Der Sturm - Sebastian Junger - E-Book

Der Sturm E-Book

Sebastian Junger

4,9

Beschreibung

Oktober 1991, Nordatlantik: Ein Hurrikan, ein Zyklon und eine arktische Kaltfront vereinigen sich zu einem Jahrhundert-Sturm. Mitten hinein in diesen "perfekten Sturm", wie ihn Meteorologen nennen, steuern sechs Fischer auf dem Fangboot "Andrea Gail". Ein aussichtsloser Kampf ums Überleben beginnt. "Der Sturm", New York Times- und Spiegel-Bestseller und Vorlage für den gleichnamigen Hollywood-Film, gilt als modernes Meisterwerk. Sebastian Junger gelingt es, Berichte von Seeleuten, von Rettungskräften und Wissenschaftlern, aber auch die Erinnerungen der Familien im Fischerort Gloucester an der Küste von Maine in einer Dichte zu verweben, wie man sie bis dahin nicht kannte. Ein realer Thriller von der Gewalt der Elemente.

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Sebastian Junger

DER STURM

Die wahre Geschichte von sechs Fischernin der Gewalt des Ozeans

Dieses Buch ist meinem Vater gewidmet,der mich als Erster mit der See bekannt machte.

VORWORT

Bei dem Versuch, die letzten Tage von sechs Männern zu rekonstruieren, die spurlos auf See verschwanden, ergaben sich für mich einige Probleme. Einerseits wollte ich ein völlig auf Tatsachen beruhendes Buch schreiben, das als ein Stück Journalismus für sich bestehen konnte. Andererseits wollte ich aber auch nicht, dass die Erzählung unter einer Masse von technischen Details und Vermutungen erstickt. Ich spielte mit dem Gedanken, für kleinere Teile der Geschichte – Gespräche, persönliche Vorstellungen, tägliche Routinehandlungen – eine dichterische Darstellung zu wählen, um das Ganze lesbarer zu machen, aber damit riskierte ich, den Wert der Tatsachen, die ich herausfinden konnte, herabzusetzen. Es lief schließlich darauf hinaus, dass ich mich streng an die Fakten hielt, dabei aber den Bogen so weit spannte wie möglich. Wenn ich schon nicht genau wissen konnte, was sich zum Beispiel an Bord des dem Untergang geweihten Schiffes zugetragen hatte, dann befragte ich Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befunden und überlebt hatten.

Folglich enthält das Buch verschiedene Arten von Informationen. Alles, was in Anführungszeichen steht, wurde von mir in einem offiziellen Interview aufgezeichnet, entweder persönlich oder am Telefon, und wurde nur insoweit verändert, als dies aus Gründen der Grammatik oder des besseren Verständnisses wegen erforderlich schien. Alle anderen Gespräche beruhen auf der Erinnerung noch lebender Zeugen und sind in Dialogform ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Kein einziges Gespräch wurde erfunden. Sprechfunkkontakte sind ebenfalls nach der Erinnerung der Beteiligten aufgezeichnet und im Text kursiv gesetzt. Zitate aus veröffentlichtem Material erscheinen ebenfalls in Kursivdruck, wenn auch gelegentlich etwas gekürzt, damit sie sich besser in den Text einfügen. Die technischen Erklärungen zur Meteorologie, Wellenbewegung, Schiffsstabilität usw. beruhen auf eigenen Nachforschungen in Bibliotheken und sind im Einzelnen nicht belegt, wenn ich mich auch veranlasst sehe, William G. Van Dorns »Oceanography and Seamanship« als ein umfassendes und ungeheuer lesenswertes Buch über Schiffe und das Meer zu empfehlen.

Kurz gesagt, ich habe einen so vollständigen Bericht wie möglich über etwas geschrieben, worüber wir nie alles werden erfahren können. Es ist jedoch gerade das unbekannte Element, das das Schreiben dieses Buches für den Autor so interessant gemacht hat und das es, so hoffe ich, auch für den Leser interessant machen wird. Ich hatte einige Bedenken, es »The Perfect Storm« zu nennen, kam aber schließlich zu der Überzeugung, dass die Absicht deutlich genug war. Ich verwende das Wort perfect hier in meteorologischem Sinne: ein Sturm, der nicht schlimmer hätte sein können. Ganz bestimmt bedeutet das keine Respektlosigkeit gegenüber den Männern, die ihr Leben auf See gelassen haben, oder gegenüber denen, die immer noch um sie trauern.

Meine eigenen Erfahrungen mit diesem Sturm beschränken sich darauf, dass ich von der Küste Gloucesters aus zehn Meter hohe Wellen auf Cape Ann habe hereinstürmen sehen, aber mehr war auch nicht nötig. Am nächsten Tag las ich in der Zeitung, man befürchte den Verlust eines Fischerbootes aus Gloucester, und ich schnitt die Meldung aus und legte sie in eine Schublade. Ohne es zu wissen, hatte ich begonnen, »The Perfect Storm« zu schreiben.

An einem Mittwintertag vor der Küste von Massachusetts entdeckte die Mannschaft eines Makrelenschoners eine Flaschenpost. Der Schoner befand sich auf Position der Georges Bank, einem der gefährlichsten Fischgründe der Welt, und eine Flasche mit einer Botschaft darin ließ Schlimmes vermuten. Ein Matrose fischte sie aus dem Wasser, das Seegras wurde entfernt, und der Kapitän entkorkte die Flasche und wandte sich an die versammelte Mannschaft: »Treiben im Gebiet der Georges Bank, haben Ankertrosse und Ruder verloren, Schiff leck. Zwei Mann über Bord gegangen, und wir sind alle verloren, weil die Ankertrosse weg ist und das Ruder auch. Wer dies findet, soll es bekanntmachen. Herr, erbarme Dich unser.«

Die Nachricht stammte von der Falcon, einem Boot, das ein Jahr zuvor aus Gloucester ausgelaufen war. Man hatte nie mehr etwas von ihr gehört. Ein Boot ohne Ruder, dessen Ankertrosse im Seegebiet der Georges Bank bricht, treibt hilflos auf der Seite liegend vor dem Wind, bis es ins Flachwasser gerät und von der Brandung in Stücke geschlagen wird. Ein Besatzungsmitglied der Falcon musste sich unter der Back gegen eine Koje gestemmt und im Licht einer schwankenden Laterne wie ein Besessener geschrieben haben. Dies war das Ende und bestimmt hatte es jeder an Bord gewusst. Wie verhalten sich Männer auf einem sinkenden Schiff? Klammern sie sich aneinander? Lassen sie die Whiskeyflasche herumgehen? Weinen sie?

Dieser Mann schrieb; auf einem Fetzen Papier hielt er fest, was für zwanzig Männer auf dieser Welt die letzten Augenblicke waren. Dann korkte er die Flasche zu und warf sie über Bord. Wir haben nicht die geringste Chance, musste er gedacht haben. Und dann ging er wieder unter Deck. Er atmete tief ein. Er versuchte, sich zu beruhigen. Er wappnete sich gegen den ersten Angriff der See.

Das ist kein Fisch, den Ihr kauft, es sind Menschenleben.

Sir Walter Scott, Der Antiquar, Kapitel 11

Ein sanfter Herbstregen rieselt durch die Bäume, und der Geruch des Ozeans ist so stark, dass man ihn fast auf der Zunge schmecken kann. Lastwagen rumpeln die Rogers Street entlang, und Männer, die mit Fischblut befleckte T-Shirts tragen, rufen einander von Boot zu Boot etwas zu. Unter ihnen steigt der Ozean an dem schwarzen Pfahlwerk empor und fällt dann mit saugendem Geräusch bis dahin zurück, wo sich die Entenmuscheln festgesetzt haben. Bierdosen und Styroporstücke bewegen sich mit dem Wasser auf und ab, und kleine Lachen von ausgelaufenem Dieselkraftstoff wogen wie riesige irisierende Quallen. Die Boote dümpeln und reiben sich ächzend an ihren Leinen, und klagend schreien Möwen, lassen sich nieder und beklagen sich erneut. Auf der anderen Seite der Rogers Street durch den rückwärtigen Eingang des Crow’s Nest Inn hindurch, die Zementtreppe hinauf, den teppichbelegten Gang entlang und hinter einer der Türen zur Linken findet man, ausgestreckt auf einem Doppelbett in Zimmer 27 und zugedeckt mit einem Laken, den schlafenden Bobby Shatford.

Er hat ein blaues Auge. Bierdosen und die Verpackungen irgendwelcher Lebensmittel liegen verstreut im Raum, und aus einem Seesack quellen T-Shirts, Flanellhemden und Bluejeans heraus. Neben ihm schläft seine Freundin Christina Cotter. Sie ist eine attraktive Frau Anfang vierzig mit rostrotem Haar und einem energischen, schmalen Gesicht. Im Zimmer stehen ein Fernseher, eine niedrige Kommode mit einem Spiegelaufsatz sowie ein Stuhl von dem Typ, wie man ihn in Universitätscafeterias findet. Der Kunststoffbezug hat einige Brandlöcher von Zigaretten. Das Fenster geht hinaus auf die Rogers Street, wo Lastwagen vorsichtig in die Parkbuchten der Fischfabriken hineinmanövrieren.

Es regnet immer noch. Auf der anderen Straßenseite befindet sich die Rose Marine, wo die Fischerboote ihren Treibstoff übernehmen, und jenseits eines kleinen Wasserarms liegt die staatliche Fischpier, wo sie ihren Fang ausladen. Die Staatspier ist im Wesentlichen ein riesiger Parkplatz auf einem Pfahlfundament, und am hinteren Ende, jenseits eines weiteren Wasserarms, befinden sich eine Bootswerft und ein kleiner Park, in dem Mütter ihre Kinder spielen lassen. Jenseits des Parks, an der Ecke der Haskell Street, steht ein elegantes Backsteinhaus, das von dem berühmten Bostoner Architekten Charles Bulfinch entworfen wurde. Ursprünglich stand es einmal an der Ecke Washington und Summer Street in Boston, aber im Jahre 1850 wurde es vom Fundament gehoben, auf einen Prahm geladen und nach Gloucester transportiert. In diesem Haus zog Bobbys Mutter Ethel vier Söhne und zwei Töchter groß. Seit vierzehn Jahren arbeitet sie tagsüber hinter der Bar des Crow’s Nest. Ethels Großvater war Fischer, und ihre beiden Töchter gingen regelmäßig mit Fischern aus, und alle vier Söhne hatten zu irgendeinem Zeitpunkt mit der Fischerei zu tun. Die Mehrzahl ist immer noch dabei.

Die Fenster des Crow’s Nest gehen nach Osten hinaus, in Richtung des anbrechenden Tages, auf eine Straße, die schon im Morgengrauen von Kühlwagen befahren wird. Gäste neigen nicht dazu, lange zu schlafen. Gegen acht Uhr müht Bobby Shatford sich, wach zu werden. Er hat flachsblonde Haare, hohle Wangen und einen sehnigen Körper, dem anzusehen ist, dass ihm Arbeit nicht fremd ist. In wenigen Stunden muss er sich an Bord der einfinden, einem auf Schwertfischfang spezialisierten Boot, das zu einer einmonatigen Reise zu den Grand Banks auslaufen wird. Er könnte mit 5000 Dollar in der Tasche zurückkehren; er könnte aber auch nie mehr wiederkommen. Draußen regnet es immer noch. Chris gibt ein leises Stöhnen von sich, öffnet die Augen und blinzelt zu ihm hoch. Eins von Bobbys Augen hat die Farbe einer überreifen Pflaume.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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