Nicolai - Jerry B. Jenkins - E-Book

Nicolai E-Book

Jerry B. Jenkins

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Beschreibung

Der Dritte Weltkrieg stürzt die Erde in einen Strudel von Tod und Chaos. Der charismatische Weltregent Nicolai Carpathia erscheint in dieser Situation als der ersehnte Retter. Doch die Mitglieder der Tribulation Force kennen sein wahres Gesicht ...

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Tim LaHaye • Jerry B. Jenkins

Nicolai

Die letzten Tage der Erde

Roman

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag

Tyndale House Publishers, Inc., Wheaton, Illinois, USA,

unter dem Titel „Nicolae“.

© 1997 by Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins

© der deutschen Taschenbuchausgabe 2007 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar

Aus dem Englischen von Eva Weyandt mit Genehmigung

von Tyndale House Publishers, Inc.

Left Behind © ist ein eingetragenes Warenzeichen

von Tyndale House Publishers, Inc.

Die Bibelstellen wurden der Einheitsübersetzung entnommen.

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart

Taschenbuch ISBN 978-3-86591-272-5

eBook ISBN 978-3-96122-108-0

Umschlaggestaltung: Hanni Plato; Chris Butler

Umschlagfoto: Brian MacDonald

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Beverly und Dianna gewidmet.

Mein besonderer Dank gilt Rennie Rees und Shannon Kurtz

Prolog: Was bisher geschah …

Seit dem großen Massenverschwinden sind mittlerweile fast zwei Jahre vergangen.

Während der Ereignisse hatte Flugkapitän Rayford Steele seinen Jumbojet mitsamt den dreihundert vollkommen verängstigten Passagieren nach Chicago zurückgeflogen. Beim Start war die Maschine bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, doch plötzlich waren mehr als hundert Sitze leer. Nur Kleider, Schmuck, Brillen, Schuhe und Strümpfe waren zurückgeblieben.

Steele selbst hat bei dem Massenverschwinden seine Frau und seinen zwölfjährigen Sohn verloren. Er und seine Tochter Chloe bleiben allein zurück.

Cameron „Buck“ Williams, Journalist einer Wochenzeitung, war ebenfalls unter den Passagieren. Wie der Pilot macht auch er sich auf die verzweifelte Suche nach der Wahrheit.

Rayford, Chloe und Buck finden durch den jungen Pastor Bruce Barnes zum Glauben an Jesus Christus. Sie schließen sich zur Tribulation Force zusammen und sind entschlossen, sich dem neuen Weltführer Nicolai Carpathia zu widersetzen, den sie für den Antichristen halten. Scheinbar über Nacht ist dieser zum Generalsekretär der Vereinten Nationen ernannt worden. Und obwohl er den größten Teil der Weltbevölkerung mit seinem Charme für sich einnimmt, kann er die Mitglieder der Tribulation Force nicht über seine wahre Identität hinwegtäuschen.

Durch eine Verquickung seltsamer Umstände arbeiten sowohl Rayford als auch Buck für Carpathia – Rayford als sein Pilot, Buck als Verleger der Weltzeitung Global Community Weekly. Carpathia weiß, dass Rayford Stelle und seine neue Frau Amanda Christen sind, allerdings ahnt er nichts von Bucks Beziehung zu ihnen oder von Bucks Glauben.

Die Tribulation Force plant ein Treffen in Chicago. Rayford fliegt Nicolai Carpathia von Neu-Babylon, der neuen Welthauptstadt, nach Washington, D. C. Da Carpathia weiß, dass eine Verschwörung gegen ihn im Gange ist, macht er widersprüchliche Angaben über seinen Aufenthaltsort.

Unterdessen haben Rayford, Amanda, Chloe und Buck erfahren, dass Bruce mit einer lebensbedrohlichen Viruserkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Auf dem Weg dorthin bricht ein Weltkrieg aus. Unter der Führung des von Carpathia entmachteten amerikanischen Präsidenten hat sich das amerikanische Militär mit Großbritannien und dem ehemals souveränen Staat Ägypten verbündet, der nun zum neu gegründeten Commonwealth des Mittleren Ostens gehört. Die vereinten Streitkräfte der Ostküste haben Washington angegriffen und zerstört.

Carpathia, dessen Hotel dem Erdboden gleichgemacht worden ist, kann sich dank seiner Täuschung in Sicherheit bringen. Seine Streitkräfte schlagen zurück, indem sie eine ehemalige Militärbasis in einem Vorort von Chicago bombardieren, die sich in der Nähe des Krankenhauses befindet, in das Bruce Barnes eingeliefert wurde. Ein Angriff auf Neu-Babylon wird abgewehrt. Auf Grund des geheimen Bündnisses zwischen Großbritannien und dem aufständischen amerikanischen Militär wird im Rahmen eines Vergeltungsschlages auch London von den Truppen der Weltgemeinschaft angegriffen.

Verzweifelt versuchen Rayford, Amanda, Buck und Chloe zum Northwest Community-Krankenhaus in Arlington Heights zu gelangen, in dem Bruce Barnes auf der Intensivstation liegt. Unterwegs hören sie die Live-Übertragung einer Ansprache des Potentaten der Weltgemeinschaft:

„Treue Bürger der Weltgemeinschaft. Mit gebrochenem Herzen trete ich heute vor Sie und kann Ihnen nicht einmal sagen, von wo aus ich spreche. Seit mehr als einem Jahr haben wir zusammengearbeitet, um diese Weltgemeinschaft unter dem Banner von Frieden und Harmonie zusammenzuhalten. Heute sind wir wieder einmal daran erinnert worden, dass es immer noch Menschen unter uns gibt, die uns auseinanderreißen wollen.

Es ist kein Geheimnis, dass ich Pazifist bin, immer war und immer sein werde. Ich glaube nicht an den Krieg. Ich glaube nicht an Waffengewalt. Ich glaube nicht an Blutvergießen. Auf der anderen Seite fühle ich mich verantwortlich für Sie, mein Bruder und meine Schwester in dieser Weltgemeinschaft.

Die Friedenstruppen der Weltgemeinschaft haben den Widerstand bereits niedergeschlagen. Der Tod von unschuldigen Zivilisten lastet schwer auf mir, doch ich bitte Sie, Ihr Urteil über alle Feinde des Friedens zu fällen. Die wunderschöne Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika ist in Schutt und Asche gelegt worden und Sie werden noch mehr Berichte von Zerstörung und Tod hören. Unser Ziel sind nach wie vor der Frieden und der Wiederaufbau. Zu gegebener Zeit werde ich in mein Hauptquartier in Neu-Babylon zurückkehren und häufig mit Ihnen in Verbindung treten.

Haben Sie vor allem keine Angst. Seien Sie versichert, dass wir eine Bedrohung des Weltfriedens nicht zulassen werden und dass kein Feind des Friedens überleben wird.“

Während Rayford versuchte, sich zum Northwest Community-Krankenhaus durchzuschlagen, meldete sich der Reporter des Cable News Network/Global Community Network-Radiosenders: „Die militärischen Kräfte, die sich gegen die Weltgemeinschaft stellen, bedrohen New York City mit Nuklearwaffen. Zivilisten fliehen aus dem Gebiet und verursachen ein Verkehrschaos, wie es die Stadt noch nicht erlebt hat. Die Friedenstruppen versuchen, die Leute zu beruhigen, und erklären, sie hätten Mittel und Möglichkeiten, Raketen abzufangen, seien aber besorgt über den Sachschaden, der in den Außenbezirken entstehen könnte.

Und nun noch eine Nachricht aus London: Eine Einhundert-Megatonnen-Bombe hat den Flughafen Heathrow zerstört und der radioaktive Niederschlag bedroht die Menschen im Umkreis von vielen Kilometern. Offensichtlich wurde die Bombe von den Friedenstruppen abgeworfen, nachdem eine Formation von ägyptischen und britischen Bombern auf einem abgelegenen Militärflughafen in der Nähe von Heathrow gesichtet worden war. Die Kriegsschiffe, die alle aus der Luft zerstört wurden, waren, wie berichtet wird, mit Nuklearwaffen bestückt und auf dem Weg nach Bagdad und Neu-Babylon.“

„Das ist das Ende der Welt“, flüsterte Chloe. „Gott helfe uns.“

Rayford war fest entschlossen herauszufinden, was mit Bruce geschehen war. Eine Fußgängerin erklärte ihm, das Krankenhaus sei „gleich hinter diesem Hügel. Aber ich weiß nicht, wie nahe man Sie heranlassen wird und was noch davon übrig ist.“

„Wurde es getroffen?“

„Ob es getroffen wurde? Mister, es liegt in unmittelbarer Nähe der alten Nike-Basis. Viele sind der Meinung, dass es den ersten Treffer abbekommen hat.“

Rayfords Mut sank, als er den Gipfel des Hügels erreichte und das Krankenhaus vor sich liegen sah. Ein Teil des hohen Gebäudes stand noch, aber der weitaus größte Teil lag in Trümmern.

„Halt!“, rief ein Wachposten. „Dieses Gebiet ist abgesperrt!“

„Ich habe eine Genehmigung!“, erwiderte Rayford und schwenkte seinen Ausweis.

Als der Wachmann zu Rayford kam, nahm er den Ausweis und sah ihn sich sorgfältig an, verglich auch das Foto mit Rayfords Gesicht. „Wow! Zweite Ebene A. Sie arbeiten für Carpathia höchstpersönlich?“

Rayford nickte und ging zum ehemaligen Vordereingang des Gebäudes. Eine Leiche nach der anderen wurde herausgebracht und mit einem Tuch abgedeckt. „Gibt es Überlebende?“, fragte Rayford einen der Männer.

„Wir hören Stimmen“, sagte der Mann. „Aber wir haben noch niemanden befreien können.“

„Helfen Sie oder gehen Sie aus dem Weg“, schimpfte eine Frau, als sie an Rayford vorbeieilte.

„Ich suche nach einem Bruce Barnes“, erklärte Rayford.

Die Frau warf einen Blick auf ihre Liste. „Sehen Sie dort nach“, sagte sie und deutete auf sechs Leichen. „Sind Sie ein Verwandter?“

„Er stand mir näher als ein Bruder.“

„Möchten Sie, dass ich nachsehe?“

Rayfords Gesicht verzerrte sich und er brachte nur mit Mühe einen Satz heraus. „Das wäre sehr nett.“

Sie kniete neben den Leichen, sah nach, während Rayford nur mühsam ein Schluchzen unterdrückte. Bei der vierten Leiche hielt sie inne, überprüfte das Armband und sah Rayford an. Er wusste sofort Bescheid. Die Tränen begannen zu fließen. Langsam zog die Frau das Tuch fort. Da lag Bruce, mit geöffneten Augen, leblos und still. Rayford rang um Fassung. Schwer hob und senkte sich seine Brust. Er streckte die Hand aus, um Bruces Augen zu schließen, doch die Schwester hinderte ihn daran: „Das kann ich nicht zulassen. Ich mache das selbst.“

„Könnten Sie nachsehen, ob noch ein Pulsschlag zu fühlen ist?“, brachte Rayford mühsam hervor.

„Oh, Sir“, antwortete sie mitfühlend. „Sie werden nicht hier herausgebracht, wenn sie nicht auch wirklich tot sind.“

„Bitte“, flüsterte er weinend. „Für mich.“

Und während Rayford im hellen Nachmittagssonnenschein in einem Vorort von Chicago stand und mit den Händen sein Gesicht bedeckte, legte eine Fremde Zeigefinger und Daumen an den Hals des Pastors. Ohne Rayford anzusehen, nahm sie die Hand fort, zog das Tuch wieder über Bruce Barnes Kopf und ging ihrer Arbeit nach. Rayfords Knie gaben nach und er kniete sich auf das schlammige Pflaster. Sirenen schrillten in der Ferne, Blaulicht blitzte überall um ihn herum und seine Familie wartete kaum einen halben Kilometer von hier entfernt. Nun gab es nur noch ihn und sie. Keinen Lehrer. Keinen Mentor. Nur noch sie vier.

Als er sich erhob und langsam den Rückweg antrat, hörte er aus jedem Wagen, an dem er vorbeiging, den Notstandssender. Washington war dem Erdboden gleichgemacht worden. Heathrow gab es nicht mehr. Viele Tote in der ägyptischen Wüste und am Himmel über London. Und nun war New York in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Der rote Reiter der Apokalypse war auf dem Vormarsch.

1

Es war wirklich eine schlimme Zeit.

Rayford Steeles Knie taten weh, als er sich hinter das Steuerrad des gemieteten Lincoln setzte. Als er erkannt hatte, dass Bruce tatsächlich tot war, hatte er sich verzweifelt auf die Knie sinken lassen. Der körperliche Schmerz, der sicherlich einige Tage anhalten würde, war jedoch unbedeutend im Vergleich zu dem Schmerz und der Trauer über den Tod seines besten Freundes.

Rayford spürte, dass Amanda ihn anblickte. Tröstend legte sie eine Hand auf seinen Oberschenkel. Auf dem Rücksitz saßen seine Tochter Chloe und ihr Mann Buck. Beide hatten ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

Und was nun?, fragte sich Rayford. Was sollen wir ohne Bruce anfangen? Wie wird es weitergehen?

Über den Notstandssender wurden weiterhin Berichte über das Chaos, die Zerstörung, die Angst und den Schrecken auf der ganzen Welt verbreitet. Rayfords Kehle war wie zugeschnürt. Zutiefst erschüttert fädelte er sich in den nicht abreißenden Verkehrsstrom ein. Warum waren all diese Menschen auf der Straße? Was erwarteten sie zu sehen? Hatten sie keine Angst vor weiteren Bomben oder nuklearem Niederschlag?

„Ich muss ins Chicagoer Büro“, sagte Buck.

„Du kannst den Wagen haben, wenn wir bei der Gemeinde angekommen sind“, brachte Rayford mühsam heraus. „Ich muss den anderen sagen, dass Bruce tot ist.“

Die Friedenstruppen der Weltgemeinschaft überwachten die örtliche Polizei und die Einsatzkräfte, die den Verkehr regelten, und versuchten, die Menschen dazu zu bringen, nach Hause zurückzukehren. Rayford verließ sich auf seine Ortskenntnis. Jahrelang hatte er hier in dieser Stadt gelebt und kannte viele Schleichwege und Seitenstraßen, auf denen er die hoffnungslos überfüllten Hauptverkehrsstraßen umgehen konnte.

Rayford fragte sich, ob er nicht vielleicht doch Bucks Angebot, den Wagen zu fahren, hätte annehmen sollen. Aber er hatte nicht schwach erscheinen wollen. Er schüttelte den Kopf. Das Ego eines Piloten kennt wirklich keine Grenzen! Am liebsten hätte er sich zusammengerollt und in den Schlaf geweint.

Fast zwei Jahre nachdem seine Frau und sein Sohn mit Millionen von anderen Menschen verschwunden waren, hatte Rayford keinerlei Illusionen mehr darüber, was ihn erwartete. Er war am Boden zerstört gewesen und tiefer Schmerz und tiefe Reue drückten ihn nieder. Alles war so schwer …

Rayford wusste, dass sein Leben noch schlimmer hätte verlaufen können. Angenommen, er wäre kein Christ geworden und noch immer auf ewig verloren. Angenommen, er hätte keine neue Liebe gefunden und wäre noch immer allein. Angenommen, Chloe sei auch entrückt worden. Oder er hätte Buck nie kennen gelernt. Es gab so vieles, für das er dankbar sein konnte. Wäre nicht die körperliche Berührung der drei anderen im Wagen gewesen, hätte Rayford vermutlich nicht den Willen gehabt, weiterzumachen.

Er konnte sich kaum vorstellen, Bruce Barnes nicht kennen und wie einen Bruder lieben gelernt zu haben. Von Bruce hatte er mehr gelernt als von allen anderen Menschen, die er kannte. Aber es war nicht nur Bruces Wissen, das ihre Beziehung zu etwas Besonderem gemacht hatte. Es war seine Begeisterung. Bruce hatte sofort erkannt, dass er die größte Wahrheit, die den Menschen je übermittelt worden war, nicht angenommen hatte, und er wollte diesen Fehler nicht noch einmal machen.

„Daddy, ich glaube, die beiden Polizisten dort drüben winken dir“, sagte Chloe.

„Ich bemühe mich, sie zu ignorieren“, erwiderte Rayford. „Alle diese Möchtegerne glauben zu wissen, wie der Verkehr laufen sollte. Wenn wir auf sie hören, werden wir noch Stunden brauchen. Ich möchte einfach nur zum Gemeindehaus kommen.“

„Er spricht jetzt über Megafon“, meinte Amanda und öffnete das Fenster einen Spalt.

„Sie in dem weißen Lincoln!“, ertönte eine Stimme. Schnell schaltete Rayford das Radio ab. „Sind Sie Rayford Steele?“

„Woher wissen die das?“, wunderte sich Buck.

„Gibt es für den Geheimdienst der Weltgemeinschaft denn irgendwelche Grenzen?“, erwiderte Rayford angewidert.

„Wenn Sie Rayford Steele sind“, fuhr die Stimme fort, „fahren Sie bitte an den Straßenrand und halten Sie an.“

Rayford überlegte, ob er auch diese Aufforderung ignorieren sollte, aber er entschied sich dagegen. Man konnte diesen Menschen nicht entkommen, wenn sie wussten, wer man war. Aber woher wussten sie es?

Er lenkte den Wagen an den Straßenrand.

Buck Williams nahm seine Hand von Rayfords Schulter und verrenkte sich den Hals, um die beiden uniformierten Soldaten zu beobachten, die den Seitenstreifen entlangkamen. Er hatte keine Ahnung, wie die Streitkräfte der Weltgemeinschaft Rayfords Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatten, aber eines war sicher: Es wäre nicht gut für ihn, wenn er mit Carpathias Pilot zusammen gesehen würde.

„Ray“, sagte er schnell, „ich habe einen gefälschten Ausweis bei mir, der auf den Namen Herb Katz ausgestellt ist. Sag ihnen, ich sei ein Kollege von dir oder so etwas.“

„In Ordnung“, erwiderte Rayford, „aber ich denke, sie werden sehr freundlich zu mir sein. Offensichtlich versucht Nicolai, Kontakt zu mir aufzunehmen.“

Buck hoffte, dass Rayford recht hatte. Natürlich wollte sich Carpathia nur vergewissern, dass seinem Piloten nichts geschehen war und er ihn sicher nach Neu-Babylon zurückfliegen konnte. Die beiden Offiziere standen nun hinter dem Lincoln. Der eine sprach in ein Funksprechgerät, der andere telefonierte über sein Handy. Buck beschloss, die Initiative zu ergreifen, und öffnete seine Tür.

„Bitte bleiben Sie im Wagen“, sagte der Soldat mit dem Funksprechgerät.

Buck ließ sich wieder in seinen Sitz sinken und vertauschte seinen echten Ausweis mit einem gefälschten. Chloe sah ihm außer sich vor Angst zu. Buck legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. „Carpathia muss alle Hebel in Bewegung gesetzt haben. Er wusste, dass dein Vater sich einen Leihwagen nehmen würde, und so war es nicht schwierig, ihn ausfindig zu machen.“

Buck hatte keine Ahnung, was die beiden Soldaten der Weltgemeinschaft hinter dem Wagen machten. Er wusste nur, dass sich seine Sicht der kommenden fünf Jahre in einem einzigen Augenblick verändert hatte. Als eine Stunde zuvor der Weltkrieg ausgebrochen war, hatte er sich gefragt, ob er und Chloe die Trübsalszeit überleben würden. Da Bruce nun tot war, fragte sich Buck, ob sie überhaupt überleben wollten. Die Aussicht auf den Himmel und das Zusammensein mit Christus schien ganz eindeutig besser als das Leben auf dem, was von dieser Welt noch übrig geblieben war, auch wenn das bedeutete, dass Buck vorher sterben musste, um dorthin zu gelangen.

Der Offizier mit dem Funksprechgerät kam zur Fahrerseite. Rayford öffnete es. „Sie sind doch Rayford Steele, nicht wahr?“

„Das hängt davon ab, wer mich das fragt“, erwiderte Rayford.

„Der Wagen mit dieser Zulassungsnummer wurde am Flughafen O’Hare von jemandem gemietet, der sich als Rayford Steele auswies. Wenn Sie das nicht sind, dann sind Sie in großen Schwierigkeiten.“

„Würden Sie nicht sagen“, meinte Rayford, „dass wir momentan alle in großen Schwierigkeiten sind, ungeachtet der Frage, wer ich nun bin?“

Buck amüsierte sich über Rayfords Schlagfertigkeit angesichts der Situation, in der sie sich befanden.

„Sir, ich muss wissen, ob Sie Rayford Steele sind.“

„Das bin ich.“

„Können Sie das beweisen, Sir?“

Noch nie hatte Buck Rayford so aufgebracht erlebt. „Erst winken Sie mich aus dem Verkehrsstrom, dann sagen Sie mir, ich würde Rayford Steeles Leihwagen fahren, und nun soll ich Ihnen auch noch beweisen, dass ich der bin, für den Sie mich halten?“

„Sir, Sie müssen meine Situation verstehen. Ich habe den Führer der Weltgemeinschaft, Carpathia höchstpersönlich, in der Leitung des Handys. Ich weiß nicht einmal, von wo aus er anruft. Wenn ich jemandem dieses Telefon in die Hand gebe und dem Potentaten sage, es sei Rayford Steele, dann ist es besser auch Rayford Steele.“

Buck war froh, dass Rayfords Katz-und-Maus-Spiel die Aufmerksamkeit von den anderen im Wagen abgelenkt hatte, doch die Freude war nicht von langer Dauer. Rayford holte seine Brieftasche aus der Jacke und reichte dem Offizier seinen Ausweis. Dieser sah ihn sich sehr genau an und fragte dann interessiert: „Und die anderen?“

„Familie und Freunde“, erwiderte Rayford. „Wir wollen den Potentaten nicht warten lassen.“

„Ich muss Sie bitten, diesen Telefonanruf außerhalb des Wagens entgegenzunehmen, Sir. Sie verstehen sicher das Sicherheitsrisiko.“

Rayford seufzte und stieg aus. Buck wünschte, der Offizier mit dem Funksprechgerät würde ebenfalls verschwinden, doch dieser machte nur Rayford Platz und verwies ihn mit einer Handbewegung an seinen Partner, der das Handy hielt. Dann beugte er sich in den Wagen und sprach Buck an. „Für den Fall, dass wir Captain Steele zu einem Treffpunkt bringen müssen, Sir, wären Sie in der Lage, sich des Wagens anzunehmen?“

Sprechen alle uniformierten Menschen so?, fragte sich Buck. „Sicher.“

Amanda beugte sich vor. „Ich bin Mrs Steele“, sagte sie. „Ich werde Mr Steele begleiten, wo immer er hingeht.“

„Das wird der Potentat entscheiden“, erwiderte der Soldat, „vorausgesetzt, es ist noch Platz im Hubschrauber.“

„Jawohl, Sir“, sagte Rayford ins Telefon, „wir sehen uns dann.“

Rayford reichte dem zweiten Soldaten das Handy. „Wie werden wir zum Treffpunkt kommen, wo immer der sein mag?“

„Ein Hubschrauber wird jeden Augenblick eintreffen.“

Rayford bedeutete Amanda, mit der Fernbedienung den Kofferraum zu öffnen, aber noch im Wagen sitzen zu bleiben. Nachdem er das Gepäck herausgeholt hatte, beugte er sich zu ihrem Fenster hinunter und flüsterte: „Amanda und ich müssen uns mit Carpathia treffen, aber er hat noch nicht einmal mir gesagt, wo er war und wo wir hingebracht werden. So sicher ist das Telefon dann doch nicht. Ich habe das Gefühl, dass der Treffpunkt nicht so weit von hier entfernt ist. Es kann natürlich auch sein, sie schaffen uns mit dem Hubschrauber zu einem Flughafen, von wo aus wir dann weiterfliegen. Buck, du solltest diesen Wagen besser so schnell wie möglich wieder zurückbringen. Sonst wirst du vielleicht noch mit mir in Verbindung gebracht.“

Fünf Minuten später befanden sich Rayford und Amanda bereits in der Luft. „Haben Sie eine Ahnung, wohin wir fliegen?“, fragte Rayford einen seiner Begleiter.

Der Soldat klopfte dem Hubschrauberpilot auf die Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, und rief: „Dürfen wir sagen, wohin wir fliegen?“

„Nach Glenview!“, rief der Pilot zurück.

„Aber der Militärflughafen in Glenview ist doch schon seit Jahren geschlossen“, erwiderte Rayford.

Der Hubschrauberpilot drehte sich um und sah ihn an. „Die große Landebahn ist noch offen! Unser Mann wartet schon auf uns!“

Amanda beugte sich zu Rayford hinüber. „Carpathia ist in Illinois?“

„Wahrscheinlich hat er Washington bereits vor dem Angriff verlassen. Ich dachte, man hätte ihn vielleicht in einen der bombensicheren Luftschutzbunker im Pentagon oder des nationalen Sicherheitsrates gebracht, aber sein Geheimdienst muss vermutet haben, dass diese Gebäude als Erste angegriffen werden würden.“

„Das erinnert mich an die erste Zeit unserer Ehe“, sagte Buck, als Chloe sich an ihn kuschelte.

„Was meinst du mit ,die erste Zeit unserer Ehe‘? So lange sind wir doch noch gar nicht verheiratet!“

„Schsch!“, sagte Buck schnell. „Was wird da über New York City gesagt?“

Chloe stellte das Radio lauter. „… überall hier im Herzen von Manhattan schreckliche Zerstörung. Ausgebombte Gebäude, Rettungsfahrzeuge, die sich ihren Weg durch die Trümmer bahnen, Hilfskräfte der Bürgerwehr, die die Leute über Lautsprecher auffordern, ihre Häuser nicht zu verlassen.“

Buck hörte die Panik in der Stimme des Reporters, als dieser fortfuhr: „Ich selbst befinde mich im Augenblick auf der Suche nach Schutz, aber vermutlich ist es bereits zu spät, dem radioaktiven Niederschlag zu entkommen. Niemand weiß, ob es sich um nukleare Sprengköpfe handelte oder nicht, aber alle Bewohner werden dringend gebeten, kein Risiko einzugehen. Der entstandene Sachschaden geht in die Milliarden. Das Leben hier wird nie mehr dasselbe sein. So weit das Auge reicht, gibt es hier überall nur noch Zerstörung und Chaos.

Alle wichtigen Verkehrszentren sind, soweit sie nicht zerstört wurden, geschlossen worden. Riesige Verkehrsstaus haben sich im Lincoln-Tunnel und auf allen wichtigen Ausfallstraßen New York Citys gebildet. Die ehemalige Hauptstadt der Welt sieht aus wie eine Szene aus einem Katastrophenfilm. Und nun zurück zu ,Cable News/Global Community News Network‘ in Atlanta.“

„Buck“, rief Chloe, „unser Zuhause. Wo sollen wir jetzt wohnen?“

Buck antwortete nicht. Er starrte auf den Verkehr und wunderte sich über die dichten Rauchwolken über Mount Prospect. Es sah Chloe ähnlich, sich Gedanken über ihre Wohnung zu machen. Buck war dies weniger wichtig. Er konnte überall leben und er hatte ja auch schon überall gelebt. Solange er Chloe und einen Unterschlupf hatten, war alles in Ordnung. Aber ihr war ihre exklusive Wohnung in der Fifth Avenue sehr wichtig.

„Vermutlich wird tagelang niemand nach New York hineingelassen, vielleicht sogar noch länger nicht. Wahrscheinlich werden wir nicht einmal unsere Fahrzeuge benutzen dürfen, falls sie denn überhaupt noch fahrtüchtig sind.“

„Was sollen wir denn jetzt machen, Buck?“

Buck wünschte, er wüsste, was er darauf antworten sollte. Normalerweise hatte er immer eine Antwort parat. Seine Cleverness hatte entscheidend dazu beigetragen, dass er beruflich so weit gekommen war. Egal, welches Hindernis sich ihm auch in den Weg gestellt hatte, irgendwie war es ihm gelungen, jede Situation zu meistern. Doch nun, wo er seine junge Frau an seiner Seite hatte und nicht wusste, wo sie leben oder wie sie durchkommen sollten, war er ratlos. Wie gerne hätte er gewusst, ob sein Schwiegervater und Amanda in Sicherheit waren. Er hatte keinen größeren Wunsch, als nach Mount Prospect zu kommen, um zu sehen, was dort vorging, und die Mitglieder der New Hope Village Church über die Tragödie zu informieren, der ihr geliebter Pastor zum Opfer gefallen war.

Buck hatte Verkehrsstaus schon immer gehasst, aber das hier war einfach lächerlich. Seine Muskeln spannten sich und seine Hände umklammerten das Lenkrad. Der Wagen war nicht gerade brandneu, aber er ließ sich gut fahren. Als er sich in dem Verkehrsgewimmel zentimeterweise vorwärtsschob, wirkte der leistungsstarke Motor unter der Motorhaube wie ein Hengst, der sich nur schwer bändigen ließ.

Plötzlich wurde ihr Wagen durch eine heftige Explosion beinahe durch die Luft geschleudert. Buck hätte sich nicht gewundert, wenn die Fenster des Wagens zersplittert wären. Chloe schrie auf und barg ihren Kopf an Bucks Brust. Buck suchte die Umgebung nach der Ursache der Explosion ab. Mehrere Wagen in ihrer Nähe fuhren schnell an die Seite. Im Rückspiegel entdeckte Buck eine muschelförmige Wolke, die langsam aufstieg. Er vermutete die Ursache der Explosion in der Nähe des Flughafens O’Hare, mehrere Meilen entfernt.

CNN/GCN berichtete fast unmittelbar von der Explosion. „Und nun noch folgende Meldung aus Chicago: Unsere dortige Nachrichtenstation ist durch eine gewaltige Explosion zerstört worden. Bisher ist noch nicht bekannt, ob es ein Angriff der Militärstreitkräfte oder ein Vergeltungsschlag der Weltgemeinschaft war. Wir bekommen so viele Berichte von kriegerischen Auseinandersetzungen, Blutvergießen, Zerstörung und Tod in so vielen Hauptstädten auf der ganzen Welt, dass es unmöglich sein wird, Sie über alles auf dem Laufenden zu halten …“

Buck blickte sich schnell um. Sobald der Wagen vor ihm ein wenig weitergefahren war, riss er das Lenkrad herum und drückte das Gaspedal durch. Chloe hielt die Luft an, als der Wagen einen Satz machte und über die Straße schoss. Auf dem Seitenstreifen fuhr er an den sich langsam vorwärtsbewegenden Wagen vorbei.

„Was tust du da, Buck?“, rief Chloe und klammerte sich an das Armaturenbrett.

„Ich weiß nicht, was ich tue, Liebling, aber eins weiß ich ganz genau: Ich werde nicht hier in dem Verkehrschaos versauern, während die Welt untergeht!“

Der Soldat, der Rayford von der Straße gewunken hatte, holte nun das Gepäck der Steeles aus dem Hubschrauber. Er führte die beiden über ein kurzes Rollfeld zu einem einstöckigen Gebäude am Ende einer langen Rollbahn. In den Rissen der Landebahn wucherte das Unkraut. Ganz in der Nähe des Hubschraubers stand ein kleiner Learjet, aber im Cockpit konnte Rayford niemanden erkennen. Auch schien der Motor abgestellt zu sein.

„Ich hoffe, niemand erwartet von mir, dieses Ding da zu fliegen!“, rief er Amanda zu, während sie das Haus betraten.

„Keine Sorge“, erwiderte ihre Begleitung. „Der Pilot, der es hergeflogen hat, wird Sie so schnell wie möglich nach Dallas bringen zu dem großen Flugzeug, das Sie dort übernehmen werden.“

Rayford und Amanda wurden in ein kleines, schäbig eingerichtetes Büro gebracht, in dem grellbunte Plastikstühle standen. Rayford setzte sich und massierte seine Knie. Amanda ging ruhelos umher und blieb erst stehen, als ihre Begleitung sie aufforderte, sich hinzusetzen. „Darf ich auch stehen bleiben?“, fragte sie ungehalten.

„Wie Sie möchten. Bitte warten Sie hier einen Moment auf den Potentaten.“

Die Verkehrspolizisten fuchtelten wild mit den Armen und schrien, die anderen Autofahrer hupten und machten wütende Handbewegungen. Doch Buck ließ sich davon nicht abschrecken. „Was hast du vor?“, fragte Chloe erneut.

„Ich brauche einen neuen Wagen“, antwortete er. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das unsere einzige Überlebenschance ist.“

„Wovon sprichst du überhaupt?“

„Verstehst du denn nicht, Chloe?“, erklärte er. „Dieser Krieg ist gerade erst ausgebrochen. Und er wird bestimmt noch eine ganze Weile andauern. Es wird unmöglich sein, sich in einem normalen Fahrzeug fortzubewegen.“

„Und was willst du machen? Vielleicht einen Panzer kaufen!?“

„Wenn es nicht so auffallend wäre, würde ich das vielleicht tun.“

Buck überquerte eine große Wiese, kam an einen Parkplatz und fuhr zwischen Tennisplätzen hindurch und über das Fußballfeld einer Highschool. Der Wagen schlingerte, Staub und Gras wurden aufgewirbelt. Ununterbrochen wurden im Radio Nachrichten von Todesopfern und Chaos weitergegeben. Buck hoffte nur, dass er in die richtige Richtung fuhr. Er wollte zum Northwest Highway, wo sich in einem Gewerbegebiet eine Reihe von Autohändlern niedergelassen hatten.

Eine letzte Kurve und er entdeckte vor sich, was sein Lieblings-Verkehrsreporter gewöhnlich als „verdammt dichter, stockender Verkehr auf dem Northwest Highway“ bezeichnete. Er war nicht in bester Stimmung, darum machte er erst gar nicht den Versuch, sich in den Verkehr einzufädeln. Mehr als eine Meile weit fuhr er auf dem weichen, grasbewachsenen Seitenstreifen an wütenden Autofahrern vorbei, bis er endlich zu dem Gewerbegebiet gelangte.

„Bingo!“, sagte er.

Rayford wunderte sich über Nicolai Carpathias Verhalten und fühlte, dass es Amanda genauso ging. Der erstaunliche junge Mann, der mittlerweile schon Mitte dreißig war, war anscheinend gegen seinen eigenen Willen über Nacht zum Weltherrscher gemacht worden. Als unbekannter Parlamentsabgeordneter Rumäniens war er zum Präsidenten dieses Landes gewählt worden. Kurze Zeit später hatte er den Platz des Generalsekretärs der Vereinten Nationen eingenommen. Nach fast zwei Jahren des Friedens und einer überwiegend erfolgreichen Kampagne, mit der Carpathia nach dem großen Massenverschwinden die verängstigten Menschen für sich zu gewinnen suchte, wurde ihm nun zum ersten Mal ernst zu nehmender Widerstand entgegengebracht.

Rayford wusste nicht, welche Reaktion er von seinem Chef zu erwarten hatte. Würde er verletzt, beleidigt, wütend sein? Nichts von alledem schien zutreffend. Als er gemeinsam mit Leon Fortunato das Büro auf der ehemaligen Militärbasis in Glenview betrat, schien Carpathia erregt, ja sogar beinahe in Hochstimmung zu sein.

„Captain Steele!“, rief Carpathia erfreut. „Al-, äh, An-, äh, Mrs Steele, wie schön, Sie beide wohlbehalten hier zu sehen!“

„Ich heiße Amanda“, korrigierte Amanda ihn spitz.

„Verzeihen Sie, Amanda“, entschuldigte sich Carpathia und nahm ihre Hände in seine. Rayford bemerkte, wie reserviert seine Frau reagierte. „In der ganzen Aufregung, Sie verstehen …“

Aufregung, dachte Rayford. Der Dritte Weltkrieg ist doch sicher mehr als nur „Aufregung“.

Carpathias Augen funkelten und er rieb sich die Hände, als wäre er von den Vorgängen begeistert. „Also, Leute“, sagte er, „wir müssen uns auf den Heimweg machen.“

Rayford wusste, dass Carpathia mit „Heim“ Neu-Babylon meinte, heim zu Hattie Durham, heim zur Suite 216 und zu seinen luxuriös ausgestatteten Büros in dem extravaganten Sitz der Weltgemeinschaft. Obwohl Rayford und Amanda eine geräumige zweistöckige Wohnung in dem aus vier Gebäuden bestehenden Komplex bewohnten, hatten sie Neu-Babylon niemals als ihr Zuhause betrachtet.

Sich noch immer die Hände reibend, so als könnte er es kaum erwarten, aktiv zu werden, wandte sich Carpathia an den Offizier mit dem Funksprechgerät. „Wie ist der Stand der Dinge?“

Der uniformierte Offizier schien erstaunt, dass Carpathia ihn direkt ansprach. Er riss sich den Kopfhörer aus dem Ohr und stammelte: „Wie bitte? Ich meine, Verzeihung, Mr Potentat.“

Carpathia blickte dem Mann in die Augen. „Wie ist der Stand der Dinge? Was geht vor?“

„Äh, nichts Besonderes, Sir. Viel Aktivität und Zerstörung in den großen Städten.“

Rayford hatte den Eindruck, als würde sich Carpathia dazu zwingen müssen, einen betrübten Gesichtsausdruck zu Stande zu bringen. „Aktivitäten vor allem im Mittelwesten und an der Ostküste?“, fragte der Potentat.

Der Soldat nickte. „Und auch im Süden“, fügte er hinzu.

„Also nichts an der Westküste“, sagte Carpathia. Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Der Soldat nickte. Rayford fragte sich, ob außer ihm und Amanda, die Carpathia für den Antichristen hielten, sonst noch jemand in Carpathias Gesichtsausdruck die Befriedigung, ja fast die Freude bemerken konnte. „Was ist mit dem Flughafen Dallas/Fort Worth?“

„Fort Worth hat ein wenig gelitten“, informierte ihn der Soldat. „Nur noch eine Landebahn ist offen. Landungen gibt es wenige, dafür aber umso mehr Starts.“

Carpathia blickte Rayford an. „Und was ist mit dem Militärflughafen hier in der Nähe, wo mein Pilot seine Zulassungsprüfung für die 757 abgelegt hat?“

„Ich glaube, er ist noch in Betrieb“, sagte der Soldat.

„In Ordnung, sehr gut“, erwiderte Carpathia. Er wandte sich an Fortunato. „Ich bin sicher, dass niemand unseren Aufenthaltsort kennt, aber falls doch, was haben Sie für mich?“

Fortunato öffnete seine Baumwolltasche, die Rayfords Meinung nach bei ihm vollkommen fehl am Platze wirkte. Offensichtlich hatte er als Verkleidung für Carpathia übrig gebliebene Kleidungsstücke der Air Force zusammengesucht. Aus der Tasche holte er eine Mütze und einen weiten Mantel hervor, die überhaupt nicht zueinander zu passen schienen. Carpathia nahm die Sachen entgegen und bedeutete den anderen vier im Raum, sich um ihn zu sammeln. „Wo ist der Jetpilot?“, fragte er.

„Er wartet draußen vor der Tür auf Ihre Anweisungen, Sir“, antwortete Fortunato.

Carpathia deutete auf den bewaffneten Soldaten. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie können nun mit dem Hubschrauber auf Ihren Posten zurückkehren. Mr Fortunato, die Steeles und ich werden zu einem neuen Flugzeug geflogen werden, mit dem Captain Steele mich nach Neu-Babylon zurückbringen wird.“

Rayford meldete sich zu Wort. „Und das steht in –?“

Carpathia hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Wir wollen unserem jungen Freund hier doch keine Informationen geben, die er für sich behalten müsste“, sagte er und lächelte den Soldaten an. „Sie können gehen.“ Während der Mann sich eilig entfernte, sprach Carpathia leise mit Rayford. „Die Condor 216 wartet in der Nähe von Dallas auf uns. Wir werden dann erst nach Westen fliegen, um in den Osten zu kommen, falls Sie verstehen, was ich meine.“

„Ich habe noch nie von einer Condor 216 gehört“, sagte Rayford. „Vermutlich habe ich gar keine Qualifikation, um –“

„Man hat mir versichert“, unterbrach ihn Carpathia, „dass Sie mehr als qualifiziert sind.“

„Aber was ist denn eine Condor 2–“

„Eine Maschine, die ich selbst entworfen und benannt habe“, erklärte Carpathia. „Sicher sind Sie nicht der Meinung, dass das, was heute hier passiert ist, für mich eine Überraschung ist?“

„Ich lerne“, sagte Rayford und warf Amanda, die vor Wut zu kochen schien, vorsichtig einen Blick zu.

„Ja, Sie lernen dazu“, wiederholte Carpathia und lächelte breit. „Das gefällt mir. Kommen Sie, ich möchte Ihnen unterwegs alles über mein spektakuläres neues Flugzeug erzählen.“

Fortunato hob warnend den Zeigefinger. „Sir, ich empfehle, dass Sie und ich nun zusammen zur Startbahn laufen und den Jet besteigen. Die Steeles sollten uns folgen, wenn sie sehen, dass wir an Bord gehen.“

Carpathia schob sich die große Mütze in die Stirn und stellte sich hinter Fortunato, der die Tür öffnete und dem wartenden Jet-Piloten zunickte. Der Mann setzte sich sofort in Bewegung und rannte zu dem Learjet. Fortunato und Carpathia folgten wenige Meter hinter ihm. Rayford legte einen Arm um Amandas Taille und zog sie an sich.

„Rayford“, sagte Amanda, „hast du auch nur einmal gehört, dass Carpathia sich versprochen hätte?“

„Was meinst du?“

„Dass er gestottert, gestammelt hat, ein Wort wiederholen musste oder einen Namen vergessen hat?“

Rayford unterdrückte ein Lächeln. Er wunderte sich, dass er sich an einem Tag, der sehr gut der letzte seines Lebens sein konnte, noch über etwas amüsieren konnte. „Abgesehen von deinem Namen, meinst du?“

„Er tut das absichtlich und du weißt es“, entgegnete sie.

Rayford zuckte die Achseln. „Vermutlich hast du recht. Aber aus welchem Grund?“

„Ich habe keine Ahnung“, entgegnete sie.

„Liebling, findest du es nicht seltsam, dass du dich von einem Mann beleidigt fühlst, den wir für den Antichristen halten?“ Amanda starrte ihn an. „Ich meine“, fuhr er fort, „überleg doch mal. Du erwartest Höflichkeit und gutes Benehmen von dem bösartigsten Mann der Weltgeschichte?“

Amanda schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. „Wenn du es so ausdrückst“, murmelte sie, „bin ich vermutlich ein wenig überempfindlich.“

Buck saß im Büro des Verkaufsleiters einer Landrover-Niederlassung. „Du erstaunst mich immer wieder“, flüsterte Chloe.

„Ich bin noch nie so gewesen wie alle anderen, nicht wahr?“

„Wohl kaum, und jetzt ist vermutlich alle Hoffnung auf Normalität geschwunden, nicht?“

„Ich muss mich aber doch wohl nicht dafür entschuldigen, dass ich so unkonventionell bin“, sagte er, „schon bald werden alle Menschen überall sehr impulsiv handeln.“

Der Verkaufsleiter, der sich mit einigen Papieren beschäftigt hatte, um den Preis zu errechnen, reichte die Papiere nun an Buck weiter. „Sie wollen den Lincoln also nicht in Zahlung geben?“

„Nein, der ist nur gemietet“, erwiderte Buck. „Aber ich möchte Sie bitten, ihn für mich zum Flughafen zurückzubringen.“ Buck sah den Mann an und ignorierte die Papiere.

„Das ist höchst ungewöhnlich“, sagte der Verkaufsleiter. „Ich werde zwei meiner Leute und einen zusätzlichen Wagen losschicken müssen, damit sie auch wieder zurückkommen können.“

Buck erhob sich. „Vermutlich erwarte ich zu viel. Ein anderer Händler wird sicherlich gern bereit sein, die kleine Fahrt auf sich zu nehmen, um mir einen Wagen zu verkaufen, vor allem in einer Zeit, in der niemand weiß, was der morgige Tag bringen wird.“

„Setzen Sie sich wieder, Mr Williams. Mein Vorgesetzter wird sicherlich nichts dagegen haben, dass wir Ihnen diesen kleinen Gefallen tun. Wie Sie sehen können, werden Sie innerhalb einer Stunde mit Ihrem vollgetankten Range Rover von hier aufbrechen können.“

„Machen wir eine halbe Stunde daraus“, sagte Buck, „und das Geschäft ist perfekt.“

Der Verkaufsleiter erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. „Abgemacht.“

2

Der Learjet bot Platz für sechs Personen. Carpathia und Fortunato waren ins Gespräch vertieft und ignorierten Rayford und Amanda, als diese an ihnen vorbeigingen. Die Steeles ließen sich auf die letzten beiden Sitze sinken und hielten sich an den Händen. Rayford wusste, dass diese Situation für Amanda vollkommen neu war. Auch für ihn war sie neu. Das war sie eigentlich für jeden Menschen auf der Welt. Amanda drückte seine Hand so fest, dass seine Finger weiß wurden. Sie zitterte.

Carpathia drehte sich zu ihnen um. Wieder lag dieser Ausdruck unterdrückten Amüsements auf seinem Gesicht, den Rayford angesichts der Situation so vollkommen deplatziert fand. „Ich weiß, Sie dürfen diese kleinen Dinger nicht fliegen“, sagte Carpathia, „aber vielleicht können Sie auf dem Sitz des Copiloten einiges lernen.“

Rayford machte sich viel mehr Gedanken um die Maschine, die er in Dallas übernehmen sollte – ein Flugzeug, von dem er noch nicht einmal gehört hatte. Er blickte Amanda an und hoffte, sie würde ihn bitten, bei ihr zu bleiben, doch sie ließ schnell seine Hand los und nickte. Rayford ging zum Cockpit, das durch eine dünne Wand vom Passagierraum abgetrennt war. Er setzte sich auf den Platz des Copiloten und sah den Piloten entschuldigend an. Dieser streckte ihm die Hand hin und stellte sich vor: „Chico Hernandez, Captain Steele. Keine Angst, ich bin die Checkliste bereits durchgegangen. Ich brauche wirklich keine Hilfe.“

„Ich wäre Ihnen sowieso keine Hilfe“, entgegnete Rayford. „Seit Jahren habe ich keine Maschinen mehr geflogen, die kleiner waren als die 707.“

„Im Vergleich zu dem, was Sie sonst fliegen“, sagte Hernandez, „wird Ihnen diese Maschine eher wie ein Motorroller vorkommen.“

Und genauso war es. Der Learjet heulte auf, als Hernandez vorsichtig auf die Rollbahn rollte. Innerhalb von wenigen Sekunden schienen sie die Höchstgeschwindigkeit erreicht zu haben und hoben ab. Hernandez flog eine Rechtskurve und nahm Kurs auf Dallas. „Mit welchem Tower stehen Sie in Verbindung?“, fragte Rayford.

„Der Tower in Glenview ist nicht besetzt“, erklärte Hernandez.

„Das habe ich bemerkt.“

„Ich werde die Kontrollzentren einiger anderer Flughäfen davon in Kenntnis setzen, dass wir unterwegs sind. Die Wetterleute haben uns versichert, wir hätten mit keinen Schwierigkeiten zu rechnen, und die Agenten der Weltgemeinschaft melden keine feindlichen Flugzeuge auf unserer Route.“

Feindliche Flugzeuge, dachte Rayford. Eine interessante Umschreibung für die amerikanischen Streitkräfte. Er erinnerte sich, die Militärs nie besonders gemocht zu haben. Er verstand sie einfach nicht, hielt sie für Kriminelle. Doch das war zu einer Zeit gewesen, als die amerikanische Regierung ebenfalls nicht auf besonders gutem Fuß mit den Militärs gestanden hatte. Jetzt hatten sie sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, diesem Versager, zusammengetan und ihr Feind war ebenfalls Rayfords Feind – er war zwar sein Chef, doch trotzdem auch sein Feind. Rayford hatte keine Ahnung, woher Hernandez kam, welchen Hintergrund er hatte und ob er Carpathia loyal gegenüberstand oder wie Rayford nur widerstrebend in den Dienst gezwungen worden war. Rayford setzte die Kopfhörer auf und suchte den Kanal, über den er mit dem Piloten kommunizieren konnte, ohne dass ihn jemand hören konnte. „Hier spricht Ihr neuer Erster Offizier“, sagte er leise. „Verstehen Sie mich?“

„Laut und deutlich, ,Copilot‘“, erwiderte Hernandez. Und als könne er Rayfords Gedanken lesen, fügte er hinzu: „Dieser Kanal ist sicher.“

Rayford verstand das so, dass niemand, innerhalb oder außerhalb des Flugzeugs, ihre Unterhaltung mitanhören konnte. Das war logisch. Aber warum hatte Hernandez das gesagt? Hatte er gespürt, dass Rayford sprechen wollte? Und musste er in einem Gespräch mit einem Fremden nicht sehr vorsichtig sein? Die Tatsache, dass sie Kollegen waren, bedeutete doch noch lange nicht, dass er diesem Mann vertrauen konnte. „Ich frage mich, was wohl aus der ,Global Community One‘ geworden ist“, sagte Rayford.

„Sie haben noch nichts davon gehört?“, fragte Hernandez.

„Negativ.“

Hernandez warf einen Blick nach hinten auf Carpathia und Fortunato. Rayford beschloss, sich nicht umzudrehen, um keinen Verdacht zu erregen. Offensichtlich waren Carpathia und Fortunato wieder ins Gespräch vertieft, weil Hernandez Rayford erzählte, was er über sein ehemaliges Flugzeug wusste.

„Ich nehme an, der Potentat hätte es Ihnen selbst gesagt, wenn er die Zeit dazu gefunden hätte“, sagte Hernandez. „Aus New York kommen keine guten Nachrichten.“

„Das habe ich gehört“, erwiderte Rayford. „Aber ich wusste nicht, wie groß der Schaden an den großen Flughäfen war.“

„Nahezu vollkommene Zerstörung, soweit ich weiß. Der Hangar, in dem sie stand, ist in die Luft geflogen, so viel ist sicher.“

„Und der Pilot?“

„Earl Halliday? Er war schon längst weg, als der Angriff erfolgte.“

„Dann ist er in Sicherheit?“, fragte Rayford. „Da freue ich mich aber. Kennen Sie ihn?“

„Nicht persönlich“, erwiderte Hernandez. „Aber in den vergangenen Wochen habe ich einiges über ihn erfahren.“

„Von Carpathia?“

„Nein. Von der nordamerikanischen Delegation der Weltgemeinschaft.“

Rayford war verwirrt, aber er wollte sich das nicht anmerken lassen. Warum sollte die nordamerikanische Delegation über Earl Halliday sprechen? Carpathia hatte Rayford gebeten, jemanden zu suchen, der die Global Community One nach New York flog, während Rayford und Amanda einen kurzen Urlaub in Chicago machten. Carpathia wollte die Presse und die Aufständischen (Präsident Fitzhugh und mehrere militante amerikanische Gruppen) einige Tage lang in die Irre führen, indem er seine in der Öffentlichkeit bekannt gegebene Reiseroute änderte und sich von einem Ort zum anderen fliegen ließ. Als das Militär angriff und die Weltgemeinschaft zurückschlug, hatte Rayford angenommen, dass zumindest der Zeitpunkt eine Überraschung gewesen sei. Auch war er davon ausgegangen, dass es Carpathia nicht interessieren würde, wen er, Rayford, als Ersatzpilot wählen würde. Doch offensichtlich hatten Carpathia und die nordamerikanische Delegation genau gewusst, dass seine Wahl auf Earl Halliday, seinen alten Freund und Vorgesetzten, fallen würde. Was sollte das? Und wie kam es, dass Halliday New York rechtzeitig verlassen hatte?

„Wo hält sich Halliday jetzt auf?“

„Sie werden ihn in Dallas sehen.“

Rayford blinzelte und versuchte, seine Verwirrung in Griff zu bekommen. „Tatsächlich?“

„Na, was glauben Sie, wer Sie in das Flugzeug einweisen wird?“

Als Carpathia Rayford gesagt hatte, er würde einiges lernen, wenn er sich auf den Sitz des Copiloten setzen würde, hatte Rayford keine Ahnung gehabt, dass er – abgesehen von einigen Lektionen zu diesem schnellen kleinen Flugzeug – auch noch andere interessante Einzelheiten erfahren würde.

„Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe“, meinte er. „Earl Halliday wusste von diesem neuen Flugzeug und kann mich sogar darauf einweisen?“

Hernandez lächelte, während er den Learjet steuerte. „Earl Halliday hat die Condor 216 praktisch selbst gebaut. Er arbeitete an dem Entwurf mit. Er sorgte dafür, dass jeder, der die Zulassung für eine 757 hat, dieses Flugzeug fliegen kann, wenn es auch sehr viel größer und komplizierter als die ,Global Community One‘ ist.“

Ein seltsames Gefühl machte sich in Rayford breit. Er hasste Carpathia und wusste genau, wer dieser Mann war. Aber so sehr seine Frau daran Anstoß nahm, dass Carpathia ihren Namen immer wieder vergaß, so sehr fühlte sich Rayford plötzlich hintergangen. „Ich frage mich, warum ich nicht über das neue Flugzeug informiert wurde, wo ich es doch fliegen soll“, sagte er.

„Ich weiß es nicht genau“, erwiderte Hernandez, „aber Sie wissen doch, dass der Potentat dazu neigt, sehr vorsichtig und berechnend zu sein.“

Und ob ich das weiß, dachte Rayford. Unberechenbar und hinterlistig wäre zutreffender. „Offensichtlich vertraut er mir nicht.“

„Ich bin nicht sicher, ob er überhaupt jemandem vertraut“, entgegnete Hernandez. „Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich es auch nicht. Und Sie?“

„Was?“

„Würden Sie jemandem vertrauen, wenn Sie Carpathia wären?“, fragte Hernandez.

Rayford antwortete nicht.

„Hast du nicht das Gefühl, als hättest du gerade das Geld des Teufels ausgegeben?“, fragte Chloe Buck, als er sich mit dem wunderschönen neuen erdfarbenen Range Rover in den Verkehr einfädelte.

„Ich weiß selbst, dass ich das getan habe“, erwiderte Buck grinsend. „Und der Antichrist hat sein Geld nie besser für die Sache Gottes investiert.“

„Du hältst die Ausgabe von mehr als einhunderttausend Dollar für ein solches Spielzeug als eine Investition für unsere Sache?“

„Chloe“, meinte Buck vorsichtig, „sieh dir dieses Fahrzeug doch nur an. Es ist mit allen technischen Finessen ausgerüstet, die es überhaupt gibt. Es wird uns überallhin bringen. Es ist unzerstörbar. Es hat eine Telefon- und Funkausstattung, einen Feuerlöscher, eine Überlebensausrüstung, Leuchtsignal, Allradantrieb, unabhängige Radaufhängung, einen CD-Player, elektrische Anschlüsse im Armaturenbrett, über die du alles direkt an die Batterie anschließen kannst.“

„Aber, Buck, du hast deine Global-Community-Kreditkarte benutzt, als sei es deine eigene. Welches Limit hast du überhaupt?“

„Die meisten Karten, die Carpathia ausgibt, haben ein Limit von einer Viertelmillion Dollar“, erklärte Buck. „Aber die Karten der Führungsleute haben einen bestimmten Code. Sie haben kein Limit.“

„Buchstäblich kein Limit?“

„Hast du nicht den Blick des Verkaufsleiters gesehen, als er die Karte überprüfte?“

„Ich habe nur ein Lächeln und einen abgeschlossenen Vertrag gesehen“, gab Chloe zurück.

„Na bitte.“

„Aber muss ein solcher Kauf denn nicht genehmigt werden?“

„Ich bin Carpathia unmittelbar unterstellt. Er will vielleicht wissen, warum ich einen Range Rover gekauft habe. Aber sicherlich werde ich ihm leicht erklären können, dass wir, da wir unser Appartment und unsere Autos verloren haben, mobil sein müssen.“

Wieder einmal ging der Verkehr Buck schnell auf die Nerven und er verlor die Geduld. Aber als er dieses Mal die Straße verließ und durch Gräben, über Wiesen, Parkplätze, kleine Sträßchen und Höfe fuhr, spürte man die Erschütterungen im Wageninneren kaum. Dieses Fahrzeug war geradezu ideal für Geländefahrten.

„Sieh nur, was dieses Baby sonst noch kann“, sagte Buck. „Du kannst zwischen automatischer und Handschaltung wählen.“

Chloe beugte sich vor und betrachtete die Pedale. „Was macht man mit der Kupplung, wenn auf Automatik umgeschaltet ist?“

„Man ignoriert sie einfach“, erklärte Buck. „Hast du schon einmal einen Wagen mit Kupplung gefahren?“

„Eine meiner Freundinnen besaß einen ausländischen Sportwagen, der kein Automatikgetriebe hatte“, sagte sie. „Es hat mir gefallen.“

„Möchtest du fahren?“

„Nicht um alles in der Welt. Zumindest nicht im Augenblick. Wir wollen sehen, dass wir zum Gemeindehaus kommen.“

„Muss ich sonst noch etwas wissen, was in Dallas auf uns wartet?“, fragte Rayford Hernandez.

„Sie werden eine ganze Reihe von VIPs in den Irak fliegen“, erklärte Hernandez. „Aber das ist ja nichts Neues für Sie, oder?“

„Nein. Ich fürchte, das hat mittlerweile seinen Reiz verloren.“

„Na ja, ich beneide Sie auf jeden Fall.“

Rayford war sprachlos vor Erstaunen. Da war er nun, ein, wie Bruce Barnes es nannte, „Heiliger der Trübsalszeit“, ein Mensch, der während der schrecklichsten Zeit der Menschheitsgeschichte an Christus glaubte und gegen seinen Willen für den Antichristen arbeitete und dabei das Leben seiner Frau, seiner Tochter, seines Schwiegersohnes und sicherlich auch sein eigenes riskierte. Und doch wurde er beneidet.

„Beneiden Sie mich nicht, Captain Hernandez. Was immer Sie tun, beneiden Sie mich nicht.“

Als Buck sich dem Gemeindehaus näherte, bemerkte er, dass sich viele Leute auf den Straßen aufhielten. Sie blickten zum Himmel und lauschten auf das, was über die Radios durchgegeben wurde. Buck war erstaunt, nur einen einzigen Wagen auf dem Parkplatz der Gemeinde stehen zu sehen. Er gehörte Loretta, der Assistentin von Bruce.

„Auf das, was jetzt kommt, freue ich mich überhaupt nicht“, sagte Chloe.

„Ich auch nicht“, fügte ihr Buck bei.

Die nun beinahe siebzigjährige Frau saß in ihrem Büro und starrte wie gebannt auf das Fernsehgerät. Zwei zusammengeknüllte Taschentücher lagen auf ihrem Schoß, ein drittes drehte sie in ihren knochigen Fingern. Die Lesebrille saß ihr tief auf der Nase, damit sie darüber hinweg die Berichterstattung im Fernsehen verfolgen konnte. Sie blickte nicht auf, als Buck und Chloe den Raum betraten, doch wenn sie sich auch nichts anmerken ließ, so hatte sie ihr Kommen sehr wohl bemerkt. Im hinteren Büro lief der Drucker.

Früher musste Loretta eine Schönheit gewesen sein. Jetzt saß sie mit rot geweinten Augen und laufender Nase auf ihrem Stuhl und bearbeitete ihr Taschentuch, als würde sie ein Kunstwerk schaffen. Buck konzentrierte sich auf die Sendung und erkannte eine aus einem Hubschrauber aufgenommene Ansicht des ausgebombten Northwest Community-Krankenhauses. „Die Leute haben angerufen“, sagte Loretta. „Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll. Er kann das nicht überlebt haben, oder? Pastor Bruce, meine ich. Er kann doch nicht mehr am Leben sein, oder? Habt ihr ihn gesehen?“

„Wir haben ihn nicht gesehen“, antwortete Chloe vorsichtig und kniete sich neben die alte Frau. „Aber mein Vater hat ihn gesehen.“

Loretta drehte sich blitzschnell um und starrte sie an. „Mr Steele hat ihn gesehen? Und es geht ihm gut?“

Chloe schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Madam, aber Bruce ist tot.“

Loretta senkte den Kopf. Tränen stürzten aus ihren Augen und tropften auf ihre Brille. Sie sprach mit heiserer Stimme.

„Würden Sie das bitte abstellen? Ich habe gebetet, dass ich ihn vielleicht entdecke, aber wenn er unter einem dieser Laken liegt, dann will ich das gar nicht sehen.“

Buck stellte das Fernsehgerät ab. Chloe nahm die alte Frau in den Arm. Loretta brach schluchzend zusammen. „Dieser junge Mann war wie ein Sohn für mich, müssen Sie wissen.“

„Wir wissen es“, sagte Chloe, die nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte. „Auch für uns gehörte er zur Familie.“

Loretta entzog sich ihrem Arm und blickte Chloe an. „Aber er war meine einzige Familie. Sie kennen doch meine Geschichte, oder?“

„Ja, Madam.“

„Sie wissen, dass ich alle verloren habe.“

„Ja, Madam.“

„Ich meine wirklich alle. Ich habe jeden lebenden Verwandten verloren, den ich hatte. Mehr als einhundert. Ich kam aus einer besonders gläubigen Familie. Ich galt als eine Säule dieser Gemeinde. Ich war überall aktiv, eine richtige Gemeindefrau. Ich habe nur nie ein persönliches Verhältnis zu Jesus gehabt.“

Chloe drückte sie an sich und weinte mit ihr.

„Dieser junge Mann hat mir alles beigebracht“, fuhr Loretta fort. „In zwei Jahren habe ich von ihm mehr gelernt als in den mehr als sechzig Jahren durch Sonntagsschule und Predigten. Aber dafür mache ich niemand anderen als mich allein verantwortlich. Ich war geistlich gesehen taub und blind. Mein Vater war bereits gestorben, aber meine Mutter, meine sechs Brüder und Schwestern, alle ihre Kinder, die Männer und Frauen ihrer Kinder. Ich habe meine eigenen Kinder und Enkel verloren. Alle. Wenn einer aus dieser Gemeinde eine Liste der Menschen erstellt hätte, die nach ihrem Tod seiner Meinung nach auf jeden Fall in den Himmel kommen würden, hätte ich zusammen mit dem Pastor an erster Stelle gestanden.“

Für Buck war das Ganze genauso schmerzlich wie für Chloe und Loretta. Er würde auf seine Weise trauern, wenn die Zeit dafür gekommen war, aber im Augenblick wollte er nicht über diese Tragödie reden. „Woran arbeiten Sie gerade, Madam?“, fragte er.

Loretta räusperte sich. „Natürlich an den Sachen von Bruce“, brachte sie mühsam heraus.

„Was ist es?“

„Sie wissen doch, dass er eine Art Virus oder so etwas mitgebracht hat, als er von seiner großen Reise nach Indonesien zurückkam. Einer der Männer brachte ihn so schnell ins Krankenhaus, dass er seinen Laptop hiergelassen hat. Wie Sie wissen, hat er ja das Ding überallhin mitgenommen.“

„Ich weiß“, bestätigte Chloe.

„Na ja, sobald er im Krankenhaus angekommen war, rief er mich an. Er bat mich, ihm diesen Laptop zu bringen, falls es mir möglich wäre. Natürlich hätte ich für Bruce alles getan. Ich war gerade auf dem Weg zur Tür, als das Telefon erneut klingelte. Bruce informierte mich darüber, dass sie ihn aus der Ambulanz direkt auf die Intensivstation bringen würden und er eine Zeit lang keine Besucher würde empfangen können. Ich glaube, er hatte eine Vorahnung.“

„Eine Vorahnung?“, fragte Buck.

„Ich glaube, er wusste, dass er vielleicht sterben würde“, erklärte sie. „Er trug mir auf, mit dem Krankenhaus in Verbindung zu bleiben, um zu hören, wann er Besuch haben könnte. Er mochte mich, aber ich glaube, vor allem wollte er diesen Laptop haben.“

„Da bin ich mir gar nicht sicher“, meinte Chloe. „Er liebte Sie wie eine Mutter.“

„Das stimmt, ich weiß“, erwiderte Loretta. „Er hat es mir mehr als einmal gesagt. Trotzdem, er hat mich gebeten, alles, was sich auf seinem Computer befindet, auszudrucken, abgesehen von den Programmen natürlich.“

„Wie bitte?“, fragte Chloe erstaunt. „Seine Bibelstudien und Predigtvorbereitungen, alle diese Sachen?“

„Ich schätze schon“, erwiderte Loretta. „Er sagte mir, ich solle dafür sorgen, dass ich genügend Papier habe. Ich dachte, er meinte fünfhundert Blatt oder so.“

„Und es ist schon mehr?“

„Oh ja, sehr viel mehr. Ich musste immer mehr Papier nachlegen, mittlerweile bestimmt schon tausend Blatt. Vor diesen Computern habe ich eine Todesangst, aber Bruce hat mir erklärt, ich solle alle Dateien ausdrucken, die mit seinen Initialen beginnen. Er hat mir gesagt, ich solle nur eingeben ,Print BB*.*‘ und alles, was er wollte, würde gedruckt. Ich hoffe nur, dass ich das Richtige getan habe. Es ist so viel. Vielleicht sollte ich den Drucker jetzt einfach abstellen.“

„Und jetzt liegen weitere fünfhundert Blatt im Drucker?“, fragte Chloe.

„Nein, Donny hat mir geholfen.“

„Der Telefontechniker?“, sagte Buck.

„Oh, Donny Moore ist nicht einfach nur ein Telefontechniker“, widersprach Loretta. „Es gibt kaum etwas auf dem Gebiet der Elektronik, das er nicht reparieren oder verbessern kann. Er hat mir gezeigt, wie ich die Reste unseres Endlospapiers auch in dem neuen Laserdrucker verwenden kann. Er hat einfach eine Schachtel herausgezogen und das eine Ende des Papiers in den Drucker gelegt, damit ich nicht immer Papier nachlegen muss.“

„Ich wusste gar nicht, dass das geht“, sagte Buck.

„Ich auch nicht“, entgegnete Loretta. „Donny weiß vieles, wovon ich keine Ahnung habe. Er sagte, unser Drucker sei ziemlich neu und würde fünfzehn Seiten pro Minute ausspucken.“

„Und wie lange druckt er nun schon?“, fragte Chloe.

„Seit heute Morgen. Nachdem ich mit Bruce gesprochen hatte, habe ich ihn angestellt. Nach den ersten tausend Blatt hat es eine zehn- oder fünfzehnminütige Pause gegeben, als Donny mir half, diese große Papierschachtel darunterzustellen.“

Buck schlüpfte in das Büro von Bruce und beobachtete staunend, wie der hochkomplizierte Drucker eine Seite nach der anderen einzog und bedruckt wieder ausspuckte. Der Stapel war bereits so hoch, dass er umzukippen drohte. Buck rückte ihn gerade und starrte die Papierschachtel an. Die ersten tausend Blatt lagen fein säuberlich aufgestapelt auf dem Schreibtisch. Die alte Papierschachtel enthielt 5000 Blatt. Er schätzte, dass sie bereits zu 80% geleert war. Da lag sicherlich ein Fehler vor. Konnte Bruce mehr als 5000 Seiten Notizen gemacht haben? Vielleicht hatte Loretta den falschen Befehl eingegeben und alles, einschließlich der Programme, Konkordanzen, Wörterbücher und Ähnlichem, wurde ausgedruckt.

Aber hier lag kein Fehler vor. Buck blätterte die auf dem Schreibtisch liegenden Seiten durch. Das waren alles Notizen von Bruce. Jede Seite, die Buck sich ansah, war von Bruce geschrieben worden. Dazu gehörten seine Kommentare zu Bibelstellen, Notizen für Predigten, Gedanken aus seinen persönlichen Andachten und Briefe an Freunde, Verwandte und Kirchenmänner auf der ganzen Welt. Zuerst empfand Buck Schuldgefühle, weil er in Bruces Privatsphäre eindrang. Aber warum hatte Bruce Loretta gebeten, alles auszudrucken? Hatte er Angst, er könnte sterben? Wollte er das für sie zurücklassen?

Buck beugte sich über den schnell anwachsenden Berg von Endlospapier. Er sah es flüchtig durch. Und auch hier wieder ausschließlich Notizen von Bruce. Mehr als zwei Jahre lang musste dieser täglich mehrere Seiten geschrieben haben.

Als Buck zu Chloe und Loretta zurückkam, meinte Loretta gerade wieder: „Wir können genauso gut hier alles abschließen und die Seiten wegwerfen. Er wird jetzt keine Verwendung mehr für das Zeug haben.“

Chloe sank erschöpft auf einen Stuhl. Buck kniete sich neben Loretta. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und sprach sehr ernst mit ihr. „Loretta, Sie können noch immer dem Herrn dienen, indem Sie Bruce dienen.“ Sie wollte protestieren, doch er fuhr fort: „Er ist tot, ja das stimmt, aber wir können uns freuen, weil er jetzt wieder bei seiner Familie ist, oder nicht?“ Loretta presste die Lippen aufeinander und nickte. Buck fuhr fort: „Ich brauche Ihre Hilfe für ein großes Projekt. In diesem Zimmer liegt eine Goldmine. Aus dem, was ich gerade überflogen habe, erkenne ich, dass Bruce noch immer bei uns ist. Sein Wissen, seine Lehre, seine Liebe und sein Mitgefühl, sie sind hier noch spürbar. Das Beste, was wir für diese Herde tun können, die gerade ihren Hirten verloren hat, ist, dass wir diese Seiten vervielfältigen. Ich weiß nicht, ob diese Gemeinde noch einmal einen Pastor oder einen Lehrer bekommen wird, aber in der Zwischenzeit müssen die Leute Zugang haben zu dem, was Bruce geschrieben hat. Vielleicht haben sie gehört, wie er seine Gedanken in einer Predigt verwendet hat, vielleicht haben sie sie in anderer Form bereits kennen gelernt. Aber dies ist ein Schatz, der für alle zugänglich gemacht werden muss.“

Chloe ergriff das Wort. „Buck, solltest du nicht versuchen, es zu verlegen oder als Buch herauszugeben?“

„Ich werde es mir überlegen, Chloe, aber ich denke, wir sollten es in der Form vervielfältigen, in der es jetzt ist. Das ist Bruce, wie er leibt und lebt, in seinem Studierzimmer, wie er an seine Mitgläubigen schrieb, an Freunde und liebe Menschen, an sich selbst. Ich denke, Loretta sollte diese Seiten zu einem Copyshop bringen und kopieren. Wir brauchen tausend Kopien aller Blätter, beidseitig bedruckt und einfach gebunden.“

„Das wird ein Vermögen kosten“, wandte Loretta ein.

„Darüber sollten wir uns jetzt keine Gedanken machen“, hielt Buck dagegen. „Ich kann mir keine bessere Investition vorstellen.“

Als der Learjet mit dem Landeanflug auf Fort Worth begann, kam Fortunato ins Cockpit und hockte sich zwischen Hernandez und Rayford. Die beiden nahmen den Kopfhörer von dem Ohr, das dem Assistenten Carpathias am nächsten war. „Hat jemand Hunger?“, fragte er.

Rayford hatte nicht einmal ans Essen gedacht. Die Welt zerstörte sich selbst und niemand würde diesen Krieg überleben. Doch als jetzt das Wort „Hunger“ fiel, merkte er, dass er tatsächlich ausgehungert war. Amanda würde es sicher nicht anders gehen. Sie aß immer nur wenig und häufig musste er sie daran erinnern, überhaupt etwas zu sich zu nehmen.

„Ich könnte jetzt etwas essen“, meinte auch Hernandez. „Eigentlich könnte ich sogar eine ganze Menge vertragen.“

„Potentat Carpathia bittet Sie, sich mit Dallas/Fort Worth in Verbindung zu setzen, damit etwas Hübsches für uns vorbereitet werden kann.“

Hernandez wirkte plötzlich sehr unsicher. „Was meint er Ihrer Meinung nach mit ,etwas Hübsches‘?“

„Ich bin sicher, Sie werden das Richtige vorbereiten lassen, Captain Hernandez.“

Fortunato verließ das Cockpit und Hernandez verdrehte die Augen. „DFW Tower, hier spricht die ,Global Community Three‘, over.“

Rayford warf einen Blick zurück. Carpathia hatte sich umgedreht und unterhielt sich angeregt mit Amanda.

Chloe hatte gemeinsam mit Loretta ein kurzes Statement verfasst, das per Telefon an die ersten sechs Namen auf der Mitgliederliste weitergegeben wurde. Jeder würde andere Mitglieder anrufen, die dann ihrerseits wieder andere anrufen würden. Auf diese Weise würde sich die Neuigkeit schnell in der New Hope-Gemeinde verbreiten. In der Zwischenzeit sprach Buck eine kurze Nachricht auf den Anrufbeantworter: „Die tragische Nachricht vom Tod von Pastor Bruce ist wahr. Der Älteste Rayford Steele hat seine Leiche gesehen und ist der Meinung, dass er sehr wahrscheinlich gestorben ist, bevor das Krankenhaus von Raketen getroffen wurde. Bitte kommen Sie nicht in die Gemeinde, da bis zum Sonntag zur gewohnten Zeit keine Zusammenkünfte oder Gottesdienste stattfinden werden.“ Buck stellte das Telefon auf den Anrufbeantworter um und schon bald klickte es wieder und wieder, da immer mehr Gemeindemitglieder anriefen, um eine Bestätigung der schrecklichen Nachricht zu bekommen. Buck war klar, dass der Sonntagmorgengottesdienst überfüllt sein würde.

Chloe brachte Loretta nach Hause, um sicherzugehen, dass es ihr auch wirklich gut ging, während Buck Donny Moore anrief. „Donny“, sagte Buck, „ich brauche Ihren Rat, und zwar sofort.“

„Ah, Mr Williams.“ Donny meldete sich in seiner gewohnten abgehackten Sprechweise. „Jederzeit gern. Wie Sie wissen, arbeite ich zu Hause, ich kann also zu Ihnen kommen, Sie können aber auch zu mir kommen, ganz wie Sie möchten. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.“

„Im Augenblick bin ich nicht ganz so mobil, Donny, darum wäre es schön, wenn Sie zu mir ins Gemeindehaus kommen könnten.“

„Ich komme sofort, Mr Williams. Aber könnten Sie mir bitte noch eines sagen? Hatte Loretta die Telefone eine Zeit lang abgestellt?“

„Ja, ich glaube schon. Sie wusste nicht, was sie den Leuten sagen sollte, die sich nach Pastor Bruce erkundigten, darum hat sie einfach die Telefone abgestellt.“

„Da bin ich aber erleichtert“, seufzte Donny. „Vor ein paar Wochen habe ich nämlich erst eine neue Telefonanlage installiert und hatte Angst, sie würde nicht richtig funktionieren. Wie geht es übrigens Bruce?“

„Ich werde Ihnen alles erzählen, wenn Sie herkommen, Donny, okay?“

Über dem Flughafen von Dallas/Fort Worth hingen dichte schwarze Wolken. Rayford musste an die vielen Male denken, als er mit den großen Maschinen auf diesen langen Landebahnen gelandet war. Wie lange würde es dauern, diesen Flughafen wieder aufzubauen? Captain Hernandez flog mit dem Learjet den nahe gelegenen Militärflugplatz an, auf dem Rayford häufig zu Gast gewesen war. Ganz offensichtlich hatte jemand alle Flugzeuge beiseitegeräumt, um den feindlichen Raketen kein Angriffsziel zu bieten.

Hernandez landete den Learjet so sanft, wie es bei einem so kleinen Flugzeug überhaupt möglich war. Sofort rollten sie zum Ende der Landebahn in einen großen Hangar hinein. Rayford war erstaunt, dass auch der ganze Hangar leer war. Hernandez stellte die Motoren ab und sie stiegen aus. Sobald Carpathia Platz hatte, legte er seine Verkleidung wieder an. Er flüsterte Fortunato etwas zu, worauf dieser Hernandez fragte, wo sie essen könnten. „In Hangar drei“, erwiderte dieser. „Wir befinden uns in Hangar eins. Das Flugzeug steht in Hangar vier.“

Die Verkleidung erwies sich als unnötig. Zwischen den Hangars war nicht viel Platz und die kleine Gruppe eilte durch die großen Türen an der Seite der Gebäude. Auch Hangar zwei und drei waren leer, abgesehen von einem Tisch in der Nähe der Seitentür, die zu Hangar vier führte. Darauf war das Essen aufgebaut. Sie gingen auf den Tisch zu. Nicolai Carpathia wandte sich an Rayford.