Der Triumph - Jerry B. Jenkins - E-Book

Der Triumph E-Book

Jerry B. Jenkins

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Beschreibung

Dieser Band 12 bildet den Höhepunkt und Abschluss der Bestseller-Serie "Finale". Seit der Entrückung sind inzwischen mehr als sieben Jahre vergangen. Die noch lebenden Mitglieder der Tribulation Force verstecken sich bei den Israeliten in Petra und Jerusalem. Doch die Aufständischen können der Einheitsarmee nicht mehr lange Stand halten. Auf dem Höhepunkt der Schlacht zwischen den Mächten der Finsternis und des Lichts hat der Antichrist einen Großteil der Streitkräfte im Tal von Megiddo zusammengezogen, um seinen letzten Triumph zu erringen. Nichts und niemand scheint den Siegeszug von Nicolai Carpathia noch aufhalten zu können ...

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Tim LaHaye • Jerry B. Jenkins

Der Triumph

Die letzten Tage der Erde

Roman

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag

Tyndale House Publishers, Inc., Wheaton, Illinois, USA,

unter dem Titel „Glorious Appearing“.

© 2004 by Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins

© der deutschen Taschenbuchausgabe 2007 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar

Aus dem Englischen von Eva Weyandt mit Genehmigung

von Tyndale House Publishers, Inc.

Left Behind © ist ein eingetragenes Warenzeichen

von Tyndale House Publishers, Inc.

Die Bibelstellen wurden der Einheitsübersetzung entnommen.

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart

Taschenbuch ISBN 978-3-86591-281-7

eBook ISBN 978-3-96122-099-1

Umschlaggestaltung: Michael Wenserit; Julie Chen

Umschlagfoto: Photodisc/Getty Images

Israel-Karten: Maps.com

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Zur Erinnerung an

Frank LaHaye

und Harry Jenkins,

die wir wiedersehen werden.

Mit besonderem Dank an

David Allen

für seine technische Beratung

und an John Perrodin

für seine zusätzlichen biblischen Nachforschungen.

Sieben Jahre nach Beginn der Trübsalszeit – dreieinhalb Jahre nach Beginn der Großen Trübsalszeit

Die Gläubigen

Enoch Dumas, Anfang 30, Amerikaner spanischer Herkunft, geistlicher Führer der 30 Mitglieder von The Place in Chicago, lebt in Palos Hills, Illinois, im Untergrund.

Montgomery Cleburn (Mac) McCullum, Anfang 60, ehemaliger Pilot von Supreme Potentat Nicolai Carpathia. Offiziell wird angenommen, dass er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Er ist der wichtigste Pilot der Tribulation Force und hält sich in Petra auf.

Hannah Palemoon, Mitte 30, arbeitete als Krankenschwester im Krankenhaus der Weltgemeinschaft in Neu-Babylon und ist jetzt für die Tribulation Force tätig, einem Netzwerk von Gläubigen.

Razor, Anfang 20, Mexikaner, militärischer Assistent von George Sebastian in Petra.

Lea Rose, Anfang 40, ehemals Oberschwester im Arthur Young Memorial Hospital in Palatine, Illinois. Sie ist im Auftrag der Tribulation Force in Petra, Mitarbeiterin der Internationalen Handelsgesellschaft.

Dr. Chaim Rosenzweig (Micah), Mitte 70, israelischer Nobelpreisträger, Botaniker und Staatsmann und vom Global Weekly zum „Mann des Jahres“ gekürt. Er verübte den Anschlag auf Carpathia und ist der Führer von mehr als einer Million jüdischer Flüchtlinge in Petra.

George Sebastian, Ende 20, ehemaliger Kampfhubschrauberpilot, der in San Diego stationierten US-Luftwaffe. Lebt mit anderen Mitgliedern der Tribulation Force im Untergrund und arbeitet bei der Handelsgesellschaft mit. Er leistet Unterstützung bei der Verteidigung Petras.

Priscilla Sebastian, 30, Frau von George Sebastian, Mutter von Beth Ann, hält sich in Petra auf.

Abdullah Smith, Mitte 30, war früher jordanischer Kampfflieger und danach Erster Offizier der Phoenix 216, täuschte seinen Tod bei einem Flugzeugabsturz vor, wichtiger Pilot der Tribulation Force und in Petra im Einsatz.

Rayford Steele, Ende 40, flog als Flugkapitän für die Fluglinie Pan-Continental und verlor bei der Entrückung Frau und Sohn sowie seine zweite Frau bei einem Flugzeugabsturz. Er wurde Flugkapitän von Potentat Nicolai Carpathia und ist Gründungsmitglied der Tribulation Force; mittlerweile ein international gesuchter Flüchtling. Zuletzt wurde er in Petra gesehen.

Eleazar Tiberius, Anfang 50, einer der Ältesten in Petra und Vater von Naomi.

Naomi Tiberius, 20, Tochter von Eleazar, Computerfachfrau. Sie liebt Chang Wong und lebt in Petra.

Otto Weser, 50, Leiter einer kleinen Gruppe von deutschen Gläubigen, die nach Neu-Babylon geflohen sind. Jetziger Aufenthaltsort: Petra.

Lionel Whalum, Ende 40, früher Geschäftsmann, heute Pilot der Internationalen Handelsgesellschaft. Er ist als neuer Leiter der Handelsgesellschaft in Petra im Einsatz.

Cameron (Buck) Williams, Mitte 30, ehemaliger Chefreporter des Global Weekly sowie ehemaliger Herausgeber des Global Community Weekly. Er ist Gründungsmitglied der Tribulation Force und Herausgeber einer Internetzeitung mit dem Namen „Die Wahrheit“. Seine Frau Chloe starb unter der Guillotine der Weltgemeinschaft. Zuletzt wurde er bei der Verteidigung der Jerusalemer Altstadt lebend gesehen.

Chang Wong, 21, war der Maulwurf der Tribulation Force im Hauptquartier der Weltgemeinschaft in Neu-Babylon. Als Leiter der Computerabteilung befindet er sich in Petra. Er liebt Naomi Tiberius.

Ming Toy Woo, Mitte 20, ist Changs Schwester und in zweiter Ehe mit Ree Woo verheiratet. Sie war früher Wachoffizier in einem belgischen Frauengefängnis und hält sich als Mitarbeiterin der Handelsgesellschaft in Petra auf.

Ree Woo, Mitte 20, Mann von Ming Toy Woo, ist Pilot und für die Tribulation Force in Petra im Einsatz.

Gustav Zuckermandel jr. (Zeke oder Z.), Ende 20, ist Urkundenfälscher und Spezialist für Verkleidungen. Sein Vater starb durch die Guillotine. Er ist in Petra im Einsatz.

Die Märtyrer

Al B. (Albie), Anfang 50, gebürtig aus Al Basrah im Norden Kuwaits. Er war Pilot und ein international tätiger Schwarzmarkthändler, Mitglied der Tribulation Force und wurde in Al Basrah ermordet.

Tsion Ben-Judah, Anfang 50, früher rabbinischer Gelehrter und ehemaliger israelischer Staatsmann. Er sprach im israelischen Fernsehen öffentlich über seinen Glauben an Jesus als den Messias, woraufhin seine Frau und seine beiden Kinder ermordet wurden. Nach seiner Flucht in die USA wurde er der geistliche Führer und Lehrer der Tribulation Force. Seine täglich aktualisierte Internetseite wurde von unzähligen Menschen gelesen. Er ging mit den jüdischen Flüchtlingen nach Petra und kam bei der Verteidigung der Jerusalemer Altstadt ums Leben.

Chloe Steele Williams, Mitte 20, war vor den Ereignissen Studentin an der Universität von Stanford und hat Mutter und Bruder bei der Entrückung verloren. Sie war die Tochter von Rayford, Ehefrau von Buck und Mutter des viereinhalbjährigen Kenny Bruce. Als Gründungsmitglied der Tribulation Force und Initiatorin und Leiterin der Handelsgesellschaft wurde sie von der Weltgemeinschaft umgebracht.

Die Feinde

Nicolai Jetty Carpathia, Ende 30, früher Präsident von Rumänien, danach Generalsekretär der Vereinten Nationen und schließlich selbst ernannter Potentat der Weltgemeinschaft. Drei Tage nach seiner Ermordung in Jerusalem kehrte er auf dem Palastgelände der Weltgemeinschaft in Neu-Babylon ins Leben zurück. Er führt die Streitkräfte der Einheitsarmee im Tal von Megiddo an und wurde zuletzt vor dem Herodestor auf der Suleimanstraße in Jerusalem gesehen.

Leon Fortunato, Ende 50, ist Carpathias rechte Hand. Derzeit ist er der allerhöchste geistliche Führer des Carpathianismus und verkündet den Potentat als auferstandenen Gott. Er hält sich auf dem Kommandoposten in Megiddo auf.

Suhail Akbar, Mitte 40, Carpathias Sicherheits- und Geheimdienstchef. Er hält sich auf dem Kommandoposten der Welteinheitsarmee in Megiddo auf.

Prolog

Rayford hatte sich an den Abstieg gemacht, und dieser war noch schwieriger als der Aufstieg. Er war ein wenig länger als geplant bei Chang und Naomi geblieben, darum ging er davon aus, dass Mac ihn bereits erwarten würde. George wiederum würde vermuten, dass er mittlerweile bei Mac eingetroffen war.

Von seinem Aussichtspunkt aus hatte er einen guten Blick über die etwa eine Meile entfernte Armee. Er griff nach seinem Telefon, um Mac zu beruhigen, als ihm klar wurde, dass irgendetwas passiert war. Die vordersten Linien lösten sich wieder auf. Vermutlich hatte George ein weiteres Mal die Energiewaffen abgefeuert.

Dieses Mal jedoch nahm die Welteinheitsarmee den Angriff nicht so gelassen hin, trotz der anschließenden Verwirrung. Rayford hörte das Dröhnen von Vergeltungsfeuer, das an Donner bei einem heftigen Gewitter erinnerte. Er wusste ein wenig über Gewehre und Munition Bescheid, sodass ihm klar war, dass Carpathias Truppen zu weit entfernt waren, um Schaden anzurichten. Seiner Meinung nach würden die Stellungen außerhalb von Petra unbeschadet bleiben.

Er irrte sich. Vielleicht waren ihre Kanonen größer, als er angenommen hatte, auf jeden Fall flogen die Kugeln an den Stellungen vorbei und ihm um die Ohren. Als eine von ihnen unmittelbar vor ihm explodierte, wurde Rayford beinahe aus seinem Wagen geschleudert. Er klammerte sich mit seiner freien Hand am Griff fest und sein Telefon flog 100 Meter weit einen Felsen hinunter.

Und jetzt geriet sein Fahrzeug außer Kontrolle. Er wurde vom Sitz hochgeschleudert und landete hart wieder auf der Sitzfläche. Das Fahrzeug hüpfte und rollte zur Seite. Die Frage, ob er darauf sitzen bleiben sollte oder nicht, war nicht das Einzige, das ihn beschäftigte, und sehr schnell löste sich auch diese Frage in Wohlgefallen auf. Ein weiterer Schlag und er konnte sich nicht mehr festhalten. Er stürzte aus dem Wagen, behielt das Fahrzeug jedoch im Blick. Es krachte gegen einen Felsen und stürzte hinab in ein Tal.

Rayford bemühte sich nicht, seinen Sturz abzubremsen. Er legte Hände und Arme an und versuchte locker zu bleiben, mit aller Macht gegen den natürlichen Instinkt anzukämpfen. Der Abhang war sehr steil, und er rollte zu schnell, als dass er irgendetwas tun könnte. Jetzt konnte er nur noch auf eine weiche Landung hoffen.

Etwa drei Meter von ihm entfernt schlug eine Kugel ein. Rayford wurde gegen einen spitzen Stein geschleudert und hörte ein leises Rauschen wie von Wasser, als er auf ein dorniges Gestrüpp zurollte. So unangenehm diese Dornen auch aussahen, sie waren sicher weicher als das, was ihn gerade getroffen hatte.

Rayford konnte sein Körpergewicht verlagern, wurde langsamer und landete in den Dornen. Erst jetzt wurde ihm klar, was dieses Plätschern bedeutete. Mit jedem Schlag seines Herzens, das jetzt immer schneller schlug, strömte Blut aus der Wunde an seiner Schläfe.

Er drückte mit der Hand gegen den Kopf und spürte das warme Blut nun an seiner Hand. Er drückte mit aller Macht dagegen, in der Hoffnung, die Blutung ein wenig einzudämmen. Aber Rayford befand sich jetzt in Gefahr – in tödlicher Gefahr. Niemand wusste genau, wo er sich befand. Er hatte weder Kommunikations- noch Transportmittel. Er wollte nicht einmal über seine Verletzungen nachdenken, denn was auch immer er hatte, es war unwichtig im Vergleich zu der Wunde an seinem Kopf. Er brauchte Hilfe, und zwar schnell, sonst würde er innerhalb von Minuten tot sein.

Rayfords Arme waren abgeschürft und er spürte Schmerzen in beiden Knien und einem Knöchel. Mit seiner freien Hand zog er sein Hosenbein hoch und wünschte, er hätte es nicht getan. Irgendetwas hatte ihm das Fleisch am Knöchel aufgeschlitzt, aber auch mit seinem Knochen war etwas passiert.

Konnte er laufen? Wagte er einen Versuch? Er war zu weit von den anderen entfernt, um kriechen zu können. Er wartete, bis sein Pulsschlag sich verlangsamte und er sein Gleichgewicht wiederfand. Mac und seine Leute waren etwa eine Meile von ihm entfernt. Er konnte sie nicht einmal sehen. Zurückgehen konnte er auch nicht mehr. Er rollte sich auf die Seite und rappelte sich mühsam hoch. Eine Hand hielt er fest auf seine Wunde an der Schläfe gedrückt.

Rayford versuchte aufzustehen. Nur ein Bein gehorchte ihm, das Bein mit dem verletzten Knöchel. Vermutlich hatte er sich das Schienbein des anderen gebrochen. Er versuchte zu hüpfen, aber der Abhang war so steil, dass er sich erneut nicht mehr halten konnte. Nur mit Mühe hüpfte er weiter, wurde aber mit jedem Hüpfer schneller und drohte, das Gleichgewicht zu verlieren. Was immer er tat, er konnte seine Hand nicht von seiner Schläfe nehmen, und er wagte nicht, sich erneut zu Boden sinken zu lassen.

„Herr, jetzt wäre ein wirklich passender Augenblick für deine Wiederkunft.“

Chang spürte, dass irgendetwas passieren würde. Er hatte Signale von Satelliten abgefangen, die sich in einer geosynchronen Laufbahn befanden und die Kommunikation zwischen den Truppen unterstützten. Die gegnerischen Truppen standen kurz davor, sich in Bewegung zu setzen. Das musste er den Verantwortlichen mitteilen.

Er rief George an. „Rechnet mit einem Vormarsch in 60 Sekunden“, sagte er.

„Wir sind bereits beschossen worden“, rief George. „Du meinst, es kommt noch mehr?“

„Ja, sie werden vorrücken.“

„War Rayford bei dir?“

„Hat sich eben wieder auf den Weg gemacht. Er wollte zu Mac.“

„Danke. Ruf Mac an, ja? Ich werde die anderen informieren.“

Chang rief Mac an und warnte auch ihn.

„Hey“, sagte Mac, „ich kann Sebastian nicht erreichen und Ray ist überfällig.“

„Ist auf dem Weg“, sagte Chang.

Er rief Buck an. „Rechnet mit –“

Aber die Verbindung brach ab. Er wählte erneut. Nichts.

„Sie kommen! Sie kommen!“

Buck hörte, wie ein junger Rebell diese Worte schrie, als sein Telefon gerade läutete; er sah einen Brandsatz über das Rockefeller-Museum fliegen, geradewegs auf ihn zu. Die Welteinheitsarmee rückte nun von allen Seiten vor. Er hielt sein Telefon ans Ohr, als eine Bombe unmittelbar vor ihm in die Wand einschlug.

Kurz bevor die Bombe ein Loch in die Mauer riss, erkannte er noch Changs Stimme am anderen Ende der Leitung. Steinsplitter und Schrapnelle drangen in seine rechte Körperhälfte ein und unterbrachen die Verbindung. Eines seiner Gewehre wurde ihm aus der Hand gerissen. Er spürte einen Schlag an der Hüfte und in seinem Nacken, als der Boden unter ihm nachgab.

Einer der Jungen neben ihm wurde in die Luft geschleudert und schlug hart auf dem Pflaster auf.

Buck war entschlossen, auf der Mauer zu reiten wie auf einer Welle. Er griff sich an den Hals und spürte, dass dort Blut hervorquoll. Er war kein Arzt, aber er wusste, dass eine Halsschlagader verletzt war – kein kleines Problem.

Als die Mauer langsam in sich zusammenstürzte, blieb er darauf stehen und versuchte, mit einer Hand das Gleichgewicht zu halten, da er die andere an seine Wunde presste. Sein Gewehr rutschte ihm von der Schulter in die linke Hand, doch als er sich darauf abstützen wollte, fiel es zu Boden. Er war unbewaffnet, stürzte ab und war tödlich verletzt.

Und der Feind rückte näher.

Rayford konnte seinen Sturz nur mit seiner freien Hand abfangen, da er es nicht wagte, den Druck an seiner Schläfe zu verringern. Er schlug mit dem Kinn auf und rutschte in einem Winkel von 45 Grad weiter. Es hatte keinen Sinn mehr zu laufen. Er konnte jetzt nur noch kriechen und versuchen, irgendwie am Leben zu bleiben.

Bucks Füße verfingen sich in den Spalten zwischen Trümmern der Mauer und sein Oberkörper kippte vornüber. Er hing nun mit dem Kopf nach unten in der zusammenstürzenden Stadtmauer. Seine Hüfte war aufgerissen und blutete ebenfalls und das Blut stieg ihm in den Kopf.

Sogar im Inneren des Computerzentrums in der Felsenstadt spürte Chang die Erschütterung der Erde, die von den Schritten der Millionen von Soldaten stammte, die nun auf Petra vorrückten. Er klickte hierhin und dorthin, legte Schalter um und versuchte, verschiedene Anrufe zu tätigen. Wie weit würde Gott dies gehen lassen, bis er den rettenden König sandte?

Gegen die Bewusstlosigkeit ankämpfend, tastete er sich vor, eine Hand ausgestreckt, die andere auf die Wunde gepresst. Mit jedem Zentimeter schien der Winkel steiler zu werden, der Weg unebener. Mit jedem Schlag seines Herzens, mit jedem Blutstoß, jedem stechenden Schmerz fragte er sich, wozu das gut sein sollte. Wie wichtig war es, am Leben zu bleiben? Wofür? Für wen?

„Komm, Herr Jesus.“

Der Schwindel überwältigte ihn. Die Schmerzen wurden unerträglich. Vermutlich war eine Lunge verletzt. Sein Atem kam stoßweise, mühsam, schmerzhaft. Das erste Anzeichen für das Ende war der seltsame Rhythmus seines Herzens. Es raste, dann hüpfte es, dann flatterte es. Zu hoher Blutverlust. Das Gehirn wurde nicht genügend durchblutet, bekam nicht genügend Sauerstoff.

Entsetzliche Müdigkeit verdrängte die Panik. Die Bewusstlosigkeit wäre eine große Erleichterung.

Und so ließ er sie zu. Reglos blieb er liegen. Seine Lunge drohte regelrecht zu platzen. Sein Herz flatterte und blieb stehen. Das pulsierende Blut sammelte sich in einer Pfütze unter ihm.

Trotz seiner weit aufgerissenen Augen sah er nichts mehr.

„Herr, bitte.“

Er hörte das Herannahen des Feindes. Er spürte es. Aber bald fühlte er nichts mehr. Sein Blut hörte auf zu fließen, kein Lüftchen regte sich. Sein Körper erschlaffte und er starb.

„Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“

Matthäus 24,29–30

1

Mac McCullum suchte die Umgebung von Petra mit einem starken Feldstecher ab. Rayford sollte eigentlich mittlerweile bei ihm eingetroffen sein.

Macs Uhr zeigte 13 Uhr an – ein Uhr mittags nach carpathianischer Zeit. Es war sehr heiß, sicher mindestens 38 Grad. Der Schweiß tropfte ihm von den Haaren in den Nacken und durchnässte sein Hemd. Kein Lüftchen regte sich, und Mac fragte sich, wie sein mit Sommersprossen übersätes, wettergegerbtes Gesicht wohl in ein paar Tagen aussehen würde.

Ohne den Blick vom Fernglas zu nehmen, holte Mac sein Telefon hervor und wählte Chang Wongs Nummer im Computerzentrum. „Wo steckt Ray?“

„Das wollte ich Sie auch gerade fragen“, erwiderte Chang. „Er ist vor 45 Minuten von hier aufgebrochen und niemand hat ihn seither gesehen.“

„Was gibt es Neues von Buck?“

„Nichts.“

Mac bemerkte das Zögern. „Seit wann?“

„Äh, Rayford hat heute Vormittag noch mit ihm gesprochen.“

„Und?“

Wieder ein Zögern. „Keine nennenswerten Neuigkeiten.“

„Was soll das heißen, Chang?“

„Nichts.“

„Das habe ich verstanden. Also, was ist los?“

„Nichts, das nicht in Kürze behoben –“

„Ich hasse zweideutige Äußerungen, Kumpel.“ Mac suchte weiter die Felsen ab. Trotz seiner jahrelangen Erfahrung beschleunigte sich sein Pulsschlag. „Wenn du es mir nicht sagst, werde ich ihn selbst anrufen.“

„Buck?“

„Wen denn sonst?“

„Ich habe es versucht. Meine Sensoren zeigen an, dass sein Telefon nicht mehr funktionsfähig ist.“

„Wurde es abgestellt?“

„Das ist sehr unwahrscheinlich, Mr McCullum.“

„Das will ich doch hoffen. Vielleicht eine Störung? Oder es ist defekt?“

„Ich hoffe Letzteres, Sir.“

„Ist denn wenigstens das GPS noch aktiv?“

„Nein, Sir.“

Chaim Rosenzweig hatte nicht geschlafen, und nach zwei leichten Mahlzeiten, die beide aus Manna bestanden, hätte er eigentlich erschöpft sein müssen. Aber nein. Das war der Tag. Er spürte, wie die Erregung in ihm hochstieg. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, während sein Herz sich nach dem größten Ereignis in der Geschichte dieses Kosmos sehnte.

Die Ratgeber des alten Mannes, ein halbes Dutzend Älteste, saßen mit ihm in Petra zusammen. Der kugelrunde Eleazar Tiberius erklärte, die israelischen Flüchtlinge in ihrer Obhut seien genauso ruhelos wie sie. „Können wir ihnen denn gar nichts mitteilen?“, fragte er.

„Ich habe da so eine Idee, wie wir sie beschäftigen könnten“, meinte Chaim. „Aber was soll ich ihnen denn sagen?“

„Ich bin noch nicht so lange dabei wie Sie, Rabbi, aber –“

„Bitte“, wandte Chaim mit erhobener Hand ein. „Sparen Sie sich diesen Titel für Dr. Ben-Judah auf. Ich bin nur ein Schüler, der in diese Stellung hineingestolpert ist –“

„Wie auch immer“, fuhr Eleazar fort, „die Leute wollen den genauen Zeitpunkt der Wiederkunft des Messias wissen. Ich meine, wenn sie sieben Jahre nach der Unterzeichnung des Bundes zwischen dem Antichrist und Israel stattfinden soll, wie Sie und Dr. Ben-Judah denken, ist damit der genaue Zeitpunkt gemeint? Ich erinnere mich, dass die Unterzeichnung gegen vier Uhr nachmittags israelischer Zeit stattfand, und zwar heute vor sieben Jahren.“

Chaim lächelte. „Ich habe keine Ahnung. Allerdings weiß ich Folgendes: Gott hat seine eigene Zeitrechnung. Glaube ich, dass der Messias heute wiederkommt? Ja. Werde ich beunruhigt sein, wenn er erst morgen kommt? Nein. Das hat keinen Einfluss auf meinen Glauben. Aber ich rechne bald mit ihm.“

„Und wie wollen Sie die Leute beschäftigen?“

„Irgendwie müssen wir die Wartezeit ausfüllen. Ich bin auf eine Videodisk mit einer sehr interessanten Rede eines Afroamerikaners gestoßen, die dieser vor der Jahrhundertwende gehalten hat. Natürlich ist er längst im Himmel. Ich schlage vor, wir rufen das Volk zusammen und spielen sie ab.“

„Unser Herr könnte in der Zwischenzeit wiederkommen“, wandte einer der Ältesten ein.

„Umso besser.“

„Es sind noch immer Ungläubige unter uns“, gab Eleazar zu bedenken.

Chaim schüttelte den Kopf. „Ich gestehe, das verwirrt und beunruhigt mich, aber andererseits ist auch das die Erfüllung einer Prophezeiung. Viele Israeliten haben sich in Petra in Sicherheit gebracht. Sie halten Jesus für den einflussreichsten Menschen, der jemals gelebt hat, aber sie haben ihr Vertrauen noch nicht in ihn gesetzt. Sie erkennen nicht an, dass er der lang ersehnte Messias ist, und haben ihn folglich nicht als ihren Erlöser angenommen. Die Predigt auf der CD-Rom ist evangelistisch ausgerichtet. Vielleicht hilft sie den Unentschlossenen ja, vor der Wiederkunft des Messias eine Entscheidung zu treffen.“

„Das ist besser, als bis zu dem Ereignis zu warten“, meinte jemand.

„Wir werden den Film um zwei Uhr abspielen“, erklärte Chaim und erhob sich. „Sagt den Leuten Bescheid. Wir wollen mit einem Gebet schließen.“

„Entschuldigung“, unterbrach Eleazar, „aber empfinden Sie die Abwesenheit von Dr. Ben-Judah genauso schmerzlich wie ich?“

„Mehr, als Sie ahnen, Eleazar. Lassen Sie uns für ihn beten und ich werde ihn gleich anrufen. Ich würde dem Volk gern Grüße von ihm ausrichten und von ihm erfahren, was in Jerusalem vor sich geht.“

Mac entdeckte etwa eine Meile von seiner Position entfernt farbige Metallstücke. Oh nein.

Ein roter Benzintank und ein Reifen, die genauso aussahen wie Teile von Rayfords Geländewagen. Nur mit Mühe konnte Mac seine Hände ruhig halten, als er in einem weiten Bogen nach Hinweisen über den Verbleib seines Freundes suchte. Der Geländewagen war vielleicht von einer Rakete getroffen worden oder beim Absturz zerschellt. Vielleicht, dachte Mac, ist es ein gutes Zeichen, dass ich keine Spur von Rayford entdecken kann.

Mac rief erneut bei Chang an. „Ich störe nur ungern schon wieder“, begann er, „aber was sagt dein Sensor über Rays Telefon?“

„Ich hatte schon befürchtet, dass Sie fragen werden. Auch das funktioniert nicht mehr, aber das GPS ist noch aktiviert. Meinem Bildschirm kann ich entnehmen, dass es in einer tiefen Felsspalte etwas mehr als 1300 Meter unter Ihnen liegt.“

„Ich steige runter.“

„Warten Sie, Mr McCullum.“

„Was ist?“

„Ich habe eine Kamera dorthin gerichtet. Dadurch kann ich sehen, dass niemand reinsteigen kann.“

„Du siehst das Telefon?“

„Nein, aber ich weiß, dass es dort ist. Es kann nur dort sein. Die Spalte ist zu schmal.“

„Dann hast du also auch den Geländewagen gesehen?“

„Ich suche noch danach.“

„Ich habe ihn schon entdeckt. Wenn das Telefon südlich von mir liegt, dann schau mal etwa 20 Grad östlich.“

„Einen Augenblick … ja, da ist er.“

„Aber es gibt kein Anzeichen von Ray. Ich denke, es ist wohl das Beste, wenn ich selbst nachsehe.“

„Sir? Könnten Sie nicht jemand anderen schicken?“

„Warum? Ich drehe hier doch eh nur Däumchen. Big Dog One hat die Truppen unter Kontrolle.“

„Offen gesagt, mir wäre es lieber, wenn Sie nach Jerusalem fliegen würden.“

„Willst du mir nicht erklären, was los ist?“

„Kommen Sie lieber her, Mr McCullum. Ich habe Captain Steele mein Wort gegeben, aber ich denke, Sie und Dr. Rosenzweig sollten darüber informiert werden.“

Kurz nach halb zwei Uhr nachmittags traf Mac im Computerzentrum tief in den Höhlen von Petra ein. Chaim kam ihm entgegen, während Chang ihm nur kurz zunickte, ohne den Blick von seinen zahlreichen Bildschirmen abzuwenden. Schließlich erhob er sich doch und die drei Männer zogen sich in eine stille Ecke zurück. Mac bemerkte die verstohlenen Blicke, die die Computerfachleute in ihre Richtung warfen.

„Es gibt keine Möglichkeit, Ihnen diese Neuigkeit schonend beizubringen“, begann Chang. „Captain Steele hat Naomi und mir heute Morgen erzählt, dass Dr. Ben-Judah bei den Kämpfen in Jerusalem ums Leben gekommen ist. Diese Information hat er von Mr Williams.“

Mac versteifte sich.

Chaim barg das Gesicht in den Händen. „Ich hoffe, er musste nicht allzu sehr leiden“, seufzte der alte Mann.

„Da Captain Steele jetzt vermisst wird –“

„Was denn, er auch?“, fragte Chaim. „Und ich kann Cameron ebenfalls telefonisch nicht erreichen …“

„Ich hatte das Gefühl, Sie beide sollten das wissen. Ich meine, morgen um diese Zeit wird das alles bedeutungslos sein.“

„Vielleicht sogar schon um vier Uhr heute Nachmittag“, erklärte Chaim. „Die Frage ist jetzt, was wir sagen oder was wir tun sollen.“

„Wir können gar nichts tun“, meinte Mac. „Ich werde Abdullah Smith bitten, nach Ray zu suchen, da ich, wie Chang meint, lieber nach Jerusalem fliegen sollte.“

Verblüfft starrte Chaim ihn an.

„Allerdings“, bekräftigte Chang. „So, wie es aussieht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Mr Smith nur die sterblichen Überreste von Captain Steele finden wird. Es tut mir leid, wenn ich so offen bin.“

„Aber ein Flug nach Jerusalem, und das zu diesem Zeitpunkt?“, wandte Chaim ein. „Nur um zu sehen, ob Cameron –“

„Ich würde mir wünschen, dass man nach mir sieht, wenn ich an seiner Stelle wäre“, meinte Mac. „Ich weiß, er ist vielleicht nicht mehr am Leben, und Jesus wird auf jeden Fall wiederkommen, aber da jetzt auch Tsion tot ist, würde ich gern hinfliegen und Buck hierherholen.“

„Und wenn auch nur für eine Stunde“, meinte Chaim. Es war eher eine Aussage und keine Frage.

„Wie ich schon sagte, ich würde es mir wünschen.“

„Und was sagen wir den Menschen?“, fragte Chaim erneut.

Minuten später stand Mac in Gus Zuckermandels Unterkunft und erklärte dem jungen Mann sein Vorhaben. „Und jetzt kommt der Haken, Z. Ich möchte in zehn Minuten aufbrechen.“

„Können Sie mir 20 geben?“

„15.“

„Abgemacht.“

„Was kannst du mir anbieten, Z.?“, fragte Mac. Der junge Fälscher zog eine Schublade auf, blätterte mehrere Aktenordner durch und legte einen aufgeschlagen auf den Tisch.

„Ihre neue Identität“, erklärte Zeke. Er ging zu einem Schrank und öffnete diesen. Darin hingen zwei Dutzend vollständige schwarze Uniformen der Welteinheitsarmee, von den Helmen bis zu den Stiefeln. „Suchen Sie sich eine aus, die Ihnen passt. In der Zwischenzeit bereite ich die Dokumente vor. Vergessen Sie die Handschuhe nicht. Zwar überprüft im Augenblick niemand mehr das Loyalitätszeichen, aber sicher ist sicher.“

„Wie machst du das, Z.?“, fragte Mac, während er sich eine Uniform aussuchte, die ihm zu passen schien.

„Mit viel Hilfe. Sebastians Männer haben ein paar Soldaten getötet, und ich habe eine kleine Truppe zusammengestellt, die ausschwärmt und die Sachen einsammelt – Papiere, Kleider und alles.“

„Waffen auch?“

„Natürlich.“

Mac zog die Uniform an. Sie passte wie angegossen. Zeke mischte unterdessen ein Gebräu zusammen.

„Sie sehen gut aus, Mac“, sagte er. „Das Problem ist nur, Sie müssen ein Farbiger sein.“

„Und das kannst du in ein paar Minuten hinkriegen?“

„Wenn Sie mitspielen.“

„Ich bin dabei.“

Mac legte seinen Helm ab, zog die Jacke, das Hemd und die Handschuhe aus. Zeke trug die dunkelbraune Mixtur auf seine Haut auf, von den Schultern bis zum Haaransatz. „Behalten Sie den Helm auf, denn ich habe nicht die Zeit, auch noch die Haare entsprechend anzupassen.“

„Geht klar.“

„Und Ihre Hände färben wir auch, nur für den Fall.“ Zeke trug die Farbe bis zu den Fingerspitzen auf die Arme auf. „Das trocknet in zweieinhalb Minuten. Dann noch ein Foto und Sie können los. Grüßen Sie Buck und Tsion von mir.“

Mac zögerte. „Das mache ich. Zeke, du bist ein Genie.“

Der junge Mann schnaubte. „Ich bin hier, um zu dienen.“

Als er alle Papiere hatte, rannte Mac zu einem Hubschrauber. Unterwegs rief er Abdullah Smith an.

„Es gibt noch nichts Neues, Mac. Ich werde sofort Bescheid geben, sobald ich was gefunden habe.“

Von der Luft aus sah Mac, wie die Menschen aus allen Ecken Petras zum zentralen Sammelplatz strömten.

Chaim machte sich Sorgen über die Stimmung der Leute. Eine so große Menge hatte er in Petra noch nie zusammengerufen. Die Menschen waren laut, unruhig, nervös. Er hörte nervöses Gelächter, beobachtete, wie sich einige umarmten. Immer wieder wanderte ihr Blick zum Himmel. Auch er sah nach oben.

„Meine lieben Brüder und Schwestern“, begann er, „sowie liebe Suchende und Unentschlossene unter uns, bitte versucht euch zu beruhigen. Bitte! Wir alle erwarten natürlich die bevorstehende Wiederkunft unseres Herrn und Heilands, und ich kann mir kein größeres Privileg vorstellen, als dass er wiederkommt, während wir noch hier zusammen sind. Aber –“

Er wurde von donnerndem Applaus unterbrochen.

Chaim forderte sie auf, sich zu setzen. „Ich teile eure Begeisterung! Natürlich weiß ich, dass euch ausschließlich Jesu Wiederkunft beschäftigt, doch ich dachte, es wäre gut, wenn wir uns an diesem Nachmittag besonders auf Jesus Christus ausrichten. Noch immer haben sich viele von uns nicht dazu durchringen können, das für sich in Anspruch zu nehmen, was er für sie getan hat. Wir wissen nicht, was in dem Augenblick geschehen wird, wenn er zurückkehrt – ob Gott den Zweiflern, Spöttern und den Ablehnenden gestatten wird, ihre Meinung zu ändern. Betet, dass er euer Herz nicht wegen eurer Rebellion oder eures Unglaubens verhärtet. Zweifellos gibt es genügend Beweise für die Wahrheit von Gottes Plan.

Lasst euch von den Gedanken eines großen Predigers vergangener Zeit ansprechen. Sein Name war Shadrach Meshach Lockeridge und seine Botschaft trägt die Überschrift: ‚Mein König ist …‘“

Chaim gab das Zeichen zum Abspielen des Films. Dieser wurde an zwei glatte weiße Steinwände projiziert, die so hoch waren, dass alle den Film sehen konnten. Der Ton wurde über Lautsprecher verstärkt, damit alle das Gesagte gut verstehen konnten.

Lockeridge war ein ausgezeichneter Rhetoriker, der sehr abwechslungsreich sprach. Der Film setzte gegen Ende der Predigt ein, wo er zur Höchstform auflief.

„Die Bibel beschreibt meinen König als einen siebenfachen König. Er ist der König der Juden, das heißt, ein König der Völker. Er ist der König Israels, also ein nationaler König. Er ist der König der Gerechtigkeit. Er ist der König der Zeitalter. Er ist der König des Himmels. Er ist der König der Herrlichkeit. Er ist der König der Könige. Er ist nicht nur ein siebenfacher König, sondern auch der Herr aller Herren. Das ist mein König. Also, ich frage mich, kennt ihr ihn?“

Hunderttausende applaudierten und viele sprangen auf. Sie setzten sich wieder hin, als Lockeridge fortfuhr: „David sagte: ‚Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.‘ Mein König ist ein souveräner König. Seine grenzenlose Liebe kann mit keinem Maß gemessen werden. Kein Teleskop kann die Grenze seiner Fürsorge einfangen. Kein Hindernis kann ihn davon abhalten, seinen Segen über uns auszugießen.

Er ist unglaublich geduldig. Er ist beständig. Er ist gnädig. Er ist mächtig. Er ist barmherzig. Kennt ihr ihn?“

Viele antworteten mit Ja.

„Er ist das größte Phänomen, das es je auf dieser Welt gegeben hat. Er ist Gottes Sohn. Er ist der Erlöser der Sünder. Er ist das Kernstück der Zivilisation. Er steht für sich selbst. Er ist ehrlich und einzigartig. Er ist unvergleichlich und beispiellos.

Er ist die erhabendste Idee in der Literatur. Er ist die höchste Persönlichkeit in der Philosophie. Er ist das oberste Problem in der höheren Kritik. Er ist die fundamentale Doktrin wahrer Theologie. Er ist das Herzstück, die Notwendigkeit geistlicher Religion. Er ist das Wunder aller Zeitalter. Ja, das ist er. Er ist der Superlativ von allem Guten, das ihr ihm zuschreibt. Er allein kann alle unsere Bedürfnisse erfüllen. Ich frage mich, ob ihr ihn heute kennt.“

Der Prediger fuhr fort, und immer mehr Zuhörer erhoben sich, manche hoben ihre Hände, andere riefen ihre Zustimmung, einige nickten.

„Er gibt den Schwachen Kraft. Er ist für die Menschen da, die mit Versuchungen konfrontiert werden. Er hat Mitgefühl mit uns und er errettet. Er stärkt und erhält. Er wacht und führt. Er heilt die Kranken. Er reinigt den Leprakranken. Er vergibt dem Sünder. Er macht Schuldner frei. Er befreit den Gefangenen. Er verteidigt den Schwachen. Er segnet die Kinder. Er tröstet den Unglücklichen. Er sorgt für die Alten. Er belohnt den Sorgfältigen. Und er erhöht den Demütigen. Ich frage mich, ob ihr ihn kennt.

Nun, dies ist mein König. Er ist der Schlüssel zum Wissen. Er ist der Quell der Weisheit. Er ist die Tür zur Befreiung. Er ist der Weg des Friedens. Er ist die Straße der Gerechtigkeit. Er ist der Pfad der Heiligkeit. Er ist das Tor der Herrlichkeit. Kennt ihr ihn?

Sein Dienst ist mannigfaltig. Sein Versprechen sicher. Sein Leben ist beispiellos. Seine Güte ist grenzenlos. Sein Erbarmen ist ewig. Seine Liebe verändert sich nie. Sein Wort ist genug. Seine Gnade genügt. Seine Herrschaft ist gerecht. Sein Joch ist sanft und seine Last ist leicht. Ich wünschte, ich könnte ihn euch beschreiben.“

Bei diesen Worten brachen die Zuhörer in Petra in Gelächter aus und begannen erneut zu applaudieren. Dieselbe Reaktion hatte sein Publikum damals gezeigt, und Lockeridge hatte innegehalten und abgewartet, bis es wieder still geworden war.

„Er ist unbeschreiblich. Er ist unbegreiflich. Er ist unbesiegbar. Er ist unwiderstehlich. Nun, ihr könnt ihn nicht aus dem Sinn bekommen. Ihr könnt ihn nicht loswerden. Ihr könnt ihn nicht überleben und ihr könnt nicht ohne ihn leben. Die Pharisäer kamen gegen ihn nicht an, aber sie stellten auch fest, dass sie ihn nicht aufhalten konnten. Pilatus fand keinen Fehler an ihm. Herodes konnte ihn nicht töten. Der Tod konnte ihn nicht besiegen und das Grab konnte ihn nicht halten. Das ist mein König!“

Alle standen jetzt und hatten ihre Hände erhoben, viele applaudierten, schrien, einige tanzten.

„Und dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit für immer und ewig, immer und ewig! Und wenn ihr mit all dem Immer durch seid, dann Amen! Allmächtiger Gott! Amen!“

Als Mac in Sichtweite der judäischen Berge kam, vor denen Jerusalem in rauchenden Trümmern lag, wurde er ganz unruhig und konnte es kaum erwarten, sich auf die Suche nach Buck zu machen. Wenn es diesem gut ginge, hätte er sich dann nicht irgendwie ein Handy beschafft, um sich zu melden? Laut Changs letzter Info hatte Buck Rayford aus der Altstadt von Tsions Tod berichtet.

Die riesigen Armeen der Welt, die nun in Carpathias Welteinheitsarmee zusammengefasst waren, erstreckten sich vom Norden Jerusalems bis nach Edom. Aus der Luft war deutlich zu erkennen, dass sich der Hauptangriff auf die Altstadt konzentrierte.

Mac suchte nach einem geeigneten Landeplatz. Seine Aufmachung wies ihn als Offizier der Weltgemeinschaft aus, der in einer offiziellen Mission in die Altstadt unterwegs war. Doch im Grunde hatte er keine Ahnung, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Die Altstadt erstreckte sich etwa über einem halben Quadratkilometer. Und falls er Buck fand und dieser noch lebte, was sollte er dann tun? Ihn verhaften und zum Hubschrauber schleifen? Buck lebend oder tot ausfindig zu machen, dachte Mac, war, als sei man im Sumpfgebiet Louisianas auf der Suche nach einem Stück trockenen Boden.

Macs Telefon läutete. Es war Chang.

„Ich hoffe, du hast gute Neuigkeiten.“

„Wie zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass Bucks Handy auf einmal wieder aktiviert ist und seine Position anzeigt.“

„Leider nicht. Aber ich habe tatsächlich etwas. Carpathia ist über die Zerstörung Neu-Babylons ziemlich wütend und die ganze Welt teilt seine Gefühle.“

„Wie das?“

„Alle, die von Neu-Babylon abhängig waren, weinen über den Verlust. Ich bekomme von überall her Berichte über Führungskräfte, Diplomaten, Geschäftsleute – was auch immer – herein, die buchstäblich weinen und beklagen, was aus Neu-Babylon und ihren Interessen geworden ist. Einige begehen vor laufender Kamera Selbstmord.“

„Die Weltgemeinschaft wird diese Dinge ganz bestimmt nicht senden.“

„Nein, sie nicht, aber ich habe da immer noch Mittel und Wege.“

„Braver Junge, Chang, aber inwiefern hilft mir das dabei, Buck zu finden?“

„Sie werden Buck nicht finden, Mr McCullum.“

„Was? Weißt du das genau?“

„Ich spreche nur das Offensichtliche aus.“

„Dein Glaube ist schwach.“

„Tut mir leid. Aber ich dachte, da Sie sich verdeckt in Jerusalem aufhalten, würden Sie vielleicht wissen wollen, wo Carpathia steckt.“

„Mir ist egal, wo er steckt. Ich bin hier, um Buck zu suchen.“

„Na, dann ist es ja gut.“

„Nur interessehalber, wo steckt er denn? Als Letztes habe ich gehört, er stehe mit einem Megafon vor dem Herodestor. Von dort soll er in seinen Bunker in der Nähe des Sees Genezareth gefahren sein. Es sei denn, seine Stimme wurde nur übertragen.“

„Nein, das war er tatsächlich. Er hat seinen gesamten Kommandoposten in die Altstadt verlegt.“

„Unmöglich. Ich sehe auf die Altstadt hinunter und da wimmelt es von –“

„Das dachte ich auch, bis ich hörte, wo er genau ist: im Untergrund.“

„Du meinst doch nicht –?“

„Salomos Ställe.“

„Wie komme ich dahin?“

„Folgen Sie jemandem. Carpathia hat ein ganzes Regiment dort und Ihr neuer Name steht auf der Liste.“

„Das war vielleicht nicht besonders klug, Chang.“

„Warum nicht?“

„Wenn ich nicht dorthin gehe, werde ich vermisst gemeldet, und vielleicht sieht mich jemand anderswo?“

„Diese Möglichkeit besteht natürlich. Dann sagen Sie einfach, Sie seien auf dem Weg.“

„Und wenn ich das nicht bin? Ich meine, natürlich würde ich hier gern deine Augen und Ohren spielen, Chang, aber meine Sorge gilt in erster Linie Buck. Und außerdem ist es eigentlich doch auch nicht so wichtig, was wir jetzt noch über Carpathia erfahren. Was passieren wird, wird passieren. Kannst du mich von der Liste wieder runternehmen?“

„Nicht, ohne Verdacht zu erregen. Tut mir leid, Mr McCullum. Ich dachte, ich würde das Richtige tun.“

„Mach dir deswegen keine Sorgen. Morgen wird das alles unwichtig sein.“

In diesem Augenblick bemerkte Mac, dass die Truppen der Weltgemeinschaft, die sich in diesem Gebiet befanden, wieder aktiv wurden. Hubschrauber landeten bei den Gräbern der Propheten südlich des Ölbergs, östlich der Altstadt. Jeep-Karawanen nahmen in Windeseile die Leute auf und brachten sie in die Kampfgebiete. Als Mac um 14 Uhr 45 aus seinem Hubschrauber stieg, verwies ihn ein Offizier, der den Verkehr regelte, an einen gepanzerten Truppentransporter. Mac salutierte und lief in diese Richtung. Er schloss sich einem Dutzend Soldaten in ähnlichen Uniformen an, die sich mit zusammengepressten Lippen zunickten und in eisigem Schweigen nebeneinandersaßen.

Die Wagenkolonne fuhr auf der Jerichostraße in nördliche Richtung, bog dann vor dem Rockefeller-Museum nach links auf die Suleimanstraße ab.

„Fahren wir zum Herodestor?“, fragte einer der Soldaten.

„Ist es denn überhaupt offen?“, gab ein anderer zu bedenken.

„Es geht zum Damaskustor“, erklärte der Fahrer.

Als sie am Herodestor vorüberfuhren, sahen Mac und die übrigen Soldaten zum Wagenfenster hinaus. Irgendwie war es dem Widerstand gelungen, das Tor noch zu halten.

„Wenn Sie dem Potentat zugewiesen sind“, meinte der Fahrer, „folgen Sie mir zum Eingang der Ställe. Alle anderen begeben sich zu dem Platz vor der Kirche der Geißelung. Wenn genügend Leute da sind, werden wir die Aufrührer von hinten angreifen und sie aus dem Herodestor treiben.“

Mac war stolz auf das, was Tsion und Buck offensichtlich vor dem Tod des Rabbi noch erreicht hatten. Wenn sie am Herodestor gewesen waren, dann hatten sie dazu beigetragen, diese Stellung gegen die Übermacht des Feindes zu verteidigen. Und keiner von ihnen war kampferprobt.

Tsion wollte sicher nicht, dass sein Leichnam aus der Altstadt entfernt würde; Buck hätte ihm da zweifellos zugestimmt. Er hoffte nur, dass Buck eine geeignete Ruhestätte für den Rabbi gefunden hatte. Manche Toten, die in einer Schlacht gefallen waren, wurden bis zur Unkenntlichkeit niedergetrampelt. Am nächsten Tag wäre auch das nicht mehr wichtig, aber Mac wusste, dass er und Buck in dieser Hinsicht gleicher Meinung waren.

Mac kämpfte gegen seine Besorgnis an. Zweifellos hätte Buck irgendeinen Weg gefunden, sich bei ihnen zu melden, damit sie sich keine Sorgen machten.

Als das Fahrzeug anhielt, stiegen Mac und die Soldaten auf Anweisung des Fahrers aus und marschierten in die angegebene Richtung. Mac ließ sich hinter seine Gruppe zurückfallen und rief Chang an. „Gibt’s was Neues?“, fragte er flüsternd.

„Nichts.“

„Ich werde keinen Erfolg haben, oder?“

„Was wollen Sie hören, Sir?“

„Das weißt du genau.“

„Über Schönfärberei bin ich längst hinaus, Mr McCullum.“

„Das weiß ich zu schätzen. Vielleicht sollte ich jetzt doch einfach meinem Einsatzbefehl folgen.“

„Zur Kommandozentrale?“

„Ja. Vermutlich bin ich verrückt, aber ich wäre zu gern beim alten Nick, wenn Jesus wiederkommt.“

Chang spürte Naomis kraftvolle Finger an seinem Nacken.

„Du bist angespannt“, sagte sie.

„Du etwa nicht?“, fragte er.

„Entspann dich, Schatz. Der Messias kommt.“

Chang konnte keinen Blick von den Bildschirmen wenden. „Ich möchte jetzt eigentlich niemanden mehr verlieren. Egal, wie oft ich mir sage, dass sie nur kurz tot sein werden, alles scheint jetzt so sinnlos. Ich möchte nicht, dass noch jemand verletzt wird und vielleicht sogar stirbt. Dass McCullum nach Jerusalem fliegt, war meine Idee.“

„Aber er ist doch sofort darauf angesprungen, oder?“

„Das war mir eigentlich klar. Ich wünschte, ich hätte hinfliegen können.“

„Du weißt doch, dass ohne dich hier nichts richtig läuft.“

„Fang nicht damit an, Naomi.“

„Aber es stimmt doch.“

„Egal, wie, ich habe ihn aus eigennützigen Gründen geschickt. Er wird Buck bestimmt nicht finden und selbst wenn – Buck wird tot sein. Und was soll Mac dann tun? Wenn er entdeckt wird, ist er dran. Und wozu das alles? Er könnte hier sein und wie alle anderen auf die Wiederkunft warten.“

Naomi zog einen Stuhl an Changs Seite und setzte sich. „Was gibt’s Neues von Mr Smith?“

Chang seufzte. „Auch das ist eine Vergeudung von Zeit und Kraft. Bisher hat er gar nichts gefunden. Entweder wurde Captain Steele von einer Rakete getroffen und ist verbrannt oder er wurde im Sand verscharrt.“

„Könnte er sich vielleicht in Sicherheit gebracht haben?“

„In dieser Sonne gibt es keinen Schutz, Naomi.“

„Das meine ich ja. Vielleicht hat er einen Unterschlupf gefunden oder sich irgendeinen Sonnenschutz gebaut.“

Chang zuckte die Achseln. „Das wäre natürlich eine Möglichkeit, aber hätte er dann nicht irgendein Zeichen für uns hinterlassen?“

„Vielleicht war er zu schlimm verletzt oder hatte einfach nichts zur Hand.“

„Er hätte mit Steinen oder Stöcken etwas machen oder sogar ein Kleidungsstück hinterlassen können.“

„Falls er das konnte“, wandte Naomi ein.

Das Läuten von Changs Telefon ließ beide zusammenfahren. Dieser nahm ab. „Ja, Mr Smith?“

„Ich bin ihm auf der Spur. Er muss eine ganze Weile unterwegs gewesen sein.“

„Was haben Sie gefunden?“

„Blut, fürchte ich.“

2

Mac hatte die alten Stadtmauern von Jerusalem noch nie in einem solchen Zustand gesehen. Während es dem Widerstand gelungen war, das Herodestor (einige nannten es noch immer das Blumentor) irgendwie zu halten, waren Teile der Mauer zusammengestürzt und nur noch halb so hoch wie früher. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Einheitsarmee durchbrechen würde.

Aber im Augenblick schien die Armee des Feindes anderweitig beschäftigt zu sein. Mac würde dafür sorgen, dass er sich im hinteren Bereich der Truppen befand, wenn sie durch das Damaskustor in die Stadt eindrangen. Auf diese Weise konnte er sich jederzeit davonstehlen. Später würde er den Eingang zu den unterirdischen Ställen suchen, aber jetzt musste er sich zuerst einmal auf die Suche nach Buck begeben.

Mac war schon über 60, aber er hielt sich durch Joggen fit. Wenn auch die Uniform so gut passte, als sei sie für ihn gemacht, verursachten die Stiefel ihm Blasen an den Füßen. Während er unauffällig in einem Meer von ähnlich gekleideten Plünderern durch die Straßen lief, kam ihm in den Sinn, dass er ein gutes Ziel für die Kugeln der Widerständler bot, die nicht wussten, dass er auf ihrer Seite stand.

In den vergangenen sieben Jahren hatte Mac viel Blutvergießen miterlebt, aber nichts hätte ihn auf den Anblick vorbereiten können, der ihn in der Altstadt erwartete. Die engen gepflasterten Straßen, die sich zwischen den Märkten und Häusern hindurchschlängelten, waren mit Leichen übersät, sodass er genau aufpassen musste, wo er hintrat, damit er nicht stolperte. Sein Blick wanderte auf der Suche nach Buck hierhin und dorthin, und er betete, dass sein Freund nicht bereits auf dem Boden lag.

Es stank nach Rauch, Schweiß, Schießpulver, verbranntem Fleisch, Abwasser und verfaultem Obst von den umgestürzten Ständen. Er duckte sich, als er zwei Schüsse vernahm, doch sie kamen nur von einem Offizier der Welteinheitsarmee, der ein Pferd und ein Maultier von ihrem Leiden erlöste.

Über ein Megafon wurde verkündet, dass die Streitkräfte der Welteinheitsarmee das armenische Viertel im Süden, das christliche Viertel im Westen und einen großen Teil des jüdischen Viertels vor dem Tempelberg besetzt hätten. Die Rebellen hielten nach wie vor den Tempelberg im Südosten und das moslemische Viertel im Nordosten, vom Herodestor bis hinter die Kirche der Geißelung. Mac fragte sich, wie es Carpathia und seinen Leuten gelungen war, zu den Ställen Salomos unterhalb des Tempelberges zu gelangen.

Er betete, dass Buck sich im moslemischen Viertel oder auf dem Tempelberg aufhielt. Wenn Mac ihn nur „festnehmen“ und überzeugend aus der Altstadt abführen könnte …

Soldaten der Welteinheitsarmee stellten sich an der Westseite der Kirche der Geißelung auf. Die andere Seite wurde von den Rebellen beschossen. Ein Offizier rief ihnen zu, sie sollten sich bereitmachen, nach dem nächsten Artillerieangriff die Teiche von Bethesda zu stürmen.

„Offensichtlich haben die Rebellen dort einen provisorischen Schrein für einen toten Rabbi errichtet. Sie sind leicht ausfindig zu machen. Der Leichnam ist verborgen, aber er wird von Leuten bewacht, und auf Schildern wird darum gebeten, seine Ruhe nicht zu stören. In weniger als fünf Minuten werden wir angreifen und dieses ganze Gebiet dem Erdboden gleichmachen. Diese Enklave wird unter so starken Beschuss genommen, dass es keine Möglichkeit mehr geben wird, durch das Löwentor im Osten zu entkommen. Überlebende werden nach Norden zum Herodestor getrieben. Wir werden direkt hinter ihnen sein. Dann müssen sie das Tor, das sie seit gestern so verzweifelt verteidigt haben, unweigerlich öffnen.“

Der Kommandeur teilte die verschiedenen Truppen und Züge ein. Einige sollten sich an dem Angriff auf die Teiche beteiligen, andere die fliehenden Rebellen angreifen, wenn diese versuchten, zum Herodestor zu entkommen.

Mac zermarterte sich das Gehirn. Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Er steckte tief drin. Natürlich würde er nicht auf die Feinde der Welteinheitsarmee schießen, aber auf keinen Fall durfte er von den Truppen entlarvt werden. Zweifellos waren es Tsions sterbliche Überreste, die die Rebellen törichterweise zu schützen versuchten, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Buck bei so etwas mitmachte. Buck hätte sicherlich versucht, den Leichnam in Sicherheit zu bringen, aber er wusste, wie sinnlos und nutzlos es war, dabeizubleiben und ihn zu bewachen.

Vielleicht konnte Mac inmitten des Chaos seinen Blendschutz nach oben schieben. Ob die Rebellen ihn dann als Gläubigen identifizieren konnten? Natürlich gehörten nicht alle zu den Christen. Er könnte von einem gesehen und von einem anderen erschossen werden. Was tat er überhaupt hier? Seine Chancen standen sehr viel schlechter, als er gedacht hatte, und es wurde mit jeder Sekunde schlimmer.

„Komm, Herr Jesus!“

Chang hatte die Ansprache von Lockeridge in die ganze Welt ausgestrahlt, nachdem er sich in die Sendezentrale der Weltgemeinschaft eingehackt hatte. Die Weltgemeinschaft hatte den Schutz gegen ein solches Eindringen verbessert, aber die Predigt war so kurz, dass sie bereits vorüber war, als die Verantwortlichen reagieren konnten. Chang übertrug ebenfalls die Reaktion auf die Botschaft der in Petra Versammelten.

„Es ist an der Zeit, dass du jetzt auch mal wieder die Sonne siehst“, meinte Naomi.

„Ich bin sozusagen hier eingeschlossen“, erwiderte er.

„Du kannst nichts mehr machen“, erinnerte sie ihn. „Und du willst doch nicht hier drin hocken, wenn Jesus wiederkommt, oder?“

Er sah auf die Uhr. „Wenn die Ältesten recht haben, dann bleibt noch etwas Zeit. Glaube mir, ich werde vor vier Uhr draußen sein. Weißt du, was irgendwie seltsam ist? Dass die Berichte aus der ganzen Welt auf Anweisung von Carpathia nicht ausgestrahlt werden dürfen.“

„Die Berichte über die Verzweiflung der Menschen wegen der Zerstörung Babylons?“

„Genau. Diese Menschen haben doch gar keine Ahnung, was noch alles auf sie zukommen wird, und deshalb ist das, was bislang passiert ist, eine so große Katastrophe für sie.“

„Aber sieh nur“, sagte sie und deutete auf den Schirm, auf dem die Flüchtlinge in Petra zu sehen waren. „Hunderte, vielleicht sogar Tausende knien gerade. Komm, lass uns mal nachschauen, ob Leute gebraucht werden, die mit –“

„Gleich. Ich möchte dir einige von diesen Menschen zeigen … sieh nur.“

Aber sie hatte sich bereits umgedreht und marschierte davon. Sie hatte recht, das wusste Chang, und er erhob sich, um ihr zu folgen. Als er aufstand, wurde ihm klar, wie lange er bereits gesessen hatte. Alle seine Glieder taten ihm weh und er streckte sich. „Ich muss mal eben noch mit Mr Smith sprechen!“, rief er.

„Er kennt doch deine Nummer“, gab Naomi zurück.

„Ich komme gleich nach.“

„Ich warte nicht.“

„Ich werde dich schon finden.“

„Das hoffe ich.“

Aus New York, Brüssel, London, Buenos Aires, dem Persischen Golf, Tokio, Peking, Toronto, Moskau, Johannesburg, Neu-Delhi, Sydney, Paris und anderen Großstädten kamen die Klagen der Mächtigen herein. In tiefer Verzweiflung verlasen sie ihre vorbereiteten Erklärungen zu der gegenwärtigen Situation. Sie wiesen auf die Schwierigkeiten hin, die der Abbruch aller Verbindungen zu Neu-Babylon und damit zum Sitz der Wirtschaft, des Finanzwesens und der Weltregierung mit sich brachten. Vor laufender Kamera verloren sie die Beherrschung.

„Alles ist verloren!“, jammerte die Leiterin der Tokioter Börse. „Wenn es uns gelungen wäre, die Verbindung innerhalb von 24 Stunden wiederherzustellen, dann wäre die Situation noch zu retten gewesen, aber unsere gesamte Wirtschaft ist an Neu-Babylon gekoppelt. Diese Stadt in Trümmern zu sehen, mit ansehen zu müssen, wie Rauch in den Himmel steigt, nun, das ist einfach, einfach … hoffnungslos!“ Sie brach in Tränen aus. Augenblicke später wurde berichtet, dass sie wie so viele im Kabinett des Potentaten Selbstmord begangen hatte.

Ein Industriemagnat aus Europa verkündete, er habe Tausende von Schiffen auf See, die vor dem nächsten Sonnenaufgang buchstäblich verlassen im Wasser treiben würden.

Offiziere der Einheitsarmee der Vereinigten Nordamerikanischen Staaten reichten in Massen ihr Rücktrittsgesuch ein in dem Bewusstsein, „dass wir Strafverfolgung und Hinrichtung zu erwarten haben“, weil sie alle ihre Truppen verloren hatten und nicht mehr in der Lage waren, Verstärkung nach Harmagedon zu schicken. „Und wartet nur, bis die Soldaten, die bereits dort sind, merken, dass kein Nachschub an Lebensmitteln mehr kommt, von der Bezahlung ganz zu schweigen.“

Zahllose solcher Berichte gingen in der Sendezentrale der Weltgemeinschaft ein, und einige opportunistische Mitarbeiter schickten sie auch weiterhin an Carpathia mit der Frage, was nun zu unternehmen sei.

Chang verfolgte diesen Austausch und amüsierte sich über Carpathias maßlosen Zorn. „Ich will es nicht noch einmal wiederholen“, fuhr Carpathia sie an. „Solche Berichte dürfen nicht an die Öffentlichkeit dringen. Von mir können Sie keinen Kommentar erwarten, außer vielleicht, dass die vermeintlich niederschmetternd hohen Verluste durch unseren Sieg im Jesreel-Tal, in Edom und vor allem in Jerusalem, wo ich mein ewiges Königreich als der eine und wahre Gott aufrichten werde, ausgeglichen werden. Die augenblicklichen Verluste im Finanz- und Handelswesen werden vergessen sein, wenn ich erst die letztgültige Neue Weltordnung verkündet habe. Dann wird es keinen Widerstand von Mensch oder Geist mehr geben und dieser Planet wird ein Paradies des Überflusses für alle sein.“

Chang eilte nach draußen und suchte Naomi. „Manchmal freue ich mich richtig auf das Ende, damit ich endlich mal ein wenig Ruhe bekomme.“

Naomi lachte und neckte ihn. „Wie schön, dich auch endlich zu sehen, mein Herr. Kann ich nach einem kleinen Mittagsschlaf eine Audienz bei dir bekommen?“

„Na los, vorwärts jetzt!“, brüllte der Offizier der Welteinheitsarmee. Er trieb Mac und die anderen Soldaten zur Eile an. Sie sollten in der Nähe der Kirche der Geißelung Aufstellung nehmen. „Ihr werdet nur kurz im Gefahrenbereich stehen! Die Geschosse werden hinter euch abgeschossen, und bis die Rebellen gezielt haben, werden sie bereits geschlagen sein. Los! Los! Vorwärts!“

Die Soldaten – die meisten waren halb so alt wie Mac oder noch jünger – wirkten verschreckt und in Panik, aber sie schienen sich gegenseitig Kraft und Mut zu schenken. Mac hielt sich beim Sturm auf die Teiche von Bethesda wieder ganz hinten. „Zehn Sekunden!“, lautete die Ansage durch das Megafon, aber sie kam zu spät. Die vorderen Soldaten, die offensichtlich Angst bekommen hatten, weil sie nun in Schussweite der Widerstandstruppen waren, wurden langsamer, und viele blieben stehen, duckten sich und zielten.

Die hinteren rannten in sie hinein und viele wurden niedergetrampelt. Mac hörte sie fluchen und schreien, bevor die Rebellen das Feuer eröffneten. Die Soldaten der Welteinheitsarmee erwiderten das Feuer, aber ohne Unterstützung der Artillerie konnten sie nicht viel ausrichten. Mac hatte den Eindruck, als stünden sie kurz davor, sich umzudrehen und die Waffe zornig gegen ihre eigenen Vorgesetzten zu richten.

Dann wurde die Artillerie abgefeuert. Eine ganze Reihe von Rebellen stürzte vor Mac zu Boden, und in den Gesichtern der ungepflegten Rebellen las er das Entsetzen, das sie angesichts des direkten Beschusses empfanden. Schulter an Schulter, ohne Uniform, blass und ausgezehrt standen sie da, nachdem sie so viel erduldet hatten. Stolz hatten sie sich behauptet und der Weltgemeinschaft getrotzt, die sie und ihren Schrein überrennen wollte. Und bald würde alles vorüber sein.

Sie konnten die Niederlage bereits kommen sehen. Mac las es in ihren Augen. Doch niemand wandte sich ab. Es würde kein Entrinnen geben. Viele beschlossen offensichtlich, kämpfend unterzugehen. Sie umklammerten ihre Maschinengewehre und feuerten drauflos, als das erste Geschoss einschlug und Dutzende von ihnen in Fetzen riss.

Der nächste Treffer schlug einen Bruchteil einer Sekunde später ein. Ein tiefer Krater entstand und mit der Zerstörung gab es Hunderte von neuen Toten und Sterbenden. Die überlebenden Rebellen rannten zum nächsten Tor. Diejenigen, die sich für das Löwentor im Osten entschieden, wurden sofort erschossen oder in die Schusslinie der Artillerie zurückgedrängt, genau wie im Plan vorgesehen. Die verbleibenden Widerstandstruppen rannten nun um ihr Leben zum Herodestor. Die letzten Überreste derer, die das Tor bewachten, hatten die Schüsse gehört und das Blutbad mit angesehen. Ihnen war bewusst, dass ihre Gefährten nirgendwo anders Zuflucht suchen konnten als in ihrer Stellung. Da ihnen die feindliche Armee auf den Fersen war, musste das Tor geöffnet werden, denn sonst saßen sie alle in der Falle und würden niedergemetzelt.

Von Macs Stellung aus konnte er deutlich erkennen, was die fliehenden Rebellen vor dem Tor erwartete. Während er und die anderen durch das Damaskustor hereingekommen waren, hatten die anderen Truppen mit schwerem Geschütz und ausreichend Munition vor dem Herodestor Stellung bezogen. So wie die Gewehre aussahen, passten da gut und gerne 50-Kaliber-Geschosse hinein.

Die vorrückenden Einheitstruppen schossen den fliehenden Rebellen jetzt in den Rücken, und je mehr fielen, desto mehr bekamen die anderen ab. Mac warf verstohlen einen Blick zurück. Er befand sich ganz hinten. „Herr, vergib mir“, hauchte er, legte sein Maschinengewehr an und mähte mindestens ein Dutzend feindlicher Soldaten von hinten nieder. Alles ist erlaubt … es war nur angemessen, fand er, dass die Mannschaft des Teufels schwarz gekleidet war. Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert umkommen.

Die Welteinheitstruppen vor ihm teilten sich wie das Rote Meer, als ihre Kameraden, die sich außerhalb der Mauern befanden, mit den großen Kanonen das Feuer eröffneten. Auch Mac sprang in Deckung und beobachtete mit Entsetzen, wie Dutzende von Rebellen in Stücke gerissen wurden.

So schnell, wie es begonnen hatte, so schnell schien es auch vorüber zu sein. Einige Soldaten liefen zwischen den Leichen umher und schossen auf diejenigen, die sich noch bewegten. Andere schwärmten aus und plünderten die Waffen und was immer sie bei den niedergemähten Toten finden konnten. Das war Macs Chance.

Er tat so, als würde auch er die Leichen durchsuchen, doch er war wählerischer. Mit seiner Waffe oder seinem Stiefel rollte er die Toten herum, die von der Größe her Buck sein konnten. Gelegentlich hob Mac eine Waffe auf und durchsuchte einige Taschen für den Fall, dass er beobachtet wurde. Eigentlich wollte er Buck jetzt gar nicht finden, es sei denn, dieser hielt sich lebendig auf dem Tempelberg auf. Von den Rebellen im moslemischen Viertel hatte jedenfalls keiner überlebt, soweit er das einschätzen konnte.

Dies war die seltsamste Schlacht, in der George Sebastian jemals gekämpft hatte. Eigentlich war es gar keine richtige Schlacht. Er und seine kleine Gruppe von zu allem entschlossenen Gläubigen versuchten, mit einer Hand voll verhältnismäßig altmodischer Waffen – mit einigen Energiewaffen, die die Haut der Soldaten und Pferde auf lange Distanz verbrannten, und viel zu wenigen Kaliber-50-Gewehren – die Umgebung von Petra gegen die größte Streitmacht zu verteidigen, die die Welt je gesehen hatte: die Einheitsarmee der Weltgemeinschaft, angeführt vom Antichristen selbst, eine Menschenmenge, so weit das Auge reichte.

George zog sich in die Berge zurück und beobachtete die Truppen durch ein hoch empfindliches Fernglas. Hunderttausende schwarz gekleidete Soldaten zu Pferd wogten unter der flimmernden Wüstensonne heran. Die Pferde mahlten ungeduldig an ihrem Zaumzeug und schienen es kaum erwarten zu können, ihre Last in einen Angriff gegen die zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Verteidiger zu tragen.

Doch Sebastian empfand kaum Furcht. Eine gewisse Beklommenheit konnte er dennoch nicht leugnen, als sein Blick über die Panzer und die gepanzerten Truppenfahrzeuge glitt, über die Fußsoldaten, die Jagdflieger, Bomber und Hubschrauber, die die Kavallerie unterstützten. Es war keine Übertreibung, von einem Meer von Feinden zu sprechen, und er konnte sich nicht vorstellen, dass sich jemals zuvor eine solche Menge an einem Ort zusammengefunden hatte. Mehr als einmal hatte er miterlebt, wie die mehr als eine Million Flüchtlinge in Petra zusammengekommen waren, und so eindrucksvoll das auch war, es war nichts im Vergleich zu dem hier.

Sebastians gelegentliche Attacken mit den Energiewaffen und den Fünfzigern waren für die Einheitstruppen lästig. Er hatte ein paar Dutzend Soldaten getötet, und Zekes verrückte Helfer waren ausgeschwärmt, um die Waffen, Ausweise und Uniformen einzusammeln. Der übernatürliche Schutz von Petra schien anzudauern, selbst hier draußen. Sebastian hatte keinen einzigen Kämpfer verloren.

Doch ihm war sehr wohl bewusst, dass seine gesamte Munition bei dieser übermächtigen Streitmacht keinen ernsthaften Schaden anrichten würde, sollten die Truppen gegen ihn vorrücken. Der Feind schob sich langsam vorwärts, und auch wenn er keinen einzigen Schuss abgab, brachte schon allein die Größe dieser gegen ihn vorrückenden Streitmacht die Erde zum Beben.