11,99 €
Vom Jäger zum Gejagten – Eve Dallas muss eine Killerin mit einem ganz besonderen Beuteschema stellen ...
Eve Dallas wird zu einem neuen Tatort gerufen. Der Tote ist Nigel McEnroy, ein reicher Unternehmer. Nicht nur in der Geschäftswelt galt er als äußerst skrupellos, er nutzte auch seine Macht und seine Stellung ohne Bedenken, um sich Frauen gefügig zu machen. Nun haben ihn seine Sünden blutig eingeholt, denn zur Tat bekennt sich eine geheimnisvolle Lady Justice. Sie scheint zu allem entschlossen, um Männer wie McEnroy zur Rechenschaft zu ziehen: Erst verführt sie den Auserwählten, dann tötet sie ohne Gnade. Können Eve und ihr Team sie stoppen, bevor sie das nächste Opfer zu sich lockt?
Packend, schnell, sexy – lesen Sie auch die spannenden Bände »Mörderspiele«, »Mörderstunde« und »Mörderlied« von SPIEGEL-Bestsellerautorin J.D. Robb!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 584
Veröffentlichungsjahr: 2025
Eve Dallas wird zu einem neuen Tatort gerufen. Der Tote ist Nigel McEnroy, ein reicher Unternehmer. Nicht nur in der Geschäftswelt galt er als äußerst skrupellos, er nutzte auch seine Macht und seine Stellung ohne Bedenken, um sich Frauen gefügig zu machen. Nun haben ihn seine Sünden blutig eingeholt, denn zur Tat bekennt sich eine geheimnisvolle Lady Justice. Sie scheint zu allem entschlossen, um Männer wie McEnroy zur Rechenschaft zu ziehen: Erst verführt sie den Auserwählten, dann tötet sie ohne Gnade. Können Eve und ihr Team sie stoppen, bevor sie das nächste Opfer zu sich lockt?
J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts. Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren und veröffentlichte 1981 ihren ersten Roman. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.
So böse sein Ende · Teure Rache · Blutige Verehrung · Sein teuflisches Herz · Eiskalte Nähe · Im Licht des Todes · Der liebevolle Mörder · Geliebt von einem Feind · So tödlich wie die Liebe · Das Böse im Herzen · Zum Tod verführt · Aus süßer Berechnung · Verführerische Täuschung · Tödlicher Ruhm
J. D. Robb
Roman
Deutsch von Uta Hege
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Vendetta in Death« bei St. Martin’s Press, New York.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Copyright der Originalausgabe © 2019 by Nora Roberts.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Regine Kirtschig
Umschlaggestaltung und -motiv: © Arcangel / Karoliina Norontaus, www.buerosued.de
BSt · Herstellung: DiMo
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-31502-3V002
www.blanvalet.de
Dem zauberhaften Griffin,
jüngstem Licht und jüngster Liebe meines Lebens,
der, nachdem er auf die Welt gekommen war,
die eine oder andere Zeit in meinen Armen verbrachte,
während ich dieses Buch schrieb.
Klagt, Mädchen, klagt nicht Ach und Weh,
Kein Mann bewahrt die Treue.
William Shakespeare, Viel Lärm um nichts
Gerechtigkeit ist machtlos ohne Stärke,
aber ohne die Gerechtigkeit ist Stärke Tyrannei.
Blaise Pascal
Jetzt endlich wäre es so weit.
Nach über einem Jahr der gründlichen Recherche hatte sie entschieden, wer aus welchem Grund zu welcher Zeit auf welche Art als Erstes sterben sollte, am Ende war die Wahl auf Nigel B. – wie Bastard – McEnroy gefallen.
Mit seinen 43 Jahren hatte er es weit gebracht. Er hatte seit elf Jahren eine treusorgende Ehefrau und zwei gelungene Töchter von inzwischen neun und sechs. Vor 18 Jahren hatte er sich mit zwei Partnern selbstständig gemacht und als Geschäftsführer von Perfect Placement überwachte er die Anwerbung von Fach- und Führungskräften auf der ganzen Welt.
Obwohl das Unternehmen seinen Stammsitz immer noch in London hatte, war er ständig unterwegs. Inzwischen hatte Perfect Placement schließlich auch Filialen in New York und East Washington, in New LA, in Tokio und Madrid, in Sydney, Dubai, Hong Kong, Vegas II und dem Olympus Resort eröffnet.
Er lebte gerne gut und hatte einen aufwändigen Lebensstil, den er sich leisten konnte, weil er viel Geld damit verdiente, die Bedürfnisse der Kunden seines Unternehmens zu erkennen und ihnen genau die Kräfte, die in ihren Firmen fehlten, zuzuführen.
Bei seiner Arbeit war er fleißig, anspruchsvoll, gewissenhaft und rechtschaffen, doch im privaten Leben war der Kerl ein Lügner und Betrüger, Frauenheld und Serienvergewaltiger.
Der Kerl gehörte abgeschlachtet, denn er war ein Schwein.
Sie freute sich darauf und fand, sie hätte wirklich gut gewählt.
Er stand auf Rotschöpfe mit großen Brüsten, die normalerweise in der Nahrungskette deutlich weiter unten angesiedelt waren als er selbst. Wenn er nicht im Teich des eigenen Unternehmens fischte, genoss er die Jagd in irgendwelchen exklusiven Clubs.
Als wäre es nicht bereits schlimm genug, dass er auf diese Weise ein ums andere Mal die eigene Frau betrog, träufelte er meistens auch noch eine Droge in die Drinks seiner Opfer, damit sie auf alle Fälle willig wären.
Am allerschlimmsten aber war, dass er sich auch an einer jungen Frau vergangen hatte, die in seiner Firma Karriere machen wollte, und dass der von ihm ausgelobte Job anschließend wie zum Hohn an einen Mann vergeben worden war.
Natürlich hatte diese arme junge Frau es nicht gewagt, den Hurensohn deswegen vor Gericht zu bringen, vor allem, weil sie sich nur undeutlich daran erinnern konnte, was geschehen war.
Doch von den anderen Opfern hatte sie genug gehört, um mit einer Recherche zu beginnen und das Schwein zu stalken, bis sie persönlich Zeugin seines ekelhaften Tuns geworden war. Zweimal konnte sie genaustens mitverfolgen, wie seine Vergewaltigungsroutine abgelaufen war.
Dann hatte sie sich ihren Plan zurechtgelegt und sich so gründlich vorbereitet, dass sie, als sie jetzt noch einmal in den Spiegel an der Wand der Werkstatt blickte, rundherum zufrieden war.
Sie hatte langes, sanft gewelltes rotes Haar, ihre leuchtend grünen Augen und die vollen Lippen waren sorgfältig geschminkt. Die leichte Stupsnase und auch das etwas spitze Kinn waren durchaus gut gelungen, und die falschen Brüste waren ihr Geld anscheinend absolut wert, denn sie fühlten sich wie echte Brüste an. Auch ihren Hintern hatte sie ein bisschen aufgepolstert und dank eines Hauchs von Selbstbräuner lag jetzt ein warmer, goldener Glanz auf ihrer Haut.
Dazu trug sie ein Kleid im selben Grün wie ihre Augen, das sich seidig weich an ihren Körper schmiegte, über silbernen High Heels, in denen sie dank der dicken Sohlen und der hohen Absätze erheblich größer wirkte, als sie war.
Nigel, das Schwein, war 1,86 m groß und mit den 1,80 m, die sie selbst in den Schuhen maß, passte sie größenmäßig ganz hervorragend zu ihm.
In ihrem Outfit sah sie elegant, kühn und sexy aus.
Mit der Perücke und den anderen Veränderungen, die sie an sich vorgenommen hatte, hätte nicht einmal ihre eigene Mutter sie erkannt.
Sie drehte sich ein letztes Mal vor dem dreiteiligen Spiegel, bauschte ihre falschen Haare auf, und als sie leise sagte: »Wilford«, klappte der Droide, der mit dem silbergrauen Haar und dem sorgfältig gestutzten silbergrauen Schnurrbart wie ein weißer Mann von Mitte 60 aussah, seine blauen Augen auf.
»Sie wünschen, Madam?«, fragte er mit einem würdevollen britischen Akzent. Mit dem schwarzen Anzug, einem schwarzen Schlips und einem blütenweißen Hemd sah er auch wie ein englischer Butler aus.
»Lassen Sie den Wagen vorfahren. Dann fahren Sie mich zum Club namens This Place, stellen den Wagen in der Nähe ab und warten auf weitere Befehle.«
»Sehr wohl, Madam.«
»Nehmen Sie den Lift. Ich habe ihn entsperrt.«
Während Wilford tat, wie ihm geheißen, ging sie noch einmal den Inhalt ihrer Tasche durch und blickte auf den Überwachungsmonitor.
Ihre Großmutter – die Gute – schlummerte in ihrem Bett, an dem eine Medizindroidin Wache saß. Dank des mit einem Schlafmittel versetzten süßen Sherrys, den sie jeden Abend trank, schliefe die liebe, liebe Gran auf alle Fälle bis zum Morgen durch.
»Bin bald zurück.« Sie warf dem Bildschirm eine Kusshand zu und nahm den Lift ins Erdgeschoss des wundervollen alten Hauses, das ihr beinah so am Herzen lag wie ihre Gran.
Zur Vorsicht sicherte sie abermals den Lift, marschierte durch die elegante Eingangshalle bis zur Tür, trat in die kühle Abendluft hinaus und schloss hinter sich ab.
Vor Kälte und vor freudiger Erwartung zitterte sie leicht, doch Wilford öffnete bereits die Wagentür für sie, also stieg sie ein und lehnte sich mit einem leisen Seufzer an die Lederpolster.
11. April 2061, dachte sie. An diesem Tag fing Lady Justice ihren Rachefeldzug an.
Nach einem langen, produktiven Arbeitstag war Nigel wieder einmal auf Beutezug. Da seine Frau und Töchter in den Ferien irgendwo auf einer Tropeninsel waren, hatte er die ganze Woche frei und müsste nicht behaupten, dass er länger in der Firma bleiben musste, wenn ihm so wie jetzt der Sinn nach einem kleinen Abenteuer stand.
Am liebsten ging er ins This Place, weil Diskretion dort großgeschrieben wurde, weil er die Martinis und Musik dort mochte, weil es sorgsam abgeschirmte VIP-Lounges für die gut betuchten Gäste und vor allem jede Menge attraktiver Frauen, die selbst ein kleines Abenteuer suchten, gab.
Natürlich hatte er wie immer eine VIP-Lounge reserviert, doch zunächst schlenderte er durch den Club und sah sich auf den drei verschiedenen Etagen um.
Zu Anfang jedes Abends begab er sich immer auf die Pirsch.
Wobei das Glück ihm auch in der vergangenen Nacht schon hold gewesen war. Rotblonde Zwillingsschwestern, die mit Freuden mit in seine Zweitwohnung gekommen waren, wo er sie nacheinander nahm.
Wahrscheinlich hätte er die beiden noch einmal einbestellen können, doch er wollte etwas Neues, Frisches, und vor allem hatte er die Nummern von den beiden wie die Nummern aller anderen Frauen sofort nach ihrem Treffen vorsorglich gelöscht.
Er wusste, dass er in der schwarzen Hose mit dem Nietengürtel und dem blauen Pullover, der zu seinen Augen passte, mehr als gut aussah und jede Frau, die einen Blick für so etwas hatte, schon an seiner Armbanduhr erkennen würde, dass er alles andere als ein armer Schlucker war.
Natürlich hätte er sich auch problemlos eine Edelnutte leisten können und hatte das unter Zeitdruck auch das eine oder andere Mal getan. Doch er war eben lieber auf der Jagd und suchte sich dabei die Frauen in aller Ruhe aus.
Sein Blick fiel auf einen Rotschopf, der alleine auf der Tanzfläche im Rhythmus der Musik die Hüften schwang. Vielleicht war sie ein bisschen jünger als die Frauen, die er normalerweise bevorzugte, und ihre kurzen Stachelhaare waren nicht wirklich elegant, doch ihre Moves waren definitiv toll.
Auch als er weiterging, behielt er sie im Blick. Wenn er nichts Besseres fände, spräche er sie an und dann …
In diesem Augenblick stieß jemand ihn von hinten an. Bevor er über seine Schulter blicken konnte, sagte eine sinnliche raue Stimme mit französischem Akzent: »Excusez-moi.«
Sofort drehte er sich um und dachte keinen Augenblick mehr an das junge Mädchen mit dem kurzen roten Haar. Er küsste dieser Vision die Hand und zur Belohnung sah sie ihn mit einem verführerischen Lächeln an.
Anscheinend hatte sie auch nichts dagegen, dass er ihre Hand weiter hielt.
»Pas de quoi.« Er sah sie fragend an. »Êtes-vous seule ici?«
»Ah, oui. Et vous?«, fragte sie ihn in einem Ton zurück, den er als Einladung verstand.
Jetzt küsste er ihr Handgelenk und fuhr auf Englisch fort. »Ich hoffe, jetzt nicht mehr.«
»Sie sprechen wirklich gut Französisch, aber Sie sind Engländer, nicht wahr?«
»Ich hoffe, dass ich Ihnen einen Drink spendieren darf. Dann dürfen Sie bestimmen, in welcher Sprache wir die Unterhaltung fortsetzen.«
Sie legte ihren Kopf ein wenig schräg und glitt mit der freien Hand über ihr wundervolles, langes rotes Haar. »Da sage ich nicht Nein.«
Er dachte: Hab ich dich, und führte sie durch das Gedränge, vorbei an einer Reihe Tische sowie einer Bar zu seiner Lounge.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, hier zu sitzen, hier ist man etwas ungestörter als in dem Gedränge vorn.«
Er schob den Vorhang auf, sie nahm auf dem eleganten schwarzen Sofa mit den Silberkissen Platz und lehnte sich dort gerade weit genug zurück, dass er erahnen konnte, wie es unter ihrem Kleid aussah.
»Ich mag die Lounges«, sagte sie. »Vor allem die Vorhänge, durch die man heraus-, doch niemals hineinsehen kann. Das ist … sehr aufregend, nicht wahr?«
»Auf jeden Fall.« Er nahm an ihrer Seite Platz und beschloss, es langsam anzugehen, denn das grünäugige Wunder kannte dieses Spiel offensichtlich und wollte dabei sicher einen weltgewandten Partner haben. »Was mögen Sie?«
»Es gibt sehr viele Dinge, die ich mag.«
Er wurde hart, doch leise lachend meinte er. »Ich auch. Aber ich wollte erst einmal wissen, was für einen Drink ich Ihnen bestellen darf.«
»Wodka Martini, extra trocken, mit zwei Oliven. Wenn sie haben, Romanov Five.«
»Den mag ich auch am liebsten.«
»Ah, da haben wir ja schon einmal eine Gemeinsamkeit.«
»Die erste von sehr vielen, hoffe ich.« Er tippte die Bestellung in den Tischcomputer ein, ließ seinen Blick an ihr herunterwandern und genoss die sinnlichen Bewegungen, die er durch den Vorhang sah, die dröhnende Musik und die Erregung, die er wie schon so oft empfand.
»Ich heiße Nigel …«
Eilig legte sie ihm einen Finger an den Mund. »Am besten bleiben wir bei Vornamen, d’accord? So bleibt es weiterhin geheimnisvoll. Ich bin Solange.«
»Was führt Sie nach New York, Solange?«
»Wenn ich Ihnen das verraten würde, wäre es nicht mehr geheimnisvoll. Also lassen Sie mich einfach sagen, vielleicht dieser Augenblick. Ich mag die vielen Vergnügungen, denen man sich hier hingeben kann, und die …« Sie suchte nach dem passenden Begriff. »Genau, die Anonymität. Und was macht Ihnen Freude, Nigel?«
»Dieser Augenblick.«
Sie lachte auf und warf ihr Haar zurück. »Dann sollten wir den Augenblick und all die Augenblicke, die noch kommen, genießen, meinen Sie nicht auch? Ich bin hierhergekommen, um … genau, um diesen Tag und all die Dinge, die erledigt werden müssen, abzustreifen und zu tun, was mir gefällt. Ich hätte einfach gerne einen Abend nur für mich, verstehen Sie?«
»Oh ja. Genauso geht’s mir auch. Das ist anscheinend noch etwas, was wir gemeinsam haben.«
»Also …« Sie zog eine kleine Puderdose aus der Abendtasche und erklärte: »Heute Abend sind wir beide einfach Kreaturen des Augenblicks, den wir genießen sollten, meinen Sie nicht auch?«
Er machte Anstalten, sich zu ihr vorzubeugen, doch bevor er seinen Mund auf ihre Lippen pressen konnte, glitten die bestellten Drinks durch den Servierschlitz auf den Tisch.
»Darauf sollten wir anstoßen.«
Als Nigel nach den Gläsern griff, ließ sie ihr Täschchen auf den Boden fallen. Beflissen stellte er die Gläser wieder ab und während er sich nach dem Täschchen bückte, goss sie ein paar Tropfen aus dem Fläschchen, das sie in der Puderdose aufbewahrte, in sein Glas.
»Merci.« Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm sie ihm das Täschchen ab und packte ihre Puderdose wieder ein. Dann griff sie nach dem eigenen Glas und prostete ihm zu. »Auf den Moment.«
»Und auf die zahlreichen Vergnügungen, die diese Stadt zu bieten hat.«
Mit einem verführerischen Blick über den Rand von ihrem Glas bat sie: »Nennen Sie mir ein Vergnügen, das Sie suchen.«
»Nun, ich hätte gerne eine schöne Frau, die sich dasselbe wünscht wie ich.«
Er hob sein Glas an den Mund und lächelnd glitt sie mit der Hand von seinem Oberschenkel zu der Schwellung, die ihr zeigte, dass er längst am Haken war. »Aber wie können Sie etwas suchen, das Sie schon gefunden haben?«
Als er dieses Mal den Mund auf ihre Lippen pressen wollte, legte sie die Hand auf seine Brust und hielt ihn von sich fern. »Mais non. Erst trinken wir auf diesen Augenblick, auf den Genuss und die Vorfreude auf das, was kommt. Sehen Sie die Leute, die sich vorn im Club bewegen und berühren wie bei einem Paarungsritual? Ein paar von ihnen werden sich bald paaren, andere nicht. Und wir, wir könnten uns hier in der Lounge paaren, ohne dass jemand es sieht.«
»Ein aufregender Gedanke«, meinte er, obwohl ihm plötzlich seltsam schwindlig war.
»Trinken Sie aus und kommen Sie mit. Ich habe einen Ort, der für die Art Vergnügen, die wir beide miteinander haben werden, wie geschaffen ist.«
Eilig leerte er sein Glas, ergriff die Hand, die sie ihm reichte, und stand mühsam auf. »Vielleicht ist meine Wohnung näher …«
»Heute Abend geht’s zu mir.«
Er hatte das Gefühl, als liefe er durch eine dichte Nebelwand, und hörte weder die Musik noch registrierte er, dass sie über die Uhr an ihrem Handgelenk nach dem Wagen rief, als er mit ihr durchs Erdgeschoss des Clubs nach draußen ging.
Sie schob ihn in den Wagen, der am Rand der Straße stand, und es kam ihm so vor, als sagte sie mit einer völlig anderen Stimme als zuvor: »Nach Hause, Wilford«, während er versuchte, sie zu küssen und nach ihrer Brust zu tasten, ehe er in vollkommener Dunkelheit versank.
Sein Schädel dröhnte und sein Hals war trocken, als er wieder zu sich kam. Als er versuchte, die Arme zu bewegen, schrie er vor Schmerzen auf, und als er blinzelnd seine Augen aufschlug, blendete ihn gleißend helles Licht.
Er befand sich in einem großen Raum mit jeder Menge Arbeitstischen und mit einem riesengroßen Schreibtisch, auf dem eine Reihe Monitore stand, doch das alles ergab nicht den geringsten Sinn.
Er brauchte ewig, bis er merkte, dass er nackt war und dass seine Hände über dem Kopf gefesselt waren. Mit einer an der Decke befestigten Eisenkette und so hoch, dass er mit seinen Füßen kaum noch auf den Boden kam.
Anscheinend hatte man ihm irgendwelche Drogen eingeflößt und ihn entführt. Er zerrte an den Fesseln, aber das tat furchtbar weh.
Nein, nein, der Club. Er war im Club gewesen. Mit dieser Französin. Mit Solange. Er konnte sich nur undeutlich erinnern, doch als er versuchte, über alles nachzudenken, platzte ihm beinah der Kopf.
Es gab in diesem Zimmer keine Fenster und ihm brach der kalte Angstschweiß aus. Er sah die Treppe, die nach oben führte, und als er den wehen Kopf nach vorne streckte, sah er oben eine Tür.
Er wollte laut um Hilfe schreien, brachte aber nur ein raues Krächzen heraus.
Vergnügungen … jetzt fiel es ihm wieder ein. Sie hatten von Vergnügungen gesprochen und Solange …
Er spürte eine Bewegung hinter sich und einen derart grauenhaften Schmerz, dass ihm statt eines Krächzens jetzt ein Schrei über die Lippen drang.
Dann baute sie sich vor ihm auf.
Doch das war nicht Solange.
Wer war die Kreatur mit Silbermaske und von Silbersträhnen durchwirktem dunklem Haar, die lächelnd vor ihm stand?
In Silberstiefeln und in einem schwarzen Lederanzug, auf dem vorn die Buchstaben LJ in Silber prangten wie das rote S, das Superman auf seinem Anzug trug.
»Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«
»Ich will die zahlreichen Vergnügungen, von denen wir gesprochen haben.«
Jetzt mischte sich Erleichterung in seine Furcht. »Solange? Ich bitte dich. Mach kei…«
»Siehst du die Buchstaben auf meiner Brust?« Sie gab ihm abermals einen Impuls mit dem Elektroschocker und während er vor Schmerz zusammenzuckte, fuhr sie fort. »Solange gab es nur gestern Nacht. Ich bin Lady Justice, du verdammter Ehebrecher. Ich werde dich für deine Sünden zahlen lassen, Nigel Bastard McEnroy.«
»Nicht, nicht, hören Sie auf. Ich kann bezahlen. Ich kann bezahlen, was Sie auch immer haben wollen.«
»Du wirst auf jeden Fall bezahlen. Für deine Frau.« Sie schlug ihm in den Bauch. »Für deine Töchter.« In die Brust. »Und jede von den Frauen, die du vergewaltigt hast.« Aufs nackte Hinterteil.
Die Schmerzensschreie prallten von den Wänden ab. »Oh nein, nein, nein. Ich bin kein Vergewaltiger. Das muss ein fürchterlicher Irrtum sein.«
»Ach ja? Ach ja, Nigel?« Sie schlug ihm auf den Unterleib und seine Schreie wurden derart schrill, dass sie für Menschen fast nicht mehr zu hören waren.
Jedes Mal, wenn sie den Namen eines seiner Opfer nannte, berührte sie ihn erneut mit dem Elektroschocker.
Er sabberte und wimmerte, doch immer, wenn er in sich zusammensackte, hielt sie ihm einen Flakon unter die Nase, um ihn wiederzubeleben, und drosch weiter auf ihn ein.
Er bettelte, oh, wie er bettelte, verfluchte sie, er weinte, schrie und pinkelte sich an.
Wie sehr genoss sie seine Qual!
»Warum? Warum tun Sie mir das an?«
»Das ist für all die Frauen, die du betrogen, erniedrigt und missbraucht hast, Nigel«, klärte sie ihn lächelnd auf. »Gib zu, was du getan hast. Los, gesteh.«
»Ich habe niemandem etwas angetan!«
Sie drosch mit dem Elektroschocker auf sein Hinterteil und als er wieder sprechen konnte, stieß er schluchzend aus: »Ich liebe meine Frau, ich liebe meine Frau, aber ich brauche mehr. Es tut mir leid. Es ging doch nur um Sex. Bitte, bitte.«
»Du hast diesen Frauen Drogen in die Drinks gekippt.«
»Das ist nicht … ja, ja, ja!«, versuchte er die nächsten Schläge abzuwehren. »Nicht immer, aber ab und zu. Es tut mir leid. Es tut mir leid.«
»Du hast deine Position missbraucht und Frauen, die eine Arbeit haben wollten, unter Druck gesetzt, damit sie dir zu Willen sind.«
»Das habe ich … ja, ja! Aber ich habe nun einmal Bedürfnisse. Bitte.«
»Du hast also Bedürfnisse?« Jetzt schlug sie ihm mit einem Schlagstock ins Gesicht und konnte hören, wie sein Wangenknochen brach. »Und die sind wichtiger als die Bedürfnisse, die Wünsche und der freie Wille dieser Frauen? Wichtiger als die Versprechen, die du deiner eigenen Frau einmal gegeben hast?«
»Nein, nein. Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Ich … brauche Hilfe und die werde ich mir holen. Ich werde alles zugeben und ins Gefängnis gehen. Ich werde alles tun, was Sie von mir verlangen.«
»Sag meinen Namen.«
»Bitte«, schluchzte er. »Ich weiß nicht, wer Sie sind.«
»Ach nein?« Sie stieß ihn abermals mit dem Elektroschocker an und so, wie er zusammenfuhr, hielte er sicher nicht mehr lange durch. »Dabei habe ich mich dir doch bereits vorgestellt. Ich bin Lady Justice und verlange, dass du meinen Namen sagst.«
»Lady Justice«, stieß er kaum noch bei Bewusstsein aus.
Lächelnd schob sie einen Eimer unter ihn und tauschte den Elektroschocker gegen ein bereitliegendes Messer aus.
Er riss entsetzt die tränennassen Augen auf. »Was haben Sie vor? Warum haben Sie den Eimer unter mich gestellt? Ich habe doch gestanden und es tut mir leid. Mein Gott, mein Gott, das können Sie doch … bitte, nicht!«
»Schon gut, Nigel. Ich sorge einfach dafür, dass du keinerlei Bedürfnisse mehr hast.«
Erst, als er schlaff und schweigend an der Eisenkette hing, ließ sie mit einem Seufzer von ihm ab und stellte fest: »Jetzt hat dich die gerechte Strafe für dein Tun ereilt.«
Als in der Stadt der neue Tag anbrach, sah Lieutenant Dallas sich den nackten Leichnam an. Die morgendliche Brise fuhr ihr durch das kurze braune Haar und ließ ihren langen Ledermantel flattern, während sie das Schild, das seine Genitalien ersetzte, las.
Statt seine Frau zu lieben und zu ehren,
hat er andere, die zu schwach waren, sich zu wehren,
mit seinem Geld und seiner Macht gelockt.
Er hat sie zum Vergnügen vergewaltigt und frohlockt,
dass er sich nicht an die Gesetze halten muss,
doch damit ist jetzt Schluss.
LADY JUSTICE
Eve wandte sich an die Kollegin von der Streife, die zuerst vor Ort gewesen war. »Was können Sie mir berichten?«
Die junge, schwarzäugige Frau mit einer Haut wie Milchkaffee nahm Haltung an. »Der Notruf ging um 4.38 Uhr bei uns ein. Eine gewisse Tisha Feinstein hatte sich von einer Limousine bis zur Ecke 88. West / Columbus fahren lassen, wo sie ausgestiegen ist. Sie hat gesagt, nach ihrem Junggesellinnenabschied mit diversen Freundinnen wollte sie den Rest des Weges laufen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, und nachdem sie die drei Blocks zur 91. gelaufen wäre, hätte sie die Leiche auf dem Gehweg liegen sehen. Direkt vor ihrem Haus, deswegen sei sie so schnell wie möglich hineingerannt und habe ihren Verlobten, einen gewissen Clipper Vance, geweckt. Er ist dann selbst vors Haus gegangen und als dort tatsächlich ein Toter lag, hat er uns informiert.« Sie sah auf ihre Notizen.
»Wir waren sechs Minuten nach dem Notruf hier, haben den Fundort abgesichert und als Unterstützung zwei Droiden einbestellt. Mein Partner Rigby ist noch drinnen bei den Zeugen.«
»Alles klar. Sie halten weiter hier die Stellung, Officer.«
Eve sprühte sich die Hände und die Füße ein, zog ihren Untersuchungsbeutel auf und drückte einen Daumen des Toten auf den Identifizierungspad.
»Nigel B. McEnroy, britischer Staatsbürger und 43 Jahre alt. Einer seiner Wohnsitze befindet sich im selben Haus wie das Apartment unserer Zeugin Tisha Feinstein, die die Leiche auf dem Bürgersteig gefunden hat.«
Eve sah sich das Gesicht des Toten an. »Selbst wenn die beiden sich kannten, hätte sie ihn sicher nicht wiedererkannt. Gesicht und Körper weisen Hämatome und Verbrennungen wie von einem Elektroschocker auf und die tiefen Einschnitte in beiden Handgelenken legen die Vermutung nahe, dass das Opfer gegen seine Fesseln angekämpft hat, während es gefoltert worden ist.«
Sie setzte eine Mikrobrille auf und schaute sich die Wunden an den Handgelenken aus der Nähe an. »Ich schätze, dass die Arme über seinem Kopf gefesselt waren und das Gewicht von seinem Körper ihn nach unten zog, auch wenn das mit Bestimmtheit nur der Pathologe sagen kann. Die Genitalien wurden abgetrennt.«
Sie hob das Schild ein wenig an. »Ein fast chirurgisch glatter Schnitt, bei dem der Täter nicht gezögert hat. Vielleicht kennt er sich ja mit solchen Schnitten aus.«
Sie las den Todeszeitpunkt – 3.12 Uhr – vom Bildschirm ihres Messgerätes ab und richtete sich auf den Fersen auf. »Ich nehme an, die Todesursache war entweder der Blutverlust aufgrund der Kastration oder ein Herzstillstand infolge der Elektroschocks. Für diese Art der Folter braucht man einen Ort, an dem man ungestört ist, also wurde er woanders umgebracht und erst danach hier abgelegt. Direkt vor seiner eigenen Tür, zusammen mit einem Gedicht von einer Lady Justice, die kein gutes Haar an ihm lässt.«
»Da hatte jemand einen echten Pik auf dich, Nigel«, bemerkte Eve, und während sie die erste Tackerklammer aus dem Schild und Unterleib des Opfers zog, verriet das Stiefelklappern hinter ihr, dass ihre Partnerin im Anmarsch war.
Peabody wies sich kurz bei den Droiden aus, marschierte dann in ihren rosa Cowboystiefeln an der Absperrung vorbei, sah sich den Toten an und meinte: »Uh, das sieht echt eklig aus.«
»Stimmt.«
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Peabody sich bei so einem Anblick sofort übergeben musste, doch inzwischen war sie eine echte Mordermittlerin und überraschend zäh.
»Bestellen Sie die SpuSi und den Leichenwagen ein. Ich mache nur noch schnell den Liebesbrief hier ab, dann können sie ihn einpacken und mitnehmen, bevor die Leute in dieser ruhigen, netten Gegend ihre Hunde Gassi führen oder ihre morgendlichen Joggingrunden drehen. Wobei ich ihn mir vorher auch noch kurz von hinten ansehen muss. Sie helfen mir, ihn umzudrehen, Officer.«
Auch Rücken, Hintern, Oberschenkelrückseiten und Waden waren mit Brandmalen übersät.
»Anscheinend hat der Täter oder eher die Täterin sich Zeit gelassen, denn das kann nicht schnell gegangen sein. Was hat Lady Justice Ihrer Meinung nach wohl mit den Eiern und dem Schwanz gemacht?«
Eve richtete sich wieder auf und sah auf ihre Partnerin, die sich das dunkle Haar zu einem kessen Pferdeschwanz gebunden hatte und ein blaues Tuch mit – Himmel! – rosa Blumen über ihrem rosa Mantel trug.
»Die Zeugin ist im Haus. Sie halten hier die Stellung, Officer. Wo wohnt denn diese Feinstein?«
»In Apartment sechs-null-drei.«
Eve ging mit Peabody zum Haus, das über keinen Nachtportier verfügte, aber durchaus gut gesichert war, und wies sich bei dem Polizeidroiden, der die Tür bewachte, aus.
Das würdevolle Äußere des fünfzehnstöckigen Gebäudes wurde in der Eingangshalle mit dem cremefarbenen Fliesenboden, cremefarbenen Bordüren an den dunkelblau gestrichenen Wänden, der momentan nicht besetzten Rezeption, zwei elegant geschwungenen Sofas und den frischen Frühlingsblumen in den schlanken, hohen Vasen fortgesetzt.
Eve rief nach einem Lift; bis er kam, erklärte sie der Partnerin, worum es ging.
»Die Zeugin kommt von einem Mädelsabend heim, sieht McEnroy dort auf dem Gehweg liegen, rennt ins Haus und holt ihren Verlobten Vance. Er geht nach draußen, sieht dort ebenfalls den Toten liegen und benachrichtigt die Polizei. Auch unser Opfer hatte eine Wohnung hier im Haus. Brite und Miteigentümer eines Unternehmens, das weltweit, sogar auf Olympus, Angestellte für diverse andere Unternehmen sucht. Verheiratet, zwei Kinder.«
»Unser Opfer war verheiratet?«
»Sieht ganz so aus.« Inzwischen war der Fahrstuhl da und Eve stieg ein. »Nach dem Gespräch mit unseren Zeugen schauen wir, ob seine Frau zu Hause ist.«
»Dann hat er sie also betrogen«, meinte ihre Partnerin. »Aber hätte sie mit diesem Schild dafür gesorgt, dass wir ihr sofort auf die Schliche kommen, falls sie ihn aus dem Verkehr gezogen hat?«
»Tja, nun, die Leute tun bizarre Dinge, wenn sie wütend sind, und diese Lady Justice hatte einen echten Hass auf den Kerl. Aber … wenn die Ehefrau auch nur bis drei zählen kann, hat sie auf jeden Fall ein super Alibi.«
Die Fahrstuhltür ging wieder auf und Eve marschierte einen ruhigen, mit diversen Überwachungskameras bestückten Korridor hinab. »Am besten sehen wir uns die Aufnahmen der Kameras aus den verschiedenen Fahrstühlen, dem Foyer, dem Stockwerk, wo die Wohnung unseres Opfers liegt, und draußen an.«
Sie drückte auf die Klingel von Apartment 603 und wies sich bei dem jungen, feschen Kollegen, der sich um die Zeugen kümmern sollte, aus. »Jetzt übernehmen wir, Officer Rigby. Kontaktieren Sie den Wachdienst des Gebäudes und erklären Sie ihm, dass wir alle Aufnahmen der Kameras aus dem Foyer, von draußen, aus den Fahrstühlen und dem Stockwerk mit der Wohnung unseres Opfers haben wollen.«
»Für welchen Zeitraum, Ma’am?«
»Die Aufnahmen der letzten 48 Stunden, falls es die noch gibt. Danach fangen Sie mit der Befragung von den Hausbewohnern und den anderen Nachbarn an.«
»Zu Befehl, Ma’am.«
Sie ließ ihn gehen und betrachtete das Paar, das auf dem langen, schimmernd grünen Sofa saß.
Die junge Frau von vielleicht Ende 20 hatte sich nach ihrer Heimkehr abgeschminkt und saß jetzt mit langen, wild gelockten kupferroten Haaren, bleichen Wangen und rot verweinten Augen in einer schlichten grauen Jogginghose, einem langärmligen T-Shirt und in Hausschuhen da und klammerte sich an den attraktiven Mann von vielleicht Anfang 30, dessen seelenvollen braunen Augen das Entsetzen und die Trauer um den Toten, den sie auf dem Bürgersteig gefunden hatten, deutlich anzusehen war.
»Ich hoffe, dass es schnell geht, denn Tisha muss schnellstmöglich ins Bett.«
»Ich habe Angst davor, die Augen zuzumachen, denn dann werde ich bestimmt …« Sie schmiegte ihr Gesicht an seine breite Schulter.
»Ich weiß, das ist nicht leicht für Sie, Ms. Feinstein, wir werden uns so kurz wie möglich fassen. Ich bin Lieutenant Dallas und das hier ist meine Partnerin Detective Peabody vom Dezernat für Kapitalverbrechen«, stellte Eve sich vor.
»Das hatte ich mir schon gedacht. Der Bruder meiner Freundin Lydia ist bei der Polizei in Queens. Fast hätte ich ihn angerufen, weil wir in der Schulzeit mal zusammen waren, aber dann …«
»Warum erzählen Sie uns nicht einfach, was passiert ist, und fangen damit an, wo Sie und Ihre Freundinnen gestern Abend waren.«
»Wir waren so gut wie überall«, fing Feinstein an.
»Es tut mir leid«, fiel ihr Verlobter ihr ins Wort. »Bitte nehmen Sie doch erst mal Platz. Vielleicht hätten Sie ja gerne einen Kaffee oder so?«
»Ein Kaffee wäre wunderbar.« Vor allem, weil er dann beschäftigt wäre, dachte Eve, und fügte noch hinzu: »Ich trinke meinen schwarz und meine Partnerin mit Milch und Zucker.«
»Und du, mein Schatz, willst du noch einen Tee?«
Sie lächelte ihn an. »Was täte ich nur ohne dich?«
»Zum Glück brauchst du das nie herauszufinden. Einen Augenblick«, bat er, stand auf und wandte sich zum Gehen.
Als Feinstein sich verängstigt auf der Couch zusammenrollte, wiederholte Eve: »Sie wollten uns erzählen, wo Sie gestern Abend waren.«
»Wir waren überall. Es war mein Junggesellinnenabschied, denn wir werden nächsten Freitag heiraten. Die Limousine hat mich gegen neun hier abgeholt. Wir waren vierzehn Mädels, wir waren in verschiedenen Clubs und Kneipen unterwegs. Clips Junggesellenabschied findet morgen Abend statt. Aber wie dem auch sei, am Ende waren wir im Spinner’s, wo es eine Männer-Strip-Show gibt. Ich weiß, das klingt …«
»Nach einem amüsanten Mädelsabend«, fiel Peabody ihr ins Wort und lächelte sie an.
»Das war’s.« In Feinsteins Augen stiegen frische Tränen auf. »Wir hatten wirklich jede Menge Spaß. Ein paar von uns sind schon seit einer Ewigkeit befreundet und ich bin die Erste aus der Gruppe, die heiraten wird. Deswegen haben wir es krachen lassen, viel getrunken und gelacht, dann hat uns die Limousine nacheinander heimgebracht. Ich war die Letzte und ich bin schon an der Ecke ausgestiegen, weil ich noch ein bisschen laufen und die frische Luft genießen wollte und der tolle Abend noch nicht enden sollte. Doch dann …«
Als Vance mit einem Tablett zurückkam, brach sie ab und sah ihn Hilfe suchend an.
»Ach, Clip.«
»Schon gut, mein Schatz. Schon gut.«
Er stellte das Tablett behutsam auf dem Couchtisch ab und nahm sie tröstend in den Arm.
Als Eve nach ihrem Kaffeebecher griff, verriet ihr der Geruch, dass sie schon Schlimmeres getrunken hatte. Auch wenn sie inzwischen deutlich Besseres gewöhnt war, wäre der Kaffee auf jeden Fall genießbar.
»Wenn ich mich von Shelly – unserer Chauffeurin –bis vors Haus fahren lassen hätte, hätte sie den Mann zuerst dort auf dem Gehweg liegen sehen. Das wäre zwar auch schrecklich, doch ich wünschte mir, das hätte ich getan. Er lag dort einfach auf dem Bürgersteig und für einen Augenblick dachte ich, wahrscheinlich hätte irgendwer sich einen bösen Scherz erlaubt, doch dann … wahrscheinlich habe ich vor Schreck geschrien. Ich kann es nicht mehr sicher sagen, ich bin einfach losgerannt und meine Hände haben so gezittert, dass ich die Schlüsselkarte fast nicht in den Schlitz bekommen hätte, aber dann hat es geklappt und ich bin zu Clip hinaufgerannt.«
»Ich dachte, dass sie einen Unfall hatte, weil sie praktisch keinen Ton herausbekommen hat. Dann dachte ich, okay, sie ist ganz schön beschwipst und hat sich das bestimmt nur eingebildet, aber sie war völlig durch den Wind.« Er streichelte ihr sanft den Arm. »Also habe ich mir schnell was angezogen und bin selbst vors Haus gegangen. Dort habe ich gesehen, dass sie sich diese Sache nicht nur eingebildet hat, habe die Polizei verständigt und ein paar Minuten später war die Streife da.«
»Haben Sie den Toten, der dort lag, erkannt?«
Sie beide schüttelten den Kopf und Feinstein räumte ein: »Ich habe gar nicht richtig hingesehen. Ich habe ihm nicht ins Gesicht geschaut, obwohl er direkt unter der Laterne lag. Er war … ich weiß nicht … überall verbrannt. Aber ich habe auch das Schild gesehen und dass man ihn …«
»Ich auch«, griff Vance den Faden auf. »Man hat ihn kastriert.«
»Wie lange wohnen Sie schon hier im Haus?«
»Zweieinhalb Monate.« Die junge Frau ergriff die Hand von ihrem zukünftigen Mann und fügte noch hinzu: »Wir wollten vor der Hochzeit unsere eigene Wohnung haben. Die erste Wohnung, die wir beide zusammen haben, wo wir nicht nur zu Gast beim jeweils anderen sind.«
»Das Opfer hat die Wohnung in der obersten Etage«, meinte Eve auf ihrem Weg zurück zum Lift. »Ich halte es deshalb für unwahrscheinlich, dass die beiden ihn oder die Ehefrau gekannt haben. Sie sind erst seit zwei Monaten im Haus, sie wohnen acht Etagen tiefer und dazu sind sie noch locker 20 Jahre jünger als die McEnroys.«
»Außerdem hatte unser Opfer auch noch eine Reihe anderer Wohnungen und Häuser«, fügte Peabody hinzu. »Das heißt, er war bestimmt nicht immer hier.«
»Immerhin ist seine Leiche hier abgelegt worden. Jetzt sehen wir erst mal nach, ob seine Frau und die Töchter in der Wohnung sind.«
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl ganz hinauf.
»Vielleicht sollen wir das auch nur denken, aber wie es aussieht, suchen wir nach einer Frau«, bemerkte Peabody. »Wenn stimmt, was auf dem Schild steht, vielleicht eine Frau, mit der er seine Ehefrau betrogen oder die er vergewaltigt hat. Aber … obwohl er eher schlank war, bräuchte jemand jede Menge Kraft, um die Leiche in einen Wagen zu verfrachten und dort wieder herauszuholen, um sie dann vor der eigenen Haustür abzulegen, oder nicht? Wenn’s eine Frau ist, war sie ja womöglich nicht allein.«
»Kann sein, doch die Verletzungen an seinen Handgelenken weisen darauf hin, dass seine Arme über dem Kopf gefesselt waren. Also wäre denkbar, dass er entweder mit Muskelkraft oder mit einem Flaschenzug auf einen Sackkarren gehievt und über eine Rampe in das Fahrzeug und von dort dann auf den Bürgersteig geschoben worden ist. Das wäre ziemlich aufwendig gewesen, aber diese Tat war sorgfältig geplant. Auf alle Fälle wusste unser Täter oder unsere Täterin, wo unser Mann hier in New York gelebt hat und wann er hier anzutreffen war.«
Inzwischen waren sie oben angekommen und sahen, dass es dort nur sechs Apartments gab, die deutlich größer als die Wohnung ihrer Zeugen waren. Die Wohnung der Familie McEnroy ging nach Nordwesten und die breite Flügeltür war mit soliden Schlössern, einem Kartenleser, einem Handlesegerät und einer Kamera bestückt.
Eve drückte auf den Klingelknopf und trat wieder einen Schritt zurück.
Die McEnroys empfangen augenblicklich keine Gäste. Bitte nennen Sie Ihren Namen, den Grund Ihres Besuchs und Ihre Kontaktdaten. Vielen Dank.
Eve zückte ihre Dienstmarke. »Lieutenant Eve Dallas und Detective Delia Peabody von der New Yorker Polizei. Falls jemand da ist, machen Sie uns bitte auf.«
Einen Augenblick bitte. Die Marke, mit der Sie sich ausgewiesen haben, wird noch überprüft.
Die Marke wurde eingescannt, doch schließlich gingen die Schlösser auf.
Ein Hausdroide öffnete die linke Türhälfte und sah in seinem schwarzen Anzug mindestens so würdevoll wie das Gebäude aus. Der muskulöse Körperbau verriet, dass er sich auch als Leibwächter einsetzen ließ. Er sah die beiden Frauen aus geradezu gespenstisch ruhigen, blauen Augen an und sprach mit einem ausgeprägten britischen Akzent, der fast noch würdevoller als der Anzug wirkte.
»Es tut mir leid, die Damen, aber Mr. McEnroy ist noch geschäftlich außer Haus und seine Frau macht mit den Kindern Urlaub und kommt erst in fünf Tagen zurück. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Sie können mir sagen, wo Mrs. McEnroy im Urlaub ist und wie ich sie erreichen kann.«
»Es tut mir leid, aber diese Informationen sind vertraulich.«
»Jetzt nicht mehr«, widersprach Eve ihm. »Mrs. McEnroy wird sicher wissen wollen, dass ihr Mann nicht auf dem Weg nach Hause, sondern auf dem Weg ins Leichenschauhaus ist.«
Jetzt flackerten die bisher unnatürlich ruhigen Augen, denn auf eine solche Antwort war der Hausdroide eindeutig nicht programmiert.
»Das ist natürlich sehr bedauerlich.«
»Auf jeden Fall. Und jetzt kommen wir rein.«
»Ja, bitte.«
Er trat einen Schritt zurück, ließ sie an sich vorbeigehen und schob die Tür wieder ins Schloss.
Hinter dem breiten Flur erstreckte sich ein großer Wohnbereich mit einer bodentiefen Fensterfront, die eine wunderbare Aussicht auf den Hudson River bot.
Der lang gezogene Kamin und die Designermöbel, die in ruhigem Blau und Grün gehalten waren, sahen elegant, wenn auch nicht unbedingt gemütlich aus, an den Wänden hingen neben einem großen Bildschirm ein paar Stadtansichten und diverse hübsch gerahmte Fotos der Familie, doch irgendwelcher Nippes oder Spielsachen der Kinder waren nirgendwo zu sehen.
»Um wie viel Uhr hat Mr. McEnroy das Haus verlassen?«
»Um 21.18 Uhr.«
»Und wo ist er hingegangen?«
»Das weiß ich nicht.«
»War er alleine?«
»Ja.«
»Was hatte er an?«
Wieder flackerten die Augen des Droiden, doch nachdem er die Erinnerung gefunden hatte, sagte er: »Schwarze Vincenti-Jeans mit einem Nietengürtel, einen blauen Box-Club-Seiden-Kaschmirpulli, eine schwarze Leonardo-Lederjacke, schwarze Baldwin-Lederloafer.«
Manchmal waren Droiden durchaus praktisch, dachte Eve.
»Wann ist seine Frau mit seinen Töchtern abgereist?«
»Vorgestern früh um acht. Mrs. McEnroy, die Kinder und die Lehrerin wurden von Urban Ride hier abgeholt und zum Flughafen gefahren. Von dort aus ging es weiter in den Urlaub nach Tahiti, ins South Seas Resort und Spa im Beach Villa Paradise.«
Sie waren wirklich praktisch, überlegte Eve. »Hat Mr. McEnroy seit ihrer Abreise Besuch empfangen?«
»Das weiß ich nicht. Ich werde immer ausgeschaltet, wenn er geht, und wieder eingeschaltet, wenn er meine Unterstützung wünscht.«
»Ich bräuchte noch die Aufnahmen der Überwachungskamera über der Tür.«
»Selbstverständlich. Unsere Monitore stehen in der kleinen Kammer, die an die Küche grenzt.«
»Peabody …«, meinte Eve und wandte sich dann wieder dem Droiden zu. »Und Sie geben mir noch die Nummer, unter der ich Mrs. McEnroy erreichen kann.«
Als sie die Nummer hatte, fügte sie hinzu: »Sie können mir doch bestimmt auch sagen, wie viel Uhr es gerade in Tahiti ist.«
»Dort ist es gerade 0.33 Uhr«, klärte er sie auf.
»Das ist doch einfach dämlich«, knurrte Eve und der Droide blinzelte verwirrt.
»Ich verstehe nicht …«
»Ich auch nicht«, stimmte Eve ihm zu. »Die SpuSi und die elektronischen Ermittler werden sich hier in der Wohnung umsehen und alle elektronischen Geräte mitnehmen. Gibt’s hier noch andere Droiden oder anderes Personal?«
»Es gibt noch ein paar kleinere Droiden, die die Böden wischen oder andere Dinge erledigen. Und die beiden Mädchen haben eine Lehrerin, die aber, wie ich bereits sagte, mit im Urlaub ist. Mr. McEnroy bestellt öfter seinen Assistenten oder andere Angestellte hier ein, doch meistens geht er seiner Arbeit in der New Yorker Niederlassung seines Unternehmens im Roarke Tower nach.«
»Aha. Ich melde mich wieder, falls es noch Fragen gibt«, erklärte Eve und wandte sich an Peabody, die in der Zwischenzeit zurückgekommen war. »Was haben Sie auf den Aufnahmen gesehen?«
»Er hat das Haus kurz nach neun verlassen und er hatte die von dem Droiden aufgezählten Sachen an. Danach war niemand hier, bis wir gekommen sind. Die 72 Stunden vorher sind überschrieben, aber das haben sie anscheinend immer so gemacht und sicher können die elektronischen Ermittler einen Teil der Aufnahmen wiederherstellen, wenn Sie das wollen.«
»Bestellen Sie McNab und die Kollegen von der SpuSi ein.«
Eve ging ins Schlafzimmer, das ebenfalls geschmackvoll in gedeckten Farben eingerichtet war. Das Bett besaß ein ausgefallenes Kopfteil in der Form von einem Pfauenrad, der warme Pfirsichton des Stoffbezugs jedoch war ebenso dezent wie der ein bisschen hellere Ton der Decke, der Kissen und des hübsch drapierten Überwurfs.
Mitten in dem Raum stand eine Videokamera auf einem Stativ, mit der anscheinend Aufnahmen in alle Richtungen möglich waren.
Sie war auf Stimmbefehle eingestellt, doch abgespeichert war dort nichts.
Eve öffnete die Tür und rief nach dem Droiden.
»Ja?«
Er kam die Treppe herauf und folgte ihr ins Schlafzimmer.
»Steht dieses Ding hier immer?«, fragte Eve und zeigte auf die Kamera.
»Oh nein, ich habe dieses Instrument noch nie gesehen.«
»Hier drinnen oder überhaupt?«
»Überhaupt, Lieutenant.«
»Okay. Dann können Sie jetzt wieder hinuntergehen.«
Sie öffnete die Schubladen der zinnfarbenen Nachtschränke und fand in beiden E-Reader. In der des Nachtschranks Richtung Fenster befand sich außerdem noch eine Packung mit Kondomen, während in der anderen noch eine Nagelfeile neben einer Tube Handcreme lag.
Kein Sexspielzeug und keine Pillen.
Interessant.
Sie schlug die Bettdecke zurück, betrachtete das Laken, neigte ihren Kopf und sog den frischen, leicht lavendelartigen Geruch in ihre Lunge ein.
Dann trat sie wieder in den Flur, wo der Droide stand. »Das Bett im Schlafzimmer. Wann wurde es zum letzten Mal bezogen?«
»Gestern früh um zehn.«
»Hat Mr. McEnroy darum gebeten oder wäre das auch so passiert?«
»Wenn Mr. McEnroy allein zu Hause ist, beziehen wir das Bett hier täglich neu.«
»Und wenn auch seine Frau und seine Kinder hier sind?«
»Dann beziehen wir die Betten zweimal in der Woche neu.«
»Wo ist das Bettzeug, dass hier gestern Morgen abgezogen worden ist?«
»Das ist schon in der Wäscherei.«
»Das ist natürlich schade«, meinte Eve und wandte sich an ihre Partnerin. »Wir sehen uns hier erst mal gründlich um.«
»McNab und die Kollegen von der SpuSi sind schon auf dem Weg. Aber hallo«, meinte Peabody, als sie das Schlafzimmer betrat und dort die Kamera am Fuß des Bettes stehen sah.
»Oh ja. Sie reagiert auf Stimmbefehle und sie nimmt in alle Richtungen auf. Noch etwas anderes ist interessant. Die Ehefrau lässt dieses Bett nur zweimal in der Woche neu beziehen, doch McEnroy wollte jeden Morgen frisches Bettzeug haben, wenn er alleine in der Wohnung war.«
»Der Kerl hat andere Frauen in sein Ehebett geholt und aufgenommen, wie er es mit ihnen hier getrieben hat?«
»So sieht’s zumindest aus. Sicher hat er auch irgendwelche Sexspielsachen irgendwo versteckt. Durchsuchen Sie als Erstes seinen Schrank. Ich spreche währenddessen mit der Ehefrau.«
Sie kontaktierte das Resort und fragte dort zuerst, wann Geena McEnroy mit ihren Töchtern und mit einer Frances Early angekommen war.
Dann wählte sie die Nummer, die ihr der Droide überlassen hatte, um der Hinterbliebenen mitzuteilen, dass ihr Mann ermordet worden war.
Nach dreimaligem Klingeln fragte eine müde Stimme: »Ja, hallo?«
»Mrs. Geena McEnroy?«
»Am Apparat.«
»Hier spricht Lieutenant Eve Dallas von der New Yorker Polizei.«
»Wie bitte? Oh mein Gott!« Die Videofunktion sprang an und eine hübsche Frau mit wirrem, braunem Haar sah Eve aus großen blauen Augen an. »Wurde etwa bei uns eingebrochen?«
»Nein, Ma’am. Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Mann nicht mehr am Leben ist. Seine Leiche wurde heute in den frühen Morgenstunden aufgefunden. Es tut mir sehr leid.«
»Was reden Sie denn da? Das kann nicht sein. Ich habe doch noch heute Nachmittag mit ihm gesprochen. Das heißt, hier auf Tahiti war es Nachmittag, wogegen es bei ihm schon Abend war. Das muss ein Irrtum sein.«
»Es tut mir leid, aber es ist kein Irrtum, Mrs. McEnroy. Ihr Mann wurde vergangene Nacht um kurz nach drei getötet, wir haben seine Leiche identifiziert.«
»Aber das kann nicht sein. Sie haben behauptet, dass es keinen Einbruch gab, und Nigel lag um diese Zeit auf jeden Fall daheim im Bett.«
»Nach Aussage Ihres Droiden und den Aufnahmen der Überwachungskameras zufolge hat Ihr Mann die Wohnung gestern Abend kurz nach neun verlassen und war nicht noch einmal dort, bevor man seine Leiche heute früh gefunden hat. Noch mal, es tut mir leid.«
»Aber …« Plötzlich drückte Geenas Miene statt Verwirrung, Unglauben und einem Hauch von Ärger Schock und Trauer aus. »Was ist passiert? Was ist mit meinem Mann passiert? Hatte er einen Unfall?«
»Nein, Mrs. McEnroy. Er wurde umgebracht.«
»Er wurde umgebracht? Aber das kann nicht sein!«, stieß sie mit schriller Stimme aus, bevor sie sich zusammenriss und ruhiger fragte: »Wie ist das denn passiert? Wer sollte meinem Mann so etwas antun? Und warum?«
»Wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen, am besten kommen Sie so schnell wie möglich nach New York zurück. Gibt’s irgendwen, den ich in Ihrem Namen kontaktieren kann, damit Sie nicht alleine sind?«
»Ich … nein … ich … warten Sie.«
Das Bild verwackelte, als Geena mit dem Link in ihrer Hand eilig das Schlafzimmer verließ, Eve konnte verschiedene Teile eines tropisch bunt möblierten Wohnbereichs, den Mond, der durch das Fenster schien, und lange, schmale Füße mit pastellrot lackierten Zehennägeln sehen.
»Francie!« Geenas raue Stimme bebte, denn anscheinend brachen sich die ersten Tränen Bahn. »Oh Gott, Francie, ich brauche dich.«
»Ich bin schon wach, ich bin schon wach!« Ein Licht ging an. »Geht’s dir nicht gut, Liebes?«
Statt einer Antwort überließ sie einfach der im Bett sitzenden Frau den Link, setzte sich hin und brach in hemmungsloses Schluchzen aus.
Dann tauchte das Gesicht von einer Frau von vielleicht 50 auf dem Bildschirm auf und mit empörter Stimme fragte sie: »Wer ist denn dran?«
»Jemand von der New Yorker Polizei. Sie hat sich als Eve Dallas vorgestellt.«
»Ach was. Die kenne ich doch aus dem Buch und aus dem Film. Das ist die Frau, die …« Sie fing an zu blinzeln, rieb sich kurz die braunen Augen und rief aus: »Mein Gott! Was ist passiert? Wer wurde umgebracht?«
Sie drehte sich nach Geena um und Eve konnte das pinkfarbene Schlafshirt mit dem Einhorn, das auf ihrem ausladenden Busen tollte, sehen. »Beruhig dich, Geena, ich bin da. Ich werde dir erst einmal ein Glas Wasser holen und mich dann um alles kümmern«, meinte sie und wandte sich erneut an Eve. »Was ist passiert?«
»Nigel McEnroy ist tot. Er wurde heute in den frühen Morgenstunden umgebracht.«
»Mein Gott. Wie … nein, ersparen Sie mir Details.«
Inzwischen war sie in der Küche angelangt und füllte dort ein Glas mit Eiswürfeln und Mineralwasser. »Ich muss mich jetzt um Geena und die Mädchen kümmern, alles andere hat erst einmal Zeit. Sie haben ihn geliebt. Ich werde mich um alles kümmern und wir kommen so schnell wie möglich nach New York zurück. Wurde er in der Wohnung umgebracht?«
»Nein.«
»Das heißt, wir werden wieder in die Wohnung ziehen.«
»Ihr Name, Ma’am?«
»Francie, das heißt Frances«, korrigierte sie sich selbst. »Frances Early. Ich bin bei den McEnroys als Lehrerin der beiden Kinder angestellt. Aber jetzt muss ich mich erst einmal um Geena kümmern.«
»Bitte rufen Sie mich an, sobald Sie in New York gelandet sind.«
»Geena wird sich selbst bei Ihnen melden, denn sie wird sich bald zusammenreißen, um für ihre Mädchen da zu sein. Aber jetzt muss ich mich erst mal um sie kümmern und verhindern, dass sie vollkommen zusammenbricht.«
Eve legte auf und gab den Namen Frances Early in ihr Smartphone ein.
»Das ist die Lehrerin der Mädchen«, sagte sie zu Peabody, die immer noch im Ankleidebereich, der an das Schlafzimmer der Eheleute grenzte, stand. »Einmal verheiratet, geschieden, kinderlos. 65 Jahre alt und 22 Jahre Lehrerin an einer öffentlichen Schule in New York, wo sie geboren und aufgewachsen ist. Seit sieben Jahren ist sie bei den McEnroys. Erst hatte nur die ältere Tochter und jetzt haben alle beide Mädchen Unterricht bei ihr, wenn die Familie auf Reisen ist. Hier in New York wohnt sie meistens bei ihrer Schwester, aber sie hat hier und an den anderen Orten ein Zimmer in den Wohnungen oder Häusern der Familie. Ihr Ex-Mann hat sie einmal angezeigt, weil sie angeblich auf ihn losgegangen ist, doch dann hat er die Anzeige zurückgezogen, denn wahrscheinlich war von Anfang an nichts dran. Auf jeden Fall kommt diese Frau mir grundsolide vor.«
»In diesem Raum gibt’s eine Menge wirklich schöner Kleider, tolle Schminksachen und teure Körperpflegemittel. Außerdem einen Safe.«
Da Eve von ihrem Ehemann und früheren Meister dieses Fachs im Knacken von Tresoren unterrichtet worden war, bekäme sie das Ding wahrscheinlich auf. Dann aber sagte sie zu Peabody: »Da drin liegt ganz bestimmt der Schmuck der Ehefrau. Und wenn sie weiß, wie man da drankommt, hätte er dort sicher nichts, was sie nicht sehen sollte, aufbewahrt. Sie machen trotzdem erst einmal hier drinnen weiter und ich gucke mir schon mal sein Arbeitszimmer an.«
Auf ihrem Weg dorthin kam sie an einem Raum vorbei, in dem bestimmt die beiden Mädchen schliefen, weil das Bettzeug mädchenhafte Rüschen hatte und das Zimmer ganz in Pink und Weiß gehalten war. Dazu gab es zwei Schreibtische, an denen sich die Kinder gegenübersaßen, sowie einen Spielbereich.
Im nächsten Zimmer wohnte offenbar die Lehrerin. Wie die bunt geblümte Tagesdecke auf dem Bett und all die bunten Kleider, die in ihrem schmalen Schrank hingen, zeigten, liebte Frances Farben, und dem großen Rahmen voll mit Kunstwerken der beiden Kinder und den hübsch gerahmten Fotos von den Mädchen und der Lehrerin mit der Familie auf dem Tisch unter dem Fenster nach zu schließen, war sie den McEnroys sehr zugetan.
Bei ihrem Anruf hatte Eve gehört, dass Frances und ihre Arbeitgeberin sich duzten, außerdem hatte Frances Geena Schatz genannt. Sie schien ein echtes Mitglied der Familie zu sein und wusste deshalb sicher auch genau, was Nigel für ein Mensch gewesen war.
Am besten spräche Eve noch einmal ausführlich mit der Frau.
Als Nächstes kam ein Raum, der offenbar als Klassen- und als Spielzimmer fungierte, dann ein kleines Wohnzimmer, das Esszimmer und schließlich McEnroys Büro. Die Ehefrau verfügte über keinen eigenen Raum, er aber hatte sich in seinem eigenen Zimmer nicht lumpen lassen, als es um das Sofa und die Bilder an den Wänden, seinen Schreibtisch, seinen Schreibtischsessel, den Computer und das Kommunikationssystem gegangen war. Wie es sich für einen reichen Mann in seiner Position gehörte, hatte er von allem immer nur das Teuerste gewählt.
Sein Notebook, sein Computer und die Telefone waren mit Passwörtern geschützt.
Er war ein wirklich vorsichtiger Mann gewesen, selbst in seinem eigenen Heim.
Die Schubladen des Schreibtischs und der Schrank waren ebenfalls verschlossen und mit Passwörtern versehen.
Am besten finge sie dort an.
Sie nahm ein Werkzeug, das Roarke ihr gegeben hatte, aus dem Untersuchungsbeutel, machte sich ans Werk und ignorierte es, als die SpuSi kam und Peabody mit den Kollegen sprach.
Sie könnte diese blöde Schranktür knacken und sie würde einen Besen fressen, wenn der Kerl den Schrank so gut gesichert hätte, um darin nur blöde Memowürfel oder Dokumente seines Unternehmens zu verwahren.
Nach zehn Minuten hätte sie die Tür am liebsten einfach eingetreten, aber wenn sie das dann melden müsste, käme heraus, dass ihr das Knacken des verdammten Schlosses nicht gelungen war.
Als sie McNabs erschreckend gut gelauntes »Hallo, She-Body«, vernahm, fuhr sie entschlossen fort.
Genauso wollte sie verdammt sein, wenn sie nach der ganzen Mühe diese blöde Arbeit einem von den Elektronikfuzzis überließe, damit der ihr zeigte, wie es ging.
Er rief »Hi, Lieutenant« und sie knirschte mit den Zähnen, als er fröhlich durch die Tür getänzelt kam.
»Sie fangen schon mal mit den elektronischen Geräten an. Wenn Sie es schaffen, fahren Sie sie hoch, gucken kurz drauf und nehmen sie dann mit. Verdammt, verdammt, verdammt, geh endlich auf, du blödes Ding. Wenn Sie hier irgendwo nicht reinkommen, sehen Sie sich die Sachen später auf der Wache an.«
»Okey-dokey. Aber hallo, dieser Codeleser ist echt der Wahnsinn. Ein TTS-5?«
»Woher soll ich das wissen? Und vor allem engen Sie mich gefälligst nicht so ein.«
»Sieht aus, als hätten Sie fast alles durchprobiert. Fehlt nur …«
Vor ihrem dumpfen Knurren wäre sicher selbst ein tollwütiger Hund zurückgeschreckt, McNab hingegen beugte sich noch weiter vor und schlug ihr anerkennend auf die Schulter, als das grüne Licht erschien. »Das haben Sie wirklich sauber hingekriegt.«
»Auf jeden Fall.«
Wahrscheinlich hätte Ian den Tresor erheblich schneller aufgehabt als sie und sicher hätte Roarke die Tür allein mit seinem gottverdammten Charme geknackt, doch auch sie selbst hatte es geschafft.
Sie öffnete die Tür und sah die Memowürfel, die CDs und anderes Zeug, bei dem es sicher um die Arbeit ging. Daneben aber lag ein Kasten für die Kamera, die sie im Schlafzimmer gefunden hatten, und dahinter war ein … weiterer abgesperrter Schrank.
»Mein Gott. Bewahrt er hier die gottverdammten Kronjuwelen auf?«
»Die Tür von diesem Schrank ist nur mit einem Schlüssel abgesperrt. Am besten brechen wir sie einfach auf.«
»Oh nein, wir machen nichts kaputt, wenn es auch anders geht.« Sie wühlte in dem Untersuchungsbeutel nach dem Dietrich, den sie ebenfalls von Roarke bekommen hatte, und mit dem sie deutlich besser klarkam als mit dem verdammten Codelesegerät.
Nach weniger als fünf Minuten hatte sie die Tür geöffnet und McNab entfuhr ein leiser Pfiff. »Aber hallo. Ist das abgefahren.«
»Habe ich es doch gewusst.«
»Das ganze Zeug reicht für die Eröffnung eines eigenen Sexshops aus.« McNab vergrub die Hände in zwei Taschen der plutoniumversetzten violetten Schlabberhose, die er trug.
Er hatte recht, erkannte Eve, als sie den Blick über die Handschellen und Vibratoren, die Öle und Lotionen, die Penisringe, Nippelklemmen, Seidenkordeln, Augenbinden, Gels und Federn, das Viagra und die Unzahl von Kondomen wandern ließ.
Auf einer Flasche stand in Druckbuchstaben Rohypnol, auf einer anderen Rabbit und auf einer dritten Whore.
»Dieser verdammte Hurensohn hat Sexdrogen in kleine Fläschchen abgefüllt. Wahrscheinlich hat er die in irgendwelchen Clubs den Frauen in die Drinks gekippt, sie dann hierhergebracht und seinen Spaß mit ihnen gehabt. Anscheinend stimmt, was Lady Justice in diesem Gedicht geschrieben hat.«
»In was für einem Gedicht?«
»Das erfahren Sie später. Erst mal nehmen Sie sich die elektronischen Geräte vor, McNab.«
»Bin schon dabei.« Der lange blonde Pferdeschwanz des klapperdürren, aber durchaus attraktiven elektronischen Ermittlers wippte und seine Ohrringe klirrten, als er einen Schritt nach hinten trat. »Das Sexspielzeug ist eine Sache, denn es ist nicht schlimm, wenn sich ein Paar damit vergnügt. Aber diese Drogen sind echt mies.«
»Der, der sie benutzt hat, war ein mieses Schwein.«
Trotzdem würden sie und die Kollegen dafür sorgen, dass der Kerl, egal, was er verbrochen hatte und gewesen war, Gerechtigkeit erfuhr.
Sie ging nach unten in den Flur, sprach mit der Spurensicherung und suchte ihre Partnerin.
»Am besten nehmen wir uns erst mal seinen New Yorker Assistenten vor. Der kennt sich doch bestimmt mit den Gewohnheiten, Terminen, Freunden und den Frauen, die er hatte, aus.«
»Lance Po«, las Peabody im Gehen von ihrem Handcomputer ab. »Eurasier, 38 Jahre alt, seit fünf Jahren mit Westley Schupp verheiratet, seit knapp elf Jahren bei dem Unternehmen angestellt und seit vier Jahren der Assistent des Chefs. Die Wohnung ist echt nobel«, fügte sie auf ihrem Weg nach unten noch hinzu.
»Auf jeden Fall sieht sie so aus. Sie liegt in einer ruhigen, teuren Gegend und die Einrichtung ist wirklich hübsch. Nicht ganz so hübsch ist, dass auf seinem Schreibtisch Fotos von der Frau und seinen Töchtern stehen und nicht mal drei Meter weiter lauter Sexspielzeug und Flaschen voll mit Rohypnol, mit Rabbit und mit Whore versteckt sind.«
»Dann hat es also nicht gereicht, dass er die eigene Frau in ihrem eigenen Bett betrogen hat. Er hat den anderen Frauen auch noch Drogen eingeflößt, damit sie ihm zu Willen waren.«
»Kaum zu glauben, dass er diese Drogen besaß und sie nicht verwendet haben soll. Vielleicht kann uns der Assistent ja sagen, wo er gestern Abend hinwollte und ob er sich mit irgendwem getroffen hat.«
Sie traten auf die Straße, wo das Leben in New York in vollem Gange war. Am Himmel blökten Werbeflieger, auf den Straßen wälzten sich die Autoschlangen und auf den Bürgersteigen wurden die Touristen, die kaum von der Stelle kamen, weil sie ständig irgendwelche Selfies oder Bilder von den Wolkenkratzern machten, von den Einheimischen, die wie stets in Eile waren, überholt.
Davon, dass auf dem Gehweg eben noch ein toter Mann gelegen hatte, war nichts mehr zu sehen. Im Inneren des Hauses aber klopften Polizisten an die Türen, die SpuSi stellte das Apartment der Familie ihres Opfers auf den Kopf und Elektroniknerd McNab ging alle Dokumente der Familie durch, hörte die auf den verschiedenen Links gespeicherten Gespräche ab und sah sich alle Fotos, die sie abgespeichert hatten, an.
Womöglich brächte dieser Tod ja irgendetwas ans Licht, was niemand wissen sollte.
Als Eve sich hinters Lenkrad ihres Wagens schwang, gab Peabody Lance Pos Adresse in das Navi ein und stellte fest: »Für Nigels Frau und Kinder wird die Heimreise bestimmt nicht leicht.«
»Wahrscheinlich nicht. Hat sie es wohl gewusst?«, fragte sich Eve. »Auch wenn sie keine Ahnung von dem Zeug im Schrank in seinem Arbeitszimmer hatte, wusste sie doch sicher, dass er sie betrogen hat. Ein Mann, der derart viele Sexspielsachen außerhalb des ehelichen Schlafzimmers verwahrt, hat doch wahrscheinlich jede Menge Frauen nebenher, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das nicht mitbekommen haben soll.«
»Manche Frauen stellen sich absichtlich taub und blind und manche Männer sind echt gut darin, vor ihren Frauen zu verbergen, dass sie ihnen untreu sind.«
Eve schüttelte den Kopf. »So gut kann kein Mann sein.«
Sie trat aufs Gaspedal und kämpfte sich durch den Verkehr nach Midtown zu der griechischen Taverne, über der die Wohnung von Lance Po und seinem Angetrauten lag. Von dort aus könnte Po zu Fuß zur Arbeit gehen, erkannte Eve und drückte auf den Klingelknopf der Eingangstür.
Nach wenigen Sekunden erklang durch die Gegensprechanlage ein für diese frühe Uhrzeit überraschend gut gelauntes: »Hi!«
»Lieutenant Dallas und Detective Peabody von der New Yorker Polizei. Wir wollen zu Mr. Po.«
»Na klar, und Roarke sitzt bereits hier am Tisch und schiebt sich einen Bagel rein. Bist du das, Carrie?«
»Lieutenant Dallas«, wiederholte Eve und fragte: »Spreche ich mit Mr. Po?«
»Ich bin’s. Aber sind Sie tatsächlich von der Polizei?«
»Wir sind tatsächlich von der Polizei und würden gern zu Ihnen hinaufkommen.«
Eve hörte ein Gespräch, Gelächter und: »Sie sagt, dass sie Eve Dallas ist. Das kann nur Carrie sein.«
Trotzdem drückte jemand auf den Öffner und die Tür sprang endlich auf.
Am Ende eines winzig kleinen Flurs gab es einen winzig kleinen Lift, in den Eve nicht einmal eingestiegen wäre, wenn Pos Wohnung eine Meile über ihr gelegen hätte, und ein ebenfalls erschreckend enges Treppenhaus.
Bevor sie oben ankam, ging bereits die Tür der Wohnung auf. »Du hast echt cool geklungen, Carrie, aber …«
Bei Eves Anblick brach die Stimme, die zu einem schlanken Mann von vielleicht 1,77 m in metallicblauem Anzug über einem blutrot getupften Schlips gehörte, ab.
Er riss die Augen auf, die genauso golden wie die Spitzen seiner kurzen schwarzen Dreadlocks waren, und rief verwundert aus: »Verdammte Hacke, Wes. Es ist tatsächlich Lieutenant Dallas!«
»Ach, red doch keinen Scheiß.« Jetzt kam noch ein muskulöser schwarzer Mann mit kahl rasiertem Schädel in verblichenen Jeans und langärmligem rotem T-Shirt in den Flur. Er legte eine seiner Pranken auf Pos Schulter, blinzelte und stellte fest: »Leck mich am Arsch.«
Dann blinzelte er abermals und in die dunklen Augen trat ein Ausdruck kalter Angst. »Mein Gott, das heißt, es geht um einen Todesfall.«
»Oh Gott, oh Gott. Um einen Todesfall?«
»Können wir vielleicht hineinkommen?«
»Meine Mom. Ist was mit meiner Mom?«