Die Heimsuchung - Jerry B. Jenkins - E-Book

Die Heimsuchung E-Book

Jerry B. Jenkins

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Beschreibung

Die Christenheit ist entrückt, der Antichrist hat die Welt unterworfen. Kriege, Hungersnöte, Plagen und Naturkatastrophen bedrängen jene Unglücklichen, die auf der Erde zurückbleiben mussten. Nur jeder Vierte wird dieses dunkle Zeitalter überleben ...

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Tim LaHaye • Jerry B. Jenkins

Die Heimsuchung

Die letzten Tage der Erde

Roman

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag

Tyndale House Publishers, Inc., Wheaton, Illinois, USA,

unter dem Titel „Tribulation Force“.

© 1996 by Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins

© der deutschen Taschenbuchausgabe 2007 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar

Aus dem Englischen von Eva Weyandt mit Genehmigung

von Tyndale House Publishers, Inc.

Left Behind © ist ein eingetragenes Warenzeichen

von Tyndale House Publishers, Inc.

Die Bibelstellen wurden der Einheitsübersetzung entnommen.

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart

Taschenbuch ISBN 978-3-86591-271-8

eBook ISBN 978-3-96122-103-5

Umschlaggestaltung: Michael Wenserit; Chris Butler

Umschlagfoto: Chris Butler

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Den Lesern von Finale gewidmet, die uns davon berichtet haben, welchen Eindruck dieses Buch auf sie gemacht hat.

Prolog: Was bisher geschah …

In einem einzigen Augenblick verschwinden mitten in der Nacht auf der ganzen Welt Millionen von Menschen. Sie sind einfach fort und lassen alles Materielle zurück: Kleidungsstücke, Brillen, Kontaktlinsen, Haarteile, Hörgeräte, Schmuck, Schuhe, sogar Herzschrittmacher und Operationsklemmen.

Millionen von Menschen verschwinden. Doch viele Millionen bleiben zurück – Erwachsene, aber keine Kinder und nur wenige Jugendliche. Alle Kleinkinder, sogar ungeborene Babys sind fort – zum Teil während der Geburt verschwunden.

Weltweites Chaos ist die Folge: Flugzeuge stürzen ab, Züge, Busse und Autos rasen ineinander, Häuser brennen ab, und trauernde Überlebende begehen Selbstmord. Das Chaos im Nah- und Fernverkehr, ausgelöst durch das Verschwinden eines großen Teils des Personals, ist nur mit größtem Engagement der verbliebenen Mitarbeiter so in den Griff zu bekommen, dass ein Minimum an improvisierter Ordnung entsteht.

Die Meinungen über die Gründe für dieses mysteriöse Verschwinden gehen weit auseinander. Einige behaupten, Außerirdische seien auf die Erde gekommen. Andere sind der Meinung, das Massenverschwinden sei auf den Angriff eines feindlichen Landes zurückzuführen. Andererseits aber ist jedes Land der Erde von diesem Unglück betroffen.

Flugkapitän Rayford Steele und seine zwanzigjährige Tochter Chloe gehören zu denen, die zurückgelassen wurden. Rayfords Frau und der zwölfjährige Sohn sind fort. Rayford, der gerade eine Boeing 747 über den Atlantik nach London steuert, behauptet gegenüber seiner Chefstewardess Hattie Durham, er könne sich die Vorgänge nicht erklären. Die schreckliche Wahrheit jedoch ist, dass er sehr genau weiß, was passiert ist. Seine Frau hat ihn immer wieder vor diesem Ereignis gewarnt: Christus ist wiedergekommen, um die Gläubigen zu sich zu holen. Die übrigen, darunter auch Rayford und Chloe, mussten zurückbleiben.

Rayford macht sich auf die Suche nach der Wahrheit. Er will dafür sorgen, dass er und Chloe eine eventuelle zweite Chance nicht verpassen. Darüber hinaus fühlt er sich für die Skepsis seiner Tochter, das heißt, für ihre Einstellung, nur das zu glauben, was sie sieht, verantwortlich.

Seine Suche führt Rayford zu der Gemeinde seiner Frau. Eine Hand voll Leute, sogar einige Angestellte der Gemeinde, wurden ebenfalls zurückgelassen. Selbst Pastor Bruce Barnes hat seine Frau und seine Kinder verloren. Ihm ist sofort bewusst, dass sein Glaube nicht echt war und er nicht wirklich mit Christus gelebt hat. Und so wird er zu einem eifrigen Evangelisten, der zu keinen Kompromissen mehr bereit ist.

Mit der Hilfe von Bruce und unterstützt von einer Videocassette, die der Pastor der Gemeinde für die Zeit nach der Entrückung aufgenommen hatte, finden zuerst Rayford, dann auch Chloe zum Glauben an Christus. Gemeinsam mit ihrem neuen Pastor schließen sie sich zu einer Tribulation Force zusammen, einer Kerngruppe innerhalb der neu entstandenen Gemeinde, die entschlossen ist, der Macht des Bösen in der von der Bibel vorausgesagten „Zeit der Bedrängnis“ entgegenzutreten.

Auch der Reporter Cameron „Buck“ Williams befindet sich auf der Suche, allerdings einer Suche einer ganz anderen Art. Als Reporter der renommierten Zeitung Global Weekly erhält er den Auftrag, über die Hintergründe des großen Massenverschwindens zu berichten. Durch seine Arbeit lernt er den geheimnisvollen und charismatischen rumänischen Staatsmann Nicolai Carpathia kennen. Bereits zwei Wochen nach dem Massenverschwinden steht dieser an der Spitze der Vereinten Nationen und verspricht, die sich im Chaos befindende Welt im Frieden zu vereinen.

Buck befand sich zur Zeit der Entrückung in der von Steele gesteuerten Boeing, wo er die Stewardess Hattie Durham kennen gelernt hat. Diese macht er einige Tage später mit Carpathia bekannt, der sie zu seiner persönlichen Assistentin macht. Nachdem Buck unter dem Einfluss von Rayford, Chloe und Bruce zum Glauben findet, fühlt er sich für Hattie verantwortlich und versucht sie wieder aus dem Einflussbereich von Carpathia zu lösen.

Als Buck angeblich bei einem wichtigen Auftrag versagt, wird er von New York nach Chicago strafversetzt. Dort schließt er sich der Tribulation Force an, der Gruppe derer, die entschlossen sind, gegen das Böse anzukämpfen. Die vier Menschen stehen für die Millionen, die die erste Chance verpasst haben, von Christus in den Himmel geholt zu werden, doch sie sind fest entschlossen, an ihrem neugefundenen Glauben festzuhalten, was immer ihnen die Zukunft bringen wird.

Buck Williams wird Zeuge der dunklen Macht Nicolai Carpathias, doch nur Bruce Barnes weiß aufgrund seines Bibelstudiums, wie viel Schlimmes der Welt noch bevorsteht. Und bald schon muss die Gruppe erkennen: Nur eines der vier Mitglieder der Tribulation Force wird die kommenden sieben Jahre überleben.

1

Es war Zeit für eine Pause. Rayford Steele zog sich den Kopfhörer ab und suchte in seiner Tasche nach der Bibel seiner Frau. Es war erstaunlich, wie sehr sich sein Leben in den vergangenen Tagen verändert hatte. Wie viele Stunden hatte er in Augenblicken wie diesen damit vergeudet, Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, die doch eigentlich nicht wirklich etwas zu sagen hatten. Nach allem, was passiert war, gab es nur noch ein Buch, das ihn interessierte.

Die Boeing 747 wurde vom Autopiloten gesteuert. Es war Freitagnachmittag, und sie sollten gegen vier Uhr in Chicago landen. Rayfords neuer Erster Offizier starrte angestrengt aus dem Fenster. Er will nicht mehr mit mir sprechen, dachte Rayford. Er weiß, was kommt, und will mich zum Schweigen bringen, bevor ich überhaupt den Mund geöffnet habe.

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich ein wenig lese?“, fragte Rayford.

Der jüngere Mann drehte sich zu ihm hin und nahm den linken Kopfhörer von seinem Ohr. „Wie bitte?“

Rayford wiederholte seine Frage und deutete auf die Bibel. „Solange Sie nicht von mir erwarten, dass ich Ihnen zuhöre.“

„Das habe ich mittlerweile verstanden, Nick. Sie wissen doch, dass mir egal ist, was Sie von mir denken.“

„Wie bitte?“

Rayford beugte sich vor und sprach lauter. „Was Sie von mir halten, ist mir noch vor wenigen Wochen sehr wichtig gewesen“, sagte er. „Aber – “

„Ja, ich weiß, okay? Ich habe es verstanden, Steele. Sie und viele andere Menschen denken, Jesus sei die Ursache für das Ganze gewesen. Aber das kaufe ich Ihnen nicht ab. Sie können sich selbst etwas vormachen, aber lassen Sie mich bitte da raus.“

Rayford zog die Augenbrauen in die Höhe und zuckte die Achseln. „Sie würden mich nicht respektieren, wenn ich es nicht versucht hätte.“

„Seien Sie da nicht so sicher.“

Als sich Rayford wieder seiner Bibel zuwendete, fiel sein Blick auf die Chicago Tribune, die aus seiner Tasche herausragte.

Wie alle anderen Tageszeitungen hatte auch die Tribune nur eine Schlagzeile: Kurz vor Nicolai Carpathias Pressekonferenz hatte sich noch während einer UN-Sitzung ein schrecklicher Mord/Selbstmord ereignet. Der neue Generalsekretär Nicolai Carpathia hatte gerade die zehn neuen Mitglieder des erweiterten Sicherheitsrates vereidigt und irrtümlich zwei Männer zu Botschaftern Großbritanniens ernannt.

Nach Zeugenaussagen überwältigte der Milliardär Stonagal, Carpathias Freund und Gönner, plötzlich einen Wachmann, riss dessen Waffe an sich und schoss sich in den Kopf. Von derselben Kugel wurde auch einer der neuen Botschafter Großbritanniens getroffen.

Die Vereinten Nationen waren geschlossen worden, und Carpathia trauerte um den Verlust zweier guter Freunde und geschätzter Ratgeber.

So seltsam das auch scheinen mochte, Rayford Steele gehörte zu den vier Menschen auf der ganzen Welt, die die Wahrheit über Nicolai Carpathia wussten: dass dieser ein Lügner und der Antichrist höchstpersönlich war, der es verstand, den Leuten seine Sicht der Dinge einzureden. Andere vermuteten vielleicht, dass mehr hinter Carpathia steckte, als er zeigte, doch nur Rayford, seine Tochter, der Pastor und sein neuer Freund Buck Williams wussten es ganz sicher.

Buck hatte selbst an der Sitzung vor der Pressekonferenz teilgenommen. Aber er hatte etwas ganz anderes gesehen: keinen Mord/Selbstmord, sondern einen Doppelmord. Wie Buck berichtete, hatte Carpathia sich selbst die Pistole des Wachmannes ausgeliehen, seinen alten Freund Jonathan Stonagal gezwungen, vor ihm niederzuknien, und dann Stonagal und den britischen Botschafter mit einem Schuss getötet.

Carpathia hatte die Morde inszeniert und den vor Schreck gelähmten Zeugen eingeredet, was sie gesehen haben sollten – dieselbe Geschichte, die nun in allen Zeitungen zu lesen waren. Mit einer Ausnahme hatten alle Anwesenden diese Geschichte übernommen. Und, was noch schlimmer war, sie glaubten sie. Sogar Steve Plank, Bucks ehemaliger Chef und nun Carpathias Pressechef. Sogar Hattie Durham, Rayfords ehemalige Flugbegleiterin, die zu Carpathias persönlicher Assistentin ernannt worden war. Alle, außer Buck Williams.

Rayford hatte Zweifel gehabt, als Buck ihm vor zwei Tagen in Bruce Barnes’ Arbeitszimmer seine Version erzählt hatte. „Sie sind der Einzige im Raum, der die Angelegenheit so gesehen hat?“, hatte er den Reporter herausfordernd gefragt.

„Captain Steele“, hatte Buck geantwortet, „wir alle haben dasselbe gesehen. Doch dann beschrieb Carpathia in aller Ruhe, was wir gesehen haben sollten, und alle außer mir akzeptierten sofort seine Version der Geschichte. Ich möchte wissen, wie er erklärt, dass er den Nachfolger des britischen Botschafters bereits vereidigt hatte, bevor der Mord passierte. Und nun gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass ich überhaupt anwesend war. Es ist, als hätte Carpathia mich einfach aus dem Gedächtnis der anderen gelöscht. Menschen, die ich kenne, schwören, ich sei nicht da gewesen, und sie meinen es todernst.“

Chloe und Bruce Barnes hatten sich angesehen und ihren Blick wieder auf Buck gerichtet. Dieser hatte, bevor er an jener Sitzung in den Vereinten Nationen teilgenommen hatte, zum Glauben an Christus gefunden. „Ich bin absolut davon überzeugt, dass ich, wenn ich diesen Raum ohne Gott betreten hätte, auch in Carpathias Bann gezogen worden wäre“, erklärte Buck.

„Aber wenn Sie der Welt jetzt die Wahrheit erzählen würden – “

„Sir, ich bin nach Chicago versetzt worden, weil mein Chef der Meinung ist, ich hätte an dieser Sitzung nicht teilgenommen. Steve Plank hat mich gefragt, warum ich seiner Einladung nicht Folge geleistet hätte. Mit Hattie habe ich noch nicht gesprochen, aber Sie wissen, dass auch sie sich nicht daran erinnern wird.“

„Das größte Problem ist jetzt“, sagte Bruce Barnes, „ob Carpathia weiß, dass er in Ihrem Kopf die Wahrheit nicht ausgelöscht hat. Wenn er ahnt, dass Sie alles wissen, befinden Sie sich in großer Gefahr.“

Rayford blickte von der Zeitung auf und bemerkte, dass Nick von Autopilot auf manuelle Steuerung umschaltete. „Landeanflug“, sagte der Erste Offizier. „Wollen Sie den Vogel runterbringen?“

„Natürlich“, erwiderte Rayford. Nick hätte die Landung durchaus vornehmen können, aber Rayford fühlte sich verantwortlich. Er war der Flugkapitän, und er würde für diese Menschen Rechenschaft ablegen müssen. Und obwohl das Flugzeug beinahe von selbst flog, hatte das Fliegen für ihn noch nichts von seiner Faszination verloren. Nur weniges erinnerte ihn noch an das Leben, wie es noch vor einigen Tagen gewesen war, und die Landung einer 747 gehörte dazu.

Buck Williams hatte den Tag damit verbracht, sich einen Wagen zu kaufen – in Manhattan hatte er keinen gebraucht – und eine Wohnung zu suchen. Er fand ein sehr hübsches Appartement, das etwa in der Mitte zwischen dem Chicagoer Büro des Global Weekly und der New Hope Village Church in Mount Prospect lag. Er versuchte sich einzureden, es sei die Gemeinde, die ihn in den Westen der Stadt ziehe, und nicht Rayford Steeles Tochter Chloe. Sie war zehn Jahre jünger als er, und was immer er auch für sie empfand, er war sicher, dass sie in ihm nur einen guten Freund sah.

Buck wollte sich davor drücken, ins Büro zu gehen. Man erwartete ihn sowieso erst am kommenden Montag. Auch sah er der Begegnung mit Verna Zee mit gemischten Gefühlen entgegen. Als er einen Ersatz für Lucinda Washington, die ebenfalls verschwundene Chefredakteurin des Chicagoer Büros, suchen musste, hatte er der vorwitzigen Verna sagen müssen, ihr Umzug in Lucindas Büro sei ein wenig voreilig gewesen. Und nun war Buck strafversetzt worden, und Verna hatte die Position doch bekommen. Jetzt war sie seine Vorgesetzte.

Auf der anderen Seite wollte er sich mit der Furcht vor dieser Begegnung nicht das Wochenende verderben – aber er wollte sich auch nicht allzu eifrig zeigen, Chloe Steele wiederzusehen. Aus diesem Grund fuhr er kurz vor Büroschluss doch zum Global Weekly. Würde Verna ihn nun seinen bisherigen Erfolg büßen lassen? Oder schlimmer noch, würde sie ihn mit ihrer falschen Freundlichkeit erdrücken?

Buck spürte die Blicke und das verlegene Grinsen der Leute, als er durch das Büro ging. Mittlerweile wussten natürlich alle, was passiert war. Er tat ihnen leid, und sie waren verblüfft über sein mangelndes Urteilsvermögen. Wie konnte Buck Williams eine Konferenz verpassen, die auch ohne den zweifachen Todesfall einzigartig in der Geschichte war? Doch alle hatten auch Respekt vor Bucks Leistung. Für viele würde eine Zusammenarbeit mit ihm zweifellos nach wie vor eine große Ehre sein.

Wie zu erwarten, war Verna bereits in Lucindas Büro eingezogen. Buck zwinkerte Alice, Vernas junger Sekretärin, zu und spähte zur Tür herein. Verna hatte sich eingerichtet, als bewohne sie schon seit Jahren dieses Büro. Ihre Bilder hingen an den Wänden, und sie hatte auch die Möbel umgestellt. Ganz offensichtlich fühlte sie sich sehr wohl in ihrer neuen Position.

Auf ihrem Schreibtisch türmte sich ein Stapel Papiere, und ihr Computer lief, doch Verna blickte nachdenklich aus dem Fenster. Buck räusperte sich. In ihrem Gesicht zuckte es, doch sie hatte sich im nächsten Augenblick wieder im Griff. „Cameron“, sagte sie beiläufig und blieb sitzen. „Ich hatte Sie erst am Montag erwartet.“

„Ich wollte nur mal hereinschauen“, antwortete er und grinste. Ihre Weigerung, ihn „Buck“ zu nennen, um Intimität zu vermeiden und ihre Position hervorzuheben, amüsierte ihn.

„Sind Sie angemeldet?“

„Wie bitte?“

„Haben Sie einen Termin?“

„Einen Termin?“

„Ja, mit mir! Mein Terminkalender ist voll, müssen Sie wissen.“

„Und Sie haben keine Zeit für mich?“

„Dann wünschen Sie also eine Unterredung?“

„Wenn es nicht zu viele Umstände macht. Ich würde gern wissen, wo ich bleibe, welche Aufgaben Sie für mich vorgesehen haben … Dinge dieser Art – “

„Das können wir ja heute noch schnell besprechen.“ Verna drückte auf die Taste der Gegensprechanlage, die auf ihrem Schreibtisch stand. „Alice! Sehen Sie bitte nach, ob ich in zwanzig Minuten ein wenig Zeit habe.“

„Sie haben Zeit“, rief Alice. „Und ich würde Mr Williams gern in der Zwischenzeit sein Zimmerchen zeigen, wenn Sie – “

„Das mache ich lieber selbst, Alice. Danke. Und würden Sie bitte meine Tür schließen?“

Alice blickte Buck entschuldigend an, als sie sich erhob und die Tür schloss. Er hatte den Eindruck, dass sie sogar die Augen verdreht hatte. Sie deutete auf einen Stuhl neben ihrem Schreibtisch.

„Ich muss hier warten, als wäre ich zum Direktor gerufen worden?“

Sie nickte. „Es hat schon jemand für Sie angerufen, die Frau hat aber ihren Namen nicht genannt. Ich habe ihr gesagt, dass Sie erst am Montag erwartet werden.“

„Keine Nachricht?“

„Es tut mir leid.“

„Wo ist denn nun mein Zimmerchen?“

Alice warf einen Blick auf die geschlossene Tür, so als fürchte sie, Verna könnte sie sehen. Sie stand auf und deutete über mehrere Trennwände hinweg auf eine fensterlose Ecke an der hintersten Wand.

„Da hat doch das letzte Mal, als ich hier war, die Kaffeemaschine gestanden“, meinte Buck.

„Sie steht immer noch da“, erwiderte Alice kichernd. Ihre Gegensprechanlage summte. „Ja, Miss Zee?“

„Würden Sie beide sich bitte leiser unterhalten? Ich arbeite gerade.“

„Es tut mir leid!“ Dieses Mal verdrehte Alice die Augen.

„Ich werde mir das mal ansehen“, flüsterte Buck und erhob sich.

„Bitte nicht“, flehte sie. „Ich werde Schwierigkeiten mit Sie–wissen-schon-wem bekommen.“

Buck schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. Er dachte daran, wo er schon überall gewesen war, wen er kennen gelernt hatte, welchen Gefahren er in seiner Laufbahn ausgesetzt gewesen war. Und nun flüsterte er mit der Sekretärin einer Möchtegernredakteurin, die noch nie einen anständigen Artikel zu Papier gebracht hatte.

Buck seufzte. Wenigstens war er in Chicago zusammen mit den einzigen Menschen, denen er etwas bedeutete.

Trotz seines neuen Glaubens durchlebte Rayford Steele große Stimmungsschwankungen. Als er in O’Hare schweigend an Nick vorüberging, empfand er auf einmal eine tiefe Traurigkeit. Wie sehr vermisste er Irene und Raymie! Er wusste zwar, dass sie im Himmel waren und dass er ihnen wahrscheinlich leid tat, doch die Welt hatte sich seit dem großen Verschwinden so dramatisch verändert, dass kaum einer seiner Bekannten das innere Gleichgewicht wieder gefunden hatte. Er war sehr dankbar, dass er Bruce hatte, der ihm im Glauben weiterhalf, und Chloe und jetzt auch noch Buck, die hinter ihm standen, doch manchmal wurde er von seiner Furcht vor der Zukunft überwältigt.

Aus diesem Grund freute er sich sehr, als er Chloes lächelndes Gesicht am Ende des Flurs entdeckte. In den zwei Jahrzehnten als Flugkapitän hatte er sich an den Anblick von Passagieren gewöhnt, die am Terminal abgeholt wurden. Die meisten Piloten fuhren allein nach Hause.

Chloe und Rayford verstanden sich besser als je zuvor. Sie waren Freunde geworden, Vertraute. Auch wenn sie nicht in allem einer Meinung waren, ihre Trauer und ihr Verlust hatten sie zusammengeschweißt. Sie waren verbunden in ihrem neuen Glauben und Partner in der Tribulation Force.

Rayford nahm seine Tochter in den Arm. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, aber Bruce hat versucht, dich zu erreichen. Er hat für heute Abend eine Krisensitzung einberufen. Ich weiß nicht, was ansteht, doch er möchte, dass wir versuchen, Buck zu erreichen.“

„Wie bist du hergekommen?“

„Mit dem Taxi. Ich wusste ja, dass dein Wagen am Flughafen steht.“

„Wo steckt Buck? Hast du ihn schon erreicht?“

„Er wollte sich einen Wagen kaufen und eine Wohnung suchen. Er kann überall stecken.“

„Hast du im Büro des Weekly angerufen?“

„Ich habe heute Nachmittag mit Alice, der Sekretärin, gesprochen. Er wird erst am Montag erwartet, doch wir können es ja vom Wagen aus noch einmal probieren. Ich meine, du kannst. Du solltest ihn anrufen, meinst du nicht?“

Rayford unterdrückte ein Lächeln.

Alice saß mit vorgestrecktem Kopf an ihrem Schreibtisch, blickte Buck an und versuchte, nicht laut loszulachen, während er flüsternd mit ihr flachste. Während der ganzen Zeit fragte er sich, wie viele seiner Sachen aus dem geräumigen Büro in Manhattan er wohl in dieser Zelle unterbringen konnte, die er mit der Gemeinschaftskaffeemaschine würde teilen müssen.

Das Telefon läutete. Über die Gegensprechanlage konnte Buck die Unterhaltung mitanhören. Die Stimme der Empfangsdame ertönte. „Alice, ist Buck Williams noch da?“

„Ja.“

„Hier ist ein Anruf für ihn.“

Es war Rayford Steele. „Um halb acht heute Abend?“, fragte Buck. „Sicher, ich komme. Was ist los? Hm? Grüßen Sie sie von mir. Ja. Wir sehen uns heute Abend in der Gemeinde.“

Er legte gerade den Hörer auf, als Verna an die Tür kam. Sie runzelte missbilligend die Stirn. „Gibt es ein Problem?“, fragte er.

„Sie werden bald Ihr eigenes Telefon haben“, erwiderte sie. „Kommen Sie herein.“

Sobald er Platz genommen hatte, informierte Verna ihn mit einem boshaften Lächeln darüber, dass er nicht mehr der Leitartikel schreibende Weltenbummler des Global Weekly sei. „Wir hier in Chicago spielen eine wichtige, wenn auch untergeordnete Rolle in der Zeitung“, erklärte sie ihm. „Wir interpretieren nationale und internationale Nachrichten vom regionalen Standpunkt aus und liefern unsere Artikel nach New York.“

Buck setzte sich auf. „Dann werde ich also die Aufgabe haben, über den Chicagoer Viehmarkt zu berichten?“

„Ich finde das gar nicht lustig, Cameron. Aber ich habe Sie noch nie besonders witzig gefunden. Sie werden schreiben, was Ihnen aufgetragen wird. Ihre Arbeit wird von einem Redakteur und von mir durchgesehen werden, und ich werde entscheiden, ob sie wichtig genug ist, um nach New York weitergegeben zu werden.“

Buck seufzte. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, den großen Boss zu fragen, was aus meiner angefangenen Arbeit werden soll. Vermutlich wissen Sie das auch nicht?“

„Ihr Kontakt zu Stanton Bailey wird von nun an auch nur noch über mich laufen. Ist das klar?“

„Bedeutet Ihre Frage, ob ich das verstanden habe oder ob ich einverstanden bin?“

„Keins von beidem“, gab sie wütend zurück. „Ich fragte nur, ob Sie sich dem fügen werden.“

„Das ist unwahrscheinlich“, erwiderte Buck, der spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Er hatte nicht vor, sich auf eine Auseinandersetzung mit Verna einzulassen. Aber er würde sich auch nicht von jemandem unterbuttern lassen, der keine Ahnung vom Journalismus hatte und schon gar nicht auf Lucinda Washingtons Stuhl gehörte.

„Ich werde diese Angelegenheit mit Mr Bailey besprechen“, sagte Verna. „Wie Sie sich vorstellen können, stehen mir Mittel und Wege zur Verfügung, aufsässige Angestellte zur Vernunft zu bringen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Warum rufen Sie ihn nicht sofort an?“

„Wozu?“

„Um herauszufinden, was ich tun soll. Ich habe meine Degradierung und die Strafversetzung akzeptiert. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass es eine Vergeudung meiner Kontakte und meiner Erfahrung wäre, wenn ich mich nur noch mit Provinzangelegenheiten beschäftigen würde.“

„Und Ihres Talents, wollen Sie vermutlich sagen?“

„Denken Sie, was Sie wollen. Aber bevor Sie mich hier verheizen: Ich habe Dutzende von Stunden in meinen Leitartikel über die Theorien zu dem großen Verschwinden investiert … Ach, wieso spreche ich überhaupt mit Ihnen darüber?“

„Weil ich Ihre Vorgesetzte bin und weil es unwahrscheinlich ist, dass ein Reporter des Chicagoer Büros einen Leitartikel schreibt.“

„Nicht einmal ein Reporter, der bereits mehrere geschrieben hat? Rufen Sie doch Bailey an. Als ich das letzte Mal mit ihm über meinen Artikel gesprochen habe, sagte er, er sei sicher, dass er auf die Titelseite kommen würde.“

„Ach ja? Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe, hat er mir von Ihrem letzten Gespräch berichtet.“

„Das war ein Missverständnis.“

„Es war eine Lüge! Sie sagten, Sie seien an einem bestimmten Ort gewesen, und alle Anwesenden behaupten, sie hätten Sie nicht gesehen. Ich hätte Sie gefeuert!“

„Wenn Sie die Macht hätten, mich zu entlassen, wäre ich schon längst freiwillig gegangen.“

„Sie möchten gehen?“

„Ich sage Ihnen, was ich möchte, Verna. Ich möchte – “

„Ich erwarte von meinen Untergebenen, dass Sie mich Miss Zee nennen.“

„In diesem Büro haben Sie keine Untergebenen“, entgegnete Buck. „Und haben Sie keine Angst – “

„Treiben Sie es nicht zu weit, Cameron.“

„Haben Sie keine Angst, dass Miss Zee zu sehr nach Missy klingt?“

Sie stand auf. „Folgen Sie mir.“ Sie eilte an ihm vorbei und marschierte aus ihrem Büro, den Flur entlang.

Buck blieb an Alices Schreibtisch stehen. „Danke für alles, Alice“, sagte er schnell. „Ich erwarte einen Haufen Zeug aus New York, und ich möchte Sie bitten, alles in meine neue Wohnung weiterzuleiten.“

Alice nickte, doch ihr Lächeln gefror, als Vernas Stimme ertönte. „Kommen Sie, Cameron!“

Buck drehte sich zu ihr um. „Ich komme noch einmal zu Ihnen, Alice.“ Buck ging bewusst langsam und trieb Verna damit zum Wahnsinn. Die Leute bemühten sich, so zu tun, als würden sie das Geschehen nicht aufmerksam verfolgen, hatten jedoch Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.

Verna marschierte zu der Ecke, die als Kaffeeraum gedacht war, und deutete auf einen kleinen Schreibtisch mit einem Telefon und einem Aktenschrank. Buck schnaubte innerlich vor Wut.

„In etwa einer Woche werden Sie einen Computer bekommen“, erklärte Verna.

„Lassen Sie ihn in meine Wohnung bringen.“

„Ich fürchte, das kommt nicht infrage.“

„Nein, Verna, außer Frage steht, dass Sie versuchen, Ihren Frust an mir auszulassen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass niemand mit auch nur einer Unze Selbstachtung das hinnehmen würde. Wenn ich schon von Chicago aus arbeiten soll, dann werde ich zu Hause arbeiten, mit einem Computer, einem Modem und einem Faxgerät. Und wenn Sie mich aus irgendeinem Grund in diesem Büro wiedersehen wollen, werden Sie jetzt sofort mit Stanton Bailey sprechen müssen.“

Buck eilte wütend zu Vernas Büro zurück. Er ging an Alice vorbei, die sehr bekümmert aussah, und wartete an Vernas Schreibtisch, bis diese ihn einholte. „Wollen Sie wählen, oder soll ich?“, fragte er barsch.

Rayford und Chloe beschlossen auf dem Heimweg, in einem Restaurant zu Abend zu essen. Als sie schließlich nach Hause kamen, befand sich eine dringende Nachricht von Rayfords Chefpilot auf dem Anrufbeantworter, der Ray bat, ihn anzurufen, sobald er nach Hause kommen würde.

Rayford nahm sich nicht erst die Zeit, seinen Mantel auszuziehen, sondern wählte sofort die Nummer. „Was ist los, Earl?“

„Danke, dass du mich sofort zurückrufst, Ray. Du weißt, wir beide haben gemeinsam einen langen Weg zurückgelegt.“

„Der Weg war lang genug, dass du gleich zur Sache kommen kannst, Earl. Was habe ich jetzt wieder angestellt?“

„Dies ist kein offizieller Anruf, in Ordnung? Kein Vorwurf, keine Warnung oder so etwas. Nur ein Rat von Freund zu Freund.“

„Also, von Freund zu Freund, Earl, muss ich mich hinsetzen?“

„Nein, aber lass mich dir eines sagen, Kollege: Du musst aufhören, die Leute bekehren zu wollen.“

„Womit?“

„Während der Arbeit über Gott zu sprechen, Mann.“

„Earl, ich ziehe mich doch zurück, wenn jemand etwas sagt, und du weißt, dass mich das in meiner Arbeit nicht behindert. Aber was steckt denn deiner Meinung nach hinter dem Massenverschwinden?“

„Darüber haben wir doch bereits gesprochen, Ray. Ich sage dir nur, dass Nicky Edward einen Bericht über dich schreiben wird, und ich möchte sagen können, dass wir das Thema bereits angegangen sind und du damit aufhören wirst.“

„Einen Bericht? Habe ich denn eine Regel gebrochen, gegen eine Anweisung gehandelt, ein Verbrechen begangen?“

„Ich weiß nicht, wie er das nennen will, aber du bist gewarnt, in Ordnung?“

„Ich dachte, du hättest gesagt, dies sei noch nicht offiziell?“

„Das ist es auch nicht, Ray. Möchtest du es gern offiziell werden lassen? Muss ich dich morgen wieder anrufen und dich herzitieren und außerdem noch einen Vermerk für deine Akte anfertigen und all das, oder kann ich die Wogen glätten und allen sagen, es sei nur ein Missverständnis, du hättest dich jetzt abgekühlt, und es würde nicht wieder passieren?“

Rayford antwortete nicht sofort.

„Komm schon, Ray, das ist doch nicht zu viel verlangt! Mir gefällt nicht, dass du zuerst darüber nachdenken musst.“

„Nun, ich werde aber darüber nachdenken, Earl. Ich danke dir für deine Vorwarnung, doch ich bin noch nicht bereit, jetzt schon nachzugeben.“

„Tu mir das nicht an, Ray.“

„Ich tue dir das nicht an, Earl. Ich tue es mir selbst an.“

„Ja, und ich bin derjenige, der dann einen Ersatzpiloten für die siebenundvierzig und siebenundfünfzig finden muss.“

„So ernst ist es also …“

„Das kannst du glauben.“

„Ich muss trotzdem nochmal darüber nachdenken.“

„Dann beeile dich, Ray. Hör zu, falls du zu Verstand kommst und wir das aus der Welt schaffen können, musst du bald deine Zusatzprüfung für die siebenundfünfzig machen. In ungefähr einem Monat bekommt die Fluggesellschaft etwa ein halbes Dutzend neue Maschinen, die von hier aus starten werden. Du willst doch auf der Pilotenliste stehen. Mehr Geld, du weißt schon.“

„Geld bedeutet mir nicht mehr viel, Earl. Aber die Vorstellung, die 757 zu fliegen, reizt mich schon. Ich melde mich wieder.“

„Lass mich nicht zu lange warten, Ray.“

„Ich werde versuchen, Mr Bailey zu erreichen“, sagte Verna. „Aber sicher ist Ihnen klar, dass es in New York schon sehr spät und er sicherlich nicht mehr zu erreichen ist.“

„Er ist immer da, das wissen Sie genau. Versuchen Sie es über seine Direktdurchwahl.“

„Diese Nummer habe ich nicht.“

„Ich schreibe sie Ihnen auf. Vermutlich spricht er gerade mit einem Ersatzmann für mich.“

„Ich werde ihn anrufen, Cameron, und sogar Sie zu Wort kommen lassen. Aber zuerst werde ich sprechen, und ich nehme für mich das Recht in Anspruch, ihm zu erzählen, wie aufsässig und respektlos Sie gewesen sind. Bitte warten Sie draußen.“

Alice suchte gerade ihre Sachen zusammen und machte sich bereit zu gehen, als Buck mit einem schelmischen Blick auftauchte. Andere verließen bereits das Bürogebäude und strömten zu ihren Wagen oder zum Zug. „Haben Sie alles gehört?“, fragte Buck flüsternd.

„Ich höre alles“, erklärte sie leise. „Sie kennen doch diese neuen Gegensprechanlagen, die, bei denen man nicht warten muss, bis der andere fertig geredet hat?“

Er nickte.

„Nun, man merkt nicht, wenn jemand zuhört. Man drückt einfach den Übertragungsknopf, so, und schon kann man alles hören, ohne selbst gehört zu werden. Toll, nicht?“

Aus der Gegensprechanlage auf ihrem Schreibtisch hörte man das Telefon in New York läuten.

„Stanton. Wer spricht?“, meldete sich dann eine ärgerliche Stimme.

„Äh, Sir, es tut mir leid, dass ich Sie so spät noch stören muss – “

„Sie haben die Nummer, dann muss es sich um etwas Wichtiges handeln. Also, wer spricht?“

„Verna Zee aus Chicago.“

„Ja, Verna, was ist los?“

„Ich habe Schwierigkeiten hier, Sir. Mit Cameron Williams.“

„Ach ja, ich wollte Ihnen noch sagen, dass Sie ihm einfach aus dem Weg gehen. Er arbeitet an einigen großen Sachen für mich. Sie haben sicher ein hübsches Büro, in dem er arbeiten kann, vielleicht sollten wir ihn aber auch von seiner Wohnung aus arbeiten lassen?“

„Wir haben ein Büro für ihn, Sir, aber er war unhöflich und aufsässig zu mir, und – “

„Hören Sie, Verna. Sie brauchen sich um Williams keine Gedanken zu machen. Aus irgendeinem für mich noch unvorstellbaren Grund ist er erst mal aus dem Weg geräumt worden, doch wir wollen uns den Tatsachen stellen: Er ist immer noch unser Star hier, und er wird seine Arbeit fortsetzen wie bisher. Er bekommt weniger Geld, hat einen weniger klangvollen Titel und wird auch nicht mehr von New York aus arbeiten, doch er wird seine Aufgaben von hier bekommen. Sie brauchen sich nicht um ihn zu kümmern, klar? Wenn ich es so recht bedenke, ist es vermutlich besser, wenn er nicht im Büro arbeitet.“

„Aber, Sir – “

„Sonst noch etwas, Verna?“

„Nun, ich wünschte, Sie hätten mich vorher darüber in Kenntnis gesetzt. Sie müssen mir den Rücken stärken. Er hat sich mir gegenüber unangemessen verhalten, und – “

„Was meinen Sie? Ist er mit Ihnen aneinander geraten oder zudringlich geworden, oder was?“

Buck und Alice pressten sich die Hände auf den Mund, um nicht laut loszulachen. „Nein, Sir, doch er hat klargestellt, dass er sich mir nicht unterordnen wird.“

„Das tut mir leid, Verna, aber es war doch damit zu rechnen, dass er das nicht tun wird. Ich werde Cameron Williams’ Talent nicht an irgendwelche Provinznachrichten vergeuden – nicht, dass wir nicht alles zu schätzen wüssten, was aus Ihrem Büro kommt, verstehen Sie mich nicht falsch.“

„Aber, Sir – “

„Es tut mir leid, Verna. Gibt es sonst noch etwas? Drücke ich mich nicht klar aus oder wo liegt das Problem? Sagen Sie ihm, er soll seine Ausrüstung bestellen und sie dem Chicagoer Büro in Rechnung stellen. Aber er arbeitet für uns hier in New York, ist das klar?“

„Aber sollte er sich nicht entschuld– “

„Verna, erwarten Sie wirklich von mir, dass ich aus tausend Kilometern Entfernung in einem persönlichen Konflikt vermittle? Wenn Sie damit nicht fertigwerden …“

„Ich kann, Sir, und ich werde. Vielen Dank, Sir. Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.“

Die Gegensprechanlage summte. „Alice, schicken Sie ihn herein.“

„Ja, Miss Zee, und darf ich dann – “

„Ja, Sie können gehen.“

Alice nahm ihre Sachen, doch Buck spürte, dass sie in Hörweite stehen blieb. Er marschierte in das Büro, als erwarte er, mit Stanton Bailey zu sprechen.

„Er will nicht mit Ihnen sprechen. Und er hat deutlich gemacht, dass von mir nicht erwartet wird, Ihre Launen hinzunehmen. Sie werden von Ihrer Wohnung aus arbeiten. Haben Sie mich verstanden?“

Buck wollte ihr sagen, dass er auf die Arbeit verzichten würde, die sie ihm zugedacht hatte, doch er verspürte bereits Gewissensbisse, weil er ihr Gespräch belauscht hatte. Das war etwas Neues. Schuldgefühle.

„Ich werde versuchen, Ihnen aus dem Weg zu gehen“, stimmte er ihr zu.

„Das würde ich zu schätzen wissen.“

Als er den Parkplatz erreichte, wartete Alice bereits auf ihn. „Das war großartig“, sagte sie.

„Sie sollten sich schämen.“ Er grinste breit.

„Sie haben auch gelauscht.“

„Allerdings. Bis dann.“

„Ich werde meinen Zug verpassen“, meinte sie. „Aber das war es wert.“

„Kann ich Sie irgendwo absetzen? Sagen Sie mir einfach, wo.“

Alice wartete darauf, dass er den Wagen aufschloss. „Schöner Wagen.“

„Brandneu“, antwortete er. Und genauso fühlte auch er sich.

Rayford und Chloe trafen frühzeitig in der New Hope Village Church ein. Bruce war bereits dort und aß gerade ein Sandwich. Er war in den letzten Wochen gealtert und sah nicht aus, als wäre er gerade erst dreißig. Nachdem er sie begrüßt hatte, zog Bruce seine Brille ab und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Habt ihr Buck erreicht?“, fragte er.

„Er sagte, er würde kommen“, erwiderte Rayford. „Was ist los?“

„Habt ihr heute schon Nachrichten gehört?“

„Eigentlich nicht. Gibt es etwas Wichtiges?“

„Ich glaube schon. Aber es ist wahrscheinlich besser, wenn wir noch auf Buck warten.“

„Dann will ich Ihnen in der Zwischenzeit erzählen, welchen Ärger ich heute hatte“, sagte Rayford.

Als er seinen Bericht beendet hatte, lächelte Bruce. „Ich wette, so etwas hat noch nie in Ihrer Personalakte gestanden.“

Rayford schüttelte traurig den Kopf und wechselte das Thema. „Es erscheint mir seltsam, dass Buck dem inneren Kreis angehört, vor allem, wo ihm das alles noch so neu ist.“

„Uns allen ist das doch neu, oder?“, warf Chloe ein.

Bruce blickte auf und lächelte. Rayford und Chloe drehten sich um. Buck stand im Türrahmen.

2

Buck wusste nicht, wie er reagieren sollte, als Rayford Steele ihn herzlich begrüßte. Er schätzte die Herzlichkeit und Offenheit seiner drei neuen Freunde, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Diese Art von Zuneigung war ihm immer noch fremd. Und warum dieses Treffen heute Abend? Die Tribulation Force hatte sich auf einen bestimmten Turnus geeinigt, also musste dieses außergewöhnliche Treffen eine besondere Bedeutung haben.

Chloe blickte ihn erwartungsvoll an, als sie ihn begrüßte, doch im Gegensatz zu ihrem Vater und Bruce Barnes umarmte sie ihn nicht. Ihre Zurückhaltung war natürlich seine Schuld. Buck machte sich Vorwürfe. In einer Nachricht hatte er ihr geschrieben, dass er sich zu ihr hingezogen fühle. Doch er musste vorsichtig sein. Beide waren Neulinge im Glauben, und sie erfuhren gerade erst, was die Zukunft ihnen bringen würde. Nur ein Narr würde in einer solchen Zeit eine Beziehung eingehen.

Und doch, war er nicht gerade das – ein Narr? Wie konnte es sonst sein, dass er so lange gebraucht hatte, etwas über Christus zu erfahren, wo er doch die Sterne studierte und ein internationaler Journalist war, ein so genannter Intellektueller?

Was war mit ihm passiert? Er fühlte sich schuldig, weil er ein Telefongespräch belauscht hatte, in dem über ihn gesprochen worden war. Nie hatte er sich früher Gedanken gemacht, wenn er gelauscht hatte. Die Tricks, Intrigen und Lügen, die früher zur Jagd nach einer Story gehört hatten, könnten ein ganzes Buch füllen. Würde er nun, da Gott in seinem Leben einen wichtigen Platz einnahm und er selbst wegen Kleinigkeiten Gewissensbisse bekam, noch ein ebenso guter Journalist sein?

Rayford spürte Bucks Unbehagen und Chloes Zögern. Doch vor allem bemerkte er die Veränderung in Bruces Verhalten. Als Rayford ihm von den Schwierigkeiten im Beruf erzählt hatte, hatte er gelächelt, und auch Buck hatte er mit einem Lächeln begrüßt. Doch nun hatte sich sein Gesichtsausdruck verfinstert. Sein Lächeln war verschwunden, und es fiel ihm schwer, Haltung zu bewahren.

Rayford kannte diese Art von Sensibilität nicht. Vor dem Verschwinden seiner Frau und seines Sohnes hatte er Jahre nicht geweint. Gefühle zu zeigen war in seinen Augen unmännlich und ein Zeichen von Schwäche. Doch seit dem weltweiten Verschwinden hatte er viele Männer weinen sehen.

Für die Zurückgelassenen war die Entrückung eine Katastrophe. Selbst für ihn und Chloe, die dadurch zum Glauben gefunden hatten. Der Schmerz, den anderen Teil der Familie verloren zu haben, war schrecklich. Es gab Tage, an denen Rayford so in seiner Trauer um seine Frau und seinen Sohn versunken war, dass er sich fragte, ob er weiterleben konnte. Wie hatte er nur so blind sein können? Er hatte als Ehemann und als Vater versagt!

Doch Bruce war ein weiser Ratgeber gewesen. Auch er hatte Frau und Kinder verloren und hätte doch als Pastor auf jeden Fall auf die Wiederkunft Christi vorbereitet sein müssen. Mit der Hilfe von Bruce und den anderen beiden Menschen im Raum konnte Rayford weiterleben, das wusste er. Doch Rayford ging es nicht nur um das reine Überleben. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass er – und sie alle – würden handeln müssen, vielleicht sogar unter Einsatz ihres Lebens.

Wenn es auch nur den geringsten Zweifel daran gegeben hätte, so wäre er verschwunden, als Bruce Barnes endlich zu sprechen begann. Der junge Pastor presste die Lippen aufeinander, damit sie nicht zitterten. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

„Ich, äh, muss mit euch allen sprechen“, begann er. Er hielt inne, um die Fassung zurückzugewinnen. „Im Augenblick kommen so viele Nachrichten aus New York, dass ich mich entschlossen habe, den Fernsehsender CNN ununterbrochen laufen zu lassen. Rayford, Sie sagten, Sie hätten die neuesten Nachrichten noch nicht gehört. Chloe?“ Diese schüttelte den Kopf. „Buck, ich nehme an, dass Sie Zugang zu jedem Kommentar Carpathias haben?“

„Heute nicht“, erwiderte Buck. „Ich bin erst heute Abend ins Büro gegangen und habe nichts gehört.“

Bruces Gesicht verfinsterte sich wieder, dann lächelte er entschuldigend. „Nicht, dass die Nachricht so niederschmetternd wäre“, sagte er dann. „Es ist nur, ich empfinde eine so große Verantwortung für euch alle. Ihr wisst, dass ich versuche, diese Gemeinde zu leiten. Doch viel wichtiger erscheint mir das Studium des prophetischen Wortes. Ich verbringe die meiste Zeit damit, Bibel und Kommentare durchzuarbeiten, und ich spüre die Last, die Gott mir auferlegt hat.“

„Eine Last?“, wiederholte Rayford. Doch Bruce brach in Tränen aus. Chloe legte ihre Hand auf seine. Auch Rayford und Buck versuchten, ihn zu trösten.

„Es ist so schwierig“, sagte Bruce, der um Fassung rang, damit er sich verständlich machen konnte. „Und ich weiß, dass ich nicht allein dastehe. Auch ihr seid betroffen und alle, die zu dieser Gemeinde kommen. Wir alle leiden, wir alle haben liebe Menschen verloren, wir alle haben die Wahrheit übersehen.“

„Aber nun haben wir sie gefunden“, fügte Chloe hinzu, „und Gott hat durch Sie gesprochen, um sie uns zu verkünden.“

„Ich weiß. Ich bin nur so durcheinander, dass ich mich frage, was als Nächstes kommt“, meinte Bruce. „Mein Haus ist so groß, so kalt und einsam ohne meine Familie, dass ich abends manchmal gar nicht nach Hause gehe. Oft lese ich so lange, bis ich einschlafe, und morgens gehe ich nur nach Hause, um zu duschen, mich umzuziehen und wieder herzukommen.“

Rayford fühlte sich unbehaglich und wendete den Blick ab. Wenn er derjenige gewesen wäre, der seine Freunde zusammengerufen hätte, hätte er gewollt, dass jemand das Thema wechselte, dass er auf den Grund des Treffens angesprochen würde. Doch Bruce war anders. Er hatte sich immer auf seine ihm eigene Weise mitgeteilt, wenn er es für richtig hielt.

Bruce griff nach einem Taschentuch, und die anderen drei lehnten sich in ihren Stühlen zurück. Als Bruce wieder das Wort ergriff, war seine Stimme immer noch belegt. „Ich empfinde einen enormen Druck“, sagte er. „Früher ist es mir immer schwer gefallen, regelmäßig in der Bibel zu lesen. Ich gab vor, Christ zu sein, im so genannten vollzeitlichen Dienst, doch die Bibel war mir egal. Und nun kann ich nicht genug davon bekommen.“

Buck verstand ihn. Auch er wollte alles wissen, was Gott ihm seit Jahren klarzumachen versucht hatte. Das war, abgesehen von Chloe, ein Grund, warum es ihm nichts ausmachte, nach Chicago versetzt worden zu sein. Er wollte in diese Gemeinde kommen und hören, was Bruce zu sagen hatte, wann immer es möglich war. Er wollte sich in die Einsichten des Pastors und seine Lehren versenken als Mitglied dieser kleinen Kerngruppe.

Sein Job war ihm wichtig, doch Gott kennen zu lernen und auf ihn zu hören, war ihm jetzt wichtiger. Das andere war nur ein Mittel zum Zweck.

Bruce blickte auf. „Jetzt verstehe ich, was die Leute gemeint haben, wenn sie sagten, sie erfreuten sich an dem Wort Gottes. Manchmal sitze ich stundenlang und nehme es in mich auf, verliere jegliches Zeitgefühl, vergesse, zu essen, zu weinen und zu beten. Manchmal kann ich nur vor meinem Stuhl auf die Knie fallen und Gott anflehen, mir sein Wort zu erschließen. Doch am meisten erschreckt es mich, dass er meine Bitten erhört.“

Buck sah, wie Rayford und Chloe nickten. Er war noch nicht so lange dabei wie sie, doch er empfand denselben Hunger und Durst nach dem Wort Gottes. Aber worauf wollte Bruce hinaus? Wollte er sagen, dass Gott ihm etwas offenbart hatte?

Bruce atmete tief durch und erhob sich. Er setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches. „Ich brauche eure Gebete“, sagte er. „Gott zeigt mir Dinge, teilt mir Wahrheiten mit, die ich kaum erfassen kann. Und wenn ich sie in der Öffentlichkeit sagen würde, würde man über mich lachen, und vermutlich geriete ich sogar in Gefahr.“

„Natürlich werden wir beten“, erklärte Rayford. „Aber was hat das mit den heutigen Nachrichten zu tun?“

„Alles, Rayford.“ Bruce schüttelte den Kopf. „Versteht ihr denn nicht? Wir wissen, dass Nicolai Carpathia der Antichrist ist. Das müssen wir gar nicht allein an Bucks Geschichte von Carpathias übernatürlicher hypnotischer Kraft und der Ermordung der beiden Männer festmachen. Auch ohne das gibt es genügend Hinweise, dass Carpathia der prophetischen Beschreibung entspricht. Er ist ein Betrüger. Er ist ein Verführer, der die Menschen betört. Die Massen stehen hinter ihm. Anscheinend widerstrebend hat er das ihm angebotene Amt des Generalsekretärs der Vereinten Nationen angenommen. Er strebt eine Weltregierung an, eine einheitliche Weltwährung, einen Vertrag mit Israel und die Verlegung der UNO nach Babylon. Das allein ist der Beweis. Wie kann es sein, dass ein Mensch all diese Dinge anstrebt und nicht der Antichrist ist?“

„Wir wussten, dass das kommen würde“, warf Buck ein. „Aber ist er denn mit dem allen an die Öffentlichkeit gegangen?“

„Ja. Heute.“

Buck pfiff leise vor sich hin. „Was hat Carpathia gesagt?“

„Er hat es durch seinen Pressesprecher ankündigen lassen, Ihren ehemaligen Chef. Wie heißt er noch gleich?“

„Plank.“

„Richtig, Steve Plank. Es gab eine Pressekonferenz, in der er die Medien darüber informierte, dass Carpathia einige Tage lang nicht erreichbar sei, weil er Gespräche mit hochrangigen Persönlichkeiten führen würde.“

„Hat er auch gesagt, worum es in diesen Gesprächen gehen wird?“

„Er sagte, dass Carpathia die Führung zwar nicht anstrebe, sich jedoch verpflichtet fühle, die Welt zu vereinen, um Frieden zu schaffen. Er hat bestimmte Gremien eingesetzt, um die Abrüstung der einzelnen Völker zu überwachen. Zehn Prozent der Waffen jeder Nation sollen ihm zur Verfügung gestellt und nach Babylon gebracht werden, dem er den Namen Neubabylon gegeben hat. Die internationale Finanzgemeinschaft, deren Repräsentanten sich bereits zu Gesprächen in New York aufhalten, ist mit der Einführung einer einheitlichen Weltwährung beauftragt worden.“

„Ich hätte es nicht für möglich gehalten.“ Buck runzelte die Stirn. „Vor einiger Zeit hat mir ein Freund das alles erzählt.“

„Aber das ist noch nicht alles“, fuhr Bruce fort. „Meint ihr, es sei Zufall, dass sich in der vergangenen Woche, als Carpathia in New York eintraf, gerade die Führer aller großen Religionsgemeinschaften dort aufhielten? Was könnte es anderes sein als die Erfüllung einer Prophezeiung? Carpathia drängt sie, sich zusammenzusetzen. Sie sollen Toleranz üben und ihre gemeinsamen Glaubensüberzeugungen respektieren.“

„Ihre gemeinsamen Glaubensüberzeugungen?“, fragte Chloe. „Einige dieser Religionen sind so grundverschieden, dass sie niemals eine Einigung erreichen werden.“

„In der Bibel wird geweissagt, dass sie es schaffen werden“, hielt Bruce dagegen. „Offensichtlich handelt Carpathia Kompromisse aus. Ich weiß nicht, was er ihnen anbietet, doch gegen Ende der Woche wird von den religiösen Führern eine Erklärung erwartet. Ich schätze, dass es auf eine Weltreligion hinausläuft.“

„Das werden die Menschen niemals akzeptieren!“

„In der Bibel steht, dass viele sich darauf einlassen werden.“

Rayfords Gedanken überschlugen sich. Seit dem Massenverschwinden war es ihm schwer gefallen, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Manchmal fragte er sich, ob das nicht alles nur ein verrückter Alptraum war, aus dem er bald aufwachen würde. Ging es ihm vielleicht wie Scrooge, der Figur von Charles Dickens, der durch einen Albtraum erkannte, wie viel Unrecht er in seinem Leben getan hatte? Oder war es wie bei George Bailey aus dem Film Ist das Leben nicht wunderbar?, dem man seinen sehnlichsten Wunsch erfüllte und der sich dann wünschte, er hätte diesen Wunsch nie gehabt?

Rayford kannte zwei Menschen – Buck und Hattie –, die den Antichristen persönlich kennen gelernt hatten! Das war alles zu seltsam. Wenn er sich gestattete, darüber nachzudenken, erschauderte er vor Furcht. Die kosmische Schlacht zwischen Gott und Satan war in sein Leben eingebrochen, und in einem Augenblick hatte er sich von einem skeptischen Zyniker, einem treulosen Vater und Ehemann in einen fanatischen Anhänger Christi verwandelt.

„Warum hat Sie diese Nachricht so erschüttert, Bruce?“, fragte Rayford. „Ich glaube nicht, dass einer von uns Zweifel hatte an Bucks Geschichte oder an der Tatsache, dass Carpathia der Antichrist ist.“

„Ich weiß es nicht, Rayford.“ Bruce setzte sich wieder auf seinen Stuhl. „Ich weiß nur, dass die Last auf meinen Schultern umso schwerer wird, je besser ich das Wort Gottes kennen lerne, je tiefer ich in die Bibel eindringe. Die Welt muss erfahren, dass sie getäuscht wird. Ich spüre den Drang, überall Christus zu verkünden, nicht nur hier. Die Kirche ist voll von verängstigten Menschen, und sie hungern nach dem Wort Gottes. Wir versuchen diesem Bedürfnis zu entsprechen, doch es wird noch mehr auf uns zukommen.

Was mich heute wirklich getroffen hat, ist die Nachricht, dass Carpathia sich um eine, wie er es ausdrückte, ,Übereinkunft‘ zwischen der Weltgemeinschaft und Israel bemühen wird sowie um ein ,besonderes Abkommen‘ zwischen den Vereinten Nationen und den Vereinigten Staaten.“

Buck fuhr hoch. „Was soll das heißen?“

„Ich weiß nicht. So sehr ich auch die Bibel studiere, ich kann nicht erkennen, dass die Vereinigten Staaten in dieser Phase der Geschichte irgendeine Rolle spielen. Aber wir wissen ja alle, was diese ,Übereinkunft‘ mit Israel zu bedeuten hat. Ich weiß nicht, wie sie im Einzelnen aussehen oder was es dem Heiligen Land konkret bringen soll, aber ganz eindeutig ist damit der Siebenjahresvertrag gemeint.“

Chloe sah erschrocken auf. „Und der ist der Anfang der siebenjährigen ,Zeit der Bedrängnis‘.“

„Genau.“ Bruce blickte in die Runde. „Wenn in dieser Erklärung irgendetwas über ein Versprechen Carpathias gesagt wird, dass Israel in den kommenden sieben Jahren beschützt werden soll, dann beginnt offiziell die Zeit der Bedrängnis.“

Buck machte sich Notizen. „Diese sieben Jahre haben also nicht mit der Entrückung begonnen?“

„Nein“, erwiderte Bruce. „Einerseits hoffte ich, dass der Vertrag mit Israel durch irgendetwas verzögert werden würde. In der Bibel steht nichts davon, dass es sofort geschehen muss. Doch wenn er erst einmal geschlossen ist, beginnt die Uhr zu ticken.“

„Aber das bedeutet doch auch, dass danach der Zeitpunkt kommt, an dem Christus sein Reich hier auf der Erde aufrichtet, oder?“, fragte Buck. Rayford war beeindruckt, dass Buck in so kurzer Zeit so viel gelernt hatte.

Bruce nickte. „Das stimmt. Und das ist auch der Grund für dieses Treffen. Ich muss euch allen etwas sagen. Ich werde an jedem Wochentag von acht bis zehn Uhr eine zweistündige Bibelstunde halten. Nur für uns.“

„Ich werde viel unterwegs sein“, warf Buck ein.

„Ich auch“, fügte Rayford hinzu.

Bruce hob die Hand. „Ich kann euch natürlich nicht dazu zwingen, doch ich bitte euch zu kommen, wann immer ihr in der Stadt seid. Ich werde an euch weitergeben, was Gott mir offenbart. Einiges davon habt ihr bereits gehört. Doch wenn der Vertrag mit Israel tatsächlich in den kommenden Tagen zustande kommt, bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Ich spüre, dass ich mich noch stärker einsetzen muss. Wir müssen neue Gemeinden gründen, neue Kerngruppen von Gläubigen bilden. Ich möchte nach Israel fahren und mir anhören, was die beiden Zeugen an der Klagemauer zu sagen haben. Sicherlich werden bald die einhundertvierundvierzigtausend Juden, von denen die Bibel spricht, in der Welt herumreisen. Es werden viele Menschen zum Glauben kommen.“

„Das klingt fantastisch“, sagte Chloe. „Wir sollten uns darüber freuen.“

„Ich freue mich auch darüber“, entgegnete Bruce. „Aber wir werden wenig Zeit haben, uns zu freuen oder auszuruhen. Erinnert ihr euch an die sieben Gerichte, von denen die Offenbarung berichtet?“ Sie nickte. „Wenn ich recht habe, werden sie bald beginnen. Es wird eine Phase des Friedens geben, die achtzehn Monate andauern wird, doch in den darauf folgenden drei Monaten wird die Erde von den restlichen Gerichten der sieben Siegel getroffen werden. Ein Viertel der Weltbevölkerung wird ausgelöscht werden. Ich möchte kein Schwarzseher sein, aber seht euch einmal in diesem Raum um und sagt mir, was das bedeutet.“

Rayford brauchte sich nicht umzusehen. Er saß mit den drei Menschen im Raum, die ihm am nächsten standen. Konnte es sein, dass er in weniger als zwei Jahren noch mehr geliebte Menschen verlieren würde?

Buck schloss sein Notizbuch. Er würde nicht aufschreiben, dass jemand in diesem Raum vielleicht bald tot sein würde. Er erinnerte sich an seinen ersten Tag im College, als sein Professor ihn aufgefordert hatte, nach rechts und nach links zu sehen, und gesagt hatte: „Einer von euch dreien wird in einem Jahr nicht mehr hier sein.“ Doch im Vergleich zu der Voraussage von Bruce war das beinahe lustig.

„Aber wir wollen ja nicht einfach nur überleben“, sagte Buck. „Wir wollen handeln.“

„Ich weiß.“ Bruce nickte. „Ich schätze, ich trauere nur schon im Voraus. Es wird ein langer, schwerer Weg werden. Wir werden alle sehr beschäftigt und überarbeitet sein, und vor allem müssen wir jetzt durchdacht planen und handeln.“

„Ich habe überlegt, ins College zurückzukehren“, warf Chloe ein. „Natürlich nicht nach Stanford, aber hier irgendwo in der Nähe. Doch nun frage ich mich, ob sich das überhaupt noch lohnt!“

„Sie können hier ins College gehen“, sagte Bruce. „Jeden Abend um acht Uhr. Und noch etwas.“

„Das dachte ich mir schon“, warf Buck ein.

„Ich denke, wir brauchen ein Versteck.“

„Ein Versteck?“, fragte Chloe überrascht.

„Eine unterirdische Zuflucht“, erklärte Bruce. „In der Zeit des Friedens können wir das Versteck bauen, ohne Verdacht zu erregen. Denn wenn die Gerichte beginnen, ist es dafür zu spät.“

„Worüber sprechen Sie eigentlich?“

„Ich spreche davon, einen Bagger zu bestellen und ein Loch graben zu lassen, in dem wir Zuflucht finden können. Es wird Krieg geben – Hungersnot, Seuchen und Tod.“

Rayford hob die Hand. „Aber ich dachte, wir würden nicht davonlaufen.“

„Das werden wir auch nicht“, erwiderte Bruce. „Doch wenn wir nicht vorausplanen, wenn wir keinen Ort haben, an den wir uns zurückziehen und neu gruppieren, an dem wir Strahlung und Krankheit entgehen können – werden wir bei dem Versuch sterben, der Welt zu zeigen, wie tapfer wir sind.“

Buck war von Bruces Umsicht beeindruckt. Er hatte einen Plan, einen wirklichen Plan. Bruce wollte einen riesigen Wassertank bestellen. Er würde ihn einige Wochen am Rand des Parkplatzes stehen lassen, und die Leute würden dann annehmen, es sei eine Art Vorratstank. Dann würde er ein großes Loch ausheben lassen, in dem der Tank Platz hätte. In der Zwischenzeit würden sie die Wände auskleiden, Wasser- und Elektrizitätsleitungen legen und es als Unterschlupf ausstatten. Irgendwann würde Bruce den Wassertank dann wieder abholen lassen. Die Leute würden dann annehmen, es sei die falsche Größe oder fehlerhaftes Material gewesen. Die anderen würden denken, er sei im Boden versenkt worden.

Von dem unterirdischen Versteck aus würde die Tribulation Force einen Gang zur Gemeinde graben, den sie aber erst benutzen würden, wenn es unerlässlich war. Alle ihre Treffen würden im Arbeitszimmer von Bruce stattfinden.

Der Abend wurde mit Gebet beschlossen. Die drei Neulinge im Glauben beteten eindringlich für Bruce, baten Gott, ihm die Kraft zu geben, die Last seiner Führungsverantwortung tragen zu können.

Buck drängte Bruce, nach Hause zu gehen und sich einmal richtig auszuschlafen. Auf dem Weg nach draußen wendete sich Buck an Chloe: „Ich wollte dir eigentlich meinen neuen Wagen zeigen, aber das scheint jetzt so unwichtig zu sein.“

„Ich weiß, was du meinst.“ Sie lächelte. „Er sieht trotzdem gut aus. Möchtest du nicht zum Abendessen mit zu uns kommen?“

„Ich habe eigentlich keinen Hunger. Im Übrigen muss ich langsam anfangen, mich in meiner neuen Wohnung einzurichten.“

„Hast du denn schon Möbel?“, fragte sie. „Du könntest bei uns bleiben, bis du dir welche besorgt hast. Wir haben jede Menge Platz.“

Er dachte über die Ironie nach. „Danke“, sagte er. „Sie ist bereits möbliert.“

Rayford schloss sich ihnen an. „Wo sind Sie übrigens gelandet, Buck?“

Buck beschrieb die Wohnung, die auf halbem Weg zwischen der Gemeinde und dem Weekly lag.

„Das ist ja gar nicht weit.“

„Nein“, erwiderte Buck. „Ich lade euch alle ein, wenn ich mich eingerichtet habe.“

Rayford hatte seine Wagentür geöffnet, und Chloe wartete an der Beifahrertür. Schweigend standen die drei im trüben Licht der Straßenlaterne. „Na dann“, sagte Buck. „Ich mache mich jetzt besser auf den Weg.“ Während Rayford in den Wagen stieg, blieb Chloe weiterhin stehen. „Bis dann.“

Sie zögerte einen Moment, dann stieg auch sie ein. Buck drehte sich um. Er fühlte sich wie ein Idiot. Was sollte er nur machen? Er wusste, dass sie auf ein Zeichen von ihm wartete und hoffte, dass er noch an ihr interessiert war. Und das war er ja auch. Es fiel ihm nur so schwer, das zu zeigen. Er wusste nicht, ob ihr Vater der Grund dafür war oder dass im Augenblick so vieles in seinem Leben passierte.

Buck dachte an Chloes Bemerkung, es habe nicht viel Sinn, das College zu besuchen. Das traf auch auf die Liebe zu. Natürlich war auch er einsam. Natürlich hatten sie viele Gemeinsamkeiten. Natürlich fühlte er sich zu ihr hingezogen, und es war klar, dass sie dasselbe für ihn empfand. Doch war sein Interesse für eine Frau im Augenblick nicht ein wenig trivial angesichts all dessen, worüber Bruce gesprochen hatte?

Buck hatte bereits seine Liebe zu Gott entdeckt. Dies musste seine Leidenschaft bleiben, bis Christus wiederkam. Würde es richtig sein – oder weise –, sich gleichzeitig auf Chloe Steele zu konzentrieren? Er versuchte sie aus seinen Gedanken zu verbannen.

„Du magst ihn, nicht wahr?“, sagte Rayford, als er den Wagen aus der Parklücke lenkte.

„Er ist in Ordnung.“

„Ich spreche über Buck.“

„Ich weiß, über wen du sprichst. Er ist in Ordnung, aber er nimmt mich kaum noch zur Kenntnis.“

„Ihn beschäftigt so vieles.“

„Bruce schenkt mir mehr Aufmerksamkeit, und ihn beschäftigen im Moment mehr Dinge als irgendeinen von uns.“

„Lass Buck erst einmal Zeit, sich einzurichten, dann wird er sich schon um dich bemühen.“

„Er wird sich um mich ,bemühen‘?“, meinte Chloe. „Du klingst wie der Vater aus ,Unsere kleine Farm‘.“

„Das tut mir leid.“

„Wie auch immer, ich glaube, dass Buck Williams sich nicht mehr um mich bemühen wird.“

Ohne seine eigenen Sachen wirkte Bucks neue Wohnung sehr steril. Er zog sich die Schuhe aus und hörte seinen Anrufbeantworter in New York ab. Er wollte eine Nachricht für Marge Potter, seine ehemalige Sekretärin, hinterlassen und sie fragen, wann er seine Sachen aus dem Büro erwarten konnte, doch sie kam ihm zuvor. Die erste der drei Nachrichten war von Marge. „Ich wusste nicht, wohin ich Ihre Sachen bringen lassen sollte, darum habe ich das Chicagoer Büro als Adresse angegeben. Sie sollten am Montagmorgen dort eintreffen.“

Die zweite Nachricht war von seinem Chef, Stanton Bailey. „Rufen Sie mich am Montag an, Cameron. Ich möchte Ihren Artikel Ende nächster Woche haben, und wir müssen miteinander reden.“

Die dritte war von seinem ehemaligen Redakteur Steve Plank, dem jetzigen Pressechef von Nicolai Carpathia. „Buck, ruf mich an, sobald du kannst. Carpathia möchte mit dir reden.“

Buck schnaubte und löschte die Nachrichten. Er übermittelte ein Dankeschön an Marge und an Bailey die Nachricht, dass er anrufen würde. Steves Telefonnummer schrieb er sich auf. Mit diesem Anruf wollte er sich Zeit lassen. Carpathia will mit dir sprechen.Eine sehr unverfängliche Art zu sagen, dass der Feind Gottes hinter dir her ist. Buck fragte sich, ob Carpathia wusste, dass die Gehirnwäsche bei ihm nicht funktioniert hatte. Was würde der Mann tun oder zu tun versuchen, wenn er wüsste, dass Buck sich noch sehr gut an die Vorgänge erinnerte? Wenn ihm klar würde, dass Buck ihn durchschaut hatte und wusste, dass er ein Mörder, ein Lügner, ein Ungeheuer war?

Rayford saß vor dem Fernsehgerät und sah sich die Nachrichten an. Die Kommentatoren ließen sich über die Erklärungen aus, die von den Vereinten Nationen abgegeben worden waren. Die meisten begrüßten eine Verlegung der UNO nach Babylon, südlich von Bagdad. Einer der Reporter sagte: „Wenn Carpathia es mit der Abrüstung ernst meint und die restlichen zehn Prozent der Waffen einlagern will, ist es tatsächlich besser, sie werden im Mittleren Osten, im Schatten Teherans, gelagert und nicht auf einer Insel in der Nähe von New York City. Außerdem können wir das bald verlassene UNO-Gebäude als Museum einrichten und somit die scheußlichste Architektur bewundern, die dieses Land jemals hervorgebracht hat.“

Die Experten sagten Enttäuschung und Scheitern bei den Gesprächen zwischen den religiösen Führern, aber auch bei dem der Finanzgrößen voraus. „Es wird keine Weltreligion geben, so attraktiv sie auch erscheinen mag, und auch keine Weltwährung. Dies wird Carpathias erster Rückschlag sein, und vielleicht werden die Massen dann endlich ein wenig zur Vernunft kommen. Die Hochzeitsreise wird bald vorüber sein“, erkärte einer von den Kommentatoren.

„Möchtest du Tee, Dad?“, rief Chloe aus der Küche. Er lehnte ab, und sie gesellte sich mit ihrer Tasse zu ihm. Sie setzte sich zu ihm auf die Couch, zog die Pantoffeln aus und steckte die Füße unter ihren Morgenrock. Ihr frisch gewaschenes Haar war in ein Handtuch gewickelt.

„Hast du an diesem Wochenende eine Verabredung?“, fragte Rayford, als die Nachrichten von Werbung unterbrochen wurden.

„Das ist gar nicht lustig“, meinte sie.

„Das sollte auch nicht lustig sein. Wäre es denn so abwegig, wenn jemand mit dir ausgehen wollte?“

„Der Einzige, mit dem ich gern ausgehen würde, hat ganz offensichtlich seine Meinung über mich geändert.“

„Unsinn“, entgegnete Rayford. „Buck hat im Augenblick viel um die Ohren.“

„Ich dachte, ich würde ihn beschäftigen, Dad. Und jetzt sitze ich hier wie ein Schulmädchen und hoffe und warte. Das ist alles so blöd. Warum macht mir das überhaupt etwas aus? Ich habe ihn gerade erst kennen gelernt. Ich kenne ihn kaum. Ich bewundere ihn nur, das ist alles.“

„Du bewunderst ihn?“

„Sicher! Wer würde das nicht tun? Er ist klug, redegewandt und hat schon die ganze Welt gesehen.“

„Berühmt.“

„Ja, ein wenig. Aber ich werde mich ihm nicht an den Hals werfen. Ich dachte nur, er sei interessiert, das ist alles. Auf seinem Zettel stand, dass er sich zu mir hingezogen fühlt.“

„Wie hast du darauf reagiert?“

„Ihm gegenüber, meinst du?“

Rayford nickte.

„Gar nicht. Was hätte ich denn tun sollen? Auch ich fühle mich zu ihm hingezogen, aber ich wollte ihn ja nicht abschrecken.“

„Vielleicht denkt er, er hätte dich abgeschreckt. Vielleicht ist er der Meinung, dass er zu forsch gewesen ist. Was denkst du darüber?“

„Zuerst war ich wirklich ein bisschen erschrocken, doch im Grunde genommen war es richtig. Ich dachte, es würde ausreichen, ihm offen und freundlich zu begegnen.“

Rayford zuckte die Achseln. „Vielleicht braucht er mehr Ermutigung?“

„Von mir wird er sie nicht bekommen. Nicht mein Stil. Das weißt du genau.“

„Ich weiß, Liebes“, erwiderte Rayford, „aber in letzter Zeit hast du dich sehr verändert.“

„Ja, aber mein Stil hat sich nicht verändert.“ Bei diesem Satz musste selbst sie lachen. „Daddy, was soll ich nur tun? Ich will ihn nicht aufgeben. Aber vielleicht hätte er die Sache anders anfangen sollen. Er hätte mich zum Essen einladen können, doch er hat nicht einmal unsere Einladung angenommen.“

„Unsere Einladung? Ich war daran beteiligt?“

„Na ja, ich hätte ihn ja schlecht in ein Restaurant einladen können.“

„Ich weiß. Aber vielleicht wollte er mich nicht dabeihaben.“

„Wenn er für mich so empfunden hätte, wie ich dachte, dann hätte es ihm nichts ausgemacht. Dann hätte er mich eingeladen und dich draußen gelassen. Ich meine … du weißt, was ich meine.“

„Ich weiß, was du gemeint hast. Ich denke, du lässt den Mut ein wenig zu früh sinken. Gib ihm doch einen Tag Zeit. Du wirst sehen, ein guter Schlaf wirkt Wunder.“

Die Nachrichten wurden fortgesetzt, und Chloe trank genüsslich ihren Tee. Rayford freute sich darüber, dass sie neuerdings mit ihm über ihre Herzensangelegenheiten sprach. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie je mit Irene über ihre Bekanntschaften gesprochen hatte. Natürlich war ihm klar, dass er ihre einzige Zuflucht in einem Sturm war, doch er freute sich trotzdem über ihr Vertrauen. „Ich muss mir das nicht ansehen, wenn du gern noch ein wenig reden möchtest.“ Er wies auf den Fernseher. „Was die hier bringen, hat Bruce uns schon alles erzählt.“