Der Drachentöter - Wolfgang Hohlbein - E-Book
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Der Drachentöter E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Eine uralte Legende wird neu erzählt: „Der Drachentöter“ von Kultautor Wolfgang Hohlbein jetzt als eBook bei jumpbooks. Eigentlich soll der junge Siegfried den Thron von Santen erben – aber ist er mit seinem ungestümen und rebellischen Charakter der Königswürde gewachsen? Sein Vater schickt den jungen Krieger darum hinaus in die Welt: Hier soll er lernen, was wahre Stärke ist. Siegfried stürzt sich mit Feuereifer in das Abenteuer. Doch bald muss er erfahren, welche Gefahren in den tiefen Wäldern verborgen sind – und was es bedeutet, wenn das Schicksal eines ganzen Volkes auf den eigenen Schultern ruht … Eine fesselnde Neuerzählung des Nibelungen-Epos von Beststellerautor Wolfgang Hohlbein. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Der Drachentöter“ von Wolfgang Hohlbein für Leser ab 12 Jahren. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

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Seitenzahl: 326

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Über dieses Buch:

Eigentlich soll der junge Siegfried den Thron von Santen erben – aber ist er mit seinem ungestümen und rebellischen Charakter der Königswürde gewachsen? Sein Vater schickt den jungen Krieger darum hinaus in die Welt: Hier soll er lernen, was wahre Stärke ist. Siegfried stürzt sich mit Feuereifer in das Abenteuer. Doch bald muss er erfahren, welche Gefahren in den tiefen Wäldern verborgen sind – und was es bedeutet, wenn das Schicksal eines ganzen Volkes auf den eigenen Schultern ruht …

Eine fesselnde Neuerzählung des Nibelungen-Epos von Beststellerautor Wolfgang Hohlbein.

Über den Autor:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch Märchenmond. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.

Der Autor im Internet: www.hohlbein.de

Bei jumpbooks erscheint von Wolfgang Hohlbein: Der weiße Ritter – Erster Roman: WolfsnebelDer weiße Ritter – Zweiter Roman: SchattentanzNach dem großen FeuerIthaka

***

eBook-Neuausgabe September 2016

Copyright © der Originalausgabe 1989 by Loewes Verlag, Bindlach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs 

Titelbildabbildung: © Dusan Kostic (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-175-3

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Wolfgang Hohlbein

Der Drachentöter

Roman

jumpbooks

Kapitel 1Mime, der Schmied

Es dämmerte bereits, als Siegfrid auf seinem grauen Pferd endlich den Wald erreichte. Den Helm über das blonde Haar zurückgeschoben, lenkte der junge Mann sein Tier sorgsam auf den von dornigem Gestrüpp und Unkraut überwucherten Pfad. Unter dem geschlossenen Blätterdach des Waldes war schon die Dunkelheit hereingebrochen. Es war sehr still hier. Grani, der bisher flott getrabt war und manchmal vor Vergnügen über den Ritt geschnaubt hatte, wurde nervös. Siegfrid tätschelte den Hals seines Grauen, doch auch er spürte deutlich ein Unbehagen; solch eine Ruhe war ihm fremd. Dennoch trieb er Grani entschlossen voran.

Als nach knapp einer Stunde Weges ein blasses rötliches Licht weit vor ihnen aufglühte und kurz darauf das helle kling-klang-kling eiserner Schmiedehämmer die Stille des Abends vertrieb, atmete Siegfrid auf. »Das muß die Schmiede sein«, sagte er und ließ das Pferd schneller gehen. Bald tat sich vor ihnen eine Lichtung auf – rund wie mit einem Zirkel gezogen und überschirmt von den Kronen gewaltiger Bäume, die sich wie grünblättrige Arme ineinander verschränkt hatten, so daß eine Art Höhle entstanden war.

In ihrer Mitte stand die Schmiede.

Siegfrid zügelte sein Pferd.

Die Schmiede war kaum größer als das Gesindehaus in Santen; ein lieblos gemauertes Rechteck von höchstens zehn auf zwanzig Schritt Größe, mit einem spitzen Strohdach, das von drei mächtig rauchenden Essen durchbrochen wurde. Aus den Fenstern drang das düstere rote Licht glühender Kohle. Gelegentlich schlugen Funken aus den Essen und sanken wie tanzende Glühwürmchen auf das Dach herab, und Siegfrid fragte sich unwillkürlich, wieso das Haus nicht schon vor Jahren abgebrannt war.

Sein erster Gedanke beim Anblick der gottverlassenen Schmiede war es gewesen, das Pferd leise zu wenden und sich davonzumachen, ehe ihn jemand bemerkte. Doch das Versprechen, das er seinem Vater am Ende eines sehr langen und ernsten Gesprächs gegeben hatte, lastete auf seinem Gewissen. Im allgemeinen machte er sich nicht viel aus vernünftigen Überlegungen und Vorsätzen; aber wenn es irgend jemand auf der Welt gab, vor dem der ungestüme Siegfrid Respekt hatte, dann war es sein Vater, König Siegmund von Santen. Und der hatte ihm vor wenigen Tagen schwere Vorwürfe gemacht – das war anläßlich der Schwertleihe gewesen:

»So geht es nicht weiter, Siegfrid«, hatte er ihn gemahnt. »Es geht nicht an, daß du Pferde zuschanden reitest und Männer halb totschlägst, nur um deine Kräfte zu erproben. – Du warst schon als Knabe viel stärker als die anderen. Das ist nicht deine Schuld. Aber einem Kind vergibt man es, wenn es seine Kräfte nicht zu bändigen weiß und Schaden anrichtet. Einem Mann nicht. Du mußt lernen, dich zu zügeln. Und du wirst einsehen, daß wahre Stärke etwas anderes ist als bloße körperliche Kraft.« Der Vater hatte rasch und abwehrend die Hand gehoben, als Siegfrid antworten wollte, und war mit leicht gesenkter, aber unvermindert fester Stimme fortgefahren: »Bald wirst du auf dem Thron Santens sitzen und als König viel Macht haben. Deshalb mußt du nötiger als jeder andere lernen, für dein Tun die Verantwortung zu übernehmen, willst du nicht, daß Santen in einem Meer von Blut versinkt.«

Das waren starke Worte gewesen, und Siegfrid hatte gespürt, daß es seinem Vater bitterer Ernst damit war. König Siegmund war mit energischem Schritt auf ihn zugekommen und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. »Es gibt jemanden, der dich lehren wird, deine Kräfte zu beherrschen und zu denken und zu handeln wie ein König und nicht wie ein Knabe. Wir haben beschlossen, dich zu Mime zu schicken.«

Der Gedanke, bei Mime, dem Zwerg, in eine Schmiedelehre zu gehen, war für Siegfrid so überraschend und so furchtbar gewesen, daß er aufgeschrien hatte und zu allen möglichen Zugeständnissen bereit gewesen wäre, um dieses Schicksal abzuwenden.

Doch König Siegmund und selbst Königin Sieglinde waren hart geblieben, und so hatte Siegfrid schließlich versprochen, zu Mime zu gehen.

Und nun war er da.

Siegfrid seufzte tief, als er an dieses Versprechen dachte. Doch dann lenkte er Grani zur Tür der Schmiede. Dort stieg er aus dem Sattel und trat gebückt durch den niedrigen Eingang.

Das Innere des Hauses gefiel ihm noch weniger als das Äußere. Es gab nur einen einzigen, vom düsteren roten Licht der Essen erfüllten Raum, der dem Schmied und seinen Gesellen als Werkstatt wie auch als Schlaf- und Wohnkammer dienen mußte. In einer Ecke gewahrte Siegfrid drei Bündel Stroh, auf denen zerschlissene Decken lagen, daneben einen aus Brettern roh zusammengezimmerten Tisch und drei Hocker. Drei Männer – einer von ihnen so klein, daß er Siegfrid nicht einmal bis zur Brust reichte, aber so breitschultrig, daß er beinahe buckelig aussah – standen mit dem Rücken zum Eingang vor dem Schmiedefeuer und ließen die Hämmer sausen, daß die Funken stoben.

Obwohl Siegfrid sicher war, kein Geräusch verursacht zu haben, ließ Mime – denn um niemand anderen konnte es sich bei dem Kleinen handeln – auch schon seinen Hammer sinken und wandte sich zu ihm um. Dem Blick, den Mime ihm zuwarf, hielt Siegfrid kaum stand, denn darin brannte ein Feuer, das heißer als die Flammen einer Esse zu sein schien und das beinahe menschliche Äußere Mimes Lügen strafte.

Der Zwerg war nicht viel größer als ein Kind, doch er hatte das Gesicht eines harten Mannes, eines sehr harten Mannes: kantig und grau, mit tiefen, wie von einem Messer gefurchten Linien. Eingefaßt wurde es von einem schwarzen Vollbart, der so kurz geschnitten war wie das glänzende blauschwarze Haar des Albs. Die dunklen Augen hielten Siegfrid nur einen Moment lang fest, doch dem schien es, als würde ihn die Ewigkeit prüfen. Dann huschte ein rasches und – wie Siegfrid mit Unbehagen registrierte – nicht sehr herzliches Lächeln über Mimes Züge.

»Du mußt Siegfrid von Santen sein«, sagte er, »König Siegmunds Sohn.«

Mimes Stimme verwirrte Siegfrid, denn sie klang weich und dunkel, und doch spürte er, daß die Freundlichkeit darin nicht echt war.

»Mein Vater schickt mich her.« Siegfrid suchte ein wenig unsicher nach den richtigen Worten.

Aber Mime unterbrach ihn mit einer unwilligen Geste, deutete erst zum Ausgang und dann auf die drei Strohbündel in der Ecke und sagte: »Du kannst dein Pferd in den Schuppen stellen, der hinter dem Haus ist. Und bring gleich Stroh und deine Decken mit, damit du einen Platz zum Schlafen hast.« Er runzelte die Stirn, betrachtete mißbilligend Siegfrids Kleider. »Zieh dich um«, fügte er hinzu. »Dein Rock ist vielleicht gut für ein Turnier, aber er taugt nichts für die Arbeit in einer Schmiede.«

Siegfrid hatte schon eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, doch er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und gehorchte. Draußen beeilte er sich nicht sehr, Mimes Anweisungen zu folgen, sondern lud Sattel, Decken und die Kleider, die er mitgebracht hatte, umständlich von Granis breitem Rücken, der tief durchatmete und froh schnaubte. Siegfrid führte den Grauen am Halfter in den Schuppen, den Mime ihm zugewiesen hatte, und gab ihm aus einem Eimer zu saufen.

Umständlich und sehr viel langsamer, als es notwendig gewesen wäre, schlüpfte er dann aus seinem weißen Prachtgewand, legte Kettenhemd und Reithosen ab und wählte die gröbsten und einfachsten Gewänder, die ihm der Haushofmeister Santens mitgegeben hatte. Schild, Ger und Rüstung legte er sorgsam auf eine Eichentruhe, band aber Waffengurt und Schwert wieder um, nachdem er Grani gefüttert hatte. Dann erst ging er zurück in die Schmiede.

Mime empfing ihn mit einem unwilligen Stirnrunzeln, verlor aber nicht das geringste Wort, sondern deutete nur stumm auf die Ecke, in der die Strohbetten lagen. Siegfrid verstand. Er legte sein Bündel und seine Decken ab und trat zur Esse. Auch die beiden anderen hielten nun in ihrem Tun inne und sahen ihm mit einer Mischung aus Neugier und Herablassung entgegen.

Siegfrid betrachtete diese Männer nur kurz. Beide waren weit älter als er und so muskulös und kantig wie Mime selbst. Ihre Haut war grau, und ihre nackten Oberkörper, die im Widerschein des Feuers vor Schweiß glänzten, waren mit kleinen und größeren Brandnarben übersät, deutlichen Zeichen der langen Jahre, in denen sie mit glühendem Eisen und brennender Kohle hantiert hatten. Mime stellte die beiden Siegfrid vor. Der eine hieß Wieland und war Mimes bester Schüler. Der andere hieß Rother. Dann maß Mime Siegfrid abermals mit einem langen Blick, schüttelte den Kopf – und riß ihm mit einer einzigen, raschen Bewegung die Ärmel aus dem Hemd.

»Tand«, sagte er abfällig, ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß Siegfrid empört zurückgesprungen war. »Dein Vater hatte recht mit dem, was er mir schrieb. Du mußt noch viel lernen, sehr viel. Diese Kleider mögen dort, wo du herkommst, nützlich sein, aber hier am Schmiedefeuer behindern sie dich nur. Und was soll dieses Schwert?« Er hatte die Hand ausgestreckt und Siegfrid das Schwert aus dem Gürtel gezogen, ehe er es verhindern konnte. Einen Moment lang drehte Mime die Waffe stirnrunzelnd in den Händen, dann trat er wieder einen Schritt zurück, packte die Klinge mit beiden Händen – und brach sie scheinbar mühelos in zwei Teile.

»He!« Das war Siegfrid zuviel. »Was fällt Euch ein? Dieses Schwert ist ein nichtsnutziges Spielzeug«, fiel ihm Mime gereizt ins Wort, »ein blinkendes Ding, das vielleicht schön aussieht, das aber zerbricht, sobald es das erstemal auf einen Helm oder ein richtiges Schwert prallt.« Er spie aus. »Du willst ein Mann sein und ein Schwert führen? Wohlan, dann nimm dir Hammer und Eisen, und schmiede dir ein Schwert!«

Mit einem Lächeln hielt er ein Eisenstück ins Feuer, bis es in dunklem Kirschrot zu glühen begann, und legte die Stange dann auf den Amboß, der daneben stand. »Nimm dir einen Hammer und schlag zu«, forderte er Siegfrid auf. »Ein gutes Schwert will rasch geschmiedet sein und mit der gleichen Kraft, mit der es später geführt wird.«

Siegfrid musterte erst den Zwerg, dann seine beiden Gesellen, die mit kaum verhohlener Schadenfreude dastanden und abwechselnd ihn und die armlange, glühende Eisenstange betrachteten, zuckte mit den Schultern und griff nach dem größten Hammer. Er war noch schwerer, als er aussah, doch Siegfrid riß ihn mit einem Ruck in die Höhe und schwang ihn hoch über den Kopf. Seine gewaltigen Muskeln spannten sich, als das Werkzeug mit aller Kraft auf Eisen und Amboß niederkrachte.

Der Hieb ließ die ganze Schmiede erbeben. Mime sprang mit einem erschrockenen Kreischen zur Seite, als der Hammer wie Glas in Scherben zerbrach und die Eisenstange funkensprühend stob. Spritzer von rotglühendem Eisen flogen durch die Schmiede und setzten eines der Strohbetten in Brand, während sich andere zischend in Boden und Wände fraßen oder dunkle, rauchende Brandflecken in den Möbelstücken hinterließen. Beißender Rauch erfüllte die Schmiede, und während Siegfrid noch dastand und den zersplitterten Hammerstiel in seinen Händen betrachtete, waren Mime und seine beiden Gesellen für die nächsten Minuten ganz damit beschäftigt, das Stroh zu löschen und kleine Schwelbrände auszuschlagen.

»Du Nichtsnutz!« fuhr Mime Siegfrid an, sobald die schlimmste Gefahr beseitigt war. »Wer hat dir gesagt, daß du mein Werkzeug zerschlagen sollst? Ist das der Dank dafür, daß ich deinem Vater versprach, dich in die Lehre zu nehmen und meine Geheimnisse mit dir zu teilen?« Er kam mit zornig gesenktem Schädel auf Siegfrid zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Dann deutete er anklagend auf den Amboß. Siegfrids Hieb hatte den massiven Klotz wadentief in den Boden getrieben, und das feuergehärtete Eisen war geborsten wie weicher Bimsstein. »Schau, was du angerichtet hast!« schrie Mime anklagend. »Dieser Amboß ist mir nützlich, seit ich das Schmiedehandwerk erlernt habe. Mein Meister vererbte ihn mir, und nach mir sollte ihn Wieland erhalten. Jetzt hast du ihn zerschlagen, nur weil du uns unbedingt beweisen mußtest, wie stark du bist!«

»Es war keine Absicht!« verteidigte sich Siegfrid.

»Du bist nichts weiter als ein dummer und vorlauter Bengel, dem man einmal kräftig das Fell gerben sollte! Dann lernst du vielleicht, daß es nicht damit getan ist, zufällig als Sohn eines Königs auf die Welt zu kommen und stark wie zehn Ochsen zu sein.« Das war Wieland. Er blickte wütend auf den zertrümmerten Amboß herab und hieb ohne weitere Vorwarnung mit der Faust nach Siegfrids Gesicht.

Dieser Überfall entfachte den Zorn, den Siegfrid bisher mühsam unterdrückt hatte. Allen Respekt vor Mime und alle Ermahnungen, die ihm der Vater mit auf den Weg gegeben hatte, vergessend, packte er Wieland und rang ihn nieder. Das geschah so mühelos und so schnell, daß der hünenhafte Schmiedegeselle nicht einmal dazu kam, einen erschrockenen Ruf auszustoßen. Schon hatte Siegfrid ihn zu Boden geworfen, ihn an den Haaren gegriffen und vor Mimes Füße gezerrt.

»Ihr tätet besser daran, Meister Mime«, sagte Siegfrid jähzornig, »Euren Gesellen beizubringen, daß man in diesem Ton nicht mit dem Sohn eines Königs spricht. Wenn Euer Werkzeug nichts taugt, müßt Ihr Euch eben besseres besorgen!«

In der Stille, die nach diesen Worten in der Schmiede herrschte, war es Mime, als griffe etwas Kaltes nach seinem Herzen. Er hatte viel von Siegfrid gehört, und er war auf einen kräftigen, aber dummen Burschen gefaßt gewesen. Doch während er Siegfrid anstarrte, der wütend vor ihm stand, wurde Mime klar: In Siegfrids Adern floß das Blut der alten Götter.

Siegfrid seinerseits tat seine Unbeherrschtheit schon wieder leid, und hätte Mime in diesem Moment auch nur den geringsten Vorwurf geäußert, hätte Siegfrid sich in aller Form bei ihm entschuldigt. Und zur Not auch noch bei Wieland.

Aber Mime starrte ihn nur an, und irgend etwas ging in seinem Blick vor, eine Verwandlung, die Siegfrid nicht in Worte kleiden konnte, die ihn aber schaudern machte. So begnügte er sich damit, Wielands Haar loszulassen und dem Schmiedegesellen die Hand entgegenzustrecken, um ihm aufzuhelfen. Wieland bedachte ihn mit einem finsteren Blick, schlug Siegfrids Arm beiseite und stemmte sich aus eigener Kraft auf die Füße.

Mehrere Minuten lang starrten sich alle vier stumm und betreten an.

»So geht das nicht«, seufzte Mime schließlich. »Du kannst nicht alles zerschlagen und jeden, der dich tadelt, zu Boden werfen. Was fange ich bloß mit dir an?« Er seufzte abermals, überzeugte sich mit einem fragenden Blick, daß Wieland zwar wütend, aber augenscheinlich unverletzt war, und fuhr fort: »Dein Vater und ich sind alte Freunde, Siegfrid, und ich versprach ihm, mich um deine Ausbildung zu kümmern und dich zu lehren, deine Kräfte zu zügeln. Doch ich sehe keinen Weg, wenn du schon am ersten Tage meine Schmiede zertrümmerst und meinen besten Gesellen grün und blau schlägst.«

»Es tut mir leid«, sagte Siegfrid zerknirscht. »Ich will den Schaden wiedergutmachen und für zwei arbeiten, bis Ihr mit mir zufrieden seid, Meister.« Seine Worte mußten in Mimes Ohren wie Hohn klingen, aber sie waren durch und durch ehrlich gemeint. Siegfrid hatte nie zuvor so deutlich gespürt, daß seine Kraft und Geschicklichkeit die Herzen der Menschen nicht nur mit Bewunderung, sondern auch – und vielleicht noch mehr – mit Furcht erfüllte.

»Ihr solltet ihn in den Tannenwald zum Köhler schicken, wenn er zuviel überschüssige Kraft hat, Meister«, platzte Wieland zornig dazwischen. Seine Augen blitzten, als er Siegfrid ansah. »Vielleicht wird es sein Mütchen kühlen, einen Zentner Holzkohle auf jeder Schulter zu schleppen.«

Mime antwortete nicht sofort, und der Blick, mit dem er auf Wielands Worte reagierte, war beinahe erschrocken, doch in diesem Moment trat auch Rother an Wielands Seite und bekräftigte dessen Worte: »Wieland hat recht, Meister. Schickt ihn zum Köhler, ehe er hier alles zerschlägt und noch jemand zu Schaden kommt.«

Abermals schwieg der Zwerg für lange Augenblicke, und abermals hatte Siegfrid den Eindruck, daß er beinahe erschrocken über das nachdachte, was seine beiden Gesellen vorgeschlagen hatten. Endlich aber nickte er. »Ihr habt wohl recht«, seufzte er. Dann wandte er sich wieder an Siegfrid: »Es wird das beste sein, du lernst erst, mit deinen Kräften hauszuhalten, ehe du Hammer und Eisen zur Hand nimmst.«

»Ich werde gehorchen, Meister«, antwortete Siegfrid rasch, dem die Aussicht, für eine Weile aus der Schmiede und somit aus Mimes und Wielands Nähe verschwinden zu können, nur recht war. »Wenn Ihr mir den Weg weist, werde ich hingehen und so viel Holzkohle bringen, wie Ihr braucht.«

»So geh«, sagte Mime. »Der Köhler lebt im Tannenwald jenseits der Gnitaheide, einen Tagesmarsch nördlich von hier. Sage ihm, Mime, der Schmied, würde dich schicken, und bringe mir so viel Kohle, wie du tragen kannst. Wenn du zurückkommst, wollen wir sehen, wie es mit dir weitergeht.«

Kapitel 2Der Lindwurm

Bis weit in den Mittag hinein wanderten Siegfrid und Grani nach Norden. Die Sonne hatte den höchsten Punkt ihrer Bahn längst überschritten, ehe sie das Ende der mit Geröll, Lava und Dornengestrüpp übersäten Einöde erreichten und der Tannenwald vor ihnen lag, von dem der Zwerg und seine Gesellen gesprochen hatten.

Grani, der bisher zügig ausgeschritten war, blieb stehen. Seine Ohren klappten vor und zurück, und er wieherte leise. Siegfrid sah auf die kerzengerade gewachsenen Stämme der Tannen und Fichten. Sie waren bis auf die Höhe von drei Mannslängen kahl und sahen tot aus, fast so wie künstlich errichtete Säulen. Anstelle von Farn oder anderem Unterholz gab es nur dornige Sträucher. Siegfrid versetzte Grani einen aufmunternden Klaps, aber es bedurfte eines energischen Tritts, ehe der große graue Hengst voranging. Eine beinahe unheimliche Stille nahm sie auf, die durch das gedämpfte Plätschern von Wasser noch betont zu werden schien. Kein Vogel sang. Nirgends war das Brechen von Zweigen zu hören, das die Flucht eines durch ihr Kommen aufgeschreckten Rehes oder Hasen verkündet hätte. Selbst das Rauschen des Windes klang fremd und drohend in Siegfrids Ohren – wie das Wispern leiser, böser Albenstimmen, die hoch über ihm in den Baumwipfeln flüsterten. Je tiefer sie in den Wald drangen, desto öfter schnaubte Grani, und auch Siegfrid bemerkte schließlich den sonderbaren Geruch, der in der Luft hing. Plötzlich blieb Grani stehen. Seine Mähne sträubte sich, und ihm brach der Schweiß aus. Siegfrid starrte auf den Weg vor sich und glaubte, einen riesigen Schatten zu sehen. Doch als nichts geschah, ritt er zögernd und noch langsamer als bisher weiter.

Nach einiger Zeit wurde der Boden beiderseits des Weges sumpfig.

Immer öfter erblickte Siegfrid große, wie geschmolzenes Pech glitzernde Lachen und Pfützen rechts und links des Weges, bis der Pfad schließlich vollends durch eine düstere Sumpflandschaft führte, aus der mächtige schwarze Felsbrocken und die kahlen Stämme abgestorbener Bäume ragten. Der Geruch von Schwefel und Fäulnis nahm zu, so daß Siegfrid vor Ekel das Gesicht verzog. Auch Grani machte ihm zu schaffen, der ständig stehenblieb und sich immer öfter weigerte, Siegfrid zu gehorchen.

Schließlich erreichten sie eine Stelle, an der vor ihnen eine lotrechte, von gewaltigen Rissen und Schründen durchzogene Felswand aufstieg, die sich nach beiden Seiten erstreckte, so weit der Blick reichte. Der Weg schlängelte sich ein Stück weit am Fuße dieses natürlichen Hindernisses entlang und verschwand dann in einem schmalen, wie mit einer gewaltigen Axt in den Fels geschlagenen Engpaß, dessen Ende sich im düsteren Schatten verlor.

Das alles gefiel Siegfrid nicht. Aber schließlich schob er seine Bedenken zur Seite und trieb Grani energisch in den Spalt hinein. Zurück wollte er nicht, und gäbe es hier eine Gefahr, so hätte ihn Mime sicherlich gewarnt, sagte Siegfrid sich. Den Gedanken an einen Verrat verscheuchte er.

Der Berg schien vor ihm aufzuklaffen wie ein gewaltiges, steinernes Maul. Es dauerte eine Weile, bis sich Siegfrids Augen an das schattige, von düsterem Grau bestimmte Licht gewöhnt hatten, aber dann sah er, daß der Fels nicht so glatt und geschlossen war, wie es ihm im ersten Moment erschienen war. Überall klafften Spalten und finstere, mehr als mannshohe Höhlen in den Wänden. Fast gewaltsam mußte Siegfrid das Gefühl verdrängen, aus der Schwärze der Felsöffnungen heraus von gierigen Augen angestarrt und beobachtet zu werden.

Erst schwächer, dann immer lauter hörte Siegfrid ein Geräusch, ein helles, an- und abschwellendes Zischen wie das unterdrückte Atmen eines großen Lebewesens. Es

waren Laute, die er nie zuvor im Leben gehört hatte und die ihn schaudern ließen. Der üble Geruch, der ihm schon die ganze Zeit über aufgefallen war, schlug ihm nun wie ein Pesthauch entgegen und raubte ihm fast den Atem.

Der Hohlweg zog sich fast eine Viertel Wegstunde gerade dahin, stieg dann so jäh an, daß Siegfrid absitzen mußte, und knickte nach rechts ab. Als Siegfrid, Grani am Zügel, um die Biegung trat, tat sich vor ihm eine weite, an drei Seiten von finsterem grünem Wald umgebene Lichtung auf, in deren Mitte, flankiert von drei gewaltigen, rauchen den Kohlemeilern, die Hütte des Köhlers stand.

Siegfrid atmete erleichtert auf, rief einen schallenden Gruß zu der kleinen Hütte hinüber und machte sich mit einem gewaltigen Schritt daran, den Rest des Weges hinter sich zu bringen. Da stieg Grani kerzengerade in die Luft und riß Siegfrid zurück. Ein Stein kollerte auf die Lichtung und versank in dem schwarzen, ölig glänzenden Tümpel, den Siegfrid für festen Boden gehalten hatte.

Siegfrid prallte erschrocken zurück und beruhigte den aufgeregten Grani. Dann sah er sich aufmerksam nach allen Seiten um, bevor er ein zweites Mal an den Rand des Tümpels trat. Behutsam kniete er nieder, streckte die Hand nach dem schwarzen Wasser aus, berührte es dann aber doch nicht. Das rettete ihm das Leben, denn auf einmal teilte sich die ölige Brühe, und Siegfrid sah in das schrecklichste Gesicht, das er je gesehen hatte: Mit gefletschten Zähnen griff ihn ein halbverhungertes Drachenjunges an.

Siegfrid sprang rasch in die Felsenkluft zurück. Sein Herz begann

schneller zu schlagen, als er sah, wie das riesige, zornige Tier versuchte, aufs Ufer zu kriechen.

Nach einer Weile beruhigte sich das Ungeheuer und sank wieder unter die schwarze Oberfläche des Schlammtümpels, bis der Morast so trügerisch und glatt dalag wie zuvor; eine tödliche Falle für jeden, der unwissend des Weges kam und hineingeriet. Siegfrid zweifelte keinen Moment daran, daß nicht einmal seine gewaltige Kraft ausgereicht hätte, ihn aus diesem tödlichen Sumpf zu retten, sobald er einmal hineingestürzt wäre.

Weit vorsichtiger als beim erstenmal näherte er sich dem Tümpel und blickte über seine schwarze Oberfläche. Es gab einen schmalen, halb von Morast und fauligem Wasser bedeckten Weg, am Ufer entlang unterhalb der Felswand zur Hütte des Köhlers. Irgend etwas warnte Siegfrid davor, ihn zu benutzen, jetzt, da er die tödliche Gefahr kannte, die der Sumpf barg, aber der Weg bot die einzige Möglichkeit, das jenseitige Ufer zu erreichen. Hin und her gerissen zwischen Zorn und Vorsicht, entschloß sich Siegfrid, das Wagnis einzugehen, um nicht nach dem anstrengenden Tagesmarsch unverrichteter Dinge zur Schmiede zurückkehren zu müssen. Er saß auf, sprach ermunternd auf Grani ein und hieb dem Grauen schließlich fest in die Seiten. Das treue Pferd jagte auf den Pfad.

Der See begann zu brodeln, kaum daß Siegfrid ihn halb umrundet hatte. Wie von Sinnen stürzte der junge Drache auf Siegfrid los. Siegfrid, der sich insgeheim für seinen Leichtsinn verfluchte, der ihn ohne Schwert in dieses Abenteuer geführt hatte, brachte Grani mit einem energischen Ruck zum Stehen. Der große Hengst brach in die Hinterhand, hielt aber das Gleichgewicht. Wenige Meter vor dem schnaubenden Pferd wälzte sich die große, grünschillernde Kreatur auf den Weg und riß das gewaltige, mit messerscharfen Zähnen bewehrte Maul auf. Es stank nach Schwefel und Morast. Seine großen Reptilienaugen glühten, als es sich anschickte, Grani anzugreifen.

Siegfrid konnte sich auf sein Pferd verlassen. Er trieb ihm die Hacken in die Seiten, und, ohne zu zögern, sprang Grani nach vorn. Mit seinen eisernen Hufeisen überrannte er das Tier, das mit einem gräßlichen Aufschrei liegenblieb.

Siegfrid zügelte Grani und saß ab, um den sterbenden Drachen neugierig zu betrachten.

Der Angriff kam ebenso überraschend wie lautlos. Siegfrid spürte einen stechenden Schmerz. Er fiel gegen die Felswand in seinem Rücken und glitt auf dem vom hochgespritzten Morast schlüpfrig gewordenen Boden aus. Instinktiv riß er die Arme vor das Gesicht, als das zweite Drachenjunge abermals vorstieß. Sein riesiger, schuppiger Körper wand sich wie ein gieriger Krakenarm um seinen Leib und begann, ihn auf den schwarzen Morast hinüberzuziehen; langsam, aber mit einer Kraft, die selbst der seinen überlegen war.

Plötzlich erscholl hinter Siegfrid, der verzweifelt um sich schlug, ein lautes Brüllen, und mit einem Male fühlte er, wie die Klauen und Zähne, die sich tief in seine Haut gegraben hatten, verschwanden und die Bestie, die ihn gerade noch bei lebendigem Leibe zu zerreißen versucht hatte, floh.

Blind vor Schmerz und Erschöpfung, stemmte sich Siegfrid hoch. Etwas berührte ihn an der Schulter, und dann fühlte er sich von kräftigen Händen gepackt und in die Höhe gerissen. Fünf, zehn Schritte weit taumelte er vom Ufer des fürchterlichen Sumpfes fort, dann versagten seine Kräfte endgültig, und er sank ein zweites Mal auf die Knie.

Sein geheimnisvoller Retter gönnte ihm aber keine Pause, sondern zerrte ihn ungeduldig wieder auf die Füße. »Rasch!« rief er. »Ins Haus. Ich habe keine Lust, deinetwegen aufgefressen zu werden!«

Siegfrid gehorchte, obwohl er selbst nicht genau wußte, woher er noch die Kraft nahm, einen Fuß vor den anderen zu setzen und auf die Köhlerhütte zuzuwanken. Zum erstenmal in seinem Leben spürte er, was das Wort Erschöpfung bedeutete, so, wie er in diesen Augenblicken zum allerersten Mal gespürt hatte, was Furcht ist. Mit letzter Kraft erreichte er die kleine Hütte und wankte durch den Eingang. Gegen eine Wand gelehnt, blieb er schwer atmend stehen. Vor seinen Augen tanzten schwarze Kreise, und alles begann, sich um ihn herum zu drehen.

Der Köhler warf gehetzt die Tür hinter sich ins Schloß, legte mit fliegenden Fingern einen gewaltigen, eisenbeschlagenen Riegel vor und blickte einen Moment wie gebannt durch das kaum handbreit vergitterte Fenster daneben, ehe er sich zu Siegfrid umwandte und ihn mit einem ebenso ernsten wie besorgten Blick musterte:

»Alles in Ordnung?« fragte er dann und fügte gleich darauf beruhigend hinzu: »Hier bist du in Sicherheit.« Siegfrid schwindelte. Er versuchte zu antworten, aber selbst dazu fehlte ihm die Kraft, und er brachte nur ein ersticktes Keuchen heraus. Jetzt, da alles vorbei war, spürte er den Schrecken und die Kratzer und Bisse, die er davongetragen hatte, erst wirklich. Mit einem Male schien der Boden unter ihm zu schwanken und zu bocken wie ein störrisches Tier. Siegfrid taumelte nach vorne, griff Halt suchend um sich und wäre gestürzt, hätte ihn der Köhler nicht aufgefangen und mit festem Griff gehalten. In Siegfrids Mund breitete sich ein schlechter, saurer Geschmack aus. Er hörte, wie der Köhler etwas sagte, aber er verstand die Worte nicht, und plötzlich hatte er den Geschmack von Blut auf der Zunge und konnte seine Umgebung nur noch verschwommen, wie durch dichten Nebel sehen.

Der Köhler führte ihn behutsam zu einem Stuhl und trug die brennende Fackel, mit der er den Drachen vertrieben hatte und die er noch immer in der Rechten hielt, zum Kamin. Dann verließ er das Zimmer und kehrte wenig später mit einer Schüssel voller Verbandszeug und Salben zurück. Ohne auf Siegfrids – ohnehin nur sehr schwachen – Protest zu achten, zog er ihm das zerfetzte Gewand vom Leibe, säuberte ihn vom gröbsten Schmutz und reinigte anschließend seine Wunden, wobei er mit seinen schweren Händen alles andere als sanft zu Werke ging. Schließlich verband er die gröbsten Bisse und Kratzer, ging noch einmal fort und kam diesmal mit einer Schale zurück, in der sich eine dampfende, nach würzigen Kräutern riechende Flüssigkeit befand: »Trink«, sagte er, während er Siegfrid das hölzerne Gefäß an die Lippen setzte.

Siegfrid gehorchte, und obwohl der heiße, dickflüssige Sud seine aufgesprungenen Lippen noch stärker schmerzen ließ, tat die Wärme doch gut und vertrieb wenigstens die schlimmste Übelkeit aus seinem Leib. Er leerte die Schale bis zur Neige, reichte sie dem Köhler mit einem dankbaren Nicken zurück und besah sich seinen Retter zum erstenmal genauer.

Der Köhler war ein dunkelhaariger, sehr groß gewachsener Mann von schwerem Körperbau. Seine großen, überaus kräftigen Hände zeugten von der schweren Arbeit, mit der er sein Leben fristete. Sein Gesicht war nicht genau zu erkennen, was nicht nur an der schwachen Beleuchtung im Inneren der Hütte lag; Gesicht und Hände des Köhlers waren von so dunkler Farbe, daß sie beinahe schwarz aussahen, und es dauerte einen Moment, bis Siegfrid klar wurde, daß dies die Spuren der zahllosen Jahre waren, die der Köhler in Hitze und Rauch der Meiler zugebracht hatte.

Das schwarze, kurz geschnittene Haar, das wie eine Kappe am Schädel lag, verstärkte noch den Eindruck des Unheimlichen. Aber die Augen des Mannes blickten durchaus freundlich, und als er sah, daß Siegfrid allmählich wieder zu Kräften gelangte, stahl sich sogar ein flüchtiges Lächeln auf seine Lippen.

»Du brauchst keine Angst mehr zu haben«, sagte er. »Jetzt bist du in Sicherheit. Sie kommen niemals hierher.« Siegfrid nickte. »Ich … ich danke Euch für Eure Hilfe«, sagte er. »Ohne Euch wäre ich jetzt wohl tot.«

Der Köhler runzelte mit dem angedeuteten Nicken eines Mannes, dem Lob so unangenehm wie falsche Bescheidenheit war, die Stirn.

»Nur den wenigsten ist es bisher gelungen, den Ungeheuern zu entgehen«, sagte er. »Und es waren tapfere Männer darunter, weiß Gott.« Er seufzte, ließ sich auf einen Hocker auf der anderen Seite des Tisches sinken und bedachte Siegfrid erneut mit einem langen, diesmal aber eher neugierigen als besorgten Blick.

»Du bist ein kräftiger Bursche«, sagte er nach einer Weile. »Das Gift im See wirkt nicht tödlich, sondern lähmt deine Muskeln nur. Durch den Kräutertrank wird seine Wirkung in ein paar Stunden ganz verflogen sein. Auch deine Wunden sind nicht gefährlich. Aber du solltest dich ein paar Tage schonen, damit sie sich nicht entzünden und du das Wundfieber bekommst. Danach zeige ich dir den Weg zurück.« Er blinzelte. »Was suchst du überhaupt hier? Hat dich niemand vor dem Lindwurm gewarnt?«

»Mime schickt mich«, antwortete Siegfrid verwirrt. Nach einer kleinen Weile setzte er hinzu: »Was für ein Lindwurm?«

»Mime, der Schmied?« überging der Köhler Siegfrids Frage und runzelte abermals die Stirn. »Was, zum Teufel, ist in ihn gefahren, einen jungen Burschen wie dich auf diesem Wege hierher zu schicken? Und wieso schickt er überhaupt jemanden ausgerechnet zu mir?«

»Das … das verstehe ich auch nicht«, gestand Siegfrid stockend. Er bekam seine Stimmbänder allmählich wieder unter Kontrolle, so wie es ihm auch wieder gelang, halbwegs klar zu denken. »Er hat mir aufgetragen, Holzkohle zu holen, soviel ich tragen kann. Er sagte, Eure Kohle wäre die beste weit und breit.«

Der Mann mit dem schwarzen Gesicht schürzte zornig die Lippen. »Das mag wohl stimmen«, sagte er. »Aber nicht für Mime. Er weiß genau, daß ich ihm nichts verkaufe. Ich liebe dieses ganze verräterische Albenpack nicht und Mime schon gar nicht. Seit Jahren hat er nicht ein Pfund Kohle von mir bekommen. Und so wird es auch bleiben. Überdies«, fügte er hinzu, »wäre es wohl auch ziemlich dumm von ihm, die Kohlen für seine Schmiede zwei Tagesreisen weit herbeischleppen zu wollen, wo zwei der besten Köhler eigens in seinen Diensten stehen und ihre Meiler kaum eine Stunde von der Schmiede entfernt liegen.«

»Aber warum hat er mich dann geschickt?« fragte Siegfrid, in dem ein böser Verdacht aufkeimte.

Der Köhler blickte ihn einen Moment lang mit sehr ernstem Ausdruck an. »Kannst du dir das nicht denken?« fragte er dann leise.

Siegfrid begann, innerlich zu frieren. »Die … die Ungeheuer«, murmelte Siegfrid. »Ihr meint, er … er wollte, daß ich von ihnen …«

»… daß du von ihnen getötet wirst«, führte der Köhler den Satz zu Ende, als Siegfrid nicht weitersprach. »Ja, genau das denke ich.«

»Das glaube ich nicht!« widersprach Siegfrid mit mehr Überzeugung, als er in Wahrheit selbst empfand. »Mime und mein Vater sind seit langen Jahren gute Freunde, und selbst wenn sie es nicht wären, würde es nicht einmal Mime wagen, ihn so zu hintergehen.«

»Dein Vater? Wer ist er?«

»Siegmund«, antwortete Siegfrid. »Siegmund von Santen. Ich bin Siegfrid, sein Sohn.«

»Siegfrid …?« wiederholte der Köhler ungläubig. »Ihr seid Siegfrid von Santen?« Einen Moment lang starrte er ihn nur aus ungläubig aufgerissenen Augen an, und Siegfrid konnte sehen, wie sein Gesicht unter der Schicht von Ruß und Kohlenstaub alle Farbe verlor. Dann sprang er auf, trat hastig einen Schritt zurück und verbeugte sich tief.

»Herr!« keuchte er. »Verzeiht, daß ich Euch nicht gleich erkannt –«

»Laßt den Unsinn«, unterbrach ihn Siegfrid erstaunt. »Ihr habt mir das Leben gerettet, das gibt Euch mehr als nur das Recht, mich als einen Gleichgestellten zu behandeln. Setzt Euch wieder und erzählt mir lieber, was Ihr gerade über Mime sagen wolltet.«

Der Köhler zögerte, ließ sich dann aber wieder auf den Stuhl sinken. Seine kurzen, kräftigen Finger spielten nervös an der Tischkante.

»Ich … ich weiß nicht viel über ihn«, begann er stockend. »Wir hatten keinen Streit, wenn es das ist, was Ihr meint, Herr, aber er und ich gehen uns aus dem Weg, und der Himmel müßte herunterfallen, ehe ich ihm auch nur einen Brocken meiner Kohle verkaufe.«

»Und Ihr glaubt, er hat mich nur geschickt, damit ich in diesem Sumpf ums Leben komme?«

»Aus welchem Grund wohl sonst?« fragte der Köhler. »Jedenfalls bestimmt nicht wegen der Kohle.«

Siegfrid überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Das glaube ich nicht«, sagte er noch einmal. Er klammerte sich an den Gedanken, daß es nicht so wäre, nicht, weil er es wirklich glaubte, sondern weil er es glauben wollte, und seine Worte waren weniger dazu gedacht, den Köhler zu überzeugen als vielmehr sich selbst. »Und auch wenn Mime mich wirklich hätte ins Verderben schicken wollen, so müßte er immer noch damit rechnen, daß ich davonkommen und ihn zur Verantwortung ziehen würde. Ihr sagtet selber, nicht alle, die herkommen, werden von den Ungeheuern verschlungen.«

»Von ihnen nicht«, pflichtete der Köhler bei. »Doch die beiden sind auch nur das kleinere Übel, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie sind im Grunde nur Kinder. Wenn Ihr versuchen solltet, auf dem gleichen Wege zurückzukehren, würde Euch der Lindwurm töten, der in der Klamm haust.« Er hob den Arm und deutete in die Richtung, in der der Sumpf und die Felsspalte lagen. »Ich lebe seit langen Jahren hier, Herr, doch keiner ist diesem Ungeheuer entkommen.«

»Ich habe keinen Lindwurm gesehen«, antwortete Siegfrid.

Der Köhler lächelte, aber es wirkte nicht sehr humorvoll. »Das will ich meinen, Herr, sonst wärt auch Ihr schon nicht mehr am Leben«, sagte er. »Sie ist schlau, die Bestie. Ihre beiden Jungen hausen in dem Morast, in den Ihr beinahe geraten wäret, und wer des Weges kommt, vor dem verbirgt sie sich und läßt ihn unbeschadet vorbei, damit er in den Sumpf gerät und von ihrer Brut gefressen wird. Doch wer ihnen entkommt und versucht, auf dem gleichen Wege zurückzugehen, den tötet sie unbarmherzig.«

»Und Ihr?« Es hatte nicht lange gedauert, bis Siegfrid diese Unstimmigkeit in den Worten des Köhlers aufgefallen war. »Wieso lebt Ihr noch, wenn dieses Ungetüm wirklich so gefährlich ist? Wieso hat es Euch nicht längst getötet und verschlungen?«

»Das ist eine lange Geschichte, Herr«, antwortete der Köhler, abermals mit seinem sonderbaren, traurig wirkenden Lächeln. »Mit dem Lindwurm ist es wie mit Mime und mir – wir lieben uns nicht, aber wir haben auch keinen Streit, und solange sich der eine nicht in die Angelegenheiten des anderen mischt und wir uns gegenseitig aus dem Wege gehen, tun wir einander nichts. Ich betrete seine Klamm nicht, und er kommt nicht heraus aus seiner Höhle und hierher.« Er seufzt. »Ich weiß, was Ihr jetzt denkt, Herr.«

»So?« fragte Siegfrid düster. »Wißt Ihr das?«

»Ihr denkt an Kampf«, nickte der Köhler. »Ihr glaubt, ich wäre ein Feigling, hier zu sitzen und zuzusehen, wie gute Männer in den Tod laufen. Und Ihr überlegt, zurückzugehen und den Lindwurm und seine Brut zu erschlagen. Ihr seid nicht der erste, der so vor mir sitzt und diese Gedanken denkt, und ich sehe in Euren Augen, daß Ihr mich im Grunde verachtet.«

»Das stimmt nicht«, widersprach Siegfrid eine Spur zu schnell.

Aber der Köhler schüttelte nur seinen Kopf und fuhr fort: »Es stimmt. Ich weiß es, weil ich selbst schon oft die gleichen Gedanken gehabt habe. Aber glaubt mir – niemand ist dem Ungeheuer gewachsen. Ich würde getötet, würde ich es versuchen, und so bleibt es mir wenigstens, arglose Wanderer vor der Gefahr zu warnen, die im Sumpf lauert.«

»Die Gefahr ist jetzt nur noch halb so groß«, meinte Siegfrid. »Ein Junges ist tot.«

»Um so schlimmer!« rief der Köhler. »Jetzt hat der Drache nur noch ein Kind. Er wird noch gefährlicher werden. Ich beschwöre Euch, versucht nicht, ihn zu töten, Herr. Ihr würdet sterben, und dabei hat Euer Leben noch nicht einmal richtig begonnen.«

»Ich bin nicht irgendwer«, sagte Siegfrid mit seinem gewohnten Selbstbewußtsein.

Der Köhler lächelte. »Ich weiß, Herr«, sagte er. »Ihr seid Siegfrid von Santen, König Siegmunds Sohn. Selbst bis in meine Wälder ist die Kunde von Eurer Kraft und Eurem Mut gedrungen. Und doch würdet auch Ihr zugrunde gehen, würdet Ihr Euch dem Lindwurm stellen. Er ist ein Geschöpf aus Hels Totenreich, dem kein menschliches Wesen gewachsen ist, glaubt mir.«

Siegfrid wollte heftig widersprechen, aber dann dachte er an das bedrückende Gefühl, das er die ganze Zeit über gehabt hatte, während er durch den Wald und die Felsenschlucht geritten war, und an das Huschen und Schleichen, das er zu sehen geglaubt und als Einbildung abgetan hatte. Er dachte an Granis Nervosität, und ein rasches, eisiges Frösteln überlief ihn. Vielleicht hatte der Köhler nicht einmal so unrecht, überlegte er. Vielleicht war das, was er verspürt hatte, nichts als der Atem der Hölle gewesen, der den Lindwurm begleitete.

Aber er verspürte auch zugleich einen immer stärker werdenden Zorn auf Mime, der ihn in diese tödliche Falle hatte laufen lassen, ohne Waffen, ohne ein einziges Wort der Warnung. Siegfrids Miene verdüsterte sich, und als hätte der Köhler seine Gedanken gelesen, seufzte er abermals tief und senkte den Blick.

»Ich sehe, es ist zwecklos«, sagte er traurig. »Ihr seid wie alle, die kamen. Ihr glaubt, ein starker Arm und ein gerechter Zorn allein wären genug, den Lindwurm zu erschlagen. Aber das stimmt nicht.«

»Auch ein Geschöpf der Hölle kann getötet werden«, antwortete Siegfrid zornig. »Es lebt, und was lebt, das kann sterben.«

Diesmal antwortete der Köhler gar nicht mehr.