K19 Security Solutions – der Dachorganisation von Shadow Ops – einfliegen.
„Wann soll ihr Flug ankommen?“
Ehe Ranger antworten konnte, schwang die zweiflügelige Vordertür auf und Wasp und Swan kamen herein. Onyx ging zuerst zu dem Paar.
„Willkommen zurück und herzlichen Glückwunsch“, sagte er und umarmte Swan und ihren Ehemann.
Obwohl das frischverheiratete Paar lächelte, war der Schmerz in ihren Augen offensichtlich, den wir alle fühlten.
„Da Merrigan und Doc sich per Video in die erste Einsatznachbesprechung eingeschaltet haben, werden wir nicht auf Admirals und ihre Ankunft warten, um anzufangen.“ Onyx bedeutete uns, an den Tischen Platz zu nehmen, die in dem großen Raum aufgestellt worden waren.
Als wir saßen, fuhr er fort. „Ich habe Swan gebeten, Wasps Schilderung der Folge von Ereignissen festzuhalten, die zu seiner Geiselnahme führten. Können wir diese Notizen jetzt durchgehen?“
„Natürlich“, antwortete Swan und drehte dann ihren Laptop, sodass Wasp den Bildschirm sehen konnte.
Er räusperte sich. „Am neunundzwanzigsten März um circa dreizehnhundert Uhr verließ ich die Kommandozentrale hier in der Forstlodge, um einen Spaziergang im Wald am Nordufer des Canada Lake zu machen.“
Als er die Augen schloss und sich ein gequälter Ausdruck auf sein Gesicht legte, wussten die Anwesenden in dem Raum, dass er aufgehört hatte, die Ereignisse abzulesen und sie jetzt erneut durchlebte.
„Ich spürte, wie eine Nadel in meinen Schenkel gestochen wurde und ehe ich mich versah, war ich gefesselt und geknebelt.“
Wie Wasp schloss ich die Augen. Aber statt mir ihn vorzustellen, konnte ich nur Winslow sehen, gefesselt, wie er es gewesen war. In schrecklicher Angst. Oder schlimmer. Ich schob meinen Stuhl zurück, stand auf und ging auf die andere Seite des Raumes, als ich das Gefühl hatte, gleich aus meiner Haut zu kriechen. Ich bezweifelte, dass es jemand am Tisch mitbekommen hatte, und wenn doch, wäre meine Reaktion nicht überraschend. Irgendwann erreichte jede Person, die an diesem Fall mitarbeitete, ihre Grenze der Belastbarkeit und musste sich neu sammeln.
So gern ich hinausgegangen wäre, um meine Lunge mit frischer Luft zu füllen, konnte ich das nicht tun. Ich musste in Hörweite bleiben und mir jedes Wort von Wasps Martyrium anhören.
„Er fragte, mit wem auch immer er am Handy gesprochen hat: ‚Wenn ich ihn umbringe, kann ich sie haben?‘“
Von Wasps Wiedergabe wurde mir so übel, dass ich mich mit einer Hand an der Wand abstützen musste.
„Bist du okay?“, fragte Ranger, als er zu mir herüberkam.
„Dies hier … Es ist härter.“
Er drückte meine Schulter. „Das verstehe ich.“
Ich schüttelte sie ab und ging wieder zu meinem Sitzplatz zurück, wobei ich jeden Blickkontakt vermied. Als Wasp zu dem Teil kam, als Ranger und Swan zur Tür des Camps hineinstürzten, begegneten sich Mayhems und mein Blick. Er war ein ehemaliger MI6-Agent, den K19 hinzugezogen hatte, um bei der Ermittlung zu helfen. Er und ich hatten an der anderen Seite des Gebäudes Stellung bezogen und waren gleich nach ihnen hineingestürzt, nur um zu sehen, wie der Kidnapper sich seine Waffe an den Kopf gehalten und abgedrückt hatte.
Die Geschichte, die Wasp erzählte, ähnelte der eines anderen Opfers, Bryar Davies. Sie war von einer Frau namens Patricia Fasano entführt worden. Ein wesentlicher Unterschied war, dass ich derjenige war, der die Frau einen Sekundenbruchteil bevor sie Bryar umbrachte, getötet hatte. An dem Tag, an dem sie starb, waren mehrere Schüsse gleichzeitig abgegeben worden, aber ich hatte aufgepasst, und es war meine Kugel gewesen, die direkt in ihr bösartiges, schwarzes Herz traf.
Fasano hatte auch am Handy mit jemandem gesprochen, der ihr den Befehl gegeben hatte zu töten. Wer zum Teufel war dieser gottverdammte Marionettenspieler?
„Was?“, fragte ich Mayhem, als es still im Raum wurde, aber sein Blick auf mich gerichtet blieb.
„Hanadarko“, sagte er beinahe zu leise, um es zu verstehen.
Onyx stützte die verschränkten Arme auf dem Tisch ab und beugte sich vor. „Was ist mit ihr?“
„Wer ist Hanadarko?“, fragte einer der neueren Männer, die die CIA geschickt hatte.
„Was ist mit ihr, Mayhem?“ Onyx ignorierte den Agenten.
„Wir brauchen sie hier unbedingt.“
„Wer ist Hanadarko?“, wiederholte der Agent und ignorierte den genervten Blick, den Ranger ihm zuwarf.
„Eine Profilerin.“ Mayhem blickte zur Decke rauf. „Die Beste, die es gibt.“
„War“, berichtigte Spider.
Ich konnte den Ausdruck auf Mayhems Gesicht nicht deuten, als er den Mann musterte, der die Klarstellung von sich gegeben hatte, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, es war Wut.
Die Tür öffnete sich und Special Agent Pershing „Admiral“ Kane kam herein, gefolgt von Doc und Merrigan Butler, den beiden leitenden Partnern von K19 Security Solutions. Auch wenn ich Ranger als meinen Chef ansah und Onyx als seinen, standen die beiden dem Mann und der Frau Rede und Antwort, deren Präsenz den Luftstrom im Raum änderte.
„Entschuldige die Unterbrechung, Onyx“, sagte Merrigan, auch bekannt als Fatale, die auch eine ehemalige MI6-Agentin war. „Bitte mach weiter.“
Onyx nickte zuerst ihr zu, dann Doc und Admiral, die Platz nahmen, nachdem Merrigan sich auf den freien Stuhl neben Swan gesetzt hatte. Ich sah, wie sie hinübergriff und deren Hand drückte.
„Jedenfalls“, sprach Wasp weiter, „seid ihr da alle aufgetaucht. Ich brauche euch nicht zu erzählen, was von da an passiert ist.“
„Was habt ihr über den Mann in Erfahrung gebracht?“, fragte Swan.
Onyx wandte sich zu mir.
„Brock Phillips. Alter siebenunddreißig. Adoptierter Sohn von Peter und Liz Phillips. Liz starb, als Brock dreizehn war. Peter arbeitete als Hausmeister auf dem Anwesen, wo Wasp gefangen gehalten wurde, als es ein lutherisches Kirchencamp war.“
„Ich wusste gar nicht, dass Pete einen Sohn hatte“, sagte Ranger. „Adoptiert oder sonst einen.“
„Er wurde als Kleinkind adoptiert. Die letzte Information, die ich finden konnte, war sein Besuch der Wheelerville Public School. In der neunten Klasse hat er die Schule abgebrochen.“
„Keine Akten über Verhaftungen?“, fragte Onyx.
„Nichts. Der einzige Grund, warum er so leicht identifiziert werden konnte, war, weil er im System für Pflegekinder war, ehe die Phillips ihn adoptierten.“
Swan sah zu mir herüber und legte fragend den Kopf schräg.
„Im System für Pflegekinder ist es das Standardverfahren, die Fingerabdrücke der Kinder abzunehmen.“
„Verstanden“, murmelte sie.
„Wann starb Phillips?“, fragte Onyx.
Ich sah meine Notizen durch. „Im Juni vor acht Jahren. Dasselbe Jahr, in dem sein Sohn die Schule abbrach.“
Onyx trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. „Also hat sich der Typ da die ganze Zeit allein vergraben? Keiner hat es bemerkt?“
Ranger, der die meiste Zeit seines Lebens in der Gegend gewohnt hatte, schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Wie in jeder kleinen Stadt ist Canada Lake voller Leute, die es definitiv mitbekommen hätten. Die Großmutter meiner Frau ist eine von ihnen.“
Onyx lächelte. „Ja, Mary hätte es mit Sicherheit gewusst.“ Er sah in die Runde am Tisch und dann zu mir. „Also, wo ist er gewesen?“
Angesichts dessen, dass ich ihm bereits gesagt hatte, dass meine letzte Information zu dem Typen seine Schulakte war, wusste ich, dass Onyx’ Frage rhetorisch war. Da wir jedoch nicht in der Lage gewesen waren, Informationen vom Handy des Toten zu bekommen, kämen wir vielleicht dahinter, mit wem er gesprochen hatte, wenn wir mehr über die letzten Jahre seines Lebens wüssten.
„Lasst uns über Winslow Greer sprechen. Haben die Eltern einen Anruf mit einer Lösegeldforderung erhalten?“, fragte Onyx.
„Bis jetzt nicht“, antwortete Ranger. „Außerdem hatte ich Kontakt mit Arnst. Er ist gestern raufgefahren, um sich mit Ihnen zu treffen.“
Francis Arnst war der Anwalt, der die drei Familien vertrat, die K19 Shadow Ops ursprünglich engagiert hatten, um den Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung zu helfen. Nach dem, was ich gehört hatte, war der Mann seit Jahren der Anwalt von Rangers Familie. Er vertrat außerdem die Familie von Rangers Frau. Wie ihr Ehemann hatte Maisie die meiste Zeit ihres Lebens in der unmittelbaren Gegend verbracht. Im Hinblick darauf, dass Winslows Familie ein Haus in Lake Placid hatte, drei Stunden nördlich von Canada Lake, war ich überrascht, dass Arnst sie auch vertrat.
„Wie ist Arnsts Verbindung zur Greer-Familie?“, stellte Onyx die gleiche Frage, die ich hatte stellen wollen.
„Ich glaube nicht, dass er eine hatte, bevor ihre Tochter entführt wurde. Soweit ich weiß, hat er sich auf Anregung der anderen Familien an sie gewandt“, antwortete Admiral, der Leiter des FBI bei diesem Fall.
Onyx wandte sich zu mir. „Cowboy?“
„Ja, Sir?“
„Ich habe die Information erhalten, dass der See nicht so weit getaut ist, wie ursprünglich angenommen, es wird also noch ein paar Tage lang keine Wassersuche stattfinden. Ich möchte, dass du dich nach Lake Placid aufmachst. Machen wir noch einen weiteren Versuch, Zeugen zu finden, die an dem Morgen, an dem Ms. Greer verschwand, vielleicht etwas gesehen oder gehört haben. Nimm –“
„Ich fahre mit ihm“, unterbrach Mayhem ihn.
Onyx kniff die Augen zusammen, nickte aber. „Wenn es nichts weiter gibt, könnt ihr beide losfahren.“
„Ich fahre“, sagte ich, als wir draußen waren.
Mayhem folgte mir zu meinem Truck, sagte aber nichts, bis wir ungefähr zwanzig Minuten nördlich der Kommandozentrale waren.
„Hoffe, es stört dich nicht, dass ich mich gemeldet habe mitzukommen. Ich musste da raus.“
„Schon gut, und ich musste auch da raus. Also, äh, du hast Hanadarko angesprochen. Besteht die Chance, dass sie aus ihrem Ruhestand kommt?“
Mayhem schüttelte den Kopf. „Absolut keine.“
„Wie gut kennst du sie?“
Er atmete tief ein und langsam wieder aus. „Gut genug, um sicher zu sein.“
„Warum hat sie gekündigt? Ich hörte, es wäre etwas ernsthaft schiefgelaufen mit ihrem Täterprofil.“
Mayhem schüttelte den Kopf. „Wenn es nur so einfach wäre.“
Ferrone ließ mich für den Rest des Tages und vier weitere allein, nachdem er die Nachricht erhalten hatte, die ihn so tief bestürzt gemacht hatte. Außer mir Essen zu bringen, war die einzige Ausnahme, mir tagsüber alle drei oder vier Stunden Toilettenpausen zu gewähren. Er sprach jedes Mal überhaupt nicht, wenn er die Beinschellen öffnete, mich vom Stuhl hochzog und mich praktisch in das andere Zimmer zerrte.
Heute spürte ich, dass seine Laune sogar noch schlechter war, als er meinen Arm so fest packte, dass es wehtat.
Dann, heute Abend, zögerte er, ehe er mich mit dem Gesicht voran aufs Bett stieß, mein rechtes Bein zum Bettende riss und die Schelle schloss. Zum ersten Mal in diesem Martyrium bezwang die Furcht meinen Überlebenswillen.
Hatte er vor, sich an mir zu vergehen? Schlimmer noch, mich zu töten? Auch wenn ich wusste, dass ich versuchen sollte, ihn für mich einzunehmen, dafür zu sorgen, dass er mich als Menschen wahrnahm, konnte ich mich nicht überwinden zu sprechen, auch nicht, als er am Bett stand und mich musterte.
Ich weinte Tränen der Erleichterung, als er das Zimmer verließ.
Irgendwann schlief ich ein, wurde aber hellwach, als ich mich im Schlaf drehte, ein Klicken hörte und in der Lage war, eine Hand aus der Schelle zu befreien. Ich fasste hinunter und öffnete die Beinfessel, etwas, bei dem ich wusste, wie es geht, nachdem ich ihn so oft dabei beobachtet hatte, wie er sie anlegte. Es dauerte etwas, bis ich stehen konnte, da mein rechtes Bein taub war, aber nachdem ich es wach geschüttelt hatte, ging ich auf Zehenspitzen zur Schlafzimmertür.
Wenn Ferrone auf der anderen Seite wartete, war ich so gut wie tot, aber ich hatte diese Chance bekommen, und ich musste zumindest versuchen zu entkommen.
Nachdem ich die Tür langsam und so leise wie möglich geöffnet hatte, schlich ich hinüber zur Treppe. Gerade als ich sie erreichte, glaubte ich, ein Geräusch hinter mir gehört zu haben. Statt mir Gedanken darüber zu machen, leise zu sein, ergriff ich die Flucht. Ich rannte die Stufen hinauf, so schnell ich konnte, und sprintete durch eine Tür, die nach draußen führte.
Ich war barfuß und eine Handschelle war noch immer an meinem linken Handgelenk, aber ich rannte weiter. Als ich aus der anderen Richtung ein Auto herankommen sah, lief ich eilig auf die Straße, winkte mit beiden Armen und schrie um Hilfe.
„Ich bin Winslow Greer“, rief ich, als das Paar anhielt. „Ich muss zur Polizei.“
Der Mann und die Frau stiegen beide aus, und obwohl ich wusste, dass sie mir Fragen stellten, als sie mir in ihr Auto halfen, konnte ich mich nicht genügend konzentrieren, um zu antworten, außer immer wieder zu wiederholen, dass ich zur Polizeiwache musste.
Ich lag wach und betrachtete Winslows Foto, wie ich es jede Nacht machte, als mein Handy klingelte.
„Cassidy.“