Der Krähen-Zyklus (Buch 3): LitRPG-Serie - Dem Mikhailov - E-Book

Der Krähen-Zyklus (Buch 3): LitRPG-Serie E-Book

Dem Mikhailov

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Beschreibung

Der fleißige Zwerg hat viele Herausforderungen gemeistert. Trotz mächtiger Gegner ist es ihm gelungen, sich und sein Reich zu schützen. Doch Ruhe ist ihm nicht vergönnt. Die Zukunft ist ein ständiger Kampf, mit unermüdlichem Einsatz beim Schmieden und Graben, zahlreichen Abenteuern und unverhofften Begegnungen. Niemand vermag zu sagen, was als Nächstes geschehen wird. Vorläufig hält der Außenposten am Grauen Gipfel die Stellung und macht keine Anstalten, sich dem Feind geschlagen zu geben...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Über den Autor

Dem Mikhailov

Welt von Waldyra

Eine LitRPG-Serie

Der Krähen-Zyklus

Buch #3

Magic Dome Books

in Zusammenarbeit mit

1C-Publishing

Der Krähen-Zyklus. Buch #3

Originaltitel: The Crow Cycle. Book #3

Copyright © Dem Mikhailov, 2023

Covergestaltung © Vladimir Manyukhin, 2023

Deutsche Übersetzung © Annika Tschöpe, 2023

Herausgegeben von Magic Dome Books in Zusammenarbeit mit 1C-Publishing 2023

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch ist nur für deine persönliche Unterhaltung lizensiert. Das Buch sollte nicht weiterverkauft oder an Dritte verschenkt werden. Wenn du dieses Buch mit anderen Personen teilen möchtest, erwirb bitte für jede Person ein zusätzliches Exemplar. Wenn du dieses Buch liest, ohne es gekauft zu haben, besuche bitte deinen Shop und kaufe dir dein eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass du die harte Arbeit des Autors respektierst.

Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Kapitel Eins

Ruhe mitten im Sturm. Eine kurze Pause.

DER AMBOSS KLIRRTE.

Das schnelle Stakkato des Schmiedehammers ertönte fröhlich bis in die entlegensten Winkel, schallte über die graue Steinebene, dass sich die spärlichen, schiefen Bäume bogen, und drang den Schakalen und Kaninchen in die zuckenden Ohren.

Dieses Klirren war ein deutliches Zeichen.

Es zeigte zum Beispiel, dass der Außenposten am Grauen Gipfel die jüngste Attacke seiner Feinde überlebte hatte — der Grauorks, die auf Befehl der finsteren, furchteinflößenden vierarmigen Göttin Guorra das Kriegsbeil ausgegraben hatten und von den Bergen herabgestiegen waren, um alles Leben auszulöschen.

Und jetzt klirrte der Amboss wie eine triumphierende Siegesglocke, die eine wichtige Botschaft verkündete: Der Außenposten stand noch! Der Graue Gipfel lebte!

Außerdem besagte das Klirren, dass ein gewisser Schmied noch genug Kraft in den Armen und genug Starrsinn im Schädel hatte, um sich an die Arbeit zu machen, kaum dass die erbitterte Schlacht zuende gegangen war. An der dunkelgrauen Rauchsäule über dem hohen, von einer Steinmauer umgebenen Hügel war zu erkennen, dass das Feuer unter der Schmiede heftig loderte.

Darüber hinaus zeigte das Hämmern allen in Hörweite, dass der Außenposten sich nicht ängstlich verstecken würde. Keineswegs! Der Graue Gipfel hatte keine Angst davor, sich bemerkbar zu machen. Er hatte keine Angst vor lautem Klirren. Der Außenposten setzte sein Leben fort, als sei nichts besonders Dramatisches geschehen.

Ein paar Hundert finstere kleine Gihls und einige monströse Krustenfluken hatten unter dem Kommando der bösartigen, gewaltigen Grauorks angegriffen? Na und?

Der gigantische Falter Druughoan, durch dunkle Magie in Guorras Tempel entstanden, hatte sie heimgesucht und mit seinem widerlichen Leib Sonne und Himmel blockiert? Er war von dicken, schwarzen Unwetterwolken begleitet worden, in denen heftige Blitze zuckten? Kein Grund zur Panik!

Einen Moment lang hörte der Amboss auf zu klirren. Die Schakale auf dem seltsam schrägen Abhang spitzten hoffnungsvoll die Ohren, doch ihre Freude war nur von kurzer Dauer — es zischte kurz und heftig, als das glühend heiße Metall ins kalte Wasser tauchte, dann setzte der Hammer seine fröhliche Melodie fort.

Die steinige Ebene rund um den Grauen Gipfel hatte sich seit dem Vortag drastisch verändert. Die erbitterte Schlacht hatte zahlreiche Wunden und Narben auf dem Boden hinterlassen, doch da Waldyra nun einmal eine magische Welt war, nahm die Ebene rasch wieder ihren ursprünglichen Zustand an. Die tiefen Furchen in der Erde verschwanden. Das harte Gras, das aus dem Hügel gerissen worden war, kehrte als frische, grüne Triebe zurück. Die zertrampelten Vogelnester steckten wieder nahe den Wurzeln eines kräftigen, stacheligen Strauchs, der seine zerstörten Äste abgeworfen und neue bekommen hatte. Selbst die zu Staub zermahlenen Steine waren auf magische Weise wieder an Ort und Stelle aufgetaucht. Schwere Fremdkörper — wie riesige, dunkle Findlinge — versanken langsam im Boden, als wären sie in Treibsand geraten.

Wächter drehten in Dreiergruppen aufmerksam ihre Runden um den Außenposten. Mit gezückten Speeren und Armbrüsten hielten sie wachsam Ausschau, während schwere, mannsgroße Schilde ihre Rücken schützten. Unter einem der Sträucher kamen mit entsetztem Aufschrei zwei Gestalten hervorgeschossen: Ein gekrümmter kleiner Gihl und ein räudiger Schakal. Sie hatten zusammen darauf gewartet, dass die Gefahr sich verzog, dann jedoch die Nerven verloren und die Flucht ergriffen. Sofort wurden sie von zwei Armbrustbolzen getroffen, auf die drei Pfeile vom Wachturm folgten. Beide Feinde waren auf der Stelle tot. Die Wächter setzten ihre Patrouille fort und sammelten dabei die Überreste von Ausrüstungsgegenständen und Waffen auf, die gestorbene oder geflüchtete Gegner zurückgelassen hatten. Bei jedem zweiten Schritt der Männer klirrte laut der Amboss.

Auf dem gesamten Gebiet des Außenpostens herrschte reges Treiben. Einige der kräftigen Krieger hatten Waffen und Rüstung beiseitegelegt, und während ihre Kameraden Wacht hielten, machten sie sich ans Aufräumen. Schon bald war der Boden so sauber, als hätte eine gründliche Hausfrau den Besen geschwungen. Nach nur zwei Stunden strahlte und blitzte der ganze Außenposten. Sämtliche Kriegsbeute war auf zwei großen Leinwänden auf dem Boden gestapelt. Der Großteil würde mit dem nächsten Konvoi nach Algora gehen; der Rest gehörte einem gewissen tapferen, schwarzhaarigen Zwerg, der gemeinsam mit seinen Freunden aktiv an der Verteidigung des Außenpostens mitgewirkt hatte.

Dieser Zwerg war übrigens eine bemerkenswerte Person. Er war es, der den Schmiedehammer schwang und damit den Amboss fröhlich zum Klirren brachte. Er hätte sich mit Fug und Recht eine wohlverdiente Pause gönnen können, um gemütlich vom dunklen Bier der Marke Able und Gabre zu schlürfen. Stattdessen hatte er sich ans Werk gemacht und arbeitete sogar noch härter als die disziplinierten, eifrigen Wächter.

Auch seine Arbeiter, die der Zwerg aus der letzten Schlacht herausgehalten hatte, waren äußerst fleißig. Wie die Wächter, die ihre Runden um den Außenposten zogen, waren auch sie unterwegs, um Steine zu sammeln und Bäume zu fällen. Diese Materialien schleppten sie dann zum Hügel und legten sie an der einzigen Öffnung in der Einfriedung ab, an der bald ein sicheres Tor entstehen sollte. Begleitet wurden die Baustoff-Sammler von einer jungen Rothaarigen namens Lorelenna, die mit zwei ungewöhnlich dicken Dolchen bewaffnet war. Diese Waffen sahen aus, als hätte man damit sogar das Sumpfungeheuer ausweiden können, das im finsteren unterirdischen Morast der verlassenen, überschwemmten Minen in den Schlackebergen hauste. Lorelenna schlenderte zwar gemächlich umher, doch erfahrene Kämpfer bemerkten sofort ihren scharfen Blick. Diese zierliche Person war bestens in der Lage, mehrere Arbeiter vor den hiesigen Gefahren zu schützen.

An der Öffnung tauchte immer wieder ein Zwerg mit mörtelbeschmiertem Gesicht auf, der die dort deponierten Steine abholte und damit die stetig wachsende Steinmauer ergänzte. Der Eigentümer des Grundstücks, offiziell als „Krähenfresser“ oder schlicht „Krähe“ bekannt, hatte das erklärte Ziel, sein Reich in eine bestens gesicherte Festung zu verwandeln. Dazu legte er sich sehr ins Zeug — und seine Leute ebenfalls.

* * *

Die rußgeschwärzte Zange tauchte einen glühendroten Barren ins Wasser, sodass böse zischend eine Dampfschwade aufstieg. Im nächsten Augenblick fiel der Barren klirrend zu seinen Brüdern in eine große, stabile Holzkiste. Die Zahl der Barren stieg stetig. Der Zwerg Krähe hatte sich fest vorgenommen, sämtlichen Metallschrott einzuschmelzen, der kürzlich noch den Gihl-Gnomen gehört hatte.

Von diesem Vorhaben konnte ihn nichts abbringen. Er musste dringend an seiner Entwicklung arbeiten, die er sich ausgesucht und so sorgfältig geplant hatte. Es war, als wollte die Welt von Waldyra seine harmlosen Pläne durchkreuzen! Freunde, die Hilfe brauchten, Feinde, die bekämpft werden mussten, neue Wächter, die Probleme machten, Grauorks, die in die Flucht geschlagen werden mussten — all diese größeren und kleineren Zwischenfälle zwangen ihn ständig, sein Hauptziel zurückzustellen. Das durfte nicht sein. Er musste ein richtiger Schmiedemeister werden! Und selbst das war nur der erste Schritt auf der schier unendlichen Leiter, die hinauf in die dunklen, undurchdringlichen Wolken der legendären Schmiedekunst führte.

Deshalb würde der Spieler stur weiter Schrott zu schweren Barren schmieden, ob gerade Krieg herrschte oder nicht. Und vor dem Abendessen würde er aus diesen Barren dann Dinge fabrizieren, die er verkaufen konnte: Nägel, Hufeisen und eiserne Achsen.

In dieser Situation wurde dem Spieler immer deutlicher, welch immenser Vorteil es war, eine Verbündete zu haben, der er uneingeschränkt vertrauen konnte. Lori, die unbändige Rothaarige, die er wie durch ein Wunder wieder an seiner Seite hatte, war nicht nur sehr heißblütig und außerordentlich erfahren, sondern verfügte auch über einen geradezu unfassbaren Schatz an wichtigen Gaming-Kenntnissen. Selbst in den ungewöhnlichsten Situationen wusste sie genau, was zu tun war. Somit wurden Krähes Arbeiter gerade von einer echten Jedi-Kämpferin begleitet, die das Lichtschwert gegen zwei Dolche getauscht hatte. Und Krähe konnte sich auf seine Arbeit konzentrieren, ohne sich um seine Leute sorgen zu müssen. Er musste nicht ständig über die Mauer spähen, um sich zu vergewissern, dass die amen Männer nicht von Schakalen verschlungen oder von Orks mit Speeren durchbohrt wurden.

Allerdings bestand die Gefahr, dass die außerordentlich selbstbewusste Lori den Zwerg bei möglichen Problemen nicht informieren würde, sondern versuchen könnte, alles allein zu regeln. Auf diesen Fall war der Krähe vorbereitet. Über der felsigen Einöde kreiste ein gewaltiger Adler mit ausgestreckten Flügeln und beäugte verächtlich die Welt, die unter ihm vorbeizog. Adler Chrys hatte den Auftrag, Ausschau zu halten und zu jagen. Wenn er geeignete Beute entdeckte — einen großen Schakal, ein besonders fettes Rebhuhn oder eine fleischfressende Kannenpflanze —, schoss er wie eine Kanonenkugel vom Himmel und verpasste dem Gegner einen mächtigen Hieb. Sofern der Feind das überstand, packte der Adler ihn mit den Krallen und stieg mit ihm in die Lüfte auf, wo er sein Oper dann gnädig losließ und zuschaute, wie es zu Boden sauste. Deshalb hatte der Zwerg in der letzten halben Stunde schon drei fliegende Schakale gesehen, die jämmerlich jaulend auf den Boden zurasten. Ein Blick nach oben zeigte ihm dann den riesigen Vogel, der den Himmel über der Einöde neben dem Granitgipfel beherrschte.

Lori beobachtete die Arbeiter, Chrys beobachtete die rothaarige Amazone, Krähe beobachtete den Adler, und der Zwerg selbst wurde von Zenturio Vurrius beobachtet, der immer wieder in Krähes Blickfeld erschien. Welch interessante Konstellation... so schloss sich der Kreis. Vurrius wurde von seinen treuen Wächtern beobachtet und diese wiederum von Krähes Arbeitern, denn sie wussten, dass die klugen, erfahrenen Krieger mögliche Schwierigkeiten schon beim ersten Anzeichen entdecken würden. Doch wozu so kompliziert? Es verstand sich von selbst, dass ausnahmslos alles und alle am Außenposten untrennbar miteinander verknüpft waren, wie es bei derart kleinen Ansiedlungen üblich ist.

Was Mith und Amou betraf... Mittlerweile betrachtete Krähe sie als echte Freunde. Das verrückte Pärchen liebte Abenteuer, Geheimnisse und Rätsel. Und genau so sollten echte Gamer sein. Vor allen Dingen wussten die beiden, wem man vertrauen konnte, wie man Neues lernt und wie man sich von nutzlosem altem Wissen verabschiedet, statt dumm und stur daran festzuhalten. Diese Eigenschaften waren unerlässlich, um zu Gaming-Legenden zu werden, von denen man viele Jahre lang voller Ehrfurcht sprechen würde. Die Bardin und der Kartenmeister hatten die besten Voraussetzungen, um echte Stars zu werden. Doch das verriet Krähe ihnen nicht, damit ihnen das Lob nicht zu Kopfe stieg und sie leichtsinnig wurden.

Im Augenblick waren seine Freunde gerade in der realen Welt, um sich auszuruhen, aber später am Tag würden sie an dem Festessen teilnehmen, mit dem die Wächter die erfolgreiche Abwehr der feindlichen Invasion feiern wollten. Zenturio Vurrius, der geheimnisvolle, muskelbepackte Riese, hatte zum ersten Mal seit seiner Ankunft am Außenposten am Grauen Gipfel Spieler zu einem bescheidenen Festmahl eingeladen. Das war deshalb erstaunlich, weil Zenturio Vurrius ihresgleichen — Spieler beziehungsweise „Fremde“, wie er sie nannte — mit einem seltsamen Misstrauen behandelte, das geradezu hasserfüllt wirkte. Dass die Beziehung zu ihm ein klein wenig aufgetaut war, konnte deshalb als gewaltiger Schritt nach vorn betrachtet werden. Krähe musste alles in seiner Macht Stehende tun, damit diese fragile kleine Brücke des Friedens zwischen den ehemals so feindlich gesinnten Seiten Bestand hatte.

Der Amboss klirrte. Der Schmiedehammer krachte. Die rhythmischen Klänge schallten rings umher und verkündeten laut und selbstbewusst: Der Außenposten am Grauen Gipfel lebt und wird weiterleben. Weder Grauorks noch Gihl-Gnome, weder Kannenpflanzen noch Krustenfluken, auch nicht Druughoan der Zerstörer — nicht einmal die grauhäutige Göttin Guorra, die sie alle beherrschte — konnten den Außenposten vernichten.

Während seine sehnigen Arme geschickt vor sich hin arbeiteten, war der schlaue Kopf des Zwergs ganz in Gedanken versunken. Wie Lori verfügte er über gewaltige Kenntnisse, hatte die unglaublichsten Abenteuer erlebt, Hunderte unerwartete Ereignisse gesehen und oft verbissen kämpfen müssen. Dem Zwerg war klar, dass der bevorstehende Krieg immer engere Kreise um den Grauen Gipfel zog, sodass sich vieles ändern würde und bereits verändert hatte. So geht es zu, wenn eine große Giftschlange auftaucht: Friedlich leben kann man dann erst wieder, wenn sie von selbst davongeglitten ist oder verjagt wurde.

Der Zwerg war nicht in der Lage, den Krieg zu beenden. Mit Grauorks konnte man nicht verhandeln. Deshalb würden die Kämpfe weitergehen, bis eine der Konfliktparteien vollkommen vernichtet war. Bis dahin würde der winzige Außenposten in der öden, felsigen Ebene wie ein Sandkorn zwischen zwei mächtigen Mahlsteinen des Krieges liegen. Er musste also um jeden Preis verhindern, dass das Sandkorn zu Staub zermahlen wurde. Er würde all seine Kraft und Ressourcen brauchen, um den Außenposten zu retten. Dazu musste er seine bisherige Routine, die er im Laufe der letzten Wochen entwickelt hatte, vollkommen auf den Kopf stellen.

Vorsichtig legte er den nächsten dampfenden Eisenbarren in die Holzkiste. In seinem Kopf machte es Klick, der Zwerg traf eine Entscheidung.

Von nun an würde sich Krähe nicht mehr darum kümmern, Nahrung und Materialien zu beschaffen. Die Tage, an denen der Zwerg fröhlich summend durch das Tal lief, Bäume fällte, Steine aufhob, Eier einsammelte, wilde Zwiebeln pflückte und Kaninchen jagte, waren für immer vorbei. Diese Dinge würden nun seine Arbeiter erledigen. Falls nötig, musste er weitere einstellen, doch vorerst, solange seine Umgebung unter den Folgen des gerade ausgebrochenen Krieges zu leiden hatte, musste das warten. Der Zwerg würde mit den Männern auskommen müssen, die er bereits hatte. Allerdings konnte er nicht mehr selbst auf die Suche nach Vogeleiern gehen. Erst, wenn wieder friedlichere und vorhersehbarere Tage Einzug hielten.

Klirr! Wieder fiel ein dumpf glänzender Barren in die Kiste.

Von nun an würde Krähe nicht mehr am Verkaufstisch stehen. Würde sich nicht mehr selbst in das fröhliche Handelstreiben stürzen. Das musste jemand anderes übernehmen. Er würde einen vertrauenswürdigen Verkäufer aus der Händlergilde anstellen müssen. Ein Händler-Lehrling mit großen Zielen sollte reichen. Der Zwerg selbst würde so oft wie möglich in der Nähe sein und die Ohren offenhalten — nicht, weil er dem Verkäufer nicht traute, sondern weil er keine Gelegenheit zu einem interessanten Geschäft verpassen wollte. Nur dann würde er sich einmischen. Für alle Fälle würde er auch den Verkauf seiner selbst geschmiedeten Eisenwaren übernehmen, denn er hatte vor, das Sortiment in naher Zukunft beträchtlich zu erweitern.

Der Blasebalg ächzte und pustete Luft auf die glühenden Kohlen. Die Zange packte eine feuerrote, verformte Brustplatte und warf sie auf den Amboss.

Schmieden und graben. Diesen beiden Tätigkeiten sollte er die Hälfte seiner wachen Stunden widmen: Fleißige Arbeit mit Schaufel und Hammer. Die Kunst des Grabens musste er nicht meisterlich beherrschen; allerdings hatte es deutliche Vorteile, wenn er die Schaufel schnell bedienen konnte, deshalb sollte er diese Fähigkeiten weiterentwickeln. Der Gilde der Bergleute erwartete ihn. Die Schmiedekunst dagegen war weitaus anstrengender: Er würde sich große Mühe geben müssen, um hier Fortschritte zu machen.

Zischend fiel ein Barren in die Kiste. Zwei weitere Gegenstände landeten im Feuer, beides primitive Teile der Ork-Ausrüstung.

Die andere Hälfte seiner Zeit brauchte er für Krieg und Diplomatie. Orks und anderes Ungeziefer sollten vernichtet werden. Die Mauern um sein Heim mussten verstärkt werden. Sowohl sein Besitz als auch sein Einfluss in dieser Gegend sollte sich allmählich mehren.

Alles andere würden seine Freunde und angestellten Arbeitskräfte erledigen.

„Ein Konvoi! Er ist beschädigt und qualmt!“ Der laute Ruf des Wächters drang bis in die Ohren des schwarzhaarigen Zwergs. Krähe hob den Kopf und sah hinüber zu Lori, die wie eine Schäferin hinter den schwer bepackten Arbeitern herging.

Einen Augenblick später ließ Chrys sich auf seine Schulter sinken und berichtete das Gleiche. Vorläufig konnten die Augen des jungen Adlers es noch nicht mit dem verzauberten Fernrohr der Wächter aufnehmen, doch das würde sich bald ändern. Wenn Krähe sein Haustier richtig trainierte, würde sich der Vogel zu einem wertvollen Beobachter aus den Lüften entwickeln.

„Zap! Wir müssen den Verkauf starten!“, rief die rothaarige Amazone, während sie auf den Zwerg zugeeilt kam. „Legen wir sofort los? Wir haben Eier und Fleisch, und reichlich anders! Schau nur, welche Köstlichkeiten Schmutt zubereitet hat.“

„Ja, verkaufen müssen wir.“ Krähe nickte. „Aber ich kann mich nicht mehr selbst darum kümmern. Wir müssen einen Händler anstellen. Und bis dahin bist du dafür zuständig, Schatz.“

„In Ordnung. Ich übernehme den Marktstand, aber die Arbeiter müssen jetzt vorläufig im Hof bleiben. Jenseits der Grenze zum Außenposten sind wir heute schon dreimal auf Kannenpflanzen gestoßen und haben sogar einen überlebenden Ork entdeckt, der sich unter einem Erdhaufen versteckt hatte.“

„Ich finde schon etwas für sie zu tun.“

„Hast du die Minen beseitigt?“

Der Zwerg nickte und drückte auf den Blasebalg, dass die Funken stieben. „Der Hof ist geräumt. Ich habe alles im Versteck im Grabmal verstaut. Wann werden wir beide uns zusammensetzen und in Ruhe über Vurrius diskutieren? Mir wäre es nach dem Abendessen recht.“

„Ich bin zu diesem Abendessen mit den Wächtern nicht eingeladen“, erinnerte ihn die junge Frau.

„Tja, das ist das Schicksal der Spione: Sie müssen im Verborgenen bleiben.“ Der Spieler lächelte. „Egal, wir versorgen dich hier. Ich bleibe nur kurz, trinke ein paar Becher und komme dann direkt nach Hause. Ich muss weiter schmieden und graben... schmieden und graben...“

„Wird seine Exzellenz, unser blauäugiger Anführer, denn bald mal auftauchen?“, erkundigte sich Lori, während sie mühelos eine Holzkiste mit Geschirr anhob. „Ich habe ihn schon lange nicht gesehen.“

„Das wird noch eine Weile dauern“, erwiderte der Zwerg. „Er ist im Süden. Wie ich ihn kenne, genießt er sicher Tag für Tag die köstlichsten Speisen, trinkt guten Wein, liest anspruchsvolle Bücher und nervt alle in seiner Umgebung mit seiner unglaublich königlichen Extravaganz.“

„Ganz bestimmt!“ pflichtete Lori entschieden bei. „Genau so ist er. Ich weiß noch, früher...“

„In Zukunft wird es noch spannender werden“, sagte Krähe, lächelte erneut und griff zum Hammer. „Mach dich jetzt an den Verkauf. Verdiene etwas Geld für uns. Aber erst gib unseren Leuten zu essen.“

„Zap, hat das Funkeln in deinen kurzsichtigen kleinen Zwergenäuglein etwa zu bedeuten, dass du die alten Zeiten wieder aufleben lassen willst? Oder willst du, wie du so großspurig verkündet hast, für noch spannendere Zeiten sorgen? Werden wir wieder eine Legende? Eine neue, großartige Legende?“

Loris Miene verriet, dass sie nicht nur aus Neugier fragte. Die Antwort war ihr wirklich wichtig. Eine Lüge kam nicht in Frage, deshalb hob der Zwerg den Kopf und antwortete ganz ehrlich.

„Gibt uns etwas Zeit, dann werden wir genau das: ein neue, großartige Legende“, sagte er, während er ihr fest in die Augen sah.

„Ja!“, rief Lori aus und stampfte auf den Boden. „Ja! Ich kann es kaum erwarten!“

„Aber ich werde der Coolste von allen“, fügte Krähe hinzu und wollte sich dann wieder seiner Schmiedearbeit widmen.

„Vergiss es, Zap! Cooler als ich sind nur Eisberge. Und selbst bei denen hocke ich mich oben auf die Spitze. Du wirst schon sehen! So, jetzt gehe ich verkaufen. Übrigens brauche ich etwas von dem Geld. Für verschiedene Dinge, die man als dolchbewaffnete Attentäterin eben so braucht. Du weißt schon, hier ein bisschen, da ein bisschen...“

„In Ordnung“, grummelte der Zwerg. „Nimm es dir, aber übertreib es nicht. Und noch etwas: Kümmere dich um Amou und Mith. Meiner Meinung nach sind sie geeignet.“

„Ja, das glaube ich auch.“ Lori nickte entschieden, während sie einen umgestoßenen Tisch hochhob. „Erstaunlich geeignet sogar. Im Augenblick sind sie noch niedliche Kätzchen, die von Waldyra geschützt werden. Aber wenn man ihre übermäßige innere Güte ein wenig zurechtstutzt... wenn man ihnen genug finstere, aber furchtbar interessante Missionen gibt... dann werden sie sicherlich hervorragende Kämpfer.“

„Erledige das“, sagte Krähe und musterte den etwas geschrumpften Stapel mit erbeutetem Schrott. „Fang sie vor dem Festessen ab und sag ihnen, wie genau sie sich bei einem solchen Anlass zu verhalten haben.“

„In Ordnung. Danach bin ich für eine Stunde in Algora, und anschließend muss ich mich um etwas anderes kümmern. Ich werde erst spät nach Hause kommen, Schatz. Schließ die Tür nicht ab und wickel dich nicht in die Decke ein, damit ich dich nicht aufwecken und mit Gewalt wieder auswickeln muss.“

„Moment mal, wann reden wir denn dann über Vurrius?“

„Später.“ Die Amazone zuckte die Achseln und setzte den Markttisch direkt in die Öffnung in der Einfriedung, sodass er den Eingang versperrte. „Ich sammele gerade Informationen.“

„Dann will ich dir nicht in die Quere kommen. Wirst du zu Fuß unterwegs sein?“

„Ja, ich muss ein Stück laufen.“

„Töte aber niemanden, Liebling.“ Krähe riss mit gespieltem Entsetzen die Augen auf. Dann lachte er lauthals los. „Versuche, einen alten Händler mit einem Lehrling zu finden. Versprich den beiden Nahrung, Schutz, eine behagliche Unterkunft, fairen Lohn, Bier und andere Vergünstigungen. Apropos Bier — bringe doch bitte so viel Vorrat wie möglich mit. Und ein paar einfache, aber interessante Kochrezepte — als kleines Geschenk für Schmutt. Aber achte darauf, dass diese Rezepte würzig sind oder am besten eine exotische Note haben. Und die Zutaten müssen die üblichen sein, normale Dinge wie Rindfleisch, Mehl und Pfeffer. Und außerdem —“

„Hey, hey!“, protestierte die junge Frau. „Halt mal die Luft an! Ich habe vor, Informationen zu suchen, schon vergessen? Nun, vielleicht erledige ich auch den einen oder anderen Mob. Und du willst mir lauter Erledigungen aufbürden? Vergiss es, das kommt nicht in Frage. Rezepte und ein paar Vorräte von anderen Außenposten, die auf dem Weg liegen — in Ordnung. Aber das ist auch alles!“

„Pah!“, beschwerte sich der Spieler.

„Spar dir dein ‚Pah‘, Zap!“

„Na gut.“ Der Zwerg seufzte. „Vorräte, Rezepte und Informationen. Der Konvoi ist fast da. Hol die schweren Kisten hervor, meine Schöne.“

Diese Aussicht stimmte Lori so froh, dass sie dreimal so schnell über den Hof eilte — das hatte sie ihrer Kraft und ihrer Wendigkeit zu verdanken. Dabei wich sie geschickt allen anderen Haushaltsmitgliedern aus, ob Hunden oder Menschen, ob eifrig bei der Arbeit oder nur faul die Nachmittagssonne dösend.

Der Innenhof war noch nicht komplett aufgeräumt. Die Arbeiter machten sich für das Abendessen bereit, danach würden sie zu Bett gehen. Der angeheuerte alte Krieger saß auf einem hohen Stuhl am Hügel und sah misstrauisch in den Himmel und in die Ferne. Der Veteran hatte die hässlichen, gemeinen Harpyien, die Boten und persönlichen Diener der finsteren Göttin Guorra, noch allzu gut in Erinnerung. Diese geflügelten Biester konnten so unverhofft angreifen, dass man tot war, ehe man es sich versah.

Sehr bald würde Krähe einen weiteren Krieger anheuern müssen, einen Bogenschützen, und außerdem einen Tank, der einem feindlichen Angriff standhalten konnte. Zuallererst musste er jedoch die unterirdischen Wohnräume ausbauen und richtig fertigstellen. Apropos fertigstellen... Dafür brauchte er einen weiteren Zwerg. Einen weiteren fähigen Mauerer, aber mit einer etwas anderen, eher magischen Spezialisierung. Ein fortgeschrittener Lehrling würde ausreichen. Krähe wusste, wo so jemand zu finden war, allerdings nicht, wann er die Zeit für eine solche Erledigung haben würde.

So viel zu tun... Aber was das nicht das Schöne am Leben?

Vom Turm ertönte ein lauter Metallgong. Der ruhige, friedliche Klang kündigte das bevorstehende Abendessen an, das in weniger als 30 Minuten stattfinden sollte. Mit diesem Signal wollte der Koch verhindern, dass die von ihm bereiteten Speisen kalt wurden. Die Wächter am Außenposten lebten spürbar auf, sie schmunzelten und unterhielten sich lauter als zuvor. Sie wirkten genau wie „echte“ Menschen. Ganz normale Soldaten, die den ganzen Tag gekämpft und dann Leichen und Beute weggeschleppt hatten. Nun hatten sie offensichtlich mächtig Hunger. Das zünftige Essen kam gerade richtig... nur verständlich, dass sie voller Vorfreude waren. Einfache, berechtigte Bedürfnisse sollten immer gestillt werden.

Der Zwerg hämmerte schneller. Er war etwas spät dran, denn er musste vor dem Abendessen noch drei oder vier Barren schmieden, wollte sich waschen, die Haare kämmen, saubere Kleidung anziehen und nicht als Letzter am Tisch der Wächter erscheinen. Wenn Zenturio Vurrius in den „Speisesaal“ kam, mussten Krähe, Mith, und Amou bereits dort sein.

„Wir sind wieder da! Habt ihr uns vermisst? Krähci! Lori! Die Helden sind zurück!“ Aus dem Teleportationsblitz kam ein Pärchen zum Vorschein, das fröhlich über das Gras stolzierte.

„Ochsen! Hinter euch!“, rief Lori schnell und deutete auf die Gefahr, die die beiden Freunde nicht bemerkt hatten.

Das Paar drehte sich um und sprang eilig zur Seite — die beiden waren fast unter die Hufe von zwei mächtigen Bullen geraten, die ihre massigen, gehörten Köpfe gesenkt hatten und mit schweren Schritten einen voll beladenen, qualmenden Karren hinter sich her zogen.

„Wir müssen ihnen beibringen, sich umzuschauen, sobald sie aus dem Teleport kommen“, murmelte Krähe schuldbewusst. „Sorglose Neulinge! Unachtsame Dummköpfe!“

Die Dummköpfe waren der Kollision mit dem gefährlichen Rindvieh entgangen und eilten auf Lori zu, denn sie hatten schnell erkannt, dass diese im Gegensatz zu Krähe ihre Hilfe brauchte.

Der Zwerg warf die letzte Portion Metallschrott auf die Kohlen und musterte den Konvoi, der sich langsam auf das Gelände des Außenpostens bewegte. Die Karren zeigten Spuren eines feindlichen Angriffs. Einige Ochsen fehlten; zerfetzte Geschirre schleiften über den Boden. Viele Räder waren verbrannt, eierten und qualmten. Die Leinwand über den Ladungen war an vielen Stellen zerrissen und hing zum Teil sogar in Fetzen, als hätte ein Tiger seine scharfen Krallen durch den Stoff gezogen.

Ein Tiger oder ein Säbelzahntiger... Die gefährlichen Raubkatzen der Grauorks konnten durchaus derartige Krallenspuren hinterlassen. Die anderen Risse und Löcher waren das Werk der Harpyien, die wie Sturzbomber aus den Lüften kamen. Doch der Konvoi hatte überlebt, also war er sicher nur an einen kleinen Kundschaftertrupp geraten: Ein paar Reiter auf Säbelzahntigern und einige Harpyien.

Die Konvoileute waren in jämmerlicher Verfassung. Zum Glück würde Lori sie mit Nahrung, Brennholz und anderen Vorräten versorgen. Darüber hinaus hatte der Zwerg mehrere geeignete Räder und Achsen für sie. Selbst ein paar Hufeisen würde er auftreiben...

Krähes Vorhersagen bewahrheiteten sich voll und ganz. Die von der Reise und den Kämpfen erschöpften Männer entdeckten den Marktstand. Kaum hatten sie ihre Karren abgestellt, eilten viele hinüber zur Verkäuferin, die verführerisch lächelte, während sie mit drei Rebhuhneiern und zwei Hufeisen gleichzeitig jonglierte. Die Männer richteten ihre gierigen Blicke auf die Gegenstände, die durch die Luft flogen. Hmm... Krähe war noch nie auf die Idee gekommen, seine Dienste auf diese Weise anzupreisen... Er schnaubte missmutig und hämmerte eifrig weiter, um sein Tagespensum zu schaffen.

* * *

Wie sollte man sich bei einem Essen mit Zenturio Vurrius verhalten?

Die Antwort ist ganz einfach: Still sitzen, nicht reden, nicht zu viel essen, zuhören, was gesagt wird, keine seltsamen Kampfschreie ausstoßen, niemanden loben, niemanden kritisieren...

Mit anderen Worten: Einfach dasitzen und stumm essen. Und aufmerksam zuhören. Sonst nichts.

Diese Anweisungen hatte der Zwerg Amou und Mith gegeben. Und genau so verhielt er sich auch selbst.

Natürlich waren ihre Plätze am untersten Ende der Tafel, weit weg vom mächtigen, tapferen Zenturio. Er saß so gebieterisch da und sah sich so streng um, dass er an große Herrscher aus alten Zeiten erinnerte, wie Alexander den Großen und Timur. Vurrius hatte zwar nicht so große Macht und weitaus weniger Soldaten in seiner Truppe, doch er wirkte dennoch sehr eindrucksvoll.

Essen gab es reichlich. Keinen edlen Kaviar oder Shrimps in Honigsauce, sondern einfache, herzhafte Speisen: Fleischsuppe mit genügend Nachschlag für alle, Nudeln mit Fleischsauce, Fleischpasteten, Kirschmarmelade ... Besonders die Marmelade beeindruckte Krähe zutiefst, denn sie war außerordentlich köstlich. Der Zwerg ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, sich in aller Stille eine Scheibe Toast nach der anderen damit zu bestreichen und so viel wie möglich zu verdrücken. Auf das Wohlwollen des Zenturios war kein Verlass. Heute mochte er ihn zum Essen einladen, morgen schon konnte er ihn davonjagen...

Bei Tisch hielt Vurrius endlose Vorträge. Während er aß, schwadronierte er mit heiserer Stimme über die gerade beendete Schlacht. Diese Redseligkeit war bei ihm ungewöhnlich, und doch verlor er kein Wort zu viel. Nur wohl dosiertes, ehrliches Lob, erstaunlicherweise auch für die Fremden. Außerdem versicherte er, dass diese Schlacht erst der Anfang gewesen war, dass den Orks eine ordentliche Abreibung blühte, dass sie den Feinden so zusetzen würden, dass sie sich mit eingezogenen Schwänzen schnellmöglich wieder in die Berge verziehen würden. Man muss den Tod nicht fürchten, wenn man für das Richtige stirbt; trotzdem ist es besser, wenn man nicht das Leben verliert, sondern geschickt kämpft und sich und seine Kameraden verteidigt.

Diese Worte passten eindeutig nicht zu einem Zenturio, sondern eher zu einem Chiliarchen. Der tapfere Veteran war es gewöhnt, Regimenter mit Tausenden von Soldaten zu befehligen.

Der Zwerg hörte gar nicht richtig zu, was Vurrius sagte, und schnappte nur wenige Worte seiner Rede auf. Der Spieler wusste genau, dass der Zenturio keine Geheimnisse verraten würde. Und dass das Essen nicht lange dauern würde.

Und genau so war es. Kaum eine Stunde später erhob sich Vurrius vom Tisch und verließ als Erster den Raum. Die anderen folgten ihm. Im Weggehen plauderten die Wächter, strichen sich über die gut gefüllten Bäuche und gähnten heftig. Bald würden die meisten von ihnen in Tiefschlaf versinken.

Die Spieler sprangen rechtzeitig auf und verließen den Tisch weder als Erste noch als Letzte. Ein gesundes Mittelmaß war das Allerwichtigste. Krähe dankte Vurrius mit einem knappen Nicken, ohne auf ihn zuzugehen. Ihr Waffenstillstand war zu fragil und durfte nicht gefährdet werden. Der Zenturio zögerte kurz, ehe er ebenfalls nickte. Dann wurden die Spieler von einem Wächter angesprochen, der für die Vorräte zuständig war. Er führte sie zu einem weiteren Berg Plunder, der auf einem Leintuch ausgebreitet war.

„Euer Anteil“, erläuterte der Wächter und deutete auf den Haufen. Dann schlug er dem schmächtigen Kartenmeister auf die Schulter und ging zurück zur Küche. Gray Mithril, der fast in die Knie gegangen war, schüttelte den Kopf und rieb sich das schmerzende Gelenk.

„Was sollen wir damit anfangen?“, fragte er dann.

„Mal sehen... Alles, was verrostet und kaputt ist, schmelze ich ein“, sagte Krähe. „So etwas kauft ohnehin niemand, höchstens ein Schrotthändler, und die zahlen nicht viel. Ich dagegen habe gute Verwendung dafür. Deshalb behalte ich den gesamten Metallschrott. Kommt, wir sortieren die Sachen.“

„Ja, legen wir los“, stimmte Amou zu, und alle drei stürzten sich auf die Beute.

Eine Viertelstunde später hatte sich der Stapel in drei kleinere verwandelt. Zwei davon gab der Zwerg seinen Freunden.

„Spart auch ein paar Schriftrollen auf, mit denen ihr in die Stadt Krom teleportieren können“, riet er ihnen. „Sie liegt in der Nähe des Dunkelwalds und befindet sich in ständigem Kriegszustand, deshalb werden dort immer Rüstungen benötigt — besonders solche, die für große Kerle wie Orks und Halborks geeignet sind. Stellt euch einfach auf den Platz am Zeughaus und ruft: ‚Grauork-Trophäen!‘, dann werdet ihr alles im Handumdrehen los. Vorher schaut ihr am besten in einem kleinen Laden vorbei, der Waffen verkauft, und informiert euch, was er für entsprechende Ausrüstung verlangt. Euer Preis sollte dann ein Drittel weniger betragen. Nehmt auch mein Zeug mit, zum Verkaufen.“

„Vielen Dank für den Ratschlag, Señor!“, stieß Amou hervor. „Genau so werden wir es machen.“

„Bei der Gelegenheit solltet ihr ein paar Karten mit Waldriesen besorgen“, fuhr Krähe fort. „Die sind zwar dämlich, aber sehr stark. Mith könnte einige davon in seinem Arsenal gebrauchen.“

„Danke! Bekomme ich dort noch andere gute Karten?“, erkundigte sich der Kartenmeister, während er ein Teil nach dem anderen in seinem Rucksack verstaute. „Ich habe kaum noch welche übrig.“

„Schwarze Panther und Wölfe aus dem Dunkelwald kämen in Frage, das sind hervorragende Mobs. Aber Vorsicht: Diese Karten sind teuer und nicht leicht zu beschaffen.“

„Wir werden unser Bestes geben. Bis morgen! Wir kommen früh zurück, um dir bei deiner täglichen Arbeit zu helfen.“

„Bringt ein paar Exemplare des Waldyra Boten mit“, fiel Krähe auf einmal ein. „Und nehmt etwas von meinem Geld, um Mehl, Hirse und Räucherspeck zu kaufen. Außerdem will ich sechs lebendige Ferkel und 20 Küken. Und 20 kleine Enten!“

„Oho, soll hier etwa ein Bauernhof entstehen? Ok, verstanden. Bis bald!“

„Bis später.“

Während er den restlichen Plunder verstaute, murmelte Krähe halblaut vor sich hin.

„Ein Bauernhof, meint er... Schön wär’s... Nicht in diesem verwüsteten Chaos... Aber gut, wir werden alles in Ordnung bringen.“

Der Zwerg legte die Leinwand sorgfältig zusammen und brachte sie den Wächtern zurück. Erst dann begab er sich auf sein eigenes Grundstück. Dort lud er seinen Rucksack aus und vergewisserte sich, dass Lori noch immer nicht zurück war. Wieder griff er zum Blasebalg und fachte die Flammen im Ofen an.

Bald würde seine Kampfgenossin zurückkehren und vermutlich weitere aufregende Neuigkeiten mitbringen. Schon vorher hatte sie sich kaum im Zaum halten können, und nun würde sie darauf brennen, ihm alles anzuvertrauen. Sie musste etwas Spannendes über die Vergangenheit von Zenturio Vurrius in Erfahrung gebracht haben...

Kapitel Zwei

Es war einmal in einer dunklen, mondlosen Nacht ... Besser. Schneller. Stärker.

ES WAR EINMAL in einer dunklen, mondlosen Nacht, in der schwarzen Finsternis eines Grabs, in der Dunkelheit unter einer Decke, dass eine Stimme ganz leise flüsterte:

„Und so geschah all das! Seitdem, seit er diesen entsetzlichen Tag wie durch ein Wunder überlebte, hasst Zenturio Vurrius alle Fremden aus tiefster Seele und wünscht ihnen den Tod an den Hals. Und seitdem —“

„Das reicht“, erwiderte Krähe mürrisch und alles andere als leise. Mit einem Fingerschnippen entzündete er eine magische weiße Kerze, die sich in dem von den Grauorks erbeuteten Plunder gefunden hatte.

Als Lori das bemerkte, protestierte sie empört.

„Was machst du da?! Ich erzähle dir hier in eisiger Finsternis gruselige, albtraumhafte Geschichten aus einer düsteren, dunklen Vergangenheit, und du zündest einfach Kerzen an?!“

„Damit es gemütlicher wird!“, erklärte der Zwerg und brachte die flackernde Flamme vor seiner Freundin in Sicherheit, die schon die Wangen aufgeplustert hatte. „Du bist mit der Geschichte fertig, oder?“

„Ich habe dir noch nicht das Lied vorgesungen!“

„Welches Lied?“

„Das über Zenturio Vurrius! Man singt es in düsteren Kneipen am Rande von Sümpfen und in Gasthäusern unter eisigen Hügeln. Aber erst nach dem fünften Krug Höllen-Grog — das Rezept konnte ich mir übrigens sichern. Schon beim ersten Schluck brennen dir alle Knochen. Das Lied dagegen ist furchtbar traurig. Es reimt sich nicht, aber das ist egal. Bei einem Krug Höllen-Grog kann man es gut anhören. Pass auf!

„Er traute dem Schwur des gemeinen Fremden!

Der tapfere Krieger ahnte keinen Verrat!

Die ganze Armee führte er gen Dorragrall!

Sie kämpften wie Löwen, sie kämpften wie Tiger.

Die verfluchten Murklinge fielen in Scharen.

Doch selbst Titanen des Lichts müssen mal ruhen.

„Aus dem Silberhorn ertönte der Warnruf.

Ein Blitz erschien, ein Portal tat sich auf.

Doch der Fremde brach seinen Schwur.

Die versprochene Hilfe blieb aus.

Keine Verstärkung kam an jenem Tag.

Und die Kameraden sterben, einer nach dem anderen —“

„Hör auf, es reicht!“, unterbrach der Zwerg das Gejaule seiner Freundin. „Hör auf!“

„Es gibt auch einen Refrain, der geht so: Verflucht seist duuuu, verflucht seist duuuuuu…“

„Ich flehe dich an, hör auf zu jaulen!“

„Jaulen?!“

„Ich meine singen... Das ist so traurig, dass es mir in der Seele wehtut. Ich würde dir gerne zuhören, aber erst nach dem fünften Krug Höllen-Grog. Dein Gesang ist einfach zu traurig...“

„Ja, ich kann richtig traurig jaulen! Ich meine — singen. Du bringst mich ganz durcheinander!“

„Wir müssen erst lernen, wie man Höllen-Grog braut“, sagte der Zwerg entschieden und beendete damit die Diskussion. Er warf die Ecken seiner Decke zurück und steckte die Kerze in den Boden. „Kürzlich erst hatten wir eisiges Wetter — ideal für Getränke nach nordischer Art. Wenn die Zutaten nicht zu kompliziert sind, können wir den Grog schon morgen an Konvois und Karawanen verkaufen.“

Leise raschelnd glitt eine riesige Schlange zur Kerze. Mit ihrem erbsengroßen Hirn begutachtete sie die zuckende Flamme, erkannte, dass die Kerze keine Gefahr darstellte, und verschwand wieder in der Finsternis, aus der schon bald ein ersticktes Quieken ertönte. Mäuse hatten die Grabkammer befallen... Wo kamen sie her? Zum Glück kümmerten sich die Schlangen erfolgreich um die lästigen Nager und sicherten sich damit eine Extraportion Eiweiß als Ergänzung zu ihrer täglichen Milch.

Waldyra ist gewieft. Wenn ein Schaden nicht geheilt werden kann — zum Beispiel ein unterirdischer Tunnel —, versucht diese Welt, ihn zu besiedeln. Du hast eine Grabkammer geöffnet? Dann bekommst du Ratten und Mäuse. Ein Loch gegraben? Dann schnell ein paar riesige Hundertfüßer hinein, dazu wilde Krustenfluken, fleischfressende Maulwürfe und Mopsaras, die für ihr Grinsen berühmt sind.

„Alles ganz einfach also, ja?“ Der Zwerg rollte sich auf den Rücken und starrte hinauf zu dem Lichtfleck an der Decke.

Sein Liebling kuschelte sich an ihn und richtete den Blick auf die gleiche Stelle.

„M-mh“, murmelte Lori schläfrig. „Alles ganz einfach. Aber schlimmer hätte es nicht kommen können. Du weißt doch sicher noch, was unser blauäugiger, selbsternannter Herrscher zu sagen pflegte, oder? ‚Nichts ist einfacher als eine verlorene Sache.‘ Gut, wenn du meinen Gesang nicht hören willst, werde ich dir stattdessen etwas vorschnarchen. Ich werde jetzt schlafen. Heute gibt es kein Schäferstündchen, Sir Krähcher! Das kannst du vergessen. Ich bin erledigt...“

Kaum hatte sie den Satz beendet, war sie auch schon eingeschlafen und lag still neben dem Zwerg.

„Sie ist also erledigt, ja?“ Krähe schnaubte leise und betrachtete die schlafende junge Frau mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit. „Einen erholsamen digitalen Schlaf, mein Liebling. Morgen wartet ein neuer Tag...“

Lange blieb sein Blick auf Loris Gesicht ruhen, dann zwang er sich, wieder an Zenturio Vurrius zu denken, dessen Vergangenheit wahrhaft finster und furchterregend war. Ja, allerdings — eine verlorene Sache war außerordentlich einfach. In Waldyra ließen sich verworrene Ereignisse langsam auseinanderpflücken und geraderücken. Es mochte Tausende Fälle von Unrecht geben, im Großen und im Kleinen, grau und rosa in Hunderten von Schattierungen, eimerweise vergossenes Blut und geweinte Tränen — aber dennoch ließ sich alles wieder in Ordnung bringen. Es kam nur darauf an, wie viel Gold, Energie und Zeit man investieren wollte.

Verrat dagegen... Vor allem, wenn er so viele Todesopfer gekostet hatte... So etwas ist unverzeihlich. Und die loyalen „Einheimischen“ beruhigen sich danach nur selten wieder. Meist sogar ganz im Gegenteil — mit jedem Jahr, das ins Land geht, wird ihr Hass nur noch größer. Vor allem dann, wenn der Verräter für sein Handeln nicht mit Blut bezahlt hat.

Und in Vurrius‘ Fall hatte niemand bezahlt. Der Spieler, der Vurrius und seine Soldaten verraten hatte, war immer noch gesund und munter. Er hatte Waldyra nicht verlassen. Er sicherte sich mehr und mehr Reichtum, knüpfte wichtige Kontakte, verkehrte mit den Mächtigen dieser Welt und genoss es, zum Kreis der Auserwählten zu gehören. Das Leben meinte es gut mit ihm.

Der Name des Verräters war kein Geheimnis. Rahl Darovan — so nennt er sich.

Er ist ein durchaus bekannter Spieler. Aktuell gehört er zum ebenso bekannten Clan der Architekten und hat eine recht hohe Position mit viel Verantwortung inne. Krähe wusste auch einiges über den Nick, den sich der Spieler ausgesucht hatte. Vor langer Zeit hatte Rahl Darovan einem seiner früheren Freunde anvertraut, dass ihn die Gestalt des Darken Rahl faszinierte, die der Schriftsteller Terry Goodkind ersonnen hat. Für alle, denen das etwas sagt, ist das sehr aufschlussreich. Dieser Darken Rahl ist ein so finsterer Typ, dass ihm Vergleich zu ihm selbst der berüchtigte Darth Vader wie ein unschuldiger kleiner Engel wirkt. Als Rahl zum ersten Mal nach Waldyra kam und sich einen Avatar schuf, war das Wort „Darken“ bereits vergeben. So entstand Rahl Darovan und begann seinen Lebensweg in der magischen Welt.

All das kam dem Zwerg erst wieder in Erinnerung, als er tief in der Gedächtniskiste gegraben hatte. Dort, unter einer dünnen Schicht unnützen Plunders, waren noch ein paar interessante Informationen zu finden. Rahl Darovan war ein wirklich fieser Charakter. Und seine Taten ließen darauf schließen, dass er ein Ziel verfolgte, für das er Zenturio Vurrius und seine Leute ohne Skrupel opferte.

Wenn ein Goldschatz winkt, gibt man dafür nur zu gerne ein paar Cent her.

Alles war so einfach, geradezu banal.

Zu Beginn eines der Nord-Feldzüge war die Allianz des Lichts unglaublich erfolgreich. Sogar so erfolgreich, dass sie gar nicht merkte, wie weit sie die Murklinge schon zurückgedrängt hatte. Die dunkle Seite war gezwungen, in die Tiefen der eisigen Täler zurückzuweichen, die von scharfen Graten und tiefen Kluften durchzogen waren — eine Region, in der ewige Nacht herrschte.

Die Murklinge erlitten einen Niederlage nach der nächsten, während sie sich nach Dorragrall zurückzogen, einer mit dunkler Magie verzauberten, gewaltigen Festung aus Meteoritgestein und Eis. Ihr rascher, schmählicher Rückzug aus der Schlacht machte ihnen sehr zu schaffen. So etwas war noch nie zuvor geschehen. Der Feldzug, der normalerweise mehrere Monate hätte dauern sollen, war nach nur einer Woche vorbei. Die Kräfte der Lichts beschränkten sich auf einen verächtlichen Blick auf die undurchdringliche feindliche Festung im schneidenden Wind, der gefrorenen Schnee um Dorragrall wirbelte. Dann machte sich die siegreiche Armee auf den Weg in die Heimat, wo Sonnenschein, liebevolle Angehörige und köstliche Speisen warteten.

Genau so war es geplant. Um Dorragrall zu stürmen, fehlten ihnen die Kräfte. Es hatte keinen Sinn, unnötig lange in der ewigen, eisigen Finsternis zu bleiben, wo der Blick immer wieder auf seltsame Umrisse fiel, die sich am Rande des Fackelscheins abzeichneten... Ein Drittel der Soldaten war krank oder verwundet. Die Nahrungsmittel und sonstigen Vorräte schwanden dahin. Die Krieger waren müde. Es war an der Zeit, nach Hause zurückzukehren...

Doch genau in diesem verhängnisvollen Augenblick, als Zenturio Vurrius schon fast den Befehl erteilt hatte (und damals hatte er eine weitaus einflussreichere Position inne gehabt), tauchten mehrere Fremde im Eingang zum Kommandantenzelt auf. Dabei ist anzumerken, dass die Fremden wohlbekannt und vielerorts sehr angesehen waren. Der Held Vurrius begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung, ließ sie am Tisch Platz nehmen und hörte aufmerksam zu, was sie zu sagen hatten. Ihr Angebot ließ ihn gründlich nachdenken... Die Fremden hatten etwas Undenkbares vor: Ihr Vorschlag lautete, hier an der Festung Dorragrall zu bleiben und den Murklingen den finalen Schlag zu verpassen. Die Verteidigung der widerlichen Kreaturen zu durchbrechen, einzudringen und erst den Feind, dann die gesamte Festung zu vernichten. Zunächst würden sie gewisse Artefakte zerstören und dann mit Hilfe des erweckten Vulkanfeuers das verfluchte Dorragrall einschmelzen und niederbrennen. Nichts sollte davon übrigbleiben, nur eine jämmerliche, qualmende Pfütze. Und später nicht einmal das, sondern nur ein leeres, eisiges Plateau, über das die unbarmherzigen Winde pfiffen...

Der Fremde Rahl Darovan schwor, dass er beim Klang des Silberhorns — eines mächtigen Artefakts, das der Elfenkönig persönlich hergestellt hatte — zahlreiche große Krieger und Zauberer herbeibringen würde, die sich in den Kampf einschalten und die Armee des Vurrius dabei unterstützen würden, zumindest diesen Teil des Murklands ein für alle Mal vom Abschaum der Murklinge zu befreien.

Vurrius überlegte gründlich. Doch der Fremde Darovan wusste ganz genau, was er anbieten musste. Welcher Krieger konnte so etwas ablehnen? Vurrius war keine Ausnahme. Die beiden besiegelten die Abmachung per Handschlag. Das, was am nächsten Tag geschah, bezeichnete man später als Massaker des Dritten Nord-Feldzugs, der so unglaublich erfolgreich begonnen und ein so entsetzliches Ende genommen hatte...

Der Grund war ganz einfach. Als Vurrius das Silberhorn benutzte, das man ihm gegeben hatte, öffnete sich ein gewaltiges Portal und ... niemand kam den Kämpfern zur Hilfe. Das Horn ertönte wieder und wieder... Das Portal öffnete sich wieder und wieder ... Die Magie des Artefakts wurde immer schwächer. Die Murklinge gingen zum Angriff über. Wie albtraumhafte Schatten glitten sie die eisigen Wände hinunter...

Einige Stunden später hatte Vurrius, mittlerweile der Verzweiflung nah, die Hälfte seiner Armee verloren. Ein Sieg war ausgeschlossen, auch auf Rettung bestand keine Hoffnung. Und dann... Erbost warf Vurrius das nutzlose Silberhorn weg und verschwand zwischen den eisigen Hügeln. Seine irren Schreie schallten von dem höhnischen Eis wider. Dann stürzte er... Viele sahen, wie er in einer bodenlosen, schwarzen Felsspalte verschwand. Der Kommandant war nicht mehr da. Er fiel in einen Abgrund und war verschwunden. Die Armee, die sich verzweifelt zurückzog, hatte keinen Anführer mehr. Daraufhin flüchteten die Soldaten... Die heulenden Murklinge verfolgten sie gnadenlos, hieben ihnen in den Rücken und fingen viele lebendig, indem sie sie in Eiskristalle einschlossen. Es war ein entsetzlicher Anblick: Erfrorene Gestalten im Eis, aufrecht wie Grabsteine, die mit reglosen Augen zusehen mussten, wie ihre Kameraden davoneilten. Das war das Ende. Das Ende von allem ...

Und dann geschah ES. Der Schneesturm schlug zu. Ein wilder, eisiger Blizzard von ungeahnter Kraft, der im Handumdrehen alles in ein weißes Laken hüllte. Es wurde stockdunkel. Die Fackeln erloschen. Sämtliche Lichtquellen verschwanden. Selbst die Sterne waren nicht mehr zu sehen.

Als der Himmel wieder aufhellte, stießen die erstaunten Krieger ungläubige Rufe aus: Dorragrall war nicht mehr zu sehen! Alles hatte sich verändert. Sie standen an einem vertrauten Ort — einem Ort, der viele Kilometer entfernt lag. Die Überreste der Arme fanden sich unverhofft an der Südküste des Murklands wieder. Und direkt an der Küste, nur einen Steinwurf von dem riesigen Armeelager entfernt, das sie selbst errichtet hatten, warteten Schiffe auf sie. Wie war das möglich?! Wie hatten sie in Sekundenschnelle Dutzende von Meilen zurücklegen können?!

Bis heute kennt niemand die Antwort.

Bis auf Vurrius selbst.

Seine gewaltige, vornübergebeugte Gestalt stand inmitten der Überreste seiner Armee. Der Krieger war von Kopf bis Fuß mit einem geheimnisvollen, furchterregenden grünen Frost überzogen, der nicht schmelzen wollte. Sein Gesicht erinnerte an eine schwarz-grüne Maske, während seine qualmenden Augen blind ins Nichts starrten... Aus seinen Augen stieg Qualm. Wer, wenn nicht Vurrius hätte es geschafft, die Überreste der Armee zu retten und in Sicherheit zu bringen?

So endete der Dritte Nord-Feldzug.

Die Murklinge wurden wieder zurückgedrängt, ihre Pläne scheiterten. Diesmal jedoch waren die Verluste katastrophal. Die Karriere des Vurrius war beendet, doch er schien es gar nicht zu registrieren. Nichts schien ihn mehr zu interessieren.

Viele versuchten zu erraten, wie seine Armee entkommen war. Alle waren sich einig, dass Vurrius selbst der Schlüssel sein musste, doch es gab unterschiedliche Theorien.

Manche flüsterten, dass ganz unten in der Felsspalte, in die der irre Zenturio gestürzt war, Eisdämonen hausten, denen Vurrius seine Seele verkauft haben musste, damit sie seine Leute retteten.

Andere vermuteten, dass Vurrius bei seinem Sturz in die Schlucht gestorben war, da man einen Aufprall aus dieser Höhe kaum überleben konnte. Dort, ganz unten im Abgrund, musste er einen Pakt mit etwas oder jemandem geschlossen haben, das oder der über unglaubliche Macht verfügte. Diese Macht erweckte Vurrius wieder zum Leben und rettete die Armee. Doch irgendwann würde Vurrius für diese Hilfe teuer bezahlen müssen...

Wieder andere, die am Rande der verhängnisvollen Felsspalte gestanden hatten, beteuerten, dass sie in der Finsternis tief unten die schwachen Umrisse seltsamer Gebäude gesehen hatten. Diese Gebäude hatten an eine Art Tempel erinnert... Aber wer um alles in der Welt würde einen Tempel in einem tiefen, eisigen Graben bauen, noch dazu im Murkland, in unmittelbare Nähe der Murklinge? Wer wäre so irrsinnig? Oder war dieser Jemand so mächtig, dass ihm die Murklinge und die ewige Kälte und Finsternis des Murklands gleichgültig waren?

Niemand konnte die Wahrheit entschlüsseln. Im Laufe der Zeit geriet das ganze Geschehen in Vergessenheit. Die Tragödie war nur noch eine Erinnerung...

So lautete die entsetzliche Geschichte, die, wenn man alle Gerüchte zusammennahm, alles andere als komplett war. Bis heute lief Vurrius vor etwas oder jemandem davon. Er zog im wahrsten Sinne des Wortes durch die Weiten von Waldyra und schaffte es irgendwie, gleichzeitig seine Pflichten als Wächter zu erfüllen. Er verteidigte Außenposten und führte die Anweisungen des Königs aus. Darüber hinaus beschützte Vurrius sogar die verfluchten Fremden, die er aus dem Grunde seiner qualmenden Seele hasste.

Nun war offensichtlich, warum er und Krähe so unversöhnliche Nachbarn waren. Es konnte nicht anders sein. Krähe war ein Fremder. Ein Schandfleck. Eine böse Erinnerung an die Vergangenheit. Ein Dorn im Auge. Und Vurrius hatte versucht, diesen Dorn loszuwerden und ihn so weit wie möglich vom Grauen Gipfel fortzuschleudern. Doch der Zwerg entpuppte sich als sehr hartnäckiger Dorn. Er konnte hier nicht fort, deshalb grub er die Fersen mit aller Kraft in den felsigen Boden. Hier war sein Land. Er würde nicht weggehen.

Waren seine Probleme mit Vurrius vorbei? Nein, unmöglich. Das System zeigte noch immer ein negatives Verhältnis. Nur durch seine Tapferkeit in der Schlacht hatte Krähe sich etwas Wohlwollen des Zenturios sichern können, sodass ihre Beziehung ein klein wenig aufgetaut war. Immerhin hatte Krähe den Grauen Gipfel nicht verraten; er war nicht davongelaufen, um sein Geld oder seinen Besitz zu retten. Der Zwerg war geblieben und hatte die Grauorks und ihre kleinen Freunde vertrieben. Selbst der gigantische Schwärmer, der wie eine Ausgeburt der Hölle über ihren Köpfen gekreist war, hatte ihn nicht aus der Ruhe gebracht.

Was war sonst noch bekannt? Vurrius wurde nach wie vor „gemolken“ — die Clans ernteten durch ihn mühelos Wetterkatastrophen, als würden sie nur die Sahnehäubchen von einem geschenkten Kuchen naschen. Lori hatte erwähnt, dass viele Clans den armen Zenturio so missbrauchten. Die letzten waren die Rastlosen gewesen, die vermeintlich ihre Hilfe angeboten hatten. Da Vurrius Fremde zutiefst hasste, hatte der Clan offenbar mächtigen Einfluss, zum Beispiel einen guten Ruf bei den Wächtern von Algora. Das wäre ein sehr überzeugender Einfluss. Vielleicht steckte aber noch mehr dahinter. So kalt und abweisend Vurrius auch wirken mochte, sicher gab es einen Schlüssel zu seiner gnädigeren Seite. Man musste ihn nur finden. Und alteingesessene Spiel-Clans haben Spieler, die dazu in der Lage sind — man kann nur staunen, was sie vollbringen können.

Ein weiterer interessanter Aspekt: Zu den Clans, die mehrere unglaublich mächtige Unwetter für ihre Zwecke genutzt hatten, zählten auch die Architekten, einer der ältesten und mächtigsten Clans. Und eine ihrer Schlüsselfiguren ist Rahl Darovan — genau der, der Vurrius einst verriet und ihm unerträgliches Leid zufügte.

Wie war ihnen das gelungen? Wie hatten sie verhindert, dass sie der ungeheure Hass des Zenturios traf? Nun... Rahl Darovan selbst ließ sich hier natürlich nicht blicken. Alles wurde von seinen Clangenossen erledigt. Es machte sich bezahlt, dass der Clan bei den Wächtern ein so hohes Ansehen genoss. Auch andere Möglichkeiten waren denkbar. Wenn man genauer nachbohrte, konnte Interessantes zutage treten.

Die zweite naheliegende Frage: Welchen Grund hatte der Verrat? Die Architekten präsentierten sich ausschließlich als Clan des Lichts. Doch in Wirklichkeit stimmte das nicht: Hinter dem äußeren Schein von Anstand und besten Absichten spielten sich einige sehr dunkle Dinge ab, größere und kleinere. Die sah jedoch niemand. Alles geschah im Hintergrund, hinter verschlossenen Türen. Und wenn sich der Vorhang hob, waren auf der Bühne nur strahlende Paladine und Priester des Lichts zu sehen, tapfere Krieger und mächtige Zauberer — ausnahmslos Helden, die heulende Zombies mit Blitzen erledigten. Die wallenden Umhänge und wehenden Flaggen verbargen nur zu gut, welche Finsternis im Inneren schwärte — Gier, Machthunger und mangelnde Moral. So sind alle Clans, denn anders schafft man es nicht an die Spitze.

Doch die Architekten schreckten sogar vor Verrat nicht zurück. Darauf hätten die Wächter von Algora sehr negativ reagieren können. Alles hätte zum Teufel gehen können, denn die Soldaten lagen dem König persönlich sehr am Herzen. Der Herrscher über das Königreich Algora hätte ohne Weiteres eine einfache Frage stellen können: Warum habt ihr gelogen und seid nicht gekommen? Ganz sicher wurde diese Frage geäußert — in ernstem Ton, wie ein Donnergrollen. Und zwar im Thronsaal, vermutlich vom König selbst. Es war unmöglich, auf diese Frage nicht zu antworten. Unmöglich! Der Clan der Architekten konnte nicht schweigen. Jemand musste reagieren, wenn der allmächtige König Auskunft verlangte, entweder Darovan selbst oder das Clanoberhaupt. Der Clan musste ausführlich darlegen, wieso er nicht Wort gehalten hatte und der Armee, die im Land des Eises vom Tod bedroht war, nicht zur Hilfe gekommen war.

Darüber musste man nicht lange nachgrübeln — was geschehen war, lag auf der Hand. Die Architekten hatten demütig gehorcht, als der allmächtige Herrscher von Algora sie rief. Sie hatten respektvoll die Köpfe gesenkt und dann eine lange, ausführliche Antwort geliefert. Da der traditionsreiche Clan in Waldyra noch immer sehr beliebt war, hatte die Antwort den König offenbar uneingeschränkt oder zumindest einigermaßen zufriedengestellt. Eine Strafe wurde abgewendet, das Ansehen blieb erhalten. Genaugenommen ging das Ansehen schon ein wenig zurück, doch das war zu vernachlässigen, denn die Einbußen betrugen nicht mehr als ein oder zwei Punkte. Genauso erging es den Wächtern von Algora und all jenen, die in der Region zwischen der Südküste des Murklands und dem Scherben-Archipel lebten. Alle sind in gewisser Weise miteinander verbunden, da sie häufig Feldzüge gegen die verfluchten Murklinge unternehmen. Diese Murklinge sind nämlich eine echte Bedrohung, die ständig über vielen schwebt, sodass Fischer, Walross- und Walfänger sowie die Ortschaften des Nordens insgesamt meist keinen Aufwand scheuen und recht viele Männer in den Kampf schicken. Sollten die Oberhäupter dieser Gruppen Wind vom Verrat des Rahl Darovan und des Architekten-Clans insgesamt bekommen ... Dann würde ihr Ansehen weiter sinken. Und wieder würden sich das Clanoberhaupt sowie der Täter vor verschiedenen Gruppen erklären müssen.

Dennoch setzten die Archis ihren Plan um. So geschickt, dass sie kaum Verluste hinnehmen mussten. Das wusste Krähe, weil er nichts davon gehört hatte, dass die Architekten unter den Einheimischen von Waldyra an Beliebtheit eingebüßt hatten.

Somit ergaben sich einige einfache Schlussfolgerungen.

Alles war von Anfang an geplant gewesen; es handelte sich nicht um eine spontane Aktion.

Die Architekten wussten um die katastrophalen Folgen und hatten sich im Voraus eine sehr überzeugende Erklärung zurechtgelegt.

Sie verfolgten eindeutig ein sehr wichtiges Ziel. Und höchstwahrscheinlich hatten sie dieses Ziel erreicht, während es ihnen gelungen war, alles geheim zu halten.

Ihr Ziel war ihnen so kostbar, dass sie dafür sogar ihr Ansehen bei den wichtigsten Fraktionen von Waldyra riskierten. Dazu zählten die Wächter von Algora, die den Friedenstruppen von Waldyra entsprachen — Streitkräfte, die bereitwillig in der ganzen Welt eingesetzt wurden. Wenn man Wohlwollen dieser Wächter freiwillig aufs Spiel setzte...

Vurrius war nur ein Bauernopfer. Wieso die Archis ihn ausgewählt hatten, lag auf der Hand. Der ehemalige Militärkommandant und Kriegsheld vereinte mehrere Charaktereigenschaften, die sich ideal manipulieren ließen. Er war ein fanatischer Krieger, der für die Schlacht lebte. Er hasste die Murklinge. Wie jeder Held und bewährter Kämpfer träumte er von einer epischen, legendären Schlacht — und genau das wäre die Erstürmung der Eisfestung Dorragrall gewesen.

Vieles sprach dafür, dass der Plan von zahlreichen durchtriebenen Spionen und gewieften Schlauköpfen ausgeheckt worden war, die Tag und Nacht daran arbeiteten, für den Clan den gemeinen Verrat zu ersinnen. Alles war genau durchdacht, bis ins kleinste Detail, und äußerst geschickt umgesetzt worden.

Die vielen Hundert toten Soldaten waren nur Kollateralschaden. Ebenso wie Vurrius, der fast den Verstand verloren hatte.

Das Einzige, was vermutlich nicht dem tückischen Plan der Architekten entsprach, war die wundersame Rettung der Überreste der Armee aus dem eisigen Gefängnis. Höchstwahrscheinlich hatten die Architekten tatsächlich gehofft, dass niemand das Gemetzel überleben würde. Das Geschehen ließ sich dem König viel leichter erklären, wenn es keine Gegenversion gab.

Krähe hatte in der Vergangenheit schon viel erlebt und verfügte über einen reichen Erfahrungsschatz. Deshalb hätte er seinen eigenen Hügel darauf verwettet, dass sich zwischen Dorragrall und der Südküste des Murklands etliche Grüppchen mit Kämpfern der Architekten in den Schnee- und Eisverwehungen versteckt hatten. Ihr Auftrag bestand darin, die wenigen Überlebenden, die sich zu den Schiffen an der fernen Küste flüchten wollten, gnadenlos zu eliminieren. Nur tauchten die Flüchtigen niemals auf, sondern eine unsichtbare, starke Macht beförderte die fliehenden Soldaten an die Küste. Die Archis konnten nicht eingreifen und waren zutiefst erstaunt, als sie erfuhren, dass die Armee des Vurrius bereits an ihnen vorbei war und eilig an Bord der Schiffe ging. Krähe konnte sich nur zu gut vorstellen, wie fassungslose Schreie über die Ebenen geschallt waren...

Vorläufig war nichts weiter über die Pläne der Archis bekannt. Er musste Lori erneut auf Kundschaftermission schicken. Allerdings nicht allein. Sie würde eine fröhliche junge Assistentin mitnehmen. Es war an der Zeit, das unzertrennliche Duo zu trennen. Amou musste neue spezifische Skills erlernen, und es war dafür zu sorgen, dass sie das von sich aus wollte. Was Mith betraf... Mit ihm würde Krähe sich selbst befassen, und zwar schon am nächsten Morgen.

Die Macht, die die vielen Soldaten und Tiere an die Küste befördert hatte, war eindeutig gottähnlich gewesen. Diese Macht war schlichtweg zu stark und erinnerte zudem an einen Dschinn. Als „Dschinn“ wurden früher Wesen aus der Region bezeichnet, die im Handumdrehen auch recht große Wünsche erfüllen konnten.

Zack! Schon ist der Feind verschwunden. Zack! Hier hast du ein 300 Meter tiefes Loch. Zack! Die sterbende Armee ist gerettet. Waldyra hat viele sehr mächtige Zauberer, doch es ist nicht leicht, sie zum Helfen zu bewegen. Oft dauert es mehrere Tage oder gar Wochen, bis sie sich entschieden haben. Hier dagegen hatte es sich ganz anders verhalten. Als Vurrius stürzte, kam jemand auf ihn zu. Dann äußerte Vurrius seine Bitte und — zack! — die Armee ist gerettet, während der Zenturio danebensteht und sich dunkelgrünen Schnee vom eisigen Gesicht wischt. Eine erstaunlich schnelle Reaktion.

Es hieß, in dem schluchtartigen Eisgraben sei eine Art Tempel gewesen. Handelte es sich also um ein heiliges Wesen? Dann wäre es, nach dem Ort zu urteilen, keine Gottheit des Lichts. Aber wieso sollte die Seite der Finsternis gute Taten tun? Vielleicht als Gegenleistung ... Schließlich lief Vurrius mittlerweile schon lange vor etwas davon. Was hatte der Zenturio versprochen? Hatte er sich bereiterklärt, etwas sehr, sehr Schlimmes zu tun? So viele Geheimnisse, die es zu klären galt... Auch darum würden sich Lori und Amou kümmern müssen.

Er selbst hatte eine andere Theorie...

Der schwarzhaarige Zwerg rieb sich nachdenklich die Stirn und wurde in der schläfrigen Finsternis der zweckentfremdeten Grabkammer wieder still.

Das, was Vurrius widerfuhr... das war keine Verfolgung. Der Zwerg war sich fast sicher. Es war auch kein Fluch. Er hatte schon einmal davon gelesen. Einst war sein Team in einer ähnlichen Lage gewesen. Das war nicht leicht gewesen und hatte sie noch dazu vollkommen unverhofft getroffen...

Damals waren sie in einer sehr speziellen Mission unterwegs gewesen. Sie hatten sich dafür gerüstet, ihrem Gegner, der nicht der dunklen Seite angehörte, maximalen Schaden zuzufügen und seinen Attacken standzuhalten. Doch plötzlich stießen sie mitten an einem sonnigen, warmen Ort am helllichten Tag auf eine Horde von Ausgeburten der Hölle. Lichs, Vampire, dunkle Ritter, dazu eine Vielzahl gewöhnlicher Zombies und Skelette, alle verstärkt durch die Aura, die von den Lichs verströmt wurde. Das war ein echter Schlag in die Magengrube. Oder vielmehr ein Tritt unter die Gürtellinie — mit Stahlkappen-Stiefeln. Dieser Kampf hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt, doch darum ging es jetzt nicht. Wie konnten Kreaturen der Finsternis einen entlegenen, gut geschützten Ort heimsuchen? Damals war die Stelle unter Spielern als Höhle des Lichts unter den Wurzeln des Großen Baums bekannt. Sie befand sich im Elfenwald ganz in der Nähe der großen Stadt Whassailroum, in der ein unsterblicher Elfenkönig herrscht. Es war schlichtweg unmöglich, dass dort dunkle Wesen auftauchten. Nicht mittels gewöhnlicher Teleportation. Krähe und sein Team hatten das nur zu gut gewusst, denn sie hatten das gleiche Ziel: Sie wollten sich unbemerkt in die Höhle schleichen und nach einem kurzen und unvermeidlichen Zusammenstoß ihre üppig bezahlte Mission ausführen. Keine leichte Aufgabe.

Dennoch gelang es ihnen, sich einzuschleusen. Den dunklen Wesen gelang es ebenfalls. Natürlich weckte das die Neugier des Teams, und nach einem ehrenvollen Empfang im Palast des Elfenkönigs befassten sie sich genauer mit dieser Sache. Den ehrenvollen Empfang hatten sie sich verdient, weil sie den Großen Baum vor der Invasion der dunklen Seite geschützt hatten — sie hatten um ihr Leben kämpfen müssen und die Wesen der Finsternis letztendlich geschlagen.

---ENDE DER LESEPROBE---