Die Ernte - Jerry B. Jenkins - E-Book

Die Ernte E-Book

Jerry B. Jenkins

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Beschreibung

Auf der ganzen Welt kommen während eines schrecklichen Erdbebens Millionen von Menschen ums Leben. Während die Mitglieder der Tribulation Force noch auf der Suche nach Überlebenden sind, kommt der schreckliche Verdacht auf, dass einer aus ihren Reihen ein Verräter ist. Wird es ihnen gelingen, die Wahrheit herauszufinden? Und was hat es mit dem Zeichen auf sich, das die Christen plötzlich auf ihrer Stirn entdecken? Dann überstürzen sich die Ereignisse: Es beginnt auf der ganzen Welt zu hageln, dann regnen Feuer und Blut vom Himmel. Wieder fallen Millionen von Menschen diesen Katastrophen zum Opfer. Doch das Schlimmste steht noch bevor ...

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Tim LaHaye • Jerry B. Jenkins

Die Ernte

Die letzten Tage der Erde

Roman

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag

Tyndale House Publishers, Inc., Wheaton, Illinois, USA,

unter dem Titel „Tribulation Force“.

© 1998 by Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins

© der deutschen Taschenbuchausgabe 2007 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar

Aus dem Englischen von Eva Weyandt mit Genehmigung

von Tyndale House Publishers, Inc.

Left Behind © ist ein eingetragenes Warenzeichen

von Tyndale House Publishers, Inc.

Die Bibelstellen wurden der Einheitsübersetzung entnommen.

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart

Taschenbuch ISBN 978-3-86591-273-2

eBook ISBN 978-3-96122-101-1

Umschlaggestaltung: Michael Wenserit; Julie Chen

Umschlagfoto: Chris Butler (Mond); Unifoto (Menschenmenge)

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Unseren neuen Brüdern und Schwestern gewidmet

Prolog: Was bisher geschah …

Bucks Mut sank, als er den Kirchturm der New-Hope-Gemeinde entdeckte. Er war noch knapp 600 Meter entfernt und die Erde bebte und bewegte sich noch immer. Gebäude stürzten zusammen. Hohe Bäume fielen um und legten sich quer über die Straße. Buck brauchte einige Minuten, um die Schutt-, Holz- und Betonhaufen zu überwinden. Je näher er dem Gemeindehaus kam, desto leerer fühlte er sich innerlich. Nur noch der Kirchturm war erhalten geblieben. Sein Fundament stand noch fest. Die Scheinwerfer des Range Rovers fielen auf ordentlich nebeneinanderstehende Bänke; einige davon waren noch vollkommen unbeschädigt. Der Rest des Gemeinderaums, die gewölbten Deckenbalken, die bemalten Fenster: alles fort. Das Verwaltungsgebäude, die Gruppenräume, die Büros – alles war dem Erdboden gleichgemacht.

Ein einziger Wagen war in einem Krater zu entdecken, der früher einmal der Parkplatz gewesen war. Die vier Reifen waren geplatzt und der Wagen war platt auf die Erde gedrückt worden. Zwei Menschenbeine ragten unter dem Fahrzeug hervor. Buck hielt den Range Rover etwa 100 Meter von dem Wagen entfernt an. Seine Tür ließ sich nicht öffnen. Er löste den Sicherheitsgurt und stieg auf der Beifahrerseite aus. Und plötzlich war das Erdbeben vorbei. Die Sonne schien wieder. Es war ein strahlender, sonniger Montagmorgen in Mount Prospect, Illinois. Buck spürte jeden Knochen in seinem Körper. Er stolperte über den unebenen Boden zu dem kleinen, platt gedrückten Auto. Als er nahe genug herangekommen war, entdeckte er, dass ein Schuh an dem eingezwängten Körper fehlte. Doch der noch verbleibende Schuh bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Loretta war von ihrem eigenen Wagen erdrückt worden.

Buck stolperte und fiel kopfüber in den Dreck. Irgendetwas verletzte ihn an der Wange. Er ignorierte es und kroch zu dem Wagen. Er machte sich innerlich auf das gefasst, was ihn erwarten würde, und versuchte mit aller Kraft, das Fahrzeug von dem Körper wegzuschieben. Doch es rührte sich nicht. Alles in ihm wehrte sich dagegen, Loretta einfach hier liegen zu lassen. Aber wohin sollte er den Leichnam bringen, selbst wenn er ihn befreien konnte? Schluchzend kroch er nun über den Schutt und suchte nach dem Eingang des unterirdischen Schutzbunkers. Schließlich fand er den Lüftungsschacht. Er legte die Hände darüber und rief nach unten: „Tsion! Tsion! Sind Sie da?“

Er drehte sich um und legte nun sein Ohr an den Schacht. Kühle Luft stieg von dem Schutzraum auf. „Ich bin hier, Buck! … Wie geht es Loretta?“

„Sie ist tot!“

„War das das große Erdbeben?“

„Allerdings!“

„Können Sie zu mir kommen?“

„Ich werde zu Ihnen kommen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue, Tsion! Sie müssen mir helfen, nach Chloe zu suchen!“

„Im Augenblick geht es mir gut, Buck! Suchen Sie ruhig zuerst nach Chloe. Ich werde auf Sie warten!“

Buck drehte sich um und blickte in die Richtung, in der Lorettas Haus stand. Blutende Menschen in zerrissenen Kleidern stolperten umher. Einige fielen hin und schienen vor seinen Augen zu sterben. Er wusste nicht, wie lange es dauern würde, Chloe zu finden. Zwar hatte er Angst vor dem, was ihn erwarten würde, aber er würde nicht aufgeben, bis er das Haus gefunden hatte. Wenn es nur eine noch so geringe Chance gab, zu ihr zu gelangen, sie zu retten, würde er sie wahrnehmen.

Über Neu-Babylon war die Sonne wieder aufgegangen. Rayford drängte Mac McCullum, nach Bagdad weiterzufliegen. Die drei Männer sahen unter sich nichts als Zerstörung. Krater von den Meteoren, Brände, eingestürzte Gebäude, aufgerissene Straßen.

Als der Flughafen von Bagdad in Sicht kam, ließ Rayford den Kopf hängen und weinte. Einige Flugzeuge waren zur Seite gekippt, andere ragten aus tiefen Höhlen im Boden auf. Der Terminal war dem Erdboden gleichgemacht, der Tower eingestürzt. Überall lagen tote Menschen herum.

Rayford machte Mac ein Zeichen, den Hubschrauber zu landen. Doch als er sich umsah, wusste er Bescheid. Er konnte jetzt nur noch beten, dass Hatties und Amandas Flugzeug während des Bebens noch in der Luft gewesen war.

Als die Rotoren zum Stillstand gekommen waren, wandte sich Carpathia an Mac und Rayford. „Hat jemand von Ihnen ein funktionierendes Telefon?“

Rayford empfand einen so großen Ekel, dass er an Carpathia vorbeigriff und die Tür aufstieß. Er stand auf und sprang aus dem Hubschrauber. Dann griff er hinein, löste Carpathias Sicherheitsgurt, packte ihn am Kragen und zerrte ihn aus dem Hubschrauber. Carpathia landete auf seinem Hintern. Er sprang aber schnell wieder auf, so als sei er zu einem Kampf bereit. Rayford stieß ihn gegen den Hubschrauber.

„Captain Steele, ich kann ja verstehen, dass Sie aufgebracht sind, aber –“

„Nicolai“, zischte Rayford durch seine zusammengebissenen Zähne, „Sie können das erklären, wie Sie wollen, aber ich möchte Ihnen eines sagen: Sie haben gerade den Zorn des Lammes erlebt!“

Carpathia zuckte die Achseln. Rayford stieß ihn noch einmal gegen den Hubschrauber und stolperte davon. Er lief auf die Stelle zu, an der der Terminal gestanden hatte, und betete, es möge das letzte Mal sein, dass er in den Trümmern nach dem Leichnam eines geliebten Menschen suchen musste.

„Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang. Und ich sah: Sieben Engel standen vor Gott; ihnen wurden sieben Posaunen gegeben. Und ein anderer Engel kam und trat mit einer goldenen Räucherpfanne an den Altar; ihm wurde viel Weihrauch gegeben, den er auf dem goldenen Altar vor dem Thron verbrennen sollte, um so die Gebete aller Heiligen vor Gott zu bringen. Aus der Hand des Engels stieg der Weihrauch mit den Gebeten der Heiligen zu Gott empor. Dann nahm der Engel die Räucherpfanne, füllte sie mit glühenden Kohlen, die er vom Altar nahm, und warf sie auf die Erde; da begann es zu donnern und zu dröhnen, zu blitzen und zu beben.

Dann machten sich die sieben Engel bereit, die sieben Posaunen zu blasen.“

Offenbarung 8,1–6

1

Rayford Steele trug die Uniform seines Feindes und er hasste sich dafür. In seiner blauen Kluft marschierte er durch irakischen Sand zum Flughafen von Bagdad und wunderte sich gleichzeitig über die Widersinnigkeit seines Unterfangens.

Von überall her hörte er das Jammern und die Schreie von Hunderten von Menschen, denen er nicht würde helfen können. Wenn er seine Frau überhaupt noch lebend finden wollte, musste er so schnell wie möglich zu ihr gelangen. Aber hier gab es kein schnelles Vorankommen. Nur Sand. Und was war mit Chloe und Buck, die sich in den Vereinigten Staaten aufgehalten hatten? Und mit Tsion?

Verzweifelt und außer sich vor Entsetzen über das Geschehene riss er sich seine elegante Jacke mit der gelben Litze, den schweren Epauletten und den Streifen an den Ärmeln, die ihn als Chefpilot der Weltgemeinschaft auswiesen, vom Leib. Rayford nahm sich nicht einmal die Zeit, die goldenen Knöpfe zu öffnen. Sie fielen in den Wüstensand. Er ließ sich die maßgeschneiderte Jacke von den Schultern gleiten und umklammerte den Kragen mit seinen Fäusten. Drei-, vier-, fünfmal schlug er mit dem Kleidungsstück heftig auf den Boden. Sand wirbelte auf und legte sich auf seine blank geputzten Lederschuhe.

Rayford dachte darüber nach, alle Kleidungsstücke loszuwerden, die ihn an seine Bindung an Nicolai Carpathias Regime erinnerten, doch dann fiel sein Blick auf die reich verzierten Streifen am Ärmel der Jacke. Er zerrte daran und versuchte, sie abzureißen, als könnte er sich dadurch von seinem Rang im Dienst für den Antichristen befreien. Aber sie waren so fest aufgenäht, dass sie nicht einen Millimeter nachgaben. Wieder schleuderte Rayford die Jacke auf den Boden. Er trampelte darauf herum, um seinen Zorn abzureagieren. Und schließlich erkannte er, warum sie so schwer gewesen war. Sein Telefon steckte in der Tasche.

Als er sich bückte, um die Jacke aufzuheben, wurde er ruhiger und sein gesunder Menschenverstand kehrte zurück. Da er nicht wusste, was er in den Ruinen seiner Eigentumswohnung noch vorfinden würde, konnte es sein, dass seine Uniform sein einziges ihm noch verbliebenes Kleidungsstück war.

Wütend zog er die Jacke wieder an. Er machte sich nicht einmal die Mühe, den Sand auszuschütteln. Als er festen Schrittes auf die Überreste des Flughafengebäudes zuging, war Rayfords Gestalt viel weniger beeindruckend als gewöhnlich. Ohne Mütze und mit abgerissenen Knöpfen hätte er genauso gut Überlebender eines Flugzeugabsturzes sein können.

Rayford konnte sich nicht daran erinnern, dass er während all der Monate, die er bereits im Irak lebte, jemals vor Sonnenuntergang gefroren hatte. Doch das Erdbeben hatte scheinbar nicht nur die Landschaft verändert, sondern auch die Temperaturen. Rayford hatte sich an feuchte Hemden und einen klebrigen Film auf seiner Haut gewöhnt. Doch nun ließ der gelegentliche, seltsame Wind ihn frösteln.

Er wählte Mac McCullums Nummer und hielt sich das Telefon ans Ohr.

In diesem Augenblick hörte er die Rotoren von Macs Hubschrauber hinter sich. Er fragte sich, wohin dieser wohl flog.

„Mac hier“, ertönte McCullums ernste Stimme.

Rayford wirbelte herum und beobachtete, wie der Hubschrauber der untergehenden Sonne entgegenflog. „Ich kann kaum glauben, dass mein Handy noch funktioniert“, meinte Rayford. Er hatte es zu Boden geschleudert und darauf herumgetreten, und außerdem hatte er angenommen, dass das Erdbeben auch die Funkverbindungen unterbrochen hätte.

„Sobald ich außer Reichweite bin, wird es nicht mehr funktionieren, Ray“, erwiderte Mac. „So weit ich sehen kann, ist alles zerstört. Im näheren Umkreis funktionieren diese Geräte wie Walkie-Talkies. Aber eine richtige Funkverbindung werden Sie damit vermutlich nicht mehr herstellen können.“

„Also keine Möglichkeit, in die Staaten zu telefonieren?“

„Unmöglich“, erwiderte Mac. „Ray, Potentat Carpathia möchte mit Ihnen sprechen, aber zuerst –“

„Ich möchte aber nicht mit ihm sprechen. Das können Sie ihm ruhig sagen.“

„Aber bevor ich Sie an ihn weitergebe“, fuhr Mac fort, „möchte ich Sie daran erinnern, dass wir für heute Abend verabredet sind. Oder?“

Rayford verlangsamte seinen Schritt und starrte zu Boden. Verwirrt fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. „Was? Wovon sprechen Sie überhaupt?“

„In Ordnung, sehr gut“, sagte Mac. „Dann gilt unsere Verabredung also noch. Und nun möchte der Potentat –“

„Sie wollen also später mit mir sprechen, Mac, das habe ich verstanden, aber geben Sie mir nicht Carpathia, sonst werde ich –“

„Ich übergebe jetzt an den Potentaten.“

Rayford nahm das Telefon in die rechte Hand. Am liebsten hätte er es auf den Boden geschleudert, aber er riss sich zusammen. Wenn die Kommunikationswege wieder frei waren, wollte er in der Lage sein, mit Buck und Chloe zu sprechen.

„Captain Steele“, ertönte die emotionslose Stimme Nicolai Carpathias.

„Am Apparat“, erwiderte Rayford, wobei er sich nicht die Mühe machte, seine Abscheu zu verbergen. Er ging davon aus, dass Gott ihm alles vergeben würde, was er zum Antichristen sagte, schluckte aber trotzdem hinunter, was ihm auf der Zunge lag.

„Obwohl wir beide wissen, wie ich auf Ihre ungeheuerliche Respektlosigkeit und Insubordination reagieren könnte“, erklärte Carpathia, „habe ich beschlossen, Ihnen zu vergeben.“

Rayford marschierte immer weiter. Er biss wütend die Zähne aufeinander, damit er den Mann nicht anschrie.

„Ich merke, dass Sie keine Worte finden, um Ihre Dankbarkeit auszudrücken“, fuhr Carpathia fort. „Und jetzt hören Sie. Ich habe ein sicheres Versteck, ausgerüstet mit Vorräten und allem, was wir brauchen, zu dem auch meine internationalen Botschafter und mein Stab kommen werden. Sie und ich, wir wissen beide, dass wir einander brauchen, darum schlage ich vor –“

„Sie brauchen mich nicht“, widersprach Rayford. „Und ich brauche Ihre Vergebung nicht. Ein hervorragender Pilot sitzt gerade neben Ihnen, darum möchte ich vorschlagen, dass Sie mich vergessen.“

„Seien Sie bereit, wenn er landet“, entgegnete Carpathia mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme.

„Mein einziges Ziel ist im Augenblick der Flughafen“, sagte Rayford. „Und ich bin schon fast da. Lassen Sie Mac nicht noch näher an diesem Chaos landen.“

„Captain Steele“, sagte Carpathia in einem herablassenden Tonfall, „ich bewundere Ihren unbeirrbaren Glauben, dass Sie Ihre Frau noch finden werden, aber wir beide wissen doch, dass das ausgeschlossen ist.“

Rayford schwieg. Er befürchtete, dass Carpathia recht hatte, aber das würde er niemals zugeben. Und ganz bestimmt würde er seine Suche nicht aufgeben, bis er herausgefunden hatte, ob Amanda überlebt hatte oder nicht.

„Kommen Sie mit uns, Captain Steele. Steigen Sie einfach wieder ein und ich werde Ihren Ausbruch vergessen.“

„Ich werde nirgendwohin gehen, bis ich meine Frau gefunden habe! Lassen Sie mich mit Mac sprechen.“

„Officer McCullum ist beschäftigt. Ich werde ihm gern etwas ausrichten.“

„Mac könnte dieses Ding fliegen, ohne auch nur seine Hände zu gebrauchen. Und jetzt lassen Sie mich mit ihm sprechen.“

„Wenn Sie ihm nichts ausrichten möchten, Captain Steele –“

„Ist ja schon gut. Sie haben gewonnen. Sagen Sie Mac –“

„Aber, aber, wir wollen doch nicht unhöflich werden, Captain Steele. Ein Untergebener sollte seinen Vorgesetzten –“

„In Ordnung, Potentat Carpathia, sagen Sie bitte Mac, er soll mich abholen, wenn ich bis 22 Uhr nicht zurückgekommen bin.“

„Und falls Sie einen Weg finden sollten zurückzukommen: Der Schutzbunker befindet sich dreieinhalb Meilen nordöstlich des ursprünglichen Hauptquartiers. Sie werden ein Passwort brauchen. Es lautet: ,Operation Zorn‘.“

„Wie bitte?“ Carpathia hatte also gewusst, was noch kommen würde?

„Sie haben richtig verstanden, Captain Steele.“

Cameron „Buck“ Williams stieg vorsichtig über die Trümmer in der Nähe des Luftschachts, aus dem er die klare Stimme von Rabbi Tsion Ben-Judah gehört hatte, der in dem unterirdischen Schutzbunker festsaß. Tsion hatte ihm versichert, dass er nicht verletzt sei, nur verängstigt. Außerdem litt er unter Platzangst. Dieser Bunker war auch so schon klein genug, ohne dass das Gemeindehaus darüber zusammengestürzt war. Für den Rabbi gab es keinen Weg nach draußen, es sei denn, jemand grub ihn aus.

Aber Buck fühlte sich wie ein Arzt, der entscheiden musste, wer seine Hilfe dringender benötigte. Nachdem er Tsion versichert hatte, dass er zurückkommen würde, machte er sich auf den Weg zu dem Haus, in dem er seine Frau zu finden hoffte.

Auf dem Weg zu seinem Wagen kam Buck erneut an den sterblichen Überresten von Loretta vorbei. Sie war so eine gute Freundin gewesen, zuerst für den verstorbenen Bruce Barnes und dann auch für die anderen Mitglieder der Tribulation Force, Rayford, Chloe, Bruce, Buck und Amanda. Und vor kurzem war noch Tsion hinzugekommen.

War es möglich, dass nun nur noch er und Tsion übrig waren? Buck wollte gar nicht darüber nachdenken.

Das Zifferblatt seiner Uhr war mit einer harten Schicht aus Schlamm, Asphalt und winzigen Splittern bedeckt. Er wischte sie an seinem Hosenbein ab und spürte, wie dieser Belag seine Hose zerriss und seinen Oberschenkel zerkratzte. Es war neun Uhr morgens in Mount Prospect. Buck hörte die Sirenen, die normalerweise vor einem Luftangriff und einem Tornado warnen sollten, außerdem die Sirenen von Krankenwagen – eine ganz in der Nähe, zwei weitere etwas entfernt. Rufe. Schreie. Schluchzen. Motorengeräusche.

Würde er ohne Chloe leben können? Buck hatte eine zweite Chance bekommen; er war aus einem ganz bestimmten Grund hier. Er wollte die Frau, die er liebte, an seiner Seite haben und betete – sehr selbstsüchtig, wie er feststellte –, dass sie nicht schon vor ihm in den Himmel gegangen war.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, dass seine linke Wange anschwoll. Er hatte weder Schmerz gefühlt noch Blut bemerkt und angenommen, es handle sich um eine harmlose Verletzung. Jetzt war er sich dessen jedoch nicht mehr sicher. Er griff in seine Brusttasche und holte seine Sonnenbrille mit dem Spiegelglas heraus. Ein Glas war zerbrochen. Das Spiegelbild, das ihm aus dem anderen entgegenblickte, war alles andere als anziehend. Zerzauste Haare, vor Furcht weit aufgerissene Augen und ein offen stehender Mund, mit dem er nach Luft schnappte. Die Wunde blutete nicht, doch sie schien tief zu sein. Aber er hatte jetzt keine Zeit, sich darum zu kümmern.

Buck holte das andere Glas aus seiner Hemdtasche und warf es weg, steckte die Brille jedoch wieder in die Tasche. Sie war ein Geschenk von Chloe gewesen. Während er zum Range Rover zurückging, betrachtete er aufmerksam den Boden. Wie ein alter Mann ging er langsam und vorsichtig über Glassplitter, Nägel und Steine hinweg.

Buck kam erneut an Lorettas Wagen und ihren sterblichen Überresten vorbei. Er war fest entschlossen, nicht hinzusehen. Doch plötzlich bewegte sich die Erde und er stolperte. Lorettas Wagen, den er noch Augenblicke zuvor keinen Zentimeter hatte bewegen können, schaukelte und verschwand. Der Boden unter dem Parkplatz hatte nachgegeben. Buck legte sich auf den Bauch und blickte über den Rand einer neuen Spalte. Der zerbeulte Wagen lag etwa drei Meter unter der Erdoberfläche auf einer Wasserleitung; die geplatzten Reifen wiesen nach oben. Auf dem Wrack unnatürlich zusammengerollt und jetzt für ihn gut zu ergreifen, lag die Leiche von Loretta. Es würde sicher noch weitere Erdbewegungen geben. Lorettas Leiche zu erreichen, würde dann unmöglich sein.

Langsam erhob sich Buck. Plötzlich merkte er, dass die holprige Fahrt durch das Erdbeben seinen Gelenken und Muskeln mehr geschadet hatte, als er gedacht hatte. Er betrachtete den Schaden an seinem Wagen. Obwohl dieser sich überschlagen hatte und hin- und hergeschleudert worden war, wirkte er noch bemerkenswert fahrtüchtig. Die Fahrertür war eingedrückt, die Windschutzscheibe lag in Splittern im Wageninneren verteilt und der Rücksitz war an einer Seite aus der Verankerung gerissen worden. Ein Reifen war bis zum Stahlgürtel aufgeschlitzt, schien aber noch die Luft zu halten.

Wo waren Bucks Telefon und sein Laptop? Er hatte sie auf den Beifahrersitz gelegt. Obwohl es eigentlich unmöglich war, hoffte er, dass beides in dem Chaos nicht hinausgeschleudert worden war. Buck öffnete die Beifahrertür und sah auf dem Boden des Wagens nach. Nichts. Er suchte auch unter den Rücksitzen. Ganz hinten in einer Ecke lag sein Laptop. Er hatte sich geöffnet und ein Scharnier des Bildschirms war zerbrochen.

In einer Tür fand Buck auch sein Telefon. Er rechnete nicht damit, jemanden zu erreichen, denn vermutlich waren alle Funknetze zusammengebrochen (genau wie alles andere auf der Erde). Er schaltete es ein. Das Gerät zeigte an, dass kein Funknetz vorhanden war. Trotzdem, er musste es versuchen. Er wählte Lorettas Nummer – und hörte nicht einmal die Störungsansage der Telefongesellschaft. Dasselbe geschah bei der Nummer der Gemeinde und bei Tsions Telefon.

Bucks Orientierungspunkte waren nicht mehr vorhanden, und er war froh, dass der Range Rover über einen eingebauten Kompass verfügte. Alle Ampeln und Masten waren umgeknickt, die Straßenmarkierungen verschwunden, Bäume umgeknickt, Gebäude lagen in Trümmern, Zäune waren überall verstreut.

Buck überprüfte noch einmal, ob der Allradantrieb des Range Rovers eingeschaltet war. Er konnte kaum drei Meter fahren, ohne dass der Wagen eine Erhöhung bewältigen musste. Aufmerksam sah er nach vorn, damit der Wagen nicht noch mehr beschädigt wurde, als er es bereits war – es konnte durchaus sein, dass der Rover bis zum Ende der Trübsalszeit durchhalten musste. Und das war bestenfalls in fünf Jahren.

Während Buck sich über die großen Brocken von Asphalt und Beton, die einst Teil der Straße gewesen waren, vortastete, betrachtete er erneut die Überreste der New-Hope-Gemeinde. Die Hälfte des Gebäudes schien jetzt unter der Erde zu liegen und sein Grundriss hatte sich gedreht. Die Bänke, die früher nach Westen ausgerichtet gewesen waren, zeigten nun nach Norden und glänzten in der Sonne. Der gesamte Boden der Sakristei schien sich um 90 Grad gedreht zu haben.

Als er am Gemeindehaus vorbeifuhr, blieb er abrupt stehen und blickte noch einmal genauer hin. Licht fiel zwischen den Bänken hindurch, nur an einer Stelle nicht. Irgendetwas versperrte Buck die Sicht. Er legte den Rückwärtsgang ein und setzte vorsichtig zurück. Auf dem Boden unter einer der Bänke entdeckte er ein Paar Tennisschuhe. Auch wenn Buck es kaum erwarten konnte, zu Lorettas Haus zu fahren und nach Chloe zu suchen, wollte er nicht einfach jemanden hier in den Trümmern liegen lassen. War es möglich, dass jemand überlebt hatte?

Er trat auf die Bremse und kletterte über den Beifahrersitz nach draußen. Achtlos trat er auf alles, was ihm die Sohlen seiner Schuhe hätte aufschlitzen können. Für Vorsicht hatte er keine Zeit. Etwa drei Meter von den Turnschuhen entfernt verlor Buck den Halt und fiel der Länge nach hin, konnte sich jedoch mit den Händen abfangen.

Mühsam zog er sich wieder hoch und kniete sich neben den Turnschuhen hin. Die Füße eines Menschen steckten noch darin. Dünne Beine in dunklen Bluejeans führten zu schmalen Hüften. Von der Taille an war der Körper unter der Bank verborgen. Die rechte Hand steckte unter dem Körper, die linke lag frei. Buck tastete nach dem Puls, fand aber keinen. Die Hand war breit und knochig, der Ehering eines Mannes steckte am Ringfinger. Buck zog ihn ab. Er nahm an, die Frau würde ihn gern haben wollen, sollte sie überlebt haben.

Buck packte den Mann an der Gürtelschnalle und zog ihn unter der Bank hervor. Als der Kopf in Sicht kam, wandte Buck sich ab. Er hatte Donny Moore an den Augenbrauen erkannt. Der Rest seines Haares, sogar seine Koteletten, waren blutverschmiert.

Buck wusste nicht, was er angesichts der Toten und Sterbenden in einer Zeit wie dieser tun sollte. Wo sollte man beginnen, die Millionen Toten, die es auf der ganzen Welt gegeben hatte, zu bestatten? Buck schob den Toten vorsichtig wieder unter die Bank zurück, stieß dabei aber auf ein Hindernis. Vorsichtig griff er nach hinten und fand Donnys beschädigten Aktenkoffer. Buck versuchte, ihn zu öffnen, doch er war mit einem Zahlenkombinationsschloss verschlossen. Darum nahm er den Koffer zum Range Rover mit und versuchte erneut, sich zu orientieren. Er war zwar nur knapp vier Blocks von Lorettas Haus entfernt, aber würde er bei all dieser Zerstörung auch die Straße finden können?

Rayford fasste neuen Mut, als er in der Ferne am Flughafen von Bagdad Aktivität wahrnahm. Zwar sah er mehr Wracks und Chaos am Boden als herumlaufende Menschen, aber wenigstens waren nicht alle Menschen ums Leben gekommen.

Eine kleine, dunkle Gestalt mit einem höchst merkwürdigen Gang tauchte auf. Fasziniert beobachtete Rayford einen stämmigen Asiaten mittleren Alters, der einen dunklen Anzug trug. Der Mann kam direkt auf Rayford zu, der gespannt abwartete und sich fragte, ob dieser ihm wohl helfen könnte. Doch als der Mann näher kam, bemerkte Rayford, dass dieser seine Umgebung gar nicht wahrnahm. Er trug nur einen Schuh, den anderen schien er verloren zu haben. Seine Anzugjacke war zugeknöpft, aber seine Krawatte hing draußen. Von seiner linken Hand tropfte Blut. Sein Haar war zerzaust, doch seine Brille schien das, was er erlebt hatte, unbeschadet überstanden zu haben.

„Sind Sie in Ordnung?“, fragte Rayford. Der Mann ignorierte ihn. „Kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann humpelte vorbei und murmelte in seiner Sprache etwas vor sich hin. Er steuerte direkt auf den Tigris zu. „Warten Sie!“, rief Rayford ihm nach. „Kommen Sie zurück! Lassen Sie mich Ihnen doch helfen!“

Der Mann ignorierte ihn weiterhin. Rayford wählte erneut Macs Nummer. „Ich möchte mit Carpathia sprechen“, sagte er.

„Sicher“, erwiderte Mac. „Unsere Verabredung für heute Abend steht doch noch, oder?“

„Natürlich, und jetzt lassen Sie mich mit ihm sprechen!“

„Ich meine, unsere persönliche Verabredung.“

„Ja! Ich weiß zwar nicht, was Sie auf dem Herzen haben, aber ja, ich habe verstanden. Und jetzt muss ich unbedingt mit Carpathia sprechen.“

„Okay. Tut mir leid. Da ist er schon.“

„Haben Sie Ihre Meinung geändert, Captain Steele?“, fragte Carpathia.

„Wohl kaum. Hören Sie, beherrschen Sie auch asiatische Sprachen?“

„Ein paar. Warum?“

„Was heißt das?“, fragte er und wiederholte die Worte, die der Mann gesagt hatte.

„Das ist einfach“, antwortete Carpathia. „Das bedeutet: ,Sie können mir nicht helfen. Lassen Sie mich in Frieden.‘“

„Lassen Sie Mac umkehren, bitte. Dieser Mann wird erfrieren.“

„Ich dachte, Sie wären auf der Suche nach Ihrer Frau.“

„Ich kann doch nicht zulassen, dass ein Mensch in seinen sicheren Tod läuft!“

„Millionen sind tot oder liegen im Sterben. Sie können nicht alle retten.“

„Dann wollen Sie diesen Mann also sterben lassen?“

„Ich sehe ihn nicht, Captain Steele. Wenn Sie meinen, Sie könnten ihn retten, dann bitte. Ich möchte nicht kalt erscheinen, aber im Augenblick liegt mir die ganze Welt am Herzen.“

Rayford klappte sein Telefon zu und eilte dem langsam humpelnden Mann nach. Als er näher kam, erkannte Rayford entsetzt, warum der Mann so merkwürdig lief und warum er eine Blutspur hinter sich herzog: Er war von einem funkelnden Metallstück durchbohrt worden, das offensichtlich ein Stück eines Flugzeugrumpfes war. Wie es kam, dass er noch am Leben war, wie er überlebt hatte oder aus dem Wrack geklettert war, war Rayford ein Rätsel. Das Metallstück reichte von seiner Hüfte bis zu seinem Hinterkopf. Es musste die lebenswichtigen Organe um Zentimeter verfehlt haben.

Rayford berührte den Mann an der Schulter. Er entwand sich ihm. Schwerfällig setzte der Asiat sich hin und mit einem tiefen Seufzer sank er auf dem Sand zusammen und tat seinen letzten Atemzug. Rayford fühlte nach dem Puls, war aber nicht erstaunt, keinen mehr zu finden. Überwältigt vor Schmerz wandte er sich ab und kniete in dem Sand nieder. Schluchzen schüttelte seinen Körper.

Rayford hob die Hände zum Himmel. „Warum, Gott? Warum muss ich das sehen? Warum schickst du mir jemanden in den Weg, dem ich gar nicht helfen kann? Bitte verschone Chloe und Buck! Bitte, gib, dass Amanda noch am Leben ist! Ich weiß, ich verdiene es nicht, aber ich kann ohne sie nicht weiterleben!“

Normalerweise fuhr Buck vom Gemeindehaus aus zwei Straßen in Richtung Süden, dann zwei nach Osten, um zu Lorettas Haus zu kommen. Aber nun gab es keine Straßen mehr und auch keine Bürgersteige oder Kreuzungen. So weit das Auge reichte, waren alle Häuser dem Erdboden gleichgemacht worden. Konnte es sein, dass es auf der ganzen Welt so aussah? Tsion hatte gesagt, dass ein Viertel der Weltbevölkerung dem „Zorn des Lammes“ zum Opfer fallen würde. Aber als Buck die Zustände in Mount Prospect sah, würde es ihn erstaunen, wenn tatsächlich ein Viertel der Bevölkerung noch am Leben wäre.

Er lenkte den Rover in Richtung Südosten. Wenn man von der Umgebung absah, war es ein wunderschöner Tag. Der Himmel war strahlend blau, wo er nicht gerade von Rauch und Staub verdunkelt war. Keine Wolken, sondern nur herrlicher Sonnenschein.

Aus den Hydranten schossen Wasserfontänen in die Höhe. Eine Frau kroch aus den Trümmern ihres Hauses hervor, einen blutigen Stumpf an der Schulter, wo ihr Arm hätte sein müssen. Sie schrie Buck zu: „Töten Sie mich! Töten Sie mich!“

Er rief: „Nein!“ und sprang aus dem Rover, als sie sich bückte, eine große Glasscherbe von einem zerbrochenen Fenster aufhob und sich damit über den Hals fuhr. Während Buck auf sie zulief, sprach er unentwegt auf sie ein. Er hoffte nur, dass sie zu schwach war, um sich mehr als eine oberflächliche Verletzung zuzufügen, und er betete, dass sie die Hauptschlagader verfehlte.

Er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt, als sie plötzlich stehen blieb und ihn anstarrte. Das Glas fiel klirrend zu Boden. Sie trat einen Schritt zurück, stolperte und fiel in sich zusammen. Mit einem lauten Krachen schlug ihr Kopf auf einem Betonstück auf. Ihre Augen starrten Buck leblos an, als er ihren Mund öffnete, seine Lippen auf ihre legte und einen Wiederbelebungsversuch unternahm. Ihre Brust hob sich, und das Blut begann zu tröpfeln, aber es hatte keinen Sinn mehr.

Buck sah sich um und fragte sich, ob er versuchen sollte, ihren Leichnam zu bedecken. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein älterer Mann am Rand eines Kraters und schien kurz davor zu stehen, sich hineinzustürzen. Buck konnte es nicht mehr ertragen. Wollte Gott ihn vielleicht auf die Möglichkeit vorbereiten, dass Chloe nicht überlebt hatte?

Müde stieg er in den Range Rover. Ihm war klar geworden, dass er niemandem helfen konnte, der seine Hilfe gar nicht wollte. Wohin er auch sah, erblickte er nichts als Zerstörung, Feuer, Wasser und Blut.

Fast gegen seinen Willen ließ Rayford den Toten im Wüstensand liegen. Was würde er tun, wenn er weitere Menschen sah, die im Sterben lagen? Wie konnte Carpathia dies alles ignorieren? Hatte er denn keinen Funken Mitleid in sich? Mac wäre geblieben und hätte geholfen.

Rayford glaubte schon fast nicht mehr daran, Amanda jemals lebend wiederzusehen, und obwohl er alle seine Möglichkeiten ausschöpfen würde, um sie zu finden, wünschte er schon beinahe, er hätte einen früheren Zeitpunkt für das Treffen mit Mac vereinbart. In seinem Leben hatte er schon schreckliche Dinge gesehen, aber das Blutbad auf diesem Flughafen übertraf alles. Ein Schutzbunker, selbst wenn es der des Antichristen war, war besser als das hier.

2

Buck hatte über alle möglichen Katastrophen berichtet, aber als Journalist hatte er keine Schuldgefühle empfunden, wenn er die Sterbenden ignoriert hatte. Normalerweise waren die Sanitäter bereits zur Stelle, wenn er am Schauplatz eintraf. Er konnte nichts weiter tun, als ihnen nicht im Weg zu stehen. Buck war stolz darauf, dass er durch seine Anwesenheit niemals den Sanitätern die Arbeit schwer gemacht hatte.

Doch nun gab es nur ihn. Als er die zahlreichen Sirenen hörte, erkannte er, dass andere Menschen woanders bereits bei der Arbeit waren, aber ganz bestimmt gab es zu wenige Helfer. Er konnte 24 Stunden am Stück nach Überlebenden suchen, doch angesichts des Ausmaßes der Katastrophe würde das kaum ins Gewicht fallen. Ein anderer würde vielleicht Chloe ignorieren, um seinen Lieben zu helfen. Diejenigen, die – wenn auch verletzt – irgendwie mit dem Leben davongekommen waren, konnten nur hoffen, dass sie jemanden fanden, der bereit war, sie zu retten.

Buck hatte nie an übersinnliche Wahrnehmungen geglaubt, nicht einmal, bevor er zum Glauben an Christus gekommen war. Doch im Augenblick empfand er eine so tiefe Sehnsucht nach Chloe, eine solche Verzweiflung allein bei dem Gedanken, dass er sie verloren haben könnte, dass er glaubte, es nicht ertragen zu können. Sie musste doch spüren, dass er an sie dachte, für sie betete, unter allen Umständen versuchte, sie zu finden und ihr zu helfen!

Nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, die verzweifelten und verwundeten Menschen, die ihm winkten oder ihm etwas zuriefen, zu ignorieren, hielt Buck den Wagen schließlich an. Die Gegend kam ihm bekannt vor. Zwar sah nichts so aus wie vor dem Erdbeben, aber die Straßenzüge, die von der bebenden Erde aufgebrochen worden waren, lagen noch in etwa derselben Anordnung da wie vorher. Die Pflasterung von Lorettas Straße stand nun senkrecht in die Höhe und blockierte den Blick auf das, was von den Häusern noch übrig geblieben war. Buck stieg aus seinem Wagen aus und kletterte auf die Asphaltmauer. Die aufgebrochene Straße war gut einen Meter dick, eingebettet in Kies und Sand auf der anderen Seite. Er griff nach oben und grub seine Finger in den weichen Teil. Nun konnte er den Block sehen, in dem sich auch Lorettas Haus befand.

Vier große Häuser hatten an diesem Straßenabschnitt gestanden. Lorettas Haus war das zweite von rechts gewesen. Der gesamte Block sah nun aus wie die Spielzeugkiste eines Kindes, die geschüttelt und schließlich ausgeschüttet worden war. Das Haus unmittelbar vor Buck war noch größer gewesen als das von Loretta. Es war aus den Fundamenten gerissen worden, nach vorn gekippt und zusammengestürzt. Das Dach war in einem Stück zur Seite gerutscht, wahrscheinlich als das Haus auf dem Boden aufschlug. Buck konnte die Dachbalken so gut erkennen, als würde er auf dem Speicher stehen. Alle vier Wände des Hauses lagen in Trümmern, der Fußboden war aufgebrochen und lag überall verteilt. An zwei Stellen ragten leblose Hände an steifen Armen aus den Trümmern heraus.

Ein hoher Baum mit einem Durchmesser von knapp eineinhalb Metern war entwurzelt worden und auf den Keller gestürzt. Wasser stand auf dem Zementboden und der Wasserstand stieg langsam immer weiter. Ein Gästezimmer in der nordöstlichen Ecke des Kellers schien seltsamerweise unversehrt. Es war aufgeräumt und ordentlich. Doch bald schon würde es unter Wasser stehen.

Buck musste sich zwingen, das nächste Haus zu betrachten – Lorettas Haus. Er und Chloe hatten nicht sehr lange dort gewohnt, aber es war ihm vertraut. Das Haus war kaum noch zu erkennen. Es schien vom Boden hochgehoben worden und dann wieder hinuntergestürzt zu sein. Das Dach war auseinandergebrochen und hatte sich über die Trümmer gelegt. Der Dachfirst befand sich nun etwa einen Meter über dem Boden. Drei große Bäume, die vor dem Haus gestanden hatten, waren über die Straße gestürzt. Ihre Äste hatten sich ineinander verfangen.

Zwischen den beiden zerstörten Häusern befand sich eine kleine Metallhütte, die sich zwar ein wenig gedreht, aber scheinbar keinen großen Schaden davongetragen hatte. Wie konnte es sein, dass so hohe Häuser durch ein Erdbeben wie Streichhölzer herumgeworfen wurden und eine kleine Hütte für Gartengeräte dieses Erdbeben unbeschadet überstand? Vermutlich war diese Hütte so beweglich gebaut, dass sie sich den Erdbewegungen hatte anpassen können.

Ein Feuerwehrwagen mit einer provisorischen Lautsprecheranlage kam langsam angefahren. Noch während Buck an der Asphaltmauer hing, hörte er die Ansage: „Bleiben Sie Ihren Häusern fern! Kehren Sie nicht in Ihre Häuser zurück! Wenn Sie Hilfe brauchen, begeben Sie sich zu einem offenen Bereich, an dem wir Sie finden können!“

Ein halbes Dutzend Polizeibeamte und Feuerwehrleute saßen in einem riesigen Leiterwagen. Ein uniformierter Beamte beugte sich aus dem Fenster. „Sind Sie in Ordnung, Kumpel?“

„Ich bin in Ordnung!“, antwortete Buck.

„Ist das Ihr Wagen?“

„Ja!“

„Den könnten wir bei den Rettungsarbeiten gut gebrauchen!“

„Ich muss versuchen, einige Menschen auszugraben!“, erklärte Buck.

Der Polizist nickte. „Aber versuchen Sie nicht, eines dieser Häuser zu betreten!“

Buck ließ sich zu Boden gleiten. Er ging auf den Feuerwehrwagen zu, der langsam zum Stehen kam. „Ich habe die Ansage gehört, aber was soll das alles?“

„Wir machen uns Sorgen wegen möglicher Plünderer und wegen der Einsturzgefahr.“

„Offensichtlich!“, erwiderte Buck. „Aber Plünderer? Sie sind die einzigen unverletzten Menschen, die mir bisher begegnet sind. Es ist nichts Wertvolles mehr übrig geblieben, und wo würde jemand seine Beute hinbringen, selbst wenn er etwas finden würde?“

„Wir führen nur Befehle aus, Sir. Versuchen Sie nicht, eines dieser Häuser zu betreten, okay?“

„Natürlich werde ich das versuchen! Ich werde mich durch die Trümmer dieses Hauses graben, um zu sehen, ob jemand, den ich kenne und liebe, noch am Leben ist.“

„Glauben Sie mir, Mann, in dieser Straße werden Sie keine Überlebenden finden. Los, verschwinden Sie hier.“

„Was wollen Sie tun? Mich verhaften? Steht denn das Gefängnis noch?“

Der Polizist wandte sich an den Fahrer. Buck wollte eine Antwort. Anscheinend war der Polizist vernünftiger als er, denn der Wagen fuhr langsam wieder an. Buck kletterte an dem hoch stehenden Straßenstück hinauf und rutschte auf der anderen Seite wieder herunter. Er versuchte, den Schlamm an seiner Hose abzuwischen, doch er klebte zwischen seinen Fingern fest. So gut es ging, klopfte er sich ab, dann eilte er zwischen den umgestürzten Bäumen hindurch zur Vorderfront des eingestürzten Hauses.

Rayford hatte den Eindruck, dass er immer weniger sehen konnte, je näher er dem Flughafen von Bagdad kam. Große Erdspalten hatten jeden Zentimeter der Landebahnen verschluckt und mehrere Meter hohe Berge von Sand und Erde aufgeworfen, die nun den Blick auf den Terminal versperrten. Rayford bekam kaum noch Luft. Zwei Jumbo-Jets, die offensichtlich voll besetzt und startbereit auf der ost-westlichen Startbahn gestanden hatten, schienen hintereinander auf die Startfreigabe gewartet zu haben, als das Erdbeben sie ineinanderwarf. Nun lagen zahlreiche leblose Körper um die Maschinen herum. Wie groß musste die Wucht des Zusammenstoßes gewesen sein, wenn so viele Menschen starben, ohne dass ein Feuer ausgebrochen war?

Aus einem breiten Graben auf der hinteren Seite des Terminals, mindestens eine Viertelmeile von Rayford entfernt, kletterten einige Überlebende aus den Überresten eines Flugzeuges, das ebenfalls regelrecht verschluckt worden war. Schwarzer Rauch stieg tief aus der Erde auf, und Rayford wusste, dass er, falls er nahe genug gewesen wäre, die Schreie von Überlebenden gehört hätte, die nicht mehr die Kraft besaßen, um herausklettern zu können. Von denen, die es schafften, rannten einige fluchtartig davon, während die anderen, vorwiegend Asiaten, wie in Trance durch die Wüste taumelten.

Der Terminal selbst, früher ein ansehnliches Gebäude aus Stahl, Holz und Glas, war in sich zusammengestürzt. Die Trümmer waren so weit verstreut, dass keiner der Pfeiler noch höher war als einen halben Meter. Hunderte von Toten lagen herum. Rayford hatte den Eindruck, durch die Hölle zu gehen.

Er wusste, wonach er suchte. Amanda war auf eine Pan Continental 747 gebucht gewesen, der Fluglinie, bei der er früher gearbeitet hatte. Sie sollte auf der großen Süd-Nord-Landebahn aufsetzen.

Falls sich das Flugzeug bei dem Erdbeben noch in der Luft befunden hatte, hätte der Pilot versucht, in der Luft zu bleiben, bis es vorüber war, dann hätte er nach einer ebenen Fläche gesucht, auf der er landen konnte. Falls das Flugzeug bei Ausbruch des Erdbebens jedoch schon gelandet war, konnte die Maschine überall in diesem Bereich stehen, der nun vollkommen in der Erde versunken und mit Sand zugedeckt war. Es war eine sehr große, lange Landebahn, aber sicherlich würde Rayford in der Lage sein, ein Flugzeug zu finden, bevor die Sonne unterging – falls es tatsächlich dort begraben war.

Es konnte natürlich auch auf einer der anderen Landebahnen heruntergekommen sein und bereits begonnen haben, zum Terminal zu rollen. Er konnte nur hoffen, dass es gut zu sehen war, und beten, dass er etwas würde tun können für den Fall, dass Amanda auf wundersame Weise überlebt hatte. Der bestmögliche Fall, abgesehen davon natürlich, dass die Maschine während des Erdbebens noch in der Luft gewesen war, wäre, dass die Maschine gelandet und entweder zum Stehen gekommen oder sehr langsam gerollt war, als das Erdbeben begann. Wenn sie sich dann noch in der Mitte der Landebahn befunden hatte, als diese von der Erde verschluckt wurde, bestand die Chance, dass die Maschine noch intakt war und aufrecht auf dem Boden stand. Aber wer wusste schon, wie lange der Sauerstoff reichen würde?

Rayford hatte den Eindruck, dass im Terminal auf einen Überlebenden zehn Tote kamen. Die Überlebenden mussten sich außerhalb des Terminals aufgehalten haben, denn im Innern des Gebäudes schien kein einziger Mensch mit dem Leben davongekommen zu sein. Die wenigen uniformierten Soldaten der Weltgemeinschaft, die mit ihren Waffen das Gebiet patrouillierten, wirkten genauso schockiert wie alle anderen. Gelegentlich warf einer von ihnen Rayford einen finsteren Blick zu, aber sie sprachen ihn nicht an, wollten nicht einmal seinen Ausweis sehen, wenn sie seine Uniform bemerkten. Mit den losen Fäden da, wo einst die Knöpfe gesessen hatten, sah er genauso aus wie jeder andere glückliche Überlebende der Crew eines Flugzeuges.

Um zu der in Frage kommenden Landebahn zu gelangen, musste Rayford an den zombiehaften, blutenden Menschen vorbei, die aus einem Krater kletterten. Er war froh, dass ihn keiner von ihnen um Hilfe bat. Die meisten schienen ihn nicht einmal zu bemerken. Einer folgte seinem Vordermann, als würde er darauf vertrauen, dass irgendjemand vorne in der Reihe eine Ahnung hätte, wo Hilfe zu finden war.

Von tief unten aus der Erdspalte hörte Rayford ein Jammern und Stöhnen, das er bestimmt nie wieder würde vergessen können. Falls er irgendwie hätte helfen können, hätte er es getan, doch er fühlte sich nur schrecklich hilflos.

Endlich erreichte er die große Landebahn. Da, direkt in der Mitte, lag der vom Sand verwehte, aber gut erkennbare Rumpf einer 747.

Eine Stunde lang würde es vielleicht noch hell sein, aber die Sonne ging bereits unter. Während Rayford am Rande der Erdspalte entlangeilte, schüttelte er den Kopf und blinzelte. Er schirmte seine Augen gegen das Licht ab und versuchte, sich auszumalen, was passiert war. Nachdem er sich der Maschine bis auf etwa 30 Meter genähert hatte, war klar, was geschehen war. Die Maschine hatte sich etwa in der Mitte der Landebahn befunden, als der Asphalt um mindestens 15 Meter abgesackt war. Das Gewicht des Asphalts hatte den Sand hochgedrückt. Die Maschine hing nun auf beiden Flügeln über dem Abgrund und drohte jeden Augenblick abzustürzen.

Irgendjemand hatte die Geistesgegenwart besessen, die Türen zu öffnen und die Notrutschen aufzublasen, aber auch die Enden der Rutschen hingen mehrere Meter über der abgesackten Landebahn in der Luft.

Wenn die Sandmauern an der Seite des Flugzeugs nur ein wenig weiter auseinandergelegen hätten, hätten die Flügel das Flugzeug keinesfalls halten können. Der Rumpf ächzte und stöhnte. Das Flugzeug würde noch weitere drei Meter tiefer stürzen können, ohne dass jemand ernstlich verletzt würde, und Hunderte könnten gerettet werden, wenn es nur gerade aufsetzte.

Rayford betete verzweifelt, dass Amanda noch gesund war. Er hoffte, dass sie noch angeschnallt gewesen war, dass das Flugzeug gestoppt hatte, bevor die Landebahn absackte. Je näher er kam, desto offensichtlicher wurde, dass das Flugzeug in Bewegung gewesen sein musste, als das Erdbeben losgebrochen war. Die Flügel hatten sich mehrere Meter tief in den Sand gegraben. Vermutlich war das der Grund dafür, dass das Flugzeug nicht in den Abgrund gestürzt war, aber es wäre ebenso tödlich für jeden gewesen, der nicht angeschnallt gewesen war.

Rayfords Mut sank, als er beim Näherkommen feststellte, dass dies keine Maschine der Pan-Con, sondern der British Airways war. Er durchlebte ein Wechselbad der Gefühle und war kaum in der Lage, die einzelnen Gefühle zu identifizieren. War er tatsächlich ein so kalter, selbstsüchtiger Mensch, dass er hoffte, seine eigene Frau hätte überlebt, und dann enttäuscht war, wenn Hunderte von Passagieren dieser Maschine vielleicht gerettet wurden? Er musste sich der hässlichen Wahrheit über sich stellen, dass ihm nämlich in erster Linie Amanda am Herzen lag. Wo war nur ihre Maschine?

Er blickte sich um. Was für ein Hexenkessel! Er hatte keine Ahnung, wo er noch nach der Pan-Con-Maschine suchen sollte. Bis er nicht sicher wusste, was Amanda zugestoßen war, würde er nicht glauben, dass sie tot war. Da er nicht wusste, wo er sonst noch suchen sollte, und auch Mac nicht anrufen und diesem mitteilen konnte, dass er ihn früher abholen sollte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Maschine der British Airways zu. In einer der geöffneten Türen stand eine Flugbegleiterin und betrachtete hilflos ihre gefährliche Position. Rayford legte die Hände an den Mund und rief ihr zu: „Ich bin Pilot! Ich glaube, ich weiß, wie wir Sie da herausbekommen können!“

„Ist irgendwo Feuer ausgebrochen?“, schrie sie zurück.

„Nein! Und Treibstoff dürfte auch nicht mehr allzu viel da sein! Sie scheinen nicht in Gefahr zu sein!“

„Die Maschine ist schrecklich instabil!“, rief sie zurück. „Soll ich alle Passagiere nach hinten schicken, damit wir nicht mit der Nase nach unten gedrückt werden?“

„Davor brauchen Sie keine Angst zu haben! Die Flügel stecken im Sand fest! Alle sollen in die Mitte des Flugzeugs kommen. Versuchen Sie, ob Sie über die Flügel aussteigen können!“

„Können wir davon ausgehen, dass sie das Gewicht aushalten?“

„Nein! Aber Sie können auch nicht darauf warten, dass eine Rettungsmannschaft Sie herausholt! Dieses Erdbeben hat die ganze Welt erschüttert, und es ist unwahrscheinlich, dass bald Hilfe eintrifft. Es könnte Tage dauern, bis man sich um Sie kümmern kann!“

„Diese Menschen wollen sofort aussteigen! Sind Sie denn sicher, dass das funktioniert?“

„Nicht hundertprozentig! Aber Sie haben keine Wahl! Bei einem Nachbeben könnte das ganze Flugzeug absacken!“

Soweit Buck wusste, hatte sich Chloe allein in Lorettas Haus aufgehalten. Seine einzige Hoffnung bestand darin zu erraten, in welchem Teil des Hauses sie sich gerade befunden hatte, als es zusammenstürzte. Ihr Schlafzimmer im ersten Stock des Hauses war nun unter einer Masse von Steinen, Tapeten, Glas, Fensterrahmen, Putz, Nägeln, Drähten und Möbeln begraben. Darauf lag noch die Hälfte des auseinandergebrochenen Daches.

Chloes Computer hatte im Keller gestanden, der nun von den beiden anderen Stockwerken des Hauses verschüttet war. Buck hatte keine Wahl. Er musste einen großen Teil des Daches forträumen und anfangen zu graben. Wenn er sie nicht im Schlafzimmer oder im Keller fand, war seine letzte Hoffnung die Küche.

Er hatte keine Stiefel, keine Handschuhe, keine Arbeitskleidung, keine Schutzbrille, keinen Helm. Alles, was er besaß, waren die schmutzigen Kleider, die er am Leibe trug, seine Straßenschuhe und seine bloßen Hände. Es war zu spät, sich über eine Tetanus-Infizierung Gedanken zu machen. Er sprang auf das Dach und kletterte daran hoch, um zu sehen, wo seine Schwachpunkte lagen und wo es auseinanderbrechen könnte. Es machte einen soliden Eindruck, wenn auch ein wenig instabil. Er rutschte wieder herunter und drückte mit all seiner Kraft gegen das Dachgesims. Doch er musste feststellen, dass er es unmöglich allein schaffen konnte. In der Hütte würde er vielleicht eine Axt oder eine Säge finden.

Die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie klemmte. Bei dem Erdbeben hatte sich die Hütte so verzogen, dass sich die Tür nicht bewegen ließ. Mit aller Kraft rammte Buck mit seiner Schulter gegen die Tür. Diese stöhnte protestierend, bewegte sich aber nicht. Sechsmal trat er dagegen, dann rammte er sie noch einmal mit der Schulter. Wieder nichts. Schließlich nahm er Anlauf, doch er rutschte auf dem Gras aus und fiel der Länge nach hin. Voller Zorn nahm er einen noch größeren Anlauf und beschleunigte langsam. Dieses Mal warf er sich mit einer solchen Wucht gegen die Tür, dass er sie aus der Verankerung riss und zusammen mit ihr zu Boden fiel. Ein gezacktes Stück des Daches verletzte ihn am Brustkorb. Er drückte die Hand auf die Verletzung und spürte etwas Feuchtes, aber wenn er sich nicht gerade eine Arterie verletzt hatte, würde er nicht aufgeben.

Er nahm Schaufeln und Äxte mit zum Haus und stützte mit den langstieligen Gartengeräten das Dach ab. Als Buck sich dagegenlehnte, hob sich der Rand des Daches und irgendetwas rutschte unter die noch verbliebenen Dachziegel. Er bearbeitete sie mit einer Schaufel und dachte darüber nach, wie lächerlich das Ganze wirkte und was sein Vater wohl sagen würde, wenn er gesehen hätte, dass er das falsche Werkzeug für den falschen Job verwendete.

Aber was sollte er sonst tun? Zeit war der wesentliche Faktor. Seine Chancen standen sowieso schlecht. Andererseits hatte es schon die merkwürdigsten Dinge gegeben. Tagelang waren Menschen unter Trümmern am Leben geblieben. Aber falls Wasser in die Fundamente des Nachbarhauses eindrang, was war dann mit diesem hier? Und wenn Chloe nun im Keller eingeschlossen war? Er betete, dass ihr Tod, falls sie schon sterben musste, schnell und schmerzlos war. Er wollte nicht, dass sie vielleicht qualvoll ertrinken müsste. Auch befürchtete er, dass sie einen elektrischen Schlag bekommen könnte, wenn die elektrischen Leitungen mit dem Wasser in Berührung kamen.

Nachdem er ein Stück des Daches entfernt hatte, schaufelte Buck die Trümmer beiseite, bis er auf größere Brocken stieß, die er mit der Hand forträumen musste. Er befand sich in einigermaßen guter Verfassung, aber er war diese Arbeit nicht gewohnt. Seine Muskeln schmerzten, er keuchte und schwitzte, als er schwere Stücke der Wand und des Fußbodens beiseiteräumte. Nur langsam kam er voran.

Buck schob Rohrleitungen aus dem Weg und warf den Deckenputz zur Seite. Schließlich tauchte das Bett auf. Es war wie ein Streichholz zusammengedrückt worden. Buck grub sich weiter zu der Stelle, an der Chloe häufig an einem kleinen Schreibtisch gesessen hatte. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, diesen Schreibtisch freizuräumen. Immer wieder rief er Chloes Namen. Wenn er innehielt, um zu Atem zu kommen, lauschte er auf das kleinste Geräusch. Würde er ein Stöhnen, einen Schrei, einen Seufzer hören? Wenn sie auch nur das leiseste Geräusch von sich gab, würde er sie finden!

Verzweiflung stieg in Buck hoch. Das ging alles viel zu langsam. Er traf auf große Stücke des Fußbodens, die viel zu schwer waren, als dass er sie hätte bewegen können. Die Entfernung zwischen den Bodenbrettern des oberen Schlafzimmers und dem Betonboden des Kellers war eigentlich gar nicht so groß. Jeder, der dazwischen eingeschlossen worden war, wäre sicherlich erdrückt worden. Aber er konnte nicht aufgeben. Wenn er allein nicht mehr weiterkam, würde er eben Tsion holen. Dieser konnte ihm helfen.

Buck nahm die Geräte mit und warf sie über die Asphaltmauer. Von dieser Seite darüberzuklettern, war sehr viel schwieriger als von der anderen Seite, weil der Schlamm sehr rutschig war. Er grub seine Füße fest in die weiche Masse und gelangte schließlich an die Stelle, von der aus er den Asphalt auf der anderen Seite der Erhöhung erreichen konnte. Er zog sich hinauf und ließ sich auf der anderen Seite hinuntergleiten. Dabei stieß er sich den Ellbogen an. Schließlich warf er die Geräte in den Kofferraum des Range Rovers und setzte sich, schmutzig wie er war, ans Steuer.

Die Sonne ging im Irak bereits unter, als mehrere Überlebende anderer Flugzeugabstürze sich zu Rayford gesellten, um die Rettung der Überlebenden der British Airways 747 zu verfolgen. Rayford stand hilflos dabei und hoffte, dass alles gut ausging. Auf keinen Fall wollte er dafür verantwortlich sein, dass sich jemand verletzte oder sogar zu Tode kam. Aber er war davon überzeugt, dass die Passagiere keine andere Chance hatten, als über den Flügel auszusteigen. Er betete, dass sie in der Lage sein würden, den steilen Sandhügel zu erklimmen.

Rayford fasste Mut, als er sah, dass die ersten Passagiere vorsichtig auf die Flügel traten. Offensichtlich hatte die Flugbegleiterin die Leute versammelt und dazu gebracht, dass sie zusammenarbeiteten. Rayfords Optimismus verwandelte sich schnell in Bestürzung, als er bemerkte, wie viel Bewegung die Passagiere verursachten und wie sich dies auf die an sich schon instabile Lage des Flugzeugs auswirkte. Das Flugzeug würde auseinanderbrechen. Was würde dann mit dem Rumpf geschehen? Falls die eine oder andere Seite zu schnell zur Seite kippte, könnten Dutzende von Menschen dabei ums Leben kommen. Diejenigen, die nicht angeschnallt waren, würden zum einen oder anderen Ende des Flugzeugs geschleudert werden.

Rayford wollte den Leuten zurufen, sie sollten sich im Flugzeug verteilen. Sie mussten sehr viel präziser und vorsichtiger zu Werke gehen. Aber es war bereits zu spät und außerdem würden sie ihn gar nicht hören. Im Inneren des Flugzeugs musste ein ohrenbetäubender Lärm herrschen. Die beiden Reisenden, die sich schon auf dem rechten Flügel befanden, sprangen noch in den Sand.

Der linke Flügel gab zuerst nach, riss aber nicht vollkommen ab. Der Rumpf drehte sich nach links, und es war klar, dass die Passagiere im Innern auch zu dieser Seite geschleudert wurden. Der hintere Teil des Flugzeugs senkte sich zuerst. Rayford konnte nur hoffen, dass der rechte Flügel rechtzeitig nachgeben würde, um dies auszugleichen. Erst im letzten Augenblick geschah dies. Doch obwohl das Flugzeug fast genau auf den Reifen landete, war es viel zu weit abgesackt. Die Passagiere in seinem Innern mussten schrecklich durcheinandergeworfen worden sein. Als der Vorderreifen platzte, bohrte sich die Nase des Flugzeuges so tief in den Asphalt, dass Unmengen Sand aufgewirbelt wurden und die Maschine verschütteten. Rayford steckte sein Telefon in die Hosentasche und zog die Jacke aus. Er und die anderen Zuschauer begannen, das Flugzeug auszugraben, damit die Passagiere genügend Sauerstoff bekamen. Innerhalb kürzester Zeit war seine Kleidung schweißgetränkt.

Die Passagiere im Flugzeug hatten ihrerseits begonnen, sich von innen auszugraben und sie trafen sich auf halbem Weg. Plötzlich hörte Rayford die Rotoren eines Hubschraubers. Wie alle anderen ging er davon aus, dass es ein Rettungshubschrauber war. Doch dann fiel es ihm wieder ein. Falls das Mac war, musste es bereits zehn Uhr sein. Machte Mac sich Sorgen um ihn oder lag ihm viel eher an einem Gespräch?

Von der Erdspalte aus rief Rayford seinen Kollegen an und erklärte diesem, er wolle sich zuerst davon überzeugen, dass niemand an Bord der 747 ums Leben gekommen sei. Mac teilte ihm mit, er würde in der Nähe des Terminals auf ihn warten.

Wenige Minuten später kletterte Rayford aus der Erdspalte. Er war froh, dass alle Passagiere überlebt hatten. Jedoch konnte er seine Jacke nicht mehr finden. Aber das war auch egal. Er nahm an, dass Carpathia ihn sowieso bald feuern würde.

Rayford ging um die Trümmer des Terminals herum zur anderen Seite. Macs Hubschrauber wartete etwa 100 Meter entfernt. Rayford nahm an, dass keine Hindernisse im Weg lagen, und beeilte sich. Amanda war nicht da und dies war ein Ort des Todes. Er konnte es kaum erwarten, den Irak zu verlassen, doch für den Augenblick genügte es ihm schon, Bagdad hinter sich zu lassen. Vielleicht kam er nicht umhin, Carpathias Schutzbunker mit diesem zu teilen, doch sobald er dazu in der Lage war, wollte er eine große Distanz zwischen sich und Nicolai legen.

Rayford ging noch schneller. Obwohl er schon Anfang 40 war, war er noch gut in Form. Doch plötzlich stolperte er. Ein Toter hatte ihm im Weg gelegen und er war der Länge nach auf einen anderen Toten gestürzt. Rayford erhob sich und rieb sich sein schmerzendes Knie. Etwas langsamer ging er zum Hubschrauber weiter.

„Lassen Sie uns losfliegen!“, sagte er, als er an Bord kletterte.

„Das brauchen Sie mir nicht zweimal zu sagen“, erwiderte Mac und ließ den Motor an. „Ich muss dringend mit Ihnen sprechen!“

Es war Nachmittag, als Buck die Trümmer des Gemeindehauses erreichte. Er stieg gerade aus der Beifahrertür aus, als ein Nachbeben die Erde erschütterte. Der Wagen wurde angehoben und Buck zu Boden geschleudert. Er drehte sich um und beobachtete, wie die Überreste des Gemeindehauses durcheinanderfielen. Die Bänke, die das erste große Beben überstanden hatten, splitterten jetzt und wurden umhergeschleudert. Buck wollte sich gar nicht vorstellen, was mit dem Leichnam von Donny Moore passiert war. Vielleicht hatte Gott seine Beerdigung selbst in die Hand genommen.

Buck machte sich Sorgen um Tsion. Hoffentlich war dieser nicht noch weiter verschüttet worden. Buck kroch zum Luftschacht. Nur über diesen Schacht bekam Tsion Sauerstoff. „Tsion! Sind Sie in Ordnung?“

Eine schwache, atemlose Stimme antwortete ihm. „Gott sei Dank, Sie sind zurückgekommen, Cameron! Ich lag hier mit der Nase beim Luftschacht, als ich das Rumpeln hörte und etwas durch den Schacht fiel. Gerade noch rechtzeitig rollte ich mich zur Seite. Hier unten liegen Teile von Ziegelsteinen. War das ein Nachbeben?“

„Ja!“

„Verzeihen Sie, Cameron, aber ich bin nun wirklich lange genug tapfer gewesen. Holen Sie mich endlich hier heraus!“

Es dauerte mehr als eine Stunde, bis Buck den Eingang zum unterirdischen Schutzbunker erreichte. Sobald er die Tür frei geräumt hatte, begann Tsion, von innen dagegenzudrücken. Gemeinsam schafften sie es, die Trümmer beiseitezuschieben. Tsion blinzelte ins Licht und atmete tief die frische Luft ein. Fest nahm er Buck in den Arm und fragte: „Was ist mit Chloe?“

„Ich brauche Ihre Hilfe.“

„Dann lassen Sie uns gehen. Irgendeine Nachricht von den anderen?“

„Es kann Tage dauern, bis die Kommunikationskanäle in den Mittleren Osten wieder stehen. Amanda müsste eigentlich mittlerweile bei Rayford sein, aber ich habe keine Ahnung, wie es ihnen geht.“

„Eines steht fest“, meinte Tsion mit seinem breiten israelischen Akzent. „Wenn Rayford sich in der Nähe von Nicolai aufhielt, dann ist ihm bestimmt nichts geschehen. In der Bibel steht ganz klar, dass der Antichrist von jetzt an noch mindestens ein Jahr am Leben bleiben wird.“

„Ich hätte nichts dagegen, wenn ich seinen Tod ein wenig beschleunigen könnte“, meinte Buck.

„Dafür wird Gott schon sorgen. Aber noch ist nicht der richtige Zeitpunkt. So schlimm es für Captain Steele sein muss, in der Nähe eines solchen Menschen zu leben, wenigstens wird ihm nichts passieren.“

Nachdem sie abgehoben hatten, setzte sich Mac McCullum über Funk mit dem Schutzbunker in Verbindung. „Wir sind noch mit Rettungsarbeiten beschäftigt und werden erst in ein oder zwei Stunden kommen. Over.“

„Roger. Ich werde den Potentat davon in Kenntnis setzen. Over.“

Rayford fragte sich, was wohl so wichtig war, dass Mac es riskierte, Nicolai Carpathia anzulügen.

Nachdem Rayford seine Kopfhörer aufgesetzt hatte, fragte Mac energisch: „Was um Himmels willen ist hier los? Was hat Carpathia vor? Und was soll das mit dem ,Zorn des Lammes‘, und was in aller Welt habe ich gesehen, als ich dachte, ich würde den Mond sehen? Ich habe schon eine Menge Naturkatastrophen miterlebt, und ich habe auch schon einige seltsame atmosphärische Phänomene gesehen, aber ich schwöre bei den Augen meiner Mutter, einen Vollmond, der so rot wie Blut war, habe ich noch nie gesehen. Wie hängt das mit dem Erdbeben zusammen?“

Endlich, dachte Rayford, dieser Bursche ist reif für den Glauben. Aber Rayford war auch verwirrt. „Ich werde Ihnen meine Meinung dazu nicht vorenthalten, Mac, aber zuerst sagen Sie mir, warum Sie glauben, ich könnte das erklären.“

„Ich spüre das. Nicht in einer Million Jahren würde ich wagen, so mit Carpathia zu sprechen, wie Sie es getan haben, obwohl auch ich merke, dass er nichts Gutes vorhat. Sie scheinen überhaupt keine Angst vor ihm zu haben. Ich hätte mich beinahe übergeben, als ich den blutroten Mond erblickte, aber Sie verhielten sich so, als wüssten Sie, dass er da sein würde.“

Rayford nickte, antwortete aber nicht sofort auf diese Bemerkung. „Ich habe eine Frage an Sie, Mac. Sie wussten, dass ich am Flughafen von Bagdad versucht habe, etwas über meine Frau oder Hattie Durham herauszufinden. Warum haben Sie mich nicht gefragt, was ich in Erfahrung gebracht habe?“

„Das geht mich nichts an, das ist alles“, erwiderte Mac.

„Kommen Sie mir nicht so! Wenn Carpathia nicht mehr weiß als ich, hätte er wissen wollen, was aus Hattie geworden ist und ob ich etwas herausgefunden habe.“

„Nein, Rayford, es ist, wie es ist. Sehen Sie, ich wusste einfach – ich meine, alle wissen –, dass es unwahrscheinlich ist, dass Ihre Frau oder Miss Durham einen Absturz überlebt haben.“

„Mac! Sie haben doch mit eigenen Augen gesehen, dass Hunderte von Menschen aus dieser 747 ausgestiegen sind. Sicher, neun von zehn Menschen sind hier gestorben, aber viele haben auch überlebt. Und wenn Sie Antworten von mir haben wollen, dann fangen Sie besser an, mir welche zu geben.“

Mac deutete auf einen freien Platz, den er mit seinem Suchscheinwerfer beleuchtet hatte. „Wir werden dort unten reden.“

Tsion hatte nur sein Telefon, seinen Laptop und Kleider zum Wechseln mitgenommen, die man ihm in sein Versteck geschmuggelt hatte. Buck wartete, bis sie neben dem aufgeworfenen Asphalt in der Nähe von Lorettas Haus geparkt hatten, bis er ihm von Donny Moore erzählte.

„Ein schlimmer Tod“, meinte Tsion. „Und er war –?“

„Derjenige, von dem ich Ihnen erzählt habe. Der Computerfachmann, der unsere Laptops zusammengeschlossen hat. Eines jener stillen Genies. Jahrelang hatte er diese Gemeinde besucht, und es war ihm schrecklich peinlich, zugeben zu müssen, dass er zwar diesen astronomischen IQ hatte und doch geistlich blind gewesen war. Er sagte, er hätte die ganze Zeit das Wesentliche des Evangeliums überhört. Und daran sei ganz allein er schuld. Bevor all diese Menschen verschwunden sind, ist seine Frau nie in den Gottesdienst mitgekommen. Sie sah keinen Sinn darin. Bei der Entrückung haben sie ihr Kind verloren. Und nachdem Donny zum Glauben gekommen war, folgte ihm auch bald seine Frau. Sie waren wirklich echte Christen.“

Tsion schüttelte den Kopf. „Wie traurig, so zu sterben. Aber jetzt sind sie wenigstens mit ihrem Kind vereint.“

„Was soll ich Ihrer Meinung nach mit seinem Aktenkoffer machen?“, fragte Buck.

„Wieso?“

„Donny muss etwas sehr Wichtiges darin aufbewahrt haben. Er hatte ihn ständig bei sich. Aber ich kenne die Zahlenkombination nicht. Sollte ich die Sache einfach auf sich beruhen lassen?“

Tsion schien tief in Gedanken versunken. Schließlich meinte er: „In einer Zeit wie dieser muss man überlegen, ob etwas darin sein könnte, das der Sache Christi dienen könnte. Der junge Mann würde wollen, dass Sie es bekommen. Wenn Sie jedoch nur persönliche Dinge darin finden, wäre es nur richtig, seine Privatsphäre zu achten.“

Tsion und Buck kletterten aus dem Rover. Sobald sie ihre Geräte über die Mauer geworfen und selbst darübergeklettert waren und sehen konnten, was von Lorettas Haus übrig geblieben war, fragte Tsion aufgeregt: „Buck! Wo ist Chloes Wagen?“

3

Rayford war sich nicht sicher, ob er McCullum trauen konnte. Mac war zweimal geschieden und gerade 50 geworden. Kinder hatte er keine. Er war ein vorsichtiger und fähiger Pilot, vertraut mit den verschiedensten Flugzeugtypen und hatte sowohl militärische als auch zivile Flugzeuge geflogen.

Mac war immer ein freundlicher, interessierter Zuhörer gewesen. Sie kannten sich noch nicht lange genug, dass Rayford von ihm mehr Entgegenkommen hätte erwarten können. Zwar war er ein kluger und sehr engagierter Mann, doch ihre Beziehung war eher oberflächlicher Natur. Mac wusste, dass Rayford Christ war, aber Mac hatte niemals das leiseste Interesse dafür gezeigt. Bis jetzt.

Rayford war klar, dass er sich in Acht nehmen musste. Mac hatte seinen Gefühlen für Carpathia endlich Ausdruck verliehen und war sogar so weit gegangen zu sagen, dass dieser „nichts Gutes im Sinn“ hatte. Aber wenn Mac nun ein Informant war und nicht nur als Pilot für Carpathia arbeitete? Wie leicht könnte er Rayford eine Falle stellen. Konnte er es wagen, Mac von seinem Glauben zu erzählen und ihm zu sagen, dass er und die Tribulation Force alles über Carpathia wussten? Und was war mit der Abhöranlage in der Condor 216? Auch wenn Mac nun Interesse für Christus zeigte, würde Rayford dieses Geheimnis für sich behalten, bis er sicher wusste, dass Mac es ehrlich meinte.