Finale - Jerry B. Jenkins - E-Book

Finale E-Book

Jerry B. Jenkins

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Beschreibung

In einem einzigen Augenblick verschwinden auf der Welt Millionen von Menschen. Nur wenige beginnen, die Wahrheit zu ahnen. Einer von ihnen ist Rayford Steele. Eine fieberhafte Suche beginnt ... Der fulminante Auftakt zur Weltbestseller-Serie!

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Tim LaHaye • Jerry B. Jenkins

Finale

Die letzten Tage der Erde

Roman

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag

Tyndale House Publishers, Inc., Wheaton, Illinois, USA,

unter dem Titel „Left Behind“.

© 1995 by Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins

© der deutschen Taschenbuchausgabe 2007 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar

Aus dem Englischen von Eva Weyandt mit Genehmigung

von Tyndale House Publishers, Inc.

Left Behind © ist ein eingetragenes Warenzeichen

von Tyndale House Publishers, Inc.

Die Bibelstellen wurden der Einheitsübersetzung entnommen.

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart

Taschenbuch ISBN 978-3-86591-270-1

eBook ISBN 978-3-96122-106-6

Umschlaggestaltung: Michael Wenserit; Julie Chen

Umschlagfoto: Julie Chen

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Für Alice MacDonald und Bonita Jenkins, die uns zuversichtlich machten, nicht zurückgelassen zu werden.

1

Rayford Steele war mit seinen Gedanken bei einer Frau, die er nie berührt hatte. Mit seiner vollbesetzten 747 war er auf dem Weg über den Atlantik. Die Maschine war auf Autopilot geschaltet. Um sechs Uhr morgens sollte er in Heathrow landen. Rayford zwang sich dazu, den Gedanken an seine Familie zu verdrängen.

Seinen Urlaub im Frühling würde er mit seiner Frau und seinem zwölfjährigen Sohn verbringen. Ihre Tochter würde dann auch vom College nach Hause kommen. Aber im Augenblick sah Rayford nur Hattie Durhams Lächeln vor sich. Er freute sich auf ihre nächste Begegnung.

Hattie war Rayfords Chefstewardess. Seit mehr als einer Stunde hatte sie sich nicht mehr sehen lassen.

Rayford hatte sich früher immer aufs Nachhausekommen gefreut. Irene war auch mit vierzig noch attraktiv und sehr lebhaft. Doch in letzter Zeit fand er ihre religiösen Aktivitäten überzogen, ja fast schon abstoßend. Sie kannte kein anderes Gesprächsthema mehr.

Rayford Steele fand Gott ganz in Ordnung. Er ging gelegentlich sogar recht gern in die Kirche. Doch seit Irene sich einer kleineren Gemeinschaft angeschlossen hatte und jede Woche zur Bibelstunde und jeden Sonntag zum Gottesdienst ging, fühlte er sich nicht mehr richtig wohl in seiner Haut. In ihrer Gemeinde legte man seine Zweifel nicht zu seinen Gunsten aus, nahm nicht das Beste von ihm an und ließ ihn einfach nicht ihn selber sein. Die Leute dort hatten ihn doch tatsächlich gefragt, was Gott in seinem Leben tun würde.

„Er segnet meine Socken!“, hatte er lächelnd erwidert, und sie schienen sich mit dieser Antwort zufrieden gegeben zu haben, doch immer häufiger fand er sonntags Ausreden, um nicht zum Gottesdienst gehen zu müssen.

Rayford versuchte sich einzureden, die Frömmigkeit seiner Frau sei der Grund dafür, dass seine Gedanken abwanderten. Doch er wusste, dass es eigentlich seine eigenen Wünsche waren.

Hattie Durham war einfach überwältigend. Niemand konnte das bestreiten. Sie suchte immer Körperkontakt, das gefiel ihm sehr gut. Das hatte nie etwas Aufdringliches oder gar Unechtes. Sie berührte einfach nur seinen Arm, wenn sie an ihm vorüberging oder legte ihre Hand leicht auf seine Schulter, wenn sie hinter seinem Sitz im Cockpit stand.

Doch das war nicht der einzige Grund, warum Rayford ihre Gesellschaft genoss. Ihr Gesichtsausdruck und ihr Verhalten zeigten ihm, dass sie ihn bewunderte und respektierte. Ob sie an einer engeren Beziehung interessiert war, konnte er nur vermuten.

Sie hatten schon viel Zeit miteinander verbracht, stundenlang bei einem Drink oder beim Abendessen geplaudert, manchmal mit Kollegen zusammen, manchmal auch allein. Er war ihr nicht entgegengekommen, doch er hatte sie angesehen, und er konnte nur annehmen, dass sein Lächeln seine Wirkung nicht verfehlt hatte.

Vielleicht heute. Vielleicht würde er am Morgen – falls ihr vereinbartes Klopfzeichen an der Cockpittür seinen Ersten Offizier nicht aufweckte – seine Hand auf ihre legen, ganz freundschaftlich, und er hoffte, sie würde das als einen ersten Schritt erkennen, einen ersten Schritt von seiner Seite auf eine engere Beziehung zu.

Und es würde tatsächlich das erste Mal sein. Er war bestimmt nicht prüde, doch er war Irene noch nie untreu gewesen. Gelegenheiten hätte es genügend gegeben. Lange Zeit hatte er sich schuldig gefühlt, weil er bei einer Weihnachtsparty vor mehr als zwölf Jahren mit einer Frau ziemlich ausgelassen geflirtet hatte. Irene war zu Hause geblieben, da sie im neunten Monat mit ihrem Nachzügler Ray Jr. schwanger gewesen war.

Rayford war so klug gewesen, die Party frühzeitig zu verlassen. Natürlich war Irene aufgefallen, dass er leicht betrunken war, doch sie argwöhnte nichts weiter, nicht von ihrem aufrichtigen Captain. Als sie einmal während eines Schneetreibens in O’Hare festgesessen hatten, trank er zwei Martinis. Das Wetter klarte schließlich auf, und er ging zur Flugleitung und beichtete. Er bot an, die Kosten für einen Ersatzpiloten zu übernehmen, doch Pan-Continental war so beeindruckt von seinem Verhalten, dass sie seine Selbstdisziplin und Klugheit als leuchtendes Vorbild für andere hinstellten.

In wenigen Stunden würde Rayford die ersten Zeichen des Sonnenaufgangs sehen, eine beeindruckende Palette von Pastelltönen, die anzeigen würde, dass die Morgendämmerung über dem Kontinent heraufzog. Doch bis dahin schien die Dunkelheit draußen vor dem Fenster undurchdringlich zu sein. Seine müden oder schlafenden Passagiere hatten die Rollos vor den Fenstern heruntergezogen. Decken und Kissen waren ausgegeben worden. Im Augenblick war das Flugzeug eine dunkle, summende Schlafkammer, in der nur wenig Bewegung war; Stewardessen, die nach dem Rechten sahen, und vielleicht ein oder zwei Leute, die ihren natürlichen Bedürfnissen nachkamen.

In dieser dunklen Stunde nun quälte Rayford Steele die Frage, ob er eine neue, aufregende Beziehung zu Hattie Durham eingehen sollte. Er unterdrückte ein Lächeln. Machte er sich etwas vor? Würde jemand mit seinem Ruf jemals mehr tun, als von einer schönen, fünfzehn Jahre jüngeren Frau zu träumen? Er war nicht mehr so sicher. Wenn Irene nur nicht diesen Tick hätte.

Ob ihr Interesse für das Ende der Welt, die Liebe Jesu, die Erlösung der Seelen wohl jemals wieder verschwand? Vor kurzem hatte sie alles verschlungen, was ihr über die Entrückung der Gemeinde in die Hände gefallen war. „Kannst du dir das vorstellen, Rafe“, hatte sie geschwärmt, „dass Jesus wiederkommt und uns holt, bevor wir sterben?“

„Oh Mann“, hatte er geantwortet und sie über den Rand seiner Zeitung angesehen, „das würde mich töten.“

Sie fand das gar nicht lustig. „Wenn ich nicht wüsste, was aus mir wird“, hatte sie gesagt, „hätte ich schreckliche Angst davor.“

„Ich weiß, was mit mir passieren würde“, beharrte er. „Ich würde tot sein, fort, fini. Aber du würdest natürlich direkt in den Himmel fliegen.“

Er hatte sie nicht beleidigen wollen. Er hatte nur Spaß gemacht. Als sie sich umdrehte und fortging, ging er ihr nach. Er drehte sie zu sich herum und wollte sie küssen, doch sie wehrte sich. „Komm schon, Irene“, sagte er. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass Tausende einfach kieloben liegen würden, wenn sie Jesus sehen, der für alle guten Menschen wiederkommt.“

Sie hatte sich in Tränen aufgelöst von ihm zurückgezogen. „Ich habe es dir doch immer und immer wieder gesagt. Erlöste Menschen sind keine guten Menschen, ihnen ist nur –“

„Nur vergeben worden, ja, ich weiß“, antwortete er und fühlte sich in seinem eigenen Wohnzimmer zurückgewiesen und verletzt. Er kehrte zu seinem Sessel und seiner Zeitung zurück. „Wenn du dich dadurch besser fühlst, dann bin ich froh, dass du so sicher bist.“

„Ich glaube nur an das, was die Bibel sagt“, erwiderte Irene.

Rayford zuckte die Achseln. Er hatte auf der Zunge zu sagen: „Wie schön für dich“, doch er wollte nicht alles noch schlimmer machen. In gewisser Weise beneidete er sie um ihre feste Zuversicht, doch in Wahrheit schrieb er dies der Tatsache zu, dass sie ein emotionaler, mehr gefühlsorienter Mensch war. Er wollte es nicht aussprechen, doch er war nun mal klüger – ja, intelligenter. Er glaubte an Regeln, Systeme, Gesetze, Muster, Dinge, die man sehen, anfassen und hören konnte.

Wenn Gott dazu gehörte, in Ordnung. Eine höhere Macht, ein liebendes Wesen, eine Macht hinter den Naturgesetzen, prima. Man konnte ihn besingen, zu ihm beten, sich über die Fähigkeit des Menschen freuen, freundlich anderen gegenüber zu sein, und dann seinen Geschäften nachgehen. Rayfords größte Angst war, dass dieser religiöse Tick nicht so schnell verschwinden würde wie Irenes Tupper-Phase oder ihr Aerobic-Tick. Er konnte nicht einfach dabeisitzen und zusehen, wie sie in der Nachbarschaft herumging und die Leute fragte, ob sie ihnen einen Bibelvers vorlesen dürfte. Sie müsste es doch eigentlich besser wissen.

Irene war zu einer religiösen Fanatikerin geworden, und irgendwie fühlte sich Rayford deswegen frei, ohne Schuldgefühle von Hattie Durham zu träumen. Vielleicht würde er etwas sagen, irgendeinen Vorschlag machen, wenn er und Hattie durch das Flughafengebäude in Heathrow zum Taxistand gingen. Vielleicht sogar schon früher. Konnte er es jetzt schon wagen, Stunden vor der Landung?

In der ersten Klasse auf einem Fensterplatz saß ein Journalist über seinen Laptop gebeugt. Er stellte den Rechner ab und schwor sich, später an seinem Tagebuch weiterzuarbeiten. Mit seinen dreißig Jahren war Cameron Williams der jüngste Reporter mit dem höchsten Rang, den es bei der angesehenen Global Weekly jemals gegeben hatte. Von allen anderen beneidet wurde er auf die besten Storys in der Welt angesetzt. Von Bewunderern und Lästerern in der Zeitung wurde er Buck genannt, weil man sagte, er würde Tradition und Autorität immer beugen. Buck genoss sein Leben, da er Augenzeuge einiger der umwälzendsten Ereignisse in der Geschichte geworden war.

Vor einem Jahr und zwei Monaten hatte ihn sein Leitartikel für die Neujahrsausgabe zu einem Interview mit Chaim Rosenzweig nach Israel geführt. Dort hatte er ein höchst seltsames Erlebnis gehabt.

Rosenzweig war der Einzige, der in der Geschichte des Global Weekly einstimmig zum Mann des Jahres gewählt worden war. Wie gewöhnlich hatte die Mannschaft des Global jeden gemieden, der von der Times zum Mann des Jahres gekürt werden könnte. Doch Rosenzweig fiel ins Auge. Cameron Williams war mit dem festen Entschluss in die Sitzung gegangen, für Rosenzweig und gegen jeden Medienstar zu votieren, den die anderen vielleicht vorschlagen würden.

Er war angenehm überrascht gewesen, als der Chefredakteur Steve Plank die Sitzung mit den Worten eröffnete: „Ist jemand so dumm, einen anderen als den Nobelpreisgewinner in Chemie vorzuschlagen?“

Die anderen blickten sich an, schüttelten den Kopf und taten so, als wollten sie den Raum verlassen. „Stellt die Stühle hoch, die Sitzung ist zu Ende“, sagte Buck. „Steve, ich will mich ja nicht vordrängeln, aber du weißt, dass ich den Burschen kenne. Er vertraut mir.“

„Nicht so schnell, Cowboy“, erwiderte ein Rivale und wendete sich Plank zu. „Darf Buck sich jetzt schon selbst einen Job sichern?“

„Vielleicht“, erwiderte Steve. „Und wenn es so wäre?“

„Ich denke nur, dies ist eine technische Sache, eine wissenschaftliche Story“, murmelte Bucks Widersacher. „Ich würde einen Reporter der wissenschaftlichen Abteilung darauf ansetzen.“

„Und damit die Leser zum Einschlafen bringen“, konterte Plank. „Kommen Sie, Sie wissen doch genau, dass der Schreiber für populäre Artikel aus dieser Abteilung kommt. Und für diese Story braucht man nicht mehr wissenschaftlichen Hintergrund als für das erste Interview, das Buck mit ihm geführt hat. Der Leser muss den Mann kennen lernen, damit er seine Leistung verstehen kann.“

„Als ob das nicht offensichtlich wäre. Er hat den Lauf der Geschichte verändert.“

„Ich werde noch heute einen Termin ausmachen“, sagte der Chefredakteur. „Danke für deine Bereitschaft, Buck. Ich nehme an, auch die anderen wären bereit dazu.“ Eifrige Zustimmung machte sich im Raum breit, doch Buck hörte auch aufgebrachte Bemerkungen, dass der blondhaarige Junge wieder diesen spektakulären Auftrag bekommen hatte.

Ein solcher Vertrauensbeweis von seinem Chef und der Wettstreit mit den anderen machten ihn umso entschlossener, sich mit jedem Artikel, den er schrieb, selbst zu übertreffen. In Israel übernachtete Buck in einer Militärunterkunft. Er traf sich mit Rosenzweig in demselben Kibbuz am Rande Haifas, in dem er ihn bereits ein Jahr zuvor interviewt hatte.

Sicherlich war Rosenzweig ein faszinierender Mensch, doch es war seine Entdeckung oder Erfindung – niemand wusste so recht, in welche Kategorie er das einordnen sollte –, die ihn tatsächlich zum „Mann des Jahres“ machte. Der bescheidene Mann nannte sich selbst einen Botaniker, doch in Wirklichkeit war er ein Chemiker, dem es gelungen war, einen synthetischen Dünger herzustellen, der den Wüstensand Israels fruchtbar machte.

„Bewässerung ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr das Problem gewesen“, sagte der alte Mann. „Aber das Wasser hat den Sand nur feucht gemacht. Meine Formel, dem Wasser hinzugefügt, macht den Sand fruchtbar.“

Buck war kein Wissenschaftler, doch er wusste so viel, dass er bei der einfachen Bemerkung des Wissenschaftlers ihren sensationellen Inhalt erkennen konnte. Rosenzweigs Formel würde Israel schnell zur reichsten Nation auf der Erde machen, sehr viel reicher als die Nachbarländer mit ihrem Öl. Auf jedem Zentimeter wuchsen Blumen und Korn. Der Ertrag war unvorstellbar hoch. Das Heilige Land hatte nun ein enorm hohes Exportpotenzial und zog den Neid der ganzen Welt auf sich. Die Arbeitslosenrate lag bei null Prozent. Alle wurden reich.

Der Reichtum, der durch die Wunderformel entstanden war, veränderte den Lauf der Geschichte Israels. Da das Land nun über die nötigen Geldmittel und Bodenschätze verfügte, hatte es Frieden mit seinen Nachbarn geschlossen. Freier Handel und uneingeschränkte Einreiseerlaubnis ermöglichten allen, die das Land liebten, es zu besuchen. Die Formel allerdings wurde streng geheim gehalten.

Buck hatte den alten Mann nicht nach der Formel gefragt, nicht einmal nach dem komplizierten Sicherheitssystem, das sie vor jedem möglichen Feind schützte. Allein die Tatsache, dass Buck auf einem Militärgelände untergebracht war, sprach für die Sicherheitsvorkehrungen. Dieses Geheimnis stellte die Macht und Unabhängigkeit des Staates Israel sicher. Noch nie hatte Israel einen solchen Frieden erlebt. Die Stadtmauern von Jerusalem waren nur noch ein Symbol und hießen jeden willkommen, der Frieden suchte. Das alte Volk war der Überzeugung, dass Gott es belohnte und für die Jahrhunderte der Verfolgung entschädigte.

Chaim Rosenzweig wurde in der ganzen Welt geachtet und in seinem Land hoch verehrt. Führer aus der ganzen Welt suchten ihn auf, und die Vorkehrungen zu seinem Schutz waren so komplex wie sonst nur bei Staatsoberhäuptern. Vielleicht waren die Führer Israels von dem neuen Ruhm berauscht, keinesfalls waren sie jedoch dumm. Sie taten alles, um einer möglichen Entführung und Folterung Rosenzweigs vorzubeugen, damit er sein Geheimnis, das auf ähnliche Weise jedes andere Land der Welt revolutionieren würde, nicht preisgab.

Was könnte die Formel bewirken, wenn man sie in der riesigen Tundra Russlands anwenden würde! Ob sie wohl zum Blühen gebracht werden konnte, obwohl sie die meiste Zeit des Jahres mit Schnee bedeckt war? Wäre dies vielleicht ein Weg, diese riesige Nation nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder zum Leben zu erwecken?

Russland war zu einem schlafenden Riesen mit einer zerstörten Wirtschaft und rückständiger Technologie geworden. Das Einzige, was diese Nation noch besaß, war militärische Macht; alle finanzielle Kraft floss in die Aufrüstung. Und die Währungsumstellung von Rubel auf Euro war der kämpfenden Nation nicht leicht gefallen. Die Weltfinanzen auf drei Hauptwährungen umzustellen hatte Jahre in Anspruch genommen, doch nachdem die Veränderung erst einmal vollzogen war, waren die meisten recht zufrieden damit. In ganz Europa und Russland war ausschließlich der Euro die gängige Währung. Asien, Afrika und der Mittlere Osten trieben Handel in Yen, Nord- und Südamerika und Australien in Dollar. Der nächste Schritt war die Einführung einer einzigen Weltwährung, doch die Nationen, die die Umstellung bereits einmal durchgemacht hatten, konnten sich nicht ein zweites Mal dazu durchringen.

Frustriert darüber, dass sie nicht von Israels Glück profitieren konnten und entschlossen, das Heilige Land zu besetzen und zu beherrschen, hatten die Russen mitten in der Nacht Israel angegriffen. Dieser Angriff wurde bekannt als das russische Pearl Harbor. Wegen seines Interviews mit Rosenzweig war Buck Williams gerade in Haifa, als es passierte. Die Russen schickten Interkontinentalraketen und mit nuklearen Sprengsätzen ausgerüstete MiG-Kampfflugzeuge. Die Anzahl der Flugzeuge und Raketen machten ganz deutlich, dass ihre Mission die Vernichtung Israels war.

Zu sagen, die Israelis seien von dem Angriff überrascht worden, wäre leicht untertrieben, etwa so, wie wenn Cameron Williams geschrieben hätte, die chinesische Mauer sei lang. Als das israelische Radar die russischen Flugzeuge erfasste, hatten sie das Land schon beinahe erreicht. Israels inständige Bitte um Unterstützung der angrenzenden Nachbarländer und der Vereinigten Staaten ging gleichzeitig mit dem Funkspruch raus, der Aufklärung über die Absichten der in den israelischen Luftraum eindringenden Flugzeuge forderte. Bis Israel etwas aufstellen konnte, das auch nur annähernd nach Verteidigung aussah, waren die Russen den Israelis hundert zu eins überlegen.

Es blieben ihnen nur noch wenige Augenblicke, bis die Zerstörung beginnen würde. Es würde keine Verhandlungen, keine Bitten mehr geben, den Reichtum mit den Scharen des Nordens zu teilen. Wenn die Russen die Israelis nur hätten einschüchtern wollen, hätten sie keine Raketen geschickt. Flugzeuge konnten umkehren, doch Raketen waren mit Sprengköpfen ausgerüstet und auf ein Ziel eingestellt.

Dies war also keine Inszenierung, die Israel in die Knie zwingen sollte. Es gab keine Botschaft an die Opfer. Da die Israelis so schnell keinen Beistand der befreundeten Staaten bekamen, waren sie gezwungen, sich selbst zu verteidigen. Sie wussten nur zu gut, dass der erste Schlag sie buchstäblich von der Erdoberfläche ausradieren würde.

Die Sirenen heulten, und Radio und Fernsehen gaben Warnungen aus. Vermutlich zum letzten Mal in der Geschichte würde Israel sich verteidigen. Die ersten Flugabwehrraketen trafen ihr Ziel, und der Himmel wurde von orangegelben Feuerbällen erhellt, doch das würde die russische Offensive ganz sicher nicht aufhalten.

Diejenigen, die Bescheid wussten und die Flugzeuge auf dem Radarschirm gesehen hatten, interpretierten die ohrenbetäubenden Explosionen am Himmel als den russischen Angriff. Jeder militärische Führer rechnete damit, innerhalb von wenigen Sekunden sein Ende zu finden, sobald die Geschosse auf dem Boden aufschlugen.

Aus dem, was er auf dem Militärgelände gehört und gesehen hatte, wusste Buck Williams, dass das Ende bevorstand. Es gab keinen Ausweg. Doch obwohl die Nacht taghell erleuchtet war und die schrecklichen, ohrenbetäubenden Explosionen weitergingen, wurde kein Schaden angerichtet. Das Gebäude erbebte, doch es wurde nicht getroffen.

Draußen schlugen die Kampfflugzeuge auf dem Boden auf, gruben tiefe Krater in die Erde. Brennende Trümmer flogen überall herum. Doch die Kommunikationskanäle blieben unversehrt. Kein Kommandoposten war getroffen worden. Keine Berichte über Verluste. Es war noch nichts zerstört worden.

War das vielleicht irgendein grausamer Witz? Sicher, die ersten israelischen Raketen hatten die russischen Flugkörper getroffen und hoch oben in der Luft zum Explodieren gebracht, sodass nicht mehr als Feuerschaden auf der Erde entstehen konnte. Aber was war mit dem Rest des russischen Geschwaders passiert? Auf dem Radarschirm war ganz klar zu sehen gewesen, dass die Russen fast alle ihre Flugzeuge geschickt und kaum eines zur Verteidigung zurückbehalten hatten. Tausende Flugzeuge gingen auf die dicht besiedelten Städte des kleinen Landes nieder.

Der furchtbare, schrille Lärm ging weiter, die Explosionen waren so schrecklich, dass die militärischen Führer ihre Gesichter in den Händen bargen und vor Furcht laut schrieen. Buck hatte sich immer gewünscht, an vorderster Front zu stehen, doch hierbei sah er keinen Ausweg mehr. Er wusste ohne Zweifel, dass er sterben würde, und er musste feststellen, dass ihm die seltsamsten Gedanken durch den Kopf gingen.

Warum hatte er nie geheiratet? Würden sein Vater und sein Bruder seine sterblichen Überreste identifizieren müssen? Gab es einen Gott? Würde der Tod das Ende sein?

Er kroch unter eine Konsole und verspürte den Drang, seinen Tränen freien Lauf zu lassen. So hatte er sich einen Krieg nicht vorgestellt. Er hatte gedacht, er könnte von einem sicheren Platz aus das Geschehen beobachten und das Drama in sich aufnehmen.

Nach einigen Minuten wurde Buck klar, dass die Gefahr für ihn draußen nicht größer sein würde als hier drin. Es war kein Mut, der ihn nach draußen trieb, nur der Drang nach Einzigartigkeit. Er würde der einzige Mensch auf diesem Posten sein, der sehen und wissen würde, was ihn getötet hatte. Mit weichen Knien kämpfte er sich zur Tür durch. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen oder ihn zu warnen. Es war, als seien alle zum Tode verurteilt.

Mit Mühe öffnete er die Tür gegen einen Feuerschwall, und er musste seine Augen schützen vor der Helligkeit der Glut. Der Himmel stand in Flammen. Über das Donnern des Feuers hinweg hörte er immer noch Flugzeuge, und die gelegentlich explodierenden Raketen schickten neue Flammenschauer über den Himmel. Wie gebannt beobachtete er, wie die großen Kriegsmaschinen in der ganzen Stadt brennend auf die Erde fielen. Doch sie fielen zwischen die Gebäude und auf verlassene Straßen und Felder. Alle Sprengsätze waren bereits hoch in der Atmosphäre gezündet worden. Wie erstarrt stand Buck in der flimmernden Hitze. Sein Gesicht war mit Brandblasen übersät und sein Körper in Schweiß gebadet. Was um alles in der Welt ging hier vor?

Dann kamen die Eisstücke und golfballgroße Hagelkörner, die Buck zwangen, seinen Kopf mit seiner Jacke zu schützen. Die Erde erbebte. Er wurde zu Boden geschleudert. Mit dem Gesicht auf den Eisstücken liegend spürte er, wie der Regen auf ihn niederprasselte. Auf einmal hörte man nur noch das Brausen des Feuers am Himmel, und auch das flaute allmählich ab. Nach zehn Minuten donnernden Brüllens erstarb das Feuer, und nur hier und da züngelten auf dem Boden noch kleine Flammen hoch. Der Feuerschein verschwand so schnell, wie er gekommen war. Stille legte sich über das Land.

Nachdem die Rauchwolken von einer leichten Brise davongetragen worden waren, zeigte sich die Nacht so schwarz wie zuvor, und die Sterne strahlten friedlich am Himmel, als wenn nichts geschehen wäre.

Buck ging zum Gebäude zurück, seine schlammige Lederjacke in der Hand haltend. Der Türgriff war immer noch heiß, und im Innern zitterten die militärischen Führer und Soldaten. Das Radio brachte Berichte von israelischen Piloten. Sie waren nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig aufzusteigen und konnten nur vom Boden aus zusehen, wie das gesamte russische Geschwader sich anscheinend selbst zerstörte.

Wie durch ein Wunder hatte es in ganz Israel nicht einen einzigen Verwundeten gegeben. Sonst hätte Buck angenommen, eine geheimnisvolle Fehlfunktion sei der Grund dafür gewesen, dass die Raketen und Flugzeuge sich gegenseitig zerstörten. Doch Zeugen berichteten, es sei ein Feuersturm gewesen, zusammen mit Regen und Hagel und einem Erdbeben, der die Offensive vereitelt hätte.

War es vielleicht ein von Gott geschickter Meteoritenhagel gewesen? Vielleicht. Doch wie war die Tatsache zu erklären, daß die hunderttausende Trümmerteile brennenden, geschmolzenen Metalls, die sich in Haifa, Jerusalem, Tel Aviv, Jericho, ja sogar in Bethlehem mauerhoch türmten, nicht auch nur ein einziges Lebewesen verletzt hatten? Als der Tag anbrach, wurde das Blutbad offenbar, und Israel erkannte, dass die Russen sich im Geheimen mit den Nationen des Mittleren Ostens, vorwiegend mit Äthiopien und Libyen, verbündet hatten.

Unter den Trümmern fanden die Israelis brennbares Material, das sie als Brennstoff verwenden konnten. Mehr als sechs Jahre lang würden sie ihre eigenen natürlichen Rohstoffe sparen können. Besondere Einheiten versuchten, den Bussarden und Geiern bei der Bergung der toten Feinde zuvorzukommen. Sie beeilten sich, so viele wie möglich zu begraben, bevor ihre Knochen abgenagt und Krankheiten im Volk verbreitet wurden.

Buck erinnerte sich noch sehr lebhaft daran, so als wäre es gestern gewesen. Wenn er nicht selbst dort gewesen wäre und alles mitangesehen hätte, er würde es sicher niemandem glauben. Und es kostete ihn unglaubliche Mühe, die Leser des Global Weekly dazu zu bringen, es ihm abzukaufen.

Redakteure und Leser fanden ihre eigenen Erklärungen für dieses Phänomen, aber Buck gestand ein, wenn auch nur vor sich, dass er an diesem Tag begonnen hatte, an Gott zu glauben. Jüdische Gelehrte wiesen auf Stellen in der Bibel hin, die davon sprachen, dass Gott die Feinde Israels durch einen Feuersturm, durch Erbeben, Hagel und Regen vernichten würde. Buck war verblüfft, als er Ezechiel, Kapitel 38 und 39 las, in dem von dem großen Feind aus dem Norden die Rede war, der mit der Hilfe Persiens, Libyens und Äthiopiens nach Israel eindringen würde. Erstaunlicher noch war, dass in der Bibel stand, die Kriegswaffen würden als Brennstoff verwendet und die feindlichen Soldaten von Vögeln gefressen oder in Gemeinschaftsgräbern begraben werden.

Christliche Freunde wollten nun, dass Buck den zweiten Schritt tat und an Christus glaubte, nun da er so offensichtlich geistlich angesprochen war. Doch so weit war er noch nicht. Aber ganz bestimmt hatte diese Erfahrung ihn verändert. Für ihn gab es nichts „Unglaubliches“ mehr.

Obwohl Captain Rayford Steele nicht sicher war, ob er Hattie Durham wirklich ganz offen seine Sympathie zeigen sollte, verspürte er den unwiderstehlichen Drang, sie zu sehen. Er öffnete seinen Sicherheitsgurt und rüttelte seinen Ersten Offizier leicht an der Schulter. „Wir fliegen immer noch mit Autopilot, Christopher“, sagte er, als der Jüngere sich aufrichtete und seine Kopfhörer zurechtrückte. „Ich werde einen kleinen Rundgang machen und mir den Sonnenaufgang ansehen.“

Christopher blinzelte und leckte sich die Lippen. „Ich habe den Eindruck, dass die Sonne noch nicht aufgegangen ist, Cap.“

„Es wird vermutlich noch eine oder zwei Stunden dauern. Ich werde mal sehen, ob sich trotzdem schon jemand rührt.“

„Roger. Wenn ja, sagen Sie ihnen einen schönen Gruß von mir.“

Rayford lachte und nickte. Als er die Cockpittür öffnete, wäre Hattie Durham beinahe in ihn hineingelaufen.

„Sie brauchen nicht zu klopfen“, sagte er. „Ich komme schon.“

Die Chefstewardess zog ihn in den Gang, doch in ihrer Berührung lag keine Leidenschaft. Ihre Finger krallten sich in seinen Arm, und sie zitterte am ganzen Körper.

„Hattie –“

Sie drückte ihn gegen die Kochnische. Ihr Gesicht war dicht vor seinem. Wenn sie nicht so offensichtlich verschreckt gewesen wäre, hätte er die Situation vielleicht genossen und ihre Umarmung erwidert. Ihre Stimme war nur ein leises Winseln.

„Es fehlen Menschen“, brachte sie schließlich flüsternd heraus und vergrub den Kopf an seiner Brust.

Er nahm sie bei den Schultern und versuchte, sie zurückzuschieben, doch sie wehrte sich. „Was meinen Sie damit?“

Sie schluchzte jetzt haltlos. „Eine ganze Reihe von Leuten, einfach fort!“

„Hattie, dies ist ein großes Flugzeug. Vermutlich sind sie auf den Toiletten oder –“

Sie zog seinen Kopf zu sich herunter, damit sie ihm direkt ins Ohr flüstern konnte. Trotz ihres Schluchzens bemühte sie sich darum, sich verständlich zu machen. „Ich habe überall nachgesehen. Ich sage Ihnen, Dutzende von Menschen fehlen.“

„Hattie, es ist noch dunkel. Wir werden sie finden –“

„Ich bin nicht verrückt! Sehen Sie doch selbst nach! Im ganzen Flugzeug sind Menschen verschwunden.“

„Das ist ein Scherz. Sie haben sich versteckt, versuchen –“

„Ray! Ihre Schuhe, Strümpfe, ihre Kleider, alles ist noch da. Nur die Menschen sind fort!“

Hattie befreite sich aus seinem Griff und hockte sich wimmernd in die Ecke. Rayford wollte sie trösten, ihr Hilfe zukommen lassen oder Chris dazu bringen, mit ihm einen Rundgang durch das Flugzeug zu machen. Doch mehr als alles andere wollte er glauben, dass diese Frau verrückt war. Sie konnte doch nicht wirklich ihren Scherz mit ihm treiben. Aber ganz offensichtlich war sie fest davon überzeugt, dass die Menschen verschwunden waren.

Im Cockpit hatte er geträumt. Schlief er jetzt vielleicht? Er biss sich fest auf die Lippe und zuckte vor Schmerz zusammen. Er war also hellwach. Er betrat die erste Klasse, wo eine ältere Frau verblüfft auf den Pullover und die Hose ihres Mannes starrte, die sie in der Hand hielt. „Was um alles in der Welt ist passiert?“, sagte sie. „Harold?“

Rayford sah sich um. Die meisten Passagiere schliefen noch, darunter auch ein junger Mann am Fenster, dessen Laptop auf dem Tisch vor ihm stand. Aber einige Sitze waren tatsächlich leer. Nachdem Rayford sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, ging er schnell zur Treppe. Er wollte gerade hinuntersteigen, als die Frau ihn rief.

„Sir, mein Mann –“

Rayford legte einen Finger an die Lippen und flüsterte: „Ich weiß. Wir werden ihn finden. Ich bin gleich zurück.“

Was für ein Unsinn!, dachte er beim Hinuntergehen. Hattie war direkt hinter ihm. „Wir werden ihn finden?“

Hattie packte ihn bei den Schultern, und er blieb stehen. „Soll ich das Licht einschalten?“

„Nein“, flüsterte er. „Je weniger die Leute merken, desto besser.“

Rayford wollte stark sein, Antworten anbieten, seiner Crew, Hattie, ein Vorbild sein. Doch als er die untere Ebene erreichte, wusste er, dass der Rest des Fluges chaotisch verlaufen würde. Er hatte nicht weniger Angst als alle anderen an Bord. Während er seinen Blick über die Sitze gleiten ließ, geriet er beinahe in Panik. Er drückte sich in eine Ecke hinter der Tür und barg sein Gesicht in den Händen.

Das war kein Scherz, kein Trick, kein Traum. Irgendetwas stimmte hier nicht, und er konnte nicht davonrennen. Auch wenn er nicht die Beherrschung verlor, würde es Verwirrung, vielleicht sogar Panik geben. Niemand hatte ihn auf so etwas vorbereitet, und er würde derjenige sein, auf den alle blickten. Aber was erwarteten sie von ihm? Was sollte er tun?

Die erste Person, dann eine zweite schrien auf, als sie bemerkten, dass ihre Sitznachbarn fehlten, deren Kleidungsstücke aber noch da waren. Sie weinten, sie schrien, sie sprangen von ihren Sitzen auf. Hattie umklammerte Rayford von hinten so fest, dass er kaum noch Luft bekam. „Rayford, was ist hier los?“

Er löste ihre Umklammerung und drehte sich zu ihr herum. „Hattie, hören Sie. Ich weiß genauso wenig wie Sie, was hier vorgeht. Aber wir müssen diese Leute beruhigen. Ich werde irgendetwas über Bordlautsprecher sagen, und Sie und Ihre Leute versuchen die Leute auf ihren Plätzen zu halten. In Ordnung?“

Sie nickte, doch sie machte überhaupt nicht den Eindruck, als sei sie in Ordnung. Er drängte sich an ihr vorbei, um ins Cockpit zurückzueilen, als er sie schreien hörte. So viel zur Beruhigung der Passagiere, dachte er und drehte sich um. Sie kniete im Gang und hielt einen Blazer, ein Hemd und eine Krawatte in der Hand. Die Hose lag zu ihren Füßen. Außer sich vor Entsetzen hielt Hattie die Jacke ins trübe Licht, um das Namensschild zu lesen. „Tony!“, jammerte sie. „Tony ist fort!“

Rayford riss ihr die Kleider aus der Hand und warf sie in eine Ecke. Er packte Hattie bei den Ellbogen und zog sie hoch. „Hattie, wir haben noch einige Stunden Flug vor uns. Wir können es uns einfach nicht leisten, ein Flugzeug voller hysterischer Menschen zu befördern. Ich werde jetzt eine Erklärung abgeben, aber Sie müssen auch Ihren Aufgaben nachkommen. Können Sie das?“

Sie nickte mit leerem Blick. Er zwang sie, ihn anzusehen. „Können Sie das?“, wiederholte er.

Sie nickte wieder. „Rayford, werden wir sterben?“

„Nein“, erwiderte er. „Da bin ich sicher.“

Aber im Augenblick wusste er überhaupt nichts mehr. Woher sollte er wissen, wie er mit einer solchen Situation umgehen sollte? Lieber wäre ihm gewesen, ein Triebwerk hätte Feuer gefangen, selbst eine Notwasserung hätte er lieber in Kauf genommen als das hier. Wie sollte er die Leute inmitten eines solchen Albtraums ruhig halten?

Das Licht in der Kabine musste nun unbedingt eingeschaltet werden. Er war froh, Hattie eine konkrete Aufgabe zuweisen zu können. „Ich weiß nicht, was ich sagen werde“, meinte er, „aber schalten Sie das Licht an, damit wir genau feststellen können, wer noch da und wer fort ist. Und holen Sie einige dieser Formulare für ausländische Besucher.“

„Wozu?“

„Tun Sie es einfach. Halten Sie sie bereit.“

Rayford wusste nicht, ob es richtig war, Hattie die Verantwortung für die Passagiere und die Crew zu überlassen. Während er die Stufen hinaufrannte, entdeckte er eine weitere Stewardess, die schreiend in einem Gang zurückwich. Mittlerweile war der arme Christopher im Cockpit der Einzige im ganzen Flugzeug, der von den Vorgängen noch nichts mitbekommen hatte. Rayford hatte Hattie gesagt, er wüsste genauso wenig wie sie, was hier los sei.

Die erschreckende Wahrheit war aber, dass er es leider nur zu gut wusste. Irene hatte recht gehabt. Ihn und die meisten seiner Passagiere hatte „man zurückgelassen“.

2

Cameron Williams war aufgewacht, als die alte Frau direkt vor ihm nach dem Piloten gerufen hatte. Der Pilot hatte sie mit einem Blick auf Buck zum Schweigen gebracht. Buck fuhr sich mit den Fingern durch sein blondes Haar und zwang sich zu einem Lächeln. „Gibt es Schwierigkeiten, Ma’am?“

„Es geht um meinen Harold“, sagte sie.

Als sie an Bord gegangen waren, hatte Buck dem alten Mann geholfen, sein Jackett und seinen Hut in die Gepäckablage zu legen. Harold war ein kleiner Mann mit braunen Hosen und einem braunen Pullover über seinem Hemd mit der Krawatte. Sein Haar lichtete sich bereits, und Buck nahm an, dass er, wenn die Klimaanlage eingeschaltet wurde, bestimmt seinen Hut wiederhaben wollte.

„Braucht er etwas?“

„Er ist fort!“

„Wie bitte?“

„Er ist verschwunden!“

„Ich bin sicher, er ist nur eben mal zur Toilette gegangen, während Sie geschlafen haben.“

„Würden Sie bitte einmal nachsehen? Und nehmen Sie eine Decke mit.“

„Wie bitte?“

„Ich fürchte, er ist nackt. Er ist so religiös, und er wäre schrecklich verlegen.“

Buck unterdrückte ein Lächeln, als er den verängstigten Gesichtsausdruck der Frau bemerkte. Er stieg über den schlafenden Passagier neben sich hinweg, der den kostenlosen Getränken zu stark zugesprochen hatte und nahm die Decke von der alten Frau entgegen. Tatsächlich, Harolds Kleider lagen fein säuberlich auf seinem Sitz, seine Brille und sein Hörgerät obenauf. Die Hosenbeine hingen über den Sitz, darunter standen seine Schuhe mit seinen Socken. Seltsam, dachte Buck. Warum so ordentlich? Er erinnerte sich an einen Freund in der Highschool, der unter einer bestimmten Form von Epilepsie litt. Manchmal hatte er einen Blackout, obwohl er nach außen ganz normal wirkte. Dann zog er sich in der Öffentlichkeit die Schuhe und Strümpfe aus oder kam mit offenen Kleidern aus einem Waschraum.

„Leidet Ihr Mann unter Epilepsie?“

„Nein.“

„Schlafwandelt er?“

„Nein.“

„Ich komme sofort zurück.“

Die Toiletten der ersten Klasse waren nicht besetzt, doch als Buck zu den Treppen ging, standen einige Passagiere im Gang. „Entschuldigen Sie“, sagte er, „ich suche jemanden.“

„Wer nicht?“, erwiderte eine Frau.

Buck drängte sich an den Leuten vorbei und stellte fest, dass sich vor den Toiletten der Business und Economy Class Schlangen gebildet hatten. Wortlos stürmte der Pilot an ihm vorbei. Die Chefstewardess kam auf ihn zu. „Sir, ich muss Sie bitten, auf Ihren Platz zurückzukehren und sich anzuschnallen.“

„Ich suche –“

„Alle suchen jemanden“, sagte sie. „Wir hoffen, Ihnen in wenigen Minuten mehr sagen zu können. Gehen Sie jetzt bitte zu Ihrem Platz zurück.“ Sie führte ihn zu der Treppe zurück, dann rannte sie zwei Stufen auf einmal nehmend hinauf.

Auf halber Treppe drehte Buck sich um und betrachtete das Bild, das sich ihm bot. Es war mitten in der Nacht, um Himmels willen, und als das Kabinenlicht eingeschaltet wurde, erschauderte er. Im ganzen Flugzeug hielten Leute Kleidungsstücke hoch und schrien, dass jemand nicht mehr da sei.

Irgendwie wusste er, dass dies kein Traum war, und er empfand denselben Schrecken wie damals vor einem Jahr, als er in Israel auf seinen Tod gewartet hatte. Was sollte er Harolds Frau sagen? Sie sind nicht die Einzige? Viele andere Leute haben ihre Kleider auf ihren Sitzen zurückgelassen?

Während er zu seinem Platz zurückeilte, durchforstete er sein Gedächtnis nach irgendetwas, das er vielleicht einmal gelesen, gesehen oder gehört hatte von einer Technologie, die Menschen aus ihren Kleidern holen und aus einer entschieden sicheren Umgebung verschwinden lassen konnte. Saßen die Initiatoren dieser Katastrophe vielleicht im Flugzeug? Würden sie irgendwelche Forderungen stellen? Würden noch mehr Menschen verschwinden? Würde auch er Opfer sein? Wo würde er sich wieder finden?

Furcht schien die ganze Kabine zu durchdringen, als er wieder über seinen schlafenden Sitznachbarn hinwegstieg. Er lehnte sich über den vorderen Sitz. „Offensichtlich fehlen eine Reihe von Menschen“, erklärte er der alten Frau. Sie blickte ihn verwirrt und ängstlich an. Auch Buck empfand Furcht.

Er setzte sich wieder auf seinen Platz. Der Kapitän sprach über den Bordlautsprecher zu den Passagieren. Nachdem er sie aufgefordert hatte, sich auf ihre Plätze zu begeben, erklärte er: „Ich bitte die Stewardessen, die Toiletten zu überprüfen, um sicherzugehen, dass alle Passagiere erfasst werden können. Die Stewardessen werden Ihnen dann Einreiseformulare aushändigen. Wenn jemand, den Sie kennen, fehlt, so möchte ich Sie bitten, dieses Formular auf seinen Namen auszufüllen und alles anzugeben, was Sie von ihm wissen, vom Geburtsdatum bis zu einer Personenbeschreibung.

Ich bin sicher, Ihnen allen ist klar, dass wir uns in einer sehr schwierigen Situation befinden. Mithilfe der Formulare können wir feststellen, wer fehlt, und ich habe etwas in der Hand, das ich den Behörden übergeben kann. Mein Erster Offizier, Mr. Smith, wird nun durch die Reihen gehen und die leeren Plätze zählen. Ich werde versuchen, Kontakt zur ,Pan-Continental‘-Fluggesellschaft aufzunehmen. Ich muss Ihnen jedoch sagen, dass es aufgrund unserer gegenwärtigen Position sehr schwierig sein wird, mit dem Bodenpersonal zu sprechen. Zwar gibt es Satelliten, doch wir befinden uns über einem ziemlich abgelegenen Gebiet. Sobald ich etwas weiß, werde ich es Ihnen mitteilen. In der Zwischenzeit wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ruhe bewahren und unseren Anweisungen folgen würden.“

Buck beobachtete, wie der Erste Offizier ohne Mütze und mit hochrotem Kopf aus dem Cockpit stürmte. Er eilte einen Gang hinunter, einen zweiten hinauf und ließ seinen Blick über die Sitze gleiten, während die Stewardessen die Formulare austeilten.

Bucks Sitznachbar erwachte, als eine Stewardess ihn fragte, ob jemand aus seiner Reisegruppe fehle. „Ob jemand fehlt? Nein. Außerdem reise ich allein.“ Er rollte sich wieder zusammen und schlief ein.

Der Erste Offizier war nur wenige Minuten fort, als Rayford seinen Schlüssel in der Cockpittür hörte. Die Tür flog auf. Christopher ließ sich auf seinen Sitz fallen, ignorierte den Gurt und barg den Kopf in seinen Händen.

„Was ist hier los, Ray?“, fragte er. „Uns fehlen mehr als einhundert Leute. Nur ihre Kleider sind noch da.“

„So viele?“

„Ja, meinst du, es wäre besser, wenn es nur fünfzig wären? Wie um alles in der Welt sollen wir erklären, dass wir mit weniger Passagieren landen als wir gestartet sind?“

Rayford schüttelte den Kopf. Er beschäftigte sich noch immer mit dem Funkgerät und versuchte, Kontakt zu bekommen, mit irgendjemandem, in Grönland, auf einer Insel oder sonst wo. Doch sie waren zu weit entfernt, um eine Funkstation zu erreichen. Schließlich gelang es ihm, den Funkkontakt zu einer Concorde herzustellen, die mehrere Meilen entfernt in die andere Richtung flog. Mit einem Kopfnicken forderte er Christopher auf, seine Kopfhörer aufzusetzen.

„Haben Sie genügend Treibstoff, um in die Staaten zurückzukehren, over?“, fragte der Pilot Rayford.

Er blickte Christopher an, der nickte und flüsterte: „Wir haben knapp die Hälfte der Strecke zurückgelegt.“

„Ich könnte es zum Kennedy Airport schaffen“, erwiderte Rayford.

„Vergessen Sie’s“, kam die Antwort. „In New York geht nichts mehr. Zwei Landebahnen in Chicago sind noch offen. Das ist unser Ziel.“

„Wir kommen aus Chicago. Kann ich nicht in Heathrow landen?“

„Negativ. Geschlossen.“

„Paris?“

„Mann, Sie müssen zu dem Ort zurück, von wo aus Sie gestartet sind. Wir haben Paris vor einer Stunde verlassen. Wir erfuhren, was passiert war und bekamen Order, direkt nach Chicago zu fliegen.“

„Was ist denn passiert, Concorde?“

„Wenn Sie das nicht wissen, warum haben Sie dann ,Mayday‘ gesendet?“

„Ich habe eine Situation an Bord, über die ich nicht sprechen möchte.“

„Hey, Freund, das ist in der ganzen Welt so, verstehen Sie?“

„Negativ, ich verstehe nicht“, erwiderte Rayford. „Sagen Sie es mir.“

„Ihnen fehlen Passagiere, nicht?“

„Roger. Mehr als einhundert.“

„Wow! Uns fehlen fast fünfzig.“

„Wie gehen Sie damit um, Concorde?“

„Zuerst dachte ich, es sei eine Art Selbstentzündung, doch dann hätte man Rauch sehen müssen, Überreste. Diese Menschen sind einfach verschwunden. Ich muss an die Serie ,Raumschiff Enterprise‘ denken, wo Menschen dematerialisiert und rematerialisiert, von einem Ort zum anderen gebeamt wurden.“

„Ich wünschte wirklich von Herzen, ich könnte meinen Leuten sagen, ihre Lieben würden genauso schnell und unversehrt zurückkommen, wie sie verschwunden sind“, meinte Rayford.

„Das ist nicht das Schlimmste, Pan Heavy. Überall sind Leute verschwunden. Orly hat Fluglotsen und Bodenpersonal verloren. In einigen Flugzeugen ist ein Teil der Crew verschwunden. Da, wo zum Zeitpunkt des Verschwindens Tag war, gab es Massenkarambolagen, Chaos überall. Unzählige Flugzeugabstürze.“

„Dann ist das also ein weltweites Phänomen?“

„Es passierte überall zugleich, vor einer knappen Stunde.“

„Und ich dachte, es sei nur in diesem Flugzeug passiert. Gas oder irgendeine Fehlfunktion.“

„Dass es nur hier und da jemanden betrifft, meinen Sie, over?“

Rayford spürte den Sarkasmus.

„Ich verstehe, was Sie meinen, Concorde. Muss zugeben, so etwas hatten wir noch nie.“

„Und möchten wir auch nicht noch einmal erleben. Ich sage mir immer wieder, dass es nur ein schlechter Traum ist.“

„Ein Albtraum, over.“

„Roger, aber das ist es nicht, nicht wahr?“

„Was werden Sie Ihren Passagieren mitteilen, Concorde?“

„Keine Ahnung. Sie, over?“

„Die Wahrheit.“

„Kann nicht schaden. Aber was ist die Wahrheit? Was wissen wir denn?“

„Überhaupt nichts.“

„Da haben Sie recht, Pan Heavy. Wissen Sie eigentlich, was einige Leute sagen, over?“

„Roger“, erwiderte Rayford. „Es ist besser, dass diese Leute in den Himmel gegangen sind, als dass irgendeiner dies mit irgendwelchen seltsamen Strahlen angerichtet hat.“

„Wir haben erfahren, dass jedes Land betroffen ist. Wir sehen uns in Chicago.“

„Roger.“

Rayford Steele blickte Christopher an, der einen neuen Kurs eingab, um die Maschine in einer großen Kurve zu wenden und in die Staaten zurückzufliegen.

„Meine Damen und Herren“, sagte Rayford über den Bordlautsprecher, „da wir nicht in der Lage sind, in Europa zu landen, fliegen wir nach Chicago zurück. Wir haben fast genau die Hälfte der Flugstrecke zu unserem ursprünglichen Ziel zurückgelegt, sodass es keine Treibstoffprobleme geben wird. Ich hoffe, dass Sie das ein wenig beruhigt. Ich werde Sie wissen lassen, wenn Sie Ihre Telefone wieder benutzen können. Bis dahin tun Sie sich selbst einen Gefallen, wenn Sie es gar nicht erst versuchen.“

Als der Kapitän über den Bordlautsprecher verkündete, sie würden in die Vereinigten Staaten zurückkehren, war Buck Williams überrascht zu sehen, dass die Passagiere applaudierten. Die meisten kamen aus den Staaten, und alle waren so schockiert und verängstigt, dass sie froh waren, wenigstens in ihre vertraute Umgebung zurückkehren zu können. Buck stieß den Geschäftsmann zu seiner Rechten an. „Es tut mir Leid, Freund, aber das wollen Sie doch sicher mitbekommen.“

Der Mann blinzelte Buck entrüstet an und nuschelte: „Solange wir nicht abstürzen, lassen Sie mich in Ruhe.“

Als die Pan-Continental 747 endlich wieder in Satellitenreichweite der Vereinigten Staaten war, nahm Kapitän Rayford Steele mit einer Nachrichtenstation Verbindung auf und hörte von den weitreichenden Folgen der Tatsache, dass auf jedem Kontinent Menschen verschwunden waren. Die Kommunikationskanäle waren überlastet. Zu den verschwundenen Menschen in der ganzen Welt gehörten Mediziner, Techniker und Dienstleistungspersonal. Jede Zivileinrichtung war in voller Alarmbereitschaft und bemühte sich darum, mit den endlosen Tragödien fertigzuwerden. Rayford erinnerte sich an das große Zugunglück in Chicago Jahre zuvor, bei dem neben den Rettungsdiensten, den Feuerwehr- und Polizeieinheiten sogar die gesamte Bevölkerung zu Hilfsarbeiten herangezogen worden war. Er konnte sich vorstellen, dass das Desaster dort unten auf der Erde tausendmal größer sein musste.

Die Stimmen der Nachrichtensprecher spiegelten das Entsetzen wider, so sehr sie sich auch bemühten, dies zu überspielen. Jede nur denkbare Erklärung wurde angeboten, doch die Realität, das Ausmaß der Katastrophe übertraf alle Erklärungsversuche. Was die Leute von den Nachrichten erwarteten, waren Informationen, wie sie zu den Orten gelangen konnten, wo sie hinwollten und wie sie Kontakt zu ihren Lieben aufnehmen konnten, um zu erfahren, ob sie noch am Leben waren. Rayford wurde angewiesen, sich in ein internationales Kontrollsystem einzuklinken, das es ihm ermöglichen würde, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in O’Hare zu landen. Es waren nur noch zwei Landebahnen offen, und alle großen Flugzeuge im Land schienen dorthin unterwegs zu sein. Tausende hatten bei Flugzeugabstürzen und Massenkarambolagen den Tod gefunden. Rettungsmannschaften räumten Schnellstraßen und Landebahnen, während sie über das Verschwinden von Angehörigen oder Kollegen trauerten. Einem Bericht zufolge waren so viele Taxifahrer von dem Taxistand in O’Hare verschwunden, dass Freiwillige gesucht werden mussten, um die Wagen aus dem Weg zu fahren, die mit laufendem Motor und den Kleidern der Taxifahrer auf dem Fahrersitz stehen gelassen worden waren.

Unzählige Autofahrer waren plötzlich verschwunden und ihre Wagen außer Kontrolle geraten. Das Schwierigste für die Helfer war zu entscheiden, wer verschwunden, wer getötet und wer verletzt war, und sich dann mit den Überlebenden in Verbindung zu setzen.

Als Rayford Funkkontakt zum Tower in O’Hare aufnehmen konnte, bat er den Fluglotsen, ihn mit seiner Wohnung zu verbinden. Er wurde ausgelacht. „Es tut mir Leid, Captain, aber die Telefonleitungen und das Telefonpersonal sind so überlastet, dass es fast aussichtslos ist, eine Verbindung zu bekommen.“

Rayford informierte die Passagiere über das Ausmaß des Phänomens und bat sie, ruhig zu bleiben. „Solange wir hier im Flugzeug sind, können wir nichts tun, um die Situation zu ändern. Ich werde versuchen, diese Maschine so schnell wie möglich in Chicago zu landen, damit Sie Antworten auf Ihre Fragen bekommen und, wie ich hoffe, Hilfe.“

Das im Sitz vor Buck Williams eingelassene Flugzeugtelefon war nicht mit externen Modularverbindungen ausgestattet wie die normalen Telefone zu Hause. Auf diese Weise konnte niemand es einfach mitnehmen, weil es nicht funktionieren würde. Buck ging jedoch davon aus, dass das Telefon selbst genauso aufgebaut war wie alle anderen auch, und wenn es ihm irgendwie gelang, an die Verbindung zu kommen, ohne das Telefon zu beschädigen, könnte er das Modem seines Computers direkt in die Leitung einklinken. Sein eigenes Handy funktionierte in dieser Höhe nicht.

Vor ihm hatte Harolds Frau ihr Gesicht in den Händen vergraben und weinte. Der Geschäftsmann neben Buck schnarchte. Kurz nach dem Start und kurz bevor er sinnlos betrunken eingeschlafen war, hatte er etwas von einer wichtigen Sitzung in Schottland erzählt. Er würde ganz schön überrascht sein, wenn er bei der Landung erwachte!

Alle Leute um Buck herum weinten, beteten oder redeten aufgeregt durcheinander. Die Stewardessen reichten einen Imbiss und Getränke herum, doch nur wenige nahmen etwas. Buck hätte zwar einen Sitzplatz am Gang bevorzugt, weil er da mehr Beinfreiheit gehabt hätte, doch nun war er froh, dass er teilweise verdeckt am Fenster saß. Aus seiner Computertasche holte er einen winzigen Werkzeugkasten hervor und begann mit der Arbeit am Telefon.

Enttäuscht, nicht das erwartete Modul im Inneren des Gehäuses zu finden, beschloss er, sich als Amateurelektriker zu betätigen. Die Drähte der Telefonapparate hatten immer dieselben Farben. Er öffnete seinen Computer und schnitt den Hauptdraht ab. Im Innern des Telefons schnitt er ebenfalls einen Draht ab und entfernte die schützende Gummihülle. Tatsächlich, die vier inneren Drähte sowohl des Telefons als auch des Computers sahen identisch aus. In wenigen Minuten hatte er sie miteinander verbunden.

Buck gab eine Nachricht an seinen Chefredakteur Steve Plank in New York ein, in der er ihm mitteilte, dass er in Chicago landen würde. „Ich werde über alles berichten, was ich weiß, und ich bin sicher, das wird nur eine von vielen ähnlichen Geschichten sein. Aber wenigstens wird sie aktuell sein. Ob es von Nutzen sein wird, weiß ich nicht. Mir kommt der Gedanke, Steve, dass du vielleicht unter den Vermissten bist. Woher kann ich das wissen? Du kennst meine Computernummer. Lass mich wissen, wenn du noch bei uns bist.“

Er speicherte die Notiz und installierte sein Modem, um sie nach New York zu schicken, während er an seinem Bericht weiterarbeitete. Auf seinem Bildschirm leuchtete alle zwanzig Sekunden ein Licht auf, das ihm sagte, dass die Verbindung zur Datenautobahn hergestellt wurde. Er arbeitete weiter.

Die Chefstewardess riss ihn aus seinen Gedanken, als er bereits mehrere Seiten niedergeschrieben hatte. „Was um alles in der Welt tun Sie da?“, fragte sie und beugte sich zu ihm hinüber. Sie starrte auf das Kabelgewirr, das von seinem Laptop zum Flugzeugtelefon führte. „Das kann ich nicht zulassen.“

Er warf einen Blick auf ihr Namensschild. „Hören Sie, wunderschöne Hattie, stehen wir nicht vor dem Ende der Welt?“

„Reden Sie nicht so mit mir, Sir. Ich kann nicht zulassen, dass Sie das Eigentum der Fluglinie beschädigen.“

„Ich beschädige es nicht. Ich habe es mir nur in einem Notfall zu eigen gemacht. Damit kann ich hoffentlich eine Verbindung herstellen, was sonst unmöglich ist.“

„Ich kann das nicht zulassen.“

„Hattie, darf ich Ihnen etwas sagen?“

„Nur dass Sie dieses Telefon wieder in den Zustand zurückversetzen, wie Sie es vorgefunden haben.“

„Das werde ich.“

„Jetzt.“

„Nein, nicht jetzt.“

„Ich verlange es von Ihnen.“

„Das verstehe ich, doch bitte, hören Sie mir zu.“

Der Mann neben Buck starrte erst ihn, dann Hattie an. Er fluchte, dann nahm er sein Kissen, drückte es sich auf sein rechtes Ohr und legte den Kopf zur Seite.

Hattie holte einen Computerausdruck aus ihrer Tasche und suchte seinen Namen. „Mr. Williams, ich erwarte von Ihnen, dass Sie meinen Anweisungen Folge leisten. Nur ungern würde ich den Piloten damit behelligen.“

Buck griff nach ihrer Hand. „Können wir nur eine Sekunde miteinander reden?“

„Ich werde meine Meinung nicht ändern, Sir. Und jetzt bitte, ich habe ein Flugzeug voller verängstigter Menschen.“

„Gehören Sie nicht auch dazu?“ Er hielt immer noch ihre Hand.

Sie kräuselte die Lippen und nickte.

„Würden Sie nicht auch gern Kontakt zu jemandem aufnehmen? Wenn das funktioniert, könnte ich jemanden erreichen, der Telefonanrufe für Sie erledigt, Ihrer Familie mitteilt, dass es Ihnen gut geht und genau so könnte ich eine Nachricht für Sie hereinbekommen. Ich habe nichts kaputt gemacht, und ich verspreche, dass ich alles wieder in Ordnung bringe.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Und Sie würden mir helfen?“

„Natürlich. Geben Sie mir Namen und Telefonnummern. Ich werde sie zusammen mit meiner Nachricht nach New York schicken. Ich werde darauf bestehen, dass jemand für Sie die Anrufe erledigt und mich dann informiert. Ich kann nicht dafür garantieren, dass ich durchkomme oder dass ich Antwort bekomme, aber ich werde es versuchen.“

„Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.“

„Und Sie können mich vor anderen übereifrigen Stewardessen und Stewards schützen?“

Hattie brachte ein Lächeln zustande. „Vielleicht wollen sie alle auch Ihre Hilfe in Anspruch nehmen.“

„Das ist eine schwierige Angelegenheit. Halten Sie mir nur alle vom Leib und lassen Sie es mich versuchen.“

„Abgemacht“, erwiderte sie, aber sie wirkte sehr bekümmert.

„Hattie, Sie tun das Richtige“, sagte er. „In einer solchen Situation ist das durchaus in Ordnung, auch mal ein wenig an sich selbst zu denken. Genau das tue ich.“

„Aber wir alle sitzen doch im selben Boot, Sir. Und ich trage die Verantwortung.“

„Sie müssen zugeben, dass einige Regeln ungültig werden, wenn Menschen einfach verschwinden.“

Rayford Steele saß aschfahl im Cockpit. Eine halbe Stunde vor der Landung in Chicago hatte er die Passagiere über alles informiert, was er wusste. Das gleichzeitige Verschwinden von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt hatte zu einem unvorstellbaren Chaos geführt. Durch das beherrschte Verhalten der Menschen sei eine Hysterie verhindert worden, obwohl die Ärzte berichteten, sie würden Valium wie Bonbons ausgeben.

Rayford war ehrlich zu seinen Passagieren gewesen. Er konnte gar nicht anders. Ihm wurde klar, dass er den Leuten mehr gesagt hatte, als wenn ein Triebwerk ausgefallen wäre, mit der Hydraulik oder dem Fahrwerk etwas nicht gestimmt hätte. Er hatte ihnen offen gesagt, dass diejenigen, die keinen Verlust von einem lieben Menschen zu beklagen hatten, vielleicht zu Hause feststellen müssten, dass sie trotzdem Opfer dieser Katastrophe geworden waren, die durch das Verschwinden so vieler Menschen entstanden war.

Wie dankbar war er, dass er sich zum Zeitpunkt dieses Ereignisses in der Luft befunden hatte, doch das behielt er lieber für sich. Welche Verwirrung würde auf der Erde auf sie warten! Hier schwebten sie buchstäblich über dem ganzen Chaos. Natürlich waren auch sie betroffen. Überall waren Menschen verschwunden. Doch außer dem Personalmangel, weil drei Crewmitglieder fort waren, hatten die Passagiere nicht darunter zu leiden. Das hätte ganz anders ausgesehen, wenn sie mit dem Auto unterwegs gewesen wären oder er und Christopher zu denjenigen gehört hätten, die verschwunden waren.

Als er sich Meilen von O’Hare entfernt in die Warteschleife einreihte, wurde das volle Ausmaß der Tragödie sichtbar. Flugzeuge aus dem ganzen Land waren nach Chicago umgeleitet worden. Sie wurden nach ihrem Treibstoffvorrat eingestuft. Rayford bekam oberste Priorität, da er bereits zur Ostküste und dann über den Atlantik geflogen war, bevor er umgedreht hatte. Es war nicht Rayfords Gewohnheit, vor seiner Landung mit der Bodenkontrolle zu sprechen. Doch nun wurde das von der Luftüberwachung empfohlen. Er wurde darüber informiert, dass ausgezeichnete Sichtverhältnisse herrschten, trotz des durch die Unfälle auf der Erde entstandenen Rauches, die Landung würde aber trotzdem riskant sein, weil die beiden einzigen offenen Landebahnen von Flugzeugen überfüllt waren. Sie standen an jeder Seite, die ganze Landebahn entlang. Jeder Flugsteig war dicht, und es konnte kein Platz geschaffen werden. Alle nur denkbaren Transportmittel waren im Einsatz, um die Passagiere von den Landebahnen zum Terminal zu bringen.

Doch, so sagte man Rayford, sehr wahrscheinlich würden seine Passagiere, zumindest die meisten von ihnen, den ganzen Weg laufen müssen. Alles verfügbare Personal war zum Dienst beordert worden, doch sie waren damit beschäftigt, den Flugzeugen einen sicheren Parkplatz zuzuweisen. Die wenigen Busse und Transporter waren für die Behinderten, für ältere Leute und das Flugpersonal reserviert. Rayford gab durch, seine Crew würde laufen.

Die Passagiere hatten berichtet, dass sie keine Telefonverbindung bekommen konnten. Hattie Durham erzählte Rayford, ein Passagier der ersten Klasse hätte das Telefon irgendwie an seinen Computer angeschlossen, und es würde automatisch immer wieder New York anwählen. Wenn eine Leitung frei würde, so würde er bestimmt durchkommen.

Als das Flugzeug den Landeanflug auf Chicago begann, war es Buck gelungen, eine Leitung zu ergattern, über die er seine Nachrichten übermitteln konnte. Dies passierte gerade in dem Augenblick, als Hattie verkündete, alle elektronischen Geräte müssten jetzt abgeschaltet werden.

Mit einem Reaktionsvermögen, das er gar nicht bei sich vermutet hätte, beschleunigte er die Schlüssel, die seine Botschaften sortierten und in Sekundenschnelle durchgaben. In dem Augenblick, wo er die Funkverbindung hätte stören können, war er bereits wieder aus der Leitung. Nun würde er warten müssen, bis er Neuigkeiten von Freunden, Mitarbeitern, Verwandten entgegennehmen konnte.

Vor ihren letzten Landevorbereitungen eilte Hattie zu Buck. „Haben Sie etwas erreicht?“ Er schüttelte entschuldigend den Kopf. „Danke, dass Sie es versucht haben“, antwortete sie. Und sie begann zu weinen.

Er ergriff ihre Hand. „Hattie, wir werden alle nach Hause gehen und dort weinen. Aber halten Sie durch. Bringen Sie Ihre Passagiere aus dem Flugzeug, dann können Sie wenigstens in dieser Hinsicht mit sich zufrieden sein.“

„Mr. Williams“, schluchzte sie, „Sie wissen, wir haben mehrere ältere Leute verloren, aber nicht alle. Und wir haben mehrere Leute im mittleren Alter verloren, aber nicht alle. Und wir haben mehrere Leute Ihres und meines Alters verloren, aber nicht alle. Wir haben sogar einige Teenager verloren.“

Er starrte sie an. Was wollte sie ihm damit sagen?

„Sir, wir haben jedes Kind und Baby an Bord verloren.“

„Wie viele waren es?“

„Mehr als ein Dutzend. Aber alle! Keines ist zurückgeblieben.“

Der Mann neben Buck wurde wach und blinzelte in die Morgensonne, die durch das Fenster schien. „Wovon um alles in der Welt reden Sie?“, sagte er.

„Wir werden gleich in Chicago landen“, sagte Hattie. „Ich muss los.“

„In Chicago?“

„Sie wollten ja nichts hören“, erwiderte Buck.

Der Mann saß beinahe auf Bucks Schoß, um einen Blick aus dem Fenster werfen zu können. Sein nach Alkohol riechender Atem raubte Buck beinahe die Luft. „Was ist los, befinden wir uns im Krieg? Aufstände? Was ist los?“

Da die Maschine gerade durch die Wolken gestoßen war, konnten die Passagiere einen Blick auf Chicago werfen. Rauch. Feuer. Autos, die von der Fahrbahn abgekommen oder ineinander gerast waren. Flugzeugwrackteile auf der Erde. Rettungswagen mit Warnlichtern bahnten sich mühsam ihren Weg durch das Chaos.

Als O’Hare in Sicht kam, wurde ihnen klar, dass niemand so schnell wegkommen würde. Flugzeuge, so weit das Auge sehen konnte, einige zertrümmert und in Flammen, andere hintereinander geparkt. Menschen schleppten sich durch das Gras und zwischen den Flugzeugen hindurch zum Terminal. Die Autobahnen, die zum Flughafen führten, sahen aus wie damals während des großen Schneesturms in Chicago, nur dass der Schnee fehlte.

Kräne und Abschleppwagen versuchten, einen Weg zum Flughafengebäude zu bahnen, damit die Wagen durchfahren konnten, doch das würde noch Stunden dauern, wenn nicht Tage. Eine Menschenschlange drängte sich aus dem großen Terminalgebäude hinaus auf die Straße, zwischen den stehenden Wagen hindurch. Die Menschen gingen und gingen, suchten nach einem Taxi oder einem Wagen. Buck überlegte, was er tun konnte. Irgendwie musste er weiter, raus aus diesen Menschenmassen. Das Problem war, in New York würde es sicher noch viel schlimmer sein.

„Meine Damen und Herren“, sagte Rayford über den Bordlautsprecher, „ich möchte Ihnen noch einmal für Ihre Mitarbeit danken. Leider gibt es nur noch eine einzige Landebahn, auf der ein so großes Flugzeug wie unseres landen kann, und wir sind gebeten worden, zu einem offenen Bereich etwa zwei Meilen vom Terminal entfernt zu rollen. Ich fürchte, ich werde Sie bitten müssen, über unsere aufblasbaren Notrutschen das Flugzeug zu verlassen, da wir nicht in der Lage sein werden, zu einem der Flugsteige zu rollen. Wenn Sie zu schwach sind, um zum Terminal zu laufen, bleiben Sie bitte im Flugzeug. Wir werden jemanden schicken, der Sie holt.“

Diesmal dankte er seinen Passagieren nicht, dass sie mit Pan-Continental geflogen waren, diesmal sagte er nicht: „Wir hoffen, dass Sie sich auch bei Ihrer nächsten Flugreise unserer Gesellschaft anvertrauen werden.“ Allerdings ermahnte er sie, angeschnallt zu bleiben, bis das Lichtzeichen ausging. Es würde die schwierigste Landung werden, die er seit Jahren durchgeführt hatte. Er konnte es schaffen, das wusste er, doch es war lange her, seit er das letzte Mal eine Landung zwischen anderen Flugzeugen vorgenommen hatte.

Rayford beneidete den Passagier der ersten Klasse, der über Modem Verbindung zur Außenwelt aufnehmen konnte. Er konnte es kaum erwarten, Irene, Chloe und Ray Jr. anzurufen. Auf der anderen Seite befürchtete er, dass er vielleicht keine Gelegenheit mehr haben würde, mit ihnen zu sprechen.

3

Hattie Durham und der Rest ihrer Crew forderten die Passagiere auf, die Sicherheitsbestimmungen in ihren Sitztaschen zu lesen. Viele hatten Angst, über die Notrutschen auszusteigen, vor allem mit ihrem Handgepäck. Die Stewardessen sagten ihnen, sie sollten ihre Schuhe ausziehen und auf die Rutsche springen. Sie würden ihnen die Schuhe und das Handgepäck hinunterwerfen. Sie rieten ihnen, nicht auf ihr eingechecktes Gepäck zu warten. Das, so versicherten sie ihnen, würde ihnen irgendwann nach Hause gebracht. Wann, das wussten sie allerdings nicht zu sagen.

Buck Williams gab Hattie seine Karte und schrieb sich ihre Telefonnummer auf, „für den Fall, dass ich vor Ihnen Verbindung zu Ihren Eltern bekomme.“

„Sie arbeiten beim Global Weekly?“, fragte sie. „Das wusste ich nicht.“

„Und Sie haben mich ausgeschimpft, weil ich mit dem Telefon herumgespielt habe.“

Sie versuchte zu lächeln. „Es tut mir Leid“, sagte Buck, „das war nicht lustig. Ich höre schon auf.“

Buck war froh, dass er kein Gepäck eingecheckt hatte. Er nahm nie einen Koffer mit, nicht einmal auf internationalen Flügen. Als er den Gepäckkasten öffnete, um seine Ledertasche herauszuholen, entdeckte er den Hut und die Jacke des alten Mannes, die noch immer auf seiner Tasche lagen. Harolds Frau starrte Buck aus aufgerissenen Augen an. „Ma’am“, sagte er leise, „möchten Sie das haben?“

Die trauernde Frau nahm dankbar den Hut und die Jacke entgegen und drückte sie an ihre Brust, als wollte sie sie nie mehr loslassen. Sie sagte etwas, das Buck nicht verstehen konnte. Er bat sie, es noch einmal zu wiederholen. „Ich kann nicht aus diesem Flugzeug springen“, sagte sie.

„Bleiben Sie hier“, beruhigte er sie. „Man wird jemanden schicken, der Sie holt.“

„Aber werde ich denn auf dieses Ding springen und hinunterrutschen müssen?“

„Nein, Ma’am. Ich bin sicher, sie haben einen Aufzug oder so etwas Ähnliches.“

Buck legte seinen Laptop vorsichtig zwischen seine Kleider. Er zog den Reißverschluss zu und eilte zum Ausgang. Er wollte den anderen zeigen, wie einfach das war. Er ließ seine Schuhe zuerst hinunterrutschen, dann drückte er seine Tasche fest an die Brust und sprang auf die Rutsche.

Da er ein wenig zu schwungvoll gesprungen war, landete er nicht auf seinem Hinterteil, sondern auf den Schultern, und seine Füße flogen über seinen Kopf. Mit rasanter Geschwindigkeit rutschte er die Rutsche hinunter und schlug unten mit solcher Wucht auf, dass er einen Purzelbaum machte und nur mit knapper Not verhindern konnte, dass sein Gesicht auf dem Beton aufschlug. Seine Tasche hielt er fest an sich gedrückt. Zwar konnte er sein Gesicht schützen, sein Hinterkopf jedoch knallte hart auf den Beton. Nur mühsam unterdrückte er die Äußerung: „Kein Problem.“ Doch er rieb sich den schmerzenden Hinterkopf, der bereits blutverschmiert war. Es war keine schlimme Wunde, nur ein kleines Loch. Schnell holte er seine Schuhe und trabte auf den Terminal zu, eher aus Verlegenheit als aus Notwendigkeit. Er wusste, wenn er erst einmal dort war, hatte er viel Zeit.

Rayford, Christopher und Hattie verließen als Letzte die 747. Bevor sie ausstiegen, hatten sie dafür gesorgt, dass alle gesunden Passagiere das Flugzeug über die Notrutschen verlassen und die Älteren und Kranken mit dem Bus abgeholt worden waren. Der Busfahrer bestand darauf, dass die Crew mit ihm und den letzten Passagieren fuhr, Rayford weigerte sich jedoch. „Ich kann doch nicht an meinen eigenen Passagieren, die zum Terminal laufen müssen, vorbeifahren“, wandte er ein. „Wie würde das denn aussehen?“

Christopher sagte: „Wie Sie wollen, Cap. Aber haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Angebot annehme?“

Rayford starrte ihn an. „Meinen Sie das im Ernst?“

„Für solchen Edelmut ist die Bezahlung einfach nicht hoch genug.“

„Als ob dies ein Fehler der Fluggesellschaft wäre. Chris, das meinen Sie doch nicht wirklich im Ernst.“

„Und ob ich das ernst meine. Wenn Sie da hinten ankommen, werden Sie vermutlich wünschen, Sie wären auch mitgefahren.“

„Ich könnte das melden.“